SOOO Schmetterlinge -ejn Abschiedsgruß für Brian · Auftritt der Rolling Stones seit eineinhalb...

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Fortsetzung von Seite 9 Beim Stones- Konzert im Hyde Park: SOOO Schmetterlinge -ejn Abschiedsgruß für Brian E s ist Mittag in London. Unbarmherzig brennt die Sonne seit Stunden auf 250000 Beat-Fans, die sich im Hyde Park versammelt haben. Alle leiden unter der Hitze, viele fallen um. Aber sie harren aus. Sie warten auf das Beat-Ereig- nis des Jahres: auf den ersten Auftritt der Rolling Stones seit eineinhalb Jahren - drei Tage nach dem Tod von Brlarr-Jones. Die Stones sind für 17 Uhr an- gesagt. Ab 13 Uhr vertreiben un- bekannte Bands der unüber- schaubaren Menge die Zeit. Um drei Uhr erreicht die Spannung ihren ersten Höhepunkt. Alexis Korner, der älteste Freund und Lehrmeister der Stones, steigt auf die Bühne. Er spielt fünf ge- fühlvolle Blues - Stücke im An- denken an Brian Jones, der die- se Musik so liebte. Immer wieder versuchen die Fans, näher an die Bühne her- anzudrängen. Sie werden durch "Hell's Angels", die furchterre- genden Rockergruppen, von der Veranstaltungsleitung als Ord- nungshüter eingesetzt,zurück- gehalten. Die Spannung wird unerträg- lich. Es ist 16.30 Uhr. Ich dränge mich hinter die Bühne und schaue mich dort um. Es ist kaum Prominenz zu sehen. Tony Hicks grinst herüber, Ginger Baker spielt mit seinen beiden Kindern, ich sehe Marianne Faithfull in einem weißen Batist- kleid. Sie ist barfuß. Die "Hell's Angels" bahnen einen W~g durch die Menge .. Jetzt! Eine "Grüne Minna", olivfarben, mit vergitterten Fen- stern, rumpelt direkt hinter die Bühne. Eine Tür wird aufgeris- sen. Mick, Chariie, Mick Taylor, Keith und Bill springen heraus und sprinten die 15 Meter bis zur Bühne. Dannsteht plötzllch Mick Jag- ger am Mikrophon. Er klammert sich förmlich daran fest - so, als suche er einen Halt. Er wirkt müde und endlos traurig. "Ruhe, Leute, bleibt ruhig! Ich möchte etwas über Brian Jones sagen." Mick spricht mit heise- BRAVO 10 rer Stimme ins Mikrophon. ,,10 weiß nur nicht, wie ich anfangen soll. Ich glaube, dieses Gedicht. von Percy Shelley (irischer Dich- ter) drückt alles aus, was wir im Moment über Brian denken." Bei diesen Worten zieht Mick ein schmales Bändchen hervor, schlägt es auf und liest mit lei- ser, tränenerstickter Stimme: "Frieden, Frieden. Er ist nicht tot, er schläft nicht. Er ist aus demTraum des Lebens erwacht." Mädchen beginnen zu weinen, hartgesottene Rocker kauen be- . troffen auf Strohhalmen. Dann steigen 5000 gelbe Schmetter- linge auf. Symbol für das kurze, bewegte Leben des toten Sto- nes-Gitarristen. Ein Abschieds- gruß für Brian. Leicht vorgebeugt steht Mick am Rand der Bühne, er blickt auf die aufsteigenden Schmet- terlinge und die unübersehbare Menschenmenge. Dann reißt er mit einer überraschenden Geste - so, als wolle er sich von sei- nem Kummer lösen - das Mikro- phon an sich: "Wir spielen jetzt, Brian hätte es so gewollt." Übergangslos fangen die Sto- nes an zu spielen. "Jumpin' Jack Flash" dröhnt aus den Lautsprechern. Mick springt wild hin und her. Er schreit, schüttelt dabei die Mähne, tänzelt im Rhythmus, reißt dann das Mikro- phon aus dem Ständer, schnei- det Grimassen, japst nach Luft, schleudert unentwegt das lange Mikrophonkabel auf der Bühne umher. Er singt - singt so mit- reißend und wild wie in den alten Stones-Zeiten. Ein Song jagt den anderen. Mick reißt sich das Hemd vom Körper. Ein Rau- nen geht durch die Menge. Mick ist mager, aber unheimlich sexy. Mick Jagger singt- 250 000 tanzen in Ekstase. "Brian hätte es so ge- wollt", sagte der Stones-Boß Die Mädchen lieben ihn. Man sieht es in ihren Gesichtern und ihren aufgerissenen Augen. Bei "No Expections" gönnt sich Mick eine Pause. Er setzt sich auf die Bühne und singt sanft und melancholisch. Langsam versinkt die Sonne hinter dicken Eichen. Im Hyde Park steigt die Stimmung zum brodelnden Hexenkessel. Mick singt "Love in Vain", dann die neue Single "Honky Tonk Wo- men" - ein Hammer. Es folgen "Gimme little Drink" und "Mid- night Rambler" von der neuen LP. Der Stones-Boß schafft sich immer mehr in die Show. Er bin- det den geldbeschlagenen Gür- tel ab und knallt ihn auf die Bühne, schmeißt sich hinterher. Immer weitersingend springt er wieder auf und tobt über die Bühne. Jetzt ist bei den Fans der Teufel los. Die Stones spielen ihren größ- ten Hit: "Satisfaction". Die Mas- sen sind nicht mehr zu halten. In einer Sekunde sind 250000 Menschen auf den Füßen und tanzen wie in Ekstase. 500000 zuckende Beine wirbeln eine riesige Staubwolke auf. Plötzlich stürmen ein Dutzend buntbehängter Neger mit Trom- meln auf die Bühne und steigen in die Show ein. Einer ist mit weißer Farbe beschmiert. Er tanzt zusammen mit Mick einen Höllentanz, "Satisfaction~' wird, endlos. Dann, mitten drin, läßt Mick sein Mikrophon einfach fal- len und stürzt von der Büh~e. Die anderen hinterher. Während die Neger weiterspielen, hasten die Stones die schmale Treppe von der Bühne herunter. "Glücklich?" frage ich Mick, Er sieht mich gar nicht und taumelt weiter. Er ist völlig fertig. Keith stürmt an mir vorbei. Dann laufen Charlie und Bill die .Treppen herunter. Als letzter kommt Mick Taylor, der Neue. "Das Größte!" stößt er keuchend hervor. Er läuft zum Auto. Die Hecktüren der "Grünen Minna" sind weit geöffnet. Mit Hechtsprüngen springen die Stones hinein. Ich kann kurz hin- einsehen: der Innenraum des Wagens ist mit Matratzen gepol- . stert. Die Türen knallen zu. Wie ein Spuk sind die Stones ver- schwunden. Die Menge jubelt, pfeift, kreischt. Wir haben sie wieder. Wir ha- ben sie wieder, die guten, alten, heißen, wilden Stones. Ich drehe mich um. Hinter mir steht Donovan mit seiner Gitarre in der Hand. Er schaut mich per- plex an und sagt dann: "Eigent- lich sollte ich jetzt auf die Büh- ne, um die Massen abzukühlen. Ich kann es nicht. Es gibt nie- mand, der nach diesen Stones auf die Bühne gehen könnte, Niemand."

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Page 1: SOOO Schmetterlinge -ejn Abschiedsgruß für Brian · Auftritt der Rolling Stones seit eineinhalb Jahren - drei Tage nach dem Tod von Brlarr-Jones. Die Stones sind für 17Uhr an-gesagt.

Fortsetzung von Seite 9

Beim Stones-Konzert imHyde Park:SOOOSchmetterlinge-ejnAbschiedsgrußfür Brian

Es ist Mittag in London.Unbarmherzig brennt dieSonne seit Stunden auf

250000 Beat-Fans, die sich imHyde Park versammelt haben.Alle leiden unter der Hitze, vielefallen um. Aber sie harren aus.Sie warten auf das Beat-Ereig-nis des Jahres: auf den erstenAuftritt der Rolling Stones seiteineinhalb Jahren - drei Tagenach dem Tod von Brlarr-Jones.Die Stones sind für 17 Uhr an-

gesagt. Ab 13 Uhr vertreiben un-bekannte Bands der unüber-schaubaren Menge die Zeit. Umdrei Uhr erreicht die Spannungihren ersten Höhepunkt. AlexisKorner, der älteste Freund undLehrmeister der Stones, steigtauf die Bühne. Er spielt fünf ge-fühlvolle Blues - Stücke im An-denken an Brian Jones, der die-se Musik so liebte.

Immer wieder versuchen dieFans, näher an die Bühne her-anzudrängen. Sie werden durch"Hell's Angels", die furchterre-genden Rockergruppen, von derVeranstaltungsleitung als Ord-nungshüter eingesetzt,zurück-gehalten.

Die Spannung wird unerträg-lich.Es ist 16.30 Uhr. Ich dränge

mich hinter die Bühne undschaue mich dort um. Es istkaum Prominenz zu sehen. TonyHicks grinst herüber, GingerBaker spielt mit seinen beidenKindern, ich sehe MarianneFaithfull in einem weißen Batist-kleid. Sie ist barfuß.Die "Hell's Angels" bahnen

einen W~g durch die Menge ..Jetzt! Eine "Grüne Minna",

olivfarben, mit vergitterten Fen-stern, rumpelt direkt hinter dieBühne. Eine Tür wird aufgeris-sen. Mick, Chariie, Mick Taylor,Keith und Bill springen herausund sprinten die 15 Meter biszur Bühne.

Dannsteht plötzllch Mick Jag-ger am Mikrophon. Er klammertsich förmlich daran fest - so, alssuche er einen Halt. Er wirktmüde und endlos traurig."Ruhe, Leute, bleibt ruhig! Ich

möchte etwas über Brian Jonessagen." Mick spricht mit heise-

BRAVO 10

rer Stimme ins Mikrophon. ,,10weiß nur nicht, wie ich anfangensoll. Ich glaube, dieses Gedicht.von Percy Shelley (irischer Dich-ter) drückt alles aus, was wir imMoment über Brian denken."Bei diesen Worten zieht Mickein schmales Bändchen hervor,schlägt es auf und liest mit lei-ser, tränenerstickter Stimme:"Frieden, Frieden. Er ist nichttot, er schläft nicht. Er ist ausdemTraum des Lebens erwacht."

Mädchen beginnen zu weinen,hartgesottene Rocker kauen be-. troffen auf Strohhalmen. Dannsteigen 5000 gelbe Schmetter-linge auf. Symbol für das kurze,bewegte Leben des toten Sto-nes-Gitarristen. Ein Abschieds-gruß für Brian.

Leicht vorgebeugt steht Mickam Rand der Bühne, er blicktauf die aufsteigenden Schmet-terlinge und die unübersehbareMenschenmenge. Dann reißt ermit einer überraschenden Geste- so, als wolle er sich von sei-nem Kummer lösen - das Mikro-phon an sich: "Wir spielen jetzt,Brian hätte es so gewollt."Übergangslos fangen die Sto-

nes an zu spielen. "Jumpin'Jack Flash" dröhnt aus denLautsprechern. Mick springt wildhin und her. Er schreit, schütteltdabei die Mähne, tänzelt imRhythmus, reißt dann das Mikro-phon aus dem Ständer, schnei-det Grimassen, japst nach Luft,schleudert unentwegt das langeMikrophonkabel auf der Bühneumher. Er singt - singt so mit-reißend und wild wie in denalten Stones-Zeiten. Ein Songjagt den anderen. Mick reißt sichdas Hemd vom Körper. Ein Rau-nen geht durch die Menge. Mickist mager, aber unheimlich sexy.

Mick Jagger singt-250 000 tanzen in Ekstase.

"Brian hätte es so ge-wollt", sagte der Stones-Boß

Die Mädchen lieben ihn. Mansieht es in ihren Gesichtern undihren aufgerissenen Augen.Bei "No Expections" gönnt

sich Mick eine Pause. Er setztsich auf die Bühne und singtsanft und melancholisch.Langsam versinkt die Sonne

hinter dicken Eichen. Im HydePark steigt die Stimmung zumbrodelnden Hexenkessel. Micksingt "Love in Vain", dann dieneue Single "Honky Tonk Wo-men" - ein Hammer. Es folgen"Gimme little Drink" und "Mid-night Rambler" von der neuenLP. Der Stones-Boß schafft sichimmer mehr in die Show. Er bin-det den geldbeschlagenen Gür-tel ab und knallt ihn auf dieBühne, schmeißt sich hinterher.Immer weitersingend springt erwieder auf und tobt über dieBühne. Jetzt ist bei den Fansder Teufel los.Die Stones spielen ihren größ-

ten Hit: "Satisfaction". Die Mas-sen sind nicht mehr zu halten.In einer Sekunde sind 250000Menschen auf den Füßen und

tanzen wie in Ekstase. 500000zuckende Beine wirbeln eineriesige Staubwolke auf.Plötzlich stürmen ein Dutzend

buntbehängter Neger mit Trom-meln auf die Bühne und steigenin die Show ein. Einer ist mitweißer Farbe beschmiert. Ertanzt zusammen mit Mick einenHöllentanz, "Satisfaction~' wird,endlos. Dann, mitten drin, läßtMick sein Mikrophon einfach fal-len und stürzt von der Büh~e.Die anderen hinterher. Währenddie Neger weiterspielen, hastendie Stones die schmale Treppevon der Bühne herunter."Glücklich?" frage ich Mick, Er

sieht mich gar nicht und taumeltweiter. Er ist völlig fertig.Keith stürmt an mir vorbei.Dann laufen Charlie und Bill die.Treppen herunter. Als letzterkommt Mick Taylor, der Neue."Das Größte!" stößt er keuchendhervor. Er läuft zum Auto.Die Hecktüren der "Grünen

Minna" sind weit geöffnet. MitHechtsprüngen springen dieStones hinein. Ich kann kurz hin-einsehen: der Innenraum desWagens ist mit Matratzen gepol-

. stert. Die Türen knallen zu. Wieein Spuk sind die Stones ver-schwunden. Die Menge jubelt,pfeift, kreischt.Wir haben sie wieder. Wir ha-

ben sie wieder, die guten, alten,heißen, wilden Stones.

Ich drehe mich um. Hinter mirsteht Donovan mit seiner Gitarrein der Hand. Er schaut mich per-plex an und sagt dann: "Eigent-lich sollte ich jetzt auf die Büh-ne, um die Massen abzukühlen.Ich kann es nicht. Es gibt nie-mand, der nach diesen Stonesauf die Bühne gehen könnte,Niemand." •