Sizilien Etna Rosso

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Am Etna wird ein Rotwein zu neuem Leben erweckt. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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etna rosso vom vulkan

Ein feuriger Typ

der ätna verzaubert − nicht nur das auge, auch die geschmacksnerven. mit dem etna rosso nämlich. seine trauben stammen von den flanken des quicklebendigen vulkans. feurig wie lava rollt er über die zunge und macht dabei mit seiner coolen eleganz großen rotweinen konkurrenz.

Der Ätna – umgeben von so gemütlichen wie reizvollen Seebädern, von berühmten und zum Weltkulturerbe gekürten Bauwerken, von traumhaften Sandstränden sowie üppig grünender und blühender Natur ist die Attraktion im Osten Siziliens. Ein Ausflug zu den bis zu 3.350 Metern hoch liegenden Kratern ist meist möglich und zählt definitiv zu den stärksten Eindrücken einer Sizilien-Reise. Weniger aufregend, aber nicht minder schön ist die Umrundung des Ätna mit der Schmalspurbahn Circumtenea. Mit ihr zockelt man drei Stunden durch den grünen Gürtel des Vulkans, passiert zauberhafte Orte und bekommt eine Vorstellung von den Ausmaßen des Ätna. Und die sind mit einer Fläche von rund 1.200 Quadratkilometern riesig. Wenn es nicht gerade Hochsommer ist, lockt La montagna, der Berg, wie ihn die Sizilianer schlicht nennen, zudem noch mit einem Vergnügen der ganz besonderen Art. Skifahren nämlich. Mit 20 Kilometern Piste und vier Schleppliften kann der Ätna sicherlich nicht mit den klassischen Wintersportge-bieten konkurrieren. Dafür wedelt man mit Meerblick und kann sich statt Après-Ski in die azurblauen Fluten zu seinen Füßen stürzen oder am Strand sonnenbaden.

Auch wenn der Ätna mit seinen schneebedeckten Gipfeln und einem ständigen Rauchfähnchen einen eher harmlosen, ja sogar idyllischen Eindruck macht: Seit Jahrtausenden ist der Berg ein Zeichen ungebrochener Naturgewalt. Er ist der größte aktive Vulkan Europas, und in seinem Inneren brodelt es gewaltig. Aus gutem Grund steht er ständig unter Beobachtung, wird belauscht und vermessen und jede seiner noch so kleinsten Bewegungen von modernsten Frühwarnsystemen registriert: Ein großer Vulkanausbruch kann jederzeit passieren. Immer wieder hat sich Siziliens feuriger Riese in den letzten Jahrzehnten

spektakulär entladen. Und dann zeigt der Ätna sein un-bändiges Temperament. Die Erde bebt, der Berg wummert und dröhnt. Mit ohrenbetäubendem Krachen wird feurige Lava hunderte Meter hoch in den Himmel geschleudert, es regnet Gesteinsbrocken, und dann wälzt sich die Lava oft wochenlang an irgendeiner der vielen Flanken des Ätna hi-nunter und zerstört alles auf ihrem Weg ins Meer. Zurück bleiben Mondlandschaften aus verbrannter Erde, Ströme aus erstarrter Lava und schwarzgraue Aschefelder.

Die Menschen im Osten Siziliens haben gelernt, mit ihrem temperamentvollen Mitbewohner zu leben. Schließ-lich bringt er nicht nur Zerstörung, sondern auch Segen. Seinem vulkanischen Gestein verdankt die Region die fruchtbaren Böden, die mit Gemüsefeldern, Olivenhainen und Zitrusplantagen bedeckt sind. Und auch mit Wein-reben. Bis zu 100 Jahre alte knorrige Rebstöcke, deren Holz bereits die Farbe der schwarz-braunen Lavaböden ange-nommen hat, ebenso wie vereinzelte junge Pflänzchen, die mit ihrem zarten Grün auf rötlichem Lavasand sprießen. Das weist schon daraufhin, dass der Weinbau am Ätna in der Vergangenheit wurzelt und in der Gegenwart sehr junge Früchte trägt.

Die Wurzeln in die Vergangenheit reichen weit zurück. Genaugenommen bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. Da näm-lich begannen griechische Einwanderer mit der Kultivie-rung der vorhandenen Wildreben am Ätna und führten auch die noch heute gebräuchliche Art der Rebenerzie-hung ein, den als Alberello bezeichneten Anbau in Form von kleinen Bäumchen. Schon Homer erzählt in seiner berühmten Odyssee, dass der Zyklop Poliphem nur mit einem spitzigen Olivenbaumstamm von Odysseus geblen-det werden konnte, nachdem man ihn mit dem örtlichen Wein betrunken gemacht hatte. Und der soll damals dick wie Tinte gewesen sein. In der Antike waren Syrakus und Taormina, die großen Städte am Ätna, bereits blühende Weinhandels-Zentren. Die landwirtschaftlichen Prioritäten verschoben sich dann zwar im Laufe der nächsten Jahr-hunderte zu Ungunsten des Weinanbaus am Ätna, aber im 19. Jahrhundert blühte er dank des florierenden Handels mit Franzosen, Österreichern und Engländern neu auf. Damals gab es am Ätna bei Catania Rebflächen, die zu den

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größten der Insel gehörten. Die europaweite Reblausplage Anfang des 20. Jahrhunderts brachte den Weinbau auch am Vulkan zum Erliegen, so dass er sich völlig neu entwi-ckeln musste.

Die gegenwärtige Renaissance des Weinanbaus am Ätna steckt freilich noch in den Kinderschuhen. Gängige euro-päische und sizilianische Reben tun sich im Mikroklima des Vulkans schwer. Der Nero d’Avola beispielweise würde am Ätna gar nicht ausreifen. Denn obwohl es tief unten in der Erde brodelt, ist es an den Hängen durch ein extremes Temperaturgefälle zwischen Tag und Nacht und auch durch die Höhenlage ausgesprochen kühl. Gelesen werden kann in der Regel erst im Oktober. Ergo setzt man für Rotweine auf die Rebsorten Nerello Mascalese und Nerello Cappuccio, die hier traditionell beheimatet sind, auch nur hier wachsen und sich den harten Bedingungen angepasst haben. Aus ihnen erzeugt man Etna Rosso, einen Wein, der wegen seines feurigen Charakters künftig noch viel Furore machen dürfte.

Weinbau der Extreme

Außerhalb von Sizilien ist der Etna Rosso noch wenig bekannt. Das liegt daran, dass nur einige Betriebe auf

Die Farbe von Lava-Asche spiegelt sich im Fasskeller der Kellerei von Alberto Graci bei Randazzo wieder.

hochwertigen Flaschenwein setzen und somit nur kleine Mengen auf den Markt kommen. „Die meisten Familien sind zufrieden, ihren vino di casa für den Eigenbedarf zu erzeugen“, erklärt Salvo Foti, der Weinmacher der Region und einer der größten Spezialisten für die einheimischen Rebsorten der Insel. Der nachdenkliche, aber – wenn es um Sizilien geht – auch sehr leidenschaftliche Önologe ist einer der Pioniere des Weinanbaus am Ätna. Und den kann man mit Fug und Recht als Extremweinbau bezeichnen. Die Weinparzellen klettern nämlich bis auf eine Höhe von 900 Metern, sind besonders im Südosten teils enorm steil und in der Regel von aufwendig aufgeschichteten Trocken-baumauern aus Lavagestein umgeben. Nur in der Gegend von Randazzo und Passopisciaro ermöglicht eine Hochebe-ne den Anbau, doch sind es meist sehr kleine Parzellen in der kargen Lavaerde. Hier wie dort schützen die Trocken-baumauern das kostbare Erdreich, damit es nicht durch Regen ausgewaschen und / oder durch Wind abgetragen wird. Solche extremen Lagen und auch die Alberello-Erziehung erfordern viel Handarbeit und verursachen somit hohe Kosten bei der Bewirtschaftung. So wundert es nicht, dass noch viele hochinteressante Steillagen brachliegen oder vor sich hin verwildern, weil sich schon lange keiner mehr um sie kümmert.

Glücklicherweise gibt es Menschen wie den Pharma-unternehmer Giuseppe Benanti, der 1988 den Betrieb seiner Familie in Viagrande bei Catania an der wenig touristischen und wunderschönen Nordseite des Ätna über-nommen hat und kompromisslos auf Qualität ausrichtete. Dazu hatte sich Benanti, dessen Familie schon Ende des 18. Jahrhunderts an den Hängen des Vulkans Weine pro-duzierte, ausgiebigst mit den Anforderungen des Weinbaus um den Ätna auseinandergesetzt, geeignete Lagen erforscht und moderne Vinifizierungstechniken erprobt. Damals galt er als Fantast. Heute ist Benanti unbestritten der Leader in der Region, dessen Leidenschaften inzwischen auch von seinen Söhnen Salvino und Antonio geteilt werden. Die Weingärten der Azienda Agricola Benanti befinden sich an den nördlichen, östlichen und südlichen Hängen des Vulkans.

Wer seine Weine verkostet, muss ein zweites Mal hinschmecken, denn sie passen so überhaupt nicht in das Geschmacksbild, das man von südlichen Weinen erwartet. Ihre rubinrote Farbe hat eine edle Transparenz. Sie haben bei viel Frucht auch immer ein gerüttelt Maß an Finesse und Eleganz, überraschen mit filigranen Gerbstoffen und ausgefallenen Aromen. Dabei wirken sie eher nördlich kühl und sind dennoch feurig, schmecken, als vereinen sich der Schnee und das Feuer des Ätna im Mund. „Feuersteinmi-neralität“ ist der deutsche Begriff, der den Geschmacksein-

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druck vielleicht am besten beschreibt. „Das liegt an den Rebsorten“, sagt Salvo Foti, der Weinberater der Benantis. Wobei Nerello Mascalese und Nerello Cappuccio meist gemeinsam als sogenannter Mischsatz im alten Weinberg stehen. Mascalese gibt den Weinen unter anderem dank vieler Tannine ihre Langlebigkeit und Noten von Tabak und Leder, während Cappuccio für Frucht und Farbe sorgt. Vor allem aber ist es der rötliche Lavasand, auf dem die Reben wachsen, der den Weinen seinen unvergleich baren Stempel aufdrückt.

„Wir wollen mit unserer Arbeit die Düfte der Vergan-genheit einfangen und bewahren“, erklärt Giuseppe Benan-ti, was – zugegebenermaßen – auf Italienisch eleganter klingt. Und das gelingt ihm bereits mit seinem Basiswein Rosso Di Verzella Etna Rosso, dessen Traubengut aus 40 Jah-re alten Weingärten stammt. Ganz besonders kommt dies aber bei den Spitzenweinen zum Ausdruck: Dem Rovitella und dem Serra della Contessa, deren Trauben in 80 Jahre bzw. 100 Jahre alten Weingärten wachsen.

„Vor einigen Jahren habe ich Weinberge in der Nähe von Trecastagni gepachtet und sie vor der Aufgabe geret-tet“, erzählt Ciro Biondi, der im Hauptberuf Architekt ist. Seine Begeisterung für den Extremweinbau lebt der Inhaber des Weinguts Vini Biondi aus, indem er an der Ostseite besonders alte und besonders steile Rebgärten vor dem

Verfall bewahrt. Wer das Vergnügen hat, mit ihm durch seine Weinberge zu streifen, muss ihn ausbremsen, damit er nicht jede seiner alten Buschreben einzeln zeigt. Seine ur-alten Rebgärten haben Neigungswinkel bis zu 50 Grad und wirken, als wären sie an den Vulkan geklebt. Die Reben wurzeln in schwarzer Erde, und werden durch Pfähle aus Kastanienholz stabilisiert und geschützt von alten Trocken-mauern, die malerisch von Wildwuchs überwuchert sind.

Viel Arbeit für viel Genuss

Was für Besucher ungeheuer romantisch anmutet, bedeutet vor allem viel Plackerei. Immer wieder muss man auf den Hang hinauf, um Pfähle und Material hochzuschaffen, die Reben zu beschneiden und zu entlauben, um faule Trau-ben auszulesen. Etwas Erleichterung bringen nur kleine Seilbahnen, mit denen man bei der Lese die Körbe voller Trauben zu den Sammelstellen hinunterlässt. Muss man da nicht von grenzenlosem Idealismus beseelt sein? Oder eher Bergsteiger-Qualitäten haben?

„Die Lese hier oben ist harte Arbeit“, sagt Ciro. „Die einzige Möglichkeit, dafür Leute zu bekommen, ist eine fantastische Verpflegung.“ Also wird bei der Lese im Oktober täglich am Rand der Weingärten ein Buffet mit

Im Frühjahr sind die Ätna-Rebgärten noch kahl, doch bald sprießt üppiges Grün.

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diversen Köstlichkeiten aufgebaut. „Dass die Leute dazu den Outis trinken können, versteht sich von selbst.“ Für diesen fantastischen Etna Rosso würde man gerne mitlesen, was man aber angesichts der oft noch sehr hohen Tempe-raturen im Oktober oder des Schnees, der dann manchmal schon fällt, besser lässt.

Auch auf die Gefahr hin, dass es hoch gegriffen ist und nur Weinkenner mit der Aussage etwas anfangen können: Der Outis der Kellerei Vini Biondi hat die Struktur eines Barolos und die Eleganz eines Burgunders. Der Name Outis Nessuno – Niemand – geht übrigens zurück auf den Namen, den Odysseus dem Zyklopen Polyphem gab, als er am Fuß des Ätna stand. Als Önologe steht Biondi übrigens der allgegenwärtige Salvo Foti zur Seite.

Alles andere als nur rot ist auch der Etna Rosso der Poplegende Mick Hucknall, dem Frontmann von Simply Red. Ganz im Gegenteil. Der Wein mit dem Namen

Auf der schwarzen Lava-Erde des Ätna wächst der Nerello Mascalese in Bäumchenform.

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Als Sizilianer mit langer Tradition bevorzugt der Etna Ros-so die Begleitung von traditionellen Gerichten der Insel. Ist er ein eher fruchtiger Typ, könnte das ein Schwertfisch mit Kapern und Oliven sein. Ist er eher gerbstoffreich, tut er sich gerne mit Lamm zusammen wie einer im Ofen geschmorten Lammkeule. Bei einer Serviertempertur von 16 bis 18° C kommt sein feuriger Charakter am besten zum Ausdruck. In der Gastronomie wird man den Etna Rosso eher selten finden, aber einige engagierte sizilia-nische Wirte bieten ihn an. Da nur wenige Etna Rossos aufgrund der geringen Mengen überhaupt den Weg ins Ausland finden, kann man sie nur im Internet und bei sehr gut sortierten und auf Italien spezialisierten Wein-händlern kaufen. Preis: ca. 20 bis 50 €.

genusstipp

Mausempfehlungen für exzellenten Etna Rosso

Antichi Vinai www.antichivinai.itBenanti www.vinicolabenanti.itGiramolo Russo www.girolamorusso.itGraci www.graci.euI Vigneri www.salvofoti.itPassopisciaro www.passopisciaro.comPietradolce www.pietradolce.itScamacca del Murgo www.murgo.itTenuta di Fessina www.federicocurtaz.itVini Biondi www.vinibiondi.it

Il Cantante – der Sänger – und einer Farbe, die deut-lich tiefer ist als der Rotschopf des Sängers, ist ein toller Tropfen. Sozusagen ein Hit in flüssiger Form. Schon beim Hinschnuppern fällt einem die erste Zeile von Hucknalls Song If You Don’t Know Me By Now ein. Und man denkt unwillkürlich: Dich sollte man aber schleunigst besser kennen lernen, du bist ja wohl ganz und gar nicht simply red, sondern ein ganz Großer. Anspruchsvoll, komplex, voller Reife und dennoch grazil. Und das Feuer fehlt dir auch nicht.

Man wundere sich jetzt nicht, dass der für seinen Bier- und Whiskykonsum bekannte Schotte einen eigenen Wein hat – genau genommen drei, denn es gibt noch einen Bianco aus den einheimischen weißen Rebsorten Carrican-te, Grecanico und Minnella sowie einen klassischen Nero d’Avola. Auch Mick konnte sich bei einer Sizilienreise dem Bann des Vulkans nicht entziehen und legte sich 2001 bei Sant’ Alfio am Osthang des Vulkans eine ehemalige Kellerei zu. Ein schmuckes kleines Gut mit Blick auf das Meer, um-geben von Rebbäumchen auf Steilterrassen. Der palmento, ein alter Kelterraum von 1760, wurde in einen Tasting-raum mit kleinem Weinmuseum umgewandelt. Mitten im Raum steht ein wuchtiger, eichener Pressbaum, umgeben von Fässern und alten Utensilien. Auch das Weingut heißt Il Cantante. Weinberg und Keller werden von – wer könnte es auch anders sein – Salvo Foti betreut; und der kann für Micks Nero Rosso, der ausschließlich aus Nerello Mascalese gekeltert wurde, auf Traubengut von hundertjäh-rigen Rebstöcken zurückgreifen.

Auch einige andere Winzer lassen den Weinbau am Ätna wieder auferstehen. Sie engagieren sich ebenfalls im Ex-tremweinbau, indem sie die hier vor Jahren aufgegebenen Rebflächen wieder neu bepflanzen oder rekultivieren, teils, indem sie das komplexe Ökosystem früherer Zeiten wieder herstellen und sich so wenig wie möglich in das Wachstum der Trauben einmischen. Keine „Ökospinner“ oder Welt-verbesserer, sondern Winzer, die, gebannt von der Magie des Vulkans, gar nicht umhin können, aus heimischen Reb-sorten erstklassige Weine zu machen. Weine, die von ihrer Herkunft erzählen, vom Tanz auf dem Vulkan, von der Geschichte uralter Lavaböden, von sonnenverwöhnten Ta-gen und kalten Nächten, von der Leidenschaft der Winzer und all der anderen Menschen, die sich für sie abgerackert haben. Authentische Weine, die es nur hier gibt, die Sizi-lien als Weinregion zum Leuchten bringen. Quasi feurige Kampfansagen an die gesichtslosen Massenweine. ari

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