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Schädelhirntrauma Guidelines

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Questions au spécialiste / Fragen an den Spezialisten Vol. 13 No. 1 2002 41

Schädelhirntrauma

Das Schädelhirntrauma (SHT) ist ein imKindesalter häufiges Gesundheitsproblem.Die jährliche Inzidenz wird, je nach Studie,auf 294 bis 500 pro 100 000 Kinder ge-schätzt. 92% verlaufen gutartig, die übri-gen sind jedoch für 15% der Todesfälle beiKindern über einem Jahr und für 25% derTodesfälle bei Kindern über 5 Jahre ver-antwortlich. Über 88% der unfallbedingtenTodesfälle sind auf ein Schädelhirntraumazurückzuführen.

Trotz dieser Zahlen existieren keine ein-deutigen Richtlinien für die Betreuung die-ser Fälle und selbst in den USA wurdenerst im Verlaufe des vergangenen Jahresdurch die AAP Guidelines zur Betreuungund Behandlung von Kindern über 2 Jah-ren vorgeschlagen.

Wie soll man sich diese Situation erklären?(M. Giordano)

Die Abklärung und Behandlung von Patien-

ten mit Schädel-/Hirnverletzungen ist re-

gional sehr unterschiedlich. Abhängig von

Lebensstandard, medizinischer Versor-

gung und geographischen Gegebenheiten.

Zudem bestanden traditionelle Schulen,

wie diese Patienten zu behandeln seien,

und erst in den letzten zehn Jahren wur-

den die Evidenz und Effizienz von verschie-

denen Methoden untersucht. Zum Beispiel

wurde in der Behandlung der schweren

Schädel-/Hirnverletzungen die initiale

Gabe von Kortison als nutzlos erkannt, die

unkontrollierte Senkung des Hirndruckes

mittels Hyperventilation verlassen und

auch die Einschränkung der Flüssigkeits-

zufuhr als schädlich erkannt. Je mehr dank

technischem Fortschritt monitorisierbar

wurde, umso mehr wurden Behandlungs-

strategien in Frage gestellt. Im Rahmen der

Bemühungen um eine hohe Qualität der

medizinischen Versorgung unter Berück-

sichtigug des Aufwandes hat man sich in

den letzten Jahren auch zunehmend dem

zahlenmässig grossen Problem des leich-

ten Schädelhirntraumas (SHT) angenom-

men. 1999 erschienen zwei sehr wichtige

Publikationen1) 2) zu diesem Thema, aus die-

sen Publikationen lassen sich jetzt Guide-

lines auch für uns ableiten. (S. Altermatt)

Wir sind es gewohnt, das SHT in leichtes– mittleres – schweres einzuteilen. Wie klarsind die Grenzen zwischen diesen Katego-rien gezogen? (M. G.)

Unter Zuhilfenahme des Glasgow Coma

Scale (Tabelle 1), der in unserem Falle für

die Anwendung bei Kindern adaptiert ist,

können die Grenzen klar definiert werden.

Wir sprechen von einem schweren SHTbei einem Coma Scale ≤ 8 (kleiner oder

gleich 8); die Mortalität für diese Patien-

ten beträgt in der Schweiz 30–40%. Diese

Kinder werden alle intubiert und auf einer

Intensivstation entsprechend monitorisiert

und behandelt. Von einem leichten SHTsprechen wir, wenn bei der klinischen Un-tersuchung des Kindes der GCS 15 be-

trägt, der Neurostatus inklusive Fundo-

skopie unauffällig ist und keine Zeichen

einer Schädelfraktur (Haematotympanon,

subgaleales Haematom) vorliegen. Anam-

nestisch kann eine Bewusstlosigkeit vor-

liegen, sie darf aber nicht länger als eine

Minute gedauert haben. Alle anderen Pa-

tienten mit einem Coma Scale 9 bis 14,mit neurologischer Auffälligkeit oder Nach-

weis einer Fraktur werden in der Gruppe

mittleres SHT zusammengefasst. Sie alle

müssen zwingend mit einem Schädel-CT

abgeklärt und individuell analysiert wer-

den. (S. A.)

Eltern konsultieren oft den Kinderarzt, weildas Kind erbrochen hat. Können Sie unssagen, welche Bedeutung diesem Symp-tom zugeordnet werden muss? (M. G.)

Bei Kindern, die eine Kontusion des Kop-

fes oder eine Commotio cerebri erleiden,

ist Erbrechen ein sehr häufiges Symptom,

oft auch schon ausgelöst durch Schreck

und Schmerz. In der eingangs erwähnten

Publikation aus Boston konnte Greenes

zeigen, dass einmaliges Erbrechen nicht

signifikant mit einer intrakraniellen Läsion

korreliert. Wiederholtes Erbrechen ist aber

als Risikofaktor zu betrachten. (S. A.)

In gewissen Studien wird der Bewusst-seinsverlust ebenfalls als fragwürdigesSymptom angesehen? Was soll man da-von halten? (M. G.)

Wie beim einmaligen Erbrechen ist bei ei-

ner Bewusstlosigkeit von weniger als ei-

ner Minute Dauer keine signifikante Kor-

relation zu intrakraniellen Verletzungen zu

finden.

Eine positive Korrelation findet sich ande-

rerseits für folgende Zeichen nach dem

Unfall: Lethargie, Irritabilität, abnorme Vi-

talparameter und beim Säugling eine ge-

spannte Fontanelle. (S. A.)

Die Richtlinien für schwere Fälle von SHT,welche eine Hospitalisation und extensi-ve radiologische Abklärung (Radiographien

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und CT) fordern, sind logisch. Was mir alspraktizierender Pädiater jedoch wenigerklar oder gar fragwürdig scheint, sind dieEmpfehlungen für die leichten Fälle undinsbesondere jene Kinder unter 2 Jahren.(M. G.)

Die Empfehlungen der AAP beziehen sich

nur auf Kinder von 2–20 Jahren, Neuge-

borene und Säuglinge sind nicht berück-

sichtigt. Trotzdem kann eine andere Gren-

ze aufgrund der übrigen Untersuchungen

gezogen werden. Nur bei Neugeborenen

sind intrakranielle Läsionen beschrieben

bei völligem Fehlen von klinischen Zeichen,

also unauffälliger Neurostatus und unauf-

fälligem klinischen Status, insbesondere

ohne Nachweis von Haematomen am Kopf.

Mit einer Sicherheitsmarge können wir

somit Empfehlungen für Kinder unter drei

Monaten und für Kinder älter als drei Mo-

nate formulieren. (S. A.)

Gewisse Spitäler schlagen beim Säuglingsystematisch ein CT vor. Diese Haltungstimmt nicht mit den Empfehlungen derAAP überein, wenn man auch nicht allzulang zögern sollte, diese Untersuchung imZweifelsfalle durchzuführen. Wenn wir, wiedies für den von den pädiatrischen Zent-ren entfernt praktizierenden Pädiater zu-trifft, jedes Kind, das von seiner Höhe odervom Bett der Eltern fällt, einweisen woll-ten, würden unsere Radiologieabteilungenüberlaufen; ohne von den übermässigenKosten dieser Abklärungen zu sprechen.

Soll man wirklich ein 8–10 Monate altesKind, welchem es nach 1–2 Stunden gutgeht, das nie bewusstlos war und keinsichtbares Zeichen aufweist, ins Spital ein-

weisen, um dort eine Sedierung mit allenRisiken (Hypoxie – Apnoe – Aspiration – län-ger dauernde Bewusstseinstrübung) einzu-leiten, um ein CT durchführen zu können?

Falls wir die von den Spitälern vorgeschlage-nen Richtlinien und Protokolle nicht haar-genau befolgen, setzen wir uns schwer-

wiegenden medizinisch-juristischen Risi-ken aus. Könnten Sie, zuhanden der prak-tizierenden Kinderärzte, Richtlinien formu-lieren, welche der spezifischen Situationin der Praxis angepasst sind? (M. G.)

Die Empfehlungen zielen darauf ab, Kinder

mit intrakranellen Läsionen zu erfassen,

Augen öffnenScore > 1 Jahr < 1 Jahr

4 Spontan Spontan

3 Auf Anruf Auf Schreien

2 Auf Schmerz Auf Schmerz

1 Keine Keine

Beste motorische AntwortScore > 1 Jahr < 1 Jahr

6 Befolgt Aufforderungen Spontane Bewegungen

5 Gezielte Abwehr Gezielte Abwehr

4 Zurückziehen Zurückziehen

auf Schmerzen auf Schmerzen

3 Flexion auf Schmerzen Flexion auf Schmerzen

2 Extension Extension

auf Schmerzen auf Schmerzen

1 Keine Keine

Beste verbale AntwortScore > 5 Jahre 2–5 Jahre 0–23 Monate

5 Orientiert Verständliche Worte Plappernde Worte

4 Verwirrt Unverständliche Worte Schreien,aber tröstbar

3 Unzusammen- Persistierendes, Persistierendes,hängende Worte untröstbares untröstbares

Schreien Schreien2 Unverständlich Stöhnen oder Stöhnen oder

unverständliche unverständlicheLaute Laute

1 Keine Keine Keine

Tabelle 1: Glasgow Coma Scale für Kinder

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das heisst, der Nachweis einer Schädel-

fraktur ist nur indirekt wichtig, da bei Schä-

delfraktur das Risiko einer intrakraniellen

Verletzung höher ist als ohne Fraktur.

Praktisches Vorgehen< 3 Monate:Alle Kinder unter drei Monaten mit einem

Schädelhirntrauma sind in einem Spital für

mindestens 24 Std. zu beobachten. Zeigt sich

eines der folgenden Symptome: Irritabilität,

abnorme Vitalzeichen, fokale Symptome,

gespannte Fontanelle, Retinablutung, Liquor-

rhoe, Haematotympanon, GCS < 15 und/

oder besteht ein subgaleales Haematom ist

immer auch ein CT durchzuführen. Konven-

tionelle Röntgenbilder sind ohne Relevanz.

Praktisches Vorgehen> 3 Monate:Kinder mit leichtem SHT, also GCS 15,

keine neurologische Auffälligkeit, keine

klinischen Zeichen einer Fraktur, anamnes-

tisch nur einmaligem Erbrechen und Be-

wusstlosigkeit von maximal einer Minute

Dauer müssen für mindestens 24 Std.

überwacht werden. Diese Überwachung

kann bei entsprechender Instruktion der

Eltern und der Möglichkeit, bei Problemen

(Tabelle 2) rasch eine Klinik zu erreichen,

zu Hause durchgeführt werden. Falls die

Bewusstlosigkeit länger als eine Minute

gedauert hat und/oder wiederholtes Erbre-

chen auftrat, ist die Überwachung in ei-

nem Spital durchzuführen (vorerst ohne

weitere bildgebende Abklärung).

Patienten, die zwar die Kriterien eines leich-

ten SHT erfüllen, jedoch eine subgaleales

Haematom als klinisches Zeichen einer

Schädelfraktur aufweisen, sollen radiolo-

gisch abgeklär t werden, bei fehlendem

Nachweis einer Fraktur Überwachung wie

oben erwähnt, bei Nachweis einer Fraktur

soll zusätzlich eine CT Untersuchung durch-

geführt werden.

Alle Patienten, die klinisch auffällig sind,

benötigen eine Abklärung mittels CT. Fin-

den sich im CT keine Anhaltspunkte für

eine intrakranielle Läsion, können die Pa-

tienten nach 24 Std. aus der Beobachtung

entlassen werden. Zu beachten ist, dass

alle diese Regeln nicht gelten für Patien-

ten mit vorbestehender neurologischer

Affektion, mit Koagulopathie, Drogen-, Al-

kohol- oder Medikamentenkonsum. (S. A.)

Zum Abschluss eine vielleicht etwas pole-mische Bemerkung aus dem Bereich der evi-dence based medicine: Die Empfehlungenzielen darauf ab, ein CT durchzuführen, umeine eventuelle intrakranielle Läsion zu er-fassen: Gibt es Studien, welche zeigen, dassbei einem Kinde ohne neurologische Sym-ptome die Kenntnis einer solchen Läsion dieBehandlung und insbesondere die Progno-se beeinflusst? Sollten nicht zuerst solcheStudien durchgeführt werden, bevor man sostrikte Guidelines formuliert? (M. G.)

Bei Patienten, die klinisch unauffällig sind,

bedeutet der Nachweis einer intrakraniel-

len Läsion, dass sie für mindesten drei

Tage in einem Spital überwacht werden und

dass ihr weiterer Verlauf ambulant beob-

achtet werden muss. Bezüglich der Progno-

se gibt es keine klaren Aussagen aufgrund

von Studien. Bisher ist es jedoch so, dass

unter den Patienten mit leichtem SHT sel-

ten Spätfolgen beobachtet werden; es ist

durchaus möglich, dass diese Patienten

mit nicht diagnostizierten Läsionen sind.

Das muss aber noch in weiteren Studien

gezeigt werden. Wichtig für unseren Alltag

ist aber, dass Kinder mit einem epidura-

len Haematom nach initialem luziden In-

tervall sehr rasch einen lebensbedrohen-

den Zustand erreichen können, diese Kin-

der müssen wir engmaschig überwachen,

wollen wir sie nicht verlieren. (S. A.)

Literatur

– Greenes D. S.: Clinical Indicators of Intracranial Injuryin Head-injured Infants. Pediatrics, Vol. 104, No. 4,Oct 1999, p. 861–7.

– American Academy of Pediatrics: The Managementof Minor Closed Head Injury in Children. Pediatrics,Vol. 104, No. 6, Dec 1999, p. 1407–15.

Tabelle 2: Kritische Zeichen bei einer Überwachung zu Hause

• Ungewöhnliches Verhalten• Desorientiertheit (kennt Namen oder Orte nicht mehr)• Schwer weckbar, schläfrig• Kopfschmerzen persistierend oder zunehmend• Epileptische Anfälle• Gleichgewichtsstörung• Schwindel• Mehr als zweimaliges Erbrechen

Fragen: M. Giordano, Le LocleAntworten: S. Altermatt, Zürich