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Sheila A. Lukehart 207e Endemische Treponematosen Für die deutsche Ausgabe Katharina Edle von Schmädel und Norbert Suttorp Die humanen Treponematosen umfassen neben der venerischen Sy- philis (syn: Lues) die so genannten nicht venerischen oder ende- mischen Treponematosen. Hierzu gehören die Frambösie , die Pinta und die endemische Syphilis . Die endemischen Treponematosen sind chronische Erkrankungen, die über direkten Kontakt üblicherweise in der Kindheit übertragen werden und wie die Syphilis Jahre nach der Erstinfektion zu schweren Spätmanifestationen führen können. Die Erkrankungen werden von engen Verwandten von Treponema pallidum ssp. pallidum, dem Erreger der venerischen Syphilis, ver- ursacht. (Kap. 206) Die Frambösie, Pinta und die endemische Syphilis un- terscheiden sich von der venerischen Syphilis durch die Art der Über- tragung, das typische Erkrankungsalter, die geografische Verteilung und das klinische Bild, allerdings gibt es dabei auch Überlappungen. Im Allgemeinen tritt die Frambösie in feuchten, tropischen Klimazo- nen auf, die endemische Syphilis kommt in trockenen Regionen vor und Pinta in den gemäßigten Klimazonen des amerikanischen Kon- tinents (Abb. 207e-1). Die Infektionskrankheiten sind meist auf länd- liche Gebiete von Entwicklungs- und Schwellenländern beschränkt und werden in Industrieländern nur bei Personen beobachtet, die kürzlich aus Endemiegebieten eingewandert oder eingereist sind. Un- ser Wissenüber die endemischen Treponematosen basiert auf Be- obachtungen medizinischen Personals in Endemiegebieten sowie auf Fallstudien importierter Treponematosen. Gut konzipierte Studien zum natürlichen Verlauf, zur Diagnostik oder Behandlung der Er- krankungen existieren nur vereinzelt. Die labortechnische Erfor- schung des Krankheitserregers gestaltet sich bis heute schwierig, da die Kultivierung der Bakterien in vitro aufgrund ihrer fragilen Zell- struktur und ihrer hohen Wirtsabhängigkeit kaum gelingt. Es existie- ren jedoch Tiermodelle (vornehmlich in Kaninchengeweben oder Schimpansen) zur Pathogeneseforschung. Ein Vergleich und eine Gegenüberstellung der Treponematosen er- folgt in Tabelle 207e-1. EPIDEMIOLOGIE In einem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem United Nations Childrens Fund unterstützten Massen- eradikationsprogramm wurden zwischen 1952 und 1964 et- wa 300 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Südamerika auf Treponematosen untersucht und mehr als 50 Millionen Fälle und de- ren Kontaktpersonen behandelt. Am Ende der Kampagne konnte Schätzungen zufolge die globale Prävalenz der aktiven Frambösie um etwa 95 % auf ca. 2,5 Millionen Fälle gesenkt werden. In den späten 1960er- bis in die frühen 1990er-Jahre führte ein Mangel an fokussier- ter Überwachung und die Ressourcenumleitung auf andere Projekte zu einem Wiederaufleben der Infektionskrankheiten in einigen Regio- nen der Welt. Die geschätzte geografische Verteilung der endemischen Treponematosen in den 1990er-Jahren gibt die Abbildung 207e-1 wieder (Verteilung von 2012 unter: http://www.who.int/yaws/epidemio logy/Yaws_map_2012.png). Die WHO geht aktuell weiterhin von mindestens 13 bestehenden Endemiestaaten, vornehmlich in Afrika, Südostasien und vereinzelt in Südamerika, aus. Zwischen 2008 und 2012 wurden der WHO mehr als 300.000 Fälle von Neuerkrankungen gemeldet, wobei 84 % der Meldungen aus drei Gebieten stammten: aus Papua-Neuguinea, von den Salomonen und aus Ghana (> 5000 Fälle in den Jahren 20102013). Aus Afrika wurden der WHO im Jahr 2012 aus insgesamt sie- ben Ländern Fälle endemischer Treponematosen gemeldet, hierunter aus Benin, Kamerun, der Republik Zentralafrika, der Elfenbeinküste, Togo und, wie bereits erwähnt, Ghana. Die Demokratische Republik Kongo meldete zuletzt im Jahr 2008 Erkrankungsfälle, seither sind keine Neuerkrankungen bekannt geworden. Aus Südostasien und von den pazifischen Inseln gibt es fortwährend Berichte aktiver Frambö- sie. Indonesien meldete im Jahr 2012 3476 Fälle an die WHO. Es exis- tieren keine oziellen Daten aus Osttimor, jedoch wird dieses Land weiterhin als Endemiegebiet betrachtet, die geschätzte Inzidenz be- trägt hier etwa 5001000 Fälle/Jahr. Meldungen mit teils sehr hoher (> 5000 Fälle) und hoher Endemiezahl (10004999 Fälle) kommen aus Papua-Neuguinea, von den Salomonen und Vanuatu. Indien un- ternahm 1996 erneut massive Anstrengungen zur Eradikation und Pinta Frambösie-Pian Endemische Syphilis Abbildung 207e-1 Geografische Verteilung der endemischen Treponematosen in den 1990er-Jahren. (Aktualisiert nach www.who.int/yaws/epidemiology/Map_yaws_90s.jpg. Mit freundlicher Genehmigung der Weltgesundheitsorganisation, WHO.) Verteilung von 2012 unter http://www.who.int/yaws/epidemiology/Yaws_map_2012.png. 207e-1 Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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Sheila A. Lukehart

207e Endemische TreponematosenFür die deutsche Ausgabe Katharina Edle von Schmädel und Norbert Suttorp

Die humanen Treponematosen umfassen neben der venerischen Sy-philis (syn: Lues) die so genannten nicht venerischen oder ende-mischen Treponematosen. Hierzu gehören die Frambösie, die Pintaund die endemische Syphilis. Die endemischen Treponematosen sindchronische Erkrankungen, die über direkten Kontakt üblicherweise inder Kindheit übertragen werden und wie die Syphilis Jahre nach derErstinfektion zu schweren Spätmanifestationen führen können.Die Erkrankungen werden von engen Verwandten von Treponema

pallidum ssp. pallidum, dem Erreger der venerischen Syphilis, ver-ursacht.(Kap. 206) Die Frambösie, Pinta und die endemische Syphilis un-

terscheiden sich von der venerischen Syphilis durch die Art der Über-tragung, das typische Erkrankungsalter, die geografische Verteilungund das klinische Bild, allerdings gibt es dabei auch Überlappungen.Im Allgemeinen tritt die Frambösie in feuchten, tropischen Klimazo-nen auf, die endemische Syphilis kommt in trockenen Regionen vorund Pinta in den gemäßigten Klimazonen des amerikanischen Kon-tinents (Abb. 207e-1). Die Infektionskrankheiten sind meist auf länd-liche Gebiete von Entwicklungs- und Schwellenländern beschränktund werden in Industrieländern nur bei Personen beobachtet, diekürzlich aus Endemiegebieten eingewandert oder eingereist sind. Un-ser „Wissen“ über die endemischen Treponematosen basiert auf Be-obachtungen medizinischen Personals in Endemiegebieten sowie aufFallstudien importierter Treponematosen. Gut konzipierte Studienzum natürlichen Verlauf, zur Diagnostik oder Behandlung der Er-krankungen existieren nur vereinzelt. Die labortechnische Erfor-schung des Krankheitserregers gestaltet sich bis heute schwierig, dadie Kultivierung der Bakterien in vitro aufgrund ihrer fragilen Zell-struktur und ihrer hohen Wirtsabhängigkeit kaum gelingt. Es existie-ren jedoch Tiermodelle (vornehmlich in Kaninchengeweben oderSchimpansen) zur Pathogeneseforschung.Ein Vergleich und eine Gegenüberstellung der Treponematosen er-

folgt in Tabelle 207e-1.

EPIDEMIOLOGIE

In einem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unddem United Nations Children‘s Fund unterstützten Massen-eradikationsprogramm wurden zwischen 1952 und 1964 et-

wa 300 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Südamerika aufTreponematosen untersucht und mehr als 50 Millionen Fälle und de-ren Kontaktpersonen behandelt. Am Ende der Kampagne konnteSchätzungen zufolge die globale Prävalenz der aktiven Frambösie umetwa 95 % auf ca. 2,5 Millionen Fälle gesenkt werden. In den späten1960er- bis in die frühen 1990er-Jahre führte ein Mangel an fokussier-ter Überwachung und die Ressourcenumleitung auf andere Projektezu einem Wiederaufleben der Infektionskrankheiten in einigen Regio-nen der Welt. Die geschätzte geografische Verteilung der endemischenTreponematosen in den 1990er-Jahren gibt die Abbildung 207e-1wieder (Verteilung von 2012 unter: http://www.who.int/yaws/epidemiology/Yaws_map_2012.png).Die WHO geht aktuell weiterhin von mindestens 13 bestehenden

Endemiestaaten, vornehmlich in Afrika, Südostasien und vereinzelt inSüdamerika, aus. Zwischen 2008 und 2012 wurden der WHO mehrals 300.000 Fälle von Neuerkrankungen gemeldet, wobei 84 % derMeldungen aus drei Gebieten stammten: aus Papua-Neuguinea, vonden Salomonen und aus Ghana (> 5000 Fälle in den Jahren 2010–2013). Aus Afrika wurden der WHO im Jahr 2012 aus insgesamt sie-ben Ländern Fälle endemischer Treponematosen gemeldet, hierunteraus Benin, Kamerun, der Republik Zentralafrika, der Elfenbeinküste,Togo und, wie bereits erwähnt, Ghana. Die Demokratische RepublikKongo meldete zuletzt im Jahr 2008 Erkrankungsfälle, seither sindkeine Neuerkrankungen bekannt geworden. Aus Südostasien und vonden pazifischen Inseln gibt es fortwährend Berichte aktiver Frambö-sie. Indonesien meldete im Jahr 2012 3476 Fälle an die WHO. Es exis-tieren keine offiziellen Daten aus Osttimor, jedoch wird dieses Landweiterhin als Endemiegebiet betrachtet, die geschätzte Inzidenz be-trägt hier etwa 500–1000 Fälle/Jahr. Meldungen mit teils sehr hoher(> 5000 Fälle) und hoher Endemiezahl (1000–4999 Fälle) kommenaus Papua-Neuguinea, von den Salomonen und Vanuatu. Indien un-ternahm 1996 erneut massive Anstrengungen zur Eradikation und

Pinta Frambösie-Pian Endemische Syphilis

Abbildung 207e-1 Geografische Verteilung der endemischen Treponematosen in den 1990er-Jahren. (Aktualisiert nach www.who.int/yaws/epidemiology/Map_yaws_90s.jpg.Mit freundlicher Genehmigung der Weltgesundheitsorganisation, WHO.) Verteilung von 2012 unter http://www.who.int/yaws/epidemiology/Yaws_map_2012.png.

207e-1Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

Kontrolle der Frambösie. Seit 2004 gab es aus Indien keine neuenFallregistrierungen mehr, und im Jahr 2006 konnte die Frambösie inIndien für ausgerottet erklärt werden.Auf dem amerikanischen Kontinent persistieren vermutlich einzel-

ne Frambösieherde auf Haiti und anderen karibischen Inseln, in Peru,Kolumbien, Ecuador, Brasilien, Guyana und Surinam. Pinta ist aufMittelamerika und das nördliche Südamerika begrenzt und wird dortselten und lediglich in ländlichen Regionen und abgelegenen Dörferngesehen.Das Auftreten Frambösie-ähnlicher Erkrankungen und sexuell

übertragbarer Krankheiten mit positiver Treponemenserologie beiwild lebenden Gorillas und Pavianen in Afrika führte zu der Ver-mutung, dass es ein Tierreservoir der Frambösie gebe. Eine Übertra-gung der Erkrankung vom Tier auf den Menschen durch Haut-zu-Haut-Kontakte oder den Verzehr von Fleisch ist aktuell jedoch nichtbelegt.

MIKROBIOLOGIEDie Erreger der endemischen Treponematosen wie auch dervenerischen Syphilis sind Subspezies von Treponema palli-dum, einem schraubenförmigen, gewundenen Bakterium aus

der Familie der Spirochäten. T. pallidum ssp. pertenue ist Erreger derFrambösie, T. pallidum ssp. Endemicum der endemischen Syphilis. T.carateum ist der Erreger der Pinta und wird als eigene Spezies ge-führt, da sich bisher keine Organismen für genetische Studien an-züchten ließen. Eine Übersicht der Erreger liefert die Tabelle 207e-1.Die Treponemen sind weder morphologisch noch mit immunologi-schen Methoden zu unterscheiden. Da sich die Organismen in vitrokaum anzüchten lassen, eine hohe Wirtsabhängigkeit aufweisen undnur wenige Tiermodelle für die Anzucht existieren, sind sie moleku-larbiologischen Methoden schwer zugänglich und daher nur weniguntersucht. Ob die pathogenen Treponemen also tatsächlich verschie-dene Organismen sind, wird kontrovers diskutiert, da für T. pallidumssp. pallidum (den Erreger der venerischen Syphilis), T. pallidum ssp.pertenue und T. pallidum ssp. endemicum Sequenzierungen des Ge-noms darauf hinweisen, dass sie zu 99,8 % übereinstimmen und sichteils nur in einzelnen Aminosäuren unterscheiden. Eindeutige Anti-genunterschiede zwischen den einzelnen Erregern der Treponemato-sen wurden bis dato nicht identifiziert. Mittels PCR-Amplifizierungund Restriktionsverdauung der derzeit verfügbaren Stämme konntenjedoch molekulare Signaturen identifiziert werden, die die T.-palli-dum-Subspezies differenzieren können. Ob diese genetischen Unter-schiede mit bestimmten klinischen Erscheinungen der Erkrankungenzusammenhängen, ist aber nicht klar.Die komplette Sequenzierung des Genoms eines bis dato nicht klas-

sifizierten Stamms (sog. Fribourg-Blanc), der im Jahr 1966 bei einemPavian in Westafrika isoliert wurde, zeigt einen hohen Grad an gene-tischer Homologie mit den verfügbaren Stämmen von T. pallidumssp. pertenue und T. pallidum ssp. pallidum. Diese Beobachtung stehtim Einklang mit einem früheren Bericht, dass der Fribourg-Blanc-

Stamm im Experiment Infektionen beim Menschen verursachenkann. Molekulare Untersuchungen weiterer Proben infizierter Pavianelegen nahe, dass sich die Organismen aus nicht humanen Primatenwährend der Evolution vor Entwicklung der Klade, die die mensch-lichen Isolate beinhaltet, abgetrennt haben. Es wird daher befürchtet,dass Primaten als mögliches Reservoir für Treponemen zur Verfügungstehen und damit die Eradikationsbemühungen erschweren könnten.Es bleiben aber Unklarheiten zur Bedeutung eines Tierreservoirs fürdie Infektion des Menschen.

KLINISCHES BILDAlle Treponematosen, auch die Syphilis, verlaufen chronisch undzeichnen sich durch definierte Krankheitsstadien mit lokaler Primär-läsion, disseminierten Sekundärläsionen, Latenzperioden und eventu-ellen Spätläsionen aus. Die primären und sekundären Krankheitssta-dien der Frambösie und der endemischen Syphilis treten häufiger alsbei der venerischen Syphilis simultan auf, und die Spätmanifestatio-nen der Pinta sind im Vergleich zu den destruierenden Läsionen deranderen Treponematosen relativ leicht ausgeprägt. Gegenwärtig wirdeine Einteilung des klinischen Verlaufes der endemischen Treponema-tosen in „späte“ und „frühe“ Stadien bevorzugt.Die nicht venerischen Infektionen unterscheiden sich von der vene-

rischen Syphilis in erster Linie durch die fehlende kongenitale Über-tragung und ZNS-Beteiligung. Ob diese Unterscheidung korrekt ist,ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Aufgrund des engen genetischenVerwandtschaftsgrads der Erreger erscheint es aus biologischer Sichtfraglich, dass T. pallidum ssp. endemicum und T. pallidum ssp. per-tenue nicht in der Lage sein sollten, die Blut-Hirn-Schranke zu über-winden oder in die Plazenta einzudringen. Wie T. pallidum ssp. palli-dum können diese Erreger, ausgehend vom Ort der Primärinfektion,disseminieren und über Jahrzehnte persistieren. Das Fehlen gesicher-ter kongenitaler Infektionen erklärt sich möglicherweise dadurch,dass nicht venerische Treponematosen im Allgemeinen während derKindheit erworben werden. Die Latenzperiode mit geringer Bakte-rienlast wäre erreicht, bevor Mädchen die Geschlechtsreife erlangen,und das Übertragungsrisiko wäre durch die niedrige Bakterienlast ge-ring. Eine neurologische Beteiligung könnte wegen Mangels an aus-gebildetem medizinischem Personal, wegen des langen Intervalls zwi-schen Infektion und möglichen ZNS-Manifestationen oder aufgrundeiner niedrigen Rate symptomatischer ZNS-Erkrankungen nicht er-kannt werden. Einige Untersuchungen legen sowohl eine kongenitaleÜbertragung als auch eine kardiovaskuläre, ophthalmologische undzentralnervöse Beteiligung bei der Frambösie und der endemischenSyphilis nahe. Die vorliegenden Studien sind klein und zeichnen sichdurch methodische Mängel aus. Andere Ursachen für ZNS-Verände-rungen wurden nicht untersucht, und in einigen Fällen erfolgte keineserologische Korrelation. Insgesamt erscheint es falsch, die weit ver-breitete Ansicht nicht zu hinterfragen, dass die beschriebenen Mani-festationen nicht durch die Erreger der endemischen Treponematosenverursacht werden können.

InfektionskrankheitenTeil 8

TABELLE 207e-1 Treponemen und Treponematosen im Vergleich

Venerische Syphilis Frambösie Endemische Syphilis Pinta

Erreger T. pallidum ssp. pallidum T. pallidum ssp. pertenue T. pallidum ssp. endemicum T. carateum

Übertragungswege Sexuell, diaplazentar Haut-zu-Haut Kontakte im Haushalt: Mund-zu-Mund oderüber gemeinsame Geschirrbenutzung

Haut-zu-Haut

Übliches Erkrankungsalter Erwachsene oder in utero Frühe Kindheit Frühe Kindheit Späte Kindheit

Primärläsion Hautulkus (Ulcus durum, harterSchanker), schmerzfrei

Papillom, häufig ulzerierend Schleimhautpapeln, selten bemerkt Nicht ulzerierende Papelmit Satelliten, juckend

Lokalisation Genital, oral, anal Extremitäten Oral Extremitäten, Gesicht

Sekundärläsionen Mukokutane Läsionen, Condylomatalata

Kutane papulosquamöseLäsionen, Osteoperiostitis

Mukokutane Läsionen (Plaques muqueu-ses, Mundeckenpapeln, Condylomata la-tum), Osteoperiostitis

Pintiden, pigmentiert,juckend

Rückfall ca. 25 % Häufig Unbekannt Unbekannt

Spätkomplikationen Gummen, kardiovaskuläre Kompli-kationen, ZNS-Beteiligunga

Destruierende Gummen in Haut,Knochen, Knorpel

Destruierende Gummen in Haut, Knochen,Knorpel

Nicht destruierendedyschrome und achromeMakulae

a ZNS-Beteiligungen, kardiovaskuläre Beteiligungen und kongenitale Infektionen bei endemischen Treponematosen wurden von einigen Untersuchern postuliert (siehe Text).

207e-2Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

& FRAMBÖSIEDie Frambösie, die auch unter den Namen Pian oder Buba bekanntist, zeichnet sich durch die Entwicklung einer oder mehrerer Primär-läsionen („mother yaw“) aus, gefolgt vom Auftreten disseminierterHautläsionen. Die frühen Hautläsionen sind infektiös und können fürmehrere Monate persistieren. Rückfälle im Bereich der Haut sind in-nerhalb der ersten 5 Jahre häufig. Etwa 10 % der unbehandelten Per-sonen entwickeln Spätmanifestationen. Diese verlaufen destruierendund können Haut, Knochen und Gelenke betreffen.Die Infektion wird durch direkten Haut-zu-Haut-Kontakt mit den

infektiösen Läsionen übertragen, oft bei Kindern während des Spie-lens oder beim Schlafen in Gruppen. Die Übertragung kann durch ei-ne Hautschädigung, beispielsweise durch Insektenstiche oder Ab-schürfungen, erleichtert werden. Nach durchschnittlich 3–4 WochenInkubationszeit entsteht die erste Läsion meist als solitäre erythema-töse Papel an einer Extremität (vornehmlich an der unteren Extre-mität), vergrößert sich dann durch Extension oder Bildung von Satel-litenpapeln (besonders bei feuchtem und warmem Wetter) und bildetwarzenartige Papillome und imponiert „himbeerartig“ (daher auchder afrikanisch-französische Name „Frambösie“) (Abb. 207e-2A).Die Läsion ist schmerzlos, kann aber jucken. Krustenbildung oder Ul-zerationen können vorkommen. Es entwickelt sich eine regionaleLymphadenopathie und bereits in dieser Phase der Erkrankung kla-gen einige Patienten über Arthralgien. Die Läsion ist hoch kontagiös,heilt üblicherweise innerhalb von 6 Monaten ab und hinterlässt meistein hypopigmentiertes Areal mit einem dunklen Randsaum. Mangeht davon aus, dass die Streuung der Krankheitserreger bereits inden ersten Wochen stattfindet. Sekundär generalisierte Ausbrüche(Abb. 207e-2B) werden von generalisierten Lymphknotenschwellun-gen begleitet. Sie treten gleichzeitig mit der Primärläsion oder zeitlich(bis zu 1–2 Jahre nach Auftreten der Primärläsion) versetzt auf, neh-men verschiedene Formen an (makulös, papulös oder papillomatös)und können sekundär mit anderen Bakterien infiziert werden. Fliegenwerden von der sezernierten Wundflüssigkeit angezogen und förderndiese Superinfektionen. Schmerzhafte papillomatöse Läsionen an denFußsohlen führen zu einem „krebsartigen“ Gangbild („Krebs-Fram-bösie“). Eine Periostitis kann nächtliche Knochenschmerzen und einePolydaktylitis bedingen. In dieser Erkrankungsphase sind auch Fieberund Krankheitsgefühl üblich. Diese Sekundärläsionen heilen ebenfallsspontan innerhalb von mehreren Wochen oder Monaten und esschließt sich die Latenzphase der Erkrankung an. Diese kann lediglichdurch serologische Testung erkannt werden und kann, wenn unbe-handelt, lebenslang persistieren. Die späte Frambösie manifestiertsich mit Gummen der Haut und der langen Knochen, palmaren undplantaren Hyperkeratosen, Ostitiden und Periostitiden sowie Gelenk-ergüssen. Die späten, gummenartigen Läsionen sind typischerweiseausgedehnt. Die Destruktionen von Nase, Maxilla, Gaumen und Pha-rynx werden als Gangosa bezeichnet und ähneln den destruierendenLäsionen bei Lepra und Leishmaniose. Es existieren mehrere Berichte,die die Vermutung unterstützen, dass eine neurologische und kardio-vaskuläre Beteiligung sowie die Affektion der Augen und die vertikaleÜbertragung auf den Fetus möglich sind.

& ENDEMISCHE SYPHILISDie Frühläsionen der endemischen Syphilis (Bejel, Siti, Dichuchwa,Njovera, Skerljevo) betreffen vorwiegend mukokutane und mukosaleOberflächen. Die Infektion wird vermutlich durch direkten Mund-zu-Mund-Kontakt, beispielsweise durch Küssen, Vorkauen von Nahrungoder durch gemeinsam benutztes Ess- und Trinkgeschirr übertragen.Eine Beteiligung von Insekten an der Übertragung wurde diskutiert,ist jedoch nicht bewiesen. Die initiale Läsion, üblicherweise eineschmerzlose intraorale oder nasopharyngeale Papel, bleibt im Gegen-satz zu den Hautmanifestationen der anderen endemischen Trepone-matosen häufig unbemerkt. Nachfolgend treten enorale und nasopha-ryngeale Schleimhautveränderungen und mukokutane Läsionen auf(Abb. 207e-2C), welche den Condylomata lata der sekundären Syphi-lis ähneln. Diese Manifestationen können Monate oder sogar Jahrebestehen. Treponemen lassen sich leicht in den Frühläsionen nach-weisen. Häufig bestehen eine Periostitis, Laryngitis und eine regionaleoder generalisierte Lymphadenopathie. Nach einer Latenzperiode un-terschiedlicher Dauer können Spätmanifestationen, wie ossäre undkutane Gummen, auftreten. Destruierende Gummen, Ostitis undGangosa sind bei der endemischen Syphilis häufiger als bei der spätenFrambösie. Über Fälle einer neurologischen und kardialen Beteiligungsowie über die Möglichkeit kongenitaler Transmission wird berichtet.

& PINTADie Pinta (Mal del pinto, Carate, Azul, Purupuru) ist die gutartigsteunter den Treponematosen. Das Krankheitsbild verläuft in drei Pha-sen, die durch deutliche Veränderungen der Hautpigmentierung cha-rakterisiert sind (Abb. 207e-2D). Es kommt jedoch nicht zu destruk-tiven Läsionen oder zum Befall anderer Gewebe außer der Haut. Dieinitiale Papel ist juckend und meistens an den Extremitäten oder imGesicht lokalisiert. Nach einem bis mehreren Monaten treten zahlrei-che, disseminierte Sekundärläsionen (Pintiden) auf. Zu Beginn sinddiese Läsionen rot, werden dann zunehmend pigmentiert, um letzt-endlich eine dunkle blaugraue Farbe anzunehmen. Die Sekundärlä-sionen sind infektiös und stark juckend und können für Jahre persis-tieren. Pigmentierte Spätläsionen werden als dyschrome Makulae be-zeichnet und enthalten Treponemen. Im Verlauf der Zeit zeigen diemeisten pigmentierten Läsionen unterschiedliche Grade der Depig-mentation. Sie werden braun, schließlich weiß und geben der Hautein fleckiges Erscheinungsbild. Die weißen, achromatischen Läsionensind für das Spätstadium charakteristisch und gelten als nicht mehrinfektiös.

DIAGNOSTIKDie Diagnose der endemischen Treponematose basiert auf dem kli-nischen Erscheinungsbild in Kombination mit der Kenntnis über dieepidemiologische Verteilung der Erkrankungen und – falls verfügbar –auf der Dunkelfeldmikroskopie und der Serologie. Die bei der veneri-schen Syphilis eingesetzten serologischen Tests (treponemale Testver-fahren: TPHA, TPPA, FTA-Abs; nicht treponemale Testverfahren:VDRL, RPR siehe Kapitel 206) werden im Verlauf aller Treponemato-sen reaktiv. Obwohl die serologische Testung die am häufigsten ange-

Endemische Treponematosen 207e

A B C D

Abbildung 207e-2 Klinische Manifestationen der endemischen Treponematosen. A. Papillomatöse Primärläsion bei Frambösie im Frühstadium. B. Disseminierte Läsionen beiFrambösie im Frühstadium. C. Schleimhautplaques bei endemischer Syphilis. D. Pigmentierte Makulae bei Pinta. (Fotos mit frdl. Genehmigung von Dr. David Fegan, Brisbane, Australien[A und B] und von PL Perine et al: Handbook of Endemic Treponematoses, Geneva, World Health Organization, 1984 [C und D].)

207e-3Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

wendete diagnostische Methode darstellt und mehrere Zielstrukturenzur Testung untersucht wurden, existiert bis dato kein Antikörpertest,der zwischen den verschiedenen Treponemen unterscheiden kann. InForschungslaboren können die Subspezies durch Genomanalysenmittels PCR-Verfahren unterschieden werden. Für die rasche Vor-Ort-Diagnostik existieren seit einigen Jahren mehrere Schnelltests(sog. Point-of-care-Testverfahren) in Form immunochromatogra-fischer Teststreifen, die nicht gekühlt werden müssen und treponema-le Antikörper in Blut oder Serum, vornehmlich der an der veneri-schen Syphilis erkrankten Personen, detektieren sollen. Die Schnell-tests wiesen in Kontrollstudien eine hohe Sensitivität (> 95 %) bei je-doch variabler Spezifität (64–100 %) auf. Der einfache Schnelltestkann allerdings nicht zwischen einer aktiven oder einer behandeltenInfektion unterscheiden und korreliert ungünstigerweise nur wenigmit den serologischen Testergebnissen einer aktiven Infektion. Einneuer dualer Schnelltest für treponemale und nicht treponemale An-tikörper lieferte zufriedenstellende Ergebnisse und wird derzeit imEradikationsprogramm der WHO eingesetzt. Bei der Bewertung reak-tiver Syphilisserologien von Personen, die aus einem Endemiegebieteingewandert sind, sollte prinzipiell auch eine nicht venerische Trepo-nematose in Erwägung gezogen werden.Die Erkrankung an einer endemischen Treponematose ist in

Deutschland nicht meldepflichtig. Dementsprechend liegen keine ver-lässlichen Zahlen über Erkrankungsfälle vor. Für Fragen zur Diagnos-tik steht das Konsiliarlabor für Treponemen (Labor Krone in BadSalzuflen, Telefon +40 5222 8076-0) zur Verfügung. Dort geht jährlichetwa eine Anfrage zu endemischen Treponematosen ein (Prof. Dr.Hagedorn, persönliche Mitteilung).

BEHANDLUNG: ENDEMISCHE TREPONEMATOSE

Die von der WHO empfohlene Therapie Erkrankter und ihrerKontaktpersonen ist die Einmalgabe von retardiertem Benzathin-Penicillin (1,2 Mio IE i.m. für Erwachsene, 600.000 IE für Kinder< 10 Jahren und für Kontaktpersonen). Die Dosierung entsprichtder Hälfte der für die Therapie der venerischen Syphilis empfohle-nen Dosis, weshalb bei unklarer klinischer Erkrankungssituationdazu geraten wird, die für die venerische Syphilis empfohlene Do-sis zu applizieren. Es gibt keine klare Evidenz für eine Penicillinre-sistenz der Erreger, jedoch wurde von einem Rückfall von Frambö-sie nach erfolgter Penicillinbehandlung in Papua-Neuguinea be-richtet. Allerdings kommt hier auch eine Reinfektion als ursäch-lich in Betracht, weshalb eine Penicillinresistenz der Treponemenaktuell nicht postuliert werden kann. Eine 2012 ebenfalls in Pa-pua-Neuguinea durchgeführte randomisiert-kontrollierte Studiezeigte die Nichtunterlegenheit einer oralen Einmaldosis Azithro-mycin (30 mg/kg p.o. bis maximal 2 g) gegenüber Benzylpenicillinin der Behandlung der Frambösie. Formal wurde die Wirksamkeitvon Azithromycin bei endemischer Syphilis und Pinta nicht unter-sucht, sie wird aber angenommen. Dieses Ergebnis liefert ein deut-lich einfacheres Regime für die groß angelegte Behandlung imRahmen des neu aufgelegten Frambösie-Eradikationsprogrammsder WHO aus dem Jahr 2012 mit dem Ziel der weltweiten Eradi-kation der Erkrankungen bis 2020. Obwohl Mutationen, die zurResistenz gegenüber Makroliden führen können, in zirkulierendenStämmen von T. pallidum ssp. pallidum weltweit häufig nach-

gewiesen werden können, hat die Untersuchung einer begrenztenAnzahl von Frambösie-Proben aus Papua-Neuguinea bis heutekeine Hinweise auf derartige Mutationen erbracht. Tetrazyklinescheinen bei Frambösie wirksam zu sein, aber es gibt keine Datenfür die anderen endemischen Treponematosen. Basierend auf denErfahrungen bei der venerischen Syphilis hält man Doxycyclinund Tetracyclin (in den für die Syphilis geeigneten Dosierungen;Kap. 206) für weitere therapeutische Alternativen bei Patientenmit Penicillinallergie. Im Rahmen der Behandlung der ende-mischen Treponematosen kann es, wie bei der Behandlung der ve-nerischen Syphilis und anderer bakterieller Erkrankungen, zu ei-ner Jarisch-Herxheimer-Reaktion durch die Freisetzung großerMengen Endotoxins durch den Bakterienzerfall kommen(Kap. 206). Dieser Komplikation kann mittels begleitender Gluko-kortikosteroidgabe vorgebeugt werden und sie sollte beim Auftre-ten unmittelbar mit Kortison behandelt werden. Nicht treponema-le serologische Titer (Venereal-Disease-Research-Laboratory[VDRL]-Test oder Rapid-Plasma-Reagin[RPR]-Test) fallen übli-cherweise nach effektiver Therapie ab, manche Patienten könnenjedoch dauerhaft seropositiv bleiben.

KONTROLLEErmutigt durch die erfolgreiche Ausrottung der Frambösie in Indienim Jahr 2006 und die Verfügbarkeit einer kostengünstigen Möglich-keit der oralen Einmalbehandlung mit Azithromycin hat die WHOim Jahr 2012 ihre Bemühungen erneuert, die Frambösie weltweit bis2020 zu eliminieren. Der Enthusiasmus dafür ist groß, mehrere Pla-nungstreffen zur Entwicklung länderspezifischer Aktionspläne habenstattgefunden und die notwendigen Ressourcen werden ermittelt.Trotzdem ist eine gewisse Zurückhaltung angesagt, denn möglichetierische Erregerreservoirs müssen abgeklärt werden. Möglicherweisegibt es nur ein kleines Zeitfenster, während dessen Azithromycin er-folgreich zur Ausrottung der Frambösie eingesetzt werden kann, be-vor Makrolidresistenzen zum Problem werden. In Anbetracht der der-zeitigen Massenbehandlung des Trachoms mittels Azithromycin inniedrigeren Dosen, oft in den gleichen Bevölkerungsgruppen, die einhohes Risiko für Frambösie aufweisen, ist die Entwicklung von Ma-krolidresistenzen vermutlich nur eine Frage der Zeit. Die vollständigeAbdeckung durch das Medikament und eine fortgesetzte sorgfältigeÜberwachung durch örtliche Gesundheitszentren – das schwacheGlied in der Kette früherer Eradikationsanstrengungen – sind aus-schlaggebend für den Erfolg.

WEITERFÜHRENDE LITERATURGIACANI L, LUKEHART SA: The endemic treponematoses. Clin Micro-biol Rev 27(1):89–115, 2014

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InfektionskrankheitenTeil 8

207e-4Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.