Solarfassade mit Lehm und Kalk - applica.ch von... · 30 A P P L I C A 6 / 2 0 1 5 Text Achim Pilz*...

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30 APPLICA 6/2015 Text Achim Pilz* Bilder Achim Pilz und Rolf Canters Ein denkmalgeschütztes Riegelhaus hat einen modernen Luft-Wasser- Kollektor aus erneuerbaren Baustoffen erhalten. Auch Lehm und Kalk kamen zum Einsatz. So entstanden minimale Emissionen bei optimalem Materialein- satz. das europäischen GreenConServe-Programm förderte das Projekt. Solarfassade mit Lehm und Kalk

Transcript of Solarfassade mit Lehm und Kalk - applica.ch von... · 30 A P P L I C A 6 / 2 0 1 5 Text Achim Pilz*...

3 0 A P P L I C A 6 / 2 0 1 5

Text Achim Pilz*

Bilder Achim Pilz und Rolf Canters

Ein denkmalgeschütztes Riegelhaus hat einen modernen Luft-Wasser-

Kollektor aus erneuerbaren Baustoffen erhalten. Auch Lehm und Kalk kamen

zum Einsatz. So entstanden minimale Emissionen bei optimalem Materialein-

satz. das europäischen GreenConServe-Programm förderte das Projekt.

Solarfassade mit Lehm und Kalk

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Über die baubiologische Sanierung ei-

nes Dorfschulhauses von 1857 im

schwäbischen Murrhärle berichtete

die «Applica» im Heft 6/2011. Unter

anderem war der Fachwerkgiebel des

denkmal geschützten Riegelhauses in-

nen mit 5 cm Schilf gedämmt und mit

Lehm verputzt worden.

Unterdessen hat ihn der Bauherr Rolf

Canters, Inhaber des Inge nieurbüros

Bau Plusenergie und Baubiologe, wei-

ter erneuerbar optimiert. Im Rahmen

des GreenConServe-Programms für

mehr Klimaschutz baute er den südli-

chen Giebel in eine diffusionsfähige Ver-

suchsfassade mit einem Luft-Wasser-

Kollektor um.

Kollektor als Zentralheizung

Der Kollektor deckt den Brauchwas-

serbedarf zu 75 Prozent und produ-

ziert gleichzeitig warme Luft. Damit ist

er eine handwerklich erstellte Zentral-

heizung. Mit ihr erreicht die zugehörige

Dachwohnung Passivhausstandard. An-

ders als bei gängigen Systemen wurde

der Sonnenab sorber direkt auf eine mi-

neralische Putzschicht montiert, die eine

Aussendämmung schützt. Die Gebäude-

hülle wird dadurch nicht nur besser ge-

dämmt, sondern gewinnt rund siebenmal

mehr Energie als sie Wärme abstrahlt.

Die Energiegewinnfassade reduziert

den Heizwärme- und Lüftungsbedarf von

104 m2 Wohn'äche im Dachgeschoss

um bis zu 40 Prozent (Ausgangszustand:

Holzheizung und Warmwassererwärmung

mittels Elektroheizstab). Die realisier-

te CO2-Einsparung beträgt 3 bis 4 Ton-

nen pro Jahr.

Baubiologische Materialien

Wichtig war dem Baubiologen Canters,

nachhaltige Baumaterialien und eben-

solche Technikkomponenten einzuset-

zen. Die Unterkonstruktion ist aus Dou-

glasieholz, die eingesetzte Dämmung

aus Schilf. Zusammen mit Lehm und

Kalk ist die Fassade durchgängig dif-

fussionsfähig.

Die mineralischen Putze sind zu-

dem kapillaraktiv. So optimieren sie

das Feuchtemanagement der Fassade.

Da viele nachwachsende Rohstoffe ver-

wendet wurden, ist die CO2-Einlagerung

entsprechend gross. Das steigert die

Ef*zienz der Fassade noch einmal. Der

Aufwand für die Steuerung der Anlage

wurde minimiert.

Handwerkliche Ausführung

Für den wärmebrückenoptimierten

Einbau des Schilfs hinter die Holz-

konstruktion kombinierten die Fach-

leute eigene Ernte, Bundware und

Platten. Den Schiefstand der Fassa-

de glichen sie mit Dämmstärken von

5 bis 8 cm aus. Die Anschlüsse an die

Dachschräge waren mit Bundware ein-

fach zu schliessen. Für eine Reduk tion

der Wärmebrücken *xierte man das

Schilf mit Edelstahldrähten. Neben ei-

ner erheblich geringeren Wärmeleitfähig-

keit sind sie auch länger haltbar. Nach

dem Grundieren des Schilfs mit Lehm-

schlämme erfolgte das Verputzen in zwei

Schichten mit Wärmedämmlehm und fa-

serverstärktem Lehm. Als Schlagregen-

schutz in der Bauphase wurde zudem

teilweise ein farblich zu den bläulichen

Absorbern passender, durch Fasern ver-

stärkter Kalkputz aufgebracht.

Abstimmung mit dem Denkmalschutz

Viele Details wurden vor Ort entwickelt

und mit dem Denkmalamt abgestimmt.

Die ursprünglich eingeplanten Photo-

voltaikmodule kamen wegen des Ein-

spruchs der Behörde nicht zur Realisa-

tion. Die historisch belegte Wiederkehr

stellten die Handwerker wieder her.

Die Leitungen des Heizkreises sind

auch über Bauteile geführt und wärmen

diese. Leitungen mit höheren Tempe-

raturen laufen 12 Meter in der Wand

Altes Schulhaus mit moder-

nem Luft-Wasser-Kollektor:

Wo es möglich war,

kamen nachwachsende oder

mineralische Materialien

zum Einsatz.

* Freier Architekturjournalist in Stuttgart, [email protected]

Auf den Bestandputz

schraubten die Handwerker

die Unterkonstruktion aus

Douglasie auf. Die Fugen

wurden zum Insektenschutz

mit faser armiertem Kalk-

Sanierputz geschlossen.

Der Bestandputz erhielt

eine erneuerbare Schilf-

dämmung aus loser Ware

und Platten.

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Auf das geschlämmte

Schilf kam ein Lehm-

Wärmedämmputz.

Damit der Kalkputz zur Farbe

der Solarabsorbers passt,

ist er blau eingefärbt.

aus Kalkputz und Natursteinen. 25 Me-

ter laufen im Boden aus Terrazzo (aus

Jura- und Muschelkalksplitt sowie Zie-

gelmehl). Insgesamt werden zirka 3 Ton-

nen mineralische Baumaterialien durch-

strömt.

Ökobilanzierung

Für den Kollektor kamen nur erneuer-

bares Schilf und Holz sowie Glas, Kup-

fer, Kunststoffdichtungen und Edelstahl

zum Einsatz. Aluminium, das bei der Her-

stellung viel Energie benötigt, wurde auf

ein Minimum reduziert. Das System wur-

de nach den Kriterien der Deutschen

Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen

(DGNB) mit zwei am Markt vorhande-

nen Luft- und Warmwasser-Kollektorsys-

temen verglichen, und man erstellte eine

Ökobilanz. Der realisierte Hybridkollek-

tor schnitt dabei am besten ab.

Erste Ergebnisse

Das europäischen GreenConServe-Pro-

gramm förderte das wohngesunde und

bauphysikalisch robuste System. Eben-

falls bezuschusst wurde der Einbau von

Feuchte- und Temperatursensoren für

eine wissenschaftliche Auswertung. Die

ersten Ergebnisse übertreffen die Be-

rechnungen mit einem professionellen

Simulationsprogramm um über 15 Pro-

zent. Über einen sonnigen Wintertag

wurden fast 18 kWh geerntet. Das ent-

spricht einer Bioenergiemenge von fast

4 kg Holz pro Sonnentag. Zudem wird

Sonnen energie zur solaren Frischlufter-

wärmung geerntet. ■

Putzmaterialien

■ Wärmedämm-Lehmputz

5–10 mm, Claytec Grundputz mineral

mit 3–4 Vol. % Blähglas

■ Faserverstärkter Lehm-Deckputz

3–4 mm, Clayfix weiss, blau eingefärbt,

mit Flachsfasern

■ Kalk-Deckputz

ca. 5 mm, Marmorit SM 700