Skript zur Vorlesung Analysis 3Skript zur Vorlesung Analysis 3 Wintersemester 2013/2014 Prof. Dr....

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Skript zur Vorlesung Analysis 3 Wintersemester 2013/2014 Prof. Dr. Benjamin Schlein Inhaltsverzeichnis 1 Masstheorie 2 1.1 σ-Algebren .................................. 6 1.2 Masse ..................................... 15 1.3 ¨ Ausseres Mass ................................. 20 1.4 Konstruktion des Lebesgue’sche Mass auf R n ............... 24 2 Integrationstheorie 37 2.1 Messbare Funktionen ............................. 38 2.2 Das Integral .................................. 45 2.3 Konvergenzs¨ atze ............................... 54 2.4 Vergleich mit dem Riemann’schen Integral ................. 58 2.5 Produktmasse und das Theorem von Fubini ................ 62 2.6 Transformationsatz .............................. 74 3 L p -R¨ aume und ihre Eigenschaften 80 3.1 Konvergenzbegriffe f¨ ur Folgen messbarer Funktionen ........... 80 3.2 Die Vektorr¨ aume L p , A) und L p , A) ............... 84 3.3 Dualr¨ aume .................................. 89 3.4 Approximation mit glatten Funktionen ................... 91 3.5 Fourier Transformation ............................ 97 4 Fl¨ achenintegrale und Integrals¨ atze 103 4.1 Integration auf Mannigfaltigkeiten ..................... 103 4.2 Satz von Gauss ................................ 107 4.3 Satz von Stokes ................................ 115 1

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Skript zur Vorlesung Analysis 3

Wintersemester 2013/2014

Prof. Dr. Benjamin Schlein

Inhaltsverzeichnis

1 Masstheorie 21.1 σ-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2 Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.3 Ausseres Mass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.4 Konstruktion des Lebesgue’sche Mass auf Rn . . . . . . . . . . . . . . . 24

2 Integrationstheorie 372.1 Messbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.2 Das Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452.3 Konvergenzsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542.4 Vergleich mit dem Riemann’schen Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . 582.5 Produktmasse und das Theorem von Fubini . . . . . . . . . . . . . . . . 622.6 Transformationsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

3 Lp-Raume und ihre Eigenschaften 803.1 Konvergenzbegriffe fur Folgen messbarer Funktionen . . . . . . . . . . . 803.2 Die Vektorraume Lp(Ω,A, µ) und Lp(Ω,A, µ) . . . . . . . . . . . . . . . 843.3 Dualraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893.4 Approximation mit glatten Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913.5 Fourier Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

4 Flachenintegrale und Integralsatze 1034.1 Integration auf Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034.2 Satz von Gauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1074.3 Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

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1 Masstheorie

In der Vorlesung Analysis 1 haben wir den Begriff von Riemann’sche Integral eingefuhrt.

Sei f : [a; b]→ R eine beschrankte Funktion, definiert auf dem kompakten IntervallI = [a; b]. Eine Teilung T von I ist eine endliche Teilmenge T = a = x0 < x1 < · · · <xn = b. Weiter, eine zu T entsprechende Familie von Representanten ist ein n-Tupelξ = ξ1, . . . , ξn mit ξj ∈ [xj−1;xj ] fur alle j = 1, . . . , n. Fur gegebene Teilung T undFamilie von Representanten ξ haben wir dann die Riemann’sche Summe

S(T, ξ) =

n∑j=1

f(ξj)(xj − xj−1)

definiert. Wir haben die obere Riemann’sche Summe zur Teilung T als

S(T ) = supξS(T, ξ) =

n∑j=1

supf(x) : x ∈ [xj−1, xj ](xj − xj−1)

und die untere Riemann’sche Summe zu T als

S(T ) = infξS(T, ξ) =

n∑j=1

inff(x) : x ∈ [xj−1, xj ](xj − xj−1)

definiert. Mit Hilfe von obere und untere Riemann’sche Summe haben wir dann denBegriff von Integrierbarkeit definiert. Wir sagen namlich, dass f ist auf [a; b] Riemannintegrierbar, wenn

supTS(T ) = inf

TS(T )

In diesem Fall definieren wir das Riemann’sche Integral von f auf [a; b] durch∫ b

af(x)dx = sup

TS(T ) = inf

TS(T )

Wir haben in Analysis 1 gezeigt, dass eine beschrankte Funktion f : [a; b] → R mitnur endlich viele Unstetigkeitstellen integrierbar ist. Eine notwendige und hinreichendeBedingung fur Integrierbarkeit kann mit Hilfe des Begriffs von Nullmenge bewiesenwerden (wir haben aber diese Bedingung in Analysis 1nicht gezeigt). Eine Menge N ⊂ Rheisst eine Nullmenge, falls fur alle ε > 0 eine endliche oder abzahlbare Familie Ji vonoffenen Intervallen existiert, mit

N ⊂⋃i

Ji und∑i

|Ji| ≤ ε

wobei |J | die Lange des Intervalls J bezeichnet. Es gilt: eine beschrankte Funktion f :[a; b]→ R ist genau dann Riemann integrierbar, wenn die Menge aller Unstetigkeitstelleneine Nullmenge ist. Insbesondere ist jede Funktion mit abzahlbar viele UnstitigkeitstellenRiemann integrierbar.

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Es bleiben trotzdem ziemlich viele Funktionen die nicht Riemann integrierbar sind.Ein einfaches Beispiel ist die Funktion f : [0; 1]→ R, definiert durch

f(x) =

1 falls x ∈ Q ∩ [0; 1]0 sonst

Fur eine beliebige Teilung T = 0 = x0 < x1 < · · · < xn = 1, es gilt

supξ∈[xj−1,xj ]

f(ξ) = 1 und infξ∈[xj−1,xj ]

f(ξ) = 0

weil jedes nicht leeres Intervall [xj−1, xj ] sicher ein Punkt ξ1 ∈ Q und ein Punkt ξ2 ∈ R\Qenthalt. Deswegen gilt

S(T ) = 1, und S(T ) = 0

fur jede Teilung T . Es folgt: die Funktion f ist nicht auf [0; 1] integrierbar (die Funktionf ist nirgends stetig; die nicht Integrierbarkeit von f folgt auch aus der Bedingung, diewir oben erwahnt haben).

Die Existenz von vielen nicht integrierbaren Funktionen ist die Hauptschwache desBegriffes von Riemann Integral. In dieser Vorlesung mochten wir ein neues Integraleinfuhren, das sogenannte Lebesgue’sche Integral, das uns erlauben wird, eine grossereKlasse von Funktionen zu integrieren (das Lebesgue’sche Integral einer Riemann inte-grierbare Funktion wird aber mit ihrem Riemann’sche Integral ubereinstimmen). Wirwerden sehen, dass der Begriff von Lebesgue’sche Integral einen anderen wichtigen Vor-teil hat, verglichen mit dem Riemann’sche Integral. Wahrend das Riemann’sche Integralzunachst nur fur Funktionen auf R definiert ist (und auf Funktionen auf Rn verallge-meinert werden kann), ist das Lebesgue’sche Integral direkt auf allgemeineren Raumen(sogenannte Massraume) definiert.

Wir erklaren, kurz und heuristisch, die Idee des Lebesgue’sche Integrals. Sei f :[a; b] → R eine beschrankte Funktion. Nehmen wir an, f ist stetig und nicht negativ.Dann ist f Riemann integrierbar, und∫ b

af(x)dx =

∫ b

a

[∫ ∞0

χ(f(x) ≥ t)dt]dx

Hier bezeichnet χ(f(x) ≥ t) die charakteristische Funktion vom Intervall [o, f(x)] (d.h.χ(f(x) ≥ t) = 1 falls f(x) ≥ t und χ(f(x) ≥ t) = 0 falls f(x) < t). Man kann dann diezwei Integrale vertauschen (wir haben in Analysis 2 den Theorem von Fubini bewiesen);man bekommt ∫ b

af(x)dx =

∫ ∞0

[∫ b

aχ(f(x) ≥ t)dx

]dt

Z.B. falls die Funktion f konvex ist, man kann sich leicht uberzeugen, dass die Mengex ∈ [a; b] : f(x) ≥ t ein Intervall ist (wo χ(f(x) ≥ t) = 1 gilt), fur alle t ∈ R (fur tgross genug, die Menge ist leer). Es gilt dann∫ b

aχ(f(x) ≥ t)dx = µ(x ∈ [a; b] : f(x) ≥ t)

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wobei die rechte Seite die Lange des Intervalls ist, auf welchem f(x) ≥ t. Damit ist∫ b

af(x)dx =

∫ ∞0

µ(x ∈ [a; b] : f(x) ≥ t)dt (1)

Fur nicht konvexe Funktionen, ist x ∈ [a; b] : f(x) ≥ t i.A. kein Intervall, sondern dieVereinigung von viele (moglicherweise unendlich viele) Intervalle. Trotzdem, mindestensfalls die Funktion regular ist, ist es klar, wie man die gesamte Lange dieser Intervallebestimmen kann. Die Formel (1) gilt damit fur beliebige f : [a; b] → R nicht-negativund stetig. Die rechte Seite von (1) hat nun aber einen Vorteil, verglichen mit der linkenSeite. Die Funktion µ(x ∈ [a; b] : f(x) ≥ t) ist monoton fallend in t. Eine monotonfallende Funktion hat immer hochstens abzahlbar viele Unstetigkeiten, und deswegenist immer Riemann integrierbar. Aus diesem Grund konnen wir die rechte Seite von (1)benutzten, um das Lebesgue Integral von beliebige Funktionen zu definieren, fur welchenµ(x ∈ [a; b] : f(x) ≥ t) fur beliebige t > 0 definiert werden soll. Fur stetige Funktionenwird das neue Integral wegen (1) mit dem alten Riemann Integral ubereinstimmen. Dieneue Definition kann aber auf allgemeineren Funktionen angewandt werden. Die einzigeBedingung ist, dass wir die Lange von Mengen der Form x ∈ [a; b] : f(x) ≥ t definierenkonnen.

Es ist auch klar, dass die rechte Seite von (1) uns auch erlaubt das Integral vonFunktionen zu definieren, die auf Rn oder sogar auf allgemeineren Raume definiert sind.Wichtig ist nur, dass wir µ(x : f(x) ≥ t) definieren konnen. Ist f auf einer Teilmengevon Rn definiert, dann ist µ(x : f(x) ≥ t)) das Volumen der Menge x : f(x) ≥ t) ⊂Rn. Auf allgemeineren abstrkaten Raume, als wir sehen werden, heisst µ(A) das Massder Menge A (Lange und Volumen sind Beispiele von Masse auf R, bzw. auf Rn).

Aus dieser kurzen und heuristischen Diskussion ist hoffentlich klar geworden, dassum den Begriff von Lebesgue’sche Integral einzufuhren, brauchen wir das Mass vonmoglichst allgemeine Mengen zu definieren. Das ist der Zweck von dieser Kapitel.

Bevor wir zu den Definitionen kommen, mochten wir zeigen, dass das Problem derDefinition des Masses nicht so trivial ist. Wir untersuchen das Volumen von Teilmengenvon Rn. Wir bezeichnen mit P (Rn) ≡ 2R die Potenzmenge von Rn, d.h. die Mengealler Teilmengen von Rn. Wir suchen eine Abbildung µ : P (Rn) → [0;∞] mit denEigenschaften

i) Monotonie: ist A ⊂ B, so gilt µ(A) ≤ µ(B).

ii) Euklidische Invarianz: ist T : Rn → Rn eine affine Isometrie und A ⊂ Rn, so giltµ(TA) = µ(A) (eine affine Isometrie ist eine Abbildung der Form T (x) = L(x)+b,wobei b ∈ Rn eine Translation darstellt, und L : Rn → Rn eine lineare Abbildungmit LTL = 1 ist).

iii) Normierung: µ([0; `]n) = `n, fur all ` > 0.

iv) σ-Additivitat: sind A1, A2, · · · ⊂ Rn abzahlbar viele paarweise disjunkte Teilmen-gen von Rn, so gilt

µ

∞⋃j=1

Aj

=∞∑j=1

µ(Aj)

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Man bemerke, dass die Monotonie i) eigentlich aus der σ-Additivitat iv) folgt (undbraucht deswegen nicht separat angenommen zu werden), weil A ⊂ B impliziert, dassB = A ∪ (B ∩Ac), und also, da A und B ∩Ac disjunkt sind,

µ(B) = µ(A) + µ(B ∩Ac) ≥ µ(A)

weil µ(B ∩ Ac) ≥ 0. Uberraschend, es existiert keine Abbildung mit den Eigenschafteni)-iv).

Satz 1.1 (Vitali 1905). Es existiert keine Abbildung µ : P (Rn) → [0;∞] mit den Ei-genscahften i)-iv). Das gilt auch wenn ii) durch die schwachere Bedingung

ii’) Invarianz bzg. Translationen: Fur alle x ∈ Rn und alle A ⊂ Rn gilt µ(x + A) =µ(A).

ersetzt wird.

Beweis. Wir nehmen an, es existiere eine Abbildung µ mit den Eigenschaften i), ii’),iii), iv). Auf A = [0; 1]n definieren wir die Aquivalenzrelation x ∼ y, falls x−y ∈ Qn. Seinun M0 ⊂ A eine Teilmenge, die aus jeder Aquivalenzklasse genau ein Element enthalt(hier benutzen wir das Auswahlaxiom). Dann gilt

(1) fur jedes x ∈ A, es existiert y ∈M0 mit x ∼ y

und(2) sind x, y ∈M0 mit x ∼ y, so muss x = y gelten

Da Qn ∩ [−1, 1]n abzahlbar ist, finden wir eine Bijektion x : N → Qn ∩ [−1; 1]n mitx0 = 0. Wir definieren Mj = M0 + xj . Dann gilt

a) Fur j 6= k ist Mj ∩Mk = ∅. In der Tat, falls Mj ∩Mk 6= ∅, dann konnten wiry, z ∈ M0 finden, mit y + xj = z + xk. Das impliziert y − z = xk − xj ∈ Qn.Also y ∼ z und, aus Bemerkung (2) oben, y = z. Das gibt aber xj = xk, was einWiderspruch zur Injaktivitat von x ist.

b) Fur alle j ∈ N gilt µ(Mj) = µ(M0) ≤ µ(A) = 1. Das folgt aus der Eigenschaftenii’) (Translationsinvarianz), i) (Monotonie) und iii) (Normierung).

c) Es gilt

[0, 1]n ⊂⋃j∈N

Mj

Sei, in der Tat, y ∈ [0, 1]n. Dann gibt es aus Bemerkung (1) ein z ∈M0 mit y ∼ z.Deswegen gilt y − z ∈ Qn ∩ [−1, 1]n, und es existiert j ∈ N mit xj = y − z. Daszeigt, dass y = z + xj ∈Mj .

d) Es gilt ⋃j∈N

Mj ⊂ [−1, 2]n

In der Tat, fur y ∈ Mj existiert z ∈ M0 mit y = z + xj . Da xj ∈ [−1, 1]n undz ∈ [0, 1]n folgt aber y ∈ [−1, 2]n.

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Wir unterscheiden nun zwei Falle. Ist µ(M0) = 0, dann folgt aus c), dass

1 = µ([0; 1]n) ≤ µ

⋃j∈N

Mj

=∑j∈N

µ(Mh) =∑j∈N

µ(M0) = 0

Gilt dagegen µ(M0) > 0, so folgt aus d), dass

3n = µ([−1; 2]n) ≥ µ

⋃j∈N

Mj

=∑j∈N

µ(Mj) =∞

In beiden Fallen finden wir ein Widerspruch.

Man kann sich vorstellen, wir konnen ein Volumen definieren, indem wir die σ-Additivitat durch die schwachere Bedingung

iv’) Endliche Additivitat: sind A1, A2, . . . , Ak endlich viele paarweise disjunkte Teil-mengen von Rn, so gilt

µ

k⋃j=1

Aj

=

k∑j=1

µ(Aj)

ersetzen. Fur n ≥ 3, ist aber auch unter dieser schwacheren Bedingung nicht moglich,ein Volumen zu definieren.

Satz 1.2. Fur n ≥ 3 gibt es keine Abbildung µ : P (Rn)→ [0;∞] die die Eigenschafteni), ii), iii), iv’) erfullt.

Bemerkung: Fur die Spezialfalle n = 1, 2, es ist dagegen moglich ein Volumen auf Rnzu definieren, mit den Eigenschaften i), ii), iii), iv′).

Satz 1.2 wird im Appendix (siehe separate file) bewiesen.

Satz 1.1 und Satz 1.2 zeigen, dass die Definition eines Volumen auf Rn nicht ganzeinfach sein kann. Man findet, dass die beste Losung um Volumen (insbesondere σ-additive Volumen) einzufuhren, ist die Volumenfunktion µ nur auf einer Teilmenge vonP (Rn) zu definieren. Wir werden nicht versuchen, µ(A) fur alle A ⊂ Rn zu definieren;dagegen werden wir nur µ(A) definieren, fur A aus einer Klasse von Teilmengen in Rn,namlich aus einer geeigneten σ-Algebra (damit die Definition nutzlich sein kann, mussenwir sicher stellen, dass wir das Volumen von genugend viele Mengen bestimmen konnen).Der Begriff von σ-Algebra wird im nachsten Abschnitt eingefuhrt.

1.1 σ-Algebren

Im Gegensatz zur bisherigen Diskussion, wechseln wir nun zu einem abstrakten Set-ting, wo wir Teilmengen einer beliebigen Menge Ω (und nicht notwendigerweise von Rn)betrachten. Wir werden spater das Beispiel Ω = Rn speziell untersuchen.

Sei Ω eine beliebige Menge und

P (Ω) = A : A ⊂ Ω

die entsprechende Potenzmenge.

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Definition 1.3. Eine Familie A ⊂ P (Ω) von Teilmengen von Ω heisst eine σ-Algebra,wenn

i) Ω ∈ A.

ii) A ∈ A ⇒ Ac ∈ A.

iii) Ist (An)n∈N eine Folge von Mengen in A, so ist auch⋃n∈N

An ∈ A

Hier bezeichnen wir mit Ac ≡ Ω\A = x ∈ Ω : x 6∈ A das Komplement vonA in Ω. Die Eigenschaft ii) bedeutet, dass σ-Algebren stabil sind bzg. der OperationA→ Ac. Eigenschaft iii) bedeutet dagegen, dass σ-Algebren stabil sind, bzg. abzahlbareVereinigungen.

Bemerkungen: aus der Definition, finden wir sofort die folgenden weitere Eigenschaf-ten von σ-Algebren:

1) ∅ ∈ A. Das folgt aus i) und ii), weil ∅ = Ωc.

2) σ-Algebren sind stabil bzg. abzahlbaren Durchschnitten. Mit anderen Worter: ist(An)n∈N eine Folge in A, so ist ⋂

n∈NAn ∈ A (2)

Um (2) zu beweisen, benutzen wir die Morgan’sche Regeln (die wir in Analysis 1schon erwahnt haben; wir lassen den Beweis dieser Regeln als Ubung). Wir finden,mit ii) und iii), (⋂

n∈NAn

)c=⋃n∈N

Acn ∈ A .

Aus ii) folgt deswegen, dass ⋂n∈N

An ∈ A .

3) Die Stabilitat von σ-Algebren bzg. abzahlbare Vereinigungen und abzahlbare Durch-schnitte impliziert naturlich auch die Stabilitat bzg. endlichen Vereinigungen undendlichen Durchschnitten. Ist namlich A1, . . . , Am eine endliche Folge aus A, sokonnen wir Am+1 = Am+2 = · · · = ∅ ∈ A definieren. Dann ist

m⋃j=1

Aj =⋃j∈N

Aj ∈ A

wegen iii). Analog zeigt man, dass endliche Durchschnitte von Mengen in A wiederin A enthalten sind.

Wir diskutieren nun ein Paar Beispiele von σ-Algebren.

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• Die Potenzmenge P (Ω) ist immer eine σ-Algebra (die grosste σ-Algebra auf Ω).

• Die Familie A = ∅,Ω ist auch immer eine σ-Algebra (die kleinste σ-Algebra aufΩ).

• Fur A ⊂ Ω beliebig ist A = ∅, A,Ac,Ω eine σ-Algebra.

• Die Familie

A = A ⊂ Ω : A ist abzahlbar oder Ac ist abzahlbar

ist eine σ-Algebra. Offenbar ist Ω ∈ A, weil Ωc = ∅ eine abzahlbare Menge ist(abzahlbar bedeutet hier entweder endlich oder abzahlbar unendlich; eine Mengemit Null Elemente ist in diesem Sinn abzahlbar). Da die Definition symmetrischbezuglich der Operation A → Ac ist, ist ii) auch erfullt. Sei nun A1, A2, . . . eineFolge aus A. Wir mochten zeigen, dass⋃

n≥1

An ∈ A (3)

Dazu unterscheiden wir zwei Falle: existiere ein m mit Am nicht abzahlbar, somuss Acm abzahlbar sein. Deswegen ist⋃

n≥1

An

c

=⋂n≥1

Acn ⊂ Acm

sicher abzahlbar, und (3) ist erfullt. Falls dagegen An abzahlbar fur alle n ∈ N, soist auch ⋃

n≥1

An

als abzahlbare Vereinigung von abzahlbare Mengen wieder abzahlbar. Also gilt (3)auch in diesem Fall.

• Ist A eine σ-Algebra auf Ω, und ist Ω′ ⊂ Ω eine beliebige Teilmenge, dann ist

A′ = Ω′ ∩A : A ∈ A

eine σ-Algebra auf Ω′. Man nennt A′ die Spur von A auf Ω′. Um zu zeigen, dassA′ eine σ-Algebra ist, man bemerke zunachst, dass Ω′ = Ω′ ∩ Ω ∈ A′. Weiter, dasKomplement von Ω′ ∩A in Ω′ ist aus

(Ω′ ∩A)c = x ∈ Ω′ : x 6∈ Ω′ ∩A = x ∈ Ω′ : x 6∈ A = Ω′ ∩Ac

gegeben (Ac bezeichnet hier das Komplement von A in Ω). Gilt A ∈ A, so istAc ∈ A, und deswegen Ω′∩Ac ∈ A′. Schlussendlich, verifizieren wir die Bedingungiii) fur A′. Sei (Ω′ ∩A1), (Ω′ ∩A2), . . . eine Folge aus A′. Dann ist A1, A2, . . . eineFolge aus A, und deswegen ⋃

n≥1

An ∈ A

Damit gilt ⋃n≥1

(Ω′ ∩An) = Ω′ ∩⋃n≥1

An ∈ A′

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• Seien Ω und Ω′ zwei Mengen, A′ eine σ-Algebra auf Ω′ und T : Ω → Ω′ eineAbbildung. Dann ist

T−1(A′) = T−1(A′) : A′ ∈ A′

eine σ-Algebra auf Ω. Beweis: Ubung.

Fur die Konstruktion von σ-Algebren spielt der folgende Satz eine wichtige Rolle.

Satz 1.4. Sei Ω eine Menge, und (Ai)i∈I eine Familie von σ-Algebren auf Ω. Dann istauch der Durchschnitt ⋂

i∈IAi

eine σ-Algebra auf Ω.

Bemerkung: hier braucht die Indexmenge I nicht abzahlbar zu sein.

Beweis. Wir bezeichnenA =

⋂i∈IAi .

Wir zeigen, dass A eine σ-Algebra ist. Da Ai eine σ-Algebra auf Ω ist, gilt Ω ∈ Ai furalle i ∈ I. Damit ist auch Ω ∈ A. Sei weiter A ∈ A. Dann ist A ∈ Ai und deswegen auchAc ∈ Ai fur alle i ∈ I. Es folgt, dass Ac ∈ A. Schlussendlich, sei (An)n∈N eine Folge ausA. Fur alle n ∈ N und alle i ∈ I gilt also An ∈ Ai. Deswegen ist⋃

n∈NAn ∈ Ai

fur alle i ∈ I. Das impliziert, dass⋃n∈NAn ∈ A .

Fur eine beliebige Familie F von Teilmengen von Ω, wir konnen nun

σ(F) =⋂A : A ist eine σ-Algebra auf Ω undF ⊂ A

definieren. Da P (Ω) immer eine σ-Algebra ist, ist die rechte Seite sicher wohldefiniert.Offenbar ist F ⊂ σ(F), und aus Satz 1.4 ist σ(F) eine σ-Algebra auf Ω. Weiter: ist Aeine σ-Algebra auf Ω mit F ⊂ A, dann gilt σ(F) ⊂ A. mit anderen Worter: σ(F) istdie kleinste σ-Algebra, die F enthalt. Man nennt σ(F) die von F erzeugten σ-Algebraauf Ω (und F ist der Erzeuger der σ-Algebra σ(F)).

Beispiele.

• Ist A eine σ-Algebra, so gilt σ(A) = A.

• Ist F = A fur ein einziges A ⊂ Ω, so gilt σ(F) = ∅, A,Ac,Ω.

Fur uns werden die wichtigsten Beispiele von σ-Algebra die Borel σ-Algebren auf Rnsein, die aus allen offenen Mengen in Rn erzeugt werden.

Definition 1.5. Fur n ∈ N, sei

Gn = A ⊂ Rn : A offen

Dann ist B(Rn) = σ(Gn) die Borel σ-Algebra auf Rn.

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Als Erinnerung: eine Menge A ⊂ Rn heisst offen, falls fur jede x ∈ A ein ε > 0existiert, mit y ∈ Rn : ‖x− y‖ ≤ ε ⊂ A. Hier ist ‖x‖ = (

∑nj=1 |xj |2)1/2 die euklidische

Norm von x = (x1, . . . , xn) (jede Norm auf Rn fuhrt aber zu der selben Topologie).

Satz 1.6. Die Borel σ-Algebra B(R) auf R wird auch von den folgenden Systemen vonTeilmengen von R erzeugt:

a) die Familie aller abgeschlossenen Teilmengen von R.

b) die Familie der Intervalle der Form (−∞; b], mit b ∈ R.

c) die Familie der halboffenen Intervalle (a, b] mit −∞ < a < b <∞.

Beweis. Seien B1,B2,B3 die σ-Algebren, die aus den Systemen in a), b), c) erzeugtwerden. Wir zeigen die Inklusionen:

• B(R) ⊃ B1. Da B1 die kleinste σ-Algebra ist, die alle abgeschlossenen Teilmengenvon R enthalt, genugt es zu zeigen, dass B(R) alle abgeschlossenen Teilmengen vonR enthalt. Das ist aber klar, weil B(R) stabil bezuglich der Operation A → Ac,und weil B(R) alle offene Teilmengen von R enthalt.

• B1 ⊃ B2. Die Intervalle (−∞, b] sind abgeschlossen, und deswegen sicher in B1. DaB2 die kleinste σ-Algebra ist, die alle Intervalle der Form (−∞, b] enthalt, mussB1 ⊃ B2 gelten.

• B2 ⊃ B3. Es gilt(a, b] = (−∞, b] ∩ (−∞, a]c ∈ B2

fur alle −∞ < a < b <∞. Da B3 die kleinste σ-Algebra ist, die alle Intervalle derForm (a; b] enthalt, muss B2 ⊃ B3.

• B3 ⊃ B(R). Zu zeigen: jede offenen Teilmenge von R ist in B3 enthalten. Wirbemerken zunachst, dass jede offene Intervall (a; b) ⊂ R in B3 enthalten ist. Dasfolgt weil

(a; b) =⋃n∈N

(a; b− (1/n)]

und weil B3, wie jede σ-Algebra, bezuglich abzahlbaren Vereinigungen stabil ist.Die Behauptung folgt nun aus Lemma 1.7 (siehe unten), wo wir zeigen, dass jedeoffene Teilmenge von R als abzahlbare Vereinigung von offenen Intervallen ge-schrieben werden kann.

Lemma 1.7. Sei U ⊂ R offen. Dann gibt es eine Folge In von offenen Intervallen inR, mit U =

⋃n∈N In.

Beweis. Wir definieren die Familie

U = I : I ist ein offenes Intervall, enthalten in U und maximal

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Ein Intervall I ⊂ U heisst maximal, falls I ⊂ J ⊂ U fur ein Intervall J impliziert, dassI = J . Offenbar gilt ⋃

I∈UI ⊂ U

weil I ⊂ U fur jede I ∈ U . Anderseits, fur ein beliebiges x ∈ U ist

Ix =⋃I : I ist ein offenes Intervall, mit I ⊂ U und x ∈ I

in U enthalten. In der Tat, Ix ist nicht leer, weil U offen ist. Weiter, Ix ist, als Vereini-gung von offenen Intervallen (die ein gemeinsamer Punkt x enthalten) sicher ein offenesIntervall, und Ix ist (bei Definition) offenbar maximal. Damit haben wir, fur alle x ∈ Uein Ix ∈ U gefunden, mit x ∈ Ix. Das zeigt, dass U ⊂

⋃I∈U I und damit, dass

U =⋃I∈U

I .

Wir mussen noch zeigen, dass U abzahlbar ist. Dazu bemerken wir, dass die Intervallein U disjunkt sind. Ist in der Tat x ∈ I1 ∩ I2, fur I1, I2 ∈ U , so ist auch I1 ∪ I2 einoffenes Intervall, der in U enthalten ist. Aus der Maximalitat von I1, I2, muss alsoI1 = I2 = I1 ∪ I2, d.h. I1 = I2. Wir konnen also fur jede I ∈ U eine rationale ZahlxI ∈ Q wahlen (weil jedes offenes Intervall eine rationale Zahl enthalt). Das definierteine Abbildung U → Q, die injaktiv ist. Damit ist U abzahlbar.

Analog zu Satz 1.6, bekommen wir in hoheren Dimensionen den folgenden Satz. DerBeweis ist analog zum Beweis von Satz 1.6 und ist als Ubung gelassen.

Satz 1.8. Die Borel σ-Algebra B(Rn) auf Rn wird auch von den folgenden Systemenvon Teilmengen von Rn erzeugt:

a) die Familie aller abgeschlossenen Teilmengen von Rn.

b) die Familie der abgeschlossenen Halb-Ebenen der Form

(x1, . . . , xn) ∈ Rn : xi ≤ b

fur ein i ∈ 1, . . . , n und ein b ∈ R.

c) die Familie der Quadern der Form

(x1, . . . , xn) ∈ Rn : ai < xi ≤ bi fur alle i = 1, . . . , n

fur −∞ < ai < bi <∞ fur alle i ∈ 1, . . . , n.

Wir werden sehen, die Borel σ-Algebra enthalt nicht alle Teilmengen von Rn, d.h.B(Rn) 6= P (Rn). Trotzdem, die Borel σ-Algebra enthalt ziemlich viele Teilmengen vonRn (es ist nicht trivial, obwohl moglich, ein A ⊂ Rn zu konstruieren, mit A 6∈ B(Rn)).Man findet, die Borel σ-Algebra ist ein guter Kompromiss um Analysis zu machen; sieenthalt praktisch jeder Teilmenge, die fur die Analysis wichtig ist und, gleichzeitig, sie istklein genug, dass ihre Teilmengen konstruktiv behandelt werden konnen (insbesondere,

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wir werden sehen, sie ist klein genug, um die Probleme mit der Definition eines Volumenzu vermeiden).

Manchmal ist nutzlich σ-Algebren aus Systemen von Teilmengen von Ω zu erzeugen,die schon teilweise die Eigenschaften einer σ-Algebra haben. Es spielen dabei Ringe undAlgebren eine wichtige Rolle.

Definition 1.9. Ein System R von Teilmengen einer Menge Ω heisst ein Ring in Ωfalls

i) ∅ ∈ R.

ii) Fur A,B ∈ R gilt auch A\B ∈ R.

iii) Fur A,B ∈ R gilt auch A ∪B ∈ R.

Gilt zusatzlich auch

iv) Ω ∈ R.

so heisst der Ring R eine Algebra.

Hier bezeichnen wir A\B = x ∈ A : x 6∈ B = A ∩ Bc. Aus Definition ist jedeAlgebra ein Ring.

Bemerkung. Sei R ein Ring, und A,B ∈ R. Dann ist auch A ∩ B = A\(A\B) ∈ R.Also Ringen sind geschlossen bezuglich endliche Vereinigung und endliche Durchschnitte.

Satz 1.10. Eine Familie B von Teilmengen einer Menge Ω ist genau dann eine Algebra,wenn

a) Ω ∈ B.

b) A ∈ B ⇒ Ac ∈ B.

c) A,B ∈ B ⇒ A ∪B ∈ B.

Beweis. Sei B eine Algebra. Dann gelten a) und c) aus Definition, und b) folgt aus derEigenschaft ii) weil Ac = Ω\A. Gelten die Eigenschaften a), b), c) so gelten auch i), iii).Um ii) zu zeigen, bemerken wir, dass

A\B = A ∩Bc = (Ac ∪B)c

Der Unterschied zwischen Algebren und σ-Algebren ist also, dass Algebren nur unterendliche Vereinigungen (und Durchschnitte) wahrend σ-Algebren auch unter abzahlbareVereinigungen (und Durchschnitte) stabil sind. Insbesondere ist jede σ-Algebra auch eineAlgebra.

Beispiele: ein Paar Beispiele von Algebren und Ringen.

• R = ∅ ist ein Ring, aber keine Algebra. Die kleinste Algebra auf einer Menge Ωbesteht aus A = ∅,Ω und ist gleichzeitig auch eine σ-Algebra.

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• Das System R = A ⊂ Ω : A endlich ist ist immer ein Ring. R ist nur furendliches Ω auch eine Algebra (in diesem Fall R = P (Ω) enthalt alle Teilmengenvon Ω).

• Das System A = A ⊂ Ω : A oder Ac endlich ist ist eine Algebra auf Ω (weilendliche Vereinigungen von endlichen Mengen wieder endlich sind). A ist nur danneine σ-Algebra, wenn Ω endlich ist (in diesem Fall ist A = P (Ω)).

Um zu entscheiden ob eine gegebene Familie von Mengen eine σ-Algebra ist, istmanchmal der Begriff von Dynkin-System nutzlich.

Definition 1.11. Sei Ω eine Menge. Eine Familie D von Teilmengen von Ω heisst einDynkin-System, falls

i) Ω ∈ D.

ii) D ∈ D ⇒ Dc ∈ D.

iii) Fur jede Folge (Dn)n∈N von paarweise disjunkten Mengen aus D ist auch⋃n∈N

Dn ∈ D .

Es folgt aus der Definition, dass ∅ = Ωc ∈ D. Der Unterschied mit dem Begriff vonσ-Algebren ist, dass hier iii) nur fur paarweise disjunkten Mengen uberpruft werden soll.Insbesondere ist jede σ-Algebra ein Dynkin System. Umgekehrt ist dagegen nicht jedeDynkin System eine σ-Algebra. Betrachte zum Beispiel Ω = 1, 2, . . . , 2n, fur ein n ∈ N.Dann ist D = A ⊂ Ω : |A| gerade ist offenbar ein Dynkin System (weil die Vereinigungvon zwei disjunkte Mengen mit gerade Kardinalitat wieder gerade Kardinalitat hat),aber keine σ-Algebra (weil zum Beispiel 1, 2, 2, 3 ∈ D aber 1, 2∪2, 3 = 1, 2, 3 6∈D).

Lemma 1.12. Sei D ein Dynkin System auf einer Menge Ω. Es gilt: sind A,B ∈ D mitB ⊂ A, dann ist auch A\B ∈ D

Beweis. Da Ac∩B = ∅ gilt Ac∪B ∈ D. Deswegen ist auch A∩Bc = (Ac∪B)c ∈ D.

Der nachsten Satz gibt genugend und hinreichende Bedingungen, damit ein DynkinSystem eine σ-Algebra ist.

Satz 1.13. Sei D ein Dynkin System. Dann ist D genau dann eine σ-Algebra, wenn

A,B ∈ D ⇒ A ∩B ∈ D (4)

Beweis. Sei D ein Dynkin System mit (4). Wir mussen zeigen, D ist eine σ-Algebra. Seidazu (An)n∈N eine Folge in D. Dann definieren wir B1 = A1, B2 = A2\A1 = A2 ∩ Ac1,und, fur beliebigen n ∈ N, Bn = An ∩ (A1 ∪ · · · ∪ An−1)c. Wegen (4) ist (Bn)n∈N eineFolge von paarweise disjunkten Mengen aus D. Damit ist auch⋃

n∈NAn =

⋃n∈N

Bn ∈ D .

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Es gilt: ein beliebiges Durchschnitt von Dynkin Systeme ist wieder ein Dynkin System(der Beweis ist ahnlich wie bei σ-Algebren). Das impliziert, dass fur eine beliebige FamilieF von Mengen,

δ(F) =⋂D : D ein Dynkin System mit F ⊂ D

der kleinste Dynkin System ist, der F enthalt. Man sagt δ(F) ist der Dynkin System,der aus F erzeugt wird.

Satz 1.14. Sei Ω eine Menge, und F ⊂ P (Ω) eine Familie von Teilmengen von Ω, mitder Eigenschaft

A,B ∈ F ⇒ A ∩B ∈ F

Dann ist δ(F) = σ(F).

Beweis. Da σ(F) ein Dynkin System ist, der F enthalt, muss δ(F) ⊂ σ(F) gelten. Zuzeigen bleibt: δ(F) ist eine σ-Algebra. Dazu genugt zu zeigen, dass

A,B ∈ δ(F) ⇒ A ∩B ∈ δ(F)

Sei A ∈ δ(F) beliebig. Wir setzen

DA = E ∈ P (Ω) : E ∩A ∈ δ(F)

Wir behaupten, DA ist ein Dynkin System. In der Tat ist Ω ∈ DA (weil Ω ∩ A = A ∈δ(F)). Ist weiter E ∈ DA so gilt E ∩A ∈ δ(F). Dann ist auch

(Ec ∩A)c = E ∪Ac = Ac ∪ (E ∩A) ∈ δ(F)

als Vereinigung von zwei disjunkten Mengen in δ(F). Damit ist also Ec ∩A ∈ δ(F) undEc ∈ DA. Sei schlussendlich (En)n∈N eine Folge von disjunkten Mengen in DA. Dann istEn ∩ A ∈ δ(F) fur alle n ∈ N. Also ist (En ∩ A) eine Folge von disjunkten Mengen imDynkin System δ(F); es folgt, dass⋃

n∈NEn ∩A =

⋃n∈N

(En ∩A) ∈ δ(F)

und damit, dass⋃n∈NEn ∈ DA.

Ist nun A ∈ F , so ist DA ein Dynkin System und, nach Voraussetzung, gilt F ⊂ DA(weil B ∈ F impliziert B ∩A ∈ F und also B ∩A ∈ δ(F)). Da δ(F) der kleinste DynkinSystem ist, der F enthalt, muss δ(F) ⊂ DA. Das impliziert, dass B ∩ A ∈ δ(F) fur alleB ∈ δ(F) und alle A ∈ F . Sei nun B ∈ δ(F) beliebig. Dann DB ist ein Dynkin System.Da A ∩ B ∈ δ(F) fur alle A ∈ F , es folgt, dass F ⊂ DB. Damit muss auch δ(F) ⊂ DBgelten, fur alle B ∈ δ(F). Das zeigt, dass A ∩B ∈ δ(F), fur alle A,B ∈ δ(F).

Neben dem Begriff von Dynkin System, spielt manchmal auch den Begriff von mo-notone Klasse eine wichtige Rolle, um zu entscheiden, ob einen gegebenen System eineσ-Algebra ist, oder nicht.

Definition 1.15. Sei Ω eine Menge. Ein System A von Teilmengen von Ω heisst einemonotone Klasse, falls

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i) Ist (An)n∈N eine Folge aus A, mit An+1 ⊃ An fur alle n ∈ N, so ist⋃n∈N

An ∈ A

ii) Ist (An)n∈N eine Folge aus A, mit An+1 ⊂ An fur alle n ∈ N, so ist⋂n∈N

An ∈ A

Jede σ-Algebra ist offenbar eine monotone Klasse. Es gelten weiter die folgendenEigenschaften:

• Sei A eine monotone Klasse. Dann ist A genau dann eine σ-Algebra, wenn A eineAlgebra ist.

• Beliebige Durchschnitte von monotonen Klassen sind wieder monotonen Klassen.Das impliziert: fur eine beliebige Familie F von Teilmengen von Ω es existiertdie kleinste monotone Klasse, die F enthalt. Wir bezeichnen die von F erzeugtenmonotone Klasse mit m(F).

• Ist A eine Algebra auf Ω, so gilt σ(A) = m(A).

Die Beweise von diesen Eigenschaften lassen wir als Ubung (sie sind ahnlich zu denentsprechenden Beweise fur Dynkin Systeme).

1.2 Masse

Sei Ω eine Menge, und A eine σ-Algebra auf Ω. Man nennt (Ω,A) ein messbarer Raum.Auf der σ-Algebra A betrachten wir nun Funktionen, die wir als Masse bezeichnen, diedas Inhalt von Mengen in A messen sollen.

Definition 1.16. Sei, wie oben (Ω,A) ein messbarer Raum. Eine Funktion µ : A →[0;∞] heisst ein Mass auf A falls

i) µ(∅) = 0.

ii) σ-Additivitat: ist (An)n∈N eine Folge in A mit An ∩ Am = ∅, fur alle n 6= m, sogilt

µ (∪n∈NAn) =∑n∈N

µ(An)

Bemerkungen:

• Die Eigenschaft von σ-Additivitat erklart, warum wir in der Definition von σ-Algebren die Stabilitat bezuglich abzahlbaren Vereinigungen verlangt haben.

• Man konnte sich vorstellen Funktionen µ : A → [0;∞] zu betrachten, die nur end-lich additiv statt σ-additiv sind. In diesem Fall wurde man ii) durch die schwachereBedingung ersetzen:

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ii’) Sind A1, . . . , Ak endlich viele, disjunkten Mengen aus A, dann gilt

µ(∪kj=1Aj

)=

k∑j=1

µ(Aj)

Eine Funktion µ : A → [0;∞] mit den Eigenschaften i) und ii’) nennt man einendlich additives Mass. Jede σ-additive Mass ist endlich additiv. Nicht jede endlichadditives Mass ist auch σ-additiv. Endlich additive Masse konnen auf beliebigenAlgebren definiert werden (wahrend σ-additive Masse nur auf σ-Algebren definiertwerden konnen). Es war eine wichtige Bemerkung am Ende vom 19. Jahrhundert,dass σ-additive Masse viel besser als endlich additive Masse sind, um Integrale zudefinieren und Analysis zu machen (man kann viel starkere Theoremen beweisen,wenn man σ-Additivitat annimmt). In dieser Vorlesung werden wir nur σ-additiveMasse betrachten (und wir werden σ-additive Masse einfach als Masse bezeichnen,wie in der Definition oben).

Ist Ω eine Menge, A eine σ-Algebra auf Ω und µ ein Mass auf A, so heisst (Ω,A, µ)ein Massraum.

Beispiele: hier ein Paar einfache Beispiele von Massen.

• Sei Ω eine beliebige Menge, und A eine σ-Algebra auf Ω. Fur jede A ∈ A definierenwir µ(A) = n, falls A genau n Elementen enthalt, und µ(A) =∞, falls A unendlichviele Elementen enthalt. Dann ist µ : A → [0;∞] offenbar ein Mass. Man nennt µdas Zahlmass auf dem messbare Raum (Ω,A).

• Sei Ω eine beliebige nicht leere Menge, und A = P (Ω) (oder irgendeine andereσ-Algebra auf Ω). Sei x ∈ Ω. Fur A ∈ A definieren wir δx(A) = 1 falls x ∈ Aund δx(A) = 0 falls x 6∈ A. Dann definiert δx : A → [0;∞] ein Mass auf (Ω,A),das als Punktmass an der Stelle x bezeichnet wird. Dass δx ein Mass ist, kannman wie folgt uberprufen. Sei (An)n∈N eine Folge von disjunkten Mengen in A.Wir unterscheiden zwei Falle: 1) es gilt x 6∈ An fur alle n ∈ N. Dann ist auchx 6∈ ∪n∈NAn. Deswegen ist δx(An) = 0 fur alle n und auch δx(∪n∈NAn) = 0, und

δx

(⋃n∈N

An

)=∑n∈N

δx(An)

2) Es existiere m ∈ N mit x ∈ Am. Dann ist x ∈ ∪n∈NAn. Da die Mengen disjunktsind, muss dann x 6∈ An fur alle n 6= m. Deswegen gilt

∑n∈N

δx(An) = δx(Am) = 1 = δx

(⋃n∈N

An

)

• Sei Ω eine nicht leere Menge, und A eine σ-Algebra auf Ω. Fur A ∈ A setzen wirµ(A) =∞ falls A 6= ∅ und µ(A) = 0 falls A = ∅. Dann ist µ ein Mass.

• Wir werden auf der Borel σ-Algebra B(R) ein Mass λ definieren, mit der Ei-genschaft, dass λ([a; b]) = b − a fur alle a ≤ b. Man nennt λ das Lebesgue

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Mass auf (R,B(R)). Allgemeiner werden wir fur alle n ≥ 1 ein Mass λ(n) aufder n-dimensionale Borel σ-Algebra B(Rn) konstruieren, mit der Eigenschaft, dassλ(n) ([a1, b1]× · · · × [an, bn]) =

∏nj=1(bi − ai). Man nennt λ(n) das Lebesgue Mass

auf (Rn,B(Rn)). Das Lebesgue Mass λ(n) erfullt alle Bedingungen, die wir in derEinfuhrung (siehe Seite 4) fur ein Volumen verlangt haben (Monotonie, euklidischeInvarianz, Normierung, σ-Additivitat). In Gegensatz zu Satz 1.1 gibt es hier keinWiderspruch, weil λ(n) nicht auf alle Teilmengen von Rn definiert ist (die MengeM0 im Beweis von Satz 1.1 ist nicht in der σ-Algebra B(Rn) enthalten).

Wir diskutieren einige Eigenschaften von Massen, die aus der allgemeine Definitionfolgen.

Satz 1.17. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Seien A,B ∈ A mit A ⊂ B. Dann gilt µ(A) ≤µ(B). D.h. Masse sind immer monoton. Gilt weiter µ(A) <∞, so finden wir µ(B\A) =µ(B)− µ(A).

Beweis. Es gilt B = A ∪ (B\A). Da A ∩ (B\A) = ∅, folgt aus der σ-Additivitat, dass

µ(B) = µ(A) + µ(B\A) ≥ µ(A)

weil µ(B\A) ≥ 0. Ist weiter µ(A) <∞, so konnen wir µ(A) links subtrahieren, und wirfinden µ(B\A) = µ(B)− µ(A).

Die σ-Additivitat fur das Mass von disjunkten Mengen impliziert auch die Subaddi-tivitat fur Vereinigung von beliebige Teilmengen.

Satz 1.18. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, (An)n∈N eine Folge in A. Dann gilt

µ

(⋃n∈N

An

)≤∑n∈N

µ(An)

Beweis. Wir definieren eine neue Folge von Mengen in A. Wir setzen B1 = A1, B2 =A2\A1 = A2 ∩Ac1 und, fur beliebige n ∈ N,

Bn = An ∩(∪n−1j=1Aj

)c= An ∩Ac1 ∩ · · · ∩Acn

Da A stabil bzg. Durchschnitten ist (hier braucht man sogar nur Stabilitat bzg. endlicheDurchschnitten), ist Bn ∈ A fur alle n ∈ N. Die Bn sind nach Konstruktion disjunkt.Fur alle n ∈ N gilt Bn ⊂ An und, wegen der Monotonie, µ(Bn) ≤ µ(An). Da aber⋃

n∈NBn =

⋃n∈N

An

finden wir

µ

(⋃n∈N

An

)= µ

(⋃n∈N

Bn

)=∑n∈N

µ(Bn) ≤∑n∈N

µ(An)

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Fur das Mass einer Vereinigung von endlich viele (nicht unbedingt disjunkten) Men-gen, es ist auch einfach eine explizite Formel zu finden. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum,A,B ∈ A. Dann konnen wir

A ∪B = (A\B) ∪ (B\A) ∪ (A ∩B)

als Vereinigung von drei disjunkten Mengen schreiben. Da

A = (A\B) ∪ (A ∩B), und B = (A\B) ∪ (A ∩B)

es gilt

µ(A\B) = µ(A)− µ(A ∩B),

µ(B\A) = µ(B)− µ(A ∩B)

und damit

µ(A ∪B) = µ(A\B) + µ(B\A) + µ(A ∩B) = µ(A) + µ(B)− µ(A ∩B)

Man kann analoge Formel fur Vereinigung von drei Mengen und, allgemeiner, fur dieVereinigung von n Mengen herleiten.

Es ist manchmal wichtig das Mass der Vereinigung oder des Durchschnittes einermonotone Folge von Mengen zu bestimmen.

Satz 1.19. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum.

a) Ist (An)n≥1 eine Folge in A mit An+1 ⊃ An fur alle n ∈ N (eine wachsende Folge),so gilt

µ

⋃n≥1

An

= limn→∞

µ(An)

b) Ist (An)n≥1 eine Folge in A mit An+1 ⊂ An fur alle n ∈ N (eine fallende Folge),und es gelte µ(An0) <∞ fur irgendein n0 ∈ N, so gilt

µ

⋂n≥1

An

= limn→∞

µ(An)

Beweis. a) Sei (An) eine Folge in A mit An+1 ⊃ An fur alle n ≥ 1. Wir setzten B1 = A1

und Bi = Ai\Ai−1 = Ai ∩ Aci−1 fur alle i ≥ 2. Dann ist (Bn)n≥1 eine Folge in A vondisjunkten Teilmengen von Ω, mit ∪n≥1Bn = ∪n∈NAn. Deswegen gilt

µ

⋃n≥1

An

= µ

⋃n≥1

Bn

=∞∑n=1

µ(Bn)

= limk→∞

k∑n=1

µ(Bn) = limk→∞

µ

(k⋃

n=1

Bn

)= lim

k→∞µ(Ak)

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b) Sei (An)n∈N eine Folge in A mit An+1 ⊂ An und µ(An0) <∞. O.B.d.A. konnen wirannehmen, dass n0 = 1. Fur n ≥ 1 setzen wir

Cn = A1\An = A1 ∩Acn

Dann ist (Cn)n∈N eine Folge in A mit Cn+1 ⊃ Cn fur alle n (d.h. Cn ist eine wachsendeFolge), und ⋃

n≥1

Cn = A1\⋂n≥1

An

Aus Teil a) finden wir

µ (A1\ ∩n≥1 An) = µ

⋃n≥1

Cn

= limn→∞

µ(Cn) = limn→∞

µ(A1\An)

Aus Satz 1.17, und weil µ(A1) <∞, erhalten wir die Behauptung.

In der Tat konnen die Eigenscahften, die wir im letzten Satz bewiesen haben, alsCharakterizierung von σ-additive Masse benutzt werden.

Proposition 1.20. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, und µ ein endliches additives Massauf A. Dann ist µ ein Mass falls eine der folgenden Bedingungen erfullt ist.

a) limn→∞ µ(An) = µ(∪n≥1An) fur alle wachsenden Folge (An)n≥1 in A.

b) limn→∞ µ(An) = 0 fur alle fallende Folge (An)n≥1 in A mit ∩n≥1An = ∅.

Beweis. Nehmen wir zunachst an, a) sei erfullt. Wir mochten zeigen, dass µ σ-additivist. Sei (Bn)n≥1 eine Folge in A von disjunkten Mengen. Wir setzten An = ∪nj=1Bj .Dann gilt ∪∞j=1Bj = ∪n≥1An. Weiter, An ist offenbar eine wachsende Folge in A. Dieendliche Additivitat impliziert, dass

µ(An) =

n∑j=1

µ(Bj)

fur alle n ∈ N. Anderseits, a) impliziert, dass

µ

∞⋃j=1

Bj

= µ

⋃n≥1

An

= limn→∞

µ(An) = limn→∞

n∑j=1

µ(Bj) =

∞∑j=1

µ(Bj)

Nehmen wir nun an, dass die Bedingung b) erfullt ist. Sei wie oben (Bj)j≥1 eine Folgevon disjunkten Mengen in A. Wir setzen Ak = ∪∞j=k+1Bj . Dann ist (Ak)k∈N eine fallendeFolge in A, mit ∪∞j=1Bj = ∪∞n=1An. Aus der endliche Additivitat gilt

µ

∞⋃j=1

Bj

=k∑j=1

µ(Bj) + µ(Ak)

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fur alle k ∈ N. Insbesondere gilt

µ

∞⋃j=1

Bj

=∞∑j=1

µ(Bj) + limk→∞

µ(Ak)

Die σ-Additivitat folgt aus der Annahme b), die limk→∞ µ(Ak) = 0 impliziert. Das folgt,weil ∩∞k=1Ak = ∅, da die Mengen Bj disjunkt sind.

Fur gewisse Resultate ist es nutzlich eine weitere Eigenschaft von Massen zu verlan-gen, namlich die σ-Endlichkeit, die wir in der nachsten Definition einfuhren.

Definition 1.21. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Das Mass µ heisst endlich, falls µ(Ω) <∞ (in diesem Fall ist µ(A) <∞ fur alle A ⊂ Ω). Das Mass µ heisst σ-endlich, falls eseine Folge (Bn)n∈N in A existiert, mit µ(Bn) <∞ fur alle n ∈ N und mit⋃

n∈NBn = Ω

Endliche Masse spielen eine wichtige Rolle in der Wahrscheinlichkeitstheorie, weildort µ(Ω) = 1. Das Lebesgue Mass auf B(R) ist offenbar nicht endlich, aber σ-endlich(man nehme, zum Beispiel, die Folge Bn = [n;n + 1] ∪ [−n − 1;−n]). Dasselbe gilt furdas Lebesgue Mass auf B(Rn).

Bemerkung: Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und µ ein σ-endliches Mass. Dann existiertauch eine Folge (Bn)n∈N von disjunkten Mengen in A mit ∪n∈NBn = Ω und µ(Bn) <∞fur alle n ∈ N. Das folgt einfach, indem man Bn = An\(∪nj=1Aj).

1.3 Ausseres Mass

Um interessante Masse zu konstruieren (insbesondere das Lebesgue Mass) ist der Begriffvon aussere Mass sehr wichtig.

Definition 1.22. Sei Ω eine Menge. Ein ausseres Mass auf Ω ist eine Funktion µ∗ :P (Ω)→ [0;∞] mit den folgenden Eigenschaften.

i) µ∗(∅) = 0.

ii) Monotonie: Ist A ⊂ B ⊂ Ω, so gilt µ∗(A) ≤ µ∗(B).

iii) Abzahlbare Subadditivitat: Ist (An)n∈N eine Folge in P (Ω), so gilt

µ∗

( ∞⋃n=1

An

)≤∞∑n=1

µ∗(An)

Offenbar ist nicht jede aussere Mass ein Mass (weil die Subadditivitat ist schwacherals die σ-Additivitat, wie wir in Satz 1.18 bewiesen haben). Anderseits ist auch nichtjedes Mass ein ausseres Mass, weil aussere Masse immer auf der ganzen PotenzmengeP (Ω) definiert sind. Es gilt: jede Mass, das auf P (Ω) definiert ist, ist auch ein ausseresMass.

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Die Bedeutung von aussere Masse wird bald klar; wir werden zeigen, dass zu jedeaussere Mass µ∗ wir eine σ-Algebra Mµ∗ ⊂ P (Ω) finden konnen, so, dass die Ein-schrankung µ von µ∗ auf Mµ∗ ein Mass ist. Bevor wir zur Konstruktion der σ-AlgebraMµ∗ kommen, diskutieren wir ein Paar einfache Beispiele von aussere Masse (das wich-tigste Beispiel von ausserem Mass ist das Lebesgue aussere Mass, das wir im nachstenKapitel untersuchen werden).

Beispiele:

• Sei Ω eine beliebige Menge. Fur A ⊂ Ω setzen wir µ∗(A) = 0 if A = ∅ undµ∗(A) = 1 sonst. µ∗ ist nicht ein Mass, aber es ist offenbar ein ausseres Mass.

• Sei Ω eine beliebige Menge. Fur A ⊂ Ω setzen wir µ∗(A) = 0 falls A ist abzahlbarund µ∗(A) = 1, falls A is uberabzahlbar. Dann ist µ∗ ein ausseres Mass. DieMonotonie ist klar (weil eine uberabzahlbare Menge nicht in einer abzahlbareMenge enthalten sein kann). Die abzahlbare Subadditivitat kann wie folgt gezeigtwerden. Sei (An)n∈N eine Folge in P (Ω). Ist An abzahlbar, fur alle n ∈ N, so istauch ∪n∈NAn, als abzahlbare Vereinigung von abzahlbare Mengen abzahlbar, undiii) ist offenbar erfullt (links und rechte Seite sind Null). Gibt es dagegen m ∈ Nmit Am uberabzahlbar, so ist ∪n∈NAn uberabzahlbar. Dann ist

µ∗

(⋃n∈N

An

)= 1 = µ∗(Am) ≤

∞∑n=1

µ∗(An) .

• Sei Ω eine unendliche Menge. Definiere µ∗(A) = 0 falls A ⊂ Ω endlich ist undµ∗(A) = 1 falls A ⊂ Ω unendlich ist. Dann ist µ∗ kein ausseres Mass, weil µ∗

nicht subadditiv ist. Ist namlich (An)n∈N eine Folge von disjunkten, endlichen undnicht-leeren Teilmengen von Ω, so ist µ∗(An) = 0 fur alle n ∈ N und

∑n µ∗(An) =

0.Anderseits, ∪n∈NAn ist eine unendliche Teilmenge, und damit µ∗(∪n∈NAn) = 1.

Jetzt mochten wir lernen, wie man aus einem ausseren Mass ein richtiges σ-additivesMass bekommen kann.

Definition 1.23. Sei Ω ein Menge, und µ∗ ein ausseres Mass auf Ω. Eine TeilmengeB ⊂ Ω heisst µ∗-messbar falls

µ∗(A) = µ∗(A ∩B) + µ∗(A ∩Bc)

fur alle A ⊂ Ω gilt. In Worter: B ⊂ Ω ist µ∗-messbar, falls jede Teilmenge von Ω durchB in zwei Teilen zerlegt wird, dessen µ∗-Masse “richtig” summiert werden konnen.

Bemerkung: aus der Subadditivitat von µ∗ folgt, dass

µ∗(A) ≤ µ∗(A ∩B) + µ∗(A ∩Bc)

immer gilt. D.h., B ⊂ Ω ist genau dann µ∗-messbar, wenn

µ∗(A) ≥ µ∗(A ∩B) + µ∗(A ∩Bc) (5)

fur alle A ⊂ Ω gilt. Es genugt sogar (5) nur fur A ⊂ Ω mit µ∗(A) < ∞ zu uberprufen(weil sonst es gibt nichts zu beweisen).

Wir untersuchen nun die Eigenschaften der µ∗-messbare Teilmengen von Ω.

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Satz 1.24. Sei Ω eine Menge und µ∗ ein ausseres Mass auf Ω. Ist B ⊂ Ω mit µ∗(B) = 0oder µ∗(Bc) = 0, dann ist B µ∗-messbar.

Beweis. Nehmen wir an, dass µ∗(B) = 0. Sei A ⊂ Ω beliebig. Dann gilt A∩B ⊂ B unddeswegen µ∗(A ∩ B) = 0. Anderseits, da A ∩ Bc ⊂ A finden wir µ∗(A) ≥ µ∗(A ∩ Bc).Das zeigt (5), und (weil A beliebig ist), dass B µ∗-messbar. Der Beweis fur den Fallµ∗(Bc) = 0 ist ahnlich.

Der letzte Satz zeigt, dass ∅,Ω immer µ∗-messbar sind. Im nachsten Theorem zeigenwir, dass die Familie von allen µ∗-messbaren Mengen eine σ-Algebra ist.

Theorem 1.25. Sei Ω eine Menge, und µ∗ ein ausseres Mass auf Ω. Dann ist

Mµ∗ := B ⊂ Ω : B ist µ∗-messbar

eine σ-Algebra auf Ω. Die Einschrankung von µ∗ auf Mµ∗ ist ein Mass auf Mµ∗.

Beweis. Wir zerlegen den Beweis in drei Schritte.

Schritt 1. Mµ∗ ist eine Algebra.

Wir haben schon in Satz 1.24 bewiesen, dass ∅,Ω ∈ Mµ∗ . Ist B ∈ Mµ∗ , so ist aus(5) auch klar, dass auch Bc ∈Mµ∗ . Seien nun B1, B2 ∈Mµ∗ . Wir mochten zeigen, dassB1 ∪B2 ∈Mµ∗ . Dazu bemerken wir, dass fur ein beliebiges A ⊂ Ω, die µ∗-Messbarkeitvon B1 impliziert, dass

µ∗(A ∩ (B1 ∪B2)) = µ∗(A ∩ (B1 ∪B2) ∩B1) + µ∗(A ∩ (B1 ∪B2) ∩Bc1)

= µ∗(A ∩B1) + µ∗(A ∩Bc1 ∩B2)

Zusammen mit (B1 ∪B2)c = Bc1 ∩Bc

2, zeigt diese Identitat, dass

µ∗(A ∩ (B1 ∪B2)) + µ∗(A ∩ (B1 ∪B2)c)

= µ∗(A ∩B1) + µ∗(A ∩Bc1 ∩B2) + µ∗(A ∩Bc

1 ∩Bc2)

= µ∗(A ∩B1) + µ∗(A ∩Bc1) = µ∗(A)

wobei wir zunachst die Messbarkeit von B2 und nachher die Messbarkeit von B1 benutzthaben. Das zeigt, dass B1 ∪ B2 ist µ∗-messbar, und also, dass B1 ∪ B2 ∈ Mµ∗ . Damitist Mµ∗ eine Algebra.

Schritt 2. Mµ∗ ist eine σ-Algebra.

Wir mussen zeigen, dass Mµ∗ stabil ist, bezuglich abzahlbare Vereinigungen. Seizunachst (Bn)n≥1 eine Folge von disjunkten µ∗-messbare Teilmengen von Ω. Wir be-haupten, dass

µ∗(A) =

n∑i=1

µ∗(A ∩Bi) + µ∗

(A ∩

n⋂i=1

Bci

)(6)

fur alle n ≥ 1 und alle A ⊂ Ω. Wir zeigen diese Behauptung durch Induktion uber n. Furn = 1, sie folgt einfach aus der Messbarkeit von B1. Nehmen wir nun an die Behauptung

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sei fur n = k korrekt; wir zeigen sie fur n = k + 1. Da Bk+1 messbar ist, finden wir

µ∗

(A ∩

k⋂i=1

Bci

)= µ∗

(A ∩

k⋂i=1

Bci ∩Bk+1

)+ µ∗

(A ∩

k+1⋂i=1

Bci

)

= µ∗(A ∩Bk+1) + µ∗

(A ∩

k+1⋂i=1

Bci

)weil die Bj disjunkt sind. Aus der Induktion Annahme bekommen wir

µ∗(A) =k+1∑i=1

µ∗(A ∩Bi) + µ∗(A ∩k+1⋂i=1

Bci )

Damit ist (6) fur alle n ∈ N bewiesen.Aus (6) bekommen wir nun die Schranke

µ∗(A) ≥n∑i=1

µ∗(A ∩Bi) + µ∗

(A ∩

∞⋂i=1

Bci

)(7)

weil

A ∩∞⋂i=1

Bci ⊂ A ∩

n⋂i=1

Bci .

Da (7) fur alle n ∈ N gilt, finden wir auch

µ∗(A) ≥∞∑i=1

µ∗(A ∩Bi) + µ∗

(A ∩

∞⋂i=1

Bci

)(8)

Die abzahlbare Subadditivitat von µ∗ impliziert, dass

µ∗(A) ≥ µ∗( ∞⋃i=1

(A ∩Bi)

)+µ∗

(A ∩

∞⋂i=1

Bci

)= µ∗

(A ∩

∞⋃i=1

Bi

)+µ∗

(A ∩

( ∞⋃i=1

Bi

)c)fur alle A ⊂ Ω. Das zeigt, dass ∪∞i=1Bi µ

∗-messbar ist.

Wir haben damit gezeigt, dassMµ∗ stabil ist, bezuglich abzahlbaren Vereinigungenvon disjunkten Teilmengen. Das zeigt, dass Mµ∗ ein Dynkin System ist. Aus Schritt a)und aus Satz 1.13, Mµ∗ ist auch eine σ-Algebra.

Schritt 3. Die Einschrankung von µ∗ auf Mµ∗ ist ein Mass.

Wir mussen die σ-Additivitat der Einschrankung von µ∗ auf Mµ∗ beweisen. Sei(Bn)n∈N eine Folge in Mµ∗ von disjunkten Teilmengen. Aus (8), mit A = ∪∞n=1Bn,finden wir

µ∗

( ∞⋃i=1

Bi

)≥∞∑i=1

µ∗(Bi)

Die Subadditivitat von µ∗ impliziert also, dass

µ∗

( ∞⋃i=1

Bi

)=

∞∑i=1

µ∗(Bi)

Das zeigt, dass µ∗ ist ein Mass, wann es auf Mµ∗ eingeschrankt ist.

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1.4 Konstruktion des Lebesgue’sche Mass auf Rn

Fur A ⊂ R, sei CA die Menge von Folgen (ai; bi)i∈N von offenen und beschranktenIntervallen, mit

A ⊂⋃i∈N

(ai; bi)

Wir definieren das Lebesgue ausseres Mass von A durch

λ∗(A) := inf

∞∑i=0

(bi − ai) : (ai; bi) ∈ CA

(9)

λ∗(A) ist wohldefiniert, weil die Familie CA immer nicht leer ist (das Infimum einerMenge, die nur +∞ enthalt wird als +∞ definiert).

Satz 1.26. Das Lebesgue aussere Mass λ∗ : P (R)→ [0;∞], definiert in (9) ist ein ausse-res Mass. Das Lebesgue aussere Mass eines Intervall (offen, geschlossen oder halboffen,beschrankt oder unbeschrankt) ist die Lange des Intervalls.

Beweis. Aus (9) folgt sofort, dass λ∗(∅) = 0 (man kann die Intervalle beliebig kleinwahlen). Die Monotonie von λ∗ folgt aus der Bemerkung, dass

A ⊂ B ⇒ CB ⊂ CA .

(Weil das Infimum einer grossere Menge immer kleiner als das Infimum einer kleinerenMenge ist). Wir zeigen nun die Subadditivitat von λ∗. Sei dazu Ann∈N eine Folge vonTeilmengen von R. Wir mochten zeigen, dass

λ∗

(⋃n∈N

An

)≤∑n∈N

λ∗(An)

Wir konnen annehmen, dass ∑n∈N

λ∗(An) <∞

weil sonst die Aussage trivial ist. Sei ε > 0 fest. Fur n ∈ N wir finden, aus Definitionvon λ∗(An) eine Folge (an,i; bn,i)i∈N von offenen, beschrankten Intervalle mit An ⊂⋃i∈N(an,i; bn,i) und

λ∗(An) ≥∞∑i=1

(bn,i − an,i)−ε

2n

Wir nehmen die Vereinigung von alle Intervalle (an,i; bn,i) uber alle i ∈ N und n ∈ N,und bezeichnen die resultierenden Folge mit (ai; bi)i∈N. Dann gilt⋃

n∈NAn ⊂

⋃i∈N

(ai; bi)

und ∑i∈N

(bi − ai) =∑n∈N

∑i∈N

(bn,i − an,i) ≤∑n∈N

[λ∗(An) +

ε

2n

]≤∑n∈N

λ∗(An) + ε

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Das impliziert, dass

λ∗

(⋃n∈N

An

)≤∑n∈N

λ∗(An) + ε

Da ε > 0 beliebig ist, finden wir

λ∗

(⋃n∈N

An

)≤∑n∈N

λ∗(An) .

Sei nun [a; b] ein geschlossenes beschranktes Intervall in R. Wir mochten zeigen, dassλ∗([a; b]) = (b− a). Offenbar folgt aus der Definition von λ∗, dass

λ∗([a; b]) ≤ (b− a)

Wir mussen noch zeigen, dass λ∗([a; b]) ≥ (b−a). Sei also (ai; bi) eine Folge von offenenund beschrankten Intervalle in R, mit

[a; b] ⊂⋃i∈N

(ai; bi).

Da [a; b] kompakt ist, es existiert n ∈ N, mit

[a; b] ⊂n⋃i=1

(ai; bi)

Man kann leicht uberprufen (mit Induktion uber n ∈ N), dass

b− a ≤n∑i=1

(bi − ai)

Das impliziert, dass b−a ≤∑∞

i=1(bi−ai). Da die Folge (ai; bi)i∈N beliebig ist, es folgt,dass b−a ≤ λ∗([a; b]). Das zeigt, dass λ∗([a; b]) = b−a, fur alle a < b. Fur ein beliebigesoffenes beschranktes Intervall (a; b) bemerken wir, dass[

a+1

n; b− 1

n

]⊂ (a; b) ⊂ [a; b]

fur alle n ∈ N. Die Monotonie von λ∗ zeigt, dass

b− a− 2

n= λ∗

([a+

1

n; b− 1

n

])≤ λ∗((a; b)) ≤ λ∗([a; b]) = b− a

Da n ∈ N beliebig ist, kriegen wir λ∗((a; b)) = b − a. Analog kann man den Fall vonhalboffenen beschrankten Intervalle betrachten. Mit der Monotonie es ist auch einfachzu zeigen, dass λ∗(I) =∞ fur jede unbeschrankte Intervall I ⊂ R.

Definition 1.27. Wir bezeichnen mit Mλ∗ die Menge der λ∗-messbare Teilmengen vonR und wir definieren das Lebesgue Mass λ auf R als die Einschrankung von λ∗ aufMλ∗,d.h. λ = λ∗|Mλ∗ . Aus Theorem 1.25 wissen wir, dass Mλ∗ eine σ-Algebra ist, und, dassλ ein Mass auf (R,Mλ∗) ist.

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Damit diese Definition wirklich nutzlich sein kann, mussen wir sicher stellen, dassMλ∗ gross genug ist (wareMλ∗ = ∅,R, so ware das Lebesgue Mass nicht so interessantfur die Analysis). Das machen wir im nachsten Satz.

Satz 1.28. Jede Borel Teilmenge von R ist λ∗-messbar, d.h. B(R) ⊂Mλ∗.

Beweis. Es genugt zu zeigen, dass

(−∞; b] ∈Mλ∗ (10)

fur alle b ∈ R. In der Tat, aus (10) folgt, dass Mλ∗ eine σ-Algebra ist, die alle Mengender Form (−∞; b] enthalt. Wir haben aber in Satz 1.6 bewiesen, dass B(R) die kleinsteσ-Algebra mit dieser Eigenschaft ist. Das wurde also zeigen, dass B(R) ⊂Mλ∗ . Sei alsoB = (−∞; b] fur ein b ∈ R, und A ⊂ R mit λ∗(A) <∞. Wir mochten zeigen, dass

λ∗(A) ≥ λ∗(A ∩B) + λ∗(A ∩B∗) (11)

(die andere Ungleichung folgt aus der Subadditivitat von λ∗). Sei ε > 0 festgewahlt.Aus Definition von λ∗(A) finden wir eine Folge (an; bn)n∈N von offenen beschranktenIntervallen, mit A ⊂

⋃n∈N(an; bn) und

λ∗(A) ≥∑n∈N

(bn − an)− ε .

Fur alle n ∈ N sind (an; bn)∩B und (an; bn)∩Bc disjunkten Intervalle in R (moglicher-weise leer), dessen Vereinigung (an; bn) ist. Das impliziert, aus Satz 1.26, dass

bn − an = λ∗((an; bn)) = λ∗((an; bn) ∩B) + λ∗((an; bn) ∩Bc)

DaA ∩B ⊂

⋃n∈N

(an; bn) ∩B und A ∩Bc ⊂⋃n∈N

(an; bn) ∩Bc

erhalten wir aus der Subadditivitat von λ∗, dass

λ∗(A ∩B) + λ∗(A ∩Bc) ≤ λ∗(⋃n∈N

(an; bn) ∩B

)+ λ∗

(⋃n∈N

(an; bn) ∩Bc

)≤∑n∈N

λ∗((an; bn) ∩B) +∑n∈N

λ∗((an; bn) ∩Bc)

=∑n∈N

(bn − an) ≤ λ∗(A) + ε .

Da ε > 0 beliebig ist, finden wir (11).

Es folgt aus Satz 1.28, dass B(R) ⊂ Mλ∗ ⊂ P (R). Wir werden spater zeigen,dassB(R) 6=Mλ∗ . Aus dieser Bemerkung folgt, dass das Lebesgue Mass entweder auf B(R)oder aufMλ∗ definiert werden kann. Man spricht von Lebesgue Mass auf (R,Mλ∗) undvon Lebesgue Mass auf (R,B(R)). Die zwei Begriffe sind nicht aquivalent, und beide ha-ben Vorteilen. Wir werden hier meistens mit dem Lebesgue Mass auf (R,Mλ∗) arbeiten,aber manchmal es ist auch nutzlich das Lebesgue Mass auf (R,B(R)) zu betrachten.

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Analog wie auf R, kann man auch das Lebesgue Mass auf Rn, n ≥ 2 definieren. Einn-dimensionalen Intervall ist eine Teilmenge von Rn der Form

I = I1 × I2 × · · · × In = (x1, x2, . . . , xn) ⊂ Rn : x1 ∈ I1, x2 ∈ I2, . . . , xn ∈ In

wobei I1, . . . , In Intervalle sind (offen, abgeschlossen, oder halboffen, beschrankt oderunbeschrankt). Wir definieren das Volumen des n-dimensionale Intervall I = I1×· · ·×Inals das Produkt der Lange von I1, . . . , In, d.h.

vol(I1 × I2 × · · · × In) =n∏j=1

|Ij |

Fur eine Teilmenge A ⊂ Rn, wir bezeichnen mit CA die Familie aller Folgen Rii∈N vonbeschrankten und offenen n-dimensionale Intervalle Ri, mit A ⊂

⋃i∈NRi. Wir definieren

das Lebesgue aussere Mass von A durch

λ∗n(A) = inf

∑i∈N

vol(Ri) : Rii∈N ∈ CA

(12)

Dann kann man wie im Fall n = 1 sich uberzeugen, dass λ∗n ein ausseres Mass auf Rnist, und, dass λ∗n(I) = vol(I) fur alle n-dimensionale Intervalle I ⊂ Rn.

Definition 1.29. Wir bezeichnen mit Mλ∗n ⊂ P (Rn) die Familie der λ∗n-messbare Teil-mengen von Rn, und mit λn = λ∗n|Mλ∗n

die Einschrankung von λ∗n auf Mλ∗n. Aus Theo-rem 1.25 folgt, dass Mλ∗n eine σ-Algebra ist, und, dass λn ein Mass ist. Man nenntλn das n-dimensionale Lebesgue Mass (manchmal, falls keine Verwirrung moglich ist,werden wir das Index n weglassen, und das Lebesgue Mass auf Rn einfach mit λ bezeich-nen).

Wie im Fall n = 1 kann man zeigen, dass B(Rn) ⊂ Mλ∗n , d.h. jede Borel Menge istλ∗n-messbar. Wir werden spater zeigen, dass, fur alle n ∈ N, B(Rn) 6=Mλ∗n . Das bedeutet,dass man fur alle n ∈ N zwischen Lebesgue Mass auf (Rn,B(Rn)) und Lebesgue Massauf (Rn,Mλ∗n unterschieden werden soll.

Wir diskutieren nun einige Eingeschaften von Lebesgue Mass auf Rn.

Regularitat. Wir definieren den Begriff von Regularitat von Massen, die (mindestens)auf der Borel σ-Algebra B(Rn) definiert sind.

Definition 1.30. Sei A eine σ-Algebra auf Rn, die B(Rn) enthalt. Ein Mass µ auf Aheisst regular, falls

i) µ(K) <∞ fur jede kompakte Menge K ⊂ Rn (kompakte Menge sind immer abge-schlossen, und deswegen in der Borel σ-Algebra enthalten).

ii) Fur jede A ⊂ A gilt

µ(A) = infµ(U) : U offen und A ⊂ U

iii) Fur jede offene U ⊂ Rn gilt

µ(U) = supµ(K) : K kompakt und K ⊂ U

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Fur das Lebesgue Mass gilt offenbar: λn(K) <∞ fur alle kompakte Mengen K ⊂ Rn.In der Tat ist jede kompakte Menge beschrankt; deswegen finden wir ein kompaktes n-dimensionales Intervall I ⊂ Rn mit K ⊂ I. Dann folgt die Behauptung aus λn(K) ≤λn(I) = vol(I) < ∞. Dass λn auch die Eigenschaften ii) und iii) in der Definition vonRegularitat erfullt folgt aus dem nachsten Satz.

Satz 1.31. Sei A ∈Mλ∗n. Dann gilt

a) λn(A) = infλn(U) : U offen und A ⊂ U.

b) λn(A) = supλn(K) : K kompakt und K ⊂ A.

Beweis. Wir zeigen zunachst a). Aus der Monotonie von λn folgt sofort, dass

λn(A) ≤ infλn(U) : U offen und A ⊂ U .

Wir mussen die Ungleichung

λn(A) ≥ infλn(U) : U offen und A ⊂ U (13)

beweisen. Wir konnen annehmen, dass λn(A) < ∞, sonst ist die Behauptung klar. Seiε > 0. Aus Definition von Lebesgue aussere Mass, es existiert eine Folge Rii∈N vonoffenen n-dimensionale Intervalle mit A ⊂

⋃i∈NRi und

λn(A) ≥n∑i=1

vol(Ri)− ε

Sei U =⋃i∈NRi. Dann ist U offen und A ⊂ U . Weiter gilt, aus der Subadditivitat von

λn,

λn(U) ≤n∑i=1

λn(Ri) =

n∑i=1

vol(Ri) ≤ λn(A) + ε

Hier haben wir die Tatsache λ(Ri) = vol(Ri) benutzt, die wir nach (12) erwahnt haben.Da ε > 0 beliebig ist, erhalten wir (13).

Nun zeigen wir b). Wegen der Monotonie, es genugt die Ungleichung

λn(A) ≤ supλn(K) : K ist kompakt undK ⊂ A (14)

zu zeigen. Sei zunachst A beschrankt. Dann finden wir eine kompakte Menge C ⊂ Rnmit A ⊂ C. Sei ε > 0 fest. Aus Teil a) finden wir U ⊂ Rn offen, mit C\A = C ∩Ac ⊂ Uund

λn(U) ≤ λn(C\A) + ε ⇒ λn(A) ≤ λn(C)− λn(U) + ε .

Wir setzen dann K = C\U . Dann ist K ⊂ A sicher abgeschlossen und beschrankt, unddeswegen kompakt. Da C ⊂ K ∪ U finden wir

λn(C) ≤ λn(K) + λn(U)

und deswegenλn(A) ≤ λn(K) + ε (15)

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Da ε > 0 beliebig ist, folgt (14). Sei nun A ⊂ Rn nicht beschrankt. Um (14) zu zei-gen, konstruieren wir, fur ein beliebiges b ≤ λn(A), eine kompakte Menge K ⊂ A mitλn(K) ≥ b. Dazu wahlen wir eine wachsende Folge Ajj∈N von beschrankten Teilmen-gen von A mit A =

⋃j∈NAj (wachsend bedeutet, dass Aj+1 ⊃ Aj fur alle j ∈ N; z.B.

kann man Aj = A ∩ x ∈ Rn : |x| ≤ j definieren). Dann gilt λn(A) = limj→∞ λn(Aj).Da b ≤ λn(A) es existiert j0 ∈ N, mit b ≤ λn(Aj0). Da Aj0 beschrankt ist, finden wiralso aus (15) eine kompakte Menge K ⊂ Aj0 ⊂ A mit λn(K) ≥ b.

Einduetigkeit. Wir zeigen, dass Lebesgue Mass das einzige Mass auf B(Rn) ist, dasjedem n-dimensionalen Intervall I sein Volumen vol(I) zuordnet. Dazu brauchen wir dasfolgende Lemma.

Lemma 1.32. Sei A ⊂ Rn offen. Dann existiert eine Folge Q` von disjunkten halb-offenen Quadern der Form

(x1, . . . , xn) ∈ Rn : 2−kji ≤ xi < 2−k(ji + 1) fur i = 1, . . . , n (16)

mit k ∈ N, j1, . . . , jn ∈ Z, so, dass A =⋃`∈NQ`.

Beweis. Fur k ∈ N wir bezeichnen mit Ck die Familie der Quadern der Form

(x1, . . . , xn) ∈ Rn : 2−kji ≤ xi < 2−k(ji + 1) fur i = 1, . . . , n

fur beliebig j1, . . . , jn ∈ Z. Wir bemerken, dass, fur feste k ∈ N, Ck eine abzahlbarePartition von Rn ist (das heisst die Mengen in Ck sind paarweise disjunkt, und dieVereinigung von allen Mengen in Ck gibt Rn). Fur k1 < k2 ist jede Quader in Ck2 ingenau ein Quader in Ck1 enthalten.

Sei nun A ⊂ Rn offen. Wir konstruieren rekursiv eine Familie D von Quadern derForm (16). Wir beginnen mit k = 0; wir nehmen in D alle Quader in C0, die in Aenthalten sind. Fur k = 1 addieren wir zu D alle Quader in C1, die in A enthalten sind,und die disjunkt sind zu allen k = 0 Quadern, die schon in D sind. Wir gehen rekursivweiter. Im k-te Schritt, addieren wir zu D die Quader in Ck, die in A enthalten sind, unddie disjunkt sind, zu allen Quader die schon in D sind. Offenbar enthalt D schlussendlichabzahlbar viele paarweise disjunkte Quader der Form (16), die in A enthalten sind. Esbleibt zu zeigen, dass A in der Vereinigung von allen Quadern in D enthalten ist. Seialso x ∈ A beliebig. Fur jede k ∈ N gibt es genau ein Quader Qk ∈ Ck, mit x ∈ Qk. DaA offen ist, ist Qk ⊂ A fur k gross genug. Sei k0 die kleinste ganze Zahl mit Qk0 ⊂ A.Dann ist Qk0 ∈ D, und x ∈

⋃Q∈DQ.

Wir konnen nun die Eindeutigkeit vom Lebesgue Mass beweisen.

Satz 1.33. Sei µ ein Mass auf (Rn,B(Rn)), mit µ(I) = vol(I) fur alle n-dimensionaleIntervalle I = I1 × · · · × In. Dann ist µ = λn. Die selbe Aussage gilt auch falls µ(Q) =λn(Q) nur fur alle halb-offenen Quadern Q der Form (16).

Beweis. Wir mussen zeigen, dass µ(A) = λn(A) fur alle A ∈ B(Rn). Sei zunachst U ⊂ Rnoffen. Dann finden wir aus Lemma 1.32 eine Folge Qn von disjunkten Quadern der Form(16) mit U =

⋃j∈NQj . Aus der σ-Additivitat von µ und λn erhalten wir

µ(U) =∑j∈N

µ(Qj) =∑j∈N

λn(Qj) = λ(U)

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weil, nach Annahme, µ(Qi) = λn(Qi) fur alle i ∈ N.

Sei nun A ∈ B(Rn) beliebig. Fur jede offene U ⊂ Rn mit A ⊂ U gilt µ(A) ≤ µ(U) =λ(U). Es folgt, dass

µ(A) ≤ infλn(U) : U offen und A ⊂ U

Nach der Regularitat von λn, finden wir µ(A) ≤ λn(A), fur alle A ∈ B(Rn). Wir mussennoch die umgekehrte Ungleichung beweisen. Sei A ∈ B(Rn) beschrankt. Dann finden wireine offene Menge U ⊂ Rn mit A ⊂ U . In diesem Fall gilt

µ(U) = µ(A) + µ(U\A) ≤ λn(A) + λn(U\A) = λn(U)

Da aber µ(U) = λn(U) es muss uberall Gleichheit gelten, d.h.

µ(A) + µ(U\A) = λn(A) + λn(U\A)

Aus µ(A) ≤ λn(A) und µ(U\A) ≤ λn(U\A), erhalten wir µ(A) = λn(A) und µ(U\A) =λn(U\A).

Sei nun A ∈ B(Rn) beliebig (nicht unbedingt beschrankt). Wir setzen Ak = A∩x ∈Rn : |x| < k. Ak ist eine wachsende Folge mit A =

⋃k∈NAk. Deswegen gilt

µ(A) = limk→∞

µ(Ak) = limk→∞

λn(Ak) = λn(A)

weil Ak ∈ B(Rn) fur alle k ∈ N beschrankt ist.

Bemerkung: Analog zeigt man: ist µ Mass auf (Rn,Mλ∗n), mit µ(I) = λn(I) fur allehalb-offenen Quader der Form (16), dann gilt µ(A) = λn(A) fur alle A ∈Mλ∗n .

Translationsinvarianz. Im nachsten Lemma zeigen wir, dass das Lebesgue Masstranslationsinvariant ist.

Lemma 1.34. Das Lebesgue Mass λn auf (Rn,Mλ∗n) ist translationsinvariant. Dasheisst, fur A ∈ Mλ∗n und x ∈ Rn, gilt A + x ∈ Mλ∗n und λn(A + x) = λn(A). Auchdas Lebesgue Mass auf (Rn,B(Rn)) ist translationsinvariant (d.h. fur A ∈ B(Rn) undx ∈ Rn ist A+ x ∈ B(Rn) und λn(A+ x) = λn(A)).

Beweis. Aus der Definition der aussere Mass λ∗n gilt offenbar λ∗n(A + x) = λ∗n(A) furalle A ⊂ Rn und x ∈ Rn. Das impliziert, dass, falls B ⊂ Rn λ∗n-messbar ist, so ist auchB + x λ∗n-messbar, weil, fur beliebiges A ⊂ Rn,

λ∗n(A) = λ∗n(A− x)

= λ∗n((A− x) ∩B) + λ∗n((A− x) ∩Bc)

= λ∗n((A− x) ∩B + x) + λ∗n((A− x) ∩Bc + x)

= λ∗n(A ∩ (B + x)) + λ∗n(A ∩ (B + x)c) .

Aus der Translationsinvarianz von λ∗n folgt dann auch die Invarianz von λn aufMλ∗n . Umdie zweite Aussage vom Lemma zu beweisen, mussen wir noch zeigen, dass A+x ∈ B(Rn)

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fur alle A ∈ B(Rn) und x ∈ Rn. Dazu bemerken wir, dass, fur ein beliebiges x ∈ Rn, dieFamilie

Bx := A ⊂ Rn : A+ x ∈ B(Rn)

eine σ-Algebra ist (Beweis: Ubung), die alle offene Mengen enthalt. Deswegen ist B(Rn) ⊂Bx. Das bedeutet, dass fur jede A ∈ B(Rn) ist A + x ∈ B(Rn), und zeigt die Translati-onsinvarianz von λn, definert auf B(Rn).

Wir zeigen im nachsten Satz, dass die Translationsinvarianz, bis auf einer multipli-kativen Konstante, das Lebesgue Mass auf B(Rn) charakterisiert.

Satz 1.35. Sei µ 6≡ 0 ein Mass auf (Rn;B(Rn)), mit µ(A) < ∞ fur jede beschrankteMenge A ∈ B(Rn), und mit µ(A+x) = µ(A) fur alle A ∈ B(Rn) und alle x ∈ Rn. Dannexistiert eine Konstante c > 0 so, dass µ(A) = c λn(A) fur alle A ∈ B(Rn).

Bemerkung: Die Annahme µ(A+ x) = µ(A) ist sinnvoll, weil A+ x ∈ B(Rn) fur alleA ∈ B(Rn), wie wir im Lemma 1.34 bewiesen haben.

Beweis. Sei C = (x1, . . . , xn) : 0 ≤ xi < 1 fur alle i = 1, . . . , n und c = µ(C). NachAnnahme ist 0 < c <∞, weil C beschrankt ist (ware c = 0, dann wurde µ(R) = 0, weilR als Vereinigung von abzahlbar viele Mengen der Form C + zj , fur geeigneten zj ∈ Rngeschrieben werden kann). Wir definieren dann ν(A) := c−1µ(A) fur alle A ∈ B(Rn).Dann ist ν translationsinvariant und ν(C) = 1. Sei

D = (x1, . . . , xn) ∈ Rn : 2−kji ≤ xi < 2−k(ji + 1) fur i = 1, . . . , n (17)

fur ein k ∈ N und j1, . . . , jn ∈ Z. Dann folgt aus der Translationsinvarianz, dass

2nkν(D) = ν(C) = 1 = λn(C) = 2nkλn(D)

Damit gilt ν(D) = λn(D) fur alle Quadern der Form (17). Aus Satz 1.33, finden wirν(A) = λn(A) fur alle A ∈ B(Rn).

Bemerkung: Mit Satz 1.33 folgt auch: ist µ 6≡ 0 ein Mass auf (Rn,Mλ∗n) mit µ(A +x) = µ(A) fur alle A ∈Mλ∗n , so existiert c > 0 mit µ(A) = cλn(A) fur alle A ∈Mλ∗n .

Die Cantor Menge. Wir nennen eine Lebesgue-messbare Menge A mit λn(A) = 0 eineNullmenge. Aus der Definition von Lebesgue Mass es ist klar, dass jede abzahlbare Mengeeine Nullmenge ist. Eine naturliche Frage ist: existieren uberabzahlbare Nullmengen?Die Antwort ist ja. Ein Beispiel ist die Cantor Menge. Da die Cantor Menge eine Quellevon interessanten Beispiele ist, mochten wir sie hier konstruieren und ihre wichtigstenEigenschaften untersuchen.

Sei K0 = [0; 1]. Wir definieren K1, indem wir von K0 das offene Intervall (1/3; 2/3)entfernen; d.h. K1 = [0; 1/3] ∪ [2/3; 1]. Weiter wir definieren K2 indem wir aus denzwei Intervalle [0; 1/3] und [2/3; 1] das offene mittlere Drittel entfernen; d.h. K2 =[0; 1/9]∪[2/9; 1/3]∪[2/3; 7/9]∪[8/9; 1]. Rekursiv definieren wir, fur beliebigen n ∈ N, dieMenge Kn indem wir von den Intervallen, aus denen Kn−1 besteht, immer das mittlere

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Drittel entfernen. Damit ist Kn die Vereinigung von 2n abgeschlossene Intervalle derLange 3−n. Die Cantor Menge ist dann definiert als

K =⋂n∈N

Kn.

Verschiedene Eigenschaften von der Cantor Menge werden im folgenden Satz gezeigt.

Satz 1.36. Die Cantor Menge K ist kompakt (und deswegen sicher eine Borel Menge).Sie ist gleichmachtig mit R (sie ist also uberabzahlbar), und hat Lebesgue Mass λ(K) = 0.Weiter, K enthalt kein nichtleere offene Menge (d.h. das Inneres von K ist leer).

Beweis. K ist offenbar beschrankt, und abgeschlossen (als Vereinigung von abgeschlos-senen Mengen). K ist also kompakt.

K enthalt kein offenes Intervall; ist namlich I ⊂ K ein offenes Intervall, dann mussinsbesondere I ⊂ Kn sein, fur jede n ∈ N. Da Kn aus 2n disjunkten abgeschlossenenIntervalle der Lange 3−n besteht, das impliziert, dass die Lange von I kleiner als 3−n

ist. Da n ∈ N beliebig ist, die Lange von I muss Null sein, und also I = ∅.

Es folgt, dass K keine nichtleere offene Menge enthalt (ist A ⊂ I offen, und x ∈ A,dann es gibt ein offenes Intervall I mit x ∈ I und I ⊂ A ⊂ K; wir wissen aber, dass Kkein offenes Intervall enthalt).

Wir zeigen nun, dass das Lebesgue Mass von K Null ist. Kn ist die Vereinigungvon 2n Intervalle der Lange 3−n. Aus der Additivitat von λ (und weil das Mass einesIntervall immer seine Lange ist), finden wir λ(Kn) = (2/3)n. Aus der Monotonie vomLebesgue Mass finden wir

λ(K) ≤ λ(Kn) = (2/3)n

Da n ∈ N beliebig ist, muss λ(K) = 0 gelten.

Schlussendlich zeigen wir, dass K gleichmachtig mit R ist. Wir definieren dazu eineBijektion J zwischen K und der Menge X aller Folgen (σj)j∈N mit σj ∈ 0, 1. DieMenge X ist mit [0; 1) und damit auch mit R gleichmachtig; das kann zum Beispielgezeigt werden, indem man die Binardarstellung von reellen Zahlen betrachtet, d.h. dieAbbildung X → [0, 1) definiert durch

(σj)j∈N →∞∑j=0

σj2−(j+1)

(besser gesagt, um eine injaktive Abbildung zu konstruieren, muss man die Folgen in Xmit σj = 1 fur alle j > j0 vernachlassigen; die Menge dieser Folge hat aber abzahlbareKardinalitat).

Wir definieren die Abbildung J : K → X wie folgt. Fur x ∈ K, muss x ∈ Kn fur allen sein. Fur n = 1, die Tatsache x ∈ K1 bedeutet, dass x in einem von zwei Intervallenist, [0; 1/3] oder [2/3; 1]. Wir setzen σ1(x) = 0, falls x ∈ [0; 1/3] und σ1(x) = 1, fallsx ∈ [2/3; 1]. Fur n = 2, x kann in einem von vier Intervallen sein. Ist x ∈ [0; 1/3] sokann x ∈ [0; 1/9] oder x ∈ [2/9; 1/3] sein. Ist dagegen x ∈ [2/3; 1], so kann x entwederin [2/3; 7/9] oder in [8/9; 1] sein. Wir definieren σ2(x) = 0, falls x ∈ [0; 1/9] oder x ∈

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[2/3; 7/9] (d.h. falls x in dem linken Drittel von einem Intervall von K1 ist). Wir setztendagegen σ2(x) = 1 falls x ∈ [2/9; 1/3] oder falls x ∈ [8/9; 1] (d.h. falls x im rechtenDrittel von einem Intervall von K2 ist). Wir definieren rekursiv σn(x) fur alle n ∈ N,indem wir setzen σn(x) = 0, falls x im linken Drittel von einem Intervall in Kn−1 ist,und σn(x) = 1, falls x im rechten Drittel von einerm Intervall in Kn−1 ist. Das definiertσ(x) = (σn(x))n∈N ∈ X fur alle x ∈ K. Die Abbildung J(x) = (σn(x))n∈N definiert eineBijektion zwischen K und X. Die Injaktivitat von J kann wie folgt gezeigt werden. Istσn(x) = σn(y) fur alle n ∈ N, so mussen x, y im selben Intervall von Kn sein, fur allen ∈ N. Da Intervalle in Kn die Lange 3−n haben, muss |x−y| ≤ 3−n sein, fur alle n ∈ N.Das zeigt, dass x = y. Um die Surjektivitat zu beweisen, bemerken wir, dass J invertiertwerden kann, indem wir L : X → K durch

(σj)j∈N → x :=

∞∑j=1

σj(2/3)j

definieren.

Existenz von nicht messbare Mengen. Die Tatsache, dass Mλ∗n 6= P (Rn) folgt ausSatz 1.1, wo wir gezeigt haben, es existiert keine σ-additive und translationsinvarianteAbbildung µ : P (Rn) → [0;∞], mit µ([0; `]×n) = `n fur alle ` > 0. Ware nun Mλ∗n =P (Rn), dann wurde das Lebesgue Mass genau diese Eigenschaften haben; das wurdealso die Aussage von Satz 1.1 widersprechen.

Aus dem Beweis von Satz 1.1 es ist auch einfach eine Menge zu konstruieren, dienicht inMλ∗n enthalten ist. Sei A = [0; 1]×n. Auf A definieren wir die Aquivalenzrelationx ∼ y falls x − y ∈ Qn. Sei nun M0 ⊂ A eine Teilmenge von [0; 1]×n, die aus jederAquivalenzklasse genau ein Element enthalt. Dann folgt, wie im Beweis von Satz 1.1,dass M0 ⊂ [0; 1]×n nicht Lebesgue messbar ist.

Zur Konstruktion von M0 haben wir das Auswahlaxiom benutzt. Es wurde eigentlichin den sechsziger Jahre gezeigt, dass das Auswahlaxiom notwendig ist, um die Existenzvon nicht-Lebesgue messbare Menge zu zeigen. Ohne Auswahlaxiom kann man also dieAussage Mλ∗n = P (Rn) nicht widersprechen.

Man kann ein Schritt weiter gehen, und eine Teilmenge A von Rn konstruieren, so,dass jede messbare Teilmenge von A und jede messbare Teilmenge von Ac Mass Nullhat (erinnere aus Satz 1.24, dass jede Menge mit Lebesgue aussere Mass gleich NullLebesgue messbar ist; es ist deswegen immer moglich messbare Teilmengen zu finden,die Mass Null haben). Um solche Teilmengen zu konstruieren, brauchen wir die folgendeProposition. Der Einfachheit halber, betrachten wir nur den eindimensionalen Fall n = 1.

Proposition 1.37. Sei A ⊂ R Lebesgue messbar, mit λ(A) > 0. Dann enthalt dieMenge

diff(A) := x− y : x ∈ A und y ∈ A

ein offenes Intervall um Null.

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Beweis. Aus der Regularitat von Lebesgue Mass, es existiert eine kompakte MengeK ⊂ A mit λ(K) > 0. Da diff(K) ⊂ diff(A), es genug zu zeigen, dass diff(K) einoffenes Intervall um Null enthalt. Wir bemerken, dass x ∈ diff (K) genau dann wennK ∩ (K + x) 6= ∅.

Wieder wegen Regularitat von λ, es existiert eine offene Menge U mit K ⊂ U undλ(U) < 2λ(K). Es gilt

ε = inf|z − y| : z ∈ K und y ∈ U c > 0

Das kann wie folgt gezeigt werden. Nehme an ε = 0. Dann gibt es Folgen zn in K undyn in U c mit |zn − yn| → 0. Da K kompakt, es existiert eine Teilfolge nj und ein z ∈ Kmit znj → z. Dann muss |z − ynj | → 0, fur j → ∞. Das bedeutet, dass ynj → z furj → ∞. Da aber ynj eine Folge in U c ist, und U c abgeschlossen ist, muss auch z ∈ U c.Das bedeutet, dass z ∈ K ∩ U c, was unmoglich ist, weil K ⊂ U .

Sei nun x ∈ (−ε; ε). Dann ist K + x ⊂ U . Wir behaupten, dass K ∩ (K + x) 6= ∅.Ware namlich K ∩ (K + x) = ∅, so ware

2λ(K) = λ(K) + λ(K + x) = λ(K ∪ (K + x)) ≤ λ(U)

in Widerspruch zur Wahl λ(U) < 2λ(K). Damit ist (K + x)∩K 6= ∅, und x ∈ diff (K).Wir haben gezeigt, dass (−ε; ε) ⊂ diff(K).

Wir konnen nun, mit Hilfe von Proposition 1.37 eine Menge A konstruieren, so, dassalle messbare Teilmengen von A und alle messbare Teilmenge von Ac Mass Null haben.Man bemerke, dass A nicht messbar ist (sonst ware auch Ac messbar, und A und Ac

mussten beide Mass Null haben; dann ware λ(R) = λ(A) + λ(Ac) = 0).

Satz 1.38. Es existiert ein Menge A ⊂ R, mit der Eigenschaft, dass λ(B) = 0 fur jedeLebesgue messbare B ⊂ A und jede Lebesgue messbare B ⊂ Ac.

Beweis. Wir definieren die Mengen

G := x ∈ R : x = r + n√

2, fur r ∈ Q und n ∈ ZG0 := x ∈ R : x = r + 2n

√2, fur r ∈ Q und n ∈ Z

G1 := x ∈ R : x = r + (2n+ 1)√

2, fur r ∈ Q und n ∈ Z

Es gilt: G0, G1, G sind dicht in R. G0, G1 sind disjunkt, G1 = G0+√

2, und G = G0∪G1.Auf R definieren wir eine Aquivalenzrelation ∼ durch: x ∼ y genau dann wenn x−y ∈ G.Mit dem Auswahlaxiom, definieren wir eine Menge E ⊂ R die genau ein Element ausjeder Aquivalenzklasse enthalt. Wir setzen A = E +G0.

Wir behaupten, es existiert keine Lebesgue messbare Teilmenge B ⊂ A mit λ(B) > 0.Sei namlich B eine solche Menge. Aus Proposition 1.37 existiert ein ε > 0 mit (−ε; ε) ⊂diff B ⊂ diff (A). Da G1 dicht in R ist, es gilt G1 ∩ diff(A) 6= ∅. D.h. es existierene1, e2 ∈ E, g0,1, g0,2 ∈ G0 und g1 ∈ G1 mit e1 − e2 + g0,1 − g0,2 = g1. Dann ist g0 =g0,1 − g0,2 ∈ G0 und g1 − g0 ∈ G1 ⊂ G. Damit ist e1 − e2 ∈ G, und e1 ∼ e2. Das heisst,dass e1 = e2, weil E nur ein Element aus jeder Aquivalenzklasse enthalt. Das impliziert

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aber, dass g0 = g1, was unmoglich ist, weil G0 ∩G1 = ∅. Das zeigt, dass jede Lebesguemessbare Teilmenge B ⊂ A eine Nullmenge ist.

Wir behaupten nun, dass Ac = E +G1 = A+√

2. Um diese Behauptung zu zeigen,bemerken wir, dass E + G = R. Da A = E + G0 und G = G0 ∪ G1, gilt Ac ⊂ E + G1.Sei nun x ∈ E + G0 ∩ E + G1. Dann gibt es e1, e2 ∈ E, g0 ∈ G0 und g1 ∈ G1 mite1 + g0 = e2 + g1. Das impliziert, dass e1 − e2 = g1 − g0 ∈ G, und also, dass e1 = e2.Damit muss auch g1 = g0, in Widerspruch zu G0∩G1 = ∅. Das zeigt, dass Ac = E+G1 =A+√

2. Ist B ⊂ Ac Lebesgue messbar, dann ist (aus der Translationsinvarianz vonMλ∗)B−√

2 ⊂ A auch messbar. Deswegen muss λ(B−√

2) = 0, und also auch λ(B) = 0.

Vollstandigkeit. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Das Mass µ heisst vollstandig, falls

A ∈ A, µ(A) = 0 und B ⊂ A ⇒ B ∈ A und µ(B) = 0

Ist B ∈ A, so folgt offenbar aus der Monotonie, dass µ(B) = 0. Vollstandigkeit ist alsodie Aussage, dass jede Teilmenge einer Nullmenge in der σ-Algebra enthalten ist (so,dass sein Mass berechnet werden kann).

Sei Ω eine Menge, und µ∗ : P (Ω)→ [0;∞] ein ausseres Mass auf Ω. Wir bezeichnenmit Mµ∗ die σ-Algebra der µ∗-messbare Mengen, und mit µ die Einschrankung von µ∗

auf Mµ∗ ; wir wissen µ ist ein Mass auf Mµ∗ . Wir haben in Satz 1.24 bewiesen, dassµ∗(A) = 0 impliziert, dass A ∈ Mµ∗ . Ist also A ∈ Mµ∗ mit µ(A) = 0 und B ⊂ A,so gilt, aus der Monotonie des ausseren Mass µ∗, µ∗(B) = 0. Deswegen ist B ∈ Mµ∗

messbar, mit µ(B) = 0. Mit andere Worter: µ, definiert auf der σ-AlgebraMµ∗ ist sichervollstandig. Zum Beispiel ist das n-dimensionale Lebesgue Mass λn, definiert auf der σ-AlgebraMλ∗n der Lebesgue messbare Mengen vollstandig. Wir werden spater sehen, dassdas Lebesgue Mass, definiert auf der Borel σ-Algebra B(Rn), dagegen nicht vollstandigist.

Vollstandigkeit eines Masses kann manchmal nutzlich sein. Es gibt ein einfachesVerfahren, um ein nicht notwendigerweise vollstandiges Massraum zu vervollstandigen.Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Die Vervollstandigung von A bezuglich dem Mass µ ist dieFamilie Aµ ⊂ P (Ω) die aus allen Teilmengen A ⊂ Ω besteht, fur die E,F ∈ A existieren,mit E ⊂ A ⊂ F und µ(F\E) = 0. Bemerke, dass A ⊂ Aµ (ist A ∈ A, dann konnen wireinfach E = F = A wahlen).

Existieren E,F ∈ A mit µ(F\E) = 0 so muss offenbar µ(F ) = µ(E) gelten (weilµ(F\E) = µ(F )−µ(E), falls µ(E) <∞; ist dagegen µ(E) =∞, so muss auch µ(F ) =∞sein). Ist B ⊂ A und B ∈ A, so gilt

µ(B) ≤ µ(F ) = µ(E)

Es folgt, dassµ(F ) = µ(E) = supµ(B) : B ⊂ A, B ∈ A

wobei die rechte Seite nun unabhangig aus der besondere Wahl von E,F ∈ A, mit E ⊂A ⊂ F ist. Also, fur A ∈ Aµ, konnen wir µ(A) := µ(E) = µ(F ) fur eine beliebige Wahlvon E,F ∈ A, mit E ⊂ A ⊂ F und µ(F\E) = 0. Wir nennen µ die Vervollstandigungvon µ.

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Satz 1.39. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Dann ist Aµ eine σ-Algebra auf Ω, und µ einvollstandiges Mass auf Aµ, dessen Einschrankung auf A gleich µ ist.

Beweis. Da A ⊂ Aµ ist offenbar Ω ∈ Aµ. Ist A ∈ Aµ, so finden wir E,F ∈ A mitE ⊂ A ⊂ F und µ(F\E) = 0. Dann sind Ec, F c ∈ A, mit F c ⊂ Ac ⊂ Ec, undµ(Ec\F c) = µ(F\E) = 0. Damit ist auch Ac ∈ Aµ. Sei nun Ann∈N eine Folge ausAµ. Fur alle n ∈ N finden wir dann En, Fn ∈ A mit En ⊂ An ⊂ Fn und µ(Fn\En) = 0.Dann sind E =

⋃n∈NEn und F =

⋃n∈N Fn in A, mit E ⊂

⋃n∈NAn ⊂ F und

µ(F\E) = µ

(⋃n∈N

Fn\⋃n∈N

En

)≤ µ

(⋃n∈N

(Fn\En)

)≤∑n∈N

µ(Fn\En) = 0

weil ⋃n∈N

Fn\⋃n∈N

En ⊂⋃n∈N

(Fn\En) .

Deswegen ist⋃n∈NAn ∈ Aµ. Das zeigt, dass Aµ eine σ-Algebra ist.

Wir zeigen nun die σ-Additivitat von µ. Sei Ann∈N eine Folge von disjunkten Men-gen in Aµ. Fur alle n ∈ N finden wir En, Fn ∈ A mit En ⊂ An ⊂ Fn und µ(Fn\En) = 0;es gilt dann µ(An) = µ(En). Wir bemerken auch, dass die Mengen En paarweis disjunktsind. Sei E =

⋃n∈NEn, und F =

⋃n∈N Fn. Es gilt E,F ∈ A, mit E ⊂

⋃n∈NAn ⊂ F

und µ(F\E) = 0. Deswegen gilt

µ

(⋃n∈N

An

)= µ(E) = µ

(⋃n∈N

En

)=∑n∈N

µ(En) =∑n∈N

µ(An)

wobei wir die σ-Additivitat von µ benutzt haben sowie die Tatsache, dass die MengenEn paarweise disjunkt sind.

Schlussendlich zeigen wir, dass µ, definiert auf Aµ vollstandig ist. Sei A ∈ Aµ mitµ(A) = 0, und B ⊂ A. Dann es existieren E,F ∈ A mit E ⊂ A ⊂ F und µ(F\E) = 0.Es gilt µ(F ) = µ(E) = µ(A) = 0. Fur B finden wir also ∅, F ∈ A, mit ∅ ⊂ B ⊂ F undµ(F\∅) = µ(F ) = 0. Deswegen ist B ∈ Aµ, und µ(B) = 0.

Die Tatsache, dass µ(A) = µ(A) fur alle A ∈ A ist klar (in diesem Fall konnen wirE = F = A wahlen).

Bemerkung: ist (Ω,A, µ) vollstandig, dann gilt Aµ = A und µ = µ. In der Tat:A ∈ Aµ impliziert, dass es E,F ∈ A existieren, mit E ⊂ A ⊂ F und µ(F\E) = 0.Dann ist aber A\E ⊂ F\E; ist µ vollstandig, dann folgt A\E ∈ A, als Teilmenge derNullmenge F\E. Dann ist auch A = E ∪ (A\E) ∈ A. Damit gilt Aµ = A, falls|muvollstandig.

Ein wichtiges Beispiel ist im folgenden Satz behandelt.

Satz 1.40. Das Lebesgue Mass λn auf der σ-AlgebraMλ∗n ist die Vervollstandigung vonLebesgue Mass λn auf der Borel σ-Algebra.

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Beweis. Seien B die Borel σ-Algebra auf Rn und λb das Lebesgue Mass auf B, M dieσ-Algebra der Lebesgue messbare Mengen und λm Lebesgue Mass auf M, und, schlus-sendlich, Bλb die Vervollstandigung von B bezuglich λb und λb die Vervollstandigungvon λb.

Wir zeigen zunachst, dass M ⊂ Bλb . Sei namlich A ∈ M messbar. Wir nehmenzunachst an λm(A) < ∞. Aus der Regularitat von Lebesgue Mass, finden wir fur allek ∈ N eine kompakte Menge Kk ⊂ A und eine offene Menge Uk ⊃ A, mit λb(Kk) ≥λm(A)− 1/k und λb(Uk) ≤ λm(A) + 1/k. Offenbar sind Kk, Uk ∈ B(Rn) fur alle k ∈ N.Wir setzen E =

⋃k∈NKk und F =

⋂k∈N Uk. Es gilt E,F ∈ B(Rn) mit E ⊂ A ⊂ F und

λb(F\E) ≤ λb(Uk\Kk) = λm(Uk\Kk) ≤ λm(Uk\A) + λm(A\Kk) ≤ 2/k

fur alle k ∈ N (wir haben hier die Tatsache benutzt, dass die Einschrankung von λmauf B gerade λb ist). Deswegen muss λb(F\E) = 0, und A ∈ Bλb . Weiter ist λb(A) =λb(E) = λb(F ) = λm(E) = λm(F ) = λm(A) (weil E ⊂ A ⊂ F , und E,A, F ∈M).

Ist A ∈ M, moglicherkweise mit λn(A) = ∞, so finden wir eine wachsende Folgevon Mengen Ak ∈ M mit A =

⋃k∈NAk und so, dass λm(Ak) < ∞ fur alle k ∈ N.

Fur jede k finden wir Ek, Fk ∈ B mit Ek ⊂ Ak ⊂ Fk und λb(Fk\Ek) = 0. Dannsetzen wir einfach E =

⋃k∈NEk und F =

⋃k∈N Fk. Es gilt E,F ∈ B, E ⊂ A ⊂ F

und λb(F\E) = 0. Das impliziert, dass A ∈ Bλb , mit λb(A) = λb(E). Es folgt auch,dass λm(F\E) = 0 und damit, dass λm(F ) = λm(E). Da E ⊂ A ⊂ F , es folgt, dassλm(A) = λm(E) = λb(E) = λb(A).

Wir haben bis jetzt gezeigt, dass M ⊂ Bλb , und, dass die Einschrankung von λbauf M gerade λm ist. Es bleibt zu zeigen, dass Bλb ⊂ M. Sei also A ∈ Bλb . Dann esexistieren E,F ∈ B mit E ⊂ A ⊂ F und λb(F\E) = 0. Dann gilt auch F\E ∈ Mund λm(F\E) = 0. Dann ist aber A\E ⊂ F\E, und da λm auf M vollstandig ist, mussA\E ∈M sein. Deswegen ist auch A = E ∪ (A\E) ∈M.

Bemerkung: Wir haben noch nicht gezeigt, dass Lebesgue Mass auf B(Rn) nichtvollstandig ist. Es konnte in Prinzip Mλ∗n = B(Rn) gelten; das waere nicht in Wider-spruch mit dem letzten Satz. Wir werden aber in nachsten Kapitel zeigen (mit Hilfe desAuswahlaxiom), dass tatsachlich B(Rn) 6= Mλ∗n . Damit ist klar, dass (Rn,B(Rn), λn)nicht vollstandig ist.

Bemerkung: Obwohl manchmal die Vollstandigkeit eines Masses nutzlich ist, es gibtauch Nachteile, wenn wir ein Mass durch seine Vervollstandigung ersetzen. Zum Beispielkann die σ-Algebra Aµ viel komplizierter sein als die ursprungliche σ-Algebra A (dasist zum Beispiel der Fall fur die Borel σ-Algebra, vergliechen mit der VervollstandigungMλ∗n). Ein anderer Nachteil: wenn man mit zwei verschiedene Masse µ, ν auf A zu tunhaben, dann sind normalerweise die Vervollstandigungen Aµ und Aν nicht die selbe σ-Algebra; dann ist schwierig µ und ν zu vergleichen. Es ist deswegen immer besser, wannmoglich, Theoremen zu beweisen, ohne Vollstandigkeit anzunehmen.

2 Integrationstheorie

Wir kommen nun in diesem zweiten Kapitel zur Konstruktion vom Integral.

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2.1 Messbare Funktionen

Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, und A ∈ A eine Teilmenge von Ω, die in der σ-AlgebraA enthalten ist. Wir betrachten reelwertige Funktionen, definiert auf A. Unsere Zielist das Integral von solchen Funktionen zu definieren. Hier fuhren wir den Begriff vonMessbarkeit von Funktionen ein, der dann wichtig sein wird, um das Integral zu defi-nieren. Es lohnt sich, Funktionen mit Werten in [−∞;∞] zu betrachten (d.h. es lohntsich die Werten ±∞ zu erlauben); das wird namlich nutzlich sein, um die Messbarkeitund dann die Integrierbarkeit von Grenzwerten von Funktionenfolge zu untersuchen (einwichtiger Grund, um das Lebesgue Integral einzufuhren ist genau die Tatsache, dass essich besser bezuglich Vertauschung von Limes und Integrale benimmt, vergliechen mitdem Riemann Integral).

Um den Begriff von messbaren Funktionen auf einem messbaren Raum einzufuhren,brauchen wir den folgenden Satz.

Satz 2.1. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, und f : A → [−∞; +∞]. Diefolgenden Bedingungen sind dann aquivalent:

a) Fur alle t ∈ R gilt x ∈ A : f(x) ≤ t ∈ A.

b) Fur alle t ∈ R gilt x ∈ A : f(x) < t ∈ A.

c) Fur alle t ∈ R gilt x ∈ A : f(x) ≥ t ∈ A.

d) Fur alle t ∈ R gilt x ∈ A : f(x) > t ∈ A.

Beweis. a) ⇒ b): wir bemerken, dass

x ∈ A : f(x) < t =⋃n∈Nx ∈ A : f(x) ≤ t− 1/n

Wenn wir a) annehmen, dann ist jede Menge auf der rechten Seite in A. Damit ist auchdie linke Seite, als abzahlbar Durchschnitt von Mengen in A in A enthalten. Das zeigtb)

b) ⇒ c): wir bemerken einfach, dass

x ∈ A : f(x) ≥ t = A\x ∈ A : f(x) < t

Wenn wir b) annehmen, dann ist A\x ∈ A : f(x) < t ∈ A. Damit ist auch die linkeSeite in A enthalten.

c) ⇒ d): ahnlich wie a) ⇒ b).

d) ⇒ a): ahnlich wie b) ⇒ c).

Definition 2.2. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A. Eine Funktion f : A →[−∞; +∞] heisst messbar (bezuglich der σ-Algebra A), wenn eine der Bedingungen a),b), c), d) in Satz 2.1 erfullt ist (dann sind alle vier Bedingungen erfullt).

Ist Ω = Rn und A = B(Rn), so heisst jede A-messbare Funktion Borel messbar odereinfach eine Borel Funktion. Ist Ω = Rn und A = Mλ∗n, so heisst jede A-messbare

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Funktion Lebesgue messbar. Da B(Rn) ⊂ Mλ∗n ist jede Borel Funktion auch Lebesguemessbar.

Bemerke, dass die Messbarkeit einer Funktion nur mit der σ-Algebra zu tun hat. DasMass spielt hier keine Rolle.

Beispiele: wir diskutieren ein Paar Beispiele von messbaren Funktionen.

i) Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A und f : A → [−∞;∞] messbar. Sei nunB ⊂ A. Dann ist die Einschrankung fB von f auf B genau dann messbar, fallsB ∈ A.

ii) Sei f : Rn → R stetig. Dann ist x ∈ Rn : f(x) < t = f−1((−∞; t)) offen, fur allet ∈ R. Deswegen ist x ∈ Rn : f(x) < t ∈ B(Rn) fur alle t ∈ R. Also: jede stetigeFunktion auf Rn ist Borel messbar.

iii) Sei I ⊂ R ein Intervall und f : I → R monoton steigend. Dann ist x ∈ I : f(x) <t entweder leer oder ein Intervall, enthalten in I. Damit ist x ∈ I : f(x) < t ∈B(R), und f eine Borel Funktion. Analog ist jede monoton fallende Funktion Borelmessbar.

iv) Sei f : R → R durch f(x) = 1, falls x ∈ Q, und f(x) = 0 fur x ∈ R\Q definiert.Dann ist

x ∈ R : f(x) > t =

R, falls t < 0Q, falls t ∈ [0; 1)∅, falls t ≥ 1

Damit ist x ∈ R : f(x) > t ∈ B(R) fur alle t ∈ R, und f ist Borel messbar.

v) Das Beispiel iv) ist ein Beispiel einer charakteristische Funktion. Sei (Ω,A) einmessbarer Raum, und A ⊂ Ω. Die Funktion χA, definiert auf Ω durch χA(x) = 1,fur x ∈ A, und χA(x) = 0 fur x 6∈ A, ist die charakteristische Funktion von A. Esgilt χA ist A-messbar g.d.w. A ∈ A.

Messbarkeit einfache Funktionen. Eine wichtige Verallgemeinerung von charakteristi-sche Funktionen sind so genannte einfache Funktionen. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum,Eine Funktion f : Ω → [−∞;∞] heisst einfach, wenn sie nur endlich viele Werten an-nimmt. Sind α1, . . . , αk die Werten von der einfachen Funktion f , dann ist f genaudann A-messbar, falls x ∈ Ω : f(x) = αj ∈ A fur alle j = 1, . . . , k. Beispiele voneinfache Funktionen sind Treppenfunktionen auf R. Wir werden einfache Funktionenzur Definition des Integrals benutzen. Wichtig dabei ist, dass man messbare Funktionendurch einfache Funktionen approximieren kann.

Proposition 2.3. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, und f : A→ [0;∞] messbar.Dann es existiert eine Folge fjj∈N so, dass fj : A → [0;∞) eine einfache messbareFunktion ist, fur alle j ∈ N,

f1(x) ≤ f2(x) ≤ . . . (18)

und f(x) = limn→∞ fn(x) fur alle x ∈ A.

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Bemerkung: Ist f : A→ [−∞;∞] messbar und nicht notwendigerweise nicht-negativ,so konnen wir f = f+ − f− zerlegen, mit f+ = max(f, 0) und f− = −min(f, 0). Wirwerden unten zeigen (in Lemma 2.5), dass f+, f− : A→ [0;∞] immer messbar sind, fallsf messbar ist. Anwendung von Proposition 2.3 an f+, f− liefert eine Folge fnn∈N vonmessbare einfache Funktionen auf A (mit Werten in R), so, dass f(x) = limn fn(x) furalle x ∈ A (aber hier geht die Monotonie (18) verloren).

Beweis. Fur alle n ∈ N und k = 1, . . . , n2n sei

An,k =

x ∈ A :

(k − 1)

2n≤ f(x) <

k

2n

Da f messbar, ist An,k ∈ A. Fur n ∈ N beliebig, definieren wir fn(x) := (k − 1)2−n

fur alle x ∈ An,k und fur alle k = 1, . . . , n2n. Wir setzen weiter fn(x) := n falls x ∈A\[⋃n2n

k=1An,k

](d.h. falls f(x) ≥ n). Das definiert fn auf A. fn ist offenbar einfach

und, nach Konstruktion, messbar fur alle n ∈ N. Wenn wir nun n grosser wahlen, dannist die neue Partition definiert durch die Mengen An+1,k, k = 1, . . . , (n + 1)2n+1 eineVerfeinerung von die Partition definiert durch An,k. Deswegen ist fn+1(x) ≥ fn(x) fur

alle x ∈ A. Ist nun x ∈ A mit f(x) < ∞, so ist x ∈⋃n2n

k=1An,k fur alle n gross genug(n > f(x)). Dann ist aber, nach Definition, |f(x)− fn(x)| ≤ 2−n fur alle n gross genug,und deswegen limn→∞ fn(x) = f(x). Ist f(x) = ∞, dann gilt fn(x) = n fur alle n ∈ N;also, auch in diesem Fall, gilt limn→∞ fn(x) = f(x).

Eigenschaften messbaren Funktionen. Wir beginnen mit einem Satz, der spater nutz-lich sein wird.

Satz 2.4. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, f, g : A→ [−∞;∞] messbar bezuglichA. Dann gilt

x ∈ A : f(x) < g(x), x ∈ A, f(x) ≤ g(x), x ∈ A, f(x) = g(x) ∈ A .

Beweis. Wir bemerken, dass

x ∈ A : f(x) < g(x) =⋃r∈Qx ∈ A : f(x) < r ∩ x ∈ A : g(x) > r

Damit ist x ∈ A : f(x) < g(x), als abzahlbare Vereinigung von Mengen in A wiederin A. Analog ist x ∈ A : f(x) > g(x) ∈ A (man ersetzt einfach f und g). Deswegenist auch

A\x ∈ A : f(x) > g(x) = x ∈ A : f(x) ≤ g(x) ∈ A

und

x ∈ A : f(x) = g(x) = x ∈ A : f(x) ≤ g(x)\x ∈ A : f(x) < g(x) ∈ A

Das Maximum un das Minimum von zwei messbaren Funktionen ist wieder messbar.

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Lemma 2.5. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, und f, g : A→ [−∞;∞] messbarbezuglich A. Dann sind auch max(f, g),min(f, g) : A→ [−∞;∞], definiert durch

max(f, g)(x) :=

f(x) falls f(x) ≥ g(x)g(x) falls g(x) ≥ f(x)

und

min(f, g)(x) :=

g(x) falls f(x) ≥ g(x)f(x) falls g(x) ≥ f(x)

messbar bezuglich A.

Bemerkung: es folgt aus diesem Lemma, dass der positive Teil f+ = max(0, f) undder negative Teil f− = −min(f, 0) einer messbare Funktion messbar sind.

Beweis. Wir bemerken, dass, fur alle t ∈ R,

x ∈ A : max(f, g)(x) ≤ t = x ∈ A : f(x) ≤ t ∩ x ∈ A : g(x) ≤ t ∈ A

weil f, g messbar sind. Analog gilt

x ∈ A : min(f, g)(x) ≥ t = x ∈ A : f(x) ≥ t ∩ x ∈ A : g(x) ≥ t ∈ A

fur alle t ∈ R.

Nun betrachten wir Folgen fnn∈N von messbaren Funktionen, definiert auf einergemeinsamen menge A, mit Werten in [−∞;∞]. Wir konnen dann auf A die Funktionensupn fn, infn fn, lim supn→∞ fn, lim infn→∞ fn definieren (Erinnerung aus Analysis 1: je-de Folge auf [−∞;∞] besitzt ein Limes Inferior und ein Limes Superior).

Satz 2.6. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A. Sei fn : A → [−∞;∞] eine Folgevon messbaren Funktionen. Dann:

i) supn fn, infn fn : A→ [−∞;∞] sind messbar.

ii) lim infn→∞ fn, lim supn→∞ fn : A→ [−∞;∞] sind messbar.

iii) Sei B = x ∈ A : lim infn→∞ fn(x) = lim supn→∞ fn(x). Dann ist B ∈ A, unddie Funktion limn fn : B → [−∞;∞] ist messbar.

Beweis. Wir beginnen mit i). Wir bemerken, dass

x ∈ A : supnfn(x) ≤ t =

⋂n∈Nx ∈ A : fn(x) ≤ t ∈ A

als abzahlbare Durchschnitt von Mengen in A. Deshalb ist supn fn messbar. Analogzeigt man, dass infn fn messbar ist. Um ii) zu zeigen, bemerken wir, dass

x ∈ A : lim supn→∞

fn(x) ≥ t =⋂n∈N

⋃k≥nx ∈ A : fk(x) ≥ t

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Damit ist x ∈ A : lim supn→∞ fn(x) ≥ t ∈ A fur alle t ∈ R, und lim supn→∞ fn istmessbar. Analog kann man zeigen, dass lim infn→∞ fn messbar ist. Um iii) zu beweisen,benutzen wir Satz 2.4. Er impliziert, dass

B = x ∈ A : lim infn→∞

fn(x) = lim supn→∞

fn(x) ∈ A

Die Messbarkeit von limn→∞ fn folgt dann, weil

x ∈ B : limn→∞

fn(x) < t = B ∩ x ∈ A : lim infn→∞

fn(x) < t ∈ A

fur alle t ∈ R.

Wir zeigen nun, dass Summe und Produkte von messbare Funktionen wieder messbarsind. Wir betrachten hier Funktionen mit Werten in R, um Operationen wie ∞−∞,0 · ∞, oder ∞/∞ zu vermeiden.

Satz 2.7. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, f, g : A → R messbar bezuglich Aund α ∈ R. Dann sind αf , f + g, f − g, f · g, f/g (definiert auf x ∈ A : g(x) 6= 0)messbar.

Beweis. Fur α = 0 ist αf = 0 messbar. Fur α > 0 gilt

x ∈ A : αf(x) ≤ t = x ∈ A : f(x) ≤ t/α ∈ A

fur alle t ∈ R. Analog kann man den Fall α < 0 betrachten. Um zu zeigen, dass f + gmessbar ist, bemerken wir, dass (f + g)(x) < t genau dann wenn es r ∈ Q mit f(x) < rund g(x) < t− r existiert. Wir erhalten

x ∈ A : f(x) + g(x) < t =⋃r∈Qx ∈ A : f(x) < r ∩ x ∈ A : g(x) < t− r ∈ A

fur alle t ∈ R. Das zeigt, dass f + g messbar ist. f − g = f + (−1)g ist damit auchmessbar.

Wir beweisen nun, dass f ·g messbar ist. Dazu zeigen wir, dass, falls h : A→ [−∞;∞]messbar ist, dann ist auch h2 : A→ [0;∞] messbar. Das folgt, weil

x ∈ A : h2(x) ≤ t = x ∈ A : h(x) ≤√t ∩ x ∈ A : h(x) ≥ −

√t ∈ A

fur alle t ≥ 0, und x ∈ A : h2(x) ≤ t = ∅, falls t < 0. Die Messbarkeit von fg folgtnun aus der Bemerkung, dass

fg =1

2

[(f + g)2 − f2 − g2

].

Schlussendlich, zeigen wir, dass f/g messbar ist. Sei A0 = x ∈ A : g(x) 6= 0.Satz 2.4 impliziert, dass A0 ∈ A. Fur alle t ∈ R haben wir

x ∈ A : f(x)/g(x) < t = [x ∈ A : g(x) > 0 ∩ x ∈ A : f(x) < tg(x)]∪∪ [x ∈ A : g(x) < 0 ∩ x ∈ A : f(x) > tg(x)]

Damit ist x ∈ A : f(x)/g(x) < t ∈ A aus Satz 2.4.

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Bemerkung: Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A und f, g : A → [0;∞] (hiererlauben wir f, g den Wert +∞ anzunehmen; wir verlangen aber, dass sie positiv sind).Dann sind, fur α > 0, αf, f + g : A→ [0 +∞] messbar. Der Beweis ist wie in Satz 2.7.

Bemerkung: Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, und f : A→ [−∞;∞]. Wir wis-sen schon, dass der positive Teil f+ = max(f, 0) und der negative Teil f− = −min(f, 0)von f messbar sind. Aus Satz 2.7 folgt, dass auch |f | = f+ + f− messbar ist.

Messbarkeit Funktionen mit Werten in messbaren Raum. Die folgende Propositionerlaubt uns den Begriff von Messbarkeit auf Funktionen mit Werten in einem beliebigenmessbaren Raum zu verallgemeinern (umgekehrt, sie erklart warum Messbarkeit vonreellwertige Funktionen so definiert wird, wie wir sie oben definiert haben).

Proposition 2.8. Sei (Ω,A) ein messbarer Raum, A ∈ A, und f : A→ R. Die folgen-den Bedingungen sind aquivalent.

i) f ist messbar bezuglich A.

ii) f−1(U) ∈ A fur alle U ⊂ R offen.

iii) f−1(C) ∈ A fur alle C ⊂ R abgeschlossen.

iv) f−1(B) ∈ A fur alle B ∈ B(R).

Beweis. Wir setzen F = B ⊂ R : f−1(B) ∈ A. Wir haben f−1(R) = A ∈ A, d.h.R ∈ F . Ist B ∈ F so gilt f−1(B) ∈ A. Deswegen ist auch f−1(Bc) = A\f−1(B) ∈ Aund Bc ∈ F . Sei nun Bnn∈N eine Folge in F . Dann gilt f−1(Bn) ∈ A fur alle n ∈ N.Deshalb ist auch

f−1

(⋃n∈N

Bn

)=⋃n∈N

f−1(Bn) ∈ A

und⋃n∈NBn ∈ F . Wir haben gezeigt, dass F eine σ-Algebra ist.

Nach Definition, f ist messbar, falls (−∞; b] ∈ F fur alle b ∈ R. Da diese Intervalle dieBorel σ-Algebra B(R) erzeugen, es folgt, dass f ist messbar genau dann wenn B(R) ⊂ F .Diese Bedingung ist aber auch mit der Bedingung U ∈ F fur alle U offen und derBedingung C ∈ F fur alle C abgeschlossen aquivalent.

Proposition 2.8 erlaubt uns auch die Definition von Messbarkeit auf Funktionen zuerweitern, die Werten in einem beliebigen messbarer Raum haben. Seien namlich (Ω,A)und (Ω′,A′) zwei messbare Raume, A ∈ A. Eine Funktion f : A → Ω′ heisst messbarbezuglich A und A′ falls f−1(B) ∈ A, fur alle B ∈ A′. Wir werden uns aber nur aufFunktionen mit Werten in R (oder in der Erweiterung [−∞;∞]) oder in C einschranken.Deswegen ist fur uns der Begriff von Messbarkeit, definiert am Anfang des Kapitels genug(eine C-wertige Funktion wird fur uns messbar sein, falls Re f und Im f messbar sind).

Existenz messbaren Mengen, die nicht Borel sind. Als Anwendung von Proposition2.8 zeigen wir nun, dass B(R) 6=Mλ∗ . Dazu konstruieren wir eine besondere Funktion,die bezuglich der σ-Algebra Mλ∗ , aber nicht bezuglich B(R), messbar ist.

Die Cantor Menge K =⋂n∈NKn ⊂ [0; 1] wurde in Sektion 1.4 definiert. Wir defi-

nieren nun die Cantor Funktion f : [0; 1] → [0; 1]. Fur x ∈ K0\K1 = (1/3; 2/3) setzen

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wir f(x) = 1/2. Fur x ∈ K2\K1 = (1/9; 2/9) ∪ (7/9; 8/9) definieren wir f(x) = 1/4 furx ∈ (1/9; 2/9) und f(x) = 3/4 fur x ∈ (7/9; 8/9). Im n-te Schritt wird f auf Kn\Kn−1

definiert. Kn\Kn−1 besteht aus 2n−1 offene Intervalle der Lange 3−n. Die Funktion fnimmt die Werten (2k− 1)/2n in der k-te Intervall, fur k = 1, . . . , 2n−1. Das definiert fauf [0; 1]\K. Wir erweitern f auf [0; 1] indem wir f(0) = 0 und

f(x) = supf(t) : t ∈ [0; 1]\K und t < x

fur alle x ∈ (0; 1] setzen. f ist offenbar monoton steigend, mit f(0) = 0 und f(1) = 1.f ist auch stetig. In der Tat, fur x in der offene Menge (0; 1)\K finden wir ein kleinesIntervall um x, enthalten in (0; 1)\K, wo f konstant (und also stetig) ist. Fur x ∈ K,dagegen, muss x ∈ Kn fur alle n ∈ N gelten. Das bedeutet, dass x innerhalb einemgeschlossenen Intervall der Lange 3−n ist, zwischen zwei offene Intervalle der Lange3−n, wo f die Werten (2k − 1)/2n und (2k + 1)/2n annimmt, fur geeignete k ∈ N.Seien t1 ein Punkt im linken Intervall (mit f(t1) = (2k − 1)/2n) und t2 im rechtenIntervall (mit f(t2) = (2k + 1)/2n). Dann ist (t1; t2) ein offenes Intervall um x, mit|f(y)− f(x)| ≤ f(t2)− f(t1) = 2−n fur alle y ∈ (t1; t2). Da n ∈ N beliebig ist, folgt, dassf stetig ist.

Es folgt aus der Zwischenwertsatz, dass fur alle y ∈ [0; 1] es existiert mindestens einx ∈ [0; 1] mit f(x) = y. Wir konnen also g : [0; 1]→ [0; 1] durch

g(y) = infx ∈ [0; 1] : f(x) = y

Es gilt: f(g(y)) = y fur alle y ∈ [0; 1]. Das folgt aus der Stetigkeit von f ; aus Definitionfinden wir eine Folge xn ∈ [0; 1] mit f(xn) = y fur alle n ∈ N und xn → g(y) furn → ∞. Die Stetigkeit von f impliziert dann, dass f(g(y)) = limn→∞ f(xn) = y. DieIdentitat f(g(y)) = y zeigt, dass g injektiv ist (ist g(y1) = g(y2), so muss y1 = f(g(y1)) =f(g(y2)) = y2). Da f monoton wachsend ist, ist auch g monoton wachsend (fur y1 < y2

und ε > 0 fest, finden wir x1, x2 ∈ [0; 1] mit f(x1) = y1 und f(x2) = y2 und |g(y1)−x1| <ε/2 und |g(y2) − x2| < ε/2; die Monotonie von f impliziert, dass x1 ≤ x2 und damit,dass g(y1) ≤ g(y2) + ε. Da ε > 0 beliebig ist, muss g(y1) ≤ g(y2)). Deswegen ist gsicher Borel messbar. Schlussendlich bemerken wir, dass die Werten von g in K sind. Istnamlich g(y) ∈ (0; 1)\K, dann ist g(y) innerhalb einem offenen Interval, auf welchem fkonstant ist. Es ist deswegen moglich ε > 0 zu finden, so, dass f(g(y)−ε) = f(g(y)) = y.Das widerspricht die Defintion von g (g(y) ist nicht minimal). Wir benutzen nun dieseInformationen um die Existenz einer Lebesgue messbare Teilmenge von [0; 1] zu zeigen,die nicht in B(R) enthalten ist.

Satz 2.9. Es gilt B(R) 6=Mλ∗.

Beweis. Sei M ⊂ [0; 1] nicht Lebesgue messbar (dessen Existenz in Sektion 1.4 bewiesenworden ist). Sei A = g(M). Dann ist A ⊂ K. Da λ(K) = 0 ist A sicher Lebesguemessbar, mit λ(A) = 0 (weil Lebesgue Mass definiert auf Mλ∗ vollstandig ist). Ware Aeine Borel Menge, so ware auch g−1(A) eine Borel Menge, weil g monoton und deswegenBorel messbar ist. Da aber g inektiv ist, ist g−1(A) = M , was nicht Lebesgue messbarund deswegen auch nicht Borel sein kann. (Das bedeutet, dass die monoton wachsendeFunktion g : ([0; 1],Mλ∗) → ([0; 1],Mλ∗) bezuglich der σ-Algebra Mλ∗ nicht messbarist).

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Eigenschaften, die fast uberall gelten. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Wir sagen eineEigenschaft gilt fast uberall auf Ω, falls die Menge F ⊂ Ω der Punkten, wo die Eigen-schaft nicht gilt in einer Nullmenge enthalten ist. Man nennt eine Menge, die in einerNullmenge enthalten ist, vernachlassigbar; vernachlassigbare Menge brauchen nicht inA enthalten zu sein, es genug, dass es N ⊂ Ω mit N ∈ A, µ(N) = 0 und F ⊂ N existiert(ist (Ω,A, µ) vollstandig, so muss dann F ∈ A, mit µ(F ) = 0). Allgemeiner, wir sageneine Eigenschaft gilt fast uberall auf A ⊂ Ω, falls die Menge aller Punkten in A wo dieEigenschaft nicht gilt vernachlassigbar ist.

Satz 2.10. Sei (Ω,A, µ) ein vollstandiger Massraum, f, g : Ω→ [−∞;∞] so, dass f = gfast uberall. Dann ist f messbar genau dann wenn g messbar ist.

Beweis. Nehmen wir an f sei messbar und sei N ∈ A, so, dass µ(N) = 0 und f = g aufN c. Dann ist

x ∈ Ω : g(x) ≤ t = [x ∈ Ω : f(x) ≤ t ∩N c] ∪ [x ∈ Ω : g(x) ≤ t ∩N ]

Aus Messbarkeit von f ist x ∈ Ω : f(x) ≤ t ∩N c ∈ A. Aus Vollstandigkeit von µ istx ∈ Ω : g(x) ≤ t ∩N ⊂ N ∈ A (weil µ(N) = 0). Das zeigt die Messbarkeit von g.

2.2 Das Integral

Sei (Ω,A) ein messbarer Raum. Wir erinnern, dass eine einfache Funktion auf Ω eineFunktion ist, die nur endlich viele Werten annimmt. Die einfache Funktion f : Ω → R,die die Werten α1, . . . , αn annimmt ist genau dann messbar, wenn

x ∈ Ω : f(x) = αj ∈ A

fur alle j = 1, . . . , n. Wir bezeichnen mit S die Menge von allen messbaren einfachenFunktionen auf Ω. Wir bezeichnen weiter mit S+ die Menge von allen messbaren einfa-chen nicht-negativen Funktion auf Ω.

Sei nun µ ein Mass auf (Ω,A) (d.h. (Ω,A, µ) ist ein Massraum). Sei f ∈ S+ gegebenaus f =

∑nj=1 αjχAj fur eine endliche Familie von disjunkten Aj ∈ A. Wir definieren

dann das Integral von f bezuglich µ durch∫fdµ :=

∑j=1

αjµ(Aj) .

Es ist einfach zu sehen, dass∫fdµ nur aus f abhangt, und nicht aus der besondere

Darstellung von f als Kombination von endlich viele charakteristische Funktionen. Istnamlich f =

∑nj=1 αjχAj =

∑mi=1 βiχBi , mit disjunkten Aj und Bi, so dass

n⋃j=1

Aj =

m⋃i=1

Bi = Ω

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dann gilt Aj =⋃mi=1Aj ∩ Bi fur alle j = 1, . . . , n. Ist Aj ∩ Bi 6= ∅ dann muss offenbar

aj = bi sein. Aus der Additivitat von µ, finden wir

n∑j=1

ajµ(Aj) =n∑j=1

aj

m∑i=1

µ(Aj ∩Bi) =n∑j=1

m∑i=1

ajµ(Aj ∩Bi)

=m∑i=1

n∑j=1

biµ(Aj ∩Bi) =m∑i=1

biµ(Bi)

wo wir noch Bi =⋃nj=1Aj ∩Bi benutzt haben.

Wir zeigen ein Paar Eigenschaften von dem Integral von Funktionen in S+.

Proposition 2.11. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f, g ∈ S+, α ≥ 0.

i) αf ∈ S+ und ∫αfdµ = α

∫fdµ

ii) f + g ∈ S+ und ∫(f + g)dµ =

∫fdµ+

∫gdµ

iii) Ist f(x) ≤ g(x) fur alle x ∈ Ω, dann gilt∫fdµ ≤

∫gdµ

Beweis. i) Sei f =∑n

j=1 ajχAj , mit aj ≥ 0 fur alle j = 1, . . . , n. Dann ist αf =∑nj=1 αajχAj und∫

αfdµ =n∑j=1

αajµ(Aj) = αn∑j=1

ajµ(Aj) = α

∫fdµ

ii) Ist f =∑n

j=1 ajχAj und g =∑m

i=1 biχBi mit Ai ∩ Aj = ∅ = B` ∩ Bm fur allei 6= j und ` 6= m, und mit

⋃nj=1Ai =

⋃mi=1Bi = Ω so ist Ai ∩Bj mit i = 1, . . . , n und

j = 1, . . . ,m, eine Partition von Ω, die aus disjunkten Mengen besteht. Die Funktionf + g ist eine einfache Funktion, gegeben aus

f + g =

n∑i=1

m∑j=1

(ai + bj)χAi∩Bj

Deswegen ist ∫(f + g)dµ =

n∑i=1

m∑j=1

(ai + bj)µ(Ai ∩Bj)

=n∑i=1

ai

m∑j=1

µ(Ai ∩Bj) +m∑j=1

bj

n∑i=1

µ(Ai ∩Bj)

=

n∑i=1

aiµ(Ai) +

m∑j=1

bjµ(Bj) =

∫fdµ+

∫gdµ

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iii) Sind nun f, g ∈ S+, mit f(x) ≤ g(x) fur alle x ∈ Ω, so ist f − g wieder einemessbare einfache Funktion in S+. Damit gilt∫

gdµ =

∫(f + (g − f))dµ =

∫fdµ+

∫(g − f)dµ ≥

∫fdµ

weil, aus Definition, das Integral von jeder Funktion in S+ nicht negativ ist.

Sei nun f : Ω → [0;∞] eine messbare Funktion auf Ω, bezuglich der σ-Algebra A.Wir definieren das Integral von f durch∫

f dµ := sup

∫g dµ : g ∈ S+ und g ≤ f

(19)

Satz 2.12. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f : Ω → [0;∞] messbar bezuglich A und seifnn∈N eine Folge aus S+ mit fn+1(x) ≥ fn(x) und f(x) = limn→∞ fn(x) fur allex ∈ Ω. Dann gilt

limn→∞

∫fndµ =

∫fdµ

Beweis. Aus f1(x) ≤ f2(x) ≤ · · · ≤ f(x) es folgt, dass

limn→∞

∫fndµ ≤

∫fdµ

Es bleibt die umgekehrte Ungleichung zu zeigen. Aus Definition vom Integral von fexistiert, zu gegebenen ε > 0, eine Funktion g ∈ S+ mit g ≤ f und∫

fdµ ≤∫gdµ+ ε (20)

Wir definieren die Folge gn = min(fn, g). Dann ist gn eine Folge von messbaren einfachenFunktionen, mit gn(x) ≤ gn+1(x) fur alle x ∈ Ω und n ∈ N, und g(x) = limn→∞ gn(x)(weil g(x) ≤ f(x) fur alle x ∈ Ω). Wir zeigen, dass∫

gdµ = limn→∞

∫gndµ . (21)

Dann folgt aus (20), dass∫fdµ ≤

∫gdµ+ ε = lim

n→∞

∫gndµ+ ε ≤ lim

n→∞

∫fndµ+ ε

weil, nach Definition von gn, gn ≤ fn (und gn, fn sind beide einfache Funktionen; des-wegen konnen wir Proposition 2.11 anwenden). Da ε > 0 beliebig ist, es folgt, dass∫

fdµ ≤ limn→∞

∫fndµ

Wir zeigen nun (21) fur ein g ∈ S+ und eine wachsende Folge gn ∈ S+ mit gn(x)→ g(x)fur alle x ∈ Ω. Sei g =

∑mj=1 αjχAj mit disjunkten Aj und ε > 0. Fur n ∈ N, j = 1, . . . ,m

setzen wirAn,j = x ∈ Aj : gn(x) ≥ (1− ε)αj

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Dann ist An,j ∈ A fur alle n und j. Fur feste j, die Folge An,j ist wachsend in n,d.h. An+1,j ⊃ An,j und

⋃n∈NAn,j = Aj (weil gn → g, punktweise). Wir setzen hn :=∑m

j=1(1− ε)αjχAn,j .Dann ist hn ∈ S+, mit hn ≤ gn und also

limn→∞

∫gndµ ≥ lim

n→∞

∫hndµ = (1− ε) lim

n→∞

m∑j=1

αjµ(An,j)

= (1− ε)m∑j=1

αjµ(Aj) = (1− ε)∫gdµ

Da ε > 0 beliebig ist, finden wir (21).

Wir erweitern nun die Eigenschaften, die wir in Proposition 2.11 fur Funktionen inS+ bewiesen haben, zu nicht-negativen messbaren Funktionen.

Proposition 2.13. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Seien f, g : Ω → [0;∞] messbarbezuglich A, und α > 0.

i) αf : Ω→ [0;∞] ist messbar und∫αfdµ = α

∫fdµ

ii) f + g : Ω→ [0;∞] ist messbar und∫(f + g)dµ =

∫fdµ+

∫gdµ

iii) Ist f(x) ≤ g(x) fur alle x ∈ Ω, so gilt∫fdµ ≤

∫gdµ

Beweis. Wir wissen aus Proposition 2.3, dass es wachsende Folgen fn, gn ∈ S+ existie-ren, mit f = limn→∞ fn und g = limn→∞ gn. Dann ist auch die Folge αfn in S+ undwachsend, mit αf = limn→∞ αfn. Deswegen, Satz 2.12 (zusammen mit Proposition 2.11)impliziert, dass ∫

αfdµ = limn→∞

∫αfndµ = α lim

n→∞

∫fndµ = α

∫fdµ

Auch fn + gn ∈ S+ ist eine wachsend Folge, mit f + g = limn→∞ fn + gn. Deswegen:∫(f + g)dµ = lim

n→∞

∫(fn + gn)dµ = lim

n→∞

∫fndµ+

∫gndµ

= limn→∞

∫fndµ+ lim

n→∞

∫gndµ =

∫fdµ+

∫gdµ .

Um Teil iii) zu zeigen, bemerken wir einfach aus Definition in (19), dass die Menge derFunktionen h ∈ S+ mit h ≤ g grosser ist, als die Menge der Funktionen h ∈ S+ mith ≤ f . Deswegen ist das Supremum grosser, d.h.∫

gdµ ≥∫fdµ .

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Definition 2.14. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und f : Ω→ [−∞;∞] messbar bezuglichA. Wir setzen f+ = max(f, 0) und f− = −min(f, 0). Die Funktionen f+, f− sindmessbar, aus Lemma 2.5. Wir sagen, dass f ist integrierbar, falls∫

f+dµ,

∫f−dµ <∞

In diesem Fall definieren wir das Integral von f durch∫fdµ =

∫f+dµ−

∫f−dµ (22)

Bemerkung:

i) Wir sagen, das Integral von f existiert, falls∫f+dµ <∞ oder

∫f−dµ endlich ist

(sind sie beide endlich, so ist f integrierbar). In diesem Fall konnen wir auch dieDefinition (19) fur das Integral anwenden (das Integral darf dann plus oder minusUnendlich sein).

ii) Sei A ∈ A. Wir sagen f ist integrierbar uber A, falls fχA integrierbar ist. In diesemFall definieren wir das Integral von f uber A durch∫

Afdµ =

∫fχAdµ .

iii) Ist f : A → [−∞;∞] so heisst f integrierbar uber A, falls die Funktion f : Ω →[−∞;∞] definiert durch f(x) = f(x) fur x ∈ A und f(x) = 0 fur x 6∈ A integrierbarist. In diesem Fall ist ∫

Afdµ =

∫fdµ .

iv) Ist Ω = Rn,A =Mλ∗n oderA = B(Rn) und µ = λn das Lebesgue Mass, dann heissteine integrierbare Funktion einfach Lebesgue integrierbar, ihr Integral

∫fdλn das

Lebesgue Integral. Wir schreiben manchmal einfach∫fdx fur das Lebesgue Inte-

gral.

Beispiele:

1) Sei Ω eine Menge, und x0 ∈ Ω. Sei (Ω, P (Ω)), µ) der Massraum, mit µ(A) = 1 fallsx0 ∈ A, µ(A) = 0 falls x0 6∈ A. Sei f : Ω→ [−∞;∞] beliebig. Dann ist f messbar,und wir behaupten, dass ∫

fdµ = f(x0) (23)

Sei zunachst f : Ω → [0;∞], und g ∈ S+, mit g(x) ≤ f(x) fur alle x ∈ Ω.Wir schreiben g =

∑nj=1 αjχAj fur eine Familie disjunkten Mengen Aj ⊂ Ω, mit⋃n

j=1Aj = Ω. Dann existiert j0 ∈ 1, . . . , n mit x0 ∈ Aj0 und∫gdµ =

n∑j=1

αjµ(Aj) = αj0 = g(x0) ≤ f(x0)

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Anderseits, wenn wir die einfache Funktion g(x) = f(x0) fur x = x0 und g(x) = 0sonst, wir haben ∫

fdµ ≥∫gdµ = f(x0)µ(x0) = f(x0)

Man kann (23) fur allgemeinen f : Ω→ [−∞;∞] zeigen, indem man f = f+ − f−zerlegt.

2) Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, mit µ ein endliches Mass. Dann ist jede bezuglich Amessbare, beschrankte Funtkion f : Ω → [−∞;∞] automatisch integrierbar. Inder Tat, falls g : Ω→ [0;∞] messbar und beschrankt ist, finden wir∫

gdµ ≤ C∫dµ = Cµ(Ω) <∞

Ist nun f : Ω → [−∞;∞] messbar und beschrankt, so sind f+, f− : Ω → [0;∞]messbar und beschrankt, und deswegen∫

f+dµ,

∫f−dµ <∞

3) Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, A ∈ A mit µ(A) = 0, und f : Ω→ [−∞;∞] messbarmit f(x) = 0 fur alle x 6∈ A. Dann ist∫

fdµ = 0

Das gilt auch falls, zum Beispiel f(x) =∞ fur alle x ∈ A. Es genug die Behauptungfur f : Ω → [0;∞] zu zeigen. Unter Annahme, dass f(x) = 0 fur alle x ∈ Ac giltf ≤ g wobei g die einfache Funktion mit g(x) = ∞ fur x ∈ A und g(x) = 0 furx 6∈ A. Also ∫

fdµ ≤∫gdµ = sup

∫hdµ : h ∈ S+, h ≤ g

= 0

weil fur jede Funktion h ∈ S+ mit h(x) = 0 fur alle x 6∈ A ist∫hdµ = 0.

4) Sei λ das Lebesgue Mass auf (R,Mλ∗). Es gilt∫χQdλ = 0

Das folgt aus Beispiel 3).

Wir definieren den Raum

L1(Ω,A, µ) = f : Ω→ R : f ist auf Ω bezuglich A und µ integrierbar .

Wir zeigen im nachsten Satz, dass L1 ein Vektorraum ist.

Satz 2.15. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f, g ∈ L1(Ω,A, µ), und α ∈ R. Dann gilt

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i) αf ist integrierbar und ∫αfdµ = α

∫fdµ

ii) f + g ist integrierbar und∫(f + g)dµ =

∫fdµ+

∫gdµ

iii) Ist f ≤ g, so gilt ∫fdµ ≤

∫gdµ

Beweis. i) Sei α > 0, dann gilt (αf)+ = αf+ und (αf)− = αf−. Integrierbarkeit von fbedeutet, dass

∫f+dµ und

∫f−dµ endlich sind. Dann sind auch∫

(αf)+dµ =

∫αf+dµ = α

∫f+dµ

und ∫(αf)−dµ =

∫αf−dµ = α

∫f−dµ

endlich. Damit ist αf integrierbar, und∫αfdµ =

∫(αf)+dµ−

∫(αf)−dµ = α

[∫f+dµ−

∫f−dµ

]= α

∫fdµ

Analog kann man den Fall α < 0 behandeln (in diesem Fall ist (αf)+ = −αf− und(αf)− = −αf+). Der Fall α = 0 ist trivial.

ii) Wir bemerken, dass (f + g)+ ≤ f+ + g+ und (f + g)− ≤ f− + g−. Deswegen gilt(aus Integrierbarkeit von f, g),∫

(f + g)+dµ ≤∫

(f+ + g+)dµ =

∫f+dµ+

∫g+dµ <∞

und ∫(f + g)−dµ ≤

∫(f− + g−)dµ =

∫f−dµ+

∫g−dµ <∞

Also, f + g ist integrierbar. Nun bemerken wir, dass f + g = (f + g)+ − (f + g)− auchals

f + g = f+ + g+ − (f− + g−)

geschrieben werden kann (durch einfache Uberprufung der Fallen a) f(x) ≥ 0, g(x) ≥ 0,b) f(x) ≥ 0, g(x) < 0, c) f(x) < 0, g(x) ≥ 0 und d) f(x) < 0, g(x) < 0). Deswegen gilt

(f + g)+ + (f− + g−) = f+ + g+ + (f + g)−

und (weil alle Summanden links und recht positiv sind, konnen wir Proposition 2.13anwenden)∫

(f + g)+dµ+

∫f−dµ+

∫g−dµ =

∫f+dµ+

∫g+dµ+

∫(f + g)−dµ

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Das gibt∫(f + g)dµ =

∫(f + g)+dµ−

∫(f + g)−dµ

=

∫f+dµ+

∫g+dµ−

∫f−dµ−

∫g−dµ =

∫fdµ+

∫gdµ

iii) Ist f(x) ≤ g(x) fur alle x ∈ Ω, so ist g − f eine nicht-negative integrierbareFunktion (aus i) und ii)). Deswegen ist, wieder wegen i) und ii),∫

gdµ−∫fdµ =

∫(g − f)dµ ≥ 0

Es gilt auch eine Dreiecksungleichung fur Integrale.

Satz 2.16. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f : Ω → [−∞;∞] messbar bezuglich A. Dannist f genau dann integrierbar, wenn |f | integrierbar ist. In diesem Fall gilt∣∣∣∣∫ fdµ

∣∣∣∣ ≤ ∫ |f |dµBeweis. f ist genau dann integrierbar, wenn∫

f+dµ,

∫f−dµ <∞

Da |f | = f+ +f−, diese Bedingung ist mit der Integrierbarkeit von |f | aquivalent. Weitergilt∣∣∣∣∫ fdµ

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∫ f+dµ−∫f−dµ

∣∣∣∣ ≤ ∫ f+dµ+

∫f−dµ =

∫(f+ + f−)dµ =

∫|f |dµ

Lemma 2.17. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f, g : Ω → [−∞;∞] messbare Funktionen,mit f(x) = g(x) fast uberall. Dann ist f integrierbar, genau dann wenn g integrierbarist, und in diesem Fall gilt ∫

fdµ =

∫gdµ

Beweis. Seien zunachst f, g : Ω → [0;∞] messbar, mit f(x) = g(x) fast uberall. Seiweiter A = x ∈ Ω : f(x) 6= g(x) und definiere h(x) = 0 fur alle x ∈ Ac und h(x) =∞fur x ∈ A. Wie in Beispiel 3) nach Definition 2.14 finden wir, dass

∫hdµ = 0. Da

f(x) ≤ g(x) + h(x), finden wir∫fdµ ≤

∫gdµ+

∫hdµ =

∫gdµ

Analog kann man die umgekehrte Ungleichung beweisen (ersetze f und g). Das zeigt,dass ∫

fdµ =

∫gdµ

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und insbesondere, dass f genau dann integrierbar ist, wenn g ist. Fur allgemeine f, gschreiben wir f = f+ − f− und g = g+ − g−. Es gilt f+ = g+ und f− = g− fast uberall.Deswegen ist ∫

f+dµ =

∫g+dµ und

∫f−dµ =

∫g−dµ

Das bedeutet, dass f genau dann integrierbar ist, wenn g integrierbar und, dass∫fdµ =

∫gdµ

Im nachsten Lemma zeigen wir eine Ungleichung mit vielen wichtigen Anwendungen.In der Wahrscheinlichkeitstheorie, ist diese Ungleichung als die Chebyshev Ungleichungbekannt.

Lemma 2.18. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f : Ω→ [0;∞] messbar. Fur t > 0 es gilt

µ (x ∈ Ω : f(x) ≥ t) ≤ 1

t

∫fdµ

Beweis. Sei At = x ∈ Ω : f(x) ≥ t. Dann gilt f ≥ fχAt ≥ tχAt . Deswegen∫fdµ ≥

∫fχAtdµ ≥

∫tχAtdµ = tµ(At) .

Das letzte Lemma hat vielen wichtige Folgerungen.

Korollar 2.19. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und f : Ω→ [−∞;∞] messbar, mit∫|f | dµ = 0

Dann ist f = 0 fast uberall.

Proof. Lemma 2.18 fur |f | impliziert, dass

µ (x ∈ Ω : |f(x)| ≥ 1/n) ≤ n∫|f |dµ = 0

fur alle n ∈ N. Deswegen ist

µ (x ∈ Ω : f(x) 6= 0) = µ

(⋃n∈Nx ∈ Ω : |f(x)| ≥ 1/n

)≤∑n∈N

µ(x ∈ Ω : |f(x)| ≥ 1/n) = 0

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Korollar 2.20. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und f : Ω→ [−∞;∞] messbar, mit∫Afdµ ≥ 0

fur alle A ∈ A. Dann ist f ≥ 0 fast uberall.

Beweis. Sei A = x ∈ Ω : f(x) < 0. Dann gilt

0 =

∫Afdµ =

∫fχAdµ = −

∫|fχA|dµ

Aus Korollar 2.19 folgt, dass fχA = 0 fast uberall, und damit, dass f(x) ≥ 0 fastuberall.

Korollar 2.21. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und f : Ω→ [−∞;∞] integrierbar. Dannist |f(x)| <∞ fast uberall.

Beweis. Aus Lemma 2.18 finden wir

µ(x ∈ Ω : |f(x)| > n) ≤ 1

n

∫|f |dµ

Deswegen

µ(x ∈ Ω : |f(x)| =∞) ≤ 1

n

∫|f |dµ

fur alle n. Das zeigt, dass µ(x ∈ Ω : |f(x)| =∞) = 0.

Korollar 2.22. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f : Ω → [−∞;∞] messbar. Dann ist fintegrierbar genau dann, wenn ein g ∈ L1(Ω,A, µ) (also mit Werten in R) existiert so,dass f = g fast uberall.

Beweis. Existiert g ∈ L1(Ω,A, µ) mit f = g fast uberall, dann ist f integrierbar ausLemma 2.17. Ist dagegen f integrierbar, dann setzen wir A = x ∈ Ω : |f(x)| = ∞.Dann ist A ∈ A, mit µ(A) = 0 aus Korollar 2.21. Wir setzen g = fχAc . Dann gilt g = ffast uberall, g hat Werten in R und, aus Lemma 2.17 ist g ∈ L1(Ω,A, µ).

2.3 Konvergenzsatze

Ein wichtiges Vorteil vom neuen Integralbegriff ist das Verhalten bezuglich Vertauschvon Integral und Limites. In Analysis 1 haben wir gezeigt: ist fnn∈N eine Folge vonFunktionen auf einem Intervall [a; b], mit fn → f gleichmassig, dann konvergiert das(Riemann) Integral von fn uber [a; b] gegen das Integral von f . In diesem Kapitelmochten wir Theoremen zeigen, die uns erlauben werden Integral und Limes in all-gemeinere Situationen und unter schwachere Annahme zu vertauschen.

Wir haben in Satz 2.12 schon ein erstes Resultat in dieser Richtung gezeigt. Dorthaben wir angenommen, dass fn eine Folge in von einfachen messbaren Funktionen ist.Im folgenden Satz verallgemeinern wir Satz 2.12 zu dem Fall, dass fn nicht unbedingteinfach ist.

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Satz 2.23 (Satz von der monotonen Konvergenz). Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, fnn∈Neine Folge von messbaren Funktionen fn : Ω→ [0;∞] und f : Ω→ [0;∞] eine messbareFunktion so, dass

i) fn(x) ≤ fn+1(x) fur alle n ∈ Ω and

ii) limn→∞ fn(x) = f(x)

fur µ-fast alle x ∈ Ω. Dann gilt

limn→∞

∫fndµ =

∫fdµ

Bemerkung: die Funktionen fn brauchen nicht integrierbar zu sein. Das Integral isttrotzdem wohldefiniert, weil die Funktionen nicht negativ sind.

Beweis. Wir nehmen zunachst an, dass die Annahme i) und ii) fur alle x ∈ Ω gelten.Aus der Monotonie des Integrals ist

∫fndµ eine monotone (und deswegen konvergente,

moglicherweise mit unendlichen Grenzwert) Folge auf R, mit

limn→∞

∫fndµ ≤

∫fdµ

Aus Proposition 2.3 finden wir fur alle n ∈ N eine Folge gn,jj∈N in S+ mit gn,j(x) ≤gn,j+1(x) fur alle j ∈ N und fn(x) = limj→∞ gn,j(x) fur alle x ∈ Ω. Wir definieren dann

hn(x) = max(g1,n(x), g2,n(x), . . . , gn,n(x))

Wir finden: hn ∈ S+, hn(x) ≤ fn(x) und hn(x) ≤ hn+1(x) fur alle n ∈ N. Ferner,limn→∞ hn(x) = f(x). Seien, in der Tat, x ∈ Ω und ε > 0 festgewahlt. Da fn(x)→ f(x)fur n→∞, finden wir n0 ∈ N gross genug, mit fn0(x) ≥ f(x)−ε/2. Da gn0,j(x)→ fn0(x)fur j →∞, finden wir auch m0 ∈ N mit gn0,m0(x) ≥ fn0(x)−ε/2 ≥ f(x)−ε. Da gn0,j(x)wachsend in j ist, konnen wir annehmen, dass m0 ≥ n0. Dann gilt hm0(x) ≥ gn0,m0(x) ≥f(x)− ε. Aus der Monotonie der Folge hn, finden wir

f(x)− ε ≤ hn(x) ≤ fn(x) ≤ f(x)

fur alle n > m0. Das zeigt, dass hn(x) → f(x) fur n → ∞. Aus Satz 2.12 und ausMonotonie des Integrals schliessen wir, dass∫

fdµ = limn→∞

∫hndµ ≤

∫fndµ .

Wenn wir nun annehmen, dass i) und ii) nur µ-fast uberall (statt uberall) gelten,dann finden wir eine Menge N ∈ A mit µ(N) = 0 und so, dass i) und ii) uberall aufN c gelten. Dann ist fnχNc eine monotone Folge von messbare Funktionen auf Ω, mitlimx→∞ fnχNc(x) = fχNc(x) fur alle x ∈ Ω. Der erste Teil des Beweises impliziert, dass

limn→∞

∫fnχNcdµ =

∫fχNdµ

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Da aber fnχNc = fn µ-fast uberall (fur alle n ∈ N) und fχNc = f µ-fast uberall, esfolgt aus Lemma 2.17, dass∫

fdµ =

∫fχNcdµ und

∫fndµ =

∫fnχNcdµ

fur alle n ∈ N, und deswegen, dass

limn→∞

∫fndµ =

∫fdµ .

Eine aquivalente Formulierung von dem Satz der monotonen Konvergenz ist aus demfolgenden Korollar gegeben.

Korollar 2.24 (Theorem von Beppo Levi). Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und fnn∈Neine Folge von messbaren Funktionen fn : Ω→ [0;∞]. Dann gilt∫ ∞∑

k=1

fk dµ =∞∑k=1

∫fkdµ

Beweis. Wir definieren einfach gn(x) =∑n

k=1 fk(x), und bemerken, dass gn eine mo-notone Folge von messbaren Funktionen auf Ω ist. Aus Monotonie, existiert der Limesg(x) = limn→∞

∑nk=1 fk(x) =

∑∞k=1 fk(x) fur alle x ∈ Ω. Anwendung von Satz 2.23 auf

der Folge gn zeigt die Behauptung.

Satz 1.17 zeigt die Stetigkeit des Integrals bezuglich monotone Konvergenz vonmessbaren Funktionen mit Werten in [0;∞]. Die Annahme der Monotonie der Folgefn in Satz 2.23 ist wichtig. Auch ohne Monotonie finden wir aber, dass das Integralunterhalbstetig ist.

Lemma 2.25 (Lemma von Fatou). Sei (Ω,A, µ) ein Massraum und fnn∈N eine Folgevon messbaren Funktionen fn : Ω→ [0;∞]. Dann

lim infn→∞

∫fndµ ≥

∫lim infn→∞

fndµ

Beweis. Fur n ∈ N definieren wir gn = infk≥n fk. gn ist messbar aus Satz 2.6. Ferner esgilt gn(x) ≤ gn+1(x) fur alle n ∈ N und

limn→∞

gn(x) = lim infn→∞

fn(x)

nach Definition. Satz 2.23 impliziert, dass∫lim infn→∞

fndµ = limn→∞

∫gndµ ≤ lim inf

n→∞

∫fndµ

weil gn ≤ fn fur alle n ∈ N.

Fur Anwendungen, der wichtigste Konvergenzsatz ist der folgenden Satz von Lebes-gue.

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Satz 2.26 (Satz uber dominierte Konvergenz). Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f : Ω →[−∞;∞] messbar, fn : Ω → [−∞;∞] eine Folge messbaren Funktionen und g : Ω →[0;∞] integrierbar. Es gelte

i) f(x) = limn→∞ fn(x) und

ii) |fn(x)| ≤ g(x),

fur µ-fast alle x ∈ Ω. Dann gilt

limn→∞

∫fndµ =

∫fdµ

Bemerkung: die Existenz einer nicht-negative und integrierbare Funktion g, die allefn dominiert ist die wesentliche Annahme von diesem Satz, die auch als Satz von dermajorisierten Konvergenz bekannt ist.

Beweis. Wir nehmen zuerst an, dass die Annahmen i), ii) und g(x) <∞ fur alle x ∈ Ωgelten. Die Integrierbarkeit von fn und f folgt aus der Integrierbar von g (|fn(x)| ≤ g(x)fur alle n ∈ N und fn(x)→ f(x) fur n→∞ implizieren auch, dass |f(x)| ≤ g(x)). Wirsetzen hn = fn + g. Dann ist hn : Ω → [0;∞] eine Folge messbare Funktionen, mit(f + g)(x) = limn→∞ hn(x) fur alle x ∈ Ω. Aus Lemma 2.25 folgt, dass∫

(f + g)dµ ≤ lim infn→∞

∫hndµ = lim inf

n→∞

∫(fn + g)dµ

und deswegen, dass ∫fdµ ≤ lim inf

n→∞

∫fndµ

Anderseits, kn = g − fn definiert eine Folge von messbaren Funktionen kn : Ω→ [0;∞]mit limn→∞ kn(x) = (g − f)(x). Wieder aus Lemma 2.25 finden wir∫

(g − f)dµ ≤ lim infn→∞

∫(g − fn)dµ

und deswegen, dass ∫fdµ ≥ lim sup

n→∞

∫fndµ

Es folgt, dass ∫fdµ = lim

n→∞

∫fndµ

Nehmen wir nun an, dass die Annahme i) und ii) und die Ungleichung g(x) <∞ nurµ-fast uberall (statt uberall) gelten (die Integrierbarkeit von g impliziert, dass g(x) <∞fast uberall gelten muss). Sei N ∈ A mit µ(N) = 0 und so, dass |fn(x)| ≤ g(x) fur allen ∈ N, limn→∞ fn(x) = f(x) und g(x) < ∞ fur alle x ∈ N c. Dann ist gχNc eineintegrierbare Funktion, fχNc eine messbare Funktion und fnχNc eine Folge messbarerFunktionen, mit |fnχNc(x)| ≤ gχNc(x) fur alle n ∈ N und limn→∞ fnχNc(x) = fχNc(x)fur alle x ∈ Ω. Nach dem ersten Teil des Beweises, sind fχNc und fnχNc integrierbarfur alle n ∈ N und

limn→∞

∫fnχNcdµ =

∫fχNcdµ (24)

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Aus Lemma 2.17, die Integrierbarkeit von fχNc und von fnχNc impliziert auch, dass fnund f integrierbar sind und, dass∫

fndµ =

∫fnχNcdµ und

∫fdµ =

∫fχNcdµ

Mit (24) finden wir, dass

limn→∞

∫fndµ =

∫fdµ

2.4 Vergleich mit dem Riemann’schen Integral

Eine wichtige Eigenschaft vom Lebesgue’schen Integral ist die Tatsache, dass es mitdem Riemann’schen Integral ubereinstimmt, falls das Riemann’sche Integral existiert.Wir betrachten in diesem Kapitel den Massraum (R,B(R), λ), wobei λ das LebesgueMass auf R ist. Wir sagen eine Funktion f definiert auf R oder auf einer Teilmengevon R ist Lebesgue integrierbar, wenn sie als Funktion auf dem Massraum (R,B(R), λ)

integrierbar ist. Wir bezeichnen mit∫ ba f(x)dx das Riemann Integral von f uber [a; b]

und mit∫

[a;b] fdλ das Lebesgue Integral von f uber [a; b].

Satz 2.27. Sei −∞ < a < b < ∞ and f : [a; b] → R eine beschrankte Funktion auf[a; b]. Dann

i) f ist uber [a; b] Riemann integrierbar genau dann wenn f auf [a; b] λ-fast uberallstetig ist.

ii) Ist f uber [a; b] Riemann integrierbar, dann ist f auch uber [a; b] Lebesgue inte-grierbar, und ∫ b

afdx =

∫[a;b]

fdλ (25)

Beweis. Sei f : [a; b] → R Riemann integrierbar. Wir zeigen, dass f fast uberall stetigist, und, dass f Lebesgue integrierbar ist, mit (25). Die Riemann Integrierbarkeit von fbedeutet, dass

supTS(T ) = inf

TS(T )

wobei S(T ) und S(T ) die obere und, beziehungsweise, die untere Riemann’sche Summezur Teilung T sind. Ist f integrierbar, so konnen wir fur beliebiges ε > 0 eine Teilung Tvon [a; b] finden, mit S(T )− ε ≤ S(T ) ≤ S(T ). Wir konnen deswegen eine Folge Tn vonTeilungen von [a; b] finden, mit S(Tn) − S(Tn) ≤ 1/n fur alle n ∈ N. Insbesondere giltdann

limn→∞

S(Tn) = limn→∞

S(Tn) =

∫ b

af(x)dx

O.B.d.A. konnen wir auch annehmen, dass Tn+1 eine Verfeinerung von Tn ist (d.h. Tn ⊂Tn+1) fur alle n ∈ N. Fur beliebigen n ∈ N, sei Tn = a = xn0 < xn1 < · · · < xnmn = bund, fur alle j = 1, . . . ,mn, Inj = (xnj−1;xnj ],

mnj = inf

x∈Injf(x), und Mn

j = supx∈Inj

f(x)

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Wir definieren dann die Funktionen ϕn, ψn : [a; b]→ R durch ϕn(a) = ψn(a) = f(a) und

ϕn(x) =

mn∑j=1

mnj χInj (x)

und

ψn(x) =

mn∑j=1

Mnj χInj (x)

fur alle x ∈ (a; b]. Es gilt:

• ϕn(x) ≤ f(x) ≤ ψn(x) fur alle x ∈ [a; b].

• Die Funktionen ϕn, ψn sind einfach und messbar bzg. B(R), fur alle n ∈ N, mit∫[a;b]

ϕndλ = S(Tn) und

∫[a;b]

ψndλ = S(Tn)

• ϕn(x) ≤ ϕn+1(x) und ψn(x) ≥ ψn+1(x) fur alle x ∈ [a; b] und alle n ∈ N. D.h. ϕnist eine wachsende und ψn eine fallende Folge von einfachen Funktionen auf [a; b].Das folgt aus der Annahme, dass Tn+1 ⊃ Tn eine Verfeinerung von Tn ist.

Da ϕn und ψn monoton sind, konnen wir die Grenzwerten ϕ(x) = limn→∞ ϕn(x) undψ(x) = limn→∞ ψn(x) definieren. Da ϕn(x) ≤ ψn(x) fur alle x ∈ [a; b] und n ∈ N folgt,dass ϕ(x) ≤ ψ(x) fur alle x ∈ [a; b]. Aus Satz 2.6 folgt, dass ϕ,ψ messbar sind. Aus derBeschrankheit von f folgt auch, dass eine Konstante C > 0 existiert, mit |ϕn(x)| ≤ Cund |ψn(x)| ≤ C fur alle x ∈ [a; b]. Aus dem Satz uber dominierte Konvergenz findenwir, dass ∫

[a;b]ϕdλ = lim

n→∞

∫[a;b]

ϕndλ = limn→∞

S(Tn) =

∫ b

af(x)dx

und, dass ∫[a;b]

ψdλ = limn→∞

∫[a;b]

ψndλ = limn→∞

S(Tn) =

∫ b

af(x)dx

Da ϕ(x) ≤ ψ(x) fur alle x ∈ [a; b] erhalten wir, dass∫[a;b]|ψ − ϕ| dλ =

∫[a;b]

ψdλ−∫

[a;b]ϕdλ = 0

und also, dass ψ(x) = ϕ(x) fur fast alle x ∈ [a; b]. Wir setzen A = x ∈ [a; b] :ϕ(x) 6= ψ(x); dann ist λ(A) = 0. Wir setzen auch T =

⋃n∈N Tn; dann ist λ(T ) =

limn→∞ λ(Tn) = 0 (weil die Folge Tn wachsend ist). Mit N = A ∪ T , es folgt dassλ(N) = 0. Wir behaupten nun, dass f auf [a; b]\N stetig ist. Sei namlich x ∈ [a; b]\Nund ε > 0 fest. Da

limn→∞

ϕn(x) = ϕ(x) = ψ(x) = limn→∞

ψn(x)

finden wir n0 mit ψn0(x) − ϕn0(x) ≤ ε. Die Teilung Tn0 definiert dann ein Intervall I0

um x auf dem die Funktionen ϕn0 und ψn0 konstant sind (x ist nicht ein Endpunkt vonI0, aus der Annahme, dass x 6∈ T ). Fur alle y ∈ I0 gilt dann

|f(y)− f(x)| ≤ ψn(x)− ϕn(x) = ε

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Das zeigt, dass f λ-fast uberall stetig ist.

Da ϕn(x) ≤ f(x) ≤ ψn(x) fur alle x ∈ [a; b] und n ∈ N, folgt aus ϕ(x) = ψ(x) furfast alle x ∈ [a; b] auch, dass ϕ(x) = f(x) fur fast alle x ∈ [a; b]. Lemma 2.17 impliziert,dass f uber [a; b] Lebesgue integrierbar ist, mit∫

[a;b]fdλ =

∫[a;b]

ϕdλ =

∫ b

af(x)dx

Es bleibt zu zeigen, dass, falls f fast uberall stetig ist, so ist f auch Riemann in-tegrierbar. Sei also f fast uberall stetig und Tn die Teilung von [a; b] die 2n halbof-fenen Intervalle I1, . . . , I2n alle mit der selben Lange (b − a)/2n definiert (d.h. Ij =(a+ 2−nj(b− a), a+ 2−n(j + 1)(b− a)], fur alle j = 1, . . . , 2n). Wir setzen dann

ϕn(x) =2n∑j=1

infx∈Ij

f(x)(b− a)

2n, und ψn(x) =

2n∑j=1

supx∈Ij

f(x)(b− a)

2n

Dann ist ϕn eine wachsende und ψn eine fallende Folge von einfachen messbaren Funk-tionen, mit ϕn(x) ≤ f(x) ≤ ψn(x) fur alle n ∈ N und x ∈ [a; b]. Nach Definition∫

[a;b]ϕndλ = S(Tn) und

∫[a;b]

ψndλ = S(Tn)

Ist f stetig an der Stelle x ∈ [a; b], so gilt f(x) = limn→∞ ϕn(x) = limn→∞ ψn(x). Unterder Annahme, dass f fast uberall stetig ist, finden wir, dass f(x) = limn→∞ ϕn(x) =limn→∞ ψn(x) fur λ-fast alle x ∈ [a; b]. Das gibt hn(x) = ψn(x) − ϕn(x) → 0 fur λ-fast alle x ∈ [a; b]. Da ausserdem f beschrankt ist, existiert eine Konstante C > 0mit |hn(x)| ≤ C fur alle x ∈ [a; b] und n ∈ N. Der Satz uber dominierte Konvergenzimpliziert, dass

limn→∞

S(Tn)− S(Tn) = limn→∞

∫[a;b]

(ψn − ϕn)dλ = limn→∞

∫[a;b]

hndλ = 0

Da

infTS(T ) ≤ S(Tn) = S(Tn)− S(Tn) + S(Tn) ≤ S(Tn)− S(Tn) + sup

TS(T )

fur alle n ∈ N gilt, muss auch

infTS(T ) ≤ sup

TS(T ) + lim

n→∞S(Tn)− S(Tn) = sup

TS(T )

Da infT S(T ) ≥ supT S(T ) immer gilt, es folgt, dass infT S(T ) = supT S(T ) und deswe-gen, dass f integrierbar ist.

Wir erinnern nun aus Analysis 1 den Begriff von uneigentlichen Riemann’schen In-tegral. Sei −∞ < a < b ≤ ∞. Wir sagen die Funktion f : [a; b) → R ist uber [a; b)uneigentlich Riemann integrierbar, falls f uber [a; z] beschrankt und Riemann integrier-bar ist, fur alle z ∈ (a; b), und falls der Grenzwert

limz→b

∫ z

af(x)dx

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existiert. In diesem Fall schreiben wir∫ b

af(x)dx = lim

z→b

∫ z

af(x)dx

Analog definieren wir die uneigentliche Riemann Integrierbarkeit von f : (a; b]→ R fur−∞ ≤ a < b < ∞. Fur −∞ ≤ a < b ≤ ∞ sagen wir, dass f : (a; b) → R auf (a; b)uneigentlich Riemann integrierbar ist, falls ein c ∈ (a; b) existiert, so, dass f auf (a; c]und auf [c; b) uneigentlich Riemann integrierbar ist. In diesem Fall definieren wir∫ b

af(x)dx =

∫ c

af(x)dx+

∫ b

cf(x)dx

Satz 2.28. Sei I ⊂ R ein Intervall (moglicherweise unendlich lang) und f : I →R Riemann-integrierbar auf jedem kompakten Teilintervall von I. Dann ist f auf ILebesgue integrierbar, genau dann wenn |f | uneigentlich Riemann integrierbar ist. Indiesem Fall gilt ∫

[a;b)fdλ =

∫ b

af(x)dx

(wobei auf der rechte Seite das uneigentliche Riemann’sche Integral gemeint ist).

Beweis. Wir betrachten den Fall I = [a; b), die andere Fallen sind analog. Sei bn irgend-eine wachsende Folge in [a; b) mit bn → b als n → ∞. Wir setzen In = [a; bn]. Dann istfχIn Riemann integrierbar fu alle n ∈ N. Satz 2.27 impliziert, dass fχIn als Funktionauf (R,B(R), λ) integrierbar ist. Insbesondere ist fχIn Borel messbar fur alle n ∈ N.Damit ist auch f(x) = limn→∞ fχIn(x) fur alle x ∈ [a; b) messbar. Die Folge |f |χIn istmonoton wachsend und konvergiert punktweise gegen |f |. Der Satz von der monotonenKonvergenz impliziert, dass∫

I|f |dλ = lim

n→∞

∫In

|f |dλ = limn→∞

∫ bn

a|f |dλ (26)

wobei die zweite Gleichheit wieder aus Satz 2.27 folgt. Mit (26) konnen wir nun dieAquivalenz von Riemann und Lebesgue Integrierbarkeit beweisen. Ist namlich f Rie-mann integrierbar, dann konvergiert die rechte Seite von (26) gegen einem Grenzwertin R. Die Endlichkeit der linken Seite von (26) zeigt die Integrierbarkeit von |f | als eineFunktion auf (R,B(R), λ). Satz 2.16 impliziert dann, dass f integrierbar ist. Ist umge-kehrt f lebesgue integrierbar, dann ist |f | auch integrierbar, und die linke Seite von (26)ist endlich. Da

limn→∞

∫ bn

af(x)dx =

∫I|f |dλ

unabhangig aus der Wahl der (monotonen) Folge bn ist, existiert der Limes

limz→b

∫ z

a|f(x)|dx =

∫I|f |dλ

Damit ist |f | Riemann integrierbar. Um zu zeigen, dass Riemann und Lebesgue Inte-grale ubereinstimmen bemerken wir, dass |fχIn | ≤ |f | und fχIn → f punktweise. Alsodominierte Konvergenz impliziert, dass∫

Ifdλ = lim

n→∞

∫fχIndλ = lim

n→∞

∫ bn

af(x)dx =

∫ b

af(x)dx

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Beispiele:

• Die Funktion f : R→ R definiert durch f(x) = e−|x| its uneigentlich Riemann undLebesgue integrierbar, mit∫

Re−|x|dλ =

∫ ∞−∞

e−|x|dx = 2

∫ ∞0

e−xdx = −2e−x|∞0 = 2

• Die Funktion f : R→ R durch f(x) = 1 fur x = 0 und f(x) = (sinx)/x fur x 6= 0ist uber R Riemann integrierbar aber nicht Lebesgue integrierbar.

2.5 Produktmasse und das Theorem von Fubini

Seien (X,A) und (Y,B) zwei messbare Raume. Auf der Menge

X × Y = (x, y) : x ∈ X und y ∈ Y

definieren wir die Produkt σ-Algebra A × B := σ(F) als die σ-Algebra, die durch dieFamilie

F = A×B : A ∈ A und B ∈ B

erzeugt wird. D.h. A × B ist die kleinste σ-Algebra, die alle Produktmengen der FormA×B = (x, y) ∈ X × Y : x ∈ A, y ∈ B fur A ∈ A und B ∈ B enthalt.

Zum Beispiel definiert B(R)× B(R) eine σ-Algebra auf R2.

Proposition 2.29. Es gilt B(R2) = B(R)× B(R).

Proof. Einerseits gilt B(R2) ⊂ B(R)×B(R), weil B(R2) aus der Mengen (a1, b1]×(a2, b2]erzeugt wird, und (a1, b1]× (a2, b2] ∈ B(R)×B(R) fur alle a1 < b1, a2 < b2 gilt. Es bleibtzu zeigen, dass B(R) × B(R) ⊂ B(R2). Da B(R) × B(R) aus Mengen der Form A × Bmit A,B ∈ B(R) erzeugt wird, genugt es zu beweisen, dass A × B ∈ B(R2) fur alleA,B ∈ B(R). Seien π1 : R2 → R und π2 : R2 → R die Projektionen π1(x, y) = x undπ2(x, y) = y. π1, π2 sind klar stetig, und deswegen bezuglich B(R2) messbar. Deswegensind π−1

1 (A) = A× R und π−12 (B) = R× B in B(R2) fur alle A,B ∈ B(R). Deshalb ist

A×B = (A× R) ∩ (R×B) ∈ B(R2).

Sei nun E ⊂ X ×Y . Fur beliebige x ∈ X und y ∈ Y , definieren wir die Querschnitte

Ex = y ∈ Y : (x, y) ∈ E ⊂ Y, und Ey = x ∈ X : (x, y) ∈ E ⊂ X

Ist f : X × Y → [−∞;∞], dann definieren wir fur x ∈ X und y ∈ Y beliebig dieQuerschnitte fx : Y → [−∞;∞] und fy : X → [−∞;∞] durch fx(y) = f(x, y) undfy(x) = f(x, y).

Lemma 2.30. Seien (X,A) und (Y,B) zwei messbare Raume.

a) Ist E ∈ A× B so gilt Ex ∈ B und Ey ∈ A fur alle x ∈ X und y ∈ Y .

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b) Ist f : X × Y → [−∞;∞] messbar bezuglich A×B, so sind fx messbar bzg. B furalle x ∈ X und fy messbar bzg. A fur alle y ∈ Y .

Beweis. a) Sei x ∈ X fest. Wir betrachten die Familie

Fx = E ⊂ X × Y : Ex ∈ B

Fur alle A ∈ A und B ∈ B gilt A × B ∈ Fx, weil (A × B)x = B, falls x ∈ A, und(A × B)x = ∅, falls x 6∈ A. Insbesondere ist X × Y ∈ Fx. Ist E ∈ Fx so gilt Ex ∈ B.Dann ist (Ec)x = y ∈ Y : (x, y) ∈ Ec = y ∈ Y : (x, y) 6∈ E = (Ex)c ∈ B, unddeswegen Ec ∈ Fx. Ist weiter (En)n∈N eine Folge in Fx, dann gilt (En)x ∈ B fur allen ∈ N. Damit ist (⋃

n∈NEn

)x

=⋃n∈N

(En)x ∈ B

und⋃n∈NEn ∈ Fx. Das zeigt, dass Fx eine σ-Algebra ist. Deswegen muss Fx ⊃ A×B,

weil A × B die kleinste σ-Algebra ist, die alle Mengen der Form A × B enthalt. Dasbedeutet, dass Ex ∈ B fur alle E ∈ A× B. Analog ist Ey ∈ A fur alle E ∈ A× B.

Sei nun f : X×Y → [−∞;∞] messbar bezuglichA×B. Fur jede D ⊂ [−∞;∞] habenwir (fx)−1(D) = (f−1(D))x. Ist f messbar bzg. A × B, so gilt f−1((−∞; t]) ∈ A × Bf ur alle t ∈ R. Dann ist aber, aus Teil a), (fx)−1((−∞; t]) = (f−1((−∞; t]))x ∈ B furalle t ∈ (−∞; t] und x ∈ X.Deswegen ist fx B-messbar fur alle x ∈ X. Analog ist fy

A-messbar fur alle y ∈ Y .

Bemerkung: Mit Hilfe von Lemma 2.30 konnen wir zeigen, dass die zu Proposition2.29 aquivalente Behauptung fur die σ-Algebra von Lebesgue messbaren Teilmengenvon R2 falsch ist; d.h. Mλ∗2

6= Mλ∗ ×Mλ∗ . Sei namlich M ⊂ R mit M 6∈ Mλ∗ . Wirbetrachten dann die Menge 0 × M ⊂ R2. Es gilt λ∗2(0 × M) = 0. Deswegen ist0 ×M ∈ Mλ∗2

. Ware nun 0 ×M ∈ Mλ∗ ×Mλ∗ , so wurde auch der Querschnitt(0 ×M)0 = M ∈Mλ∗ , in Wiederspruch zur Wahl von M .

Proposition 2.31. Seien (X,A, µ) und (Y,B, ν) σ-endliche Massraume, und E ∈ A×B.Dann ist die Funktion x → ν(Ex) messbar bezuglich A. Analog ist y → µ(Ey) messbarbezuglich B.

Beweis. Nehmen wir zunachst an, dass das Mass ν endlich ist. Wir definieren

D = E ∈ A× B : x→ ν(Ex) A−messbar ist

Wir zeigen, dass D ein Dynkin System auf X × Y ist. Erinnere aus Def. 1.11, dass einDynkin System D auf X × Y eine Familie von Teilmengen von X × Y ist, mit denEigenschaften: i) X × Y ∈ D, ii) D ∈ D impliziert, dass Dc ∈ D, iii) (Dn)n∈N eine Folgevon paarweise disjunkten Mengen in D, dann ist auch

⋃n∈NDn ∈ D.

Fur A ∈ A und B ∈ B gilt (A × B)x = B falls x ∈ A und (A × B)x = ∅ fallsx 6∈ A. Deswegen ist ν((A × B)x) = ν(B)χA(x) messbar bezuglich A. Also gehort jedeProduktmenge A × B, mit A ∈ A und B ∈ B, zu D. Insbesondere ist X × Y ∈ D. Seinun E ∈ D beliebig. Wir behaupten, dass Ec ∈ D. Das folgt aus (Ec)x = (Ex)c undν((Ec)x) = ν((Ex)c) = ν(Y )−ν(Ex) (da ν endlich ist). Schlussendlich, sei Enn∈N eine

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Folge disjunkten Mengen in D. Dann ist (⋃n∈NEn)x =

⋃n∈N(En)x, wobei (En)x eine

Folge von disjunkten Mengen in B ist. Deswegen, aus der σ-Additivitat von ν, gilt

ν

((⋃n∈N

En

)x

)= ν

(⋃n∈N

(En)x

)=∑n∈N

ν((En)x)

Wir bemerken, dass die Summe∑m

n=0 ν((En)x) als endliche Summe messbaren Funktio-nen auch A-messbar ist, fur alle m ∈ N. Damit ist auch

∑n∈N ν((En)x) als Limes einer

Folge messbaren Funktionen A-messbar. Das zeigt also, dass D ein Dynkin System ist.

Sei nun F = A × B : A ∈ A, B ∈ B und bemerke, dass F abgeschlossen ist,bezuglich endliche Durchschnitte. In der Tat, fur A1 ×B1, A2 ×B2 ∈ F gilt auch

(A1 ×B1) ∩ (A2 ×B2) = (A1 ∩A2) ∩ (B1 ∩B2) ∈ F .

Nach Definition ist A × B = σ(F) die σ-Algebra die aus F erzeugt wird. Anderseitshaben wir oben gezeigt, dass F ⊂ D. Da D ein Dynkin System ist, muss δ(F) ⊂ D,wobei δ(F) der Dynkin System ist, der aus F erzeugt wird. Da aber F abgeschlossenist, bezuglich endliche Durchschnitte, folgt aus Satz 1.14, dass δ(F) = σ(F); d.h. deraus F erzeugten Dynkin System stimmt mit der aus F erzeugten σ-Algebra uberein.Das zeigt, dass A × B = D (weil D ⊂ A × B aus Definition klar ist). Wir haben alsogezeigt, dass x→ ν(Ex) A-messbar ist, fur alle E ∈ A× B.

Nehmen wir nun an, dass ν σ-endlich, aber nicht unbedingt endlich, ist. Dann findenwir eine Folge (Dn)n∈N von disjunkten Teilmengen in B, mit ν(Dn) <∞ fur alle n ∈ Nund

⋃n∈NDn = Y . Wir definieren dann das Mass νn : B → [0;∞] durch νn(B) :=

ν(B ∩ Dn) fur alle n ∈ N. Fur alle N ∈ N ist νn ein endliches Mass, und fur alleB ∈ B gilt ν(B) =

∑n∈N νn(B). Gemass was wir oben gezeigt haben, ist x → νn(Ex)

A-messbar, fur alle n ∈ N und alle E ∈ A×B. Wir schliessen, dass, fur jede E ∈ A×Bauch

ν(Ex) =∑n∈N

νn(Ex) = limm→∞

m∑n=0

νn(Ex)

als Limes einer Folge messbaren Funktionen wieder A-messbar. Analog zeigt man, dassy → µ(Ey) B-messbar ist.

Gegeben zwei Massraume (X,A, µ) und (Y,B, ν), konnen wir nun die letzte Propo-sition benutzen, um das Produktmass µ× ν auf der σ-Algebra A× B zu definieren.

Theorem 2.32. Seien (X,A, µ) und (Y,B, ν) zwei σ-endliche Massraume. Dann exi-stiert ein eindeutiges Mass µ × ν auf A × B, mit (µ × ν)(A × B) = µ(A)ν(B) fur alleA ∈ A, B ∈ B. Das Mass µ× ν ist aus

(µ× ν)(E) =

∫Xν(Ex)dµ =

∫Yµ(Ey)dν (27)

fur alle E ∈ A× B gegeben.

Um die Eindeutigkeit im Theorem 2.32 zu beweisen, benutzen wir das folgende Re-sultat.

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Proposition 2.33. Sei (X,A) ein messbarer Raum, und sei F eine Familie von Teil-mengen von X mit A = σ(F) und

A,B ∈ F ⇒ A ∩B ∈ F .

Seien µ, ν zwei Masse auf (X,A) mit µ(C) = ν(C) fur alle C ∈ F und es existiere eineFolge Cnn∈N in F mit Cn+1 ⊃ Cn fur alle n ∈ N, X =

⋃n∈NCn und µ(Cn) <∞ und

ν(Cn) <∞ fur alle n ∈ N. Dann gilt µ = ν.

Beweis. Wir nehmen zunachst an, µ, ν sind endliche Masse, mit µ(X) = ν(X). Dannsetzen wir

D = A ∈ A : µ(A) = ν(A)

Nach Annahme ist X ∈ D. Ist weiter E ∈ D, dann gilt auch µ(Ec) = µ(X) − µ(E) =ν(X)− ν(E) = ν(Ec), und damit Ec ∈ D. Schlussendlich, falls Enn∈N eine Folge vondisjunkten Mengen in D ist, dann gilt µ(En) = ν(En) fur alle n ∈ N, und wegen derAdditivitat von µ und ν, finden wir

µ

(⋃n∈N

En

)=∑n∈N

µ(En) =∑n∈N

ν(En) = ν

(⋃n∈N

En

)

D.h.⋃n∈NEn ∈ D. Das zeigt, dass D ein Dynkin System ist. Nach Annahme ist F ⊂ D.

Damit ist δ(F), das kleinste Dynkin System, das F enthalt, sicher in D enthalten, d.h.δ(F) ⊂ D. Anderseits, da F abgeschlossen ist bezuglich endliche Durchschnitte, findenwir δ(F) = σ(F) = A ⊂ D. Damit ist D = A und µ(A) = ν(A) fur alle A ∈ A.

Nun betrachten wir den Fall, dass µ, ν nicht unbedingt endlich sind. Wir nehmenaber an, es existiere eine wachsende Folge Cnn∈N mit Cn ∈ F , Cn ⊂ Cn+1 fur allen ∈ N, X =

⋃n∈NCn und µ(Cn) = ν(Cn) <∞ fur alle n ∈ N. Dann definieren wir, fur

alle n ∈ N, die Masse µn(A) := µ(A ∩ Cn) und νn(A) = ν(A ∩ Cn). Offenbar sind µnund νn fur alle n ∈ N endliche Masse auf (X,A), mit µn(C) = νn(C) fur alle C ∈ F(weil dann ist auch C ∩ Cn ∈ F). Aus dem ersten Teil des Beweises folgt, dass µn = νnfur alle n ∈ N. Da fur alle A ∈ A, gilt

A =⋃n∈N

A ∩ Cn

wobei A ∩ Cn eine wachsende Folge ist, finden wir

µ(A) = limn→∞

µ(A ∩ Cn) = limn→∞

µn(A) = limn→∞

νn(A) = limn→∞

ν(A ∩ Cn) = ν(A)

fur alle A ∈ A.

Beweis von Theorem 2.32. Die Funktionen x → ν(Ex) und y → µ(Ey) sind messbar(bezuglich A, bezieungsweise, B) aus Proposition 2.31. Deswegen sind die Integrale in(27) wohldefiniert (weil ν(Ex) und µ(Ey) nicht-negative Funktionen sind). Wir setzenalso

(µ× ν)1(E) :=

∫Xν(Ex)dµ und (µ× ν)2(E) :=

∫Yµ(Ey)dν

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fur alle E ∈ A×B. Es gilt offenbar (µ× ν)1(∅) = (µ× ν)2(∅) = 0. Sei nun Enn∈N eineFolge von disjunkten Mengen in A× B. Wir setzen E =

⋃n∈NEn. Es gilt

Ex =⋃n∈N

En,x und Ey =⋃n∈N

Eyn

Da En,xn∈N eine Folge disjunkten Mengen in B ist (y ∈ En,x ∩ Em,x impliziert, dass(x, y) ∈ En und (x, y) ∈ Em und also, dass n = m, da die En paarweise disjunkt sind),folgt aus der σ-Additivitat von ν, dass

ν(Ex) = ν

(⋃n∈N

En,x

)=∑n∈N

ν(En,x)

Analog folgt aus der σ-Additivitat von µ, dass

µ(Ey) =∑n∈N

µ(Eyn)

Wir schliessen, dass

(µ× ν)1(E) =

∫Xν(Ex)dµ =

∫X

∑n∈N

ν(En,x)dµ =∑n∈N

∫Xν(En,x)dµ =

∑n∈N

(µ× ν)1(En)

und, analog, dass

(µ× ν)2(E) =∑n∈N

(µ× ν)2(En)

In beiden Identitaten haben wir Korollar 2.24 (Beppo Levi) benutzt. Das zeigt, dass(µ× ν)1 und (µ× ν)2 Masse auf A× B definieren.

Ferner bemerken wir, dass, fur A ∈ A und B ∈ B,

ν((A×B)x) = χA(x)ν(B) und µ((A×B)y)χB(y)µ(A) .

Das gibt

(µ× ν)1(A×B) = ν(B)

∫XχAdµ = µ(A)ν(B)

und

(µ× ν)2(A×B) = µ(A)

∫YχBdν = µ(A)ν(B)

Sei F = A × B : A ∈ A und B ∈ B. Dann F ist abgeschlossen bezuglich endlicheDurchschnitte, und, nach Definition, A × B = σ(F). Die zwei Masse (µ × ν)1 und(µ × ν)2 stimmen auf F uberein. Wir mochten nun Proposition 2.33 anwenden, um zuzeigen, dass (µ × ν)1 = (µ × ν)2 gelten muss. Dazu brauchen wir noch zu zeigen, dasseine wachsende Folge Cnn∈N in F existiert, mit (µ × ν)1(Cn) = (µ × ν)2(Cn) < ∞fur alle n ∈ N, so, dass X × Y =

⋃n∈NCn. Dazu benutzen wir die Tatsache, dass µ, ν

σ-endlich sind. Das impliziert, dass es wachsende Folge Ajj∈N in A und Bjj∈N in B

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existieren, mit µ(Aj) < ∞ und ν(Bj) < ∞ fur alle j ∈ N, und so, dass X =⋃j∈NAj

und Y =⋃j∈NBj . Wir setzen dann

Cn =n⋃j=1

Aj ×n⋃j=1

Bj

Dann ist Cn ∈ F fur alle n ∈ N,

(µ× ν)1(Cn) = (µ× ν)2(Cn) = µ

n⋃j=1

Aj

ν

n⋃j=1

Bj

= µ(An)ν(Bn) <∞

und⋃n∈NCn = X × Y . Damit konnen wir Proposition 2.33 anwenden; wir finden, dass

(µ× ν)1 = (µ× ν)2. Wir setzen (µ× ν) = (µ× ν)1 = (µ× ν)2.

Ist schlussendlich θ : A × B → [0;∞] ein anderes Mass mit θ(A × B) = µ(A)ν(B)fur alle A ∈ A und B ∈ B, so folgt wieder aus Proposition 2.33, dass θ = µ× ν.

Beispiel: Wir haben schon gezeigt, dass B(R2) = B(R) × B(R). Auf B(R2) ist dasLebesgue Mass λ2 definiert. Auf B(R) × B(R) konnen wir durch Theorem 2.32 dasProduktmass λ × λ definieren. Sei F = (a1, b1] × (a2, b2] : a1 < b1, und a2 < b2.Dann ist F abgeschlossen bezuglich endliche Durchschnitte, und B(R2) = σ(F). Da λ2

und λ1 × λ1 auf F ubereinstimmen, und weil wir konnen eine wachsende Folge Cn in Fkonstruieren, mit λ2(Cn) = λ × λ(Cn) < ∞ fur alle n ∈ N so, dass R2 =

⋃n∈NCn, es

folgt aus Proposition 2.33, dass λ2 = λ× λ.

Mit Theorem 2.32 haben wir nun aus zwei σ-endliche Massraume (X,A, µ), (Y,B, ν)ein neues Massraum (X × Y,A×B, µ× ν) konstruiert. Fur eine Funktion f : X × Y →[−∞;∞] konnen wir also untersuchen, ob sie A× B-messbar ist. Wenn sie messbar ist,konnen wir untersuchen, ob sie bezuglich das Mass µ × ν integrierbar ist. Wenn sieintegrierbar, konnen wir das Integral

∫X×Y fd(µ × ν) definieren. Eine naturliche Frage

ist: kann man das Integral bezuglich das Mass µ × ν durch die Integrale bezuglich µund ν berechnen? Wegen die Formel (27) konnen wir erwarten, die Antwort sei, untergewisse Voraussetzungen, ja. Das wird in den nachsten zwei Satzen bewiesen.

Satz 2.34 (Satz von Tonelli). Seien (X,A, µ) und (Y,B, ν) zwei σ-endliche Massraume.Sei f : X × Y → [0;∞] eine A × B-messbare Funktion. Aus Lemma 2.30 sind dieQuerschnitte fx : Y → [0;∞] B-messbar fur alle x ∈ X und die Querschnitte fy : X →[0;∞] A-messbar fur alle y ∈ Y . Deswegen konnen wir fur alle x ∈ X und y ∈ Y dieIntegrale

∫Y fxdν und

∫X f

ydµ definieren (sie konnen naturlich unendlich sein). Es gilt

a) Die Funktion x →∫Y fxdν ist A-messbar und die Funktion y →

∫X f

ydµ ist B-messbar.

b) Es gilt ∫X×Y

fd(µ× ν) =

∫X

(∫Yfxdν

)dµ =

∫Y

(∫Xfydµ

)dν

67

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Beweis. Sei zunachst E ∈ A × B, und f = χE die Charakteristische Funktion von E.Dann ist fx(y) = χE(x, y) = 1, falls (x, y) ∈ E und fx(y) = 0, falls (x, y) 6∈ E. D.h.fx(y) = 1 falls y ∈ Ex und fx(y) = 0, falls y 6∈ Ex. Mit anderen Worter ist fx = χEx dieCharakteristische Funktion des Querschnittes Ex. Analog ist fy = χEy . Deswegen gilt∫

Yfxdν = ν(Ex), und

∫Xfydµ = µ(Ey).

Aus Proposition 2.31 ist also die Funktion x →∫Y fxdν A-messbar und die Funktion

y →∫X f

ydµ B-messbar. Aus Theorem 2.32 finden wir weiter, dass∫X×Y

fd(µ× ν) = (µ× ν)(E) =

∫Xν(Ex)dµ =

∫X

(∫Yfxdν

)dµ

und analog∫X×Y

fd(µ× ν) = (µ× ν)(E) =

∫Yµ(Ey)dν =

∫Y

(∫Xfydµ

)dν

Das zeigt a) und b) fur charakteristische Funktionen von Mengen in A × B. EinfacheA × B-messbare nicht-negative Funktionen sind endliche lineare Kombinationen voncharakteristische Funktionen von E ∈ A×B. Aus Linearitat des Integrals folgt, dass a),b)fur beliebige einfache Funktion gelten. Aber eine beliebige A×B-messbare Funktion aufX×Y kann gemass Proposition 2.3 durch eine monotone Folge nicht-negative messbareneinfache Funktionen approximiert werden. Der Satz von der monotone Konvergenz zeigt,dann, a) und b) fur beliebige messbare f : X × Y → [0;∞].

Integrale von Funktionen auf X × Y mit Werten in [−∞;∞] konnen auch durchberechnet, indem man zunachst uber x und nachher uber y integriert (oder zunachstuber y und nachher uber x), wenn wir annehmen, dass die Funktion f integrierbar ist.Das zeigen wir im nachsten Theorem.

Theorem 2.35 (Theorem von Fubini). Seien (X,A, µ) und (Y,B, ν) zwei σ-endlicheMassraume. Sei f : X × Y → [−∞;∞] A×B-messbar und integrierbar bezuglich µ× ν.Dann gilt

a) Die Funktion fx ist ν-integrierbar fur µ-fast alle x ∈ X. Die Funktion fy istµ-integrierbar fur ν-fast alle y ∈ Y .

b) Seien

If (x) =

∫Y fxdν, falls fx ν-integrierbar ist

0, sonst

und

Jf (y) =

∫X f

ydµ, falls fy µ-integrierbar ist0, sonst

Dann gilt If ∈ L1(X,A, µ) und Jf ∈ L1(X,B, ν) und∫X×Y

fd(µ× ν) =

∫XIfdµ =

∫YJfdν (28)

68

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Bemerkung:

1) Grob gesagt gilt, unter der Annahme, dass f integrierbar ist,∫X×Y

fd(µ× ν) =

∫X

(∫Yfxdν

)dµ =

∫Y

(∫Xfydµ

)dν ,

wie im Satz 2.34. Wir mussen aber diese Aussage wie in (28) formulieren, weildie Integrale

∫X f

ydµ und∫Y fxdν nur fast-uberall und nicht unbedingt uberall

definiert sind (im Satz 2.34, dagegen, waren die Integrale wegen Nicht-negativitatvon f uberall wohldefiniert).

2) Die Strategie um das Integral∫fd(µ × ν) zu berechnen ist wie folgt. Zunachst

benutzt man Satz 2.34, um das Integral von |f | zu berechnen. Ist das Integral von|f | endlich, so ist f integrierbar, und mann kann Theorem 2.35 anwenden, um denWert von

∫fd(µ× ν) zu bestimmen.

Beweis. Die Messbarkeit von f impliziert, dass auch f+ und f− A × B-messbar sind.Aus Lemma 2.30 folgt, dass (f+)x und (f−)x B-messbar sind, fur alle x ∈ X. Da

(f+)x(y) = f+(x, y) = max(f(x, y), 0) = max(fx(y), 0) = (fx)+(y)

finden wir, dass (fx)+ und (fx)− messbar sind, fur alle x ∈ X. Satz 2.34 zeigt, dassdie Funktionen x →

∫Y (f+)x dν =

∫Y (fx)+ dν und x →

∫Y (f−)x dν =

∫Y (fx)− dν A-

messbar sind, und, dass∫X×Y

f+d(µ× ν) =

∫X

(∫Y

(fx)+dν

)dµ und∫

X×Yf−d(µ× ν) =

∫X

(∫Y

(fx)−dν

)dµ

Die Integrierbarkeit von f bedeutet, dass die linke Seite der letzten zwei Gleichungenendlich ist. Deswegen muss∫

Y(fx)+dν <∞ und

∫Y

(fx)−dν <∞

fur µ-fast alle x ∈ X. D.h. fx ist µ-fast uberall integrierbar. Wir setzten

N =

x ∈ X :

∫Y

(fx)+dν =∞, oder

∫Y

(fx)−dν =∞

Wegen Messbarkeit von x→∫Y (fx)+ dν und x→

∫Y (fx)− dν ist N ∈ A, mit µ(N) = 0.

Da auf N c gilt

If (x) =

∫Y

(fx)+dν −∫Y

(fx)−dν

69

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finden wir, dass∫X×Y

fd(µ× ν) =

∫X×Y

f+d(µ× ν)−∫X×Y

f−d(µ× ν)

=

∫X

(∫Y

(fx)+dν

)dµ−

∫X

(∫Y

(fx)−dν

)dµ

=

∫Nc

(∫Y

(fx)+dν

)dµ−

∫Nc

(∫Y

(fx)−dν

)dµ

=

∫Nc

(∫Y

(fx)+dν −∫Y

(fx)−dν

)dµ

=

∫Nc

If dµ =

∫XIf dµ

weil µ(N) = 0. Analog zeigt man, dass∫X×Y fd(µ× ν) =

∫Y Jfdν.

Wir haben bis jetzt Produkte von zwei Massraume betrachtet. Man kann die Resul-tate die wir bis jetzt bewiesen haben einfach auf dem Produkt von mehrere Massraumeverallgemeinern. Seien namlich (X1,A1, µ1), . . . , (Xk,Ak, µk) k σ-endliche Massraume.Dann definieren wir die Produktmenge

X1 × · · · ×Xk = (x1, . . . , xk) : x1 ∈ X1, . . . , xk ∈ Xk

Auf X1 × · · · × Xk kann man die σ-Algebra A1 × Ak definieren, als die kleinste σ-Algebra die alle Mengen der Form A1 × · · · × Ak, mit A1 ∈ A1, . . . , Ak ∈ Ak, enthalt.Wir bemerken, dass

A1 × . . .Aj ×Aj+1 × · · · × Ak = (A1 × · · · × Aj)× (Aj+1 × · · · × Ak)

fur alle j = 1, . . . , k. Aus diesem Grund kann man ein Mass µ1×· · ·×µk auf A1×· · ·×Ak,mit der Eigenschaft, dass

(µ1 × · · · × µk)(A1 × · · · ×Ak) = µ1(A1) . . . µk(Ak) (29)

fur alle A1 ∈ A1, . . . , Ak ∈ Ak, durch rekursive Anwendung von Theorem 2.32 konstru-ieren. Im ersten Schritt definieren wir namlich µ1 × µ2 auf A1 ×A2. Im zweiten Schrittdefinieren wir dann µ1×µ2×µ3 := (µ1×µ2)×µ3 auf A1×A2×A3 = (A1×A2)×A3,und so weiter. Mit Proposition 2.33 kann man dann ahnlich wie in Theorem 2.32 zei-gen, dass das konstruierte Mass µ1 × · · · × µk das einzige Mass ist, das (29) erfullt. Istf : X1 × · · · × Xk → [0;∞] eine A1 × . . .Ak-messbare Funktion so kann man durchwiederholte Anwendung von Satz 2.34 das Integral∫

X1×···×Xkf d(µ1 × · · · × µk) =

∫X1×···×Xk−1

(∫Xk

fx1,...,xk−1dµk

)d(µ1 × · · · × µk−1)

= . . .

=

∫X1

(∫X2

. . .

(∫Xk

fx1,...,xk−1dµk

). . . dµk−1

)dµ1

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berechnen. Analog, falls f : X1×· · ·×Xk → [−∞;∞] bzg. µ1×· · ·×µk integrierbar ist, sokann man Theorem 2.35 iterativ anwenden, um das Integral

∫X1×···×Xk fd(µ1×· · ·×µk)

zu berechnen.

Die wichtigste Anwendung vom Satz von Tonelli und vom Theorem von Fubini ist dieBerechnung von Integrale auf Rn. Wir haben schon diskutiert, dass B(R2) = B(R)×B(R)und, dass λ2 = λ×λ. Allgemeiner gilt B(Rn+m) = B(Rn)×B(Rm) und λn+m = λn×λm.Ist f : Rn+m = Rn × Rm → [0;∞] B(R2)-messbar dann folgt aus Satz 2.34, dass∫

Rn+mfdλn+m =

∫Rn

(∫Rm

f(x, y)dλm(y)

)dλn(x) (30)

(Die Notation dλn(x) und dλm(y) erklart welche Variable wird jeweils integriert). Istf : Rn × Rm → [−∞;∞] λn+m-integrierbar, so folgt (30) aus Theorem 2.35. Man kann(30) iterieren, und damit die Berechnung von Integrale auf Rn zur Berechnung vonIntegrale auf R zuruckfuhren, die oft durch das Haupttheorem der Integralrechnungberechnet werden konnen. Fur eine Funktion B(Rn)-messbare Funktion f : Rn → [0;∞]oder fur eine Funktion f : Rn → [−∞;∞] die λn-integrierbar ist finden wir∫

Rnfdλn =

∫R

(∫R. . .

(∫Rf(x1, . . . , xn)dλ(xn)

). . . dλ(x2)

)dλ(x1)

Beispiel: Wir wollen das Volumen der Einheitskugel E = (x, y, z) ∈ R3 : x2 + y2 +z2 ≤ 1 berechnen. Das ist aus

λ3(E) =

∫dλ3 χE =

∫dλx

(∫dλy

(∫dλzχE(x, y, z)

))Nun χE(x, y, z) = 1 falls x2 + y2 + z2 ≤ 1 und χE(x, y, z) = 0 sonst. Das gibt

χE(x, y, z) =

1 falls x2 + y2 ≤ 1 und |z| ≤

√1− x2 − y2

0 sonst

Also ∫dλz χE(x, y, z) = 2χ(x2 + y2 ≤ 1)

√1− x2 − y2

Nun mussen wir∫dλy

(∫dλzχE(x, y, z)

)= 2

∫dλyχ(x2 + y2 ≤ 1)

√1− x2 − y2

= 2χ(|x| ≤ 1)

∫ √1−x2

−√

1−x2

√1− x2 − y2dy

= 2χ(|x| ≤ 1)

∫ √1−x2

−√

1−x2dy√

1− x2

√1−

(y√

1− x2

)2

= 2χ(|x| ≤ 1) (1− x2)

∫ 1

−1dy√

1− y2 = πχ(|x| ≤ 1)(1− x2)

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berechnen. Das Volume der Einheitskugel ist also durch

λ3(E) = π

∫dλxχ(|x| ≤ 1)(1− x2) = 2π

∫ 1

0(1− x2) = 2π

[x− x3

3

]1

0

=4

Wir haben schon gemerkt, dass im Gegensatz zur Beziehung B(Rn) = B(R)× · · · ×B(R) gilt die analoge Aussage fur die σ-Algebra von Lebesgue messbaren Mengen nicht,d.h. Mλ∗n 6= Mλ∗ × · · · ×Mλ∗ . Das bedeutet, man kann Satz 2.34 und Theorem 2.35nicht direkt anwenden, zur Berechnung von Integrale von Mλ∗n-messbaren Funktionen.Oft ist das kein Problem, weil die Funktionen dessen Integrale wir berechnen mochten,normalerweise auch B(Rn)-messbar sind. In diesem Fall stimmt das Integral von fals Funktion auf dem Massraum (Rn,Mλ∗n , λn) mit dem Integral von f als Funkti-on auf (Rn,B(Rn), λn) uberein. Trotzdem wollen wir kurz diskutieren, wie man Fubinizur Berechnung vom Integral einer Mλ∗n+m

-messbare Funktion anwenden kann, obwohlMλ∗n+m

6=Mλ∗n ×Mλ∗m .

Satz 2.36. Sei E ⊂ Rm+n Lebesgue messbar, d.h. E ∈Mλ∗n+m. Fur x ∈ Rn sei

Ex = y ∈ Rm : (x, y) ∈ E

Dann existiert N ⊂ Rn, N ∈Mλ∗n mit λn(N) = 0 so, dass

a) Ex ∈Mλ∗m fur alle x ∈ N c (d.h. Ex ist Lebesgue messbar fur fast alle x ∈ Rn).

b) Die Funktion

f(x) =

λm(Ex) fur x ∈ N c

0 fur x ∈ Nist Mλ∗n-messbar.

c) Es gilt

λn+m(E) =

∫Rnfdλn

Bemerkung: verglichen mit Lemma 2.30 muss hier Ex nur fur fast alle x ∈ Rn messbarsein. Das Beispiel E = 0 ×M ⊂∈Mλ∗2

, wobei M ⊂ R nicht Lebesgue messbar, zeigt,dass wir Ex ∈Mλ∗m fur alle x ∈ Rn nicht erwarten konnen. Punkt b) ist das Analog zuProposition 2.31; hier konnen wir nicht einfach f(x) = λm(Ex) setzen, weil fur x ∈ Nbraucht Ex nicht Lebesgue messbar zu sein. Punkt c) ist das Analog von Theorem 2.32.

Beweis. Sei E ∈Mλ∗n+m. Wir nehmen zunachst an, dass λn+m(E) <∞. DaMλ∗n+m

die

Vervollstandigung von B(Rn+m) ist, finden wir F,G ∈ B(Rn+m) mit F ⊂ E ⊂ G undλn+m(G\F ) = 0 (was insbesondere λn+m(G) = λn+m(E) = λn+m(F ) < ∞ impliziert).Es gilt dann: fur alle x ∈ R ist Fx ⊂ Ex ⊂ Gx. Aus Lemma 2.30 wissen wir, dassFx, Gx ∈ B(Rm) fur alle x ∈ Rn. Aus Proposition 2.31 impliziert, dass x→ λm(Fx) undx→ λm(Gx) B(Rn)-messbar sind. Aus Theorem 2.32 folgt auch

λn+m(G) =

∫Rnλm(Gx)dλn, und

λn+m(F ) =

∫Rnλm(Fx)dλn

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Aus der Annahme λn+m(F ) = λn+m(G) < ∞ folgt, dass λm(Fx) ≤ λm(Gx) < ∞ furfast alle x ∈ Rn. Da Fx ⊂ Gx fur alle x ∈ Rn haben wir λm(Fx) ≤ λm(Gx) fur allex ∈ Rn. Deshalb ∫

Rn|λm(Gx)− λm(Fx)|dλn = 0

Das impliziert, dass λm(Gx) = λm(Fx) fur λ-fast alle x ∈ Rn. Wir setzen

N = x ∈ Rn : λm(Gx) =∞ ∪ x ∈ Rn : λm(Fx) < λm(Gx)

Dann ist N ∈ Mλ∗n mit λn(N) = 0. Fur x ∈ N c gilt λm(Gx\Fx) = 0, und damit Ex inder Vervollstandigung von B(Rm); d.h. Ex ∈Mλ∗m . Das zeigt a).

Wir setzen f(x) = λm(Ex) fur x ∈ N c und f(x) = 0 fur x ∈ N . Bemerke, dassf(x) = λm(Fx) fur alle x ∈ N c. Aus der B(Rm)-Messbarkeit von λm(Fx) finden wir, furalle t > 0,

x ∈ Rn : f(x) < t = N ∪ (N c ∩ x ∈ Rn : λm(Fx) < t) ∈Mλ∗n

Fur t ≤ 0, gilt analog

x ∈ Rn : f(x) < t = N c ∩ x ∈ Rn : λm(Fx) < t ∈ Mλ∗n

Das zeigt, dass f Mλ∗n-messbar ist.Um c) zu zeigen, bemerken wir, dass

λm+n(E) = λm+n(F ) =

∫Rnλm(Fx)dλn =

∫Rnfdλn

weil f(x) = λm(Fx) fur fast alle x ∈ Rn.Um den Fall λn+m(E) =∞ zu betrachten, benutzt man wie ublich die σ-Endlichkeit

vom Lebesgue Mass. Wir lassen die Details als Ubung.

Mit Satz 2.36 kann man dann Resultate analog zu Satz 2.34 und Theorem 2.35beweisen. Sei namlich f : Rn+m → [0;∞] Mλ∗n+m

-messbar. Dann existiert N ∈ Mλ∗nmit λn(N) = 0 so, dass die Funktion fx : Rm → [0;∞], definiert durch fx(y) = f(x, y),fur alle x ∈ N c Mλ∗m-messbar ist. Die Funktion

If (x) =

∫Rm fxdλm fur alle x ∈ N c

0 fur alle x ∈ N

ist Mλ∗n-messbar und ∫Rn+m

fdλn+m =

∫RnIfdλn

Ist dagegen f : Rn+m → [−∞;∞]Mλ∗n+m-messbar und bezuglich λn+m-integrierbar,

so existiert N ∈Mλ∗n mit λn(N) = 0 so, dass die Funktion fx : Rm → [−∞;∞] fur allex ∈ N c integrierbar ist. Die Funktion

If (x) =

∫Rm fxdλm fur alle x ∈ N c

0 fur alle x ∈ N

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ist Mλ∗n-messbar und ∫Rn+m

fdλn+m =

∫RnIfdλn

Diese letzte Aussage ist mit der Aussage von Theorem 2.35 identisch (einzige Unter-schied: dort war die Nullmenge N notig, um Integrierbarkeit von fx zu garantieren;hier braucht man die Nullmenge N schon um die Messbarkeit von fx zu garantieren).D.h. das Theorem von Fubini kann tats achlich auch benutzt werden, um Integrale vonLebesgue messbare Funktionen anwenden, obwohl Mλ∗n+m

6=Mλ∗n ×Mλ∗m .

2.6 Transformationsatz

Das Theorem von Fubini erlaubt uns Integrale auf Rn auf Integrale auf R zuruck-zufuhren. Manchmal ist aber die Anwendung von Fubini keine gute Idee, weil manverpasst dabei dann die Symmetrien des Integrandes. Das haben wir zum Beispiel inder Berechnung von dem Volumen einer Kugel gesehen. In diesen Fallen ist dagegenoft nutzlich Koordinaten einzufuhren, die die Symmetrie berucksichtigen. Zum Beispiel,wenn wir das Volumen einer Kugel in drei Dimensionen berechnen wollen, lohnt sich so-genannte sphahrische Koordinaten (r, θ, ϕ) zu benutzen. Die sind aus den Beziehungen

x = r cos θ cosϕ, y = r cos θ sinϕ, z = r sin θ

definiert. Man kann dann sich einfach uberzeugen, dass die Abbildung ϕ : (0;∞) ×[0;π] × [0; 2π) → R3\0 bijektiv ist. In spharische Koordinaten ist dann der Kugel(x, y, z) : x2 + y2 + z2 ≤ 1 einfach aus der Bedingung r ≤ 1 definiert. Aus Analysis1 erinnern wir, dass wenn wir in einem Riemann Integral Variablen wechseln wollen, somussen wir die Substitutionregel angewenden. Fur das Lebesgue Integral auf Rn wirddie Substitutionsregel durch die folgende Transformationssatz ersetzt.

Satz 2.37 (Transformationssatz). Sei n ∈ N\0, U, V ⊂ Rn offen und ϕ : U →V ein C1-Diffeomorphismus (d.h. ϕ ∈ C1(U ;V ) ist bijektiv, und ϕ−1 ∈ C1(V ;U)).Eine Funktion f : V → [−∞;∞] ist genau dann Lebesgue integrierbar (d.h. f ist Mλ∗nmessbar und integrierbar bezuglich dem Lebesgue Mass λn), wenn (f ϕ)| det(Dϕ)| :U → [−∞;∞] Lebesgue integrierbar. Es gilt dann∫

Vfdλn =

∫U

(f ϕ)| det(Dϕ)|dλn

Bemerkungen:

i) Da ϕ ein Diffeomorphismus ist, haben wir 0 < |det(Dϕ(x))| < ∞ fur alle x ∈ U .Deswegen ist das Produkt f(ϕ(x))|det(Dϕ(x))| wohldefiniert, fur alle x ∈ U .

ii) Insbesondere, fur E ∈Mλ∗n finden wir, dass ϕ(E) ∈Mλ∗n und

λn(ϕ(E)) =

∫E|det(Dϕ)|dλn

iii) Sind U, V ⊂ R, dann ist Dϕ(x) = ϕ′(x) und |det(Dϕ(x))| = |ϕ′(x)|, was mit derSubstitutionsregel fur Riemann Integrale auf R konsistent ist.

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Zum Beweis vom Transformationssatz werden wir die folgende, teilweise schon inden Ubungen bewiesene, Resultate anwenden.

Lemma 2.38. Sei E ⊂ Rn Lebesgue-messbar, und T ∈ Rn×n eine beliebige Matrix.Dann ist T (E) auch Lebesgue messbar, und es gilt λn(T (E)) = |det(T )|λn(E).

Lemma 2.38 wurde im Aufgabeblatt 5 bewiesen.

Lemma 2.39. Sei E ⊂ Rn Lebesgue-messbar, und f : Rn → Rn Lipschitz stetig mitLipschitz Konstante L > 0. Dann ist f(E) ∈ Mλ∗n und es existiert eine Konstante C

(man kann C = nn/2 wahlen), mit

λn(f(E)) ≤ CLλn(E)

Lemma 2.39 wurde im Aufgabeblatt 6 bewiesen.

Lemma 2.40. Seien U, V ⊂ Rn offen und ϕ : U → V ein C1-Diffeomorphismus. SeiW ⊂ U ein kompakter Quader. Dann ist ϕ(W ) Lebesgue messbar (weil Homeomorphis-men offene Menge auf offene Menge abbilden, und deswegen auch abgeschlossene Mengeauf abgeschlossene) und

λn(ϕ(W )) ≤∫W|det(Dϕ)|dλn

Beweis. Da W ⊂ Rn kompakt ist, gilt

M = maxx∈W

‖(Dϕ(x))−1‖ <∞ .

(weil Dϕ(x) von x stetig abhangt, und Dϕ(x) fur alle x ∈ W invertierbar ist). Sei nunε > 0 beliebig. Da W kompakt ist, finden wir δ > 0 mit ‖Dϕ(x) − Dϕ(y)‖ ≤ ε furalle x, y ∈ W mit ‖x − y‖ ≤ δ; hier bezeichnet ‖.‖ die euklidische Norm auf Rn (oderirgendeine Norm auf Rn, weil alle aquivalent sind).

Wir zerlegen nun W =⋃kj=1Qj , wobei Qj eine endliche Familie von disjunkten

Quadern mit Kantenlange ` ≤ δ/√n (so, dass ‖x − y‖ ≤ δ fur alle x, y ∈ Qj , fur alle

j = 1, . . . , k). Wir behaupten nun, dass

λn(ϕ(Qj)) ≤ (1 + 2Mε√n)n

∫Qj

|det(Dϕ)|dλn (31)

fur alle j = 1, . . . , k. Da ϕ(W ) =⋃kj=1 ϕ(Qj), mit ϕ(Qj)∩ϕ(Qi) = ∅ fur alle i 6= j folgt

aus (31) und aus der Linearitat des Integrals, dass

λn(ϕ(W )) =

k∑j=1

λ(ϕ(Qj))

≤ (1 + 2Mε√n)n

∫Qj

|det(Dϕ)|dλn

= (1 + 2Mε√n)n

∫W| det(Dϕ)|dλn

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Da ε > 0 beliebig ist, es folgt, dass

λn(ϕ(W )) ≤∫W|det(Dϕ)|dλn

wie behauptet.Wir mussen noch (31) zeigen. Sei z ∈ Rn mit Qj = z + [0; `]n. Da Qj kompakt ist,

finden wir x ∈ Qj mit|det(Dϕ(x))| = min

x∈Qj| det(Dϕ(x))|

Da Dϕ uberall invertierbar ist, gilt det(Dϕ(x)) 6= 0. Wir definieren nun ψ : Qj → Rndurch

ψ(y) = (Dϕ(x))−1(ϕ(y)− ϕ(z))

fur alle y ∈ Qj . Dann gilt ψ(z) = 0 und, aus der Kettenregel,

Dψ(y) = (Dϕ(x))−1Dϕ(y).

Da ‖Dϕ(y)−Dϕ(x)‖ ≤ ε fur alle x, y ∈ Qj (nach Wahl von δ), finden wir

‖Dψ(y)− 1‖ = ‖(Dϕ(x))−1Dϕ(y)− 1‖ ≤ ‖Dϕ(x)−1‖‖Dϕ(y)−Dϕ(x)‖ ≤Mε

fur alle y ∈ Qj . Nun wenden wir den Mittelwertsatz an. Fur ein beliebiges y ∈ Qj undfur jede Komponente i = 1, . . . , n finden wir ein qi auf der Geradenstuck zwischen y undz mit

ψi(y) = ψi(y)− ψi(z) = [Dψ(qi)(y − z)]iDeswegen gilt

ψi(y)− (y − z)i = [(Dψ(qi)− 1)(y − z)]i .

Da 0 ≤ (y − z)i ≤ ` und

|[(Dψ(qi)− 1)(y − z)]i| ≤ ‖(Dψ(qi)− 1)(y − z)‖ ≤ ‖Dψ(qi)− 1‖‖y − z‖ ≤Mε√n`

finden wir−Mε

√n` ≤ ψi(y) ≤ `+Mε

√n`

fur alle y ∈ Qj . Das impliziert, dass

ψ(Qj) ⊂ [−Mε√n`; `+M + ε

√n`]×n

undλn(ψ(Qj)) ≤ (1 + 2Mε

√n)n`n

Translationsinvarianz von Lebesgue Mass λn zusammen mit Lemma 2.38 implizieren,dass

λn(ϕ(Qj)) = λn(Dϕ(x)(ψ(Qj))) = |detDϕ(x)|λn(ψ(Qj))

≤ (1 + 2Mε√n)n|det(Dϕ(x))|λn(Qj) ≤ (1 + 2Mε

√n)n

∫Qj

| det(Dϕ)|dλn

In der letzten Ungleichung haben wir benutzt, dass |detDϕ(x)| ≤ |det(Dϕ(x))| fur allex ∈ Qj . Damit ist (31) gezeigt.

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Wir konnen nun Lemma 2.40 anwenden, um Satz 2.37 zu beweisen.

Beweis von Satz 2.37. Es genug die Behauptung fur f : V → [0;∞] nicht-negativ undmessbar zu zeigen. Dann kann man eine beliebige messbare Funktion f : V → [−∞;∞]als f = f+ − f− schreiben. Der Transformationssatz fur f+ und fur f− impliziert denTransformationssatz fur f .

Wir nehmen zunachst zusatzlich an, dass Dϕ und (Dϕ)−1 beschrankt sind. In diesemFall sind ϕ und ϕ−1 Lipschitz stetig.

Sei O ⊂ U offen. Aus Lemma 1.32 finden wir eine Folge (Qj)j∈N von disjunktenhalb-offenen Quadern mit O =

⋃j∈NQj . Dann gilt ϕ(O) =

⋃j∈N ϕ(Qj) und damit, aus

Lemma 2.40,

λn(ϕ(O)) ≤∑j∈N

λn(ϕ(Qj)) ≤∑j∈N

λn(ϕ(Qj)) ≤∑j∈N

∫Qj

|detDϕ|dλn =

∫O|detDϕ|dλn

Sei nun E ⊂ U Lebesgue messbar. Aus der Regularitat vom Lebesgue Mass, Satz 1.31,finden wir fur alle j ∈ N eine offene Menge Oj mit E ⊂ Oj und λn(Oj\E) ≤ 1/j. Wirkonnen auch Oj ⊂ U annehmen (sonst ersetzen wir Oj mit Oj ∩ U). Da ϕ Lipschitzstetig ist, sind ϕ(E) und ϕ(Oj) Lebesgue messbar, und

λn(ϕ(E)) ≤ λn(ϕ(Oj)) ≤∫Oj

|det(Dϕ)|dλn ≤∫E|det(Dϕ)|dλn +Mnλn(Oj\E)

wobei M = supx∈U ‖Dϕ(x)‖ < ∞. Da λn(Oj\E) ≤ 1/j und j ≥ 1 beliebig ist, bekom-men wir

λn(ϕ(E)) ≤∫E|det(Dϕ)|dλn

fur alle Lebesgue messbare E ∈Mλ∗n .

Sei nun f =∑m

j=1 αjχAj eine einfache Funktion, mit Aj ⊂ V = ϕ(U) messbar und

disjunkt, αj ∈ [0;∞). Die Mengen Bj = ϕ−1(Aj) ⊂ U sind auch messbar und disjunktund ∫

ϕ(U)fdλn =

m∑j=1

αjλn(Aj) =

m∑j=1

αjλn(ϕ(Bj)) ≤m∑j=1

αj

∫Bj

|det(Dϕ)|dλn

=

∫U

m∑j=1

αjχBj |det(Dϕ)|dλn =

∫U

(f ϕ) |det(Dϕ)|dλn

Ist nun f : V = ϕ(U) → [0;∞] eine beliebige messbare Funktion, so konnen wirnach Proposition 2.3 eine Folge fk von nicht-negativen einfachen messbaren Funktionenauf ϕ(U), mit fk+1(x) ≥ fk(x) fur alle k ∈ N und f(x) = limk→∞ fk(x) fur alle x ∈V = ϕ(U). Dann konvergiert die Funktionenfolge (fk ϕ)|det(Dϕ)|, definiert auf U mitWerten in [0;∞], punktweise und monoton gegen g = (f ϕ)|det(Dϕ)|. Aus der Satzuber die monotone Konvergenz gilt∫ϕ(U)

fdλn = limk→∞

∫ϕ(U)

fkdλn ≤ limk→∞

∫U

(fk ϕ)|det(Dϕ)|dλn =

∫(f ϕ)|det(Dϕ)|dλn

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Damit gilt ∫ϕ(U)

fdλn ≤∫U

(f ϕ)|det(Dϕ)|dλn (32)

fur alle messbare Funktionen f : V → [0;∞].

Mit ψ = ϕ−1 und g = (f ϕ)|det(Dϕ)| finden wir also∫ψ(V )

g dλn ≤∫V

(g ψ)|det(Dψ)|dλn

Da aber ψ(V ) = U und (g ψ)|det(Dψ)| = f finden wir∫U

(f ϕ)|det(Dϕ)|dλn ≤∫Vfdλn

Mit (32) folgt, dass ∫U

(f ϕ)|det(Dϕ)|dλn =

∫Vfdλn

fur alle messbare Funktionen f : V → [0;∞].

Schlussendlich nehmen wir an ϕ : U → V sei ein Diffeomorphismus, aber nichtunbedingt, dass Dϕ und Dϕ−1 beschrankt sind (dann brauchen ϕ,ϕ−1 nicht unbedingtLipschitz stetig zu sein). Fur k ∈ N definieren wir die Mengen

Uk = x ∈ U : ‖Dϕ(x)‖+ ‖(Dϕ(x))−1‖ < k

Aus der Stetigkeit von Dϕ ist Uk offen, fur alle k ∈ N. Aus dem ersten Teil des Beweisesfinden wir, dass ∫

ϕ(Uk)fdλn =

∫Uk

(f ϕ)|det(Dϕ)|dλn

fur alle k ∈ N. Wir betrachten die monoton wachsende Funktionenfolge fk = fχϕ(Uk),definiert auf V = ϕ(U), und gk = (f ϕ)|det(Dϕ)|χUk , definiert auf U . Die Folge fkkonvergiert punktweise zu f , gk zu (f ϕ)|det(Dϕ)|. Aus der Satz uber die monotoneKonvergenz finden wir∫

ϕ(U)fdλn = lim

k→∞

∫ϕ(U)

fkdλn = limk→∞

∫ϕ(Uk)

fdλn

= limk→∞

∫Uk

(f ϕ)|det(Dϕ)|dλn = limk→∞

∫Ugk =

∫U

(f ϕ)|det(Dϕ)| .

Beispiel:

i) Polarkoordinaten auf R2: Wir definieren die Abbildung ϕ : (0;∞) × (0; 2π) →R2\(x, 0) : x ≥ 0 durch ϕ(r, θ) = (r cos θ, r sin θ). Es ist leicht zu uberprufen,dass ϕ ein C1-Diffeomorphismum ist. Es gilt:

Dϕ(r, θ) =

(cos θ −r sin θsin θ r cos θ

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und deswegendetDϕ(r, θ) = r

Da (x; 0) : x ≥ 0 eine Nullmenge in R2 ist, gilt, fur eine beliebige Lebesguemessbare Funktion f : R2 → [−∞;∞], dass∫

R2

fdλ2 =

∫(0;∞)×(0,2π)

f(r cos θ, sin θ)rdλ2(r, θ)

=

∫ ∞0

[∫ 2π

0f(r cos θ, r sin θ)dθ

]rdr

Als Anwendung von Polarkoordinaten auf R2 berechnen wir das integral

I =

∫Re−x

2dx

Es gilt, mit Fubini,

I2 =

∫R

(∫Re−y

2dy

)e−x

2dx =

∫R2

e−(x2+y2)dλ2(x, y) =

∫ ∞0

e−r2rdr

∫ 2π

0dθ

= 2π

[−1

2e−r

2

]∞0

= π

Deswegen ist I =√π.

ii) Spharische Koordinaten auf R3. Wir setzen U = (0;∞) × (0;π) × (0; 2π) undV = R3\(0, y, z) : y, z ∈ R. Wir definieren die Abbildung ϕ : U → V durchϕ(r, θ, φ) = (r sin θ cosφ, r sin θ sinφ, r cos θ). Man uberpruft einfach, dass ϕ einDiffeomorphismus ist. Es gilt

Dϕ(r, θ, φ) =

sin θ cosφ r cos θ cosφ −r sin θ sinφsin θ sinφ r cos θ sinφ r sin θ cosφcos θ −r sin θ 0

Deswegen finden wir

det(Dϕ) = r2 sin θ

Da det Dϕ(r, θ, ϕ) > 0 auf U und da R3\V eine Nullmenge ist, finden wir, fur einebeliebige Lebesgue messbare Funktion f : R3 → [−∞;∞],∫

R3

fdλ3 =

∫Uf(r sin θ cosφ, r sin θ sinφ, r cos θ)r2 sin θdλ3(r, θ, φ)

Als Anwendung berechnen wir das Volumen eines Kugel mit Radius R > 0. Inspharische Koordinaten ist der Kugel von Radius R aus der Bedingung r ≤ Rdefiniert. Das Volumen ist also aus∫

Uχ(r ≤ R)dλ3(r, θ, φ) = 2π

∫ R

0r2dr

∫ π

0sin θdθ =

4πR3

3

gegeben.

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3 Lp-Raume und ihre Eigenschaften

Wir fuhren in diesem Kapitel die Lp-Raume von messbaren Funtkionen auf einemMassraum (Ω,A, µ). Der Einfachheit halber werden hier nur Funktionen mit Wertenin R betrachten. Wir hatten aber auch Funktionen mit Werten in [−∞;∞] betrachtenkonnen, die fast uberall endlich sind.

Wir hatten auch C-wertige oder Rm-wertige Funktionen betrachten konnen. Seinamlich (Ω,A, µ) ein Massraum, und f : Ω → Rn, Wir sagen f ist A-messbar, fallsjede Komponente fj , j = 1, . . . , n, A-messbar ist. Wir sagen die Funktion f ist inte-grierbar, bezuglich dem Mass µ, falls fj integrierbar ist, fur alle j = 1, . . . , n. In diesemFall definieren wir das Integral∫

fdµ =

(∫f1dµ,

∫f2dµ, . . . ,

∫fndµ

)komponentenweise. Man bemerke, dass f genau dann integrierbar ist, falls die reel-wertige Funktion x→ ‖f(x)‖ = (|f1(x)|2 + · · ·+ |fn(x)|2)1/2 integrierbar ist. Analog, wirsagen eine C-wertige Funktion f : Ω→ C ist messbar, falls Re f und Im f messbar sind.f heisst integrierbar, falls Re f und Im f integrierbar sind. Das ist wieder aquivalent zurBedingung, dass |f | = (Re2(f) + Im2(f))1/2 integrierbar ist. In diesem Fall definierenwir das Integral ∫

fdµ =

∫Re fdµ+ i

∫Im fdµ

Wie gesagt werden wir im folgenden Kapitel nur reelwertige Funktionen untersuchen. Essollte aber klar sein, wie die Aussage unten zu C- und Rn-wertige Funktionen erweitertwerden konnen.

3.1 Konvergenzbegriffe fur Folgen messbarer Funktionen

Wir betrachten ein Massraum (Ω,A, µ), eine Funktionenfolge fk : Ω → R, und eineFunktion f : Ω → R. Aus Analysis 1 kennen wir die Begriffe von punktweise und vongleichmassige Konvergenz. Wir sagen namlich, dass fk → f punktweise, falls fk(x) →f(x) fur alle x ∈ Ω, und, dass fk → f gleichmassig, falls

supx∈Ω|fk(x)− f(x)| → 0

fur k →∞. Gleichmassige Konvergenz impliziert offenbar punktweise konvergenz. Diesebeide Begriffe benutzen nicht die Tatsache, dass Ωein Massraum ist.

Wir haben in Analysis 3 schon einen weiteren Begriff von Konvergenz eingefuhrt. Wirsagen, dass fk → f punktweise fast uberall, (oder einfach, dass fk → f fast uberall),falls es ein N ∈ A existiert, mit µ(N) = 0 so, dass fk(x)→ f(x) fur alle x ∈ N c (ist dasMass µ vollstandig, so konvergiert fk → f punktweise fast uberall genau dann, wennµ(x ∈ Ω : fk(x) 6→ f(x)) = 0). Fast uberall konvergenz ist offenbar schwacher alspunktweise Konvergenz, und deswegen auch als gleichmassige Konvergenz.

Sind alle fk und f messbare Funktionen, so konnen wir noch ein Konvergenzbegriffeinfuhren. Wir sagen, dass fk → f nach Mass (oder in Wahrscheinlichkeit) falls, fur alle

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δ > 0,limk→∞

µ (x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| > δ) = 0

Man bemerke, dass die Mengen x ∈ Ω : |fk(x) − f(x)| > δ immer in A sind, wegender Annahme, dass f und fk fur alle k ∈ N messbar sind.

Wir haben in Kapitel 2.2 den Raum

L1(Ω,A, µ) = f : Ω→ R : f ist auf Ω bezuglich A und µ integrierbar

definiert. Ist g ∈ L1(Ω,A, µ), so definieren wir

‖g‖1 =

∫|g|dµ

Man uberpruft einfach, dass ‖λg‖1 = |λ|‖g‖1 und ‖g+ h‖1 ≤ ‖g‖1 + ‖h‖1 fur alle λ ∈ Rund alle messbare g, h. Trotzdem ist ‖.‖1 keine Norm auf L1(Ω,A, µ), weil ‖g‖1 = 0nicht impliziert, dass g = 0 gelten muss (es impliziert nur, dass g = 0 fast uberall; wirwerden spater zu diesem Problem zuruckkommen). Man nennt eine Abbildung mit diesenEigenschaften eine Seminorm auf L1(Ω,A, µ). Wir konnen die Seminorm benutzen umeinen neuen Konvergenzbegrieff zu definieren. Ist fk ∈ L1(Ω,A, µ) fur alle k ∈ N undf ∈ L1(Ω,A, µ) so sagen wir, dass fk → f in L1(Ω,A, µ) falls

limk→∞

∫|fk − f |dµ = 0 .

Im nachsten Satz untersuchen wir die Implikationen zwischen den verschiedenenKonvergenzbegriffen.

Satz 3.1. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, f : Ω→ R messbar und fk : Ω→ R messbar,furalle k ∈ N. Dann gilt

i) fk → f gleichmassig impliziert, dass fk → f in Mass.

ii) Gilt f ∈ L1(Ω,A, µ), µ(Ω) < ∞ und fk → f gleichmassig, so gilt fk → f inL1(Ω,A, µ).

iii) Gilt f, fk ∈ L1(Ω,A, µ) fur alle k ∈ N und fk → f in L1(Ω,A, µ), so gilt fk → fin Mass.

iv) Ist µ(Ω) <∞ und gilt fk → f punktweise fast uberall, so gilt fk → f in Mass.

v) Gilt fk → f in Mass, dann existiert eine Nullmenge N ∈ A und eine Teilfolge fkjmit fkj (x)→ f(x) fur alle x ∈ Ω\N .

Beweis. i) Aus fk → f gleichmassig folgt, dass fur alle δ > 0 ein K ∈ N existiert, mit|fk(x)− f(x)| < δ fur alle k > K. Das bedeutet, dass

µ (x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| > δ) = 0

fur alle k > K. Das zeigt, dass fk → f in Mass.

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ii) Wir bemerken, dass∫|fk|dµ ≤

∫|f |dµ+

∫|fk − f |dµ ≤ ‖f‖1 + µ(Ω) sup

x|fk(x)− f(x)|

Das zeigt, dass fk ∈ L1(Ω,A, µ) fur alle k ∈ N. Ferner, zeigt∫|fk − f |dµ ≤ µ(Ω) sup

x∈Ω|fk(x)− f(x)| → 0

dass fk → f in L1(Ω,A, µ).iii) Aus der Chebyshev-Ungleichung (Lemma 2.18) finden wir, fur ein beliebiges

δ > 0, dass

µ (x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| ≥ δ) ≤ 1

δ

∫|fk − f |dµ→ 0

fur k →∞.iv) Seien δ, ε > 0 beliebig. Aus dem Satz von Egorov (Aufgabe 4, Blatt 6) folgt, dass

ein F ∈ A existiert, mit µ(Ω\F ) < ε und fk → f gleichmassig auf F . Deswegen gilt

µ (x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| > δ) ≤ ε+ µ (x ∈ F : |fk(x)− f(x)| > δ)

Wie in i) erhalten wir, dass

limk→∞

µ (x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| > δ) ≤ ε

Da ε > 0 beliebig war, muss

limk→∞

µ (x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| > δ) = 0

v) Wir konstruieren eine monoton steigende Folge kj rekursiv. Wir setzen k0 = 0.Wenn wir schon k0 < k1 < · · · < kj−1 definiert haben definieren wir kj wie folgt. Dafk → f in Mass, gilt

limk→∞

µ(x ∈ Ω : |fk(x)− f(x)| > 2−j

)= 0

Das heisst, es existiert kj > kj−1 so, dass die Menge

Aj = x ∈ Ω : |fkj (x)− f(x)| > 2−j

das Mass µ(Aj) ≤ 2−j hat. Wir behaupten nun, dass fkj → f punktweise fast uberallkonvergiert. Wir setzen namlich

N =⋂n∈N

⋃j>n

Aj

Einerseits gilt

µ(N) ≤ µ

⋃j>n

Aj

≤∑j>n

2−j = 2−n

fur alle n ∈ N, was offenbar µ(N) = 0 impliziert. Anderseits, fur x ∈ N c =⋃n∈N

⋂j>nA

cj

existiert ein j0 ∈ N mit x ∈ Aj fur alle j > j0. Das bedeutet, dass

|fkj (x)− f(x)| ≤ 2−j

fur alle j > j0, und also, dass fkj (x)→ f(x) fur j →∞.

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Bemerkungen:

1) Ohne Annahme µ(Ω) < ∞ impliziert gleichmassige Konvergenz i.A. keine L1-Konvergenz (d.h. ii) braucht wirklich die Bedingung µ(Ω) < ∞). Betrachte zumBeispiel die Folge fk(x) = 1/k fur alle x ∈ R. Es gilt offenbar supx |fk(x)| → 0 furk →∞, aber

∫R |fk|dλ =∞ fur alle k ∈ N.

2) Auch in iv) ist die Annahme µ(Ω) < ∞ wichtig. Betrachte z.B. die Folge fk =χ[k,∞]. Dann gilt fk(x)→ 0 fur k →∞ fur alle x ∈ R aber

µ (x ∈ Ω : |fk(x)| > 1/2) =∞

fur alle k ∈ N.

3) Konvergenz in Mass impliziert i.A. keine L1-Konvergenz. Z.B. die Folge fk(x) =kχ[0;1/k](x) fur x ∈ R ist so, dass

µ (x ∈ R : |fk(x)| > δ) ≤ 1/k → 0

fur k →∞. Anderseits gilt ∫|fk|dλ = 1

fur alle k ∈ N, und deswegen konvergiert fk nicht zu Null in L1.

4) Konvergenz fast uberall impliziert i.A. keine Konvergenz in L1. Die Folge fk(x) =kχ[0;1/k] in 3) konvergiert fast uberall zu Null, aber konvergiert nicht in L1.

5) L1-Konvergenz impliziert i.A. keine fast uberall punktweise Konvergenz; das wurdein Aufgabenblatt 7, Aufgabe 4)c) gesehen. Im nachsten Lemma geben wir auch einGegenbesipiel. Es folgt, dass auch Konvergenz in Mass keine fast uberall Konver-genz implizieren kann. Aus v) folgt aber, dass Konvergenz in Mass, und deswegenauch L1-Konvergenz, die Existenz einer Teilfolge impliziert, die fast uberall kon-vergiert.

Lemma 3.2. Es existiert eine Folge von Lebesgue integrierbaren Funktionen fk : R→ R,die in L1(R,B(R), λ) gegen f ≡ 0 konvergiert so, dass, fur alle x ∈ R, die Folge fk(x)nicht konvergiert.

Beweis. Wir definieren die Menge E = (j, k) ∈ Z × N : |j| < k2. E ist offenbarabzahlbar. Deswegen finden wir eine Folge (an)n∈N mit Werten in E so, dass an : n ∈N = E. Fur (j, k) ∈ E setzen wir Aj,k = [j/k, (j+1)/k). Fur n ∈ N, definieren wir dannfn = χAan . Einerseits gibt es fur alle ε > 0 fest nur endlich viele n ∈ N mit L1(Aan) ≥ ε(weil es gibt nur endlich viele (j, k) ∈ E mit 1/k ≥ ε). Deswegen gilt ‖fn‖1 → 0 furn → ∞ (fur n gross genug wird L1(Aan) < ε, fur beliebiges ε > 0). Anderseits fur allex ∈ R gibt es unendlich viele Paare (j, k) ∈ E mit x ∈ Aj,k und unendlich viele Paaremit x 6∈ Aj,k. Das heisst, es gibt unendlich viele n ∈ N mit fn(x) = 1 und unendlichviele n ∈ N mit fn(x) = 0, und deswegen kann fn(x) nicht konvergieren.

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Korollar 3.3. Fast uberall punktweise Konvergenz auf L1(R,B(R), λ) (oder auch aufL1(R,Mλ∗ , λ)) ist nicht metrizierbar. D.h. es existiert keine Metrik d auf L1(R,B(R), λ)mit der Eigenschaft, dass fur alle Folgen fk ∈ L1(R,B(R), λ) und alle f ∈ L1(R,B(R), λ),es gilt fk(x)→ f(x) fast uberall genau dann wenn d(fk, f)→ 0 fur k →∞.

Beweis. Nehmen wir an, es existiert so eine Metrik d auf L1(R,B(R), λ). Die Folge fkaus Lemma 3.2 konvergiert gegen Null in L1. Jede Teilfolge fjk konvergiert also gegenNull in L1. Aus Teil v) in Satz 3.1 besitzt also jede Teilfolgefjk eine Teilfolge fjk` diefast uberall gegen Null konvergiert. Dann wurde d(fjk` , 0) → 0 fur ` → ∞. Das wurdeaber auch implizieren, dass d(fj , 0) → 0 fur j → ∞ (sonst konnten wir ein ε > 0 undeine Teilfolge fjk finden, mit d(fjk , 0) > ε fur alle k ∈ N; dann hatte fjk keine Teilfolgefjk` mit d(fjk` , 0)→ 0 fur `→∞).

3.2 Die Vektorraume Lp(Ω,A, µ) und Lp(Ω,A, µ)

Sei (Ω,A, µ) ein Massraum, und 1 ≤ p <∞ eine reelle Zahl. Dann setzen wir

Lp(Ω,A, µ) = f : Ω→ R : f ist messbar bzg. A und |f |p integrierbar bezuglich µ

Ist f ∈ Lp(Ω,A, µ) und λ ∈ R so ist offenbar auch λf ∈ Lp(Ω,A, µ). Sind f, g ∈Lp(Ω,A, µ), dann ist f + g als Summe von zwei messbare Funktionen auch A-messbar.Ferner, mit

|f(x) + g(x)|p ≤ (|f(x)|+ |g(x)|)p ≤ (2 max(|f(x)|, |g(x)|))p

≤ 2p max(|f(x)|p, |g(x)|p) ≤ 2p(|f(x)|p + |g(x)|p)

folgt aus der Integrierbarkeit von |f |p und |g|p auch die Integrierbarkeit von |f + g|p.Das zeigt, dass Lp(Ω,A, µ) ein Vektorraum ist.

Auf Lp(Ω,A, µ) definieren wir nun die Abbildung ‖.‖p : Lp(Ω,A, µ)→ [0;∞). durch

‖f‖p =

(∫|f |pdµ

)1/p

Wir betrachten auch den Fall p =∞. Wir setzen

L∞(Ω,A, µ) = f : Ω→ R : ∃M > 0 mit |f(x)| ≤M fur µ-fast alle x ∈ Ω

Fur f ∈ L∞(Ω,A, µ) definieren wir dann

‖f‖∞ = infM > 0 : |f(x)| ≤M fur µ-fast alle x ∈ Ω

Wir bemerken, dann, dass |f(x)| ≤ ‖f‖∞ fur µ-fast alle x ∈ Ω. In der Tat, fur allen ∈ N, wir finden eine Nullmenge Nn mit |f(x)| ≤ ‖f‖∞ + 1/n fur alle x ∈ N c

n. Wirsetzen N =

⋃n∈NNn. Dann gilt N ∈ A mit µ(N) = 0 und, fur alle x ∈ N c gilt

|f(x)| ≤ ‖f‖∞ + 1/n fur alle n ∈ N. Deswegen gilt |f(x)| ≤ ‖f‖∞ fur alle x ∈ N c.

Wir konnen auch Funktionen mit Werten in Rn oder in C betrachten. Da eineFunktion f : Ω → Rn genau dann integrierbar ist, falls alle seine Komponenten in-tegrierbar sind, ist Lp(Ω,A, µ;Rn) die Menge alle Funktionen f : Ω → A gegeben

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aus f(x) = (f1(x), . . . , fn(x)), wobei fi A-messbar ist und |fi|p integrierbar ist, furalle i = 1, . . . , n. Fur f ∈ Lp(Ω,A, µ) definieren wir dann ‖f‖p = ‖‖f‖‖p, wobei‖f‖ = (|f1|2 + · · ·+ |fn|2)1/2 die euklidische Norm von f ist.

Wir untersuchen nun die Eigenscahften der Abbildungen ‖.‖p : Lp(Ω,A, µ)→ [0;∞).Wir werden das folgende Lemma brauchen.

Lemma 3.4. Sei 1 < p < ∞, und 1 < q < ∞ so, dass 1/p + 1/q = 1. Seien x, y ≥ 0.Dann gilt

xy ≤ xp

p+yq

q

Beweis. Wir konnen annehmen, x, y > 0 sonst ist die Behauptung trivial. Die Funktionf(x) = log x, ist konkav auf (0;∞). Das bedeutet, dass f(λx+ (1−λ)y) ≥ λf(x) + (1−λ)f(y) fur alle x, y > 0 und 0 ≤ λ ≤ 1. Da 1/p+ 1/q = 1 finden wir also

log

(1

pxp +

1

qyq)≥ 1

plog xp +

1

qlog yq = log x+ log y = log(xy)

Da log x auf (0;∞) monoton wachsend ist, folgt, dass

1

pxp +

1

qyq ≥ xy

wie behauptet.

Satz 3.5 (Holder Ungleichung). Sei (Ω,A, µ) ein Massraum und p, q ∈ [1;∞] mit 1/p+1/q = 1. Seien f ∈ Lp(Ω,A, µ) und g ∈ Lq(Ω,A, µ).Dann ist fg ∈ L1(Ω,A, µ) und∫

|fg|dµ ≤ ‖f‖p‖g‖q

Beweis. Ist p = 1 und q =∞ so gilt |g(x)| ≤ ‖g‖∞ fur fast alle x ∈ Ω und∫|fg|dµ =

∫|f ||g|dµ ≤

∫|f |‖g‖∞dµ = ‖g‖∞‖f‖1

Analog kann man den Fall p =∞ und q = 1 betrachten. Fur p, q ∈ (1;∞) bemerken wirzunachst, dass es genug, die Behauptung fur f ∈ Lp(Ω,A, µ) und g ∈ Lq(Ω,A, µ) mit‖f‖p = ‖g‖q = 1 zu beweisen. Dann bekommt man∫

|fg|dµ = ‖f‖p‖g‖q∫|f |‖f‖p

|g|‖g‖q

≤ ‖f‖p‖g‖q

weil offenbar ‖(f/‖f‖p)‖p = ‖(g/‖g‖q)‖q = 1. Seien also f ∈ Lp(Ω,A, µ) und g ∈Lq(Ω,A, µ) mit ‖f‖p = 1 und ‖g‖q = 1. Aus Lemma 3.4 finden wir

|f(x)||g(x)| ≤ |f(x)|p

p+|g(x)|q

q

fur alle x ∈ Ω. Deswegen∫|fg|dµ ≤ 1

p

∫|f |pdµ+

1

q

∫|g|qdµ =

‖f‖ppp

+‖g‖qqq

=1

p+

1

q= 1 .

85

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Mit Hilfe von Holder’s Ungleichung konnen wir nun zeigen, dass ‖.‖p die Dreiecks-ungleichung erfullt.

Satz 3.6 (Minkowski’s Ungleichung). Sei (Ω,A, µ) ein Massraum und 1 ≤ p ≤ ∞.Seien f, g ∈ Lp(Ω,A, µ). Dann ist

‖f + g‖p ≤ ‖f‖p + ‖g‖p

Beweis. Sei zunachst p = ∞. Dann setzen wir N1 = x ∈ Ω : |f(x)| > ‖f‖∞ undN2 = x ∈ Ω : |g(x)| > ‖g‖∞. N1, N2 sind zwei Nullmengen i A, und damit ist auchN = N1 ∪N2 eine Nullmenge. Fur x ∈ N c gilt dann

|f(x)|+ |g(x)| ≤ ‖f‖∞ + ‖g‖∞

Das zeigt, dass ‖f + g‖∞ ≤ ‖f‖∞ + ‖g‖∞.

Sei nun 1 ≤ p <∞. Wir haben

‖f + g‖pp =

∫|f(x) + g(x)|pdµ =

∫|f(x) + g(x)||f(x) + g(x)|p−1dµ

≤∫|f(x)||f(x) + g(x)|p−1dµ+

∫|g(x)||f(x) + g(x)|p−1dµ

(‖f‖p + ‖g‖p) · ‖|f + g|p−1‖q

(33)

wobei 1 < q ≤ ∞ so gewahlt wurde, dass 1/p + 1/q = 1. Dann gilt 1/q = 1 − 1/p =(p− 1)/p und q = p/(p− 1). Deshalb

‖|f + g|p−1‖q =

(∫|f + g|q(p−1)

)(p−1)/p

=

(∫|f + g|p

)(p−1)/p

= ‖f + g‖p−1p

Aus (33) finden wir ‖f + g‖p ≤ ‖f‖p + ‖g‖p.

Zusammenfassend, die Abbildung ‖.‖p : Lp(Ω,A, µ)→ [0;∞) erfullt ‖λf‖p = |λ|‖f‖pfur alle λ ∈ R und alle f ∈ Lp(Ω,A, µ) und ‖f + g‖p ≤ ‖f‖p + ‖g‖p fur alle f, g ∈Lp(Ω,A, µ). Eine solche Abbildung heisst eine Seminorm auf Lp(Ω,A, µ). Die Abbil-dung ‖.‖p ist aber keine Norm, weil ‖f‖p = 0 nicht impliziert, dass f = 0 ist. In der Tatimpliziert ‖f‖p = 0 nur, dass f = 0 µ-fast uberall.

Damit wir aus Lp(Ω,A, µ) ein normierten Vektorraum bekommen, identifizieren wirin Lp(Ω,A.µ) alle Funktionen, die fast uberall ubereinstimmen. Wir definieren dazu diefolgende Aquivalenzrelation auf Lp(Ω,A, µ). Fur f, g ∈ Lp(Ω,A, µ) setzen wir f ∼ g fallsf(x) = g(x) fur µ-fast alle x ∈ Ω. Es ist einfach zu zeigen, dass ∼ eine Aquivalenzrelationist. In der Tat∼ ist offenbar reflexiv (f ∼ f fur alle f ∈ Lp(Ω,A, µ)), symmetrisch (f ∼ gimpliziert auch, dass g ∼ f , fur alle f, g ∈ Lp(Ω,A, µ)) und transitiv (f ∼ g und g ∼ himpliziert, dass f ∼ h, fur alle f, g, h ∈ Lp(Ω,A, µ)). Fur alle f ∈ Lp(Ω,A, µ) konnenwir also die Aquivalenzklasse

[f ] = g ∈ Lp(Ω,A, µ) : g ∼ f

Aquivalenzklassen sind disjunkt, und⋃f∈Lp(Ω,A,µ)[f ] = Lp(Ω,A, µ).

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Wir definieren nun fur 1 ≤ p ≤ ∞

Lp(Ω,A, µ) = Lp(Ω,A, µ)/ ∼

als das Quotientenraum von Lp(Ω,A, µ) bezuglich der Aquivalenzrelation ∼. Mit ande-ren Worter

Lp(Ω,A, µ) = [f ] : f ∈ Lp(Ω,A, µ)

D.h. Elemente vom Raum Lp(Ω,A, µ) sind nicht Funktionen, sondern Aquivalenzklas-sen von Funktionen. Trotzdem denkt man oft an den Elementen von Lp(Ω,A, µ) alsFunktionen, die eine Aquivalenzklasse darstellen (ein Vertreter einer Aquivalenzklasse).Lp(Ω,A, µ) erbt aus Lp(Ω,A, µ) die Struktur eines Vektorraumes, durch die Definitionen[f ] + [g] := [f + g] und λ[f ] := [λf ].

Auf Lp(Ω,A, µ) definieren wir die Abbildung ‖.‖p : Lp(Ω,A, µ) → [0;∞) durch‖[f ]‖p := ‖f‖p. Die Abbildung ist zunachst wohldefiniert, weil f, g ∈ Lp(Ω,A, µ) mitf ∼ g impliziert, dass f(x) = g(x) µ-fast uberall und deswegen auch |f(x)|p = |g(x)|pµ-fast uberall, und also, dass ‖f‖p = ‖g‖p. Ferner, ‖[f ]‖p = 0 impliziert, dass ‖f‖p = 0und deswegen, dass f = 0 fast uberall. Das heisst, dass [f ] = [0]. Es gilt offenbar

‖λ[f ]‖p = ‖[λf ]‖p = ‖λf‖p = |λ|‖f‖p = |λ|‖[f ]‖p

und‖[f ] + [g]‖p = ‖[f + g]‖p = ‖f + g‖p ≤ ‖f‖p + ‖g‖p = ‖[f ]‖p + ‖[g]‖p

Damit definiert nun ‖.‖p : Lp(Ω,A, µ)→ [0;∞) eine Norm auf Lp(Ω,A, µ). Ein Vektor-raum mit einer Norm heisst ein normierter Raum. Lp(Ω,A, µ) ist ein normierter Raum,fur alle 1 ≤ p ≤ ∞.

Analog konnen wir auch die normierten Raume Lp(Ω,A, µ;Rn) definieren, die ausAquivalenzklassen von A-messbare und im p-te Potenz integrierbare Funktionen f : Ω→Rmmit Werten in Rm. Auch die Raume Lp(Ω,A, µ;C) konnen analog definiert werden.

Bemerkung: Man konnte denken, Lp(Ω,A, µ) und Lp(Ω,A, µ) auch fur 0 < p < 1 zudefinieren. Dann waren Lp(Ω,A, µ) und Lp(Ω,A, µ) Vektorraume. In diesem Fall wurdeaber die Dreiecksungleichung ‖f + g‖p ≤ ‖f‖p+‖g‖p nicht gelten (Beweis: Ubung), und‖.‖p ware dann keine Norm. Das ist der Grund, warum wir nur p ≥ 1 betrachten.

Die Norm ‖.‖p auf Lp(Ω,A, µ) induziert naturlich eine Metrik, definiert durch d(f, g) =‖f − g‖p fur alle f, g ∈ Lp(Ω,A, µ). Das definiert also auch ein Begriff von Konvegenz.Eine Folge fn in Lp(Ω,A, µ) konvergiert gegen f ∈ Lp(Ω,A, µ) falls ‖fn − f‖p → 0.Obwohl die Elemente von Lp(Ω,A, µ) Aquivalenzklassen sind, werden wir im folgendenoft vermeiden, die Notation [f ], [g] zu benuzten; wir werden dagegen oft die Aquivalenz-klasse [f ] ∈ Lp(Ω,A, µ) mit einem Vertreter f ∈ Lp(Ω,A, µ) identifizieren (das fuhrt zueiner nicht so ganz genaue Notation; es sollte aber immer klar sein, was wirklich gemeintist). Wir erinnern, dass ein normierten Raum heisst vollstandig, falls die vom Norm in-duzierten Metrik vollstandig ist (das bedeutet, dass jede Cauchy Folge konvergiert).

Theorem 3.7. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Dann ist der normierte Raum Lp(Ω,A, µ)vollstandig, fur alle 1 ≤ p ≤ ∞.

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Beweis. Sei fn ∈ Lp(Ω,A, µ) eine Cauchy Folge. Wir mochten zeigen, dass ein f ∈Lp(Ω,A, µ) existiert, mit ‖fn − f‖p → 0, fur n → ∞. Es genug zu zeigen, es existiertf ∈ Lp(Ω,A, µ) und eine Teilfolge fnj ∈ Lp(Ω,A, µ) mit ‖fnj − f‖p → 0 fur j →∞. Inder Tat, wenn wir eine solche Teilfolge finden konnen, so konnen wir

‖fn − f‖p ≤ ‖fn − fnj‖p + ‖fnj − f‖pabschatzen. Gegeben ε > 0 finden wir dann N1 > 0 mit ‖fnj −f‖p < ε/2 fur alle j > N1

und N2 > 0 mit ‖fn − fnj‖ ≤ ε/2 fur alle n, j > N2 (weil fn eine Cauchy Folge ist).Also, fur n, j ≥ max(N1, N2) ist ‖fn − f‖p ≤ ε. Das zeigt, dass fn → f , fur n→∞.

Es bleibt zu zeigen, dass ein f ∈ Lp(Ω,A, µ) und eine Teilfolge nj existieren, mit‖fnj − f‖p → 0, fur j → ∞. Wir betrachten hier den Fall 1 ≤ p < ∞ (der Fall p = ∞lassen wir als Ubung). Wir konstruieren die Teilfolge nj rekursiv. Wir wahlen zunachstn1 so, dass ‖fn1−fn‖p < 1/2 fur alle n ≥ n1 (das ist moglich, weil fn eine Cauchy Folgeist). Dann wahlen wir n2 > n1 so, dass ‖fn2−fn‖p < 1/4 fur alle n ≥ n2. Wenn wir schonn1 < n2 < · · · < nk definiert haben, wahlen wir nk+1 > nk mit ‖fnk+1

− fn‖p < 2−k+1

fur alle n ≥ nk+1.

Damit haben wir eine Teilfolge nj gefunden, mit

‖fnk − fnk+1‖p ≤ 2−k

fur alle k ∈ N\0. Wir definieren nun die monotone Folge von Funktionen

F`(x) = |fn1(x)|+∑k=1

|fnk+1(x)− fnk(x)|

Aus der Dreicksungleichung finden wir

‖F`‖p ≤ ‖fn1‖p +∑k=1

‖fnk+1− fnk‖p ≤ ‖fn1‖p + 1

Da F`(x) monoton steigend in ` ist, fur alle x ∈ Ω, existiert der Limes

F (x) := lim`→∞

F`(x)

(F (x) darf unendlich sein). Aus der Satz uber die Monotone Konvergenz ist F ∈Lp(Ω,A, µ). Das impliziert insbesondere, dass F (x) < ∞ µ-fast uberall. Fur alle xmit F (x) <∞ bemerken wir nun, dass

fnk+1(x) = fn1(x) + (fn2(x)− fn1(x)) + · · ·+ (fnk+1

(x)− fnk(x))

wobei die Reihe auf der rechten Seiten absolut konvergent ist und deswegen auch konver-gent ist im Limes k →∞. Also f(x) := limk→∞ fnk+1

(x) existiert fur fast alle x ∈ Ω. Wirdefinieren weiter f(x) = 0 fur alle x ∈ Ω, mit F (x) = 0. Dann haben wir |fnk+1

(x)| ≤F (x) und f(x) = limk→∞ fnk+1

(x) fur fast alle x ∈ Ω. Der Satz uber dominierte Konver-genz impliziert, dass f ∈ Lp(Ω,A, µ). Wir haben limk→∞ |fnk+1

(x)−f(x)| = 0 fur fast al-le x ∈ Ω und |fnk+1

(x)−f(x)| ≤ F (x)+|f(x)| fur alle x ∈ Ω, wobei F+|f | ∈ Lp(Ω,A, µ).Eine weitere Anwendung vom Satz uber dominierte Konvergenz impliziert, dass

limk→∞

∫|fnk+1

(x)− f(x)|pdµ = 0

und also, dass ‖fnk+1− f‖p → 0.

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Damit haben wir gezeigt, Lp(Ω,A, µ) ist ein vollstandiger normierter Raum, fur alle1 ≤ p ≤ ∞. Ein vollstandiger normierter Raum wird als Banachraum bezeichnet.

3.3 Dualraume

Zu jedem normierten Vektorraum (V, ‖.‖) kann man den Dualraum V ∗ definieren, alsder Raum von allen stetigen (oder, aquivalent, beschrankten) linearen Funktionalen aufV . D.h. (z.B. fur normierten Vektorraume uber R),

V ∗ = f : V → Rso, dass sup‖x‖≤1

|f(x)| <∞

Auf V ∗ ist immer die Norm

‖f‖V ∗ = supx∈V,‖x‖≤1

|f(x)|

definiert. Versehen mit dieser Norm ist V ∗ immer vollstandig; mit anderen Worter ist(V ∗, ‖.‖) immer ein Banachraum (Beweis: Ubung, oder Funktional Analysis).

Bemerke, dass die Definition von V hangt von der Norm ‖.‖ auf V . Ist V endlichdimensional, so sind alle Norme auf V aquivalent, und jede Norm fuhrt deswegen zumselben dualen Raum V ∗. In diesem Fall kann man stets V ∗ mit V identifizieren. Istnamlich V ' Rn, so kann man den Isomorphismus φ : V → V ∗ durch φ(v) =: φv : V → Rund

φv(w) = 〈v, w〉 =

n∑j=1

viwi

definieren. Ist dim V =∞, so konnen i.A. V und V ∗ nicht identifiziert werden (z.B., fallsV nicht vollstandig ist, kann V ∗, als vollstandiger Raum, sicher nicht mit V identifiziertwerden).

Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Es stellt sich die naturliche Frage: was ist der Dualraumvon Lp(Ω,A, µ)? Ein Teil der Antwort zu dieser Frage ist im folgenden Theorem gegeben.

Theorem 3.8. Sei (Ω,A, µ) ein Massraum. Seien 1 < p ≤ ∞ und 1 ≤ q <∞ so, dass1/p+ 1/q = 1. Dann ist die Abbildung φ : Lq(Ω,A, µ)→ (Lp(Ω,A, µ))∗, definiert durchφ(f) = φf : Lp(Ω,A, µ)→ R und

φf (g) =

∫fgdµ

fur alle f ∈ Lq(Ω,A, µ) und g ∈ Lp(Ω,A, µ) linear und isometrisch. Dasselbe gilt imFall p = 1 und q = ∞, falls wir zusatzlich annehmen, dass der Massraum (Ω,A, µ)σ-endlich ist.

Bemerkung: in Theorem 3.8 und in seinem Beweis werden wir die Notation missbrau-chen, und Elementen von Lp(Ω,A, µ) als Funktionen, statt als Aquivalenzklassen vonFunktionen, betrachten. Es sollte aber immer klar sein, was wirklich gemeint ist (weildie Aussagen, die wir machen werden, nicht aus der Wahl der Vertreter in der Aquiva-lenzklassen abhangen werden).

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Beweis. Um die Notation zu vereinfachern schreiben wir einfach Lp statt Lp(Ω,A, µ). Seif ∈ Lq. Um zu zeigen, dass φ wohldefiniert ist, mussen wir beweisen, dass φf ∈ (Lp)∗.Aus Holder Ungleichung ist fg ∈ L1, fur alle g ∈ Lp. Deswegen ist die Abbildungφf : Lp → R, definiert durch

φf (g) =

∫fgdµ

wohldefiniert und offenbar linear. Wieder aus der Holder’sche Ungleichung haben wir

|φf (g)| ≤ ‖f‖q‖g‖p

Damit ist‖φf‖ = sup

g∈Lp:‖g‖p≤1|φf (g)| ≤ ‖f‖q

sicher beschrankt. Wir haben gezeigt, dass φf ∈ (Lp)∗ fur alle f ∈ Lq. Das zeigt, dassφ wohldefiniert ist. φ ist offenbar linear. Es bleibt zu zeigen, dass φ isometrisch ist. Wirhaben schon bewiesen, dass ‖φf‖ ≤ ‖f‖q fur alle f ∈ Lq. Noch zu zeigen ist ‖φf‖ ≥ ‖f‖q.Sei zunachst 1 < p <∞ (dann ist auch 1 < q <∞). Wir setzen

h =|f |q−1

‖f‖q/pqsgn(f)

wobei sgn(f)(x) = 1, falls f(x) > 0, sgn(f)(x) = −1 falls f(x) < 0, und sgn(f)(x) = 0falls f(x) = 0. Aus 1/p+ 1/q = 1 folgt, dass p(q − 1) = q. Also f ∈ Lq impliziert, dassh ∈ Lp mit

‖h‖p =1

‖f‖q/pq

[∫|f |p(q−1)dµ

]1/p

= 1

Deswegen gilt

‖φf‖ = supg∈Lp:‖g‖p≤1

|φf (g)| ≥ |φf (h)| = 1

‖f‖q/pq

∫|f |q = ‖f‖q−q/pq = ‖f‖q

Seien nun p =∞ und q = 1. Fur f ∈ L1 wir definieren

h(x) :=

sgn f(x) falls f(x) 6= 00 sonst

Dann gilt ‖h‖∞ = 1 (angenommen f 6= 0, als Element von L1) und

φf (h) =

∫fhdµ =

∫|f |dµ = ‖f‖1

Deswegen ist auch in diesem Fall ‖φf‖ ≥ ‖f‖1. Schlussendlich betrachten wir den Fallp = 1 und q =∞. Fur f ∈ L∞ und 0 < ε < ‖f‖∞ festgewahlt, sei

Aε = x ∈ Ω : |f(x)| ≥ ‖f‖∞ − ε

Dann ist Aε ∈ A, mit µ(Aε) > 0. Ist µ σ-endlich, so konnen wir Bε ∈ A finden, mitBε ⊂ Aε und 0 < µ(Bε) <∞. Wir setzen

hε =χBεµ(Bε)

sgn(f)

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Dann es gilt hε ∈ L1 mit ∫|hε|dµ =

1

µ(Bε)

∫Bε

|sgn(f)| = 1

und

φf (hε) =

∫fhεdµ =

1

µ(Bε)

∫Bε

|f |dµ ≥ ‖f‖∞ − ε

Deswegen ist ‖φf‖ ≥ ‖f‖∞ − ε. Da ε > 0 beliebig ist, folgt, dass ‖φf‖ ≥ ‖f‖∞.

Bemerkungen:

• Das Theorem zeigt, dass Lq(Ω,A, µ) mit einem Teilraum von (Lp(Ω,A, µ))∗ iden-tifiziert werden kann. Fur 1 ≤ p < ∞ ist tatsachlich die Abbildung φ nicht nurisometrisch und linear, sondern auch surjektiv (im Fall p = 1 braucht man dazudie σ-Endlichkeit von (Ω,A, µ)). D.h. φ ist in diesem Fall ein isometrisches Iso-morphismus und Lq(Ω,A, µ) kann mit dem Dualraum von Lp(Ω,A, µ) identifiziertwerden. Mit anderen Worter, fur 1 ≤ p <∞ hat jede stetigen linearen FunktionalL auf Lp(Ω,A, µ) die Form L(f) =

∫fgdµ, fur ein geeignetes g ∈ Lq(Ω,A, µ). Fur

p =∞ ist dagegen die Abbildung φ nicht surjektiv (ausser fur triviale Massraume);es existieren in diesem Fall lineare Abbildungen auf L∞(Ω,A, µ) die nicht alsL(f) =

∫fgdµ fur g ∈ L1(Ω,A, µ) geschrieben werden konnen.

• Der Fall p = q = 2 spielt einen besondere Rolle. In diesem Fall folgt aus der letztenBemerkung, dass (L2(Ω, cA, µ))∗ ' L2(Ω,A, µ). Das hat mit der Tatsache zu tun,dass auf L2(Ω,A, µ) durch

〈f, g〉 :=

∫fgdµ

ein Skalarprodukt definiert wird, so, dass ‖f‖22 = 〈f, f〉. L2(Ω,A, µ) ist damitein Skalarproduktraum (ein Vektorraum, versehen mit einem Skalarprodukt) so,dass die Norm, die aus dem Skalarprodukt induziert wird, L2 zu einem vollstandignormierten Raum (also ein Banachraum) macht. Ein solches Raum heisst ein Hil-bertraum. Hilbertraume sind besondere Beispiele von Banachraume. Hilbertraumekonnen immer mit ihren Dualraume identifiziert werden.

• Ahnlich wie im Beweis von Theorem 3.8 kann man auch zeigen, dass, fur allef ∈ Lp(Ω,A, µ), gilt

‖f‖p = supg∈Lq :‖g‖q=1

∫fgdµ (34)

falls 1 ≤ p, q ≤ ∞ mit 1/p+1/q = 1. Beweis: Ubungen. In Funktionalanalysis wirdgezeigt, dass diese tatsachlich eine allgemeine Eigenschaft von normierten Raumeist (d.h. ‖v‖V = supf∈V ∗,‖f‖≤1 |f(v)|).

3.4 Approximation mit glatten Funktionen

In diesem Kapitel betrachten wir die Massraume (Rn,Mλ∗n , λn). Wir bezeichnen dieentsprechenden Lp-Raume einfach mit Lp(Rn) ≡ Lp(Rn,Mλn , λn). Unser zweck ist zu

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zeigen, dass Funktionen in Lp(Rn) durch eine Folge von glatte C∞-Funktionen approxi-miert werden kann, falls 1 ≤ p <∞.

Wir werden die approximierende Funktionenfolge mit Hilfe von Faltungen definieren.Seien 1 ≤ p, q ≤ ∞, f ∈ Lp(Rn) und g ∈ Lq(Rn). Wir betrachten das Integral

h(x) :=

∫|f(x− y)||g(y)|dλ(y) (35)

Bemerke, dass h(x) wohldefiniert ist, weil das Integrand positiv ist (h(x) konnte naturlichunendlich sein). Wir behaupten aber, dass h ∈ Lr(Rn), falls 1 + 1/r = 1/p+ 1/q.

Um diese Behauptung zu zeigen, benutzen wir die Charakterizierung (34) und dieYoung Ungleichung (Beweis: siehe Ubungen): seien 1 ≤ p, q, r ≤ ∞ mit 1/p+1/q+1/r =2. Dann gilt ∫

|f(x)||g(x− y)||h(y)|dλ2n(x, y) ≤ ‖f‖p‖g‖q‖h‖r (36)

fur alle f ∈ Lp(Rn), g ∈ Lq(Rn) und h ∈ Lr(Rn).

Sei 1 ≤ r′ ≤ ∞ mit 1/r + 1/r′ = 1. Aus 1 + 1/r = 1/p+ 1/q folgt dann 1/p+ 1/q +1/r′ = 2. Mit (34) und (36) finden wir also, fur die Funktion (35) (mit Fubini)

‖h‖r = supk∈Lr′ (Rn),‖k‖r′=1

∫k(x)h(x)dλn(x)

≤ supk∈Lr′ (Rn),‖k‖r′=1

∫|k(x)||f(x− y)||g(y)|dλ2n(x, y)

≤ supk∈Lr′ (Rn),‖k‖r′=1

‖k‖r′‖f‖p‖g‖q

≤ ‖f‖p‖g‖q <∞

(37)

Das zeigt, dass h ∈ Lr(Rn), falls 1 + 1/r = 1/p + 1/q. Deswegen ist h(x) < ∞ fur fastalle x ∈ Rn; das zeigt, dass die Funktion f(x− y)g(y) in y integrierbar ist, fur fast allex ∈ Rn. Wir setzen also

f ∗ g(x) =

∫f(x− y)g(y)dλn(y) falls f(x− y)g(y) integrierbar ist

0 sonst(38)

Aus (37) gilt‖f ∗ g‖r ≤ ‖f‖p‖g‖q (39)

falls 1 + 1/r = 1/p+ 1/q. Insbesondere ist f ∗ g ∈ Lr(Rn).

Theorem 3.9. Sei j ∈ L1(Rn) mit∫jdλn = 1. Fur ε > 0 setzen wir jε(x) = ε−nj(x/ε),

so dass∫jεdλn = 1 und ‖jε‖1 = ‖j‖1 fur alle ε > 0. Sei f ∈ Lp(Rn) fur ein 1 ≤ p <∞

und sei fε = jε ∗ f , definiert wie in (38). Es gilt

i) fε ∈ Lp(Rn), mit ‖fε‖p ≤ ‖j‖1‖f‖p.

ii) fε → f in Lp(Rn), fur ε→ 0.

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iii) Ist j ∈ C∞c (Rn), so ist fε ∈ C∞(Rn) fur alle ε > 0 und Dαfε = Dαjε ∗ f . Wirbenutzen hier die Notation

C∞c (Rn) = f ∈ C∞(Rn) : f hat kompakten Trager .

Beweis. Teil i) folgt aus der Bemerkung unter (38), mit r = p und q = 1. Um Teil iii) zuzeigen es brauchen wir nur zu beweisen, dass jε ∗ f differenzierbar ist, mit ∇(jε ∗ f) =(∇jε)∗f , und, dass (∇jε)∗f stetig ist. Da ∇jε ∈ C∞c (Rn) ist, folgt dann die Behauptungdurch Induktion. Die Stetigkeit von (∇jε)∗ f kann wie folgt gezeigt werden. Sei xm eineFolge in Rn mit xm → x. Wir mochten zeigen, dass

(∇jε) ∗ f(xm) =

∫(∇jε)(xm − y)f(y)dλn(y)

→∫

(∇jε)(x− y)f(y)dλn(y) = (∇jε) ∗ f(x) (40)

fur m→∞. Die Stetigkeit von ∇jε impliziert aber, dass (∇jε)(xm−y)f(y)→ (∇jε)(x−y)f(y) fur m→∞, fur alle x, y ∈ Rn. Weiter, da jε ∈ C∞c (Rn), finden wir C,R > 0 (Changt von ε > 0 ab, aber das spielt hier keine Rolle) mit

|∇jε(xm − y)f(y)| ≤ Cχ(|xm − y| ≤ R)|f(y)|

Da di Funktion auf der rechten Seite integrierbar ist, folgt (40) aus dem Satz uberdominierte Konvergenz. Zu zeigen ist, dass

limδ→0

∫jε(x+ δei − y)− jε(x− y)

δf(y)dλn(y) =

∫∂ijε(x− y)f(y)dλn(y) (41)

fur alle i = 1, . . . , n. Aus der Differenzierbarkeit von jε wissen wir, dass das Integrandauf der linken Seite konvergiert punktweise gegen ∂ijε(x − y)f(y). Da jε kompaktenTrager hat, kann man ahnlich wie oben C,R > 0 finden, mit∣∣∣∣jε(x+ δei − y)− jε(x− y)

δ

∣∣∣∣ ≤ Cχ(|x− y| ≤ R)

zB. fur alle 0 < δ < 1. Dann dominiert Cχ(|x − y| ≤ R)|f(y)| die Folge auf der linkenSeiten von (41). Die Behauptung folgt dann aus dominierte Konvergenz.

Wir zeigen nun Teil ii). OBdA konnen wir annehmen, dass f ≥ 0 ist (sonst zerlegenwir f = f+ − f− und wir beweisen die Behauptung separat fur f+ und fur f−.

Schritt 1. Wir durfen annehmen, dass j kompakt Trager hat.

Nehmen wir an, ii) gilt fur j mit kompakten Trager. Sei supp j nicht kompakt undδ > 0 festgewahlt. Dann konnen wir ein R > 0 und ein C > 1 finden so, dass

jR(x) = Cχ(|x| ≤ R)j(x)

die Bedingungen ‖j − jR‖1 ≤ δ und∫jRdλn = 1 erfullt (jR hat offenbar kompakten

Trager). Fur ε > 0 setzen wir dann

jRε (x) = ε−njR(x/ε).

93

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Wir bemerken, dass‖jε − jRε ‖1 ≤ δ

unabhangig von ε > 0. Aus (39) gilt dann

‖f ∗ jε − f ∗ jRε ‖p = ‖f ∗ (jε − jRε )‖p ≤ ‖f‖p‖jε − jRε ‖1 ≤ Cδ

und damit

‖f − f ∗ jε‖p ≤ ‖f − f ∗ jRε ‖p + ‖f ∗ jRε − f ∗ jε‖p ≤ ‖f − f ∗ jRε ‖p + Cδ

Da jRε kompakten Trager hat, konnen wir nach Annahme ε0 > 0 finden so, dass ‖f −f ∗ jRε ‖ ≤ Cδ. Das zeigt, dass ‖f − f ∗ jε‖p ≤ 2Cδ, falls wir zunachst R > 0 gross genugund dann ε > 0 klein genug wahlen. Da δ > 0 beliebig ist, folgt es, dass f ∗ jε → f inLp(Rn), auch fur j mit nicht kompakten Trager.

Schritt 2. Wir durfen annehmen, dass j kompakten Trager hat und, dass f beschranktist.

Nehmen wir an, die Behauptung sei fur beschrankten f bewiesen. Seien f nichtunbedingt beschrankt und δ > 0 festgewahlt. Dann konnen wir K > 0 genugend grossfinden so, dass die Funktion fK(x) = χ(|f(x)| ≤ K)f(x) die Bedingung ‖fK − f‖p ≤ δerfullt (das folgt aus dominierte Konvergenz, fK wird namlich aus |f | dominiert). Danngilt

‖f ∗jε−f‖p ≤ ‖f ∗jε−fK ∗jε‖p+‖fK ∗jε−fK‖p+‖fK−f‖p ≤ Cδ+‖fK−fK ∗jε‖p (42)

weil ‖f ∗ jε− fK ∗ jε‖p = ‖(f − fK) ∗ jε‖p ≤ ‖j‖1‖f − fK‖p ≤ Cδ. Da fK beschrankt ist,folgt nach Annahme, dass ‖fK ∗ jε − fK‖p ≤ Cδ fur ε > 0 klein genug. Aus (42) folgt,dass ‖f ∗jε−f‖p beliebig klein ist, falls wir zunachst K > 0 gross genug und dann ε > 0klein genug wahlen.

Schritt 3. Wir durfen annehmen, dass j kompakten Trager hat und, dass p = 1.

Aus Schritten 2 konnen wir annehmen, dass j kompkten Trager hat und, dass fbeschrankt ist. SeiK > 0 so, dass ‖f‖∞ ≤ K. Aus (38) gilt auch ‖f∗jε‖∞ ≤ ‖j‖1‖f‖∞ ≤CK. Fur 1 ≤ p <∞ gilt also

‖f ∗jε−f‖pp =

∫|f ∗jε−f |pdµ ≤ ‖f ∗jε−f‖p−1

∫|f ∗jε−f |dµ ≤ (CK)p−1‖f ∗jε−f‖1

Deswegen genugt es die Behauptung fur p = 1 zu zeigen.

Schritt 4. Wir durfen annehmen, dass j kompakten Trager hat, dass p = 1 und, dassf eine einfache Funktion ist.

Aus Schritt 3 konnen wir annehmen, dass j kompakten Trager hat und, dass p = 1ist. Sei f ∈ L1(Rn) beliebig mit f ≥ 0. Aus Proposition 2.3, finden wir eine monotonwachsende Folge fm von einfache Funktionen, mit fm(x) → f(x) fur alle x ∈ R. DerSatz der monotone Konvergenz impliziert, dass∫

fdµ = limm→∞

∫fndµ ⇒ lim

n→∞

∫(f − fm)dµ = 0

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Da f(x) ≥ fm(x) fur alle x ∈ Rn, es folgt, dass ‖fm − f‖1 → 0 fur m→∞. Also

‖f−f∗jε‖1 ≤ ‖f−fm‖1+‖fm−fm∗jε‖1+‖fm∗jε−f∗jε‖1 ≤ C‖f−fm‖1+‖fm−fm∗jε‖1

Damit es genugt zu zeigen, dass, fur feste m ∈ N, ‖fm − fm ∗ jε‖1 → 0 fur ε → 0. Mitanderen Worten, es genugt die Behauptung fur einfache Funktionen zu zeigen.

Schritt 5. Es genugt die Behauptung fur j mit kompakten Trager, fur p = 1 und furf = χU , fur U ⊂ Rn offen, zu beweisen.

Da einfache Funktionen endlich lineare Kombinationen von charakteristische Funk-tionen sind, es folgt aus Schritt 4, dass die Behauptung nur fur charakteristische Funk-tionen von Mengen in Mλ∗n gezeigt werden muss. Sei A ∈Mλ∗n und δ > 0 fest. Aus derRegularitat vom Lebesgue Mass (Satz 1.31) finden wir eine offene Menge U ⊂ Rn mitA ⊂ U und λn(U\A) ≤ δ. Dann gilt

‖χU − χA‖1 = ‖χU\A‖1 = λn(U\A) ≤ δ

und damit auch

‖jε ∗ χU − jε ∗ χA‖1 = ‖jε ∗ (χU − χA)‖1 ≤ ‖j‖1‖χU − χA‖1 ≤ Cδ

Also‖jε ∗ χA − χA‖1 ≤ (C + 1)δ + ‖jε ∗ χU − χU‖1

Das zeigt, es genugt die Behauptung fur f = χU zu zeigen.

Schritt 6. Es genugt die Behauptung fur j mit kompakten Trager, fur p = 1 und furf = χQ zu zeigen, wobei Q ein halboffenes Quader der Form

(x1, . . . , xn) ∈ Rn : 2−kji ≤ xi < 2−k(ji + 1) fur i = 1, . . . , n (43)

ist.

Aus Schritt 5 brauchen wir die Behauptung nur fur f = χU , wobei U ⊂ Rn offen ist,zu zeigen. Sei also U ⊂ Rn offen. Aus Lemma 1.32, finden wir eine abzahlbare FamilieQ``∈N mit U =

⋃`∈NQ`. Die Folge ϕm =

∑mj=1 χQj ist dann monoton steigend und

konvergiert punktweise gegen χU , fur m→∞. Der Satz uber die monotone Konvergenzimpliziert, dass ‖χU − ϕm‖1 → 0, fur m→∞. Da auch

‖jε ∗ χU − jε ∗ ϕm‖1 ≤ ‖j‖1‖χU − ϕm‖1 → 0, fur m→∞,

gleichmassig in ε, wir brauchen die Behauptung bnur fur f = ϕm, fur ein festes m ∈ N,zu zeigen. Da ϕm eine endliche lineare Kombination von Funktionen der Form χQ` ist,es genugt die Behauptung fur f = χQ` zu beweisen.

Schritt 7. Die Behauptung gilt, falls j kompakten Trager, p = 1 und f = χQ, mit Qwie in (43).

Nehme an, dass supp j ⊂ BR(0) fur ein R > 0. Dann ist supp jε ⊂ BRε(0). Wirsetzen Q+ = x ∈ Qc : dist (x,Q) ≤ Rε und Q− = x ∈ Q : dist (x,Qc) ≤ Rε.

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Bemerke, dass jε ∗ χQ(x) = χQ(x) fur alle x ∈ Rn\(Q+ ∪Q−). Deswegen ist

‖jε ∗ χQ − χQ‖1 =

∫|jε ∗ χQ − χQ|dµ =

∫Q+∪Q−

|jε ∗ χQ − χQ|dµ

≤ ‖jε ∗ χQ − χQ‖∞ λn(Q+ ∪Q−)

≤ (‖j‖1 + 1)λn(Q+ ∪Q−)

(44)

Wir wahlen nun δ > 0 fest. Dann finden wir ε > 0 so klein, dass λn(Q+ ∪ Q−) ≤δ/(‖j‖1 + 1). Aus (44) folgt dann, dass ‖jε ∗ χQ − χQ‖1 ≤ δ. Da δ > 0 beliebig ist, folgtdie Behauptung.

Bemerkungen:

• Am besten denkt man an der Funktion j als eine glatte, positive Funktion, mitkompakten Trager. In diesem Fall ist

j ∗ f(x) =

∫j(x− y)f(y)dλn(y)

eine Mittelung von den Werten von f in einer Umgebung von x. Analog ist (jε ∗f)(x) aus der Mittelung, bezuglich der Gewicht jε der Werten von f in einerUmgebung von x mit Radius der Ordnung ε. Als ε → 0 wird die Mittelung inimmer kleiner Umgebungen von x genommen; es ist deswegen nicht uberraschend,dass im Limes konvergiert jε ∗ f gegen f , in der Lp-Norm (falls 1 ≤ p <∞).

• Theorem 3.9 gilt nicht nur fur Funktionen auf Rn sondern auch fur Funktionen, dieauf egeeigneten Gebiete Ω ⊂ Rn definiert sind. Fur Teil i) und ii) braucht man nur,dass Ω ∈ Mλ∗n messbar ist. In diesem Fall kann man fur f ∈ Lp(Ω) die Funktion

f : Rn → R durch f(x) := f(x) fur x ∈ Ω und f(x) = 0 fur x 6∈ Ω definieren.Dann konnen wir fε(x) = (jε ∗ f)(x) fur alle x ∈ Rn definieren; wir setzen dannfε = fε|Ω (die Einschrankung von fε auf Ω); bemerke, dass im Gegensatz zu f ,fε 6= 0 ausserhalb Ω. Es gilt dann

‖fε‖Lp(Ω) ≤ ‖fε‖Lp(Rn) ≤ ‖jε‖1‖f‖Lp(Rn) ≤ ‖j‖1‖f‖Lp(Ω)

Analog‖fε − f‖Lp(Ω) ≤ ‖fε − f‖Lp(Rn) → 0

fur ε→ 0. Ist Ω ⊂ Rn offen, so gilt auch Teil iii): d.h. fε ∈ C∞c (Ω) fur alle ε > 0,angenommen j ∈ C∞c (Rn) (ist Ω nicht offen, so ist C∞(Ω) nicht definiert).

• Theorem 3.9 gilt im Fall p = ∞ nicht (ausser bei triviale Masse). Es ist einfachFunktionen zu finden, die sich in der L∞-Norm nicht durch C∞- oder auch nurstetigen Funktionen approximieren lassen (betrachte zB. f : R → R, definiertdurch f(x) = 0 fur x ≤ 0 und f(x) = 1 fur x > 0).

• Statt mit Folgen in C∞(Rn) konnen Funktionen in Lp(Rn) auch durch Folgenvon Funktionen in C∞c (Rn),mit kompakten Trager, approximiert werden, falls 1 ≤p < ∞. Dazu muss man einfach die Funktionen jε ∗ f ins Unendlichen geeignetabschneiden.

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• Ein Banachraum heisst separabel, falls eine abzahlbare dichte Teilmenge existiert.Theorem 3.9 kann benutzt werden, um zu zeigen, dass Lp(Rn) separabel ist, furalle 1 ≤ p < ∞ (Theorem 3.9 zeigt insbesondere, dass Funktionen in Lp(Rn)durch stetigen Funktionen approximiert werden konnen. Um die Separabilitat vonLp(Rn) zu zeigen braucht man noch zu beweisen, dass stetige Funktionen durcheine geeignet gewahlte abzahlbare Familie von Funktionen approximiert werdenkonnen; das lassen wir als Ubung). Bemerke, dass L∞(Rn) nicht separabel ist.

• Separabilitat von Lp-Raume, 1 ≤ p <∞, gilt eigentlich nicht nur auf (Rn,Mλ∗n , λn),sondern auf beliebigen σ-endliche Massraume (X,A, µ) mit der Eigenschaft, dassA durch eine abzahlbare Familie F ⊂ A erzeugt wird (d.h. A = σ(F)).

3.5 Fourier Transformation

In diesem Abschnitt betrachten wir Funktionen auf dem Massraum (Rn,Mλ∗n , λn), mitWerten in C. Wir bezeichnen mit Lp(Rn;C) der Raum von allen Aquivalenzklassen vonLebesgue messbare Funktionen f : Rn → C so, dass |f |p integrierbar ist. Bemerke, dassf ∈ Lp(Rn;C) genau dann wenn Re f, Im f ∈ Lp(Rn).

Definition 3.10. Sei f ∈ L1(Rn;C). Die Fourier Transformierte von f ist die FunktionFf : Rn → C, definiert durch

(Ff)(p) =1

(2π)n/2

∫f(x)e−ip·xdλn(x) . (45)

Bemerke, dass die Fourier Transformierte unabhangig aus der Wahl vom Vertreter derAquivalenzklasse ist; d.h. f = g λn-fast uberall impliziert, dass Ff = Fg. Aus diesemGrund definiert die Fourier Transformierte eine (lineare) Abbildung auf L1(Rn).

Wir beweisen nun ein Paar Eigenschaften der Fourier Transformierte.

Satz 3.11. Sei f ∈ L1(Rn;C). Dann ist Ff : Rn → C beschrankt, mit

|(Ff)(p)| ≤ (2π)−n/2‖f‖1 ,

und stetig.

Beweis. Aus Definition gilt

|Ff(p)| ≤ 1

(2π)n/2

∣∣∣∣∫ f(x)e−ip·xdλn(x)

∣∣∣∣ ≤ 1

(2π)n/2

∫|f(x)|dλn(x) =

1

(2π)n/2‖f‖1

Sei pn eine Folge auf Rn mit pn → p. Um die Stetigkeit von Ff zu zeigen, brauchen wirzu beweisen, dass

limn→∞

∫f(x)e−ipn·xdλn(x) =

∫f(x)e−ip·xdλn(x) (46)

Da aber f(x)e−ipn·x → f(x)e−ip·x fur alle x ∈ Rn, und |f(x)e−ipn·x| ≤ |f(x)|, folgt (46)aus dominierten Konvergenz.

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Eine andere wichtige Eigenschaft der Fourier Transformierte ist aus dem Lemma vonRiemann-Lebesgue gegeben.

Lemma 3.12 (Riemann-Lebesgue). Sei f ∈ L1(Rn;C). Dann Ff(p)→ 0 fur |p| → ∞.

Beweis. OBdA konnen wir annehmen, dass f ≥ 0 (sonst schreiben wir f = f+−f−, undwir beweisen die Behauptung separat fur f+ und fur f−). Wir konnen auch annehmen,dass f einfach ist. Sonst finden wir eine Folge von messbare einfache Funktionen fm, mitfm → f in L1(R;C) (vergleich Schritt 4 im Beweis von Theorem 3.9). Fur beliebigenδ > 0 finden wir dann m ∈ N mit ‖fm − f‖1 ≤ δ. Dann gilt∣∣∣∣∫ f(x)e−ip·xdλn(x)

∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣∫ fm(x)e−ip·xdλn(x)

∣∣∣∣+

∣∣∣∣∫ (fm(x)− f(x))e−ip·xdλn(x)

∣∣∣∣≤∣∣∣∣∫ fm(x)e−ip·xdλ(x)

∣∣∣∣+

∫|fm − f |dλn

≤∣∣∣∣∫ fm(x)e−ip·xdλ(x)

∣∣∣∣+ δ

Das zeigt, dass es genugt, die Behauptung fur einfache Funktionen zu beweisen. Da ein-fache Funktionen lineare Kombinationen von endlich viele charakteristische Funktionensind, es genug weiter den Fall f = χA zu betrachten, fur A ∈Mλ∗n . Aus der Regularitatvon Lebesgue Mass, es genug sogar f = χU fur U ⊂ Rn offen zu untersuchen. Fur je-de offene U ⊂ Rn, finden wir aber eine abzahlbare Familie von disjunkten halboffenenQuader der Form

Q = (x1, . . . , xn) ∈ Rn : 2−kji ≤ xi < 2−k(ji + 1) fur i = 1, . . . , n (47)

Es genugt deswegen den Fall f = χQ zu betrachten. In diesem Fall haben wir∫eip·xχQ(x)dλn(x) =

n∏i=1

∫ 2−k(ji+1)

2−kji

e−ipi·xidλ(xi)

=n∏i=1

e−ipi2−k(ji+1) − e−ipi2−kji

−ipi

Das gibt ∣∣∣∣∫ eip·xχQ(x)dλn(x)

∣∣∣∣ ≤ C 1

|p1| . . . |pn|→ 0

fur |p| → ∞.

Wir berechnen die Fourier Transformierte von Gaussische Funktionen.

Lemma 3.13. Fur α > 0 sei gα : Rn → R definiert durch gα(x) = e−αx2

2 . Dann gilt

(Fgα)(p) = α−n/2e−p2

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Beweis. Da gα ∈ L1(Rn), gilt

(Fgα)(p) =1

(2π)n/2

n∏j=1

∫ ∞−∞

dxje−α

2x2j e−ipj ·xj =

e−p2

(2π)n/2

n∏j=1

∫ ∞−∞

dxj e−α

2

(xj−

ipjα

)2

(48)Mit zj = xj − ipi/α das Integral ist ein komplexes Linienintegral auf einem Weg im

komplexen Ebenen parallel zum reellen Achse. Da die Funktion e−αz2j /2 auf C holomorph

ist, und fur |Re zj | → ∞ gegen Null strebt, kann man das Integral zuruck auf dem reellenAchse schieben. D.h.∫ ∞

−∞dxi e

−α2

(xi−

ipiα

)2

=

∫ ∞−∞

dxj e−αx2j2 =

√2π

α

Einsetzen in (48) zeigt die Behauptung.

Die Fourier Transformation spielt in der Analysis eine sehr wichtige Rolle. Ein Grunddafur ist die Tatsache, dass sie Differentialoperatoren “diagonalisiert”.

Lemma 3.14. Sei f ∈ L1(Rn;C) und g : Rn → Cn definiert durch g(x) = −ixf(x). Istg integrierbar, so gilt Ff ∈ C1(Rn;C) mit ∇(Ff) = Fg.

Beweis. Seien p ∈ Rn, j ∈ 1, . . . , n, δ ∈ R\0 festgewahlt. Dann gilt

Ff(p+ δej)−Ff(p)

δ=

∫e−ix·(p+δej) − e−ix·p

δf(x)dλn(x)

=

∫e−iδxj − 1

δe−ix·pf(x)dλn(x)

Da |e−iδxj − 1| ≤ |δ||xj | ≤ |δ||x|, finden wir∣∣∣∣e−iδxj − 1

δe−ix·pf(x)

∣∣∣∣ ≤ |x||f(x)| = |g(x)|

Da die rechte Seite integrierbar ist, folgt aus dominierte Konvergenz, dass

limδ→0

Ff(p+ δej)−Ff(p)

δ= −i

∫xjf(x)e−ix·pdλn(x)

Das zeigt, dass Ff in allen Richtungen partiel differenzierbar ist, und, dass ∂j(Ff) =Fgj . Aus der Annahme g ∈ L1(Rn;C) folgt, dass Fgj stetig ist, fur alle j = 1, . . . , n.Da alle partielle Ableitungen von Ff existieren und stetig sind, es folgt, dass Ff ∈C1(Rn;C), mit ∇(Ff) = Fg.

Bemerkung: Sei f ∈ L1(Rn;C). Fur ein Multiindex α ∈ Nn sei gα : Rn → C mitg(x) = (−i)|α|xαf(x). Ist gα integrierbar (d.h. ist gα ∈ L1(Rn;C)), fur alle α ∈ Nn mit|α| ≤ k, so gilt Ff ∈ Ck(Rn;C), mit Dα(Ff) = Fgα. Es gibt also eine Beziehung zwi-schen den Zerfall einer Funktion (damit xαf(x) integrierbar ist, muss f ins Unendlichenschnell abfallen) und die Regularitat der Fourier Transformierte. Es folgt aus Theorem3.17 unten, dass auch das Gegenteil gilt: um so glatt eine Funktion f ist, desto schnellerfallt die Fourier Transformierte Ff(p) fur p→∞ ab.

Das Verhalten von Faltungen bezuglich Fourier Transformation wird im nachstenSatz untersucht.

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Satz 3.15. Seien f, g ∈ L1(Rn;C). Dann ist die in (38) definierte Faltung f ∗ g ∈L1(Rn;C). Es gilt

F(f ∗ g) = (2π)n/2F(f)F(g)

Beweis. Wir haben

F(f ∗ g)(p) =1

(2π)n/2

∫(f ∗ g)(x)e−ip·xdλn(x)

=1

(2π)n/2

∫ [∫f(x− y)g(y)dλn(y)

]e−ip·xdλn(x)

Mit Fubini (die Funktion f(x− y)g(y)e−ip·x ist auf R2n integrierbar, weil f, g ∈ L1(Rn))finden wir

F(f ∗ g)(p) =1

(2π)n/2

∫f(x− y)g(y)e−ip·xdλ2n(x, y)

=1

(2π)n/2

∫f(x)g(y)e−ip·(x+y)dλ2n(x, y)

= (2π)n/2[

1

(2π)n/2

∫f(x)e−ip·xdλn(x)

] [1

(2π)n/2

∫g(y)e−ip·ydλn(y)

]= (2π)n/2(Ff)(p)(Fg)(p)

wobei wir den Transformationssatz (um die Variable (x, y) mit (x + y, y) zu ersetzen)und noch einmal Fubini benutzt haben.

Im nachsten Theorem zeigen wir, dass die Fourier Transformation auf L2(Rn) iso-metrisch wirkt.

Theorem 3.16 (Plancherel). Sei f ∈ L1(Rn;C)∩L2(Rn;C). Dann ist Ff ∈ L2(Rn;C)und ‖Ff‖2 = ‖f‖2.

Beweis. Die Funktion e−ε|k|2/2 ist monoton in ε. Das monoton Konvergenz Theorem

zeigt, dass

‖Ff‖22 = limε→0

∫|(Ff)(p)|2e−ε

|p|22 dλn(p) .

(A priori konnten linke und rechte Seite unendlich sein; wir werden aber zeigen, dass sieendlich sind). Wir setzen nun die Definition von (Ff)(p) ein. Da f(x)f(y)e−ε|p|

2/2 alsFunktion der drei Variablen x, y, p ∈ Rn integrierbar ist (da f ∈ L1), konnen wir Fubinianwenden. Wir finden

‖Ff‖22 = limε→0

1

(2π)3

∫dλ3n(x, y, p)f(x)f(y)eip·(x−y)e−ε

p2

2

= limε→0

1

(2π)3

∫dλ2n(x, y)f(x)f(y)

∫eip·(x−y)e−ε

p2

2 dλn(p)

= limε→0

∫f(x)

[1

(2πε)n/2

∫f(y)e−

(x−y)22ε dλn(y)

]dλn(x)

Nach Theorem 3.9, gilt

1

(2πε)n/2

∫f(y)e−

(x−y)22ε dλn(y)→ f(x)

in L2(Rn). Damit gilt ‖Ff‖22 = ‖f‖22. Insbesondere ist F ∈ L2(Rn;C).

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Das Theorem von Plancherel erlaubt uns die Fourier Transformation auf L2(Rn)zu definieren. Fur f ∈ L2(Rn;C) (nicht unbedingt in L1(Rn;C)), finden wir eine Folgefj ∈ L1(Rn;C) ∩ L2(Rn;C), mit ‖fj − f‖2 → 0, fur j → ∞. Fur jede j ∈ N konnenwir dann Ffj wie in Definition 3.10 definieren (weil fj ∈ L1(Rn;C)). Aus Theorem 3.16folgt, dass Ffj ∈ L2(Rn;C) fur alle j ∈ N. Wir bemerken, dass ‖Ffj − Ffm‖2 =‖F(fj − fm)‖2 = ‖fj − fm‖2 → 0, fur j,m → ∞, weil fj in L2(Rn;C) konvergiertund deswegen eine Cauchy Folge ist. Das zeigt, dass auch Ffj eine Cauchy Folge aufL2(Rn;C) ist. Da L2(Rn;C) vollstandig ist, ist die Folge Ffj konvergent. Wir setzenFf := limj→∞Ffj .

Bemerke, dass Ff wohldefiniert ist (d.h. der Limes hangt nicht aus der Wahl derFolge fj). Seien namlich fj und gj zwei Folgen in L1(Rn;C) ∩ L2(Rn;C) mit fj → fund gj → f in L2(Rn;C). Wir konstruieren eine neue Folge hj durch h2j = fj undh2j+1 = gj . Dann hj → f fur j → ∞, ist hj eine Cauchy Folge. Damit ist auch FhjCauchy, und deswegen konvergent. Aus diesem Grund muss limj→∞Ffj = limj→∞Fgj .

Damit haben wir F : L2(Rn;C)→ L2(Rn;C) definiert. Aus Theorem 3.16 folgt auch,dass F eine Isometrie ist, d.h., dass ‖Ff‖2 = ‖f‖2 fur alle f ∈ L2(Rn;C). Ist namlichfj ∈ L1(Rn;C) ∩ L2(Rn;C) mit fj → f in L2(Rn;C), so gilt ‖Ffj‖2 = ‖fj‖2 fur allej ∈ N, aus Theorem 3.16; fj → f und Ffj → Ff in L2(Rn;C) implizieren, dass

‖Ff‖2 = limj→∞

‖Ffj‖2 = limj→∞

‖fj‖2 = ‖f‖2 (49)

Eigentlich folgt aus (49) auch, dass F das Skalarprodukt auf L2(Rn;C), definiert durch

〈f, g〉 =

∫fgdµ

invariant lasst, d.h.〈Ff,Fg〉 = 〈f, g〉

fur alle f, g ∈ L2(Rn;C). Das kann durch die Identitat

〈f, g〉 =1

2

[‖f + g‖22 − i‖f + ig‖22 − (1− i)‖f‖2 − (1− i)‖g‖2

]bewiesen werden (weil Theorem 3.16 zeigt, dass Normen durch F erhalten bleiben).

Obwohl wir fur diese Abbildung auf L2(Rn;C) dasselbe Symbol wie fur die Abbildungauf L1(Rn;C) (siehe Definition 3.10) benutzten, es handelt sich um zwei verschiedenenAbbildungen. In allgemein gilt fur f ∈ L2(Rn;C) die Formel (45) nicht (die Formel (45)gilt fur ein f ∈ L2(Rn;C) nur falls f auch in L1(Rn;C) ist).

Es folgt aus Theorem 3.16, dass F : L2(Rn;C) → L2(Rn;C) eine Isometrie ist. Wirzeigen nun, dass F auf L2(Rn;C) unitar ist. Fur f ∈ L2(Rn;C) definieren wir die inverseFourier transformierte von f als

(F∗f)(p) := (Ff)(−p)

Bemerke, dass F∗ : L2(Rn;C) → L2(Rn;C) das adjungierte Abbildung zu F ist. Dasbedeutet, dass

〈f,Fg〉 = 〈F∗f, g〉fur alle f, g ∈ L2(Rn;C); das erklart die Notation.

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Theorem 3.17. Sei f ∈ L2(Rn;C). Dann gilt f = F∗(Ff).

Beweis. Fur α > 0, wir setzen gα(x) = e−αx2

2 . Aus Lemma 3.13, finden wir

(Fgα)(p) = α−n/2e−p2

Man bemerke, dass eine weitere Anwendung von Lemma 3.13 ergibt

(F∗(Fgα))(x) = (F(Fgα))(−x) = gα(x)

D.h. die Behauptung gilt fur die Funktionen gα. Nun zeigen wir, sie gilt fur alle f ∈L2(Rn;C). Sei zunachst f ∈ L1(Rn;C) ∩ L2(Rn;C). Dann gilt (mit Fubini)∫

(Fgα)(y − x)f(y)dλn(y) =

∫ [1

(2π)n/2

∫gα(k)e−ik·(y−x)dλn(k)

]f(y)dλn(y)

=

∫gα(k)(Ff)(k) e−ik·xdλn(k)

(50)

Fur f ∈ L2(Rn;C) finden wir nun eine Folge fj ∈ L1(Rn;C) ∩ L2(Rn;C) mit fj → fin L2(Rn) so, dass fj die Identitat (50) erfullt, fur alle j ∈ N. Aus Theorem 3.16 folgtauch, dass Ffj → Ff in L2(Rn;C) fur j →∞. Da (Fgα), gα ∈ L2(Rn;C), es folgt, dass∫

(Fgα)(y − x)f(y)dλn(y) =

∫gα(k)(Ff)(k) e−ik·xdλn(k) (51)

auch fur alle f ∈ L2(Rn). Fur α → 0 konvergiert die linke Seite von (51) gegen f ,in L2(Rn); das folgt aus Theorem 3.9. Was passiert zur rechten Seite, falls α → 0?Dominierte Konvergenz impliziert, dass gα(Ff) → (Ff) in L2(Rn;C). Theorem 3.16impliziert also, dass F∗(gα(Ff))→ F∗(Ff) fur α→ 0. Das zeigt, dass f = F∗(Ff).

Zusammenfassend: F : L2(Rn;C)→ L2(Rn;C) ist eine unitare Abbildung.Wir haben gezeigt, dass die Fourier Transformation auf L1(Rn;C) oder auf L2(Rn;C)

definiert werden kann. Einerseits wird L1(Rn;C) auf L∞(Rn;C) abgebildet, mit

‖Ff‖∞ ≤ (2π)−n/2‖f‖1

fur alle f ∈ L1(Rn;C). Anderseits wird L2(Rn;C) auf L2(Rn;C) abgebildet, mit ‖Ff‖2 =‖f‖2. Sei nun 1 ≤ p ≤ 2. Fur f ∈ Lp(Rn;C) ∩ L1(Rn;C) gilt die Hausdorff-YoungUngleichung

‖Ff‖q ≤ C‖f‖p (52)

fur 2 ≤ q ≤ ∞ mit 1/p + 1/q = 1 und fur eine geeignete Konstante C > 0 (dienur von p abhangt). Mit (52) kann man nun die Fourier Transformation auf Lp(Rn)definieren. Ist f ∈ Lp(Rn;C), so finden wir eine Folge fj ∈ Lp(Rn;C) ∩ L1(Rn;C)mit fj → f in Lp(Rn;C). Dann ist Ffj wegen (52) eine Cauchy Folge auf Lq(Rn;C).Deswegen konvergiert Ffj in Lq(Rn;C). Wir setzen dann einfach Ff := limj→∞Ffj .Es ist einfach zu sehen, dass F damit wohldefiniert ist. Das definiert eine AbbildungF : Lp(Rn;C) → Lq(Rn;C), fur alle 1 ≤ p ≤ 2. Diese neue Abbildung erfullt dieHausdorff-Young Ungleichung ‖Ff‖q ≤ C‖f‖p.

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4 Flachenintegrale und Integralsatze

Aus Analysis 2 erinnern wir den Begriff von Mannigfaltigkeit. Seien n, k ∈ N mit 1 ≤ k <n. Eine k-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit in Rn (oder eine C1-Untermannigfaltigkeitdes Rn) ist eine nicht-leere Menge M ⊂ Rn so, dass fur alle a ∈M eine offene UmgebungU ⊂ Rn von a, eine offene Menge G ⊂ Rk und eine regulare Abbildung ϕ ∈ C1(G;Rn)so, dass ϕ(G) = M ∩ U und ϕ : G → M ∩ U ein Homoomorphismus ist. Das Paar(G,ϕ) heisst eine Karte von M in der Nahe vom Punkt a. Erinnerung: eine Abbildungϕ ∈ C1(G;Rn) heisst regular falls rank Df(x) = k fur alle x ∈ G.

Alternativ: man sagt M ⊂ Rn ist eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimension k falls,fur alle a ∈ M , es existieren eine offene Umgebung U von a in Rn, G ⊂ Rk offen undφ ∈ C1(G;Rn−k) so, dass

M ∩ U = (x1, . . . , xn) ∈ Rn : (xk+1, . . . , xn) = φ(x1, . . . , xk), und (x1, . . . , xk) ∈ G .

Wir haben bis jetzt gelernt, wie man mit dem Lebesgue Mass Volumen von Teil-mengen von Rn, oder Integrale von Funktionen auf Rn, berechnen kann. Es ist naturlichsich zu fragen, ob das Lebesgue Mass auf Rn auch ein Mass auf C1-Mannigfaltigkeitender Dimension k < n in Rn induziert. Wir werden sehen, die Antwort zu dieser Fra-ge ist positiv. Nachher werden wir einige wichtige Eigenschaften des induzierten Massdiskutieren.

4.1 Integration auf Mannigfaltigkeiten

Wir betrachten zunachst den Fall, dass die regulare Abbildung ϕ ∈ C1(G,Rn), die dieMannigfaltigkeit ϕ(G) definiert, linear ist. Sei also T : Rk → Rn eine lineare Abbildung.Wir bezeichnen mit T auch die n × k Matrix T ∈ Rn×k, die die Wirkung der lineareAbbildung T beschreibt. Wir nehmen an, dass rank T = k. Sei G ⊂ Rk offen. Dann istT (G) eine k-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit in Rn.

Wir konnen die Matrix T als T = QU schreiben, wobei U ∈ Rk×k eine k× k Matrixist, und Q ∈ O(k, n) eine Isometrie ist (d.h. ‖Qv‖Rn = ‖v‖Rk fur alle v ∈ Rk). Einemogliche Wahl von Q und U ist aus dem folgenden Argument gegeben. Sei e1, . . . , ekdie Standardbasis von Rk. Nach Annahme ist die lineare Hulle span (Te1, . . . , T ek) einUnterraum von Rn der Dimension k. Sei also w1, . . . , wk ∈ Rn ein orthonormalbasisvon diesem Raum. Wir finden dann eine k × k Matrix U = (uij)1≤i,j≤k so, dass Tej =∑k

i=1 uijwi. Wir behaupten dann, dass T = QU , wobei Q die n × k Matrix ist, dessen

Kolumne aus w1, . . . wn gegeben sind. In der Tat, fur ein beliebigen x =∑k

j=1 xjej ∈ Rk,es gilt

QUx =

k∑j=1

xjQUej =

k∑j=1

xjQ

(k∑i=1

uijei

)=

k∑j=1

k∑i=1

xjuijwi =

k∑j=1

xjTej = Tx

Da die Spalte von Q orthonormal sind, es gilt auch ‖Qv‖Rn = ‖v‖Rk , fur alle v ∈ Rk.

Wie sollen wir nun den Flacheninhalt von der Mannigfaltigkeit T (G) definieren?Wir sind hier nicht am Volumen von T (G) als Teilmenge von Rn interessiert; das wareoffenbar Null. Wir sind hier dagegen am k-dimensional Volumen von T (G) interessiert.

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Da die Abbildung Q Langen invariant lasst, es ist naturlich, den Flacheninhalt von T (G)durch

Sk(T (G)) = Sk(Q(U(G))) = Sk(U(G)) = λk(U(G)) = |det U |λk(G)

zu definieren. Es ist einfach den Faktor |det U | durch die Abbildung T ausudrucken. Esgilt, in der Tat T tT = U tQtQU = U tU , weil QtQ = 1k. Also

|det U | =(det T tT

)1/2und

Sk(T (G)) = |det T tT |1/2λk(G) (53)

(T ist keine quadratische Matrix, deswegen ist detT nicht definiert; T tT ist dagegenquadratisch, und detT tT ist sinnvoll).

Um die Definition (53) besser zu verstehen, betrachten wir den Fall k = 2 undn = 3. Wir nehmen auch an, dass G ⊂ R2 ein Rechteck ist, mit Ecken an der Stellenx, x + δ1e1, x + δ2e2, x + δ1e1 + δ2e2. Das Volumen von G ist δ1 · δ2. Das Bild von Gunter der lineare Abbildung T ∈ R3 × 2 ist eine Teilmenge von R3, enthalten auf demEbene T (R2). Es handelt sich um einen Viereck, mit Ecken an der Stelle T (x), T (x +δ1e1), T (x + δ2e2), T (x + δ1e1 + δ2e2). Aus der Linearitat von T muss T (G) eigentlichein Parallelogramm sein, erzeugt von den zwei Vektoren δ1T (e1) und δ2T (e2). Da T (e1)und T (e2) die zwei Kolumne von T sind, gilt

det T tT = ‖T (e1)‖2‖T (e2)‖2 − (T (e1) · T (e2))2

= ‖T (e1)‖2‖T (e2)‖2(1− cos2 θ)

= ‖T (e1)‖2‖T (e2)‖2 sin2 θ

wobei θ das Winkel zwischen T (e1) und T (e2) ist. Deswegen ist

S2(T (G)) = ‖δ1T (e1)‖‖δ2T (e2)‖| sin θ|

wirklich was wir als das Volumen der Parallelogramm T (G) kennen.

Wir gehen nun einen Schritt weiter, und wir untersuchen den Flacheninhalt vonMannigfaltigkeiten der Form ϕ(G), wobei G ⊂ Rk offen ist und ϕ ∈ C1(G;Rn) eineregulare, aber nicht unbedingt lineare Abbildung ist. Durch Zerlegung von G in klei-nen Rechtecken, und durch Approximation von ϕ mit linearen Abbildungen, es scheintnaturlich, (53) durch

Sk(ϕ(G)) =

∫G

(det DϕtDϕ

)1/2dλk (54)

zu verallgemeinern. Ist weiter f : ϕ(G) → R eine Funktion auf der Mannigfaltigkeitϕ(G), so konnen wir das Integral von f auf ϕ(G) durch∫

Gf ϕ (det DϕtDϕ)1/2dλk (55)

definieren. Die Formeln (54) und (55) definieren das Flacheninhalt von Mannigfaltig-keiten der Form ϕ(G), und, bzw., das Integral von Funktionen auf Mannigfaltigkeiten

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dieser Form. Bemerke, dass (54) folgt aus (55), falls f eine charakteristische Funktionist.

Es ist wichtig zu bemerken, dass (54) und (55) unabhangig aus der Wahl der Abbil-dung ϕ sind, solange die Mannigfaltigkeit ϕ(G) fest bleibt.

Lemma 4.1. Seien G1, G2 ⊂ Rk offen, ϕ1 ∈ C1(G1;Rn) und ϕ2 ∈ C1(G2;Rn) regulareAbbildungen, so dass ϕ1 : G1 → ϕ(G1) und ϕ2 : G2 → ϕ(G2) Homoomorphismensind und ϕ1(G1) = ϕ2(G2). Fur jede Funktion f : ϕ(G1) = ϕ(G2) → R es gilt f ϕ1(det Dϕt1Dϕ1)1/2 ist auf G1 integrierbar genau dann wenn f ϕ2(det Dϕt2Dϕ2)1/2

auf G2 integrierbar ist. In diesem Fall gilt∫G1

f ϕ1 (det Dϕt1Dϕ1)1/2dλk =

∫G2

f ϕ2 (det Dϕt2Dϕ2)1/2dλk

Beweis. Wir setzen ψ = ϕ−11 ϕ2 : G2 → G1. ψ ist offenbar ein Homoomorphismus.

Wir mochten zeigen, dass ψ ein Diffeomorphismus ist; dann folgt die Behauptung ausdem Transformationssatz. Um zu zeigen, dass ψ ein Diffeomorphismum ist, betrachtenwir b ∈ G1. Die Tatsache, dass ϕ1 regular an der Stelle b ∈ G1 ist, impliziert, dassrank Dϕ1(b) = k. In der Tat, ran Dϕ1(b) = Tϕ1(b)ϕ1(G1) ist der Tangentialraum zuϕ1(G1) an der Stelle ϕ1(b). Sei P : Rn → Tϕ1(b)ϕ1(G1) die orthogonale Projektion aufder Tangentialraum Tϕ1(b)ϕ1(G1). Falls v1, . . . , vk ∈ Rn eine Basis von Tϕ1(b)ϕ1(G1) ist,so gilt

P (v) =k∑j=1

(v · vj)vj

fur alle v ∈ Rn. P ist linear, und deswegen differenzierbar; es gilt DP (v) = P . Wirbetrachten nun die Abbildung Pϕ1 : G1 → Tϕ1(b)ϕ1(G1). Es gilt

D(Pϕ1)(b) = DP (ϕ1(b))Dϕ1(b) = PDϕ1(b) = Dϕ1(b),

weil ran Dϕ1(b) = Tϕ1(b)ϕ1(G1). Die Regularitat von ϕ1 impliziert, dass rank D(Pϕ1)(b) =

k. Das bedeutet, dass D(Pϕ1)(b), als Abbildung von Rk nach Rk (Tϕ1(b)ϕ1(G1) kann

mit Rk identifiziert werden) invertierbar ist. Der Satz uber die Umkehrabbildung zeigt,dass die Abbildung Pϕ1 in der Nahe von b invertierbar ist. D.h. es existieren offeneUmgebungen U ⊂ Rk von b und V ⊂ Tϕ1(b)ϕ1(G1) von 0 und ein g ∈ C1(V ;U) mitg P ϕ(x) = x fur alle x ∈ U . Das bedeutet, dass g P : ϕ(U) → U ist die Inversevon ϕ : U → ϕ(U) in der Nahe von x = b. Das gibt ψ = g P ϕ auf U . Das zeigt, dassψ ∈ C1(U ;U). Analog kann man zeigen, dass ψ−1 stetig differenzierbar ist und damit,dass ψ ein Diffeomorphismus ist.

Mit Lemma 4.1 konnen wir nun das Integral auf Mannigfaltigkeiten der Form ϕ(G),fur eine regulare Abbildung ϕ ∈ C1(G;Rn) und ein G ⊂ Rk offen, definieren. Insbeson-dere definieren wir damit den Flacheninhalt von Mannigfaltigkeiten.

Definition 4.2. Sei k, n ∈ N, mit 1 ≤ k < n. Sei M ⊂ Rn eine C1-Mannigfaltigkeitder Dimension k und f : M → R. Wir nehmen an es existiert G ⊂ Rk offen undeine regulare Abbildung ϕ ∈ C1(G;Rn) so, dass ϕ(G) ⊂ M und ϕ : G → ϕ(G) ein

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Homomorphismus ist, und so, dass f = 0 auf M\ϕ(G). Dann sagen wir, dass f auf Mintegrierbar ist, falls f ϕ(detDϕtDϕ)1/2 auf G integrierbar ist. In diesem Fall setzenwir ∫

MfdSk :=

∫Gf ϕ (detDϕtDϕ)1/2dλk

Der Flacheninhalt von M ist definiert als

Sk(M) =

∫MdSk =

∫G

(detDϕtDϕ)1/2dλk .

Es folgt aus Lemma 4.1, dass∫M fdSk wohldefiniert ist, weil die Integrierbarkeit von

f und das Integral nicht vom Wahl der Karte ϕ abhangt.

Oft konnen Mannigfaltigkeiten nicht durch eine einzige Karte parametrisiert werden.In diesem Fall kann man das Integral einer Funktion f berechnen, indem man f alsSumme von endlich viele Funktionen schreibt, so, dass jede Funktion innerhalb eineKarte getragt wird. Wir benutzen dafur die folgende Definition.

Definition 4.3. Sei M ⊂ Rn eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimension 1 ≤ k < n,und f : M → R. Existieren endlich viele Funktionen f1, . . . , f` : M → R, die gemassDefinition 4.2 auf M integrierbar sind (dafur muss fj Trager innerhalb einer Karte

haben) und mit f =∑k

j=1 fj, so sagen wir, dass f auf M integrierbar ist, und wirsetzen ∫

MfdSk =

∑j=1

∫MfjdSk

Bemerke: mit Hilfe von Lemma 4.1 kann man zeigen, die integrierbarkeit von f und derWert vom Intgral sind unabhangig aus der Wahl der Zerlegung.

Beispiel: wir berechnen den Flacheninhalt der Sphare S2 = x ∈ R3 : ‖x‖ = 1. Wirbetrachten dazu die Karte ϕ : (0;π)× (0; 2π)→ R3 definiert durch

ϕ(θ, φ) = (sin θ cosφ, sin θ sinφ, cos θ)

((θ, φ) sind spharische Koordinaten auf S2). Man bemerke, dass ϕ((0;π) × (0; 2π)) =S2\(sin θ, 0, cos θ) : θ ∈ [0;π]. Mit Hilfe einer zweiten Karte, kann man aber einfachzeigen, dass S2((sin θ, 0, cos θ) : θ ∈ [0;π]) = 0. Das bedeutet, dass das Flacheninhaltvon S2 durch ∫

S2

dS2 =

∫(0;π)×(0;2π)

(detDϕTDϕ)1/2dλ2(θ, ϕ)

Mit

Dϕ(θ, φ) =

cos θ cosφ − sin θ sinφcos θ sinφ sin θ cosφ− sin θ 0

und

Dϕt(θ, φ)Dϕ(θ, φ) =

(1 00 sin2 θ

)

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finden wir also, dass der Flacheninhalt von S2 aus∫(0;π)×(0;2π)

sin θdλ2(θ, φ) = 2π

∫ π

0sin θdθ = 4π

Oft werden Mannigfaltigkeiten als Graphen definiert (so haben wir in Analysis 2Mannigfaltigkeit ursprunglich definiert). Sei G ⊂ Rk offen, ψ ∈ C1(G,Rn−k). Dannist die Abbildung ϕ : G → Rn definiert durch ϕ(x) = (x, ψ(x)) regular. Sei M =ϕ(G). Dann ist ϕ : G → M ein Homomorphismus, und M ist deswegen eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimension k. Wir bemerken, dass

DϕTDϕ = 1 +DψTDψ

Fur f : M → R gilt also∫MfdSk =

∫Gf(x, ψ(x))

√det(1 +DψT (x)Dψ(x)) dλk(x)

Ist k = 1, so ist ψ : R ⊃ G → Rn−1, und Dψ(x) = (ψ′1(x), . . . , ψ′n−1(x)) und det(1 +

DψTDψ) = 1 +∑n−1

j=1 |ψ′j(x)|2. Die Lange der Kurve ϕ(G) ⊂ Rn ist dann durch

∫G

1 +n−1∑j=1

|ψ′j(x)|21/2

dλ1(x)

gegeben (das ist konsistent mit einem geometrischen Definition der Lange einer Kurve).Ist k = n− 1 (d.h. ist ϕ(G) eine Hyperflache, so ist ψ ∈ C1(G;R), DψTDψ = ∇ψ⊗∇ψ(diese lineare Abbildung ist eine Projektion, definiert fur v ∈ Rk durch ∇ψ ⊗∇ψ(v) =(∇ψ · v)∇ψ).Damit gilt

det(1 +∇ψ ⊗∇ψ) = 1 + |∇ψ|2

und ∫MfdSn−1 =

∫Gf(x, ψ(x))

√1 + |∇ψ(x)|2dλn−1(x)

4.2 Satz von Gauss

Sei F : G → Rn, fur ein offenes G ⊂ Rn, ein Vektorfeld. Sei weiter M ⊂ Rn eineC1-Mannigfaltigkeit in Rn der Dimension (n − 1). Wir nehmen an, wir konnen auf Meine stetige Einheitsnormale ν : M → x ∈ Rn : ‖x‖ = 1 definieren (so, dass fur allex ∈M , ν(x) steht senkrecht zu M). Man sagt dann, dass M ist orientierbar (bemerke,dass nicht alle Mannigfaltigkeit orientierbar sind; das Mobiusband ist ein Beispiel einernicht-orientierbare Mannifaltigkeit). Der Flux von F durch M ist dann als das Integral∫

MF · ν dSn−1

definiert (angenommen F · ν ist auf M integrierbar). Der Begriff von Fluss kommt ausder Hydrodynamik. Ist F (x) die Geschwindigkeit einer Flussigkeit an der Stelle x, so

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kann man der Fluss von F durch M als das Volumen Flussigkeit die pro Zeiteinheitdurch M fliesst interpretieren. Der Begriff von Fluss spielt auch in der Elektrodynamik(Fluss vom elektrischen und magnetischen Feld) und allgemeiner in der Physik eine sehrwichtige Rolle.

In diesem Abschnitt betrachten wir insbesondere den Fluss von Vektorfelder durchHyperflache in Rn die als Rand ∂Ω von offenen Gebieten Ω ⊂ Rn entstehen. Um Flussedurch Rander von offenen Gebiete Ω ⊂ Rn zu definieren, brauchen wir ein bisschenRegularitat vom ∂Ω.

Definition 4.4. Sei Ω ⊂ Rn offen. Der regulare Rand von Ω ist die Menge ∂rΩ von allenx ∈ ∂Ω so, dass ρ > 0 und g ∈ C1(Bρ(x)) existieren, mit ∇g(y) 6= 0 fur alle y ∈ Bρ(x)und Ω ∩Bρ(x) = g−1((−∞; 0)). Wir sagen Ω ist C1-berandet, falls ∂rΩ = ∂Ω.

Bemerkung: Sei Ω ⊂ Rn offen und x ∈ ∂rΩ. Dann ist ∂Ω ∩ Bρ(x) = g−1(0);d.h. der Rand von Ω in der Nahe von x besteht genau aus der Punkten, wo g = 0ist. Insbesondere ist (∂Ω) ∩ Bρ(x) ⊂ ∂rΩ, und ∂rΩ ist eine C1-Mannigfaltigkeit derDimension n − 1. Damit ist der Tangentialraum Tx(∂rΩ) zu ∂rΩ an der Stelle x einVektorraum der Dimension (n− 1).

Auf ∂rΩ konnen wir nun die Einheitsnormale definieren.

Lemma 4.5. Sei Ω ⊂ Rn offen. Dann gibt es fur jedes x ∈ ∂rΩ einen eindeutigenVektor ν(x) ∈ Rn, aussere Einheitsnormale genannt, mit folgenden Eigenschaften:

i) |ν(x)| = 1.

ii) ν(x) ∈ Tx(∂rΩ)⊥ = v ∈ Rn : v · ξ = 0 fur alle ξ ∈ Tx(∂rΩ).

iii) Fur alle x ∈ ∂rΩ gibt es ρ > 0 so, dass x + tν ∈ Ω fur alle t ∈ (−ρ, 0) undx+ tν 6∈ Ω fur alle t ∈ (0; ρ).

iv) ν ∈ C(∂rΩ;Rn).

Beweis. Eindeutigkeit folgt punktweise aus i),ii),iii). Um die Existenz zu beweisen, seix ∈ ∂rΩ. Aus der Definition des regularen Randes, finden wir ρ > 0 und g ∈ C1(Bρ(x)).Dann setzen wir ν(x) = ∇g(x)/‖∇g‖. Es ist einfach zu uberprufen, dass ν(x) diegewunschten Eigenschaften hat.

Sei Ω ⊂ Rn offen und beschrankt, mit ∂rΩ = ∂Ω. Sei F ∈ C(Ω;Rn) ein Vektorfeld.Dann konnen wir den Fluss von F durch ∂Ω durch∫

∂ΩF · ν dSn−1 (56)

definieren. Der Satz von Gauss druckt (56) als n-dimensionale Integral auf Ω. Sei F ∈C(Ω;Rn) ∩ C1(Ω;Rn). Wir definieren dann die Divergenz von F durch

div F (x) ≡ ∇ · F (x) =

n∑j=1

∂Fj∂xj

(x)

fur alle x ∈ Ω. Hier sind F1, . . . , Fn die Komponenten des Vektorfeldes F .

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Satz 4.6 (Satz von Gauss - C1-berandete Gebiete). Sei Ω ⊂ Rn offen und beschrankt,mit ∂Ω = ∂rΩ. Sei F ∈ C(Ω;Rn)∩C1(Ω;Rn) mit div F ∈ L1(Ω). Dann ist F · ν auf ∂Ωintegrierbar und es gilt ∫

∂ΩF · ν dSn−1 =

∫Ω

div F dλn

Um Satz 4.6 zu beweisen brauchen wir einige Hilfslemmata.

Lemma 4.7. Sei W ⊂ Rn offen, und f ∈ C1c (W ). Dann ist∫

W

∂f

∂xjdλn = 0

fur alle j = 1, . . . , n.

Bemerkung: f ∈ C1c (W ) bedeutet, dass f ∈ C1(W ) und, dass supp (f) ⊂W kompakt

ist (das impliziert, dass f = 0 in der Nahe von ∂W .

Beweis. OBdA betrachten wir den Fall j = n. Wir definieren f : Rn → R durch f(x) =f(x) fur x ∈W und f(x) = 0 sonst. Dann ist f ∈ C1(Rn). Wir rechnen, mit Fubini,∫

Rn

∂f(x)

∂xndλn(x) =

∫Rn−1

[∫ ∞−∞

∂f(x′, xn)

∂xndλ(xn)

]dλn−1(x′) = 0

weil ∫ ∞−∞

∂f(x′, xn)

∂xndλ(xn) = f(x′;∞)− f(x′;−∞) = 0

da f kompakten Trager hat.

Lemma 4.7 zeigt, dass nicht-verschwindende Beitrage zu∫

Ω div Fdλn aus einer Um-gebung vom Rand von Ω kommen. Neben dem Rand konnen wir das nachste Lemmabenutzen.

Lemma 4.8. Sei V ⊂ Rn−1 offen und beschrankt, ψ ∈ C1(V ) und

Ω = x = (x′, xn) ∈ Rn : x′ ∈ V, xn < ψ(x′) ⊂ Rn

Weiter, sei F ∈ C(Ω,Rn)∩C1(Ω;Rn) so, dass div F ∈ L1(Ω) und K ⊂ V ×R kompaktmit F = 0 auf Ω\K. Dann gilt∫

Ωdiv F dλn =

∫MF · ν dSn−1

wobei M = x ∈ Rn : x′ ∈ V, xn = ψ(x′) = (x′, ψ(x′)) : x′ ∈ V . Insbesondere ist F · νauf M integrierbar.

Beweis. Sei t ∈ C1(R) mit t(z) = 1 fur z ≥ 1 und t(z) = 0 fur z ≤ 1/2. Fur ε > 0 wirdefinieren dann ϕε : V × R→ R durch

ϕε(x′, xn) = t((ψ(x′)− xn)/ε)

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Dann gilt ϕε(x′, xn) = 0 falls xn ≥ ψ(x′)− ε/2 und ϕε(x

′, xn) = 1 falls xn ≤ ψ(x′)− ε.Damit ist Fϕε = 0 ausserhalb der kompakte Menge x ∈ K : xn ≤ ψ(x′) − ε/2.Deswegen ist Fϕε ∈ C1

c (Ω) und Lemma 4.7 impliziert, dass

0 =

∫Ω

div (Fϕε)dλn =

∫Ω

(div F )ϕεdλn +

∫ΩF · ∇ϕεdλn (57)

Da ϕε → 1 fur ε→ 0 punktweise auf Ω und |ϕε| ≤ 1, dominierte Konvergenz impliziert,dass

limε→0

∫Ω

(div F )ϕεdλn =

∫Ω

div Fdλ .

Im zweiten Integral auf der rechten Seite von (57) benutzen wir Fubini. Wir finden∫ΩF · ∇ϕεdλn =

∫V

[∫ ψ(x′)

−∞F (x) · ∇ϕε(x)dλ(xn)

]dλn−1(x′)

=1

ε

∫V

[∫ ψ(x′)

−∞F (x) ·

(∇ψ(x′)−1

)t′((ψ(x′)− xn)/ε)dλ(xn)

]dλn−1(x′)

Mit der Substitution z = (ψ(x′)− xn)/ε finden wir∫ΩF · ∇ϕεdλn =

∫V

[∫ ∞0

F (x′, ψ(x′)− εz) ·(∇ψ(x′)−1

)t′(z)dλ(z)

]dλn−1(x′)

Da F stetig ist, gilt limε→0 F (x′, ψ(x′) − εz) = F (x′, ψ(x′)) fur alle x′ ∈ V und z ∈ R.Aus Stetigkeit von F und von ∇ψ uber die kompakte Menge K ∩ Ω folgt, dass F und∇ψ beschrankt sind. Deswegen ist |F |(|∇ψ| + 1) ∈ L1(V × (0;∞)). Mit dominierteKonvergenz folgt, dass

limε→0

∫F · ∇ϕεdλn =

∫VF (x′, ψ(x′)) ·

(∇ψ(x′)−1

)dλn−1(x′)

weil ∫ ∞0

t′(z)dz = 1

Nun bemerken wir, dass die aussere Normale zur Menge Ω = (x′, xn) ∈ V × R : xn <ψ(x′) aus

ν(x′, ψ(x′)) =1√

1 + |ψ(x′)|2

(−∇ψ(x′)1

)gegeben ist. Deshalb gilt

limε→0

∫ΩF · ∇ϕεdλn = −

∫VF (x′, ψ(x′)) · ν(x′, ψ(x′))

√1 + |∇ψ(x′)|2 dλn−1(x′)

= −∫MF · ν dSn−1

Mit (57) folgt die Behauptung.

110

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Um Lemma 4.7 und Lemma 4.8 zum Beweis von Satz 4.6 zu benutzen brauchen wirden Vektorfeld F als Summe von Vektorfelder zu zerlegen, die nur im Inneren von Ωoder in einer Umgebung vom Rand, die wie das Gebiet Ω in Lemma 4.8 aussieht, getragtwird. Dazu benutzen wir das folgende Lemma.

Lemma 4.9 (Zerlegung der Eins). Sei Ω ⊂ Rn kompakt, uns seien U1, . . . , Uk offeneMengen, so, dass Ω ⊂

⋃kj=1 Uj. Dann gibt es Funktionen θj ∈ C1

c (Uj ; [0; 1]) fur j =

1, . . . , k so, dass∑k

j=1 θj(x) = 1 fur alle x ∈ Ω.

Bemerkung: mit wenige Anderungen kann man auch Funktionen θj ∈ C∞c (Uj ; [0; 1])konstruieren. Es existieren auch kompliziertere Versionen dieses Lemmas, die fur nichtkompakten Ω und fur unendlich viele Uj gelten.

Beweis. Fur x ∈ Ω finden wir jx ∈ 1, . . . , k mit x ∈ Ujx . Da Ujx offen ist, finden wirrx > 0 mit B2rx(x) ⊂ Ujx . Dann gilt Ω ⊂

⋃x∈ΩBrx(x). Da Ω kompakt ist, existieren

endlich viele x1, . . . , xM ∈ Ω mit

Ω ⊂M⋃i=1

Brxi (xi)

Sei p∗ ∈ C1c (Rn; [0; 1]) eine Funktion mit p∗(x) = 1 fur alle |x| < 1 und p∗(x) = 0 fur

alle |x| ≥ 2.Fur i = 1, . . . ,M setzen wir pi(x) = p∗((x−xi)/rxi). Nun, fur j = 1, . . . , k definieren

wirqj(x) =

∑i:xi∈Uj

pi(x)

Dann gilt qj ∈ C1c (Uj) (weil B2rxi

(xi) ⊂ Uj fur alle i ∈ 1, . . . ,M mit jxi = j).Weiter bemerken wir: fur alle x ∈ Ω existiert i ∈ 1, . . . ,M so, dass x ∈ Brxi (xi) (weil

Ω ⊂⋃Mi=1Brxi (xi)). Das impliziert, dass pi(x) = 1 und also, dass

∑kj=1 qj(x) ≥ 1 fur

alle x ∈ Ω.Wir wahlen nun h ∈ C1(R) mit h(z) = 1/z fur alle z ≥ 1, und wir setzen

θj = h

(k∑`=1

q`

)qj

fur alle j = 1, . . . , k. Da h ∈ C1(R) und q` ∈ C1c (U`) fur alle ` = 1, . . . , k, gilt θj ∈ C1

c (Uj)fur alle j = 1, . . . , k und

k∑j=1

θj(x) = h

(k∑`=1

θ`(x)

)k∑j=1

θj(x) = 1

Wir sind nun bereit, Satz 4.6 zu beweisen.

111

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Beweis von Satz 4.6. Da Ω C1-berandet ist, ist ∂Ω eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimen-sion (n− 1). Lokal konnen wir also ∂Ω als Graph einer C1-Funktion darstellen. Sei x ∈∂Ω. Nach allfalligen Unnumerierung der Koordinaten, schreiben wir x = (x′, xn). Dannexistieren ρx > 0 und ψ ∈ C1(x′ + (−ρx; ρx)×(n−1)) so, dass, mit Ux = x+ (−ρx; ρx)×n,es gilt

A ∩ Ux = y = (y′, yn) ∈ Ux : yn < ψ(y′)

Da ∂Ω kompakt ist, existieren endlich viele x1, . . . , xM ∈ ∂Ω, mit ∂Ω ⊂⋃Mj=1 Uxj .

Sei weiter U0 = Ω. Dann geben die offene Mengen U0, Ux1 , . . . , UxM eine Uberdeckungder kompakten Menge Ω. Seien θ0, . . . , θM wie in Lemma 4.9, d.h. θj ∈ C1

c (Uxj ; [0; 1])

fur j = 1, . . . ,M und θ0 ∈ C1c (U0; [0; 1]) mit

∑Mj=0 θj(x) = 1 fur alle x ∈ Ω. Wegen

Linearitat vom Integral, es genug dann die Behauptung fur Fj = Fθj zu zeigen, furj = 0, . . . ,M . Fur j = 0 folgt die Behauptung von Lemma 4.7. Fur j = 1, . . . ,M , siefolgt aus Lemma 4.8.

Beispiel: Sei Ω = Br(0) ⊂ Rn die n-dimensionale Kugel mit Radius r > 0. SeiF (x) = x. Dann gilt div F = n und ν(x) = x/|x|. Deswegen gilt∫

Br(0)div F dλn = nλn(Br(0))

Anderseits ∫∂Br(0)

F · ν dSn−1 = rSn−1(∂Br(0))

Der Satz von Gauss impliziert, dass nλn(Br(0)) = rSn−1(∂Br(0)). Zum Beispiel, fallsn = 3, λn(Br(0)) = (4/3)πr3 und deswegen der Flacheninhalt von der Sphare ∂Br(0)ist S2(∂Br(0)) = 4πr2.

Die Annahme, dass ∂Ω = ∂rΩ, d.h., dass Ω C1-berandet ist, ist tatsachlich nichtnotwendig. Man kann den Satz von Gauss unter schwachere Annahme beweisen. Wichitigist, dass die Menge der Punkten in ∂Ω\∂rΩ in geeigneter Weise genugend klein ist.

Definition 4.10. Sei Ω ⊂ Rn uns s ≥ 0. Die Menge Ω heisst eine Hs-Nullmenge fallsfur alle ε > 0 abzahlbar viele Kugeln Brj (xj)j∈N mit xj ∈ Rn und rj > 0 existierenso, dass

Ω ⊂⋃j∈N

Brj (xj) und∑j∈N

rsj ≤ ε

Man schreibt in diesem Fall, dass Hs(Ω) = 0.

Bemerkungen: Abzahlbare Vereinigungen von Hs-Nullmengen sind Hs-Nullmengen.Ω ⊂ Rn ist eine Hn-Nullmenge g.d.w. Ω ist eine Lebesgue Nullmenge (d.h. falls λ∗n(Ω) =0). Es gilt: sei U ⊂ Rk, f ∈ C(U ;Rn) Lipschitz stetig und s > k. Dann ist U eineHs-Nullmenge.

Definition 4.11. Eine Menge Ω ⊂ Rn heisst ein C1-Polyeder falls Ω offen ist und∂Ω\∂rΩ eine Hn−1-Nullmenge ist.

Insbesondere ist Ω sicher ein Polyeder, falls ∂Ω\∂rΩ abzahlbar ist.

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Satz 4.12 (Satz von Gauss). Sei Ω ⊂ Rn ein beschranktes C1-Polyeder. Sei F ∈C(Ω;Rn) ∩ C1(Ω;Rn) mit div F ∈ L1(Ω) und F · ν auf ∂rΩ integrierbar. Dann gilt∫

Ωdiv Fdλn =

∫∂rΩ

F · ν dSn−1

Beweis. Wir setzen ∂sΩ = ∂Ω\∂rΩ. Die Menge ∂sΩ ist kompakt (weil ∂Ω ist kompaktund weil ∂sΩ = ∂Ω\

⋃x∈∂rΩBρx(x), mit ρx > 0 wie in der Definition 4.4 von ∂rΩ).

Nach Annahme ist ∂sΩ eine Hn−1-Nullmenge. Fur gegebene ε > 0 konnen wir alsoabzahlbar viele offene Kugel Brj (xj) finden, mit

∂sΩ ⊂⋃j∈N

Brj (xj)

und∑m

j=1 rn−1j < ε. Da ∂sΩ kompakt ist, finden wir m ∈ N, mit

∂sΩ ⊂m⋃j=1

Brj (xj) (58)

OBdA konnen wir auch annehmen, dass Brj (xj) ∩ ∂sΩ 6= 0 fur alle j = 1, . . . ,m.Sei p∗ ∈ C1(Rn; [0; 1]) mit p∗(x) = 1 fur alle x ∈ Rn mit |x| ≤ 1 und p∗(x) = 0 fur

alle x ∈ Rn mit |x| ≥ 2. Fur j = 1, . . . ,m setzen wir

pj(x) = 1− p∗((x− xj)/rj)

so, dass pj(x) = 0 falls |x− xj | ≤ rj und pj(x) = 1 falls |x− xj | ≥ 2rj . Wir setzen ϕε =∏mj=1 pj . Dann ist ϕε(x) = 0 falls es existiert ein j ∈ 1, . . . ,m mit |x − xj | ≤ rj und

ϕε(x) = 1 falls |x− xj | ≥ 2rj fur alle j = 1, . . . ,m. Wir setzen Fε = Fϕε. InsbesondereFε(x) = 0 fur alle x ∈

⋃mj=1Brj (xj) ⊃ ∂sΩ.

Sei nun

Mε = ∂Ω\m⋃j=1

Brj (xj) ⊂ ∂rΩ

Die Menge Mε ist kompakt (weil ∂Ω ist kompakt). Wir im Beweis von Satz 4.6 findenwir (nach allfallige Unnumerierung der Koordinaten) fur alle x = (x′, xn) ∈ Mε eineUmgebung Ux = x + (−ρx; ρx)×n und eine Funktion ψ ∈ C1(x′ + (−ρx; ρx)×(n−1)) so,dass

Ω ∩ Ux = y = (y′, yn) ∈ Ux : yn < ψ(y′)

Da aber Mε kompakt ist, finden wir endlich viele solche Umgebungen U1, . . . , Ut mitMε ⊂

⋃tj=1 Uj . Sei weiter U0 = Ω. Dann ist

t⋃j=0

Uj ∪m⋃j=1

Brj (xj) ⊃ Ω

Sei θ0, . . . , θt+m eine entsprechende Zerlegung der Eins. Wir schreiben Fε =∑t+m

j=0 Fεθj .Das gibt ∫

Ωdiv Fε dλn =

∫∂rΩ

Fε · ν dSn−1

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weil die Gleichheit fur Fεθj gilt, fur alle j = 0, 1, . . . , t+m (fur j = 0 folgt die Gleichheitvon Lemma 4.7, fur j = 1, . . . , t, sie folgt aus Lemma 4.8, und fur j = t+1, . . . , t+m siefolgt aus der Tatsache, dass Fε = 0 auf

⋃mj=1Brj (xj)). Aus div Fε = ϕεdiv F + F · ∇ϕε

finden wir ∫Ωϕεdiv F dλn +

∫ΩF · ∇ϕε dλn =

∫∂rΩ

Fε · ν dSn−1

Nun lassen wir ε → 0 streben. Wir bemerken dazu, dass, als ε → 0, ϕε(x) → 1 fur allex ∈ Ω ∪ ∂rΩ. In der Tat fur x ∈ Ω ∪ ∂rΩ festgew’ahlt, gilt sicher d(x, ∂sΩ) > 0 (weil∂sΩ kompakt ist). Da, nach Annahme, Brj (xj) ∩ ∂sΩ 6= ∅, und da rj ≤ ε1/(n−1) fur allej = 1, . . . ,m, es gilt d(x, xj) > 2rj fur alle j = 1, . . . ,m, falls ε > 0 klein genug. Dannist aber ϕε(x) = 1. Das zeigt, dass ϕε(x) → 1 punktweise auf Ω ∪ ∂rΩ und deswegen,dass Fε → F punktweise auf Ω ∪ ∂rΩ. Da F auf Ω und F · ν auf ∂rΩ integrierbar sind(nach Annahme), es folgt aus dominierte Konvergenz, dass

limε→0

∫Ωϕεdiv F dλn =

∫Ω

div F dλn

limε→0

∫∂rΩ

Fε · ν dSn−1 =

∫∂rΩ

F · ν dSn−1

Der Satz folgt, falls wir zeigen konnen, dass

limε→0

∫ΩF · ∇ϕε dλn = 0

Da F auf Ω beschrankt ist (weil F ∈ C(Ω;Rn)), es genug zu zeigen, dass

limε→0

∫Ω|∇ϕε|dλn = 0 (59)

Wir bemerken, dass

∇ϕε(x) =

m∑j=1

∇pj(x)∏i 6=j

pi(x) = −m∑j=1

1

rj∇p∗((x− xj)/rj)

∏i 6=j

pi(x)

Da |pi| ≤ 1 fur alle i = 1, . . . ,m, finden wir

|∇ϕε(x)| ≤m∑j=1

1

rj|∇p∗((x− xj)/rj)|

und deswegen∫Ω|∇ϕε|dλn ≤

m∑j=1

1

rj

∫|∇p∗((x− xj)/rj)|dλn(x) ≤

m∑j=1

rjn−1

∫|∇p∗(z)|dλn(z) ≤ Cε

Das zeigt (59) und den Satz.

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4.3 Satz von Stokes

Der Satz von Stokes ist nutzlich um Linienintegrale zu berechnen. Sei U ⊂ Rn offen,und F ∈ C1(U ;Rn) ein Vektorfeld auf U . Sei weiter I ⊂ R ein offenes Intetrvall, undγ : I → U eine C1-Kurve in U . Wir erinnern aus Analysis 2, dass das Linienintegral vonF entlang γ aus ∫

γF · dx =

∫IF (γ(t)) · γ′(t)dt

gegeben ist. Insbesondere werden wir Linienintegrale uber abgeschlossene Kurve be-trachten.

Wir untersuchen zunachst den Fall n = 2. In diesem Fall kann der Satz von Stokeszum Satz von Gauss zuruckgefuhrt werden. Sei namlich Ω ⊂ R2 ein C1-Polyeder. Furx ∈ ∂rΩ konnen wir die Einheitsnormale ν(x) wie in Lemma 4.5 definieren, so dassν ∈ C(∂rΩ;R2). Wir definieren dann τ ∈ C(∂rΩ;R2) durch τ1(x) = −ν2(x) und τ2(x) =ν1(x). Man sieht einfach, dass ν ·τ = 0, d.h., dass τ(x) tangential zu ∂rΩ (τ(x) ∈ Tx∂rΩ).

Das Linienintegral eines Vektorfeld F ∈ C(Ω;R2) ∩ C1(Ω;R2) entlang ∂rΩ ist dannaus∫∂rΩ

F ·τ dS1 =

∫∂rΩ

(F1τ1 +F2τ2)dS1 =

∫∂rΩ

(−F1ν2 +F2ν1)dS1 =

∫∂rΩ

(F2

−F1

)·ν dS1

gegeben. Der Satz von Gauss impliziert, dass∫∂tΩ

F · τdS1 =

∫Ω

div

(F2

−F1

)dλ2 =

∫Ω

(∂F2

∂x1− ∂F1

∂x2

)dλ2 (60)

Diese Berechnung motiviert die folgende Definition.

Definition 4.13. Sei Ω ⊂ R2 offen und F ∈ C(Ω;R2) ∩ C1(Ω;R2) ein Vektorfeld aufΩ. Die Rotation von F ist dann durch

rot F =∂F2

∂x1− ∂F1

∂x2

definiert.

Aus (60) bekommen wir dann den Satz von Stokes in 2 Dimensionen.

Satz 4.14 (Satz von Stokes - 2D). Sei Ω ⊂ R2 ein beschranktes C1-Polyeder, F ∈C1(Ω;R2) ∩ C(Ω;R2) mit rot F ∈ L1(Ω) und F · τ auf ∂rΩ integrierbar. Dann gilt∫

Ωrot F dλ2 =

∫∂rΩ

F · τ dS1 .

Der Satz von Stokes in zwei Dimensionen ist mit der Tatsache konsistent, dass konser-vative Felder (fur welche Linienintegrale auf geschlossenen Kurven immer verschwinden)die Identitat ∂F1/∂x2 = ∂F2/∂x1 erfullen mussen.

Wir kommen nun zum Fall n = 3. Wir beginnen mit der Definition der Rotation.

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Definition 4.15. Sei Ω ⊂ R3 offen und F ∈ C1(Ω;R3). Dann ist rot F ∈ C(Ω;R3)durch

rot F =

∂F3∂x2− ∂F2

∂x3∂F1∂x3− ∂F3

∂x1∂F2∂x1− ∂F1

∂x2

Mit anderen Worter es gilt

(rot F )i =3∑

j,k=1

εijk∂Fk∂xj

wobei εijk das eindeutige vollstandig antisymmetrisches Tensor ist, mit ε123 = 1. WegenAnalogie mit dem Kreuzprodukt schreibt man auch rot F = ∇× F .

In Gegensatz zum Fall n = 2 ist also rot F fur dreidimensionale Vektorfelder einVektorfeld. Der Satz von Stokes gibt dann eine Beziehung zwischen das Linienintegralvon F auf einer geschlossene Kurve γ in R3 und dem Fluss von rot F durch eine Flache,die von γ berandet wird. Wir beginnen nun mit einer vereinfachte Version dieses Satzes.

Satz 4.16 (Satz von Stokes - erste Version). Sei Ω ⊂ R2 ein beschranktes C1-Polyeder,so dass 1 uber ∂rΩ integrierbar ist. Seien W ⊂ R2 und U ⊂ R3 offen, mit Ω ⊂ W undϕ ∈ C2(W ;U) regular so, dass ϕ : Ω→ ϕ(Ω) ein Homoomorphismus ist (dann ist ϕ(Ω)eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimension 2 in R3. Dann gilt, fur alle F ∈ C1(U ;Rn),∫

ϕ(Ω)rot F · ndS2 =

∫ϕ(∂rΩ)

F · t dS1 (61)

wobei t : ϕ(∂rΩ)→ R3 und n : ϕ(Ω)→ R3 durch

t =[Dϕ](τ)

‖[Dϕ](τ) ϕ−1

und

n =∂x1ϕ× ∂x2ϕ|∂x1ϕ× ∂x2ϕ|

ϕ−1

definiert sind.

Bemerkungen:

• Wir erinnern, dass τ der Tangentialvektor zur Kurve ∂rΩ ist, der durch die Ein-heitsnormale ν definiert wird. Sei I ⊂ R und γ : I → ∂rΩ eine Parametrisierungvon ∂rΩ; dann muss γ′(t) proportional zu τ(γ(t)) sein (beide Vektoren sind Tan-gential zur Mannigfaltigkeit ∂rΩ). Die Abbildung t→ ϕ(γ(t)) ist dann eine Para-metrisierung eines Teils von ϕ(∂rΩ). Der Tangelntialvektor zur Kurve t→ ϕ(γ(t))ist dann durch Dϕ(γ(t))(γ′(t)) gegeben. Da γ′(t) ein Tangentialvektor zu ∂rΩ giltγ′(t) = λτ(γ(t)). Das erklart, dass t(x) ein Tangentialvektor zu ϕ(∂rΩ) an derStelle x ∈ ϕ(∂rΩ) ist. Damit ist die rechte Seite von (61) das Linienintegral von Fauf ϕ(∂rΩ).

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• Es ist klar, dass die zwei Vektoren ∂x1ϕ(ϕ−1(x)) und ∂x2ϕ(ϕ−1(x)) im Tangential-raum von ϕ(Ω) an der Stelle x sind (betrachte einfach die zwei Kurven ϕ(ϕ−1(x)+te1) und ϕ(ϕ−1(x) + te2), die durch den Punkt x gehen, und TangentialvektorenDϕ(ϕ−1(x))(e1) = ∂x1ϕ(ϕ−1(x)) und Dϕ(ϕ−1(x))(e2) = ∂x2ϕ(ϕ−1(x)) haben).Nach Annahme (Regularitat von ϕ) sind ∂x1ϕ(ϕ−1(x)) und ∂x2ϕ(ϕ−1(x)) linearunabhangig. Deswegen ist das Kreuzprodukt ∂x1ϕ(ϕ−1(x))× ∂x2ϕ(ϕ−1(x)) ortho-gonal zur Flache ϕ(Ω), an der Stelle x. Damit ist die linke Seite von (61) der Flussvon rot F durch die Flache ϕ(Ω).

Beweis. Wir definieren G ∈ C1(W ;R2) durch

Gi(x) =3∑j=1

Fj(ϕ(x))(Dϕ)ji(x)

Aus dem zweidimensionale Satz von Stokes, Satz 4.14 finden wir∫Ω

rot Gdλ2 =

∫∂rΩ

G · τdS1 . (62)

Wir schreiben nun linke und rechte Seite ein bisschen um. Wir berechnen

∂Gi∂xk

(x) =3∑j=1

∂xk

[Fj(ϕ(x))

∂ϕj∂xi

(x)

]

=3∑

j,`=1

(∂`Fj)(ϕ(x))(∂kϕ`)(x)(∂iϕj)(x) +3∑j=1

Fj(ϕ(x))∂2ikϕj(x)

Das gibt

rot G(x) =∂G2

∂x1(x)− ∂G1

∂x2(x)

=3∑

j,`=1

(∂`Fj)(ϕ(x)) [(∂1ϕ`)(x)(∂2ϕj)(x)− (∂2ϕ`)(x)(∂1ϕj)(x)](63)

Das vergleichen wir mit∫ϕ(Ω)

rot F · ndS2 =

∫Ω

(rot F · n) ϕ (det DϕtDϕ)1/2dλ2

Es gilt

(DϕtDϕ)ij =3∑

k=1

(Dϕ)ki(Dϕ)kj =3∑

k=1

∂iϕk∂jϕk = ∂iϕ · ∂jϕ

Damit ist

det DϕtDϕ = (DϕtDϕ)11(DϕtDϕ)22 − (DϕtDϕ)212

= ‖∂1ϕ‖2‖∂2ϕ‖2 − (∂1ϕ · ∂2ϕ)2 = ‖∂1ϕ× ∂2ϕ‖2

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aus Definition vom Kreuzprodukt. Das gibt

(rot F · n)(ϕ(x))(det DϕtDϕ)1/2(x)

=3∑i=1

εijk(∂jFk)(ϕ(x))εi`m(∂1ϕ`)(∂2ϕm)

=3∑i=1

(∂jFk)(ϕ(x)) [(∂1ϕj)(x)(∂2ϕk)(x)− (∂1ϕk)(x)(∂2ϕj)(x)] = (rot G)(x)

Im letzen Schritt haben wir (63) benutzt. Im vorletzten Schritt, dagegen, die Beziehung∑3i=1 εijkεi`m = δj`δkm − δjmδk`. Wir betrachten nun die rechten Seite von (62). Sei

I ⊂ R ein offenes Intervall, und ψ ∈ C1(I;R2) mit ψ′ 6= 0, ψ(I) ⊂ ∂rΩ. OBdA konnenwir annehmen, dass τ(ψ(z)) = ψ′(z)/‖ψ′(z)‖. Dann gilt∫

ψ(I)G · τ dS1 =

∫IG(ψ(z)) · ψ′(z)dz (64)

Nun aber ist ϕ ψ : I → ϕ(∂rΩ) eine Parametrisierung eines Teiles von ∂rΩ. Da (ϕ ψ)′(z) = Dϕ(ψ(z))(ψ′(z)) finden wir∫

ϕ(ψ(I))F · t dS1 =

∫IF (ϕ(ψ(z))) · [Dϕ(ψ(z))](ψ′(z))

‖[Dϕ(ψ(z))](ψ′(z))‖‖[Dϕ(ψ(z))](ψ′(z))‖dz

=

∫IG(ψ(z))ψ′(z)dz

was mit der rechten Seite von (64) ubereinstimmt.

Schlussendlich, verallgemeinern wir den Satz von Stokes zum Fall, dass die zweidi-mensionale Flache in R3 im Integral auf der linken Seite, und der 1-dimensionale Randdieser Flache im Integral auf der rechten Seiten nicht unbedingt die Form ϕ(Ω) undϕ(∂rΩ) haben. Dazu mussen wir den Begriff von Orientierbarkeit einfuhren.

Definition 4.17. Sei M ⊂ R3 eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimension zwei. Man sagt,dass M orientierbar ist, wenn eine Einheitsnormale n ∈ C(M ;R3) existiert, so dass‖n(x)‖ = 1 fur alle x ∈M und n(x) steht senkrecht zu TxM fur alle x ∈M .

Sei N ⊂ R3 eine C1-Mannigfaltigkeit der Dimension eins. Man sagt, dass N orien-tierbar ist, falls eine Tangente t ∈ C(N ;R3) existiert so, dass ‖t(x)‖ = 1 fur alle x ∈ Nund t(x) ∈ TxN fur alle x ∈ N .

Bemerkung: Die Menge (TxM)⊥ ist ein eindimensionaler Vektorraum, fur alle x ∈M . Ist n ∈ C(M ;R3) eine Einheitsnormale, so ist auch −n eine Einheitsnormale. Ist Mzusammenhangend, so gibt es keine andere (stetige) Einheitsnormale. Dasselbe gilt furdie Tangente t.

Seien Ω ⊂ R2 ein C1-Polyeder, und ν die aussere Normale, definiert auf ∂rΩ wiein Lemma 4.5. Sei τ der Tangentialvektor definiert wie oben durch ν auf ∂rΩ. SeienW ⊂ R2, U ⊂ R3 offen, mit Ω ⊂W . Sei ϕ ∈ C1(W ;U) regular und injektiv. Wir setzen

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M = ϕ(Ω) und N = ϕ(∂rΩ). Dann sind M,N immer orientierbar, wie in der Definitionoben, und die Normale zu M und die Tangente zu N sind durch

n =∂1ϕ× ∂2ϕ

‖∂1ϕ× ∂2ϕ‖ ϕ−1 (65)

und

t =[Dϕ](τ)

‖[Dϕ](τ)‖ ϕ−1 (66)

gegeben.Wir werden den Satz von Stokes fur Mannigfaltigkeiten M,N zeigen, die lokal die

Form M = ϕ(Ω) und N = ϕ(∂rΩ) haben. Dazu brauchen wir die folgende Definition.

Definition 4.18. Seien (M,n) und (N, t) wie in der Definition 4.17 (d.h. M ⊂ R3

ist eine zweidimensionale orientierbare Mannigfaltigkeit mit Normale n ∈ C(M ;R3)und N ⊂ R3 ist eine eindimensionale orientierbare Mannigfaltigkeit mit Tangente t ∈C(N ;R3)). Wir sagen, dass (N, t) ist der orientierte Rand von (M,n) falls, fur allex ∈ M ∪ N eine Umgebung U von x, eine offene Menge V ⊂ R2 eine injektive undregulare Abbildung ϕ ∈ C2(V ;R3) und eine C1-berandete offene Menge Ω ⊂ R2 existierenso, dass M ∩ U = ϕ(Ω ∩ V ) und N ∩ U = ϕ(∂Ω ∩ V ) und n ist auf M ∩ U aus (65)und t ist auf N ∩ U aus (66) gegeben. Aus dieser Definition folgt insbesondere, dassN = M\M .

Satz 4.19 (Satz von Stokes). Seien (M,n) und (N, t) wie in Definition 4.18, d.h. M ⊂R3 ist eine zweidimensionale orientierbare Mannigfaltigkeit mit Normale n ∈ C(M ;R3)und N ⊂ R3 ist eine eindimensionale orientierbare Mannigfaltigkeit mit Tangente t ∈C(N ;R3) so, dass (N, t) ist der orientierte Rand von (M,n). Sei U ⊂ R3 offen, mitM ∪N ⊂ U . Dann gilt, fur alle F ∈ C1(U ;Rn),∫

Mrot F · ndS2 =

∫NF · t dS1

Beweis. Fur alle x ∈ M ∪ N sei Ux wie in Definition 4.18. Da M ∪ N kompakt ist,existieren endlich viele x1, . . . , xm mit

M ∪N ⊂m⋃i=1

Uxi

Sei nun θ1, . . . , θm eine entsprechende Zerlegung der Eins, mit θi ∈ C1(Uxi) fur allei = 1, . . . ,m und

∑mj=1 θj = 1 auf M ∪N . Sei weiter Fi = Fθi. Aus Satz 4.16 folgt, dass∫

ϕi(Ω∩Vi)rot Fi · ndS2 =

∫ϕi(∂Ω∩Vi)

Fi · t dS1

Da rot Fi = Fi = 0 auf (M ∪N)\Ui, es folgt, dass∫M

rot Fi · ndS2 =

∫NFi · t dS1

Die Summe uber i = 1, . . . ,m zeigt die Behauptung.

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