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DAS WISSEN DER BESTEN Harvard Business Januar 2017 Deutschland 14,50 Erweiterte deutsche Ausgabe der Harvard Business Review www.harvardbusinessrnanager.de GEHÄLTER Warum komplizierte Vergütungspakete nicht funktionieren KARRIERE Wie Toprnanager aus ihrer eigenen Kündigung das Beste machen HOLOKRATIE Was bleibt übrig vom Hype um die neue Organisationsform? DER ACHTSAME MANAGER SCHWERPUNKT So finden Sie zu mehr Gelassenheit im Job 0 (D ‚-4 (4) n 5 -J 0 ‘-4 ‘4) 0) (0 0 in 0‘1 0 5 = 0 in 0 In -I 1.) .0 0 0 0 0 -0• co

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DAS WISSEN DER BESTEN

HarvardBusiness

Januar 2017 Deutschland € 14,50Erweiterte deutsche Ausgabeder Harvard Business Reviewwww.harvardbusinessrnanager.de

GEHÄLTER Warum komplizierteVergütungspakete nicht funktionieren

KARRIERE Wie Toprnanager aus ihrereigenen Kündigung das Beste machen

HOLOKRATIE Was bleibt übrig vom Hypeum die neue Organisationsform?

DERACHTSAMEMANAGER

SCHWERPUNKT

So finden Sie zu mehrGelassenheit im Job

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

Das Telefon klingelte, und Stephan Pfingsten sah, wie sein Mitarbeiter zusammen-zuckte, wieder einmal. Er schaute aufdas Display Es zeigte die Vorwahl vonWolfsburg — Volkswagen war am Appa

rat. Nun muss man wissen: Pfingsten ist CEO vonTruck-Lite, einem mittelständischen Automobilzulieferer aus Thüringen. Die Mitarbeiter in solchen Unternehmen verhandeln ungern mit Konzernen wie VWDaimler oder BMW die Jahr für Jahr enormen Preisdruck ausüben und ihre Macht gegenüber kleinerenLieferanten zum Ausdruck bringen.,, Man hat oft dasGefühl, einem strengen Vater Rede und Antwort stehenzu müssen“, sagt Pfingsten.,,Aber wenn man sich kleiner fühlt als der Kunde, kann man nicht auf Augenhöheverhandeln. Dafür braucht es innere Stärke.“

Vor drei Jahren beschloss der CEO, etwas gegen denpermanenten Druck zu tun, den er selbst und seine Mitarbeiter verspürten. Er entwickelte ein Weiterbildungsprogramm, unter anderem mit Meditationsübungen, basierend auf dem Prinzip der Achtsamkeit. DieMitarbeiter und Führungskräfte sollen sich dadurchihrer inneren Reaktionen bewusst werden, damit sieden großen Autokonzernen künftig mit Respekt, aberauch mit einer klaren Haltung begegnen können.

Achtsamkeit, das bewusste Leben im Hier und Jetzt,gilt als Trendthema im Management. Forschungenbelegen, dass regelmäßige Ubungen die Konzentrationstärken und Stress abbauen können. Die Medien berichten ausgiebig: etwa vom Weltwirtschaftsforum inDavos, wo sichJahr fürJahr Topmanager beim Meditie

„Man redet über den letztenMarathon oder sein GolfHandicap. Ich habe noch niejemanden sagen hören, dass ergerade vom Meditieren kommt.“Ulrich Goldschmidt, Vorstandschef des Verbands Die Führungskräfte

ren ablichten lassen, und von Konferenzen und Seminaren an Business Schools, wo Experten die Vorzügevon Mindfulness hervorheben, wie Achtsamkeit aufEnglisch heißt. Viele Unternehmen haben das Themain ihr Weiterbildungsangebot aufgenommen. Doch dieWahrheit ist auch: Manager, die sich mit Achtsamkeitbeschäftigen, müssen mit Vorbehalten rechnen.

Deshalb fassen wir in diesem Schwerpunkt Beiträgeweltweit führender Experten zusammen. Auf 25 Seiten

beleuchten unter anderem Wissenschaftler wie dieführende Achtsamkeitstorscherin Ellen Langer, Manager wie Bodo Janssen, Geschäftsführer der HotelketteUpstalsboom, oder Trainer wie Rasmus Hougaard vonder Unternehrnensberatung The Potential Project dasThema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Im Zentrum steht eine Umfrage, die der Harvard BusinessManager mit dein Essener Verband Die Führungskräfteinitiiert hat. Die Organisation berät ihre Mitglieder unter anderem in rechtlichen Fragen, bietet Seminare anund dient als Karrierenetzwerk.

Mit der Umfrage unter den Führungskräften, die Mitglieder des Verbands sind, wollten wir herausfinden,mit welchen Methoden Manager Stress bewältigen undwelche Rolle Achtsamkeit dabei spielt. Fast 700 Befragte füllten unseren Onlinefragebogen aus. Die Antworten zeichnen ein zwiespältiges Bild: Zwar äußerndie meisten Führungskräfte Interesse, mehr als 40 Prozent haben sogar selbst schon meditiert — doch offendarüber sprechen wollen noch immer die wenigsten.

Auf die Frage, welche Reaktionen sie erhalten haben,antwortete beispielsweise ein Geschäftsführer einesmittelständischen Unternehmens, der täglich meditiert:,, Das geht die Kollegen nichts an.“ Ein Konzern-vorstand erklärte.,, Das brauchen die nicht zu wissen.“Und eine Bereichsleiterin sagte.,, Sollte ich meditieren,dann wäre das sicher nicht im Arbeitsumfeld.“ UlrichGoldschmidt zufolge, Vorstandsvorsitzender des Führungskräfteverbands, spiegelt sich in den Kommentaren wider, dass dem Thema noch „der Hauch des Esoterischen anhängt“. Viele machten sich jedoch mehrSorgen, als angemessen wäre.,, Meditieren ist kein Zeichen von Schwäche oder gar ehrenrührig, sondern esgeht um den richtigen Einsatz von Ressourcen und denUmgang mit Stress.“

Doch gerade unter den stressgeplagten Managern istStressbewältigung oft ein Tabuthema. Wenn sie darüber reden, dann heben sie meist ihre sportlichen Aktivitäten hervor. Aus gutem Grund — denn in vielen Fällen ist dies eine geteilte Leidenschaft. Rund drei Viertelder Befragten gaben in unserer Umfrage an, mindestenseinmal pro Woche Sport zu treiben.,, Die meistenFührungskräfte sind der Ansicht ‚Mit Sport tue ichetwas für den Körper und gleichzeitig für die Psyche —

damit ist es genug“, sagt Goldschmidt. „Also redet manüber den letzten Marathon oder darüber, dass man seinHandicap beim Golf verbessert hat. Aber ich habe nochnie jemanden erzählen hören, dass er gerade vom Meditieren kommt.“

PSYCHOLOGISCHE VORTEILEGründer der Achtsamkeitsbewegung war in den 70erJahren der US-Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn. Er

24 HA5‘J?1mD CUSNES JANUAR 2017

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entwickelte einen Acht-Wochen-Kurs unter dem Begriff Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), wasso viel heißt wie Stressreduktion durch Achtsamkeit.Ihm ging es bei der Namensgebung damals darum, Meditation aus der Esoterikecke zu holen und die psychologischen Vorteile in den Vordergrund zu rücken.

Womöglich ist das die richtige Strategie. Denn auchwenn Manager nicht gern über Stress reden, ist ihnendas Problem sehr wohl bewusst. Unsere Umfrage hatergeben: 57 Prozent der Führungskräfte meinen, dassihre Unternehmen zu wenige Angebote zur Stressbewältigung machen. Viele Manager haben deshalb eigene Wege gefunden, mit dem steigenden Arbeitsdruckklarzukommen. Jeder Zweite beantwortete unsereoffene Frage nach seinen persönlichen Stressbewältigungsmethoden; die Kommentare reichten von Autogenem Training bis zu Tai-Chi und von Selbsthypnosebis zu Gebeten (siehe auch Grafik Seite 27).

Doch Führungskräfte sind vor allem an Zweckdienlichkeit interessiert. Wie gut, dass zur Wirksamkeit vonMBSR-Programmen inzwischen fundierte Forschungvorliegt. In den vergangenenJahren sind Tausende wissenschaftliche Arbeiten zu Achtsamkeitsübungen veröffentlicht worden. „Die Ergebnisse sind vielversprechend“, sagt die Psychologin Britta Hölzel. Sie hat ander Harvard Medical School geforscht und gilt als eineder führenden Expertinnen in dem Bereich.,,MBSRProgramme können nicht nur das Stressniveau senken— also den Eindruck verringern, dass wir Herausforderungen nicht bewältigen können. Achtsamkeitspraxis scheint auch dazu zu führen, dass Menschen ihreEmotionen besser regulieren können, kreativer werdenund schneller Probleme lösen.“

Inzwischen bezuschussen auch Krankenversicherungen MBSR-Kurse, und Personalabteilungen habensie in ihre Weiterbildungsprogramme und das betriebliche Gesundheitsmanagement aufgenommen. „Mehrund mehr Unternehmen machen entsprechende Angebote für die Mitarbeiter“, sagt Verbandschef Goldschmidt. „Sport hatten sie schon immer im Programm —

etwa Tennis, Fußball oder Segeln. Jetzt gibt es zusätzlich auch einst als esoterisch geltende Praktikenwie Feldenkrais, Yoga oder Meditation. Für vieleFührungskräfte sind die Unternehmensangebote dererste Berührungspunkt, an dem sie es auf einen Versuch ankommen lassen.“

DIE ANGEBOTE DER UNTERNEHMENVorrejter in Deutschland ist SAP Der Softwareherstellerhat ein von Google entwickeltes Achtsamkeitsprogramm übernommen. (Lesen Sie dazu auch den Berichtdes ehemaligen Achtsamkeitschefs von Google, ChadeMeng Tan, auf Seite 35.) Leiter des Angebots bei SAP ist

KOMPAKT

DER TREND

Achtsamkeit gilt als wirksame Methode desStressmanagements — und nicht nur das:Studien zeigen, dass regelmäßige ÜbungenKonzentration, Kreativität und Problemlösungskompetenz steigern können. In den USA istMindfulness längst im Alltag vieler Manager angekommen, und auch hierzulande gewinnt dasKonzept Anhänger. Doch kann ein Trend, derseine Wurzeln im Spirituellen hat, wirklich zumMainstream werden, wie es die vielenMedienberichte glauben machen?

DIE UMFRAGE

Der Harvard Business Manager und derVerband Die Führungskräfte wollten wissen,wie deutsche Manager dem Thema gegenüberstehen. Eine Umfrage unter knapp 700 Führungskräften ergab: Es existieren noch großeVorbehalte. Viele möchten mit Achtsamkeitlieber nicht in Verbindung gebracht werden, weilsie befürchten, als Esoteriker abgestempeltzu werden. Insgeheim jedoch ist das Interessegroß. Mehr als 40 Prozent der Befragten habenselbst schon einmal meditiert — und werdarüber im Unternehmen redet, rennt bei denKollegen häufig offene Türen ein.

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

RISIKEN DER ACHTSAMKEIT

Es gibt kaum einen Zweifel: Achtsamkeit ist im Mainstream angelangt. Doch je stärker sich Unternehmen, Manager

und Trainer dem Thema zuwenden, um Stress zu bewältigen und ihre Leistung oder die ihrer Kunden und Mitarbeiter zu

steigern, desto mehr zeigen sich auch die Schattenseiten. Der US-Führungskräftecoach und Psychiater David Brendel,

eigentlich ein glühender Anhänger der Achtsamkeitspraxis, sieht zwei Risiken, die Führungskräfte im Auge behalten sollten.

VERMEIDUNGSSTRATEGIE

Erstens: Einige Leute setzen Mmd

fulness als Vermeidungsstrategie ein,

um ihren Problemen im Arbeitsalltag

aus dem Weg zu gehen. „Eine meiner

Kundinnen verbrachte so viel Zeit

damit, zu meditieren und ihr Leben

‚achtsam‘ zu akzeptieren ...‚ dass sie

daran scheiterte, Mitarbeiter in ihrem

Unternehmen zu konfrontieren, die

nicht die Erwartungen erfüllten — und

die schlimmsten Arbeitsverweigerer

zu maßregeln oder zu feuern“, sagt

Brendel. „Ich musste sie wiederholt

und nachdrücklich daran erinnern,

dass buddhistische Meditation nicht

bedeutet, schwache Leistungen von

Mitarbeitern zu tolerieren.“

Achtsamkeit solle rationales Denken

nicht ersetzen, son‘lern im Gegenteil

dazu führen, dass Menschen ihre

Arbeit besser und analytischer

reflektieren können.

GRUPPENZWANG

Zweitens: Wenn Führungskräfte

Achtsamkeit in ihren Unternehmen zu

enthusiastisch propagieren, erweisen

sie ihr möglicherweise einen —

unverdienten — Bärendienst. Die

meisten Mitarbeiter kennen Meditation

nur vom Hörensagen und sollten

langsam an das Thema herangeführt

werden. Experten raten daher:

Angebote an die Beschäftigten sollten

nicht verpflichtend, sondern freiwillig

sein. Doch Brendels Erfahrungen nach

ist das keine Selbstverständlichkeit:

„In einem Fall zwang der Bereichsleiter

eines Finanzdienstleisters die Mit

arbeiter, die direkt an ihn berichteten,

mehrmals pro Woche eine 10- bis

15-minütige Achtsamkeitseinheit

zu absolvieren“, erzählt der Psychiater.

„Viele Mitarbeiter hassten diese

Treffen. Sie empfanden sie als extrem

peinlich und fühlten sich unwohl, weil

Achtsamkeitsübungen ihrer Meinung

nach in den Privatbereich gehörten.“

Auf diese Weise erreichte der Vor

gesetzte mit einem Konzept, mit dem

er den Stress auf der Arbeit verrin

gern wollte, genau das Gegenteil. Erst

nach mehreren Wochen brachten

einige Mitarbeiter den Mut auf, ihrem

Chef zu sagen, dass sie lieber auf

freiwilliger Basis zu den Treffen

kommen wollten, ohne Bestrafung bei

Nichtteilnahme. „Achtsamkeit von

oben zu verordnen erniedrigt nicht nur

die Praxis selbst, sondern auch die

Leute, die eigentlich davon profitieren

sollten“, so Brendel.

Peter Bostelmann, der den Titel .‚Director Global Mmd

tulness Practice“ trägt. Er meditiert selbst seit Langem

und treibt das Thema nun bei seinem Arbeitgeber

voran. Was vor vierjahren als Experiment gestartet ist,

hat sich zu einer regelrechten Bewegung ausgewach

sen. Der Waildorfer Konzern bietet heute Mitarbeiter-

workshops auf der ganzen Weh an. Zusätzlich gibt es

Coachings und virtuelle Ubungsgruppen sowie Webi

nars mit Anleitungen zum Selbststudium. Mehr als

2000 Mitarbeiter an knapp 25 Standorten weltweit ha

ben bereits teilgenommen. Und über 5000 Iviltarbeiter

stehen auf der Warteliste.

Erfolgsentscheidend sei eine nüchterne Ansprache

gewesen, die sich von Religion, Spiritualität und Esote

rik distanziere, sagt Bostelmann. „Als wir das Konzept

in Deutschland vorstellten, waren die Führungskräfte

skeptisch. Aber dann haben wir sie mit Fakten über-

26 RvAo BUSINESS MANAGER JANUAR 2017

zeugt.“ Die Absolventen des hiesigen Pilotprogramms

gaben positive Bewertungen ab, Messungen zu Wohl

befinden, Stressempfinden und Kreativität lieferten

weitere Argumente.,,Die Korrelation ist unverkennbar:

Je mehr die Leute üben, desto größer sind die positiven

Effekte“, sagt Bostelmann.

Andere deutsche Traditionsunternehmen verfolgen

solche Ergebnisse interessiert. Das Darmstädter Phar

ma- und Chemieunternehmen Merck beispielsweise

hat das Thema Achtsamkeit in die Führungskräfte-

entwicklung aufgenommen, zunächst einmal als ein

Experiment. Das Global Leadership Program für 400

hochrangige Manager bietet Aktivitäten wie Yoga, Tai

Chi und Meditation unter dem Begriff „Balanced Body

& Mmd“ an. Mit Achtsamkeit verbindet Merck dabei

konkrete leistungsorientierce Ziele: Es soll den Teil

nehmern helfen, die eigenen Energien zu managen,

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Balance zu finden und zu entschleunigen. Bereits zuvorhatte ein Pilotprojekt mit 30 deutschen Managern positive Ergebnisse gezeigt.

Bei BASF findet Achtsamkeit in den Gesundheitsseminaren für einzelne Zielgruppen Berücksichtigung— etwa für obere Führungskräfte, außertarifliche undleitende Angestellte oder Meister. Die Übungen ordnetder Ludwigshafener Chemiekonzern dem Themenfeld„Umgang mit Belastungen“ oder ..Stressprävcntion“ zu.Unter anderem gibt es einen Kurs „Meditation To Go“,der einmal im Monat stattfindet. Die Mitarbeiter erhalten BASF zufolge dabei die Möglichkeit, „mithilfe vonangeleiteten, einfachen Ächtsamkeitsübungen innereRuhe zu finden, sich zu fokussieren und die Energieakkus aufzuladen — und dies im Business-Outfit“.Führungskräfte können solche und ähnliche Seminareauch für ihre Organisationseinheiten buchen.

Tatsächlich wird der Erfolg der Achtsamkeitsprogramme davon abhängen, ob sich ausreichend Managerin den Unternehmen für das Thema erwärmen können,denn an ihnen orientieren sich die Mitarbeiter.,, Esreicht nicht aus, die Personalabteilung damit zu beauftragen, ein Achtsarnkeitskonzept zu entwickeln“, sagtFrank Huppertz, Geschäftsführer der Kiwa GmbH, einem Baustoff- und Bauwerkprüfer sowie -zertifizierer.Uberzeugungsarbeit sei wichtig, die Teilnahme solleaber auf freiwilliger Basis geschehen, „sonst machen dieLeute nur mit, um ihren Vorgesetzten zu gefallen“.

Huppertz, der selbst seitjahrzehnten meditiert, setztauf seine Vorbildtunktion als Chef. „Meine Methodezielt darauf ab, dass meine Person als Beispiel für vor-gelebte Meditationspraxis andere neugierig macht‘,sagt er. Als es in einer Besprechung einmal nicht voran-ging, habe er seinem Team gesagt: „lasst uns das mitder Meditation einmal versuchen.“ Fünf Minuten später hätten sie die Arbeit wieder aufgenommen. „Danachwar eine unglaubliche Energie im Raum“, sagt Huppertz. „In der Pause sind dann einige zu tnir gekommenund haben mich gefragt, was da eben passiert sei.“

Mittlerweile hat der gelernte Chemieingenieur rundein Dutzend Mitstreiter in seinem Unternehmen gewonnen. Er selbst leitet die Gruppe an, wenn sie einmalwöchentlich für eine Stunde gemeinsamer Meditationzusammenkommt. Die Praxis an sich sei viel simpler,als sie oft verkauft würde, sagt er.,, Im Prinzip geht esdarum, sich hinzusetzen, einfach mal den Mund zuhalten und sich auf seinen Atem zu fokussieren. Das isteine Technik, die Menschen auf der ganzen Welt seitJahrtausenden anwenden.“

MEDITIEREN PER SMARTPHONEDie Achtsamkeitsbewegung hofft darauf, dass auch dieTechnik für steigende Äkzeptanz in der Manager-

AUS DER HBM-UMFRAGE

Wie häufg medftieren Sie oder machenSie Achtsamkeitsübungen?‘

Mindestens einmalpro Woche

Weniger als einmalpro Woche

Noch nie, würde ichaber gern versuchen

Noch nie, habeauch kein Interesse

Keine Antwort

Wie häufig beten Sie?‘

Mindestens einmalpro Woche

Weniger als einmalpro Woche

Noch nie, würde ichaber gern versuchen 12Noch nie, habeauch kein Interesse

Keine Antwort

ii In Prozent der Befragten, Angaben gerundet.Queile: Umfrage unter den Mitgiiedern des verbands DieFührungukrüfte für den Harvard Business Manager, 2016

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JANUAR 2017 HARVAR0 BUSINESS uA4GER 27

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gemeinde sorgt. Eine Reihe von Start-ups entwickeltderzeit Apps für den Unternehmensalltag. Eine der erfolgreichsten ist im deutschsprachigen Raum 7Mind.Das Programm, das inzwischen mehr als 250 000 Nutzer hat, setzt auf siebenminütige Kurzmeditationen, diesich leicht in Arbeitspausen integrieren lassen (weitereInformationen finden Sie in unserem ‚Mehr zumThema“ auf Seite 46).

Hinter 7Mind steht PaulJ. Kohtes, der einst Kohtes &Klewes (heute Ketchum Pleon) zur größten PR-Agen

„Im Prinzip geht es darum, sichhinzusetzen, den Mund zuhalten und sich auf seinen Atemzu fokussieren. Das isteine jahrtausendealte Technik.“Frank Huppertz, Geschäftsführer Kiwa GmbH

tur Deutschlands gemacht hat. Er ist seit vielen JahrenZen-Lehrer (Zen steht für eine buddhistische Mcditationspraxis) und gibt regelmäßig Seminare für Führungskräfte. Kohtes ist davon überzeugt, dass Achtsamkeit das Potenzial hat, die Wirtschaft grundlegendzu verändern. „im Management ist alles ein Kampf:Es geht um Marktanteile und darum, Gegner zu besiegen. Führungskräfte definieren Ziele und üben dannDruck auf die Mitarbeiter aus, um sie zu erreichen. Das‚Management by Objectives‘ ist seit Jahrzehnten dasMorgen- und Abendgebet in Unternehmen. Doch dieMitarbeiter führt das nur in den inneren Widerstand.“

Wer meditiert, gibt hingegen die Kontrolle auf. Esgehe darum, alle auftauchenden Gedanken hinzunehmen, ohne zu werten oder lenken zu wollen, sagtKohtes. Für viele Führungskräfte in seinen Seminarensei dies eine neue Erfahrung. Achtsamkeit bedeuteauch, Management nicht mehr als Mechanik zu betreiben. ‚.Statt Leistung erzwingen zu wollen, beziehenachtsame Führungskräfte ihre Mitarbeiter ein undschaffen ein Wirgefühl“, sagt Kohtes. „Es handelt sichum einen spielerischen, keinen kriegerischen Ansatzder Unternehmensführung.“

Nicht nur Gutmenschen, auch knailharte Kapitalisten beschäftigen sich mit Achtsamkeit. Auf den Zugaufgesprungen ist etwa die Berliner Start-up-SchmiedeRocket Internet. Sie hat sich an Humanoo beteiligt,einer Gesundheits-App, die seit Anfang 2016 auf demMarkt ist. Beschäftigte erhalten mithilfe von Videos Anleitung, um fitter zu werden, sich gesünder zu ernähren

und zum inneren Gleichgewicht zu finden. Letzteresumfasst Übungen und Tipps, um Stress zu bewältigen,besser zu schlafen und die Motivation zu steigern.Meditationen und Äutogenes Training spielen dabeieine große Rolle.

Humanoo-Gründer Philip Pogoretschnik verkauftdas Programm an Unternehmen, die pro Mitarbeiterund Monat rund ein bis fünf Euro bezahlen. 30 000zahlende Kunden von Arbeitgebern wie dem Mode-unternehmen Mango, der Elektrohandelskette MediaMarkt und der Berliner Universitätsklinik Charit zähltHumanoo bereits. „Mit der herkömmlichen Art, betriebliches Gesundheitsmanagement anzugehen, erreichen Unternehmen kaum noch ihre Mitarbeiter. Nurwenige springen auf per E-Mail verschickte Angeboteoder Kurse an, die am Schwarzen Brett angeschlagensind“, sagt Pogoretschnik. Besser sei ein umfassendesAngebot, bei dem sich die Mitarbeiter selbst ihr Programm zusammenstellen könnten.

Die Humanoo-Daten zeigen: Die meisten Nutzerschauen sich ihre Übungen kurz vor und direkt nachder Arbeit an — wenn es in ihren Alltag passt. Die Videoszur Meditation seien besonders gefragt: „Das ist heuteeinfach Teil des Gesundheitsmixes“, sagt GründerPogoretschnik.

Doch egal wie viele Studien zur Effektivität von Achtsamkeit auf den Markt kommen — viele Menschenbleiben skeptisch. Kurz nachdem Stephan Pfingsten,der CEO von Truck-Lite, begonnen hatte, die Workshops in seinem Unternehmen anzubieten, meldetesich der Eigentümer bei ihm: Jemand hatte ihm ineinem Brief berichtet, dass sich an dem Standort eineSekte bilde. Pfingsten erklärte ihm, was es mit denWeiterbildungen wirklich auf sich hatte. Schließlichgelang es ihm, den Eigentümer von der Notwendigkeitdes Programms zu überzeugen. Verunsichert hat ihndie Episode nicht. Der CEO ist sich sicher, dass dieAchtsamkeitsübungen seinem Team helfen, besser zuarbeiten.

INGMAR HÖH MANN

ist Redakteur des Harvard Business Managers.

NACHDRUCK

Nummer 201701022, siehe Seite 102

oder www.harvardbusinessmanager.de

© 2017 Harvard Business Manager

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

hEN

Was bringt Achtsamkeit im Alltag, wie lässt sie sichüben? Wir haben renommierte Experten gefragt.Lesen Sie, wie die Harvard-Psychologin Ellen Langer

das Konzept definiert, was der Trainer RasmusHougaard sowie der frühere GoogleAchtsam keitschef Chade-Meng lan Managern ratenund welche Eindrücke der Unternehmer BodoJanssen gewonnen hat. Abschließend finden Sie den

Selbstversuch eines Redakteurs.

PER

30 HAR‘AP LSINES, MANAGER JANUAR 2017

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Seit den 70er Jahren erforsche ichAchtsamkeit. Unser Labor bringtjedes Jahr neue Erkenntnisse her

vor. Sie zeigen, wie stark sich Achtsamkeit aut unsere Gesundheit, Zufrieden-heft und Effektivität auswirkt. Alles,was wir tun, machen wir entwederachtsam oder achtlos. Das deutet darauf hin, dass dies einer der wichtigstenFaktoren für unser Wohlbefinden seinkann. Wir können alle nachvollziehen,warum jemand beschließt, den Besuchim Fitnessstudio ausfallen zu lassenoder einen Donut zu essen oder warumer daran scheitert, eine Aufgabe zuEnde zu bringen. Aber welchen Sinnergibt es, sich dafür zu entscheiden,achtlos zu sein?

Das Problem ist, dass viele Menschenrnissverstehen, was Achtsamkeit istund wie sie sich erreichen lässt. Einigeverwechseln sie mit mühevollernNachdenken und Stress. Denken istaber nur dann anstrengend, wenn wir

befürchten, zu keiner zufriedenstellenden Antwort zu gelangen; Stress ergibtsich nicht aus Ereignissen, sondern ausdem Blickwinkel, den wir ihnen gegenüber einnehmen. Wenn wir achtlosglauben, dass etwas Schrecklichespassieren wird, empfinden wir Stress.We wir uns stattdessen achtsam fragen, welche neuen Gründe dazu führenkönnten, dass das Ereignis nicht eintritt oder dass es, wenn es eintritt, sogarvorteilhaft für uns sein könnte, dannfällt der Stress von uns ab.

Viele venvechseln Achtsamkeit auchmit Mediration. Meditation ist einWerkzeug, um Achtsamkeit zu errei

ehen. Aber sie erfordert eine Art derÜbung, die nicht jedem leichtfällt.Achtsamkeit. so wie meine Kollegenund ich sie erforschen, hängt nicht vonMeditation ab: Sie ist der einfache Prozess, Neues zu bemerken. Sie versetztuns in die Gegenwart und bringt unsdazu, Kontext und Perspektive mehrBeachtung zu schenken. Sie ist dieGrundlage dafür, dass wir uns mit einerSache auseinandersetzen.

Dieser Prozess setzt automatisch ein,wenn wir mit etwas konfrontiert sind,das wir für neu halten. Außerdem erzeugt er Energie, statt sie zu verbrauchen. Stellen Sie sich vor, Sie reisenzum ersten Mal in Ihrem Leben nachParis. Sie erleben alles als neu und aufregend, und wie von allein nehmenSie so viele Eindrücke wie möglich vonder Stadt in sich auf. Eine solche Reisewürde sich wahrscheinlich wie einUrlaub anfühlen — also kaum wie etwasAnstrengendes oder etwas, das Sie ‘ermeiden möchten.

Schwierig ist es, wenn wir einer Sachegegenüberstehen, von der wir annehinen, dass wir sie bereits kennen. Achtlos gehen wir dann davon aus, dass wirihr keine Aufmerksamkeit zu schenkenbrauchen. Wir wissen beispielsweise,dass eins plus eins zwei ergibt. Die meisten von uns würden deshalb bei einerUnterhaltung zu diesem Thema abschalten. Aber wenn wir anerkennen.dass sich alles dauernd ändert und dassalles aus verschiedenen Perspektivenunterschiedlich aussieht, bleiben wirwachsam und realisieren: Wenn wir einen Haufen Schnee auf einen anderen

ELLEN LANGER

is Psychologicprofessoiin an dci Han‘amdUnivcrsity und Grünclerin des LangerMindfutness Instiflite. Sie zählt zu denrcnommicrtestcn Aclmtscunhcitslorschcni demWelt und wird auch „Mutter der positivenPsychologie“ genannt.

DAS SAGT DIE PSYCHOLOGIN

NEUGIERIG BLEIBENViele verwechseln Achtsamkeit mit Meditation.Doch die ist nur ein Werkzeug. Das eigentliche Zielbesteht darin, Neues zu entdecken.

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

Haufen Schnee packen, dann ist eins

plus eins gleich eins.In einer Studie, die wir vor vielen

Jahren durchgeführt haben, ließen wir

die Teilnehmer Aufgaben erledigen,

die sie zuvor als widerwärtig bezeich

net hatten. Wer Rapmusik oder klassi

sche Musik hasste, sollte sich Stücke

aus dem entsprechenden Genre an

hören. Wer American Football lang

weilig fand, dem zeigten wir Football

spiele. Und denen, die mit Kunst

nichts anfangen konnten, setzten wir

Gem1ilcle vor. Jedes Mal verhielten sich

die Teilnehmer dabei achtlos oder

achtsam. Die Mitglieder der achtlosen

Gruppen taten einfach nur das, was sie

tun sollten. Die anderen sollten nach

einer, drei oder sechs neuen Erkennt

nissen uber die jeweilige Aktivität Aus

schau halten. Die Ergebnisse waren

eindeutig: Je mehr die Probanden be

merkten, desto mehr gefiel ihnen das,

was sie taten.

In weiteren Untersuchungen stellten

wir fest, dass achtsame Menschen pro

duktiver und innovativer sind. Zudem

werden sie von anderen für attraktiver

gehalten, und ihre Arbeitsleistung wird

höher eingeschätzt. Wenn wir achtsam

sind, können wir Gelegenheiten ergrei

fen, die wir sonst nicht erkannt hätten,

und wir können Gefahren ausweichen,

die uns andernfalls das Leben schwer

gemacht hätten. Dazu kommen die kla

ren positiven Auswirkungen auf unsere

Gesundheit und unsere Lebensdauer.

Angesichts dieser Vorteile lässt sich

kaum noch begründen, warum wir uns

für Achtlosigkeit entscheiden sollten.

Wenn wir achtsam sind, empfinden

uns andere auch als authentischer und

vertrauenswürdiger. Das wiederum

verbessert unsere Beziehungen bei der

Arbeit und zu Hause. \Veil wir erken

nen, dass nichts gleich bleibt, nehmen

wir andere — uns selbst im Übrigen

auch — positiver wahr. Wir stufen Men

sehen weniger charakterlich und mehr

situativ ein.Davon profitieren natürlich unsere

Beziehungen: Wir denken nicht mehr:

„Immer macht er diese nervtötende

Sache.“ Wenn wir uns die Verhaltens

weise achtsam anschauen, wird uns

klar, dass beijedem negativen Merkmal

eine ebenso starke, aber gegensätzliche

Interpretation möglich ist: Ist er unbe

weglich oder konsistent; inkonsistent

oder flexibel; impulsiv oder spontan;

leichtgläubig oder vertrauensvoll?. uf

diese Weise gehen wir weniger vor

eingenommen und einfach netter mit

Menschen um.Achtsamkeit ist weder anstrengend

noch stressig. Sie lässt sich über unter

schiedliche Wege erreichen. Wer sie zu

seinem persönlichen Standard macht,

führt ein gesünderes und glücklicheres

Leben. Wenn die Menschen diese Vor

teile erkennen, sollte keine weitere

Uberzeugungsarbeit nötig sein.

DAS SAGT DER TRAINER

PAUSEN EINLEGENDie Fähigkeit, sich konzentrieren zu können, ist für Führungskräfte

genauso wichtig wie fachliche Kompetenz und Managementwissen.

So erhalten Sie Ihre Energie im Arbeitsalltag aufrecht.

Wahrscheinlich kennen Sie

das Gefühl nur zu gut: Sie

kommen ins Büro, haben

einen klaren Plan für den Tag, und

nach einer Zeit, die Ihnen wie ein Wim

pernschlag vorkommt, sind Sie schon

wieder auf dem Heimweg. Neun oder

zehn Stunden sind vergangen, aber Sie

haben nur die wichtigsten Aufgaben

auf Ihrer To-do-Liste erledigt. Sie kön

nen sich höchstwahrscheinlich nicht

einmal mehr daran erinnern, was Sie

den ganzen Tag gemacht haben.

Wenn Ihnen das bekannt vorkommt,

keine Sorge: Anderen ergeht es ebenso.

Untersuchungen zufolge verbringen

Menschen rund 47 Prozent ihrer wachen

Stunden damit, über Dinge nachzu

denken, die nichts mit ihrer aktuellen

Tätigkeit zu tun haben. Anders aus

gedrückt: Viele von uns sind mit Auto

pilot unterwegs.

Hinzu kommt, dass wir in das Zeit

alter der sogenannten Aufmerksam

keitsökonomie eingetreten sind. In ihr

ist die Fähigkeit, Fokus und Konzen

tration aufrechtzuerhalten, mindestens

so wichtig wie technische Kompetenz

oder Management-Know-how. Füh

rungskräfte müssen außerdem mehr

Informationen aufnehmen und zusam

menführen, um gute Entscheidungen

treffen zu können. Deshalb sind sie

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

das Glückshorrnon Dopamin aus, wenn

wir kleine Aufgaben schnell erledigen.

Das macht uns süchtig nach E-Mails

und nagt an unserer Konzentration.

Seien Sie also achtsam, wenn Sie Ihren

Posteingang öffnen. fokussieren Sie

sich auf das Wichtige und machen Sie

sich bewusst, was lediglich Störgeräu

sche sind. Wenn Sie gut in den Tag star

ten wollen, sollten Sie es vermeiden, als

Erstes Ihre E-Mails abzurufen. Nur so

werden Sie dem Ansturm von Ablen

kungen und kurzfristigen Problemen

ausweichen und sich einen Zeitraum

für erhöhte Konzentration und Kreati

vität schaffen können.Während der Tag fortschreitet und

sich die unvermeidlichen Besprechun

gen aneinanderreihen, unterstützt Sie

Achtsamkeit dabei, kürzere und effek

tivere Konferenzen zu leiten. Um beim

Beginn des Meetings nicht mit den Ge

danken abzuschweifen, sollten Sie sich

zwei Minuten Zeit nehmen, um Acht

samkeit zu praktizieren. Das können

Sie auf dem Weg zum Besprechungs

raum erledigen. Noch bessert Halten

Sie die ersten zwei Minuten des Mcc

tings schweigend ab. Dadurch ermög

lichen Sie es allen Anwesenden, nicht

nur körperlich, sondern auch geistig

anzukommen. Wenn möglich, sollten

Sie das Treffen zudem fünf Minuten

früher beenden, damit sich die Teilneh

mer achtsam auf das nächste Meeting

einstellen können.Im Verlauf des Tages wird Ihr Gehirn

müde werden. Achtsamkeit kann Ih

nen helfen, Ihren Scharfsinn zu bewah

ren und Fehlentscheidungen zu ver

meiden. Lassen Sie den Wecker Ihres

Smartphones nach dein Mittagessen im

Stundentakt klingeln. Unterbrechen

Sie dann jedes Mal, wenn der ‘Wecker

klingelt, Ihre aktuelle Tätigkeit, und

machen Sie eine Minute lang eine Acht

samkeitsübung. Diese Pausen werden

Sie daran hindern, wieder auf Autopilot

zu schalten und in Aktionismus zu

verfallen.Bleiben Sie schließlich auch achtsam,

wenn sich der Tag dem Ende nähert

und Sie nach Hause fahren. Mindestens

34 SUSINESS MANAGER JANUAR 2017

zehn Minuten Ihres Heimwegs sollten

Sie mit ausgeschaltetem Telefon zu

rücklegen. Stellen Sie auch das Radio

aus, und seien Sie einfach nur Sie

selbst. Lassen Sie alle Gedanken vor

beiziehen, die in Ihnen aufkommen.

Beobachten Sie Ihren Atem. Auf diese

Weise wird der Stress des Tages von

Ihnen abfallen, sodass Sie den Abend

zu Hause vollkommen präsent mit Ih

rer Familie verbringen können.

Achtsamkeit bedeutet nicht, dass das

Leben in Zeitlupe vergeht. Sie hat viel

mehr damit zu tun, im Privat- und Be

rufsleben Fokus und Bewusstsein zu

schärfen. Sie lösen sich von Ablenkun

gen und bleiben auf Kurs, sowohl im

Hinblick auf Ihre persönlichen Ziele als

auch auf die Ziele Ihres Unternehmens.

Bringen Sie Ihre eigene Achtsamkeit

unter Kontrollet Probieren Sie diese

Tipps 14 Tage lang aus und finden Sie

heraus, was sie Ihnen bringen.

MIT SYSTEM

16 Techniken für den Arbeitsplatz,

8 mentale Strategien, 3 Trainings-

programme: Auf diese Weise struktu

riert Rasmus Hougaard sein Buch

„One Second Ahead“. Zusammen

mit seinen Mitarbeiterinnen

Jacqueline Carter und Gillian Coutts

fasst er darin zusammen, wie sein

Beratungsunternehmen The Potential

Project Manager in Achtsamkeit

schult.

Auch als Appfit zPad, Ändruid

sdferPCiac.ZEä testen:

spiege1-geschichte.d‘digita1

Weitere Themen:

BürgerkriegRote gegc‘n Weiße

KünstlerAufbruch mit Marc Chagalt

UkraineDas zerrissene Land

ONESECONDAHEADL

RLKS SaC&ARB

RASMUS

HOUGMRD Et AL.

One Second Ahead

Palgrave Macmillan

2015,234 Seiten

circa 22 Euro

1

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DAS SAGT DER VORREITER

TIEF DURCHATMENIhr ganzer Tag ist durchgetaktet? Sie haben keine fünf Minuten

für sich? Kein Problem: Mit dieser Sechs-Sekunden-Übung

gönnen Sie Ihrem Geist eine effektive Ruhepause.

CHADE-M ENG TAN

ist Cliciinncui dcs Scarch Inside Y0IIIsclf

Lectdcrship lnstitntc, Bis 2015 war der

gclenttc Infonnatikcr bei Google cmgcstettt,

wo er das Aclitsrnnheitsprogramm „Searclt

Insidc YourselJ“ entwickelt hat.

An manchen Tagen ist es wirklich anstrengend, eine Führungskraft zu sein. Sie sitzen

stundenlang in Mcetings, und jede Entscheidung, die Sie fällen müssen, istschwierig — alle einfachen Entscheidungen wurden schon auf den unterenEbenen getroffen. An solchen Tagenwissen Sie, dass Sie sehr viel effektiversein könnten, wenn Sie an jede Besprechung unbelastet herangehen könnten.Aber dafür müssen Sie zunächst alldie Probleme ablegen, die Sie aus denvorherigen Treffen mitgebracht haben.Und das können Sie. Sie brauchendafür nur sechs Sekunden.

Ich habe bei Google die Entwicklungeines Schulungsprogramrns geleitet,das „Search Inside Yourself (SIY)heißt. Es hilft Mitarbeitern, geistigenBallast abzulegen und jeder neuenSituation wach und konzentriert zu begegnen. Schon nach kurzer Zeit wurdees zum am besten bewerteten Kurs beiGoogle, mit langen Wartelisten.

SIY besteht aus drei Stufen. Wir beginnen mit einem Aufmerksamkeitstraining, tvodurch die Teilnehmer eineruhige und klare Geisteshaltung erreichen. Dann beschäftigen wir unsmit Selbsterkenntnis, die für ein gutesSelbstrnanagement unerlässlich ist. Siemüssen objektiv und eindeutig er-kennen können, was wann welche Re-aktionen bei Ihnen auslöst. Erst dannsind Sie in der Lage, wirkungsvollementale und emotionale Strategien zuentwickeln, mit denen Sie schwierigeSituationen meistern können. Schließlich stärken wir geistige Fähigkeitenwie Empathie und Mitgefühl, die zueiner höheren sozialen Kompetenzführen.

Viele Teilnehmer haben uns gesagt,dass die Fähigkeiten, die sie bei SIY er-lernt haben, sie zu besseren führungs-kräften gemacht hätten. Sie hättenihnen sogar Beförderungen zu verdan-ken. Ein Manager aus dem Software-bereich erfuhr, wie er sein Tempera

JANUAR 2017 H.VA0 BUSINESS MANAGER 35

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I.L)

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

ment in Zaum haften konnte. Er gewann Klarheit, weil er gelernt hatte,„Geschichten von Realität zu unterscheiden“, wie er sagte. Er konnte seineLeistung so sehr steigern, dass er sogartrotz des Wechsels auf eine Teilzeitstelle befördert wurde.

Eine andere Teilnehmerin erkannte,wie sie besser mit Stress umgehenkonnte. Daraufhin verbesserte sich ihreGesundheit deutlich. Ein Vertriebsmanager, der aufgrund seines Jobs ohnehin schon ein guter Kommunikatorwar, lernte, mit Empathie zuzuhören,seine moralischen Wertvorstellungenzum Ausdruck zu bringen und sich alsFürsorger der Person zu verstehen, mit

der er gerade interagierte. Dadurchkonnte er noch effektiver kommunizieren und seine Mannschaft anteiten.Wieder und wieder erzählen uns Teilnehmer, dass unsere Schulung ihr Leben verändert hat.

Es dauert nicht lange, sich dieseFähigkeiten anzueignen. In jedem derbeschriebenen Beispiele stellte sich derErfolg bereits nach weniger als 50 Stunden Training ein. Aber es sind nichteinmal 50 Sekunden nötig, um ersteFortschritte zu erzielen.

Meine Kollegin Karen May, Vizepräsidentin für Personalentwicklung beiGoogle, hat sich die fähigkeit angeeignet, sich mit einem einzigen „achtsamen Atemzug“ mental zu erholen,bevor sie in ein Meeting geht. Siebraucht dafür ettva sechs Sekunden.In dieser Zeit richtet sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf einen Atemzug, mit

dem sie ihren Körper und ihren Geistneu startet.

Es gibt zwei Gründe, warum ein einziger achtsamer Atemzug Körper undGeist so stark beruhigen kann. Die physiologische Erklärung besteht darin,dass achtsame Atemzüge eher langsamund tief sind. Das stimuliert den Vagusnerv und aktiviert das parasympathische Nervensystem. Der Stress nimmtab, Herzfrequenz und Blutdruck sinken, und Sie werden ruhiger. Die psychologische Begründung ist, dass Siesich während des Atemzugs vollkommen im Jetzt befinden, wenn Sie ihmdabei Ihre ganze Aufmerksamkeit zukommen lassen. Um Bedauern zu emp

finden, müssen Sie geistigin der Vergangenheit sein;um sich zu sorgen, müssenSie in der Zukunft sein. Dasheißt: Wenn Sie sich komplett in der Gegenwart befinden, sind Sie frei vonBedauern und Sorge. Dasist so, als würden Sie einegroße Last für die Dauereines Atemzugs loslassen.Damit geben Sie lhremKörper und Ihrem Geisteine wertvolle Gelegenheit

für Ruhe und Erholung.Einige der besten Sportler der Welt

setzen diese Fähigkeit ein. Ich habe beispielsweise einmal den TennissuperStar Novak Djokovic danach gefragt.Er hat mir bestätigt, dass ihm diesementale Technik enorme Erfolge ermöglicht hat. Sportler wie Djokovickönnen über lange Zeiträume ein hohes Leistungsniveau aufrechterhalten,wenn sie in der Lage sind, innerhalbvon Sekunden Körper und Geist zuberuhigen und neu zu starten.

Bei der Führungsarbeit kann diesgroße Vorteile bringen. Stellen Sie sichvor, Sie und Ihre Kollegen müsstenauf eine schwere Krise reagieren. Dasganze Team ist erschöpft. Sie sindder Einzige, der die Ruhe bewahrt undklar denken kann. Die Fähigkeit, unterDruck besonnen zu reagieren, ist einKennzeichen großer Führungsstärke.

Dies zu trainieren und zu nutzen bedeutet, bewusst und ohne zu wertendem gegenwärtigen Moment seine Aufmerksamkeit zu schenken. Je mehrSie Ihren Fokus auf den Atem lenken,desto mehr stärken Sie die Teile IhresGehirns, die mit Aufmerksamkeit undexekutiver Kontrolle zu tun haben, vorallem den präfrontalen Cortex.

\Venn Sie diese und eine Reihe weiterer mentaler und emotionaler Fertigkeiten erlernen, legen Sie die Basisfür eine außergewöhnliche Führungsstärke. Eine dieser Fähigkeiten bestehtdarin, sich selbst richtig einschätzen zukönnen. Das beginnt damit, in jedemMoment erkennen zu können, welcheEmotionen Sie gerade erfahren, undendet damit, dass Sie eindeutig wissen,welche Stärken und Schwächen Siebesitzen und welchen Zweck Sie imLeben verfolgen. Untersuchungen zeigen, dass eine korrekte Selbsteinschätzung eine notwendige Bedingung fürherausragende Führung ist. Sie versetztMenschen in die Lage, um sich herumeffektive Teams aufzubauen, die ihreStärken zur Geltung bringen, ihreSchwächen ausgleichen und ihnen dabei helfen, einen klaren, gemeinsamenZweck zu erfüllen.

Wer lernen will, wie er seinen Geistberuhigen kann, muss zunächst mehrauf seinen Körper achten. Damit stärken Sie den Teil Ihres Gehirns, derlnselrinde heißt und mit emotionalernBewusstsein und Empathie in Verbindung gebracht wird. Wenn Sie gleichzeitig ein Tagebuch führen, verbessernSie Ihre Selbsteinschätzung. Und wennSie zusätzlich achtsam zuhören, steigern Sie Ihre Empathie. All das erhöhtIhre emotionale Intelligenz.

Auch wenn Ihr Unternehmen keinenAchtsamkeitskurs wie Search InsideYourself anbietet, können Sie mit Ihrem ersten achtsamen Atemzug schoneinen Schritt nach vorn machen — innerhalb der ersten sechs Sekunden.Versuchen Sie es gleich heute noch.und Sie werden sehen, wie viel fräsenter, effektiver und produktiver Sie seinkönnen.

36 HARVARD BUSNESS MANAGER JANUAR 2017

„Spitzensportler wie derlennisstar Novak Djokovicsind in der Lage, innerhalb von Sekunden Körperund Geist zu beruhigenund neu zu starten.“

1

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ßevor ich 2006 in das Unternehmen meiner Eltern einstieg,hatte ich nicht viel auf die Reihe

gebracht. In der Schule hatte ich zweimal eine Klasse wiederholt, mein Sinologie- und BWL-Studium hatte ich abgebrochen. Der Zeitpunkt war zudemdenkbar schlecht: Das Unternehmenwar in seinen Grundfesten erschüttert,nachdem es kurz zuvor eine Insolvenzüberlebt hatte, und mir fehlte es anfachlicher Kompetenz in der Hotellene. 2007 starb mein Vater bei einemFlugzeugabsturz. Das war tragisch undverunsicherte mich weiter, denn nunmusste ich das Unternehmen alleinführen.

Um Halt zu finden, entwickelte ichin Zusammenarbeit mit einem Beraterein Managernentsystem, das auf vielenZahlen, Daten und Fakten beruhte.Zunächst war ich damit erfolgreich:Qualität und Wirtschaftlichkeit verbesserten sich. Ich wähnte mich auf deinrichtigen ‘Weg und entschied, dasswir als erstes Hotelunternehmen überhaupt das Sensitivitätsmodell des deutschen Wissenschaftlers Frederic Vesteranwenden wollten — ein Programm,um Komplexität zu managen. Einmalwurde ich sogar zu einem Kongressnach Bozen eingeladen, wo ich dieerfolgreiche Umsetzung unseres AnSatzes vorstellen sollte. Mein Selbstbewusstsein war auf dem Höhepunkt.Ich saß in meinem Unternehmen hinter dem größten Schreibtisch — und ichfand, das war ein gebührender Platz.

Dann begannen Mitarbeiter zu kündigen — so viele, dass wir Stellen nicht

nachbesetzen konnten. Plötzlich fehlten Umsätze, weil die Menschen nichtmehr da waren, die sie envirtschaftensollten. Wir bildeten Task-Forces, dieArbeit wurde hektisch. Ich stellte einenPersonalchef ein (zuvor bestand diePersonalabteilung nur aus einer Halbtagsstelle) und beauftragte ihn, eineLösung zu finden. Er nahm sich Zeit,um mit den Mitarbeitern zu sprechen.Als er zu mir zurückkam, sagte er, dasser offenbar für zwei Unternehmenarbeite: eines, das ich ihm beschriebenhatte, und eines, wie es die Mitarbeitersahen. Ich verstand ihn nicht, denn dieZahlen gaben diesen Eindruck nichtwieder Also veranlasste ich eine Mitarbeiterbefragung. Das Ergebnis war niederschmetternd: Die Beschäftigten gaben uns Schulnoten zwischen Vier undFünf, in manchen Bereichen sogar eineSechs. Auf eine offene Frage schriebjemand als Antwort: ‚.Wir braucheneinen anderen Chef als Bodo Janssen.“Diese Offenheit kränkte mein narzisstisches Ich bis ins Mark.

Nach der Befragung wusste ich nichtmehr, wie ich den Menschen im Unternehmen begegnen sollte. Ich fühltemich unverstanden. Ich wollte dieFirma in eine sichere Zukunft führen,aber die Mitarbeiter wussten das meiner Wahrnehmung nach nicht zuschätzen. Zurückgeben konnte ich dasUnternehmen nach dem Tod meinesVaters nicht mehr. Schönreden ließsich die Befragung auch nicht.

In jeder Krise gibt es zwei Möglichkeiten: weitermachen wie bisher oderVeränderung. Ich entschied mich für

.L- J

zNBODO JANSSEN

ist GcsclidJtsfüliiei dci HotelketteUpstalsboom, die 65 Hotck und Pci tenwolinungswtlagen mi dci Noid- und Ostseesowie in Berlin iuiteihält Janssen ticibt seit2010 einen Kultunvandcl in seinemUntenielimen voi an, dci auf spintuetlenWci (cii und ivzssenschaftlichenEi keiintntsscn bcrulit

JANUAR 2017 HARVARD OUS!NESS MANAGCfl 37

DAS SAGT DER UNTERNEHMER

MENSCHLICH FÜHRENEinem selbstverliebten Chef liefen die Mitarbeiter weg, und seinUnternehmen geriet in Schwierigkeiten. Ein Besuch im Klosterbrachte die Wende.

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

AUS DER HBM-UMFRAGE

Haben Sie schon einmal eine aktive

Auszeit zur Stressbewältigung oder

aus spirituellen Gründen (Sabbatical,

Meditations- oder Pilgerreise, Wochen

ende im Kloster etc.) genommen?‘

a

Keine Antwort

Wenn Sie eine derartige Auszeit

genommen haben: Wie haben Ihre

Kollegen darauf reagiert?‘

Positiv

Negativ

Keine Antwort

die zweite Variante. Ich legte die Ergebnisse unzensiert mit allen Recht-schreibfehlern ctnd allen Namen darin

offen. Das war ein wesentlicher, persönlicher Schritt, mit dem ich meineSchwächen eingestand. Und ich ging

die Probleme an, eins nach dem anderen. Es gab viele Kritikpunkte, einfacheDinge waren darunter, wie der Mangel

an Arbeitsmitteln (fehlende Kaffeelöffel können verheerende Auswirkungenauf die Moral haben). Das Managementsystem empfanden die Mitarbeiterals Joch, nicht als Unterstützung —

was logisch war: bestand sein einziger

Zweck doch darin, mir Zahlen zu liefern. Das Hauptthema war jedoch dieschlechte Führung: Die Mitarbeiter erhielten keine Informationen und wussten nicht, wie es um das Unternehmenstand. Deshalb hatten sie nach ihren Erfahrungen mit der Insolvenz Angst umihren]ob. Die Arbeit war für viele reinePflichterfüllung; die Leute fühlten sichnicht genugend integriert, um das Unternehmen mitzugestalten. Alles wurdeüber ihre Köpfe hinweg entschieden,

und Anerkennung gab es keine.Die Kaffeelöffel waren schnell ge

kauft, das Managementsystem schnellentschlackt. Aber wie konnte ich dasFührungsproblem lösen? Ich hatte keine Antwort. Schließlich entschied ichmich, in ein Benediktinerkloster zu gehen, um von Pater Anseim Grün unddem Psychologen Friedrich Assländerzu lernen, was gute Führung ist. Beimeinem ersten Aufenthalt hörte ichvier Sätze, die neu für mich waren: Nurwer sich selbst führen kann, kann andere führen. Führung ist eine Dienstleistung, kein Privileg. Führen bedeutetfragen. Führen hat wenig mit Aktionund viel mit Reflexion zu tun.

Aber wie sollte ich mich selbstführen? Ich dachte viel darüber nach.Mir wurde klar, dass ich ein Zielbrauchte. Ich stellte mir weitere Fragen: Bodo, was ist für dich wesentlich

im Leben? Wofür stehst du jeden Tagauf? ‘Was bereitet dir wirklich Freude?

Um Antworten zu finden, ging ich inmeine Vergangenheit zurück. Ich suchte

nach Momenten, in denen ich ein Gefuhl der inneren Ruhe. Freiheit und Geborgenheit gehabt hatte. Ich erkannteviele Situationen—etwa dass ich imKindergarten oft weggelaufen war, um zumeiner Familie zurückzukehren.

Ich beschäftigte mich auch mitschwierigen Momenten. Im Jahr 1998war ich entführt worden. In der Reflexion erkannte ich, dass ich aus der Konfrontation mit dem Tod Erkenntnisseziehen konnte. Bei der Entführung hätteman mir alles nehmen können, vondem ich geglaubt hatte, dass es wesentlich war. ‘Was wäre gewesen, wenn ichgestorben wäre? Ich hätte nicht mehrzu Vorlesungen gehen können — daswar damals mein erster, absurder Gedanke. Mein schönes Auto wäre nichtsmehr wert, weil ich es nicht mehr nutzen könnte. Und ich hätte Menschenverloren, die mir am Herzen lagen. Indem Moment realisierte ich, dass ichmein persönliches Glück von nichtsabhängig machen darf, was man mirnehmen kann. Man kann im Angesichtdes Todes vom eigenen Leben Abschiednehmen, aber nicht von der Erinnerung,die man mit anderen teilt. Ich kam zudem Schluss: Das Einzige, was man mirnicht nehmen konnte, war der Rückblick auf ein glückliches Leben. Durchdie Reflexion hatte ich mein Lebenszielgefunden: Ich wollte mir uüd anderendabei helfen, glücklich zu werden.

Es war nicht leicht gewesen, zu dieser

Erkenntnis zu gelangen. Ruhe — nicht

nur bei der Meditation, sondern auchbei der Reflexion — muss man ertragenkönnen. Als Kind hatte ich es geliebt,in meinem Zimmer zu spielen und mireine eigene Weh aufzubauen. Aber inder Zeit zwischen der Entführung unddem Kloster war ich vor Ruhe geflüchtet. Ich hatte Drogen und Alkohol konsumiert, wahrscheinlich um keine Er

innerungen aufkommen zu lassen. Als

ich das erste Mal meditierte, bin ich fastexplodiert. In meinem Kopf jagte einGedanke den nächsten. Nur durch dieim Kloster propagierte Disziplin und

Konzentration hielt ich das aus. Durch

die Meditation fand ich immer mehr

Ja

Nein, würde ichaber gern versuchen

Nein, habeauch kein Interesse

lila Prozent der Befragten. Angaben gerundet.Quelle: Umfrage unter den Mitgliedern des Verbands DieFührungskräfte für den Harvard Business Manager, 2016

38 HAB VARO BUSINESS MANAGER JANUAR 2017

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zur Ruhe. Schließlich konnte ich meineErinnerungen losgelöst von meinenEmotionen betrachten.

Uber eineinhalb Jahre erarbeitete ichmir im Kloster ein persönliches Leitbild — die Vision vom glücklichenMenschen. Ich malte ein Bild: In 40Jahren sitzen meine Frau und ich in einem kleinen Friesenhaus, auf meinemSchoß zwei Enkelkinder, denen ichGutenachtgeschichten erzähle. Es sinddie Geschichten von glücklichen Menschen. Seitdem stehe ich jeden Tag auf,um etwas zu erleben, von dem ich in 40Jahren meinen Enkelkindern berichtenkann. Abends frage ich mich: Hast duheute alles dafür getan, deine Visionwahr werden zu lassen? Eine weitereGeschichte erzählen zu können? Beiallen Fragen und Entscheidungen gibtmir das Orientierung.

Ich kann niemanden glücklich machen, aber als Unternehmer die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kundenund Mitarbeiter zufrieden sind. Alsolud ich meine Mitarbeiter und Führungskräfte ein, ebenfalls ins Klosterzu gehen. Viele fanden es gut, manchekonnten damit nichts anfangen. DiesenLeuten versuche ich dann andere Wegeaufzuzeigen, wenn es ihnen an Klarheitüber sich selbst und im Leben fehlt.

„Als ich das erste Malmeditierte, bin ich fastexplodiert. In meinemKopf jagte ein Gedankeden nächsten“

Die einzige Legitimation von Führungist, Menschen zu helfen, sich selbst zuführen. Und sich selbst führen heißt,sich selbst zu erkennen. Nur wer weiß,wer er ist und was er will, ist frei undunabhängig von den Meinungen anderer. Und nur wer sich selbst kennt,kann im Unternehmen als Führungskraft schauen, welche Mitarbeiter für

welche Aufgaben am besten geeignetsind.

Wir haben festgestellt, dass die Mitarbeiter im Unternehmen, die meditieren, stärker reflektieren. Sie betrachtendas eigene Sprechen und Handeln ausder Distanz — von einer Metaebeneaus —‚ um Fehler erkennen und korrigieren zu können. Wir haben deshalbdas Prinzip der Achtsamkeit in unsereWerte aufgenommen. Für mich bedeutet Achtsamkeit. die Dinge so zu sehen,wie sie geschehen. Beispielsweise sindMitarbeiter häufig unzufrieden, obwohlsie positives feedback bekommen. Wiekann das sein? Dcr Gnmnd ist, dass sichdas Lob nur auf die Ergebnisse bezieht,nicht aber auf ihr Verhalten. Die betriebswirtschaftlichen Zahlen könnentoll sein, aber loben sollten Sie viel lieber das Verhalten, das dazu geführt hat.Sagen Sie: „Herr Müller, mich hat derMut beeindruckt, mit dem Sie die Entscheidung getroffen haben, die uns dastolle Ergebnis beschert hat.“

Vv‘irtschaftlichkeit ist heute nichtmehr Sinn unseres Handelns, wohlaber die Basis unserer Existenz. DerUmsatz hat sich zwischen 2009 und2013 verdoppelt. Das Unternehmenhat sich verändert. In unseren Mitarbeiterbefragungen liegt die Zufrieden

heit mit der Führung undder Kultur bei 80 Prozent.In den Hotels, in denen dieZufriedenheit am höchstenist, liegt die Krankheitsquote bei unter 3 Prozent.Die Fluktuation, in der Hotellerie sonst bei 30 Prozent, beträgt weniger als5 Prozent, in unseren Spitzenhotels liegt sie bei null.Gleichzeitig sind durch die

niedrige Krankheitsquote und Fluktuation die Kosten geringer. Unsere Bewerberzahlen sind enorm angestiegen.Viele kommen aus anderen Branchenzu uns. Wir erhalten Bewerbungen vonBankern aus Frankfurt, die uns schreiben, sie wollen etwas Sinnvolles mitihrem Leben tun. lch will ihnen helfen,das umzusetzen.

MIT DEMUT

Wenn ein Wort das neue Führungsverständnis von Bodo Janssenverdeutlicht, dann ist es wohl„Bescheidenheit‘. „Hochmut kommtvor dem Fall“, lautet auch die ersteKapitelüberschrift in seinem Buch„Die stille Revolution‘. Darinbeschreibt Janssen seinen Wandelvom zahlenfixierten Manager hin zueiner Führungskraft, die das Menschliche in den Vordergrund rückt.

h—‚„-.

JANUAR 2017 HARVARD BUSNSS 1ANAGER 39

DIE STILLEREVOLUTION

BODO JANSSENDie stilleRevolution

Ariston 2016

288 Seiten

19,99 Euro

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

1‘i_l

INGMAR HÖHMANN

ist Redahtew des Harvard Btisiness

Mwiagei s.

Jcli bin ein neugieriger Mensch

(darum bin ich wohl Journalistgeworden) und grundsätzlich für

neue Ideen zur Selbstoptimierung

offen. In den vergangenen zehn Jahren

habe ich mich von neurolinguistischen

Programmierern umprogrammieren

und von Motivationstrainern anbrullen

lassen, meine Wünsche ins Universum

und per Flaschenpost in den Atlantik

geschickt sowie in Gruppenarbeit

Mindtnaps, SMÄRT-Ziele und To-do

Listen erstellt. In Los Angeles wohnte

ich sogar einer Channeling-Session

bei, bei der ein Äußerirdischer von

einem fremden Stern — ich glaube, er

hieß Bashar — durch ein Medium zu uns

sprach (er nahm 40 Dollar Eintritt).

Einige meiner Erlebnisse waren auf

schlussreich, andere erschreckend, vie

le von ihnen großer Humbug.Entsprechend gering waren meine

Erwartungen, als ich mich vor drei]ah

ren für einen Achtsamkeitskurs an-

meldete. Ich hatte mit Yoga, Pilates,

Yogalates und ähnlichen formen der

Leibesertüchtigung bereits praktische

Erfahrung gesammelt. Am meisten

nervten mich diejenigen Trainer, die

ihre Kurse mit einem lang gezogenen

.‚Ooooom“ begannen und mit einer

zehnminütigen Meditation beendeten,

während mir der kalte Schweiß am

Rücken die Kleidung klamm werden

ließ.Aber Achtsamkeit war gerade der

letzte Schrei auf dem Markt für Ver-

haltenstherapien, und meine Kranken-

kasse bezuschusste den Kurs. Ich ent

schied mich fur einen kahlköpfigen

Lehrer, der mich auf seiner Website

‘mit einer langen Liste an Fortbildun-

gen und Zertifizierungen beeindruckt

hatte. Beim ersten Treffen zeigte er sich

ein wenig enttäuscht, dass sich nur fünf

Teilnehmer zu seinem Kurs angemel

det hatten. Das hielt ihn allerdings

nicht davon ab, uns fortan stunden-

lange Monologe über die Vorteile von

Achtsamkeit zu halten. Weil wir uns

. 1t

DAS SAGT DER REDAKTEUR

RUHIGER WERDENTaugt Achtsamkeit zur Selbstoptimierung? Ein

Erfahrungsbericht aus einem achtwöchigen Kurs.

40 HARVARD RUS‘NESS ANAG5R JANUAR 2017

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immer abends trafen, hatte ich nachlangen Arbeitstagen Mühe, die Augenoffenzuhalten.

Der Kurs bestand aus drei Teilen:Im ersten lernten wir den sogenanntenBodyscan kennen. Wir legten uns dafürauf den Boden und gingen im Geisteden Körper von den Füßen bis zu denHaarspitzen durch. Meist gab esjemanden, der dabei zu schnarchen anfing —

gelegentlich mag ich das gewesen sein.Im zweiten Teil machten wir achtsamesYoga, sanfte Ubungen also, bei denenwir immer wieder den Fokus auf denAtem lenkten. Der dritte Part war dieangeleitete Meditation im Sitzen.Nacheinander konzentrierten wir unsauf Körper, Atem, Gedanken und Gefühle. Wir sollten alles zulassen, waskam — inklusive der Rückenschmerzen,die die ungewohnte Sitzhaltung bei mirverursachte.

Zwischen den Kurseinheiten, die einmal wöchentlich stattfanden, machteich meine täglichen Ubungen von je45 Minuten. Ein immenser Zeitaufwand, aber ich lernte, meine Gedankenkommen und gehen zu lassen, ohnesie gleich zu bewerten (meistens jedenfalls). Nach acht Wochen reichte ichdie Teilnahmebescheinigung bei meiner Krankenkasse ein und erhielt75 Euro erstattet, immerhin.

Was hat der Kurs gebracht? Achtsainkeit soll wunderbare Dinge bewir

ken — gesteigerte Konzentrationsfähigkeit, Gelassenheit und Lebensfreude.Mag sein, dass manchen Leuten all dieswiderfährt. Ich sehe das eher pragmatisch Achtsamkeit ist für mich nichtder Weg zum Glück, sondern ein

Werkzeug, das mir hin und wiedernützlich sein kann. Manchmal setze ichmich am Morgen hin und meditiereeine Viertelstunde. Tatsächlich werdenmeine Geclanken dann klarer — zumindest so lange, bis mich der Alltag inseinen Fängen hat. Ab und zu nutzeich den Bodyscan, um abends schnellereinschlafen zu können. Und wenn ichvor Publikum einen Vortrag halte, wasgelegentlich vorkommt, dann hilft mirder Fokus aut meinen Atem, innerlichruhiger zu werden.

Ich weiß all das zu schätzen. Der beste Weg zur Gelassenheit bleibt für michjedoch der Ausdauersport. Nirgendssonst schaltet mein Kopf so schnell ab,und bei keiner anderen Aktivität kannich mit der gleichen Gewissheit voraussagen, dass sich durch sie ein Gefühlder Zufriedenheit bei mir einstellenwird. Psychologen haben mir bestätigt,dass auch Sport eine Art Meditationsein kann. Außerdem hilft er gegenRückenschmerzen.

Auf einem Achtsamkeitskongresslernte ich vor einiger Zeit den Betreibereines Düsseldorfer fitnessswdios kennen, der achtsames Training anbietet.Er stellt seine Kunden auf Vibrationsplatten, weshalb er mit dem Claim„Good Vibrations“ wirbt (ich habe esüberprüft; wenn man auf einem Beinsteht, muss man tatsächlich sehr gutsein, um bei der Vibration das Gleich

gewicht zu halten). DerBetreiber hat sanfte Augen und ein gütigesLächeln. Weil er kurzeTrainingseinheiten vonjeweils 20 Minuten anbietet, kommen viele Manager zu ihm ins Studio.Diese Kunden, so erzählte er mir, wollen immer „schnell, schnell“fertig sein. Sie hätten nie

genug Zeit. Er stellt ihnen dann einefrage: „Warum tust du dir das an?“Bei einigen liefen daraufhin Tränen dieWangen herunter.

Vielleicht kann Achtsamkeit manchmal auch ganz einfach sein.

AUS DER HBM-UMFRAGE

Wie häufig unternehmen Siefolgende Aktivitäten: Fitness,sonstigen Sport?‘

Seltener als einmalpro Woche

Keine Antwort 2

Bietet Ihr Unternehmen für Sport-aktivitäten eigene Räume an?‘

Unsicher oderkeine Antwort

NACHDRUCK

Nummer 201701030, siehe Seite 102oder www.harvardbusinessmanager.de

© 2017 Harvard Business Manager

JANUAR 2017 : BUSINESS MANGEH 41

-

Mindestens einmalpro Woche

Ja

Nein

ii In Prozent der Befragten, Angaben gerundet.Quelle: Umfrage unter den Mitgliedern des Verbands DieFührungskräfte für den Harvard Business Manager, 2016

„Achtsamkeit ist für mich: nicht der Weg zum Glück,

sondern ein Werkzeug, das1 mir hin und wieder nützlich

sein kann.“

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INTERVIEW

„MIT DEM GEISTDIE REALITÄTVERÄNDERN“

Michael Roach ist ein

buddhistischer Mönch, der als

Businessguru um die Welt

reist. Bei Vorträgen betritt er

im Anzug die Bühne, stimmt

aber dann auf einem

tibetanischen Instrument

esoterische Klänge an.

Wie viel Spiritualität vertragen

Manager? Ein Interview.

Herr Roach, warum sind fernöstliche

Praktiken wie Yoga oder Meditation

im Westen derzeit so erfolgreich?

ROACH Das ist ein wirklich faszinie

render Trend. Ich erinnere mich noch,

wie ich im Jahr 1999 mein Buch „Der

Diarnantschncider“ geschrieben habe.

Darin habe ich erklärt, wie man bud

dhistische Ideen im Geschäftsleben an

wenden kann. Ich erwähnte dort, dass

man auch Yoga machen könne. Der

Verleger hat das gestrichen. Er sagte,

wenn Yoga in einem Managementbuch

vorkäme, würde es kein Manager lesen.

Also ersetzte er es durch Golfspielen.

Im Ernst?ROACH Ja, Sie können es nachschla

gen. Und heute macht jeder Yoga,

wahrscheinlich weil es wirkt. Ich lege

vor jedem meiner Vorträge eine Yoga-

einheit ein, danach bin ich viel leis

tungsfähiger. Ich bin so davon über

zeugt, dass ich unsere Mitarbeiterjeden

Tag für zwei Stunden bezahle, in denen

sie Yoga machen und meditieren.

Sie sind aber nicht als Yogalehrer,

sondern als buddhistischer Mönch

bekannt. Eines Ihrer Bücher heißt

„Karmic Management — Erfolg durch

Spiritualität“. Lassen sich spirituelle

Lehren und knallhartes Management

überhaupt vereinen?

ROACH Wissen Sie, ich habe während

meiner Ausbildung lange in einem 1<los-

ter gelebt. Eine meiner Abschlussprü

fungen bestand darin, ein Unterneh

men zu gründen, in das ich spirituelle

Elemente einfließen lassen sollte. Das

war damals sehr ungewöhnlich. Die

Leute dachten, dass man entweder ein

Unternehmen führen oder spirituell

sein könne, aber nicht beides. Mein

Lama — mein Lehrer — wollte beweisen,

dass das doch geht. Er gab mir ein

Sutra, einen buddhistischen Text, und

sagte zu mir: „Das ist dein Business-

plan.“ Dann schickte er mich nach New

York. Dort half ich mit, einen Diaman

tenhändier aufzubauen. Als Warren

Buffett das Unternehmen 2009 über

nahm, hatte es einen Umsatz von einer

Vicrtelrnilliarde Dollar. Ich denke, Spi

ritualität und Business passen sehr gut

zusammen.

Suchen Manager heute stärker nach

spiritueller Führung als in früheren

Zeiten?ROACH Vor 20 jahren kam unser An

satz noch einer Revolution gleich, aber

heute ist es schon fast normal. Viele un

serer jährlich rund 20 000 Seminar-

teilnehmer sind Manager. Wir halten

auf der ganzen Welt Veranstaltungen

ab und sehen diesen Trend überall. In

China erlebt der Buddhismus nach

einer langen Zeit staatlicher Repression

gerade eine regelrechte Wiederaufer

stehung. in der chinesischen Sprache

ist sogar ein neues Wort für spirituelle

Geschäftsleute entstanden — es heißt

Fo Shang.

Was genau ist Ihr Ansatz?

ROACH Unser Modell besteht aus drei

Elementen: Zunächst zeigen wir unse

ren Teilnehmern, wie sie jeden Morgen

zu Hause eine halbe Stunde Niguma

42 HARVARD BUSINdSS MANAGER JANUAR 2017

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SCHWERPUNKT ACHTSAMKEIT

PROFIL

DER GURU

Michael Roach studierte Religions

wissenschaften an der USEliteuniversi

tät Princeton. 1975 begann er seine

Ausbildung zum Geshe fein hoher

buddhistischer Gelehrtengrad), die er

1995 abschloss. Parallel war er am

Aufbau des New Yorker Diaman

tenunternehmens Andin International

beteiligt, das 2009 von Warren

Buffett übernommen wurde. Bekannt

wurde Roach durch den Bestseller „Der

Diamantschneider“. Darin beschrieb

er 2000 anhand seiner Karriere als

Geschäftsmann, wie buddhistische

Prinzipien zu beruflichem Erfolg führen.

Heute verdient Roach sein Geld mit

einem von ihm entwickelten mehr

stufigen Ausbildungsprogramm, für

das er weltweit Seminare abhält.

DIE KRITIKVertreter der buddhistischen Gemeinde

sehen die Lehren von Michael Roach

skeptisch, auch der Dalai Lama hat

sich wegen seiner unkonventionellenPraktiken von ihm distanziert.Buddhistische Nonnen und Mönche

leben beispielsweise meist im Zölibat;

Roach war eine Zeit lang verheiratet.

Yoga machen können, das ist eineknapp 1000 Jahre alte Yogapraxis. Dielibungen halten sie körperlich fit undgesund. Darauf folgt eine halbe StundeMeditation, was ihnen geistige Klarheitverschafft. Danach sind sie optimal aufihren Arbeitstag vorbereitet.

Was ist das dritte Element?ROACH Das ist eine Denkweise, umdie Zukunft zu beeinflussen. Es istein wenig wie im Film „Matrix“ — dieHauptfigur kann mit ihrem Geist dieRealität verändern. Geschäftsleute finden das in der Regel ziemlich cool.

Wie läuft das ab?ROACH Es gibt vier Schritte: Als Erstesdefinieren Sie, was Sie erreichen wollen, Im zweiten Schritt pflanzen Sieeinen karmischen Samen. Dafür brauchen Sie eine andere Person. Sie müssenalso jemanden finden, der das Gleichewill wie Sie — wir nennen diese PersonIhren karmischen Partner. Wenn ichein Unternehmen gründen möchte,müsste diese Person ebenfalls ein Geschäft aufbauen wollen. Der dritteSchritt besteht darin, Ihrem Partnereine Stunde in der Woche zu helfen,sein Vorhaben umzusetzen. Sie schenken also ein wenig Ihrer Zeit jemandanderem.

Dann unterstütze ich ja im Zweifeleinen Wettbewerber. Wie soll mir das

bei meinem eigenen Projekt helfen?ROACH Ihre Aussage basiert auf derAnnahme, dass ein Markt wie einePizza ist: Wenn ich meinem Konkurrenten zwei Stücke gebe, bleiben nurnoch sechs für mich übrig. Menschenglauben fest daran, dass Märkte statischund begrenzt sind. Das sind sie nicht.Wenn ich jemandem eine Stunde proWoche helfe, auf dem Markt erfolgreichzu sein, wird der Markt expandieren,wovon ich wiederum selbst profitiere.

Und das funktioniert immer?ROACH Ja. Der Markt hat keine andere Wahl, weil er sich meinem Geistbeugen muss.

Den Satz müssen Sie erklärenROÄCH Als ich meine Studien beendethatte, trug mir mein Lama einendreijährigen Schweige-Retreat auf. Ichhatte also viel Zeit, meinen Geist zuerforschen. Dabei stellte ich fest, dassunser Gehirn alles, aber auch wirklichalles aufzeichnet. Wenn Sie beispielsweise einen Film sehen, können Sie ihntheoretisch auch zwei Jahre späternoch einmal vor Ihrem geistigen Augeablaufen lassen. Jede Handlung, jedes‘vVort und jeder Gedanke hinterlässtSpuren im Geist. Sie müssen allerdingsnachhelfen, denn der ganze Prozessläuft unbewusst ab. Das heißt: WennSie ihrem Geist einen Samen einpflanzen, müssen Sie ihn regelmäßig wäs5cm, sonst wird er nicht wachsen.

Wie wässert man einen Gedanken?ROÄCH Das ist der vierte Schritt. Esist eine Art Meclitation. Bevor Sie sichschlafen legen, schließen Sie die Au- -

gen, ruten Sie sich alle Details in Erinnerung, wie Sie Ihrem karinischenPartner geholfen haben, und freuen Siesich darüber. Das wiederholen Sie jeden Abend. Es ist wirklich einfach. Siemüssen dabei keine formelle Meditationshahung einnehmen. Das Karmaentfaltet sich auch so.

Entspricht Karma nicht dem Grundsatz, dass mir Gutes widerfährt, wennich anderen Gutes tue?ROACH Das würde bedeuten: WennSie einem armen Menschen zu einemEinkommen verhelfen, fließt auch irgendwann Geld in Ihre Richtung. Aberwir kennen alle Leute, die anderen helfen, dadurch aber um keinen Cent reicher werden. Manche verlieren sogarihr ganzes Vermögen. Unserem Verständnis nach liegt das daran, dass sieden guten Samen nicht wässern.

Einfach immer wieder daran denken,dann werden meine Gedanken Realität — das klingt nach Wunschdenken.ROACH Es gibt dafür eine physikalische Erklärung. Im Kloster wird esanhand eines Stifts erklärt. Ich sehe

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„VIELE MENSCHENAHNEN, DASSDER WETTBEWERBS-GEDANKE,AUFDEM UNSEREWIRTSCHAFTBERUHT, NICHTFUNKTIONIERT.“

darin ein Werkzeug zum Schreiben.Ein Hund aber sieht es als etwas, aufdem er kauen kann. Wer hat recht?Beide. Doch was passiert, wenn ich undder Hund den Raum verlassen? In demMoment ist es weder ein Stift noch einKauspielzeug, es ist gar nichts — unddies nennt man im Buddhismus Leerheit. Erst wenn ich den Raum wiederbetrete, wird der Gegenstand wiederzum Stift. Das zeigt, dass die Bedeutungvon mir kommen muss. In meinemGeist existiert etwas, das den Stift zu einem Stift werden lässt. Das ist der Samen, der aufgegangen ist. Das Tolle ist,dass wir diese Samen bewusst pflanzenund so die Realität verändern können.

Was wollen die Manager verändern,die bei Ihnen Seminare belegen?ROACH Im Allgemeinen haben sie fünfZiele: finanzielle Unabhängigkeit, einegute Beziehung, Gesundheit, Seelen-frieden und die Welt verbessern. Wennich Manager frage, was sie wollen, dannsagen sie meist zuerst „mehr Geld“.Aber wenn ich nachfrage, was sie damitanstellen wollen, dann geht es bei 90Prozent von ihnen am Ende darum, anderen zu helfen. Die Mär vom gierigenUnternehmer, die in der Offentlichkeitoft erzählt wird, stimmt nicht.

Wie überzeugen Sie Geschäftsleutevon einem spirituellen Ansatz, der sogar nichts mehr mit der rationalenBusinesswelt zu tun zu haben scheint?ROACH Manager wollen Beweise. Ichfinde das gut. Skepsis bedeutet, nichtzu glauben, was sich nicht beweisen

lässt. Die meisten spirituellen Ideen ergeben keinen Sinn, darum ist Spiritualität bei Unternehmern auch nichtweit verbreitet. Ich könnte diesen Teilnehmern Erfolgsgeschichten erzählen,aber Buddha sagte sinngemäß: Glaubenichts von dem, was ich sage, einfachnur weil du mich respektierst. Probierees aus. Wenn es funktioniert, nutze es.Wenn nicht, vergiss es.

\Vir fordern Manager also auf, unseren Ansatz mit einem kleinen, praktischen Experiment zu testen — vielleichtwollen sie innerhalb der nächsten zweiMonate eine Gehaltserhöhung bekommen oder den Umsatz ihres Unternehmens steigern. Die meisten lassen sichdarauf ein.

Der amerikanische Management-professor Adam Grant hat vor einigerZeit mit „Geben und Nehmen: WarumEgoisten nicht immer gewinnen undhilfsbereite Menschen weiterkommen“ einen weltweiten Erfolg gelandet. Haben Sie das Buch gelesen?ROACH Nein, aber es hört sich logischan. Viele Menschen ahnen, dass derWettbewerbsgedanke, auf dein unsereWirtschaft beruht, nicht funktioniert.Unser Modell basiert auf der Idee desTeilens. Es gibt im Buddhismus denGedanken, dass Nehmen Spannungkreiert — Geben ist viel menschlicher,viel natürlicher. Und wenn Sie mit demzufrieden sind, was Sie tun, dann fälltIhnen alles leichter. Das ist die Grundlage für Erfolg.

Mit MICHAEL ROACH sprach IngmnarHöhmawi, Redakteur des Harvard BusinessManagers.

NACHDRUCKNummer 201701042, siehe Seite 102oder www.harvardbusinessmanager.de© 2017 Harvard Business Manager

manager IoungeDer Businessclub des manager magazins

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* ‚1,Die Transtormatiom eines ‘.-

Taditionshauses in einedigitale Zukunft —

Hanse Lounge,Hamburg24.01.2017

Christian LindnerMdc, Bundesvorsitzender derFreien Demokraten, Vorsitzenderder FDP-Landtagsfraktion NRW

.v.

Carsten K. RathUnternehmer, Top 700 Keynote Speaker,Buchautor

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