SoSe 08 30.06.2008 D.1 Theorien über Entwicklungs- und Lernprozesse und ihre Beeinträchtigungen...
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SoSe 0830.06.2008
D.1 Theorien über Entwicklungs- und Lernprozesse und ihre
Beeinträchtigungen
Themenblock III: Ausgewählte Beeinträchtigungen von Entwicklungs- und Lernprozessen und Möglichkeiten ihrer Beobachtung und Dokumentation
ADHS und ADHS-Diagnostik
Erscheinungsmerkmale Störungen der Aufmerksamkeit
Die Herstellung von Aufmerksamkeit ist ein aktiver psychologischer Prozess.
Einfluss motivationaler Prozesse
im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit: Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf aufgabenrelevante Reize zu fokussieren und –irrelevante Reize zu ignorieren.
im Bereich der Daueraufmerksamkeit: Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe über die Zeit aufrecht zu erhalten.
Erscheinungsmerkmale Impulsivität manifestiert sich als
Ungeduld, Schwierigkeit, abzuwarten und Bedürfnisse
aufzuschieben (motivationale Impulsivität), plötzliches, unüberlegtes Handeln (kognitive
Impulsivität).
Impulsivität kann zu Unfällen führen, zur Beschäftigung mit potentiell gefährlichen Aktivitäten
führen.
Erscheinungsmerkmale Hyperaktivität bezeichnet eine
desorganisierte, mangelhaft regulierte und überschießende motorische Aktivität,
exzessive Ruhelosigkeit, die besonders in Situationen auftritt, die relative Ruhe verlangen.
Hyperaktives Verhalten zeigt sich insbesondere in strukturierten und organisierten Situationen, die ein hohes Maß an eigener Verhaltenskontrolle erfordern.
Problematische Situationen in Familien mit hyperkinetischen Kindern
Klinische Population
Vergleichs-stichprobe
ProblemsituationenErhebliche Varianz der Stärke der Problematik
Verstärkung der Symptome in Situationen, die eine längere Aufmerksamkeits-
spanne oder geistige Anstrengung erfordern, Situationen, die den Reiz des Neuen verloren haben, Gruppensituationen (z.B. Spielgruppe, Klassen-
zimmer).
Abschwächung der Symptome in neuen Umgebungen, in 1:1-Betreuungssituationen, bei strenger Kontrolle, häufiger Belohnung, wenn die Lieblingsaktivität ausgeführt wird.
KomorbiditätBegleit- und Folgesymptomatik
Soziale Probleme im Kontakt mit Kindern Dominanz-/Kontrollstreben, z.T. mit erheblicher
Aggressivität, Verletzung von Grenzen und Regeln, Missachtung von
Aufforderungen, eher klammerndes und unreifes Sozialverhalten.
Oppositionelle Verhaltensstörungen (SOT) deutlich verminderte Frustrationstoleranz, häufige Wutausbrüche, 75% aller hyperkinetischen Kinder sind auch aggressiv
auffällig (Lehmkuhl & Döpfner, 2000).
KomorbiditätBegleit- und Folgesymptomatik
Verminderte Intelligenzleistungen 7-15 IQ-Punkte geringer Grund: verminderte Aufmerksamkeitsleistungen? Taylor et al. (1991):
Kinder mit ausgeprägter Hyperaktivität weisen keine verminderten Intelligenzwerte auf, wohl aber Kinder mit ausschließlicher Aufmerksamkeitsstörung!
Entwicklungs- und Schulleistungsdefizite schlechtere Schulnoten häufigeres Wiederholen einer Klasse, geringere Leistungen in Sprach-, Lese-, Rechtschreib- und
Rechentests. Grund: mit zunehmendem Alter Sekundärstörungen, wie
vermindertes Selbstwertgefühl, verminderte Leistungsmotivation…
KomorbiditätBegleit- und Folgesymptomatik
Emotionale Auffälligkeiten
mangelndes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten,
soziale Unsicherheiten,
Ängste 20-25% aller Kinder mit hyperkinetischen Störungen,
depressive Befindlichkeit 10-40% aller Kinder mit hyperkinetischen Störungen.
(Döpfner et al., 2000)
Teufelskreis des hyperkinetischen Kindes
Psychomotorische Unruhe
Außenseitertum Frustration
Depressive Reaktion Aggressive Abwehr
Prävalenz
Hyperkinetische Störungen 3,5-18% Verhältnis Jungen : Mädchen: 4-9 : 1 Starke Variation der Angaben in Abhängigkeit von
dem Alter der Kinder, ihrer Zugehörigkeit zu Risikogruppen, der Person, die die Kinder beurteilt (Lehrer, Erzieher, Eltern).
Oppositionelles Trotzverhalten 1,7-5% der Grundschulkinder 2,6-16% der Jungen, 2-9% der Jungen stark situationsabhängig im Vorschulalter
häufiger in der Familie (5,6%) als im Kindergarten (0,4%)
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10)
Unterschiede
Definition und Benennung hyperkinetischer Störungen DSM-IV: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-
störung ICD-10: hyperkinetische Störung bzw. einfache
Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
Für das ICD-10 liegen klinisch-diagnostische Leitlinien und Forschungskriterien (= exakte Operationalisierung der Diagnose) vor.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10)
Gemeinsamkeiten
Anhalten der Symptome: mind. 6 Monate Auftretensalter: < 7 Jahre Beeinträchtigungen durch die Symptome in zwei oder
mehr Lebensbereichen, Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in
sozialen, schulischen, beruflichen Funktionsbereichen.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10)
Ausschlusskriterien
tiefgreifende Entwicklungsstörung,
Schizophrenie oder andere psychotische Störungen,
Hyperkinetische Symptome sollten nicht durch eine andere psychische Störung besser beschrieben werden können z.B. affektive Störung Angststörung dissoziative Störung …
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10)
Subtypen im ICD-10
Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung (6 von 9 Kriterien), Hyperaktivität (3 von 5 Kriterien), Impulsivität (1 von 4 Kriterien), in mind. 2 Lebensbereichen.
Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1)
Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien (F84.4) Bei geistig behinderten Kindern mit schwerer motorischer
Überaktivität und ausgeprägt repetitiven und stereotypen Verhalten.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10)
Subtypen im DSM-IV Mischtyp
Aufmerksamkeitsstörung (6 von 9 Kriterien) Hyperaktivität/Impulsivität (6 von 9 Kriterien)
Vorherrschend unaufmerksamer Typ Kardinalsymptom: Aufmerksamkeitsstörungen
Vorherrschend hyperaktiv-impulsiver Typ Kardinalsymptom: Hyperaktivität/Impulsivität
Bei Jugendlichen und Erwachsenen, die Symptome zeigen, die nicht mehr alle Kriterien erfüllen, wird eine ADHS „in partieller Remission“ spezifiziert.
Klassifikationen(nach DSM-IV und ICD-10)
Aufmerksamkeits-störung
Hyperaktivität Impulsivität
F90.0Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung+ +
situationsübergreifend+
Störung des Sozialverhaltens
F90.1Hyperkinetische Störung des
Sozialverhaltens
Aufmerksamkeitsstörung Hyperaktivität/Impulsivität
Aufmerksamkeitsstörung
AufmerksamkeitsstörungHyperaktivität/Impulsivität
Hyperaktivität/Impulsivität
situationsübergreifend
+
situationsübergreifend
situationsübergreifend
Mischtyp:Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung
Vorwiegend unaufmerksamer Typ:
Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung
Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ:
Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung
Diagnosen nach ICD-10
Diagnosen nach DSM-IV
FörderdiagnoseBedingungsmodell als Ausgangspunkt
Ursachen Prozesse Ebenen
Genetische Disposition
Nahrungsmittelzusätze?
Hirnschädigung?
Störungen des Neurotransmitter-Stoffwechsels (v.a. Dopamin) und
andere zerebrale Störungen
Biologie + Neurophysiologie
Störungen der Selbstregulation (mangelnde Hemmung von Impulsen)
Hyperkinetische Symptome
Zunahme an negativen Interaktionen mit Bezugspersonen
komorbide Symptome
Ungünstige Bedingungenin Familie und Schule
Neuropsychologie
Symptome
Interaktionen
Komorbidität
Integratives Modell von Barkley (1989)
Förderdiagnose
Problemanalyse mit dem Lehrer, Einholung von Informationen aus der Schule.
Problemanalyse mit den Eltern zum Verhalten in der Familie Erfassung der Störungsgeschichte Begleitstörungen
Leitfaden zur Verhaltensanalyse
Förderdiagnose
Differenzialdiagnostische Einordnung anhand eines anerkannten Klassifikationssystems
Checkliste „Verhaltensmerkmale der hyperkinetischen Störung“ (Lauth & Heubeck, 2006)
Checkliste „Verhaltensmerkmale einer Störung mit oppositionellem Trotzverhalten“ (Lauth & Heubeck, 2006)
Förderdiagnose
Beobachtung des Interaktionsverhaltens im Unterricht
Münchner Aufmerksamkeitsinventar (MAI, Helmke & Renkl, 1992)
Beobachtungsverfahren zur Analyse von aggressionsbezogenen Interaktionen im Schulunterricht (BAVIS, Humpert & Dunn, 1988)
Beobachtungsbogen für aggressives Verhalten (BAV, Petermann & Petermann, 2005)
Förderdiagnose
Beobachtung in anderen kritischen Situationen (Hausaufgaben)
Strukturierung der Situation durch die Eltern? Verstärkung positiven Verhaltens? Hilfen und deren Angemessenheit? Emotionale Qualität der Interaktion? Reaktionen der Eltern auf Fehler? Eskalierende Interaktionsverläufe?
Differentialdiagnostik Altersgemäße Verhaltensweisen bei aktiven Kindern
besonders in der frühen Kindheit schwierig bei schulischer Über-/Unterforderung bei Intelligenzminderung als Folge chaotischer psychosozialer Bedingungen
rasche Besserung der Symptome, wenn sich das Kind längere Zeit in einem besser strukturierten Umfeld befindet.
Oppositionelle Verhaltensweisen keine Aufmerksamkeitsschwäche, motorische Unruhe
Psychomotorische Erregung und Konzentrations-störungen bei affektiven und Angststörungen Auftreten > 7. Lebensjahr, weniger kontinuierlicher Verlauf
Förderschwerpunkte
Arbeits- und Aufmerksamkeitsverhalten, Selbststeuerungsfähigkeit Selbstinstruktionstrainings soziale Wahrnehmung, Ärger- und Impulskontrolle, sozialen Kompetenzen.
Indikation einer Pharmakotherapie mit Stimulanzien abklären!
Einbezug der Eltern in den Förderplan (Elterntrainings wie THOP)
Literatur
Lauth, G.W. & Mackowiak, K. (2006). Diagnostik bei hyperkinetischen und oppositionellen Störungen. In U. Petermann & F. Petermann (Hrsg.), Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs. Tests und Trends, Band 5 (S. 67-88). Göttingen: Hogrefe.
Döpfner, M., Schürmann, S., Frölich, J. (2002). Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP). Weinheim: Beltz.Daraus: Kapitel I Störungsbild und Behandlungsansätze (S. 3-54).