Silbersulfidbromid Ag3SBr und Silbersulfidjodid Ag3Sj. I. Darstellung, Eigenschaften und...

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158 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965 Silbersulfidbromid Aq,SBr und Silbersulfidjodid Ag,SJ. I Darstellung, Eigenschaften und Phasenverhaltnisse von Ag,SBr und Ag3SJ Von BERTOLD REUTER und KURT HARDEL Mit 7 Abbildungen Professor P. W. Schenk xum 60. Geburtstage am 12. November 1965 gewidmet Inhalt siibersicht In den quasibinaren Systemen AgBr-Ag,S bzw. AgJ-Ag,S wurden die Verbindungen Ag,SBr und Ag,SJ gefunden und isoliert. Ihre chemischen Eigenschaften werden beschrie- ben. Ag3SBr und die unterhalb 235 "C bestandige Ticftemperaturmodifikation p-Ag,SJ liristallisieren isotyp in einem kubisch-primitiven Gitter, nahrend die Hochtemperatur- modifikation ol-Ag3SJ ein kubisch-roumzentriertes Gitter bildet. Die Umwandlung ,?I + DI ist enantiotrop. Ag,SBr und p-Ag,SJ nehmeii kein iiberschiissiges Silberhalogenid und maxi- mal 20 Mol-Yo Silbersulfid auf. Bg3SBr und ,B-Ag,SJ geben eine liickenlose Mischkristallreihe. Summary In the quasi-binary systems AgBr -Ag,S and AgJ-Ag,S the compounds Ag,SBr and Ag,SJ were prepared. Ag,SBr and the low-temperature (< 235 "C) modification p-Ag,SJ are isotypic and crystallize in a simple cubic lattice; the high-temperature modification or-Ag,SJ is b. c. c. The transition p + DI is enantiotrope. There is no miscibility between Sg,SBr and p-Ag,SJ with the corresponding silver halides, both phases. however, form solid solutions with up to 20 mole-% of silver sulphide. Ag,SBr and ,!l-A4g,SJ show a continuous series of solid solutions. 1. Einleitung Neben den zahlreichen bekannten Komplexverbindungen de s Silbers, in denen ein komplexes Anion mit Silber als Koordinationszentru m vorliegt , gibt es nach LIESER l--4) eine Gruppe von Silberverbindungen, die in waBriger I) K. H. LIESER, J. inorg. nuclear Chem. 26, 1571 (1964). ,) K. H. LIESER, Z. anorg. allg. Chem. 292, 114 (1957). 3) K. H. LIESER, Z. anorg. allg. Chem. 305,133 (1960). 4, K. H. LIEYER, Z. anorg. allg. Chem. 305, 255 (1960).

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158 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

Silbersulfidbromid Aq,SBr und Silbersulfidjodid Ag,SJ. I

Darstellung, Eigenschaften und Phasenverhaltnisse von Ag,SBr und Ag3SJ

Von BERTOLD REUTER und KURT HARDEL

Mit 7 Abbildungen

Professor P . W . Schenk xum 60. Geburtstage am 12. November 1965 gewidmet

Inhalt siibersicht In den quasibinaren Systemen AgBr-Ag,S bzw. AgJ-Ag,S wurden die Verbindungen

Ag,SBr und Ag,SJ gefunden und isoliert. Ihre chemischen Eigenschaften werden beschrie- ben. Ag3SBr und die unterhalb 235 "C bestandige Ticftemperaturmodifikation p-Ag,SJ liristallisieren isotyp in einem kubisch-primitiven Gitter, nahrend die Hochtemperatur- modifikation ol-Ag3SJ ein kubisch-roumzentriertes Gitter bildet. Die Umwandlung ,?I + DI

ist enantiotrop. Ag,SBr und p-Ag,SJ nehmeii kein iiberschiissiges Silberhalogenid und maxi- mal 20 Mol-Yo Silbersulfid auf. Bg3SBr und ,B-Ag,SJ geben eine liickenlose Mischkristallreihe.

Summary In the quasi-binary systems AgBr -Ag,S and AgJ-Ag,S the compounds Ag,SBr and

Ag,SJ were prepared. Ag,SBr and the low-temperature (< 235 "C) modification p-Ag,SJ are isotypic and crystallize in a simple cubic lattice; the high-temperature modification or-Ag,SJ is b. c. c . The transition p + DI is enantiotrope. There is no miscibility between Sg,SBr and p-Ag,SJ with the corresponding silver halides, both phases. however, form solid solutions with up to 20 mole-% of silver sulphide. Ag,SBr and ,!l-A4g,SJ show a continuous series of solid solutions.

1. Einleitung Neben den zahlreichen bekannten Komplexverbindungen de s Silbers, in

denen ein komplexes Anion mit Silber als Koordinationszentru m vorliegt , gibt es nach LIESER l--4) eine Gruppe von Silberverbindungen, die in waBriger

I) K. H. LIESER, J. inorg. nuclear Chem. 26, 1571 (1964). ,) K. H. LIESER, Z. anorg. allg. Chem. 292, 114 (1957). 3) K. H. LIESER, Z. anorg. allg. Chem. 305,133 (1960). 4, K. H. LIEYER, Z. anorg. allg. Chem. 305, 255 (1960).

REUTER u. HARDEL, Eigenschaften und Phssenverhaltnisae von Ag,SBr und Ag,SJ 159

Losung ein komplexes Kation mit einein Anion als Zentralatom und Silber als Ligand bilden. Im festen Zustand allerdings kennt man bisher kein Bei- spiel fur Inselkomplexe dieses Typs. Bekannt sind vielmehr Verbindungen, die im Kristallgitter ein- oder mehrdimensional unendliche, positiv geladene Baugruppen enthalten, innerhalb derer die Wechselwirkung zwischen den Anionen und Kationen groBer ist als zwischen diesen Baugruppen einerseits und den iibrigen Bestandteilen im Gitter andererseits. Da innerhalb der komplexen Baugruppen die Anionen die hohere Koordinationszahl haben und deshalb als Zentralatome angesprochen werden diirfen, konnen diese Silberverbindungen im festen Zustand ebenfalls als Komplexverbindungen mit einem Anion als Zentralatom und Silber als Ligand einer komplexen Bau- gruppe gedeutet werden. BERGERROFF 5 , nannte diese Verbindungen ,,Me- tallo-Komplexe" .

Silberhalogenide bilden Komplexverbindungen sowohl mit Silber als auch mit einem Anion als Zentralatom. Bei den Halogenoargentat(1)-Ionen [ AgXm+,lm- ist das Silber Koordinationszentrum des komplexen Anions ; in den Argentohalogenonium-Ionen [Ag,+,X]"+ fungiert das Halogen als Koordinationszentrum und das Silber bildet die Liganden des komplexen Kations.

Beim Losen von AgCl, AgBr oder AgJ in wLBrigen Silbernitrat- oder Silberfluorid- losungen entstehen - wie LIESER,)') zeigen konnte - z. B. Verbindungen, die, wenigstens in Losung, als Komplexe der Zusaminensetxung [Ag,X]NO,, [Ag,X](NO,), und [Ag,X]F (X = C1, Br oder J) anzusprechen sind. Die Stabilitat dieser Argentohalogenoniumnitrate und -fluoride ist um so grooer, je starker polarisierbar das als Koordiriationszentriim fun- gierende Halogen ist. Deshalb uberrascht es nicht, dal3 solche Komplexverbindungen auch mit Chalkogcnen als Koordinationszentrum existieren. BERGERHOFF gelang es an Hand von Einkristallen, die Kristallstruktur des kubisch kristallisierrnden Ag,SNO,, das nur im festen Zustand bekannt ist, zu klaren. Dabei ergab sich ein dreidimensional unendliches, aus Ag,S-Gruppen aufgebautes Kation [Ag,S]+ mit eingelagerten Kitrationen, so da13 eine Formulierung als Metallo-Komplex [A4g,S]N0, gerechtfertigt erscheint.

Angesichts dieser Beispiele fur Komplexverbindungen des Silbers mit Halogenen oder Chalkogenen als Koordinationszentrum und Silber als Li- gand stellt sich die Frage, ob die von SINHA und BISWAS~) auf Grund von Leitfahigkeitsmessungen an Ag,S -AgBr-Gemischen in Wasser vermutete, aber nicht in Substanz dargestellte Verbindung mit der Zusammensetzung Ag,SBr ebenfalls dieser Klasse von Silberkomplexen zuzuschreiben ist. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Darstellung von Ag,SBr und der entsprechenden Verbindung Ag,SJ durch Festkorperreaktion in Mjschungen

.') G. BERGERHOFF, Angew. Cliem. 76, 697 (1964) 6 , K. H. LIESER, Z. anorg. allg. Chem. 304, 296 (1960). ') G. BERGERHOFF, Z. anorg. allg. Chem. 299, 328 (1959).

K. P. SINHA u. A. B. BISWAS, J. chem. Physics 93, 404 (1955).

160 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

aus AgBr bzw. AgJ und Ag,S bei erhohter Temperatur und deren chemische Eigenschaften, woriiber bereits kurz berichtet worden ist 9)10). Eine Ent- scheidung, ob es sich bei diesen aus waBriger Losung nicht darstellbaren Verbindungen um Koordinationsverbindungen oder um Metallo-Komplexe mit Schwefel bzw. Halogen als Koordinationszentrum und Silber als Ligand der komplexen Baugruppe [Ag,S]+ bzw. [Ag,Br]'+ oder [Ag,J],f handelt, bringt allerdings erst die Strukturanalyse, iiber die in einer zweiten Mittei- lungll) berichtet wird.

2. Darstellung und Eigenschafien Ag,SBr kann durch Festkorperreaktion in aquimolaren Mischungen aus

Ag,S und AgBr in einer evakuierten Glasampulle dargestellt werden. Dabei wird die Reaktionstemperatur so gewahlt, daB die Reaktionsgeschwindig- keit moglichst groB, die thermische Zersetzung von Ag,S aber ausgeschlossen ist. Beide Bedingungen sind bei einer Temperatur von etwa 280°C erfiillt.

Da die Reaktionszeit etwa vier Wochen betragt, empfiehlt es sich, die Umsetzung mehr- mals zu unterbrechen, die Produkte in einer Kugelmuhle zu mahlen und dann die Reaktion fortzusetzen. Der Reaktionsablauf wird riintgenographisch - zweckmal3ig mit GUINIER- Aufnahmen - verfolgt. Die Reaktion wird als beendet angesehen, wenn auf dem Rontgen- diagramm die Interferenzen von Ag,S und AgBr verschwunden sind und die des neu gebil- dcten Ag,SBr, das in einem kubisch-primitiven Gitter kristallisiert, keine weitere Verande - rung mehr erfahren.

Beim Ag,S J wurden eine mit Ag,SBr isotype Tieftemperaturmodifika- tion P-Ag,SJ und eine oberhalb 235 "C bestandige kubisch-raumzentrierte Hochtemperaturmodifikation a-Ag,SJ beobachtet.

p-Ag,SJ wird durch Reaktion im festen Zustand aus einem aquimolaren Ag,S -AgJ-Gemisch nach dem gleichen Verfahren wie Ag,SBr hergestellt. Als Reaktionstemperatur wird 210-215 "C gewahlt. Allerdings 15iuft bei dieser Temperatur die Bildungsreaktion von P-Ag,SJ langsamer ab als die zur Bildung von Ag,SBr fiihrende Reaktion bei 280°C.

Das oberhalb 235 "C stabile a-Ag,SJ kann auf zweierlei Weise dargestellt werden :

1. Aquimolare Gemische aus Ag,S und AgJ geberi - nach dem gleichen Verfahren wie beim Ag,SBr - im Vakuum bei 280 O C nach einigen hundert Stunden Lu-Ag,SJ.

2. /l-Ag,SJ wird unter Vakuum einige Zeit uber den Umwandlungspunkt, also auf 280 "C oder auch auf hohere Temperatur, erhitzt. Der Endpunkt der Umwandlung wird rontgeno- graphisch ermittelt.

9, B. REUTER u. K. HARDEL, Angew. Chem. 72,138 (1960). 10) B. REUTER u. K. HARDEL, Naturwissenschaften 48, 161 (1961). 11) B. REUTER u. K. HARDEL, Z. anorg. allg. Chem. 340, 168 (1965).

REUTER u. HARDEL, Eigenschaften und Phasenverhaltnisse von Ag,SBr uiid Ag,SJ 161

- beim Erhitzen im Vakuum

des Schmelzpunktes von AgBr

Von Ag,S-, AgBr- und

Kurven mit einer Aufheiz- geschwindigkeit von 2,5 "C/min und mit a-Al,O, als Vergleichs-

oberhalb 430°C) also in Nahe

bei 434"C, in AgBr und Ag,S.

Ag,SBr-Proben wurden DTA-

1 A t 1 A q S

I AgBr . Ag3SBr -.

t Pcl-

Temperaturen erhitzt wor- den waren, ergaben nach dem langsamen Abkiihlen im Ofen oder nach dem Ab- schrecken auf Zimmertem- peratur (Quarzampullen in Eiswasser) GuINIER-Auf - nahmen, die neben den Interferenzen von Ag,SBr stets die von AgBr und schwach auch die Re- flexe von @-Ag,S erkennen lieBen. 11 Z. anorg. allg. Chemie. Bd. 310.

Abb. 2. DTA-Kurven von Ag,S, AgJ, /?- und a-Ag,SJ

REUTER u. HARDEL, Eigenschaften und Phasenverhaltnisse von Ag,SBr uiid Ag,SJ 161

Da a-Ag,SJ bei Zimmertemperatur metastabil ist, werden die Proben, um einen Zerfall zu vermeiden, in jedem Fall auf Zimmertemperatur abge- schreckt.

W'eder bei der Darstellung von @-Ag3SJ bei 210--215°C noch bei der Herstellung von oL-Ag,SJ bzw. dg3SBr bei 280 "C konnten wahrend der Festkorperreaktion an der Wand des ReaktionsgefiiSes Zersetzungsprodukte wio elementarer Schwefel oder AgJ beobachtet werden. Auch auf den GummR-Aufnahmen des Reaktionsgutes waren keine Fremdinter- ferenzen zu erkennen.

Das schwarze Ag,SBr ist beim Erhitzen im Vakuum bis 430°C stabil. Es zerfallt hingegen - wie differentialthermoanalytische und rontgenogra- phische Untersuchungen zeigen

nommen (Abb. 1). Die DTA- Kurve von Ag,SBr weist keinen Peak auf, der dem Umwandlungspunkt von AgzS (/l-Ag,S + a-Ag,S) bei 173 "C entspricht. Sie besitzt aber einen endothermen Peak bei 430 f 10 "C und ist der DTA-Kurve des AgBr, die bei 434°C den Schmelzpunkt von AgBr zeigt, ahnlich.

162 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

Das schwarze /3-Ag3$J ist beim Erhitzen im Vakuum bis zum Umwand- lungspunkt bei 235 "C stabil. Bei hoheren Temperaturen wandelt es sich in das ebenfalls schwarze a-Ag,SJ um.

Von B-, a-Ag,SJ-, AgJ- und Ag,S-Praparaten wurden unter den oben genannten Bedingungen DTA-Kurven aufgenommen (Abb. 2). Die DTA- Kurve von /3-Ag3SJ zeigt keinen Peak, der den Umwandlungspunkten von AgJ bei 146 "C oder von Ag,S bei 173 "C bzw. dem Schmelzpunkt von AgJ bei 552 "C zuzuordnen ware. Sie zeigt nur den Umwandlungspunkt /3-Ag3SJ + a-Ag,SJ bei 235°C.

a-Ag,SJ ist im Vakuum noch bei 550°C, der Schmelztemperatur des Xg J , best andig.

Die DTA-Kurven von /3- und a-Ag,SJ (Abb. 2) zeigen bei 550 "C keinen Zersetzungs- oder Schmelzpunkt. Auch die Rontgenaufnahmen von n-Ag,SJ-Praparaten, die im Vakuum bei 400,500 und 600 "C jeweils 24 Stun- den erhitzt und dann auf Zimmertemperatur abgeschreckt worden waren, ergaben keine zusatzlichen Reflexe. Tempert man jedoch a-Ag,SJ-Proben unter Vakuum in einem Temperaturgefalle, so findet man bei hoheren Tem- perungstemperaturen eine erhebliche Zersetzung von a-Ag,SJ infolge Subli- ination von AgJ.

Beim Abschrecken auf Zimmertemperatur wird a-Ag,S J metastabil. Die DTA-Kurve von abgeschrecktem a-Ag,SJ (Abb. 2) verlauft praktisch linear und zeigt beim Erhitzen keine chemische oder strukturelle Veranderung.

Wie GumIER-Aufnahmen zeigen, werden Ag,SBr und P-Ag,SJ durch Licht bei Zimmertemperatur ganz allmahlich zu Ag,S und AgBr bzw. AgJ zersetzt ; in Wasser zerfallen sie bereits im Dunkeln langsam in Silbersulfid und Silberhalogenid. Bei Driicken von 10 000 atm und Ziminertemperatur beobachtet man rontgenographisch ebenfalls eine merkliche Zersetzung von Ag,SBr und B-Ag,SJ ; beide Verbindungen sind deshalb gegeniiber Mahlen in einer Kugelmiihle nicht stabil, sondern werden in die Komponenten zerlegt.

Komplexbildende Agenzien wie Thiosulfat, Thiocyanat und Cyanid losen in Wasser aus Ag,SBr und /3-Ag3S J das Silberhalogenid verhaltnis- niaBig rasch heraus ; konzentriertes Ammoniak lost aus Ag,SBr teilweise AgBr heraus. Die Umsetzung wurde durch Auswagen sowie durch chemische und rontgenographische Analyse des Riickstandes iiberpriift.

Reduktionsmittel wie Zink und Salzsaure oder waBrige Hydrochinonlosung reduzieren Ag,SBr und F-Ag,HJ zu metallischem Silber. 1)urch starke Oxydationsmittel wie konzen- irierte Salpetersaure oder elementares Brom werden bcide Verbindungen nur langsam unter Abscheidung von Silberhalogenid zersetzt. Die Reaktion murde rontgenographisch bzw. durch Suswagen des Ruckstandes untersucht.

REUTER u. HARDEL, Eigenschaften und Phasmverhaltnisse von Ag,SBr und Ag3SJ 163

3. Umwandlung P-Ag,SJ + a-Ag,SJ Die Umwandlungstemperatur von Ag,SJ wurde rontgenographisch,

durch Differentialthermoanalyse und durch Bestimmung der Temperatur- abhangigkeit der spezifischen elektrischen Leitfahigkeit ermittelt. Die DTA-Kurve von &Ag,SJ (Abb. 2) gibt bei 235°C einen endothermen ProzeS an. Die spezifische elektrische Leitfahigkeit (Abb. 3) zeigt zwischen 235 und 245°C einen sprunghaften Anstieg urn eine Zehnerpotenz. Die Umwandlungstemperatur liegt dem- - I

nach bei 235 & 10°C. Die rontgeno- graphischen Untersuchungen zeigen dariiber hinaus, daS die Umwand- lungsgeschwindigkeit am Umwand- -: lungspunkt klein ist, aber mit stei-

(PC

gender Temperatur zunimmt . Abb. 3. Temperaturabhangigkeit der spezi- zur Bestimmung der molaren Urnwand- fischen elektrisehen Leitfihigkeit von Ag3SJ

lungsenthalpie mit Hilfe der Differential- thermoanalyse wurde AgJ als Eichsubstanz eingesetxt, da Ag3SJ mit uberschiissigem AgJ nicht reagiert. AuDerdem liegt der Umwandlungspunkt des AgJ bei 146 "C von dem Um- wandlungspunkt des Ag,SJ bei 235 "C nicht allzu weit entfernt, so daB eine Veranderung der bei diesem Verfahren sowohl fur AgJ als auch fur Ag3SJ gleichen Versuchsbedingungen wahrend des Aufheizens nicht berucksichtigt zu werden braucht. Naeh MAJUNDAR und ROY 12) und nach LIESER") ist der beim AgJ xu beobachtende Umwandlungspunkt nur auf die Umwandlung B-AgJ + a-AgJ, deren Umwandlungsenthalpie genau bekannt ist, zu- ruckzufuhren, wahrend es keine Hinweise auf eine definierte Umwandlungstemperatur y-AgJ + B-AgJ gibt.

Von aquimolaren, bei 200 "C einige hundert Stunden vorgetemperten Mischungen aus p-Ag,SJ und AgJ wurden unter den oben mitgeteilten Bedingungen DTA-Kurven aufgenommen. Die in Abb. 4 mitgeteilte DTA- Kurve zeigt zwei endotherme Prozesse an, die den Umwand- lungspunkten von AgJ und Ag,SJ entsprechen. Ein quanti- tativer Vergleich der Flachen- FFF=H 400 t Pd-- 500

inhalte der beiden endothermen 100 200 300 Effekte zeigt7daS diemolareUm- wandlung sent halpie d H (Ag,S J)

Abb. 4. DTA-Kurve einer ayuimolaren Mischung aus AgJ und Ag,SJ

12) A. J. MAJUNDAR u. R. ROY, J. physic. Chem. 63, 1858 (1959). 13) K. H. LIESER, Fortschr. Mineralog. 36, 96 (1958).

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164 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

f i i r die Umwandlung ,5-Ag3SJ + a-Ag,SJ in derselben GroBenordnung wie die molare Umwandlungsenthalpie dH(AgJ) fur die Umwandlung ,5-AgJ + a-AgJ liegt. Da dH(AgJ) von MAJUNDAR und Roy1,) aus Dampf- druckmessungen zu 1,208 f 0,140 kcal/Mol bestimmt wurde, wird man also auch fur Ag,SJ eine molare Umwandlungsenthalpie von etwa 1 kcal/Mol vermuten durfen.

Priizisere Angaben iiber den Absolutwert von AH(4g,SJ) aus differentialthermoanaly- tischen Untersuchungen erscheinen angesichts der Streuung der MeBwerte und angesichts der zahlreichen moglichen Pchlerquellen - vor allem der am Urnwandlungspunkt geringen Umwandlungsgeschwindigkeit von ,!?-Ag,SJ in x-Ag,SJ - nicht gerechtfertigt.

Die Umwandlung P-Ag,SJ + a-Ag,SJ ist enantiotrop. Beide Modifika- tionen lassen sich durch Tempern oberhalb bzw. unterhalb des Umwand- lungspunktes wechselweise ineinander uberfuhren, wie GuINIER-Aufnahmen zeigen. Allerdings ergeben a-Ag,SJ-Praparate beim lengsamen Abkuhlen unter den Umwandlungspunkt nicht reines ,5-Ag3SJ, sondern ein Gemisch aus ,5-Ag3SJ und AgJ sowie Ag,S in kleinen Anteilen. Man erhalt hingegen reines B-Ag,SJ, wenn man a-Ag,SJ unterhalb des Umwandlungspunktes austempert.

4. Phasengrenzen von Ag,SBr im quasibinken System AgBr -Ag,S und von P-Ag,SJ im quasibinken System AgJ -Ag,S

Durch Festkorperreaktion in Mischungen aus AgBr bzw. AgJ und Ag,S wurden im Vakuum bei 280 bzw. 210 "C Produkte mit verschiedenen Ag,S- Gehalten der allgemeinen Zusammensetzung Ag,+,S,Brl-, und Ag,+,S,J,-, hergestellt, wobei der Ag,S-Gehalt kontinuierlich variiert wurde.

I n den beiden Systemen wurden jeweils Mischungen mit 10, 20, 30, 35, 40, 45, 50, 52, 55, GO, 67, 70, 80 und 90 Mol-% Ag,S eingesetzt. Die Reaktionszeit betrug bis zu zwei Monate. Die Reaktionsprodukte wurden auf Zimmerteniperatur abgeschreckt. Der Reaktionsablauf wurde wie iiblich rnit GuINrER-Aufnahmen kontrolliert.

Die Aufnahmen von Produkten mit 50, 52, 55 und 60 Mol-% Ag,S zeig- ten nur die Reflexe des Ag,SBr bzw. des p-Ag,SJ. Die Reflexe von ,5-, a-Ag,S und AgBr bzw. ,5- und y-AgJ waren nicht zu erkennen. Produkte mit 45 und weniger Mol-% Ag,S zeigten neben den Interferenzen von Ag,SBr bzw. ,5-Ag3SJ die von uberschussigem Silberhalogenid ; Produkte mit 67 und mehr Mol-% Ag,S enthielten neben Ag,SBr bzw. @-Ag,SJ uberschussiges Ag,S. Die Aufnahmen von Produkten mit 10 M01-7~ Ag,S zeigten neben den Interferenzen von AgBr bzw. von /3- und y-AgJ schwach die von Ag,SBr bzw. sehr schwach die von ,5-Ag3SJ, Produkte mit 90 und mehr M01-y~ Ag,X praktisch nur die von @-Ag,S.

Tab. 1 gibt fur die SystemeAg,+,S,Br,-, und Ag,+,S,J,-, die Abhangig- keit der Gitterkonstante des Ag,SBr bzw. @-Ag,SJ von der Zusammenset-

REUTER u. HARDEL, Eigenschaften und Phasenverhaltnisse von Ag,SBr und Ag,SJ 165

bzw. B-AgJ eine nennenswerte Loslichkeit 030 1 47806

0,52 j 4,804 0,55 1 4,803 im festen Zustand fur Ag,S, noch umge-

kehrt Ag,S fur AgBr und P-AgJ besitzen. 0,60 4,803 Dies stimmt mit den Beobachtungen von 0,67 1 4,803

4,903 4,906 4,908 4,907 4,908

5. Mischkristalle zwischen Ag,SBr und p-Ag,SJ Da Ag,SBr und P-Ag,SJ, wie bereits erwahnt, isotyp sind und sich, wie

in der folgenden Mitteilung gezeigt wird, auch in ihren Gitterkonstanten mit a = 4,806 und 4,903 A nur geringfugig unterscheiden, war die Existenz einer luckenlosen Mischkristallreihe zwischen Ag,SBr und P-Ag,SJ der all- gemeinen Zusammensetzung P-Ag,SBr,J,-, zu erwarten. Die Mischkiistalle wurden durch Festkorperreaktion im Vakuum sowohl BUS Mischungen von Ag,SBr und P-Ag,SJ als auch aus Mischungen von AgBr, AgJ und Ag2S hergestellt .

Es Nurden jeweils Mischungen rnit 0, 20, 40, 60, 80 und 100 Mol-% Bg,SBr eingesetzt. Da sich B-Ag,SJ bei 235 "C in die Hochtemperaturmodifikation oc-Ag,SJ umwandelt, muBte die Reaktionstemperatur so gewahlt werden, daB sie moglichst groB war, eine Umwandlung in die Hochtemperaturphase oder eine Zersetzung za Silberhalogenid und Ag,S aber aus- geschlossen werden konnten. Beide Bedingungen waren bei einer Temperatur von 220 "C erfiillt, doch liel3en sich bei dieser Temperatur nur die Mischkristalle mit kleineren Ag,SBr- Gehalten herstellen, wahrend die Mischkristalle mit hoheren Ag,SBr-Gehalten noch nicht rein erhalten werden konnten. Da sich zeigte, daB die Mischkristalle von B-Ag,SJ mit gro-

14) J. TELTOW, Z. physik. Chem. 195, 213 (1950).

zung x zwischen x = 0,40 und x = 0,67 an. Man erkennt beim System Ag,+,S,Br,-, eine geringe Abnahme der Gitterkonstante mit wachsendem x zwischen x = 0,50 und x = 0,55, beim System Ag,+,S,J,-, eine geringe Zu- nahme der Gitterkonstante mit wachsen- dem x im gleichen Zusammensetzungs- bereich. Bei beiden Systemen sind die Gitterkonstanten fur x 5 0,50 und fur x 2 0,55 praktisch konstant. Daraus folgt, da13 Ag,SBr und B-Ag,SJ bei 280 bzw. 210 "C praktisch kein uberschussiges Silberhalogenid und maximal etwa 20 Mol-% Silbersulfid aufnehmen. Die Versuche zeigen weiter, da13 weder AgBr bzw. B-AgJ eine nennenswerte Loslichkeit im festen Zustand fur Ag,S, noch umge- kehrt Ag,S fur AgBr und B-AgJ besitzen. Dies stimmt mit den Beobachtungen von T E L T O W I ~ ) uberein, der aus rontgeno- graphischen Messungen, aus den Isothermen der elektrischen Leitfkihigkeit und aus der Rotabsorption bei der eutektischen Temperatur von 392 "C einen maximalen Einbau von 1,l Mol-% Ag,S in AgBr, bei Zimmertempera- tur aber eine unmeobare kleine Phasenbreite von AgBr fand.

166 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

- 4 . 9 2 . ~ - ~-

0 100 200 3w 400

Abb. 6. DTA-Kurven von @-Ag,SJ, Ag,SBr und Praparaten der Mischkristallreihe

@-Ag,SBrxJ,-*

Abb. 7. Stabilitatsbereich der Mischkristallreihe @-A4g,SBrxJ,-,

Beren Ag,SBr-Gehalten noch bei 280 "C stabil sind, wurde die Reek- tianstemperatur im System @- Ag,SBr,J1-, zwischen 220 und 280 "C mit wachsendem x koriti- nuierlich gesteigert. Bei diesen Tem- peraturen betrugen die Reaktions- zeiten bis zu zwei Monate. Der End- punkt der Rcaktion wurde mit Hilfe von GuIiaEn-Aufnahmen er- mittelt.

Abb. 5 zeigt fur das System /3-Ag,SBr,JI-, die Abhangigkeit der Gitterkon- stanten von der Zusammen- setzung x. Es ergibt sich er- wartungsgema13 eine liicken- lose Mischkristallreihe zwi- schen p-Ag,SJ und Ag,SBr. Man erhalt eine positive Ab- weichung von der in Abb. 5 gestrichelt gezeichneten VE- GARDschen Geraden.

Der Stabilitatsbereich der Mischkristallreihe p - Ag,SBr, Jl-x wurde nicht nur rontgenographisch, sondern auch mit Hilfe der Differen- tialthermoanalyse bestimmt. Abb. 6 zeigt die DTA-Kur- ven von /3-Ag3SJ, von Misch- kristallen mit x = 0,20, 0,40, 0,60 und 0,80 sowie von Ag,SBr. P-Ag,SJ wandelt sich bei 235°C in m-Ag3SJ um; Ag,SBr zerfallt oberhalb 430 "C in AgBr und Ag,S. Die DTA-Kurven der Mischkri- stalle /3-Ag3SBr,J,-, zeigen fur zunehmendes x bei 255, 275, 325 und 375"C, also bei Temperaturen, die zwischen

REUTER u. HARDEL, Eigenschaften und Phasenverhilltnisse von Ag,SBr und Ag,SJ 167

der Umwandlungstemperatur des Ag,SJ und der Zersetzungstemperatur des Ag,SBr liegen, endotherme Prozesse. Tragt man die Temperaturen, bei denen die Effekte beobachtet wurden, gegen x auf (Abb. 7), so erhalt man die Stabilitatsgrenze des Mischkristallsystems ~-Ag,SBr,J,-,.

Die Untersuchungen wurden durch ERP-Forschungsmittel sehr gefordert. Unser Dank gilt ferner dem Fonds der Chemischen Industrie und der Gesellschaft von Freunden der Technischen Universitlt Berlin, die die Arbeit durch Forschungsbeihilfen sehr wesentlich unterstutzt haben.

Ber l in-Char lo t tenburg , Anorganisch-Chemisches Institut der Tech- nischen Universitat Berlin.

Bei der Redaktion eingegangen am 31. Mai 1965.