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terre des hommes Hilfe für Kinder in Not Ruppenkampstraße 11a 49084 Osnabrück Telefon 05 41 / 71 01-0 Telefax 05 41 / 70 72 33 eMail [email protected] Internet www.tdh.de Spendenkonto 700 800 700 Volksbank Osnabrück eG BLZ 265 900 25 Maria von Blumencron SHELTER Endlich zu Hause Ein Kinder- und Jugendtheaterstück über die Rechte der Kinder. Zum selber spielen. Thema: Straßenkinder in Indien Dauer der Vorführung: ca. 45 Minuten, das Stück kann aber auch stark gekürzt werden. Akteure: 7 bis Klassenstärke Bestellnummer: 900.4813.00 Fünf Freunde in Indien schaffen es einem Teppichfabrikanten, für den sie arbeiten mussten, zu entfliehen. In den Straßen Mumbais tauchen sie unter. Um leben zu können putzen sie Schuhe, sammeln wiederverwertbaren Müll und verkaufen Zeitungen. Ihr Zuhause sind die Straßen Mumbais. Ihre Familie sind die Straßenkinder. Bis einer von ihnen krank wird. Da entdecken sie SHELTER!

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Telefon 05 41 / 71 01-0 Telefax 05 41 / 70 72 33 eMail [email protected] Internet www.tdh.de

Spendenkonto 700 800 700 Volksbank Osnabrück eG BLZ 265 900 25

Maria von Blumencron

SHELTER Endlich zu Hause

Ein Kinder- und Jugendtheaterstück über die Rechte der Kinder. Zum selber spielen. Thema: Straßenkinder in Indien Dauer der Vorführung: ca. 45 Minuten, das Stück kann aber auch stark gekürzt werden. Akteure: 7 bis Klassenstärke Bestellnummer: 900.4813.00 Fünf Freunde in Indien schaffen es einem Teppichfabrikanten, für den sie arbeiten mussten, zu entfliehen. In den Straßen Mumbais tauchen sie unter. Um leben zu können putzen sie Schuhe, sammeln wiederverwertbaren Müll und verkaufen Zeitungen. Ihr Zuhause sind die Straßen Mumbais. Ihre Familie sind die Straßenkinder. Bis einer von ihnen krank wird. Da entdecken sie SHELTER!

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Hinweise Zu dem Theaterstück gibt es ein kostenloses terre des hommes SHELTER-Servicepaket, das Sie bei terre des hommes anfordern können. Dieses enthält: • CD mit Originalgeräuschen. Einzelne Geräusche sind im Text als »CD Track«

bezeichnet. (Wir danken dem WDR-Tonarchiv für die freundliche Unterstützung.) • Informationen zum Projekt »SHELTER« und der Situation von Straßenkindern in

Indien • Informationen zum terre des hommes KinderrechtsTeam-Projekt • Informationen zur terre des hommes-»Aktion Schülersolidarität« • Informationen zu den Kinderrechten CD-ROM Straßenkinder Die CD-ROM bietet umfangreiches Material zum Thema Straßenkinder und enthält vier Bildershows über Straßenkinder in Indien, Thailand und Kambodscha. Außerdem als PDF-Datei die Wandzeitung »Straßenkinder dieser Welt«, den Unterrichtsbogen »Straßenkinder«, das Themenheft »Straßenkinder« und den Informationsfalter »Kinderrechte/Straßenkinder«. Bestellnummer: 810.2742.00 Schutzgebühr: 5,-- € Das Booklet »Globales Lernen« Angebote für die Schule, Bestellnummer 301.1318.00 Das Theaterstück kann unter www.tdh.de »Download« aus dem Internet geladen werden. Nachfolgend finden Sie einen Vorschlag für eine Einführung in das Theaterstück, der zu Beginn einer Aufführung vorgetragen werden kann. Wir bitten um Beachtung! Bestellungen bitte an: terre des hommes Hilfe für Kinder in Not Referat Logistik Ruppenkampstraße 11a 49084 Osnabrück

Telefon 0541/7101-0 Telefax 0541/707233 eMail [email protected] Internet www.tdh.de

Wir danken der Kommission der Europäischen Union für die finanzielle Unterstützung.

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Personen Connie ... ist die Autorin des Stückes »SHELTER«. Während Connie das Stück schreibt, passiert die Handlung auf der Bühne. An ihrer roten Latzhose und dem Pferdeschwanz erkennen wir sie als die »Connie von terre des hommes« wieder. DIE »FÜNF FREUNDE AUS INDIEN« Rashna ... ist ein selbstbewusstes Mädchen, das mit beiden Beinen fest auf der Erde steht. Sie ist geradlinig, stark und sozusagen der Kopf der Truppe«. Sie kämpft für ihre Freunde und gibt nicht so schnell auf. Vom harten Leben auf der Straße lässt sie sich nicht unterkriegen. Rashna ist stark, weil sie ihre Gefühle zeigen kann – auch wenn sie verzweifelt und traurig ist. Sheila ... ist zarter und viel ängstlicher als Rashna. Das hübsche Mädchen träumt davon, ein Filmstar zu werden. An der harten Wirklichkeit in Mumbai (ehemals Bombay) zerbricht sie. Jyiotti ... ... ist der Kleinste der Truppe. Vielleicht hat er deswegen auch das größte Heimweh. Doch JYIOTTI passt sich flink an das Leben auf der Straße an und meistert es sehr gut. Er ist fantasievoll und würde sich nie aufgeben. Eine Eigenschaft, die ihn mit Rashna verbindet. Mit seiner Hoffnung, für die Zukunft steckt er auch die anderen Straßenkinder an. Santosh ... ... ist Rashnas Freund. Dennoch interessiert er sich auch für andere Mädchen und lässt gerne den Macho raushängen. Doch in Wirklichkeit ist er nur äußerlich stark. Vor der harten Wirklichkeit in Mumbai läuft er davon und flüchtet sich in Drogen. Gopal ... ... ist Sheilas Freund und ahmt alles nach, was er macht. So geht auch er in den Straßen Mumbais verloren. DIE STRASSENKINDER IN MUMBAI Die folgenden Charaktere sind keine festgefahrene Vorgabe. Je nach Theatergruppe oder Schulklasse kann die Anzahl der Straßenkinder erweitert oder verringert werden. Ebenso kann aus einem Schuhputzer eine Schuhputzerin gemacht werden, oder aus einer Blumenverkäuferin ein Blumenverkäufer... der Zeitungsjunge ... ... hat anfangs keine besonders große Energie »sein Blatt« an den Mann zu bringen. Als ihm Jyiotti die Kundschaft wegnimmt, ist er erst einmal tierisch eifersüchtig.

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Die Schuhputzerin ... ... hat einen kleinen Bauchladen mit Bürsten und Pasten. Vom vielen Rumschreien auf der Straße hat sie schon eine ganz raue Stimme. Der Schuhputzer ... ... hat auch einen Bauchladen und liefert sich einen erbitterten Konkurrenzkampf mit der Schuhputzerin. Drei (oder mehr) Müllsammel-Kinder ... ... mit großen Jutesäcken, in die sie den Müll stecken, den sie auf der Straße zusammensammeln. Vom Verkauf dieses Mülls leben sie. Deswegen keilen sie sich um jede einzelne leere Wasserflasche oder Coladose. Ihre Müllsäcke verwenden sie nachts auch als »Schlafsack«. Kein Wunder, dass sie ziemlich verdreckt aussehen. Die kleine Bettlerin … ... wirkt am elendesten und lumpigsten. Ihre Haare stehen zu Berge und ihr Gesicht sieht aus, als hätte sie in einem Schweinetrog gepennt. Jeder, dem sie zu nahe tritt, hält sich die Nase zu. Dennoch hat sie keine Hemmungen, alle möglichen Leute um Geld anzuhauen. Das Blumenmädchen ... ... verkauft Blumen und kleine Blumenarmbänder. Die Obstverkäuferin/der Obstverkäufer ... ... versucht faulige Bananen zu verkaufen, die keiner mehr will. Die Bande der bekifften Jungs ... ... besteht aus mehreren großmäuligen, machohaften Typen, denen sich Sheila und Gopal anschließen werden. Optional: Die Musik- und Geräuschetruppe … ... tritt ebenfalls in lumpigen Straßenkinder-Klamotten auf macht zusammen mit einem Profimusiker (oder Musiklehrer...) die Percussion und die stimmliche Unterstützung bei den Rap-Songs. Die Instrumente bestehen vorwiegend aus Straßenmüll: Dosen, Flaschen, Mülleimer, Plastiktüten, ... Statt die Geräusche und Atmos von der CD einzuspielen, könnte die Truppe auch alle Geräusche machen (mit Stimme, Körper, Requisiten...)

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Einführung Das Stück, das die Klasse ... Ihnen nun vorführen wird, heißt »SHELTER«, auf deutsch Schutz oder Unterkunft. SHELTER ist der Name eines Hauses in Mumbai, dem früheren Bombay. Mumbai ist eine der größten Städte Indiens, täglich kommen dort Tausende Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben an. Auch viele Kinder sind darunter, oft ohne ihre Eltern. Sie sind in einer schwierigen Situation: sie sind arm, hungrig und ohne Unterkunft. Sie sind unwissend, oft Analphabeten und orientierungslos. Sie sind den Anfechtungen und Gefahren der Großstadt schutzlos ausgesetzt. Für diese Kinder gibt es SHELTER. In diesem Haus können die Kinder unterkommen. Sie können ihre wenigen Besitztümer sicher verstauen. Sie haben einen Schlafplatz, können billig etwas zu essen kaufen und erhalten Beratung und wenn sie wollen auch Schulunterricht. SHELTER ist kein Heim, sondern eine wichtige Hilfe im Überlebenskampf der Kinder und Jugendlichen. SHELTER ist auch im größten Bahnhof von Mumbai präsent. Die Sozialbetreuer sprechen Neuankömmlinge an und helfen ihnen über die ersten Tage. Hinter SHELTER und den Menschen, die es eingerichtet haben, steckt eine Grundüberzeugung: Alle Menschen, alle Kinder haben die gleichen Rechte. Sie haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Sie haben das Recht darauf, ohne Angst schlafen zu können, ohne Angst vor Hunger zu leben und ein Dach über dem Kopf zu haben. Als Kinder haben sie außerdem noch besondere Kinderrechte: Zum Beispiel haben sie das Recht auf Bildung und das Recht auf Spiel. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen ist, welcher Religion oder Kaste es angehört, ob es reiche Eltern hat oder mittellos als Straßenkind leben muss. Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das »Übereinkommen über die Rechte des Kindes«. Die 54 Artikel und zwei Zusatzprotokolle der Konvention garantieren »Minderjährigen« erstmals völkerrechtlich verbindliche Grundrechte, wie das Recht auf einen Namen, auf Überleben, auf Bildung, auf Schutz vor Missbrauch und Gewalt, auf Information und Beteiligung. Kinder werden nicht mehr als unmündige Wesen betrachtet, die der Verfügungsgewalt von Erwachsenen unterstehen. Als »Rechtssubjekt« sind sie autonome Persönlichkeiten, die entsprechend ihren Möglichkeiten wahrgenommen und »in alle sie betreffenden Angelegenheiten« einbezogen werden sollen. Bei allen Entscheidungen, die sich auf Kinder auswirken können, muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden. Dies gilt für die Planung des Staatshaushalts ebenso wie für Straßenbauprojekte in einer Kommune. Tatsächlich ist die Kinderrechtskonvention die internationale Menschenrechtskonvention, die – mit Ausnahme der USA und Somalias – alle Staaten ratifiziert haben. Aber Überzeugungen und Konventionen allein reichen nicht aus. Schon Tucholsky sagte: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.« Einrichtungen wie SHELTER sind in der Tat umgesetzte Kinderrechte. Weil die UN-Kinderrechtskonvention und die in ihr niedergelegten Rechte der Kinder auch für das Kinderhilfswerk terre des hommes die Arbeitsgrundlage sind, fördert terre des hommes seit vielen Jahren Projekte in den Ländern des Südens. Das Projekt SHELTER in Indien ist eines dieser Projekte für eine besonders gefährdete Gruppe von Kindern: Straßenkinder.

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Genug der Vorrede: Licht aus und Vorhang auf für das von Maria von Blumencron in Zusammenarbeit mit terre des hommes speziell für Schulen geschriebene Stück »SHELTER«. Maria von Blumencron ist eine österreichische Schauspielerin, Filmemacherin und Autorin. Von 1989 bis 1991 gehörte sie dem Ensemble des Stadttheaters Osnabrück an. Während ihrer Tätigkeit als Schauspielerin beteiligte sie sich in Zusammenarbeit mit terre des hommes und dem Friedensdorf International an sozialen Projekten. Sie unternahm von 1991 bis 1993 eine Tournee mit dem für terre des hommes verfassten Kindertheaterstück »Kommst du mit nach Durian?«, in dem es insbesondere um die Rechte der Kinder ging.

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CD Track 1: Einstimmungsmusik, während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen... Das Licht im Zuschauerraum wird gedämpft. Die Bühne versinkt im »Dunkel der Nacht«. Die folgende Szene wird der Zuschauer vor allem als Hör-Erlebnis verfolgen können... CD Track 2: Man hört in der Ferne eine hetzende Hundemeute, mehrere Schüsse

fallen. RASHNA, SHEILA, SANTOSH, GOPAL und JYIOTTI treten auf. Sie sind auf der Flucht: Im Schein ihrer Taschenlampen rennen sie voller Panik von verschiedenen Seiten durch den Zuschauerraum in Richtung Bühne...

SANTOSH Los, schneller!

JYIOTTI Der Alte will uns durchlöchern!!!

RASHNA Wir müssen zu den Schienen, das ist unsere einzige Chance!!!

SHEILA (ängstlich)

Und wenn kein Zug kommt?

GOPAL Es wird einer kommen! Die Kinder arbeiten sich keuchend weiter voran... CD Track 3: Die Schüsse und das Bellen der Hunde klingen nun bedrohlich näher. Der kleine Jyiotti strauchelt hörbar.

JYIOTTI Au!!!! Mist!

RASHNA Jyiotti?

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JYIOTTI

(jammernd) Ich hab mir mein Bein verstaucht! Ich kann nicht mehr weiter!

RASHNA Du musst, Jyiotti! sonst bist Du verloren!!!

SANTOSH Los, rauf auf meinen Rücken, ich trag' Dich!!! Jyiotti springt auf Santoshs Rücken. Keuchend rennt Santosh weiter... CD Track 4: Das Pfeifen eines Zuges der von weiter Ferne anrauscht und immer

näher kommt. Sein Schnauben legt sich unter Folgendes...

SHEILA Der Zug!!!

GOPAL Wir könnten es schaffen!!!

RASHNA Schneller!!! Die fünf Kinder sind an der Rampe der Bühne angelangt.

GOPAL Aufspringen!

RASHNA Jetzt!!!!

RASHNA, GOPAL, SANTOSH mit JYIOTTI (springend)

Ups! Nur Sheila ist zurückgeblieben.

RASHNA Sheila, wo bleibst Du?!?

SHEILA Ich hab' Angst!

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GOPAL

Spring! Spring auf den Zug!!!

SANTOSH Los, in den großen Güterwagon!

SANTOSH, GOPAL, RASHNA, JYIOTTI Sheila spring!!!

SHEILA (springend)

Ups!

GOPAL Gut gemacht, Sheila!

SANTOSH Wir haben es geschafft, Rashna! Rashna fällt Santosh erschöpft in den Arm.

RASHNA Ja, wir haben es geschafft, Santosh.

JYIOTTI Jetzt kann der alte Mister Hari rumballern, soviel er will! Die Kinder lachen, knipsen ihre Taschenlampen aus und lassen sich erschöpft zwischen den Kisten und Kartons nieder. In einem anderen Teil der Bühne geht ein Spot an. Er leuchtet die »Erzählerecke« aus. Connie hockt auf einem Stapel Bücher und schreibt in eine große Kladde das Theaterstück »SHELTER«... CD Track 5: Indische Klänge legen sich leise unter Connies Erzählung...

CONNIE (teilweise schreibend und teilweise ins Publikum erzählend)

Drei Jahre lang waren Rashna, Sheila, Santosh, Gopal und der kleine Jyiotti in Mister Haris dunkler Teppichknüpferei eingesperrt. Sie mussten Teppiche knüpften – vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Zu Essen gab’s ein paar Linsen – ab und zu.

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Als Lohn eine Tracht Prügel – jeden Tag. Wie Rashna und ihren Freunden ergeht es vielen Kindern in Indien. Doch nur wenigen gelingt die Flucht. CD Track 6: Der fahrende Zug löst die Musik ab und legt sich unter Folgendes...

CONNIE (schreibend und erzählend)

Der Zug rollt Richtung Mumbai. Mumbai ist eine riesige Stadt im Süden Indiens. Mumbai ist die Hoffnung aller Kinder, die auf der Flucht sind. In Connies Erzählerecke wird es schlagartig dunkel. Rashna und ihre Freunde knipsen die Taschenlampen an. Ein zusätzlicher Scheinwerfer sorgt für dämmriges Licht, so dass man die Gesichter der fünf Kinder erkennen kann: Sie kauern in einem »Frachtwaggon«, der durch große, übereinander gestapelte Kartons dargestellt wird. Das »Ruckeln des Zuges« können die fünf Darsteller durch das Auf- und Abwippen ihrer Körper andeuten...

SHEILA (ihre Taschenlampe auf Rashna richtend)

Was meinst Du Rashna, werden wir in Mumbai ein glückliches Leben haben?

RASHNA Oh ja, Sheila. In Mumbai ist es wie in einem Traum.

GOPAL Dort spielt den ganzen Tag Musik! Die Menschen tanzen durch die Straßen.

SANTOSH Und die Mädels? Sind die schön?

GOPAL Jede Einzelne so schön wie ein Filmstar. Zum Verlieben!

SANTOSH Wow!

RASHNA (etwas eifersüchtig)

Aber sie werden Euch nicht beachten.

SHEILA Weil Ihr keine richtigen Männer seid...

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RASHNA

... eher mickrige Suppenhühner.

JYIOTTI (ein Huhn imitierend)

Gokogo! Gokogo!

SHEILA Ich habe Hunger!

RASHNA In Mumbai werden wir uns endlich satt essen. Die Kinder beginnen schwärmerisch zu fantasieren...

SANTOSH Curryfleisch –

GOPAL – in Safranreis!

ALLE FÜNF Mmmmmmmh!!!!!

SHEILA Linsenmus –

SANTOSH – und warmes Fladenbrot!

ALLE FÜNF Mmmmmmmmmmmmh!!!!!

JYIOTTI Mangopudding mit Rosinen!

ALLE FÜNF Mmmmmmmmmmmmmmmmmmmh!!!!!

JYIOTTI (schlagartig traurig)

Den besten Mangopudding macht meine Oma ... verzweifelt ... Ich möchte nicht nach Mumbai! Ich möchte lieber nach Hause!

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SANTOSH Das hat doch keinen Sinn! Deine Eltern können ohnehin nicht für dich sorgen.

GOPAL Die verkaufen dich gleich an die nächste Teppichknüpferei.

JYIOTTI (schluchzend)

Ich möchte nach Hause ... zu meiner Oma ... und meinen Schwestern ... ich möchte nach Hause. CD Track 7: Erneut die indischen Klänge, die sich unter folgende Szene legen... Die Kinder haben sich um den kleinen Jyiotti geschart und trösten ihn...

RASHNA Du wirst nach Hause kommen – irgendwann. Irgendwann werden wir alle gemeinsam in unser Dorf zurückkehren.

GOPAL Aber vorher machen wir in Mumbai das große Geld!

SANTOSH Dann fahren wir in einem weißen Jaguar mitten auf den Dorfplatz!

GOPAL

Und hupen so laut, dass alle aus ihren schäbigen Hütten kommen!

SANTOSH »Schaut an, die fünf! Die haben es geschafft!«, werden sie sagen.

SHEILA Und ich bin dann ein Filmstar mit einer dunklen Sonnenbrille und verteile Autogramme!

JYIOTTI (der sich von der Begeisterung hat anstecken lassen)

Dann packe ich aus dem Kofferraum einen riesigen Haufen Geschenke aus! Für meinen Papa eine goldene Uhr, für Mama einen seidenen Sari und für meine Oma einen Schaukelstuhl!

RASHNA Wir könnten an alle Armen Geld verteilen.

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SANTOSH

Ja, wir schmeißen es einfach in die Luft!

JYIOTTI Fange wer kann! Jyiotti schmeißt Fantasiegeld durch die Luft, das Santosh und Gopal »auffangen«. Sheila tanzt durch den unsichtbaren Geldregen.

SHEILA (verträumt)

Sie werden uns alle lieben dafür!!!

RASHNA (nüchtern)

Wir sollten besser aufhören zu träumen und eine Runde schlafen.

SHEILA, GOPAL, SANTOSH (gähnend)

Oh ja ... Du hast Recht, Rashna ... Wie immer ... Unsere kluge Rashna.

JYIOTTI (wieder mit einem Anflug von Trauer)

Wann sind wir denn in Mumbai?

RASHNA Morgen früh, Jyiotti ... sie gähnt ... morgen früh. CD Track 8: Ein kurzes »Traummotiv« erklingt. Die Kinder kauern sich eng aneinander und knipsen ihre Taschenlampen aus. Die Bühne versinkt erneut in Dunkelheit, dafür wird es in der Erzählerecke hell...

CONNIE (schreibend und erzählend)

Während Rashna und ihre Freunde von Ruhm und Reichtum träumen, rollt der Zug unaufhaltsam in Richtung Mumbai. Aus den großen Kartons und Kisten, zwischen denen Rashna und ihre Freunde kauern, ertönen leise Stimmen, die sich rhythmisch unter das Geräusch des fahrenden Zuges legen...

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KINDERSTIMMEN Der Zug: TschTschTschTschTschTschTschTschTschTschTschTschTschTschTschTsch.... 2. Teil: Mumbai ---------- Stadt der Träume --------- Mumbai --------- Stadt der Träume... 3. Teil: Schäume -------------------- Träume sind Schäume ----------------------- Träume sind... CD Track 9: Eine quietschende Zugbremse setzt den Stimmen ein jähes Ende. Connie hat hinter ihrem Bücherstapel ein Megafon hervorgefischt, durch das sie die Bahnhofsdurchsage spricht...

CONNIE Mumbai Hauptbahnhof. Endstation, bitte alle aussteigen! Mumbai Hauptbahnhof! CD Track 10: Straßenlärm in Mumbai (Autos, Rikschas, Hupen, ...) Schlagartig geht auf der Bühne alles Licht an, das zur Verfügung steht. Aus den großen Kisten und Kartons schlüpfen lumpige STRASSENKINDER, die sich sofort über die ganze Bühne verteilen und ihren Tätigkeiten nachgehen: Zeitungs- und Obstverkäuferinnen und -verkäufer, ein Blumenmädchen, Schuhputzer, Bettler, Müllsammlerinnen und -sammler, eine Bande von »bekifften« Jungs, ... Rashna und ihre Freunde reiben sich verschlafen die Augen, um dann ungläubig in diese beängstigende fremde Welt zu blicken. Ein ZEITUNGSJUNGE preist mit heiserer Stimme seine Zeitungen an...

DER ZEITUNGSJUNGE Mumbai Morgenpost! Katastrophen, Kriege, Schreckensnachrichten aller Art! Mumbai Morgenpost! Eine SCHUHPUTZERIN übertönt den Zeitungsjungen mit ihrer Reibeisenstimme...

DIE SCHUHPUTZERIN Wer hat schmutzige Schuhe!!! Für drei Rupien putze ich alles weg: Schmutz, Schlamm, Schmiere, Hundekacke, Kaugummi, Straßenstaub, Pissspritzer – alles! Für eine Rupie Sonderpreis!!! Ein SCHUHPUTZER schmeißt mit einer leeren Wasserflasche (aus Plastik!!!) nach der Schuhputzerin, um die lästige Konkurrentin zu vertreiben.

DER SCHUHPUTZER Verpiss Dich, Alte! Das ist mein Revier!!! Hier kratze ich den Dreck von den Tretern!!!

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DIE SCHUHPUTZERIN

Au!!!! Die Schuhputzerin ergreift getroffen die Flucht... DREI MÜLLSAMMLERINNEN/MÜLLSAMMLER mit großen Jutesäcken haben sich auf die leere Wasserflasche gestürzt und kämpfen nun darum ...

ERSTE MÜLLSAMMLERIN/ERSTER MÜLLSAMMER Das ist meine Flasche, die hab' ich gefunden!

ZWEITE MÜLLSAMMLERIN/ZWEITER MÜLLSAMMLER Nein, ich hab’ sie gefunden! Du hast sie nur aufgehoben!!

DRITTE MÜLLSAMMLERIN/DRITTER MÜLLSAMMLER Und entdeckt hab' die Flasche ich, Ihr Flaschen!!! Eine Bande von BEKIFFTEN JUNGS lungert vollgedröhnt in einer Ecke. Die Jungs schnüffeln Klebstoff, den sie in eine Tüte gesteckt haben, so dass man das Gift besser einatmen kann.

ERSTER KIFFER (lallend zu den Müllsammlerinnen/Müllsammlern)

Ey Leute, bleibt cool! Hat doch eh alles keinen Sinn!

ZWEITER KIFFER (auf seine Schnüffeltüte deutend)

Das Zeug hier, das bringt's! Da braucht man nix zum Futtern mehr! Er streckt seine Nase in die Tüte, saugt das Gift tief in sich auf und sinkt wie ohnmächtig zu Boden. Schockiert haben Rashna und ihre Freunde das Geschehen auf der Straße fassungslos verfolgt.

SANTOSH Das soll...

GOPAL ... Mumbai sein?

RASHNA Es ist schrecklich hier.

SHEILA Kein Filmstar weit und breit!

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JYIOTTI

(jammernd) Ich möchte nach Hause. Eine KLEINE BETTLERIN wendet sich mit ihrer Bettelbüchse an Sheila...

DIE KLEINE BETTLERIN Hast'te mal 'ne Rupie für mich?

SHEILA (sich die Nase zuhaltend)

Verschwinde, Du stinkst!

DIE KLEINE BETTLERIN (zu Gopal)

Ich habe Hunger! Bitte, eine Rupie!

GOPAL (sich die Nase zuhaltend)

Hau endlich ab, wir haben selber nix! Die kleine Bettlerin verdrückt sich und bettelt unter den Zuschauern weiter...

DIE KLEINE BETTLERIN Ham' se mal ’ne Rupie für mich? ... Mann, hab’ ich einen Kohldampf! ... Nur eine Rupie! ...

RASCHNA (auf die kleine Bettlerin deutend)

»Jede einzelne so schön wie ein Filmstar.« Was ist, Santosh – willst Du Deiner Traumfrau keinen Heiratsantrag machen?

SANTOSH

Sehr lustig, Rashna. Wart nur ab, wie Du in einer Woche aussiehst! Das Licht auf der Bühne wird schummrig, die Straßenkinder erstarren in ihren Positionen. Rashna und ihre Freunde sind von der Bühne verschwunden (zum Umkleiden), man hört nur noch Jyiottis verzweifelte Stimme...

JYIOTTI Ich möchte nach Hause! In der Erzählerecke ist das Licht angegangen. Connie bläst Seifenblasen in die Luft und lässt sie zerplatzen. Dann wendet sie sich wieder ihrem Stück zu....

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CONNIE (schreibend und erzählend)

Geplatzt der Traum vom großen Geld. Rashna und ihre Freunde haben die Freiheit gesucht und das Elend gefunden. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Wohin auch? Sie bleiben in Mumbai und kämpfen – wie alle anderen Straßenkinder – den täglichen Kampf ums Überleben. MUSIK: Eine wilde Percussion setzt ein... Auf der Bühne wird es wieder schlagartig hell (wenn möglich mit buntem Licht/Discoscheinwerfern). Die Straßenkinder sind aus ihrer Erstarrung »erwacht« und rappen das Lied »Die ganze Welt schaut zu«. Sie trommeln den Rhythmus auf alten Eimern, Flaschen, Dosen und allem, was so an Müll »auf der Straße« rumliegt...

»Die ganze Welt schaut zu«

DER ZEITUNGSJUNGE Unser Leben ist hart, kein Zuckerschlecken. Man kann überleben oder elend verrecken.

ALLE STRASSENKINDER

Ob Du gewinnst, entscheidest nicht Du! sondern das Schicksal –

und die ganze Welt schaut zu.

DER SCHUHPUTZER Ich kratze den Reichen den Schmutz vom Schuh

da braucht's kein besonderes Wissen zu Der Dreck muss weg – das kann jeder Depp.

DIE KLEINE BETTLERIN Ich würde so gerne was Richtiges lernen –

von Dichtern und Ländern, von Planeten und Sternen!

ALLE STRASSENKINDER Ob Du das schaffst, entscheidest nicht Du!

sondern das Schicksal – und die ganze Welt schaut zu.

ERSTE MÜLLSAMMLERIN/ERSTER MÜLLSAMMLER

Man nennt uns den Abschaum dieser Stadt behandelt uns wie schäbigen Abfall, anstatt...

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ALLE MÜLLSAMMLERINNEN UND -SAMMLER ... wie Menschenkinder!

ZWEITE MÜLLSAMMLERIN/ZWEITER MÜLLSAMMLER

Doch wenn wir nicht den ganzen Müll aufsammeln,

DRITTE MÜLLSAMMLERIN/DRITTER MÜLLSAMMLER würde Mumbai im eigenen Abfall vergammeln!

ALLE STRASSENKINDER

Würde Mumbai im eigenen Müll vergammeln!

Nach dem Lied gehen die Straßenkinder wieder ihren Beschäftigungen auf der Straße nach. Unter ihnen entdecken wir Rashna und Sheila, die mittlerweile auch in Lumpen gehüllt sind und sehr verwahrlost aussehen. Sie sammeln Müll in großen Jutesäcken. Sheila ekelt sich sehr und fasst den Müll nur mit spitzen Fingern an, während sich Rashna mit einem Rap bei der Arbeit aufmuntert... CD Track 11: Großstadtatmosphäre von Mumbai liegt unter Folgendem...

RASHNA (Müll sammelnd)

Kronenkorken, Pappkarton, das Ka-Ka-Kabel von 'nem Telefon,

Kupferdrähte, Plastiktüten, vor den Scherben musst´ dich hüten,

Essensreste und Papier, halbverwest ein totes Tier, Coladosen, Plastikkübel, ...

SHEILA

... Alte Socken, mir wird übel!!! ... Sie lässt den vermoderten Socken fallen ... Iiiiiiiiiih! Nein, das ist nichts für mich, Rashna! Rashna hebt den vermoderten Socken auf und steckt ihn in Sheilas Müllsack.

RASHNA Du musst Deinen Ekel überwinden, Sheila – sonst kommst Du bei der Arbeit nicht voran!

SHEILA Ich hasse diesen Stinkekram! Ich bin nicht nach Mumbai gekommen, um Müll zu sammeln!

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RASHNA Was willst Du denn sonst tun? Betteln? Betteln ist der schlimmste Job hier auf der Straße. Wer bettelt, hat keine Hoffnung mehr.

SHEILA Ich könnte in einer Bar arbeiten ... stolz ... Man hat mir einen Job als Bardame angeboten.

RASHNA (verblüfft)

Dir??? Wer?

SHEILA Ein vornehmer Herr.

RASHNA Bist Du verrückt!?! Soll ich dir sagen, wer dein vornehmer Herr ist? Ein Mädchenhändler! Er sperrt dich in seiner Bar ein, und dann kommen so alte eklige Typen und begrapschen dich!

SHEILA Das glaube ich nicht. Der Herr war so freundlich!

RASHNA Vergiss es, Sheila – der meint es nicht gut mit dir!

SHEILA

Ach was!!! Du bist doch nur eifersüchtig!

RASHNA Ich habe Angst um dich. Sheila schmeißt wütend ihren Müllsack auf die Erde.

SHEILA Und ich habe keine Lust, bei dieser stinkigen Arbeit zu versauern! Schau uns doch an!!! ... Sie bedeckt ihr Gesicht ... Ich schäme mich so!

RASHNA (sie tröstend)

Wir sammeln Müll und verkaufen ihn. Das ist immerhin eine ehrliche Arbeit. Und wir sind freie Menschen. Sheila reißt sich von ihrer Freundin los.

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SHEILA

Ich möchte Filmstar werden! Aber hier in der Gosse kann ich ewig warten, entdeckt zu werden! Dieser Job in der Bar ist meine einzige Chance! Sie lässt den Müllsack liegen und geht. Rashna versucht ihre Freundin zurückzuhalten.

RASHNA Sheila, tu's nicht!!! Du wirst es schrecklich bereuen! Sheila!!!!!

SHEILA Ach stochere' doch im Dreck herum, bis Du alt und grau bist!!! Sie verschwindet. CD Track 12: Ein kurzes indisches Motiv markiert Rashnas Trauer über die

verlorene Freundin... Rashna hockt sich deprimiert auf ihren Müllsack und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Da kommt der kleine Jyiotti mit einem Stapel Zeitungen im Arm rangehumpelt (er hatte sich auf der Flucht ja ein Bein verstaucht). Er fuchtelt aufgeregt mit einer riesigen Tüte herum.

JYIOTTI Rashna, Rashna! Ich habe Chapati und Reis für uns!!! Er hockt sich auf seinen Zeitungsstapel zu Rashna und packt das Essen aus.

JYIOTTI Endlich mal was Richtiges zum Mampfen.

RASHNA (eher entsetzt als begeistert)

Woher hast Du das ganze Essen, Jyiotti? Gestohlen?

JYIOTTI Nein ... stolz ... gekauft! Mehrere Straßenkinder haben sich mit hungrigen Blicken um Rashna und Jyiotti geschart...

DER ZEITUNGSJUNGE Was, so viel??? Das verdienste in einem Monat nicht, was das kostet!

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DIE OBSTVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER Der hat das Zeugs bestimmt geklaut!!!

DIE KLEINE BETTLERIN Ist doch piepegal, ob geklaut oder gekauft – Hauptsache was zwischen die Zähne!

JYIOTTI (wütend)

Ich hab's gekauft! Von meinem eigenen Geld! Und wer jetzt nicht endlich das Maul hält, bekommt nichts davon ab!!! Die Straßenkinder halten sich schnell den Mund zu. Jyiotti teilt das Chapati (= indisches Fladenbrot) und den gekochten Reis aus. Hungrig stopfen sich die Straßenkinder das Essen in den Mund. Nur Rashna zögert noch, das Essen anzurühren.

JYIOTTI (mit vollem Mund)

Rashna, los! Sonst fressen die dir alles weg!

RASHNA Mir ist das unheimlich, Jyiotti. Tagelang hatten wir nichts zu essen, und plötzlich kommst Du mit all diesen Sachen hier an.

JYIOTTI (mit vollem Mund)

Ich habe halt meine Verkaufsstrategie geändert.

DIE STRASSENKINDER (mit vollem Mund)

Verkaufsstratekikeri – was?

JYIOTTI Verkaufsstrategie! – Werbung! Reklame! Wie bringt man an den Mann, was man an den Mann bringen kann.

DIE STRASSENKINDER ???????? Jyiotti springt von seinem Stapel Zeitungen auf.

JYIOTTI Ich wollte keinen Tag länger auf meinen Zeitungen sitzen bleiben, so wie – ... er deutet auf den anderen Zeitungsjunge ... mein Kollege hier! ... mit lahmer Stimme seinen Kollegen nachahmend ... »Mumbai Morgenpost! Katastrophen, Kriege, Schreckensnachrichten aller

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Art! Mumbai Morgenpost!« – So könnt Ihr es vergessen. Das zieht nur runter! Die Leute haben genug Probleme – wer hat da noch Lust auf Horrormeldungen?

DER ZEITUNGSJUNGE Hast Du was Besseres anzubieten, Kleiner? Jyiotti nimmt eine seiner Zeitungen und demonstriert seine Verkaufsstrategie...

JYIOTTI (mit Begeisterung)

Mumbai Morgenpost! Kikerikie!!! Die neuesten Neuigkeiten!! Die schönsten Liebesgeschichten, die lustigsten Tipps und die weisesten Witze!!! Mumbai Morgenpost!

DER ZEITUNGSJUNGE Woher willst Du Klugscheißer denn wissen, dass das alles in der Zeitung drinsteht?

JYIOTTI (verlegen)

Na ja ich – äh –lese sie mir eben jeden Morgen durch. Man muss ja schließlich wissen, was man – äh – seinen Kunden verkauft.

DER ZEITUNGSJUNGE (provozierend)

Dann lies' doch mal vor!

DIE ANDEREN STRASSENKINDER (immer noch mampfend)

Genau! Lies' doch mal vor!!!

JYIOTTI Ich – äh – es ist jetzt nicht die richtige Zeit, ich meine wir haben fast Abend und das ist schließlich die ... er räuspert sich verlegen ... – die Morgenpost.

DER ZEITUNGSJUNGE (provozierend)

Seht nur, wie er sich drückt!

DIE SCHUHPUTZERIN Der kann doch gar nicht lesen!!!

MEHRERE STRASSENKINDER Angeber! ... Großmaul! ... Analphabet!!!

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DAS BLUMENMÄDCHEN Gibs doch zu: Du bist genauso blöd wie wir.

JYIOTTI Ich bin nicht blöd!!! ... zu dem Blumenmädchen ... Und Du bist es auch nicht! Die anderen Straßenkinder lachen Jyiotti aus.

JYIOTTI Und Ihr seid es auch nicht! Ihr seid nicht blöd!!! Die Straßenkinder lachen nur noch mehr. Entschlossen greift Jyiotti nach einer seiner Zeitungen und faltet sie auseinander. Die Kinder verstummen und beobachten gespannt, was Jyiotti jetzt tun wird. Der dreht und wendet die Zeitung in verschiedene Richtungen, bis er sich entscheidet, wie er sie am besten hält. Natürlich verkehrt herum. Doch von den Straßenkindern merkt es noch keiner. Gebannt hören sie zu... Während Jyiotti spricht, wird es dämmrig auf der Bühne, ein Spot bleibt auf ihn gerichtet.

JYIOTTI (»vorlesend«)

Die Tagesnachrichten: Mirzapur: Gestern Abend wurde so ein fieser Teppichverkäufer verhaftet, der zehn Kinder in seiner Werkstatt gefangen hielt. Sie waren fast verhungert und ihr Rücken war krumm vom Teppichknüpfen. Der fiese Teppichverkäufer wurde zur Strafe zu zehn Jahren Haft verurteilt und in seiner eigenen Werkstatt eingesperrt!

EINIGE STRASSENKINDER (jubelnd)

Ja!!! ... Recht geschieht ihm!!! ... Juchuuuu!!!

ANDERE STRASSENKINDER (eher skeptisch)

Echt? ... Ob das stimmt? ... Der Kleine flunkert uns was vor! Jyiotti blättert auf die nächste Seite...

JYIOTTI (»vorlesend«)

Mumbai: Immer mehr Kinder leben auf Mumbais Straßen. Deswegen hat die Regierung beschlossen, die Straßen von diesen Kindern zu säubern...

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ALLE KINDER (entrüstet)

Buuuuuuuuuuuh!!!

JYIOTTI ... und ein großes – ... zu den tobenden Kindern ... jetzt hört doch mal zu!!! Die Kinder beruhigen sich.

JYIOTTI (»vorlesend«)

... und ein großes Haus zu bauen, wo alle Kinder gemeinsam wohnen können.

EINIGE STRASSENKINDER (begeistert klatschend)

Wow!!! Klasse!!! Super!!!

ANDERE STRASSENKINDER (eher ungläubig)

Ehrlich?

JYIOTTI (weiter »vorlesend«)

Denn jedes Kind – ob in Indien, Europa oder Eskimoland – hat das Recht auf ein Zimmer oder ein Iglu oder ein Indianerzelt.

ALLE STRASSENKINDER Bravo!!!!

JYIOTTI (weiter »lesend«)

Und jedes Kind – ob farbig oder weiß oder schmutzig grau – hat das Recht auf was Warmes zu essen. Und auf warme Klamotten ...

DIE OBSTVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER ... ohne Löcher!

JYIOTTI Und auf Schuhe ...

DER SCHUHPUTZER ... mit richtigen Sohlen!

DIE KLEINE BETTLERIN (mit ihrer Bettelbüchse klappernd)

Und auf Spielzeug!

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In das Klappern der Bettelbüchse fallen noch weitere Percussions-Instrumente ein... Die folgenden Texte werden rhythmisch darüber »gerappt«...

DAS BLUMENMÄDCHEN (sehnsüchtig)

Eine Puppe!

ERSTE MÜLLSAMMLERIN/ERSTER MÜLLSAMMLER Ein Fußball!

ZWEITE MÜLLSAMMLERIN/ZWEITER MÜLLSAMMLER Ein Telefon!

RASHNA Ein Freund, der mich anruft!

DRITTE MÜLLSAMMLERIN/DRITTER MÜLLSAMMLER Und ein Xylophon!

DER ZEITUNGSJUNGE Farben zum Malen!

DIE SCHUHPUTZERIN Auf weißem Papier!

RASHNA Ein Bett!

JYIOTTI Und im Bett ein Kuscheltier!

DIE KLEINE BETTLERIN Damit ich nicht stinke, ein heißes Bad.

JYIOTTI Damit ich nicht hinke, ein eigenes Rad!

DIE OBSTVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER Einmal ein einziges Popcorn probieren!

DAS BLUMENMÄDCHEN Und jeden Tag dicke Bücher studieren!

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JYIOTTI (»lesend«)

Schule statt Straße! Das ist unser Recht!

ALLE STRASSENKINDER Unser Recht? ... Bist Du sicher? ... Ganz in echt?

JYIOTTI (auf die Zeitung deutend)

Hier steht's geschrieben: Unser Recht. Schule statt Straße. Ganz in echt.

ALLE STRASSENKINDER Auf unser Recht!!!!

SANTOSH (lallend)

Und die Llllliebe!!! Überrascht halten die Straßenkinder inne. Die Percussion reißt abrupt ab. Santosh ist zusammen mit Gopal im Kreise der bekifften Jungs auf die Bühne gewankt. Sie haben eine Klebstoff-Tüte dabei, an der sie immer abwechselnd schnüffeln...

SANTOSH Was ist Jyiotti – hast Du auch eine Liebesgeschichte auf Lager? ... er tut einen tiefen Zug aus der Tüte.

ERSTER KIFFER (Die Straßenkinder nachäffend)

»Schule statt Straße« ... er tut einen tiefen Zug

ZWEITER KIFFER (Die Straßenkinder nachäffend)

»Bücher statt Betteln.«

DRITTER KIFFER Das ist doch alles Kinderkram! ... er tut einen Zug

GOPAL Unser Jyiotti verscheißert Euch! ... er tut einen tiefen Zug ... Er kann gar nicht lesen!

DIE STRASSENKINDER Kann er doch!

DER ERSTE KIFFER Und warum hält er dann die Zeitung verkehrt herum?

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SANTOSH

Guckt mal! Alle Bilder stehen auf dem Kopf! Santosh geht bedrohlich auf Jyiotti zu. Rashna stellt sich schützend vor ihren kleinen Freund.

RASHNA (scharf)

Lass' gut sein, Santosh!

GOPAL (lallend)

Klebstoff statt Hunger!!!

SANTOSH (eindringlich zu Rashna)

Das ist die einzige Möglichkeit, auf der Straße zu überleben, Kleine: Klebstoff statt Hunger!!! ... er tut einen tiefen Zug Rashna stürzt sich auf Santosh und versucht, ihm die Klebstofftüte zu entwinden.

RASHNA Lass das! Gib her! Dieses Zeug macht dich fertig!!! Es zerstört deine Lunge! Und Dein blöder Holzkopf wird wie von Würmern zerfressen! Santosh stößt Rashna unsanft zurück, so dass sie auf der Erde landet.

SANTOSH Dumme Trine, lass mich zufrieden! Seit ich Klebstoff schnüffle, geht es mir saugut! Zum ersten Mal in meinem Leben!

GOPAL Endlich kein Hunger mehr im Bauch! ... Und schöne Träume ... Vom Flieeeeegen!!! Er beginnt wankend zu tanzen und bricht schließlich zusammen.

RASHNA Gopal! Rashna will zu ihm, doch Santosh hält sie zurück.

SANTOSH Misch' Dich da nicht ein, Baby. Es geht ihm gut. Alles paletti! Kümmere Dich um Deinen eigenen Müllscheiß!

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RASHNA Aber vielleicht braucht er Hilfe!?!

SANTOSH Für uns Straßenkids gibt es keine Hilfe.

RASHNA (in stiller Hoffnung)

Wir sind doch Freunde.

SANTOSH (höhnisch)

Freunde. Pah! Auf der Straße kämpft jeder für sich! Santosh lässt Rashna einfach stehen und verzieht sich mit seinen Kiffer-Freunden.

JYIOTTI Komm Rashna, lass uns schlafen gehen. Es war ein langer Tag. Jyiotti hat Rashna an die Hand genommen und zieht sie in eine Ecke der Bühne, wo sich alle Straßenkinder zum Schlafen einrichten. Einige sind in die leeren Kartons geklettert, andere verwenden ihre Müllsäcke als Schlafsack. Auch Jyiotti und Rashna greifen nach ihren Mülltüten. Jyiotti legt sich hin, doch Rashna bleibt nachdenklich sitzen. Das Licht auf der Bühne wird fast ganz heruntergefahren. CD Track 13: Eine stille »Einschlafmusik« legt sich unter Folgendes...

DIE KLEINE BETTLERIN Danke Jyiotti, dass Du uns etwas vorgelesen hast. Mir hat noch nie jemand was vorgelesen.

DER ZEITUNGSJUNGE Und auch wenn's nur erfunden war – es war einfach schön.

DIE ANDEREN STRASSENKINDER (schläfrig)

Ja, es war schön ... sehr schön sogar ... liest Du uns morgen wieder was vor?

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JYIOTTI Ich lese Euch morgen was vor und übermorgen und überübermorgen und überüberübermorgen und – er merkt, dass Rashna mit ihren Gedanken weit weg ist ... Rashna, an was denkst Du?

RASHNA (traurig)

An Sheila. Und Gopal. Und Santosh. Ein Freund nach dem anderen geht verloren in dieser Stadt.

JYIOTTI (richtet sich noch einmal auf – voller Ernst)

Ich bleibe bei Dir, Rashna. Mein ganzes Leben lang. Die beiden umarmen einander. Die Bühne versinkt in Dunkelheit.

RASHNA Gute Nacht, Jyiotti.

JYIOTTI Schlaf gut, Rashna. In der Erzählerecke geht der Spot an...

CONNIE (erzählend und schreibend)

In dieser Nacht hatten alle Straßenkinder denselben Traum: Sie sahen ein Haus, indem sie gemeinsam essen, lernen, spielen und schlafen würden. Bis jetzt hatte jeder auf der Straße um sein eigenes Überleben gekämpft. Nun hatte Jyiotti ihnen eine gemeinsame Hoffnung geschenkt. Auf der Bühne wird es wieder »Tag«, während die Erzählerecke in Dunkelheit versinkt. Die Kinder regen sich hustend in ihren Kartons und Müllsäcken.

DAS BLUMENMÄDCHEN Hab' ich einen Hunger!

DIE KLEINE BETTLERIN Ich hab' noch etwas Chapati von gestern übrig.

ERSTE MÜLLSAMMLERIN/ERSTER MÜLLSAMMLER Wenn wir alle unsere Reste zusammenlegen, gibt das ein richtiges Frühstück!

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Die Kinder rutschen mit ihren Essensresten zusammen. Auch Rashna ist aufgewacht und versucht, den schlafenden Jyiotti wachzurütteln.

RASHNA Jyiotti? Jyiotti!!! Wach auf! Jyiotti rührt sich nicht.

RASHNA Jyiotti, was ist los mit Dir! ... ängstlich ... Jyiotti??? Die anderen Kinder scharen sich neugierig um Rashna und Jyiotti. Jyiotti liegt immer noch regungslos in seiner Mülltüte.

RASHNA (zu den Kindern)

Er rührt sich nicht mehr!

DIE OBSTVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER Schlägt sein Herz noch? Rashna fühlt nach.

RASHNA Ja, es schlägt - ... panisch ... aber ganz schwach!

DER ZEITUNGSJUNGE Wir müssen ihn aus der Mülltüte rausziehen! Die Kinder ziehen Jyiotti aus seinem »Mülltüten-Schlafsack«. Jyiotti erwacht und krümmt sich vor Bauchschmerzen zusammen.

RASHNA und die ANDEREN STRASSENKINDER Jyiotti! Was ist? Was hast Du!?!

JYIOTTI (mit gebrochener Stimme)

Mein – mein Bauch ... er tut so weh. Rashna tastet Jyiottis Bauch ab. Jyiotti hat große Schmerzen.

DIE SCHUHPUTZERIN Vielleicht war das Essen gestern schlecht?

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DER SCHUHPUTZER Das glaube ich nicht. Dann müssten wir doch auch alle Bauchschmerzen haben! Als Rashna die Gegend rund um Jyiottis Blinddarm abtastet...

JYIOTTI Auuuuuuuuu!

ZWEITE MÜLLSAMMLERIN/ZWEITER MÜLLSAMMLER Armer Jyiotti.

DRITTE MÜLLSAMMLERIN/DRITTER MÜLLSAMMLER Einer von uns Müllsammlern hatte auch mal so komische Bauchschmerzen. Innerhalb von einer Stunde war der tot!.

RASHNA Das muss der Blinddarm sein! Wir brauchen dringend Hilfe! Einen Arzt! Eine Krankenschwester! Einen Erwachsen – egal – irgendwer!

DAS BLUMENMÄDCHEN Aber hier ist keiner.

DIE KLEINE BETTLERIN Vielleicht ist ja woanders einer.

DRITTE MÜLLSAMMLERIN/DRITTER MÜLLSAMMLER Aber wo?

DER ZEITUNGSJUNGE Wir suchen einfach! Wir stellen ganz Mumbai auf den Kopf!!!

DIE STRASSENKINDER Ja! Lasst uns suchen! Die Kinder stieben in alle Richtungen auseinander und rennen von der Bühne. Die Bühne wird dunkel, der Spot ist auf Rashna gerichtet, die Jyiotti im Arm hält. CD Track 14: Ein kurzes Motiv markiert einen Zeitsprung...

RASHNA Jyiotti, halte durch! Gleich kommt Hilfe. Ganz ruhig.

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JYIOTTI (schon ganz schwach)

Es tut so weh. Ich kann nicht mehr. Ich möchte sterben.

RASHNA (verzweifelt)

Nein Jyiotti, bitte! Bleib' hier. Lass mich nicht alleine! Wenn ich dich auch noch verliere, dann - ... sie bricht in Tränen aus ... Bleib' bei mir, Jyiotti! Bitte! Die kleine Bettlerin kommt atemlos wieder auf die Bühne gestürzt.

DIE KLEINE BETTLERIN Ich hab's! Ich hab was gefunden!!! Kommt alle mal her! Ich hab's!!!! Die Kinder kommen aus allen Richtungen wieder...

DIE KLEINE BETTLERIN (immer noch außer Atem)

Da ist ein Haus – nur drei Straßen weiter. Ein Haus – genauso, wie Jyiotti es beschrieben hat! Dort leben Kinder – Kinder wie wir, die leben da gemeinsam zusammen! Und es gibt auch eine Ärztin!!!

DER SCHUHPUTZER Vielleicht war das nur eine Einbildung von Dir!

DIE KLEINE BETTLERIN War es nicht!!!

ERSTE MÜLLSAMMLERIN/ERSTER MÜLLSAMMLER Und warum haben wir das Haus nie bemerkt?

DIE KLEINE BETTLERIN Weil wir immer nur mit unserem eigenen Elend beschäftigt waren!

RASHNA (ungeduldig)

Wir müssen Jyiotti dorthin bringen! Schnell!!!

DIE OBSTVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER Wir tragen ihn! Zusammen schaffen wir das! Die Kinder heben Jyiotti hoch. Sie formieren sich zu einem Art »Kinderzug« und tragen Jyiotti über die Bühne. Auf der Bühne wird es dunkel, in der Erzählerecke geht das Licht an...

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CD Track 15: Die Musik legt sich unter Connies Erzählung...

CONNIE (schreibend und erzählend)

Drei Straßen weiter steht ein Haus. Es sieht genauso aus, wie Jyiotti es sich vorgestellt hatte: Es ist groß, und viele Straßenkinder gehen ein und aus. Manche leben hier. Andere besuchen hier nur den Unterricht, um lesen und schreiben zu lernen. Für wenig Geld bekommt man gutes Essen. Eine Ärztin kümmert sich um die kranken und schwachen Straßenkinder. Über der Türe hängt ein Schild, auf dem steht »SHELTER«. Die Kinder tragen Jyiotti hinein – und betreten ein neues Leben. Denn »SHELTER« heißt »Obdach«. Ein Obdach für die Kinder der Straße. Endlich haben sie gefunden, wonach sie sich sehnten: Ein Zuhause. Auf der Bühne wird es wieder hell, in Connies Erzählerecke dunkel. Man sieht ein großes Schild, auf dem steht: »SHELTER – Obdach für Kinder«. Die Straßenkinder haben sich auf der Bühnenrampe versammelt (sitzend oder stehend – egal). Sie haben alle saubere Klamotten an und Schultaschen dabei. In ihrer Mitte: Rashna und Jyiotti. Nur von Sheila, Santosh und Gopal ist nichts zu sehen. Die Kinder sprechen nun direkt in das Publikum...

JYIOTTI Wenn meine Freunde von der Straße mich nicht hierher ins »SHELTER« gebracht hätten, wäre ich gestorben. Rashna hatte wieder mal Recht – es war mein Blinddarm. Er war bereits durchgebrochen. Doch im »SHELTER« war eine Ärztin – sie hat mich wieder ins Leben zurückgeholt.

DIE OBERVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER Wir wohnen jetzt hier im SHELTER.

ZWEITE MÜLLSAMMLERIN/ZWEITER MÜLLSAMMLER Alle gemeinsam.

DIE SCHUHPUTZERIN Wir gehen zur Schule.

DER SCHUHPUTZER Und wir arbeiten nur noch, um unser Mittagessen zu bezahlen.

DER ZEITUNGSJUNGE Unser Leben ist immer noch hart, aber irgendwie besser.

DRITTE MÜLLSAMMLERIN/DRITTER MÜLLSAMMLER Denn wir haben plötzlich eine Zukunft.

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DAS BLUMENMÄDCHEN Wir haben auch Zeit zum Spielen!

DIE KLEINE BETTLERIN Und Jyiotti liest uns jeden Abend eine Geschichte vor!

RASHNA Nicht alle schaffen es hierher ins »SHELTER«. Vielleicht könnt Ihr Euch ja noch erinnern: Wir waren fünf Freunde, die vom großen Geld geträumt haben. Übrig geblieben sind zwei.

DER ZEITUNGSJUNGE Santosh und Gopal waren bald vom Schnüffeln so schwach, dass sie einfach nicht mehr aufgestanden sind.

JYIOTTI Wir haben versucht, sie von der Straße holen – aber sie haben uns gar nicht mehr erkannt.

RASHNA Von Sheila haben wir nie wieder was gehört. Vielleicht ist sie ja Filmstar geworden ... glaubt es selber kaum ... in einem fernen Land.

JYIOTTI (seufzend)

In einem fernen Land. Übrigens – er holt aus seiner Schultasche eine Kladde hervor, die genauso wie Connies Theaterstück aussieht. Zu seinen Freunden ... Wisst Ihr, wo Deutschland liegt?

DIE OBSTVERKÄUFERIN/DER OBSTVERKÄUFER Muss irgendwo da drüben sein, wo die Sonne untergeht.

DIE KLEINE BETTLERIN (in die vier Himmelsrichtungen deutend)

Nie Ohne Seife Waschen. Da! Im Westen und ganz schön weit weg.

JYIOTTI Jedenfalls gibt es dort Kinder, die für unsere Rechte kämpfen – in richtigen KinderrechtsTeams!!! Ist das nicht irre?

ERSTE MÜLLSAMMLERIN/ERSTER MÜLLSAMMLER Die kennen uns nicht mal!

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JYIOTTI Aber Connie – also die »Connie von terre des hommes« – hat ein Theaterstück über uns geschrieben, damit unser Schicksal überall bekannt wird! ... er klappt die Kladde auf und beginnt daraus vorzulesen ... Das war die Geschichte von Rashna und ihren Freunden... In Connies Ecke geht der Spot an. Connie schreibt den Schluss ihres Stücks...

CONNIE (schreibend)

Viele Kinder und Gewachsene haben heute zugehört. Ich hoffe, sie waren berührt davon. Vielleicht erzählen sie diese Geschichte weiter. Vielleicht gründen sie neue KinderrechtsTeams. Vielleicht lässt auch der eine oder andere eine kleine Spende für SHELTER da. Denn ich habe gehört, die brauchen dringend neue Schulbücher... Licht bei den SHELTER-Kids, die unter aufgespannten Regenschirmen sitzen ...

RASHNA ... und das Dach von »SHELTER« ist auch mal wieder mal leck!

CONNIE (schreibend)

Ziemlich blöd in der Regenzeit. Was?

ALLE KIDS (direkt ins Publikum)

Aber mit Eurer Hilfe schaffen wir das!!! Während auf der Bühne langsam das Licht eingezogen wird...

DIE KLEINE BETTLERIN Nie Ohne Seife Waschen.

JYIOTTI Nie mehr Ohne Schlafplatz Wachen.

RASHNA Norden, Osten, Süden, Westen.

CONNIE Connie wird Euch nie vergessen. Connie beendet schwungvoll ihr letztes Wort und klappt das fertig geschriebene Stück zu. Das Licht auf der Bühne geht ganz aus. CD 16: Applausmusik ENDE