Säkulare Stagnation: Das trojanische Pferd des...

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Säkulare Stagnation: Das trojanische Pferd des Keynesianismus Düsseldorf, 29. Mai 2015 Professor Bert Rürup Geringes Wirtschaftswachstum, flache Inflation, niedrige Zinsen und hohe Pro-Kopf-Einkommen diese Befunde scheinen den Zustand vieler der etablierten Industrieländer heute recht gut zu beschreiben. Wirft man vor diesem Hintergrund einen Blick in die Lehrbücher der wirtschaftlichen Dogmengeschichte, so wird man auf den US- amerikanischen Ökonomen Alvin Hansen und seine Theorie von der „säkularen Stagnation“ aus dem Jahr 1938 stoßen. Damals steckte die US-Wirtschaft als Folge der Weltwirtschaftskrise allerdings noch in der Depression. Die damaligen Symptome scheinen dennoch den heutigen zu gleichen. Hansen beobachtete überdies, dass in den USA der 1930er Jahre die Bevölkerung und das Erwerbspersonenpotenzial nur sehr langsam wuchsen und die Erwerbslosenquote dennoch nicht sank. Dieses schwache Bevölkerungswachstum war für ihn der Grund für die geringe Investitionstätigkeit und die damit einhergehende anhaltende gesamtwirtschaftliche Unterbeschäftigung. Da die ökonomische Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg diese These aber eindeutig widerlegte, suchte man in den meisten volkswirtschaftlichen Lehrbüchern vergebens nach dem Phänomen der säkularen Stagnation bis vor kurzem zumindest. Im Jahr 2011 entdeckte Paul Krugman, der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2008, diesen Begriff wieder. Er bezeichnete in seinem Blog die Wachstumsschwäche der OECD-Staaten als „secular stagnation“ ohne damit aber wirklich Beachtung zu finden. Es blieb Lawrence „Larry“ Summers, einem renommierte Harvard Ökonom und Finanzminister unter Bill Clinton in den Jahren 1999 bis 2001, vorbehalten, mit seinem Vortrag auf der Research- Konferenz des IWF im November 2013 die säkulare Stagnation aus der Mottenkiste der Dogmengeschichte hervorzuholen und eine neue Wachstumsdebatte zu entfachten. Realer Hintergrund dieser neuen Debatte ist eine deutlich nachlassende Erholungsdynamik in den Industrieländern nach der schweren Weltrezession vom Winter 2008/09, gepaart mit einem Rückgang des Trendwachstums in mehreren Ländern. Dieser von der OECD betonte Befund ist unstrittig. Eine davon zu trennende Frage ist allerdings, ob diese schwache Erholungsdynamik die Bezeichnung säkulare Stagnation rechtfertigt.

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Säkulare Stagnation:

Das trojanische Pferd des Keynesianismus

Düsseldorf, 29. Mai 2015

Professor Bert Rürup

Geringes Wirtschaftswachstum, flache Inflation, niedrige Zinsen und hohe Pro-Kopf-Einkommen – diese Befunde

scheinen den Zustand vieler der etablierten Industrieländer heute recht gut zu beschreiben. Wirft man vor diesem

Hintergrund einen Blick in die Lehrbücher der wirtschaftlichen Dogmengeschichte, so wird man auf den US-

amerikanischen Ökonomen Alvin Hansen und seine Theorie von der „säkularen Stagnation“ aus dem Jahr 1938 stoßen.

Damals steckte die US-Wirtschaft als Folge der Weltwirtschaftskrise allerdings noch in der Depression. Die damaligen

Symptome scheinen dennoch den heutigen zu gleichen.

Hansen beobachtete überdies, dass in den USA der 1930er Jahre die Bevölkerung und das Erwerbspersonenpotenzial

nur sehr langsam wuchsen und die Erwerbslosenquote dennoch nicht sank. Dieses schwache Bevölkerungswachstum

war für ihn der Grund für die geringe Investitionstätigkeit und die damit einhergehende anhaltende

gesamtwirtschaftliche Unterbeschäftigung.

Da die ökonomische Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg diese These aber eindeutig widerlegte, suchte man in

den meisten volkswirtschaftlichen Lehrbüchern vergebens nach dem Phänomen der säkularen Stagnation – bis vor

kurzem zumindest.

Im Jahr 2011 entdeckte Paul Krugman, der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2008, diesen Begriff wieder. Er

bezeichnete in seinem Blog die Wachstumsschwäche der OECD-Staaten als „secular stagnation“ – ohne damit aber

wirklich Beachtung zu finden. Es blieb Lawrence „Larry“ Summers, einem renommierte Harvard Ökonom und

Finanzminister unter Bill Clinton in den Jahren 1999 bis 2001, vorbehalten, mit seinem Vortrag auf der Research-

Konferenz des IWF im November 2013 die säkulare Stagnation aus der Mottenkiste der Dogmengeschichte

hervorzuholen und eine neue Wachstumsdebatte zu entfachten.

Realer Hintergrund dieser neuen Debatte ist eine deutlich nachlassende Erholungsdynamik in den Industrieländern nach

der schweren Weltrezession vom Winter 2008/09, gepaart mit einem Rückgang des Trendwachstums in mehreren

Ländern. Dieser von der OECD betonte Befund ist unstrittig. Eine davon zu trennende Frage ist allerdings, ob diese

schwache Erholungsdynamik die Bezeichnung säkulare Stagnation rechtfertigt.

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Für Keynesianer wie Krugman und Summers sind Ungleichgewichte stets in einem Nachfragemangel begründet. Ganz

ähnlich wie Alvin Hansen sehen die beiden die Ursache für diese schwache Wachstumsdynamik und die

Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten in der mit einem geringen Bevölkerungswachstum

einhergehenden Alterung der Gesellschaften. Diese habe eine zu geringe gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit zur

Folge. Die Weltwirtschaft stecke in einer Liquiditätsfalle. Der sogenannte „natürliche Zins“, also der Zins, der zu einer

Investitionsquote führt, die eine Vollauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten gewährleistet,

läge derzeit im negativen Bereich. Außerdem würden die weltweit sehr hohen Sparüberschüsse vor allem aus Ländern

mit alternden Bevölkerungen und mit nachhaltig hohen Exportüberschüssen wie China und Deutschland zu dieser

Fehlentwicklung beitragen. Ben Bernanke prägte dafür den Begriff „saving glut". Weiter forciert würde dies durch die

weltweit wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit.

Da die Notenbanken mit der Nullzinsgrenze das Ende ihrer Möglichkeiten erreicht hätten, sei es erforderlich,

außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen. Ungeachtet der schon bestehenden hohen Staatsverschuldung müssten die

Staaten mit großvolumigen kreditfinanzierten Investitionsprogrammen die Gesamtnachfrage stimulieren. Nur so

könnten die „überschüssigen“ Ersparnisse absorbiert werden. Außerdem sollten die Inflationsziele der Zentralbanken

deutlich erhöht werden und ihnen durch die Abschaffung des Bargeldes die Möglichkeit gegeben werden, die

Leitzinsen deutlich in den negativen Bereich zu drücken. Oliver Blanchard, der noch amtierende Chefökonom des IWF,

fordert darüber hinaus, das Mandat der ohnehin schon übermächtigen EZB noch zu erweitern: Sie sollte sich nicht nur

um die Preisstabilität, sondern auch um das Wachstum kümmern dürfen. Schließlich habe die Geldpolitik „beträchtliche

Auswirkungen auf das durchschnittliche Produktionsniveau“, pflichtet ihm Summers bei.

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Neben Keynesianern gibt es aber auch zahlreiche Ökonomen, die den Angebotsbedingungen einer Volkswirtschaft eine

größere Bedeutung beimessen als der Nachfrageseite. Zudem können auch Wirtschaftswissenschaftler Optimisten oder

Pessimisten sein. Dies hat zur Folge, dass die unbestreitbar abgeschwächte Wachstumsdynamik auch sehr

unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert wird.

Unstrittig ist, dass eine Alterung der Bevölkerung und ein Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials die

Wachstumsperspektiven einer Volkswirtschaft beeinträchtigen. Weitere Begründungselemente und vor allem die

Politikempfehlungen von Summers und Krugman werden jedoch abgelehnt. Die Kritiker von Summers und Krugman

sehen keine säkulare Stagnation, sondern nur eine temporäre Wachstumspause wie sie typisch sei nach schweren

Finanz- und Überschuldungskrisen. Angesichts des deutlichen Preisrückgangs bei vielen modernen Investitionsgütern

sei auch kein realer Rückgang den Investitionsquoten erkennbar. Womöglich stehe der große Produktivitätsschub der

Digitalisierung erst noch bevor. Hinzu komme, dass die produkt- und prozessinnovativen Produktivitätssteigerungen

der Informationstechnologien in den traditionellen Systemen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht

angemessen erfasst werden. Und nicht zuletzt würden die zahlreichen, den Wohlstand der Bevölkerung erhöhenden

preisdrückenden und oft kostenlosen Leistungen der immer wichtiger werdenden Digitalwirtschaft - wie zum Beispiel

die von Google, Facebook, Wikipedia, Twitter oder Pointoo - allenfalls höchst unangemessen im Bruttoinlandsprodukt

(BIP) berücksichtigt. Dennoch gelte das BIP als etablierten Maßstab für die gesamtwirtschaftliche Leistung eines

Landes.

Bei einer nüchternen Betrachtung spricht daher viel dafür, dass für die Wachstumsperspektiven einer Volkswirtschaft

die Angebotsbedingungen von entscheidender Bedeutung sind. Eine weitere Stimulierung der Nachfrage durch eine

noch leichtere Geldpolitik mit unorthodoxen Methoden dürfte daher die falsche Antwort auf die derzeitige

Wachstumsschwäche sein. Denn es spricht vieles dafür, dass es gerade diese Politik des leichten Geldes war, die für die

erlahmte Dynamik ursächlich ist. Denn die Überversorgung mit billigem Geld - in den USA bereits seit Mitte des

vergangenen Jahrzehnts - hat weniger die realwirtschaftliche Investitionstätigkeit stimuliert, sondern vor allem das

Entstehen einer kreditgetriebenen Spekulationswirtschaft begünstigt. Auf Dauer billiges Geld regt nun einmal eher dazu

an, nach schnellen Spekulationsgewinnen zu suchen als nach Erträgen aus langfristigen realwirtschaftlichen

Investitionen. Darüber hinaus verzögert eine Flutung der Finanzsysteme mit billiger Liquidität nicht nur eine

Rückführung der hohen staatlichen und privaten Verschuldung, sondern auch den gerade für reife Volkswirtschaften

wichtigen „Prozess der schöpferischen Zerstörung", den Strukturwandel.

Gleichwohl wäre es falsch, niedrige Zinsen und kreditfinanzierte Konjunkturprogramme pauschal als wirkungslose

„Strohfeuer" zu bezeichnen. Dank der Arbeiten des in Harvard forschenden Wachstumstheoretikers Philippe Aghion

wissen wir, dass eine Glättung konjunktureller, also zyklischer Schwankungen durchaus positive Effekte auf das

Trendwachstum einer Volkswirtschaft haben kann.

Bei der von Summers und Krugman vermuteten säkularen Stagnation soll es sich aber nicht um eine zyklische

Abkühlung handeln, sondern um eine Abflachung des langfristigen Trendwachstums in den reifen Volkswirtschaften.

Die richtigen Antworten auf dieses Problem wären eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, bildungs- und

technologiepolitische Offensiven, eine wachstumsfreundlichere Unternehmensbesteuerung, stressresistente

Bankensysteme und ein Abbau der Verschuldung der öffentlichen und der privaten Haushalte - nicht aber eine noch

exzessivere Politik des billigen Geldes und der immer stärkeren Staatsverschuldung.

Von Paul Samuelson, dem überragenden Ökonomen des 20. Jahrhunderts stammt der zutreffende Ausspruch: „Gott hat

den Ökonomen zwei Augen gegeben: eins für das Angebot eins für die Nachfrage.“ Es scheint, dass viele Verfechter

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der These von der säkularen Stagnation eine Scheuklappe vor dem „Angebotsauge" tragen und die säkulare Stagnation

zum trojanischen Pferd ihres Nachfrageparadigmas machen wollen.

Skepsis und Widerstand, dieses trojanische Pferd in die Euro-Zone zu bringen und sie zum Versuchskaninchen für

dieses keynesianische Großexperiment zu machen, sind in der Geldpolitik jedenfalls erstaunlich gering. Und die

Finanzpolitik überlässt ihr angesichts der bereits angehäuften Schuldenstände dabei gerne das Feld.