Sozialisation in terroristischen Gruppen

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Lebenslaufanalyse: Ulrike Meinhof

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Werner-von-Siemens-Gymnasium Magdeburg

Schuljahr: 2006/2007

Fach: Sozialkunde

Fachlehrer: Herr Dr. Seiler

Verfasser: Marcel Bassüner

Facharbeit zum Thema: Sozialisation in terroristischen Gruppen –

Lebenslaufanalyse: Ulrike Meinhof

Magdeburg, 10.11.2006

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Gliederung

1 Einleitung

2 Lebenslaufanalyse: Ulrike Meinhof

2.1 Sozialisation in Kindheit und Jugend

2.2 Politisierung

2.3 Radikalisierung

3 Fazit

4 Literaturverzeichnis

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Einleitung

Am 11.September 2001 flogen zwei von Terroristen gekidnappte Flugzeuge in das

World Trade Center und zerstörten beide Tower. Erst kürzlich stellten Studenten

am Koblenzer Bahnhof Koffer ab die mit Bomben gefüllt waren, ab. Wie werden

normale Mensche, z.B. Studenten zu fanatischen Attentätern oder Geiselneh-

mern?

Diese Facharbeit beschäftigt sich mit der Sozialisation in terroristischen Gruppen.

Definition Sozialisation

„Sozialisation ist begrifflich zu fassen als der Prozess der Entstehung und Entwick-

lung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlichen

vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei die

Frage, wie der Mensch sich zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt

bildet“1

Um das Thema etwas zu Einzugrenzen beschränkt sich die Ausarbeitung auf die

terroristische Gruppe RAF in der ersten Generation. Genauer wird eine Biographi-

sche Analyse der Lebensläufe von Ulrike Meinhof durchgeführt. Bei der sich her-

ausstellen soll, wie es dazu kommen konnte, dass Meinhof, die aus gutbürgerli-

chen Verhältnissen stammt, sich einer terroristischen Verbindung anschloss und

auf aggressive Weise gegen ihren eigenen Staat vorging.

Dazu wurde eine Problemfrage formuliert:

Inwiefern zeigt sich, in dem Sozialisationsprozess von Meinhof, ihre terroristische

Entwicklung?

1 Hurrelmann, K. und Ulrich, Dieter (Hrsg.), Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim und Basel, Belitz, 1980.

S.51

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2 Backes, Uwe: „Wir wollten alles und gleichzeitig nichts“ In: „Beruf: Terrorist“ (Beck’sche Reihe). Originalausgabe. Hg.

Von Waldmann, Peter. München: Beck, 1993. S.152

3 Dr. Böllinger, Lorenz: „Terrorismus als psychosozialer Prozess. 1. Frühphase: Sozialisation in der Familie“ URL: http://www.bpb.de/veranstaltungen/XNQLID,0,0,Terroristisches_Handeln_als_psychosozialer_Prozess.html (Stand:

06.11.06)

4 Ebd.

5 URL:http://www.whoswho.de/templ/te_bio.php?PID=722&RID=1 (Stand:09.11.06)

6 Krebs, Mario: „Ulrike Meinhof. Ein leben im Widerspruch.“. Originalausgabe. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag

GmbH, 1988. S.16

7 Wunderlich, Dieter: „Ulrike Meinhof (Biographie). 1934 – 1976. Moral und Terror.“. URL: (Stand:09.11.06 )

8 Krebs: a.a.O. S.18

Lebenslaufanalyse: Ulrike Meinhof

Die Texte der folgenden Abschnitte sind drei geteilt. Anfangs wird auf die zugrun-

de liegende Theorie eingegangen. Im zweiten Teil auf den dazugehörigen Le-

bensabschnitt der Ulrike Meinhof behandelt. Im letzten Teil wird der Bezug zwi-

schen Beidem noch einmal zusammenfassend dargestellt.

Sozialisation in Kindheit und Jugend

Konflikte im Elternhaus2 und andere psychische Belastungen3 spielen in dieser

entscheidenden Phase der individuellen Entwicklung eine entscheidende Rolle. Je

defizitäre diese sozialen Beziehungen erlebt werden desto stärker zeigt sich die

Tendenz zur psychischen Stabilisierung durch Vermeidung von Konflikt Situatio-

nen4.

Ulrike wurde im Mai 1934 in Oldenburg5, als zweite Tochter der sozialdemokra-

tisch orientierten Familie Meinhof geboren6. Schon in dieser frühkindlichen Phase

bekam sie die negativen folgen des im Aufschwung begriffenen Nationalsozialis-

mus zu spüren. Aufgrund des frühen Todes ihres Vater 1940 in folge eine Krebs-

erkrankung7, stand ihr Mutter mit den beiden Kinder plötzlich alleine da.

Weiterhin musste sie erleben, dass ihre Patentante und der Vater einer Freundin

durch das Naziregime verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt wurden8. Dies

hinterließ bei ihr einen bleibenden Eindruck.

Noch während des Krieges zog Mutter Meinhof nach Jena, um dort ein Studium

zu beginnen9. Hier lernte Ulrike Renate Riemeck, eine Studienkameradin ihrer

Mutter kennen, die schon damals eine linke Gesinnung hatte und den Nationalso-

zialismus ablehnte. Renate Riemeck zog mit in die gemeinsame Wohnung und

stellte für Ulrike eine Art Zweitmutter dar10.

Das Ende des Krieges erlebte Ulrike als weiteres einschneidendes Erlebnis.

Schon zu dieser Zeit hatte sie erkannt, dass der Nationalsozialismus nicht durch

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das deutsche Volk selbst beseitig wurde, sondern durch die Mehrheit des deut-

sche Volkes geduldet, nicht gesehen, zeitweise bejubelt und am Ende stumpf er-

tragen wurde11.

Diese von außen wirkenden negative Erfahrung folgte 1949 ein weiterer Einschnitt

im Leben der Ulrike, da nun auch ihre Mutter, in Folge von Unterernährung wäh-

rend einer Krebsoperation starb.12

Renate Riemeck nahm nun die Mutterstellung ein.13 Die Lebensumstände, insbe-

sondere die Tätigkeit der Pflegemutter und Rücksichtnahme auf die Schwerster,

zwangen Ulrike schon früh zur Selbständigkeit.

Ihre weitere Entwicklung war geprägt durch den Einfluss ihrer Pflegemutter Rena-

te Riemeck, die sich in der Nachkriegszeit für die Friedensbewegung engagierte.

Ihre schulische Ausbildung spielte eher eine untergeordnete Rolle, obgleich die

kontakt- und diskutierfreudige Gymnasiastin eigene Werte hatte und diese glaub-

haft zu vertreten verstand.

Schon als Jugendliche engagierte sie sich für die „Europa- Bewegung“ einer Art

Friedensbewegung.14 Später kam sie jedoch zu dem Schluss, dass diese Bewe-

gung eher realitätsfremd ist und die Entwicklung in Deutschland nicht beeinflussen

kann.15

1955 macht Ulrike ihr Abitur.16

Die tief greifenden Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und den damit ver-

bundenen Verlusten hatten großen Einfluss auf die Ulrikes weiteres Leben.

Es kann festgestellt werden, das die Geschehnisse der vergangen Jahre bei Ulri-

ke eine tiefe Angst vor Verlusten hervorbrachte.17 Sie entwickelte schon früh die

Fähigkeit Konflikte und Anfeindungen auszuhalten, was eine Aussetzung ihrer

emotionalen Entwicklung während ihrer Teenagerzeit bewirkte.18 Dies kommt ei-

ner Schutzhaltung gleich. Darüber hinaus entwickelte sich ein Sinn für Treue und

Kameradschaftlichkeit.

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19 Dr. Böllinger, Lorenz: „Terrorismus als psychosozialer Prozess. 2. Integration in Gegenkulturen“ URL:

http://www.bpb.de/veranstaltungen/XNQLID,0,0,Terroristisches_Handeln_als_psychosozialer_Prozess.html (Stand:

06.11.06)

20 Dr. Böllinger, Lorenz: „Terrorismus als psychosozialer Prozess. 3. Homogenisierung des Umfeldes“ URL:

http://www.bpb.de/veranstaltungen/XNQLID,0,0,Terroristisches_Handeln_als_psychosozialer_Prozess.html (Stand:

06.11.06)

21 URL: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MeinhofUlrike/index.html (Stand: 06.11.06)

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23 Ebd. S.30f

24 Ebd. S.35

Politisierung

Dieser Entwicklungsprozess ist gekennzeichnet durch die Bereitschaft die konflikt-

reichen Defizite der Jugend auszugleichen, in dem man sich Gruppierungen mit

kontrastierender Denk- und Lebensweise anschließt. Es wird der „Situation des

Leidens“ entgegen gewirkt. Es erfolgt ein Verlassen der gewohnten Umwelt. Die

Gruppierung nimmt die Rolle der früheren Familie ein und bewirkt eine Nachsozia-

lisation. Daraus ergeben sich neue politische und kulturelle Ziele, der Gruppierung

entsprechend. Der Anspruch auf aktive Mitbestimmung wächst. Die meist abwei-

chenden Denkformen treffen bei der kritisierten Gesellschaft oft auf Ablehnung,

verbunden mit repressiven Reaktionen. Dies wird wiederum als Bestätigung der

Gruppenziele angesehen und fördert den Widerstand außerhalb demokratischer

Regeln.19

Die Kontakte beschränken sich auf Gleichgesinnte und ähnlich orientierte Grup-

pen. Konkurrierende Denkansätze werden nicht zugelassen und es erfolgt eine

gegenseitige Bestätigung des Welt- und Realitätsbildes. Dies geht einher mit einer

wachsenden Ablehnung durch die Gesellschaft, wobei ein Isolationsprozess ein-

setzt.20

Nach dem Krieg regte sich in der Gesellschaft auf Grund der drohenden Wieder-

bewaffnung vereinzelt Widerstand, auch bei der Studentenschaft.

Nach dem Abitur beginnt Ulrike Meinhof 1955 ein Studium der Philosophie, Päda-

gogik, Soziologie und Germanistik in Marburg21 und erhält ein Stipendium zur Eli-

teförderung.22

Ihr blieb nicht verborgen, dass die Mehrheit der Studenten politisches Engage-

ment eher ablehnten, teilweise verhöhnten und die benannten Widerstände abge-

ebbte waren.23

Wegen konträrer Meinungen zum Thema der militärischen Nutzung von Atom-

energie, scheitert in der Folge Ulrikes Beziehung zu einem Studenten der Atom-

physik.24

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26 URL: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MeinhofUlrike/index.html (Stand: 06.11.06)

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Um Abstand zu gewinnen, studierte Ulrike Meinhof in Münster weiter. Mittlerweile

war sie Mitglied im SPD- nahen Sozialistischen Deutschen Studentenbund.26

Der Kalte Krieg zwischen den Supermächten Sowjetunion und USA und den je-

weiligen Verbündeten DDR, BRD und anderen entwickelt sich. Das Wettrüsten

hatte begonnen.

Die Anhänger des SDS lehnten die zunehmenden Bestrebungen der Bundesre-

gierung und den Einfluss der USA bei der Stationierung von Waffen auf dem Ge-

biet der Bundesrepublik ab. Ulrike engagierte sich im Rahmen von Arbeitskreisen

für ein Kernwaffenfreies Deutschland. Trotz mehrheitlicher Ablehnung in der Be-

völkerung hatte die Adenauer Regierung Entscheidungen zum NATO Beitritt, der

Stationierung von Mittelstreckenraketen und die Ausrüstung der Bundeswehr mit

Atomsprengköpfen für den Kriegsfall, getroffen.27

Meinhof selber organisierte selber Flugblattaktionen für geplante deutschlandweite

Kundgebungen, sprach mit Professoren und sammelte Spenden bei Freunden.

Sie versuchte auf diese Weise neue Anhänge und Unterstützer zu finden. Sie trat

immer sehr emotional auf und eher weniger aus politischer Überzeugung. Ihr ging

es immer um das zu erwartende Leid der Bevölkerung, was sie in ihrer Jugend

selber durch das Naziregime erdulden musste. Diese Bedrohung sah sie nun wie-

der.28

Es kam dann am 20.Mai 1958 zu den erste großen bundesweiten Kundgebungen

mit anschließenden Schweigemärschen gegen Atomwaffen.29

Die linksgerichtete Studentenzeitung „konkret“ berichtete über diese Aktivitäten

und fühlte sich schon bald als Sprachrohr dieser Bewegung. Der SPD- nahe Kern

des SDS wollte mit dieser Zeitung aber nicht in Verbindung gebracht werden, weil

sie als kommunistisch orientiert bekannt war.30

Im Zuge der Diskussion über die Ablehnung der Zeitung, hatte Ulrike Meinhof die

Möglichkeiten genutzt und sich über den Hintergrund der Zeitung informiert. Sie

konnte sich mit deren Beiträgen identifizieren und schrieb erste Kolumnen für die-

se Zeitung, die sich nicht nur dem Kampf gegen Atomwaffen, sondern mittlerweile

dem Kampf für Demokratie widmeten.31

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33 Ebd. S.61ff

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35 URL: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MeinhofUlrike/index.html (Stand: 06.11.06)

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37 Ebd. S.118ff

Die SPD distanzierte sich in dieser Zeit immer mehr von linken Ideen. Die Mitbes-

timmungsmöglichkeiten für den SDS schränkten sich immer mehr ein. Unter dem

Druck der SPD schloss der SDS in der Folge alle Mitglieder der Zeitung „konkret“

aus ihrem Bund aus.32

Auch Ulrike wird vor die Wahl gestellt, entschließt sich aber für die KPD- nahe Zei-

tung „konkret“. Die KPD war durch die Regierung mittlerweile verboten worden. In

Erinnerung des Verbotes der KPD durch die Nazis, trat Meinhof der KPD bei, da

sie die Adenauer Regierung mittlerweile als ähnliches Regime ansieht.33

Einige Zeit später wurde sie auf Grund des großen Zuspruchs aus studentischen

Kreisen, ihre Kolumnen betreffend, Chefredakteurin der Zeitung „konkret“. Ge-

meinsam mit dem Gründer der Zeitung, Klaus Rainer Röhl, entschied Meinhof die

Inhalte der Zeitung und Zielgruppe zu erweitern. Die Zeitung sollte nicht nur auf

Studenten, sonder auch auf die links gerichtete Bevölkerung zugeschnitten sein

und auch im Niveau angehoben werden. Diese Entwicklung stieß intern auf Wi-

derstände, denen Meinhof recht rüde entgegenwirkte.34

Aus der redaktionellen Beziehung mit Röhl wird eine private und beide heiraten

1961. Röhl hat großen Einfluss auf Meinhof und sie unterwirft sich diesem, um

jeglichen Konflikten zu entgehen. Sie duldet auch den wilden Lebensstil ihres

Partners, der als Störer bei öffentlichen Veranstaltungen in Erscheinung tritt.

1962 gebiert Ulrike Meinhof Zwillinge.35

Einen neuerlichen Höhepunk der ablehnenden Haltung Meinhofs zur Regierung

der BRD, ergibt sich aus dem bekannt werden der unterstützenden Haltung der

Bundesregierung gegenüber der Vietnamkrieg, der durch den Springer Verlag und

dessen Zeitungen in Absprache mit der Regierung verschönt und verharmlost

wird. Auch der Erlass der so genannten „Notstandsgesetze“ trifft sie. Diese erin-

nern sie an die so genannten „Ermächtigungsgesetze“ der Nationalsozialisten.

Emotional mitgenommen sieht sie die einzige Hoffnung des Widerstandes in der

mittlerweile gebildeten außerparlamentarischen Opposition.36

Auf Grund von wiederholten Meinungsverschiedenheiten in der Redaktion, schrieb

Meinhof in der Folge nur noch Kolumnen und berichtete im Rundfunk über soziale

Brennpunkte, insbesondere über Problem der Unterschicht und von Heimkindern.

Sie ruft im Rahmen einer Radiosendung die Betroffenen von Benachteiligungen

erstmals zum Kampf auf.37

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39 Wunderlich, Dieter: „Ulrike Meinhof (Biographie). 1934 – 1976. Moral und Terror.“. URL:

http://www.dieterwunderlich.de/Meinhof.htm (Stand: 09.11.06)

Zwischenzeitlich hatten sich berufliche und private Vorstellungen Meinhofs und

ihres Mannes Klaus Rainer Röhl so weit von einander entfernt, dass es zur Tren-

nung kommt.

Meinhof siedelt nach West-Berlin über und arbeitet dort als Journalistin für das

Fernsehmagazin "Panorama".

Sie sympathisiert weiterhin mit der protestierenden Studentenbewegung und

schließt sich der APO (Außerparlamentarischen Opposition) an. Sie erfährt vom

Tod des Studenten Benno Ohnesorg bei einem Polizeieinsatz im Zusammenhang

mit Studentenprotesten.39

Ulrike Meinhof sieht in der beschriebenen Lebensphase bezüglich der Entwicklung

in der noch jungen Bundesrepublik Parallelen zum Nationalsozialismus. Wie

schon zuvor bemerkt, engagierte sie sich gegen Atomwaffen weniger aus politi-

schen Motiven, sondern um die Bevölkerung vor weiteren Verlusten zu bewahren,

wie sie sie selbst in ihrer Kindheit erlebt hat. Auch bemerkt sie, dass linke Kräfte

durch Beschneidung von Mitspracherechten und sogar Verbot eher unterdrückt

werden. Gleichgesinnte findet sie zunächst im SDS und später im Kreise der Mit-

arbeiter der Zeitung „konkret“. Hier vertritt sie linke Ideen und greift die Regierung

in ihren Beiträgen an. Eine Abkehr von den allgemeingültigen Gesellschaftlichen

Zielen und Wertvorstellungen ist erkennbar. Insbesondre greift sie die Bundesre-

gierung unter Adenauer in Beiträgen an, da sie der Meinung ist, dass diese das

Wettrüsten schürt und Kriegshandlung verschönt. Sie erkennt, dass der Großteil

der Gesellschaft diese Entwicklung duldet und sieht wiederum Parallelen zum Na-

tionalsozialismus.

Den vorläufigen Höhepunkt ihrer Aktivitäten stellt eine Radiosendung dar, in der

sie zum Beispiel die betroffene Unterschicht zum Kampf aufruft.

Auch in dieser Lebensphase spiegeln sich Abwehrmechanismen aus ihrer Ju-

gendzeit wieder. So ertrug sie die Eskapaden ihres Ehemannes und entlud, dem

entgegen, ihre Emotionen in ihren Kolumnen und ihrem Engagement im Zusam-

menhang mit Protestaktionen.

Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass ihr Engagement zwar einer politischen

Richtung folgte, ihre Motive aber eher emotionaler Natur waren.

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40 Dr. Böllinger, Lorenz: „Terrorismus als psychosozialer Prozess. 3. Homogenisierung des Umfeldes“ URL:

http://www.bpb.de/veranstaltungen/XNQLID,0,0,Terroristisches_Handeln_als_psychosozialer_Prozess.html

(Stand: 06.11.06)

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Radikalisierung

In diesem Entwicklungsabschnitt baut die Gruppe unter der entstandenen Isolation

ein eigenes Bezugs- und Wertesystem auf, wodurch Erwartungshaltungen den

Mitgliedern gegenüber entstehen. Können an sie gestellte Erwartungen nicht er-

füllt werden, entsteht bei den Betroffenen ein Schuld- beziehungsweise ein

Versagensgefühl. Somit werden Handlungen außerhalb gesellschaftlicher Gesetze

legitimiert, um den Willen der Gruppe durchzusetzen, ohne auf Gewissenskonflikte

zu stoßen. Aus Angst die neu gewonnene emotionale Binding zur Gruppe wieder

zu verlieren, kommt es zu einer Übersteigerung des moralischen Wertesystems,

um die eigenen Skrupel zu überwinden. Bei diesem Prozess führen individuelle

Allmachtsphantasien, die ursprünglich zur Abwehr von Ohnmachtsgefühlen geeig-

net schienen, zur Planung und Durchführung militärischen Aktionen, bei denen es

zu Gewalt beziehungsweise zur Tötung der politischen Gegner kommt. Die per-

manente Verfolgungsangst in der Illegalität, lassen, angesichts der schon zu er-

wartenden Strafe, weitere Straftaten risikolos erscheinen. Zwangsläufig kommt es

immer wieder zu Folgekriminalität aus Versorgungs- und Sicherheitsgründen.40

Mittlerweile besucht Ulrike Meinhof wieder Treffen des SDS, nicht als eigentlicher

Anhänger, sondern als interessierte Zuhörerin. Sie ist fasziniert von den politi-

schen Diskussionen und lernt bei diesen Treffen Rudi Dutschke. Sie findet in ihm

einen gleich gesinnten Gesprächspartner für politische Diskussionen und pflegt

mit ihm auch soziale Kontakte, die ihr bislang in Westberlin kaum möglich waren.

Monate später wird Rudi Dutschke auf offener Straße erschossen. Der Täter war

ein Hilfsarbeiter aus München, der offensichtlich von rechter Propaganda zu die-

ser Tat getrieben wurde. Er hatte den Artikel einer neofaschistischen Zeitung bei

sich.41

In Veranstaltungen des SDS wurde in der Folge spekuliert, dass der Tod Dutsch-

kes nur die Konsequenz der systematischen Hetze des Springer-Verlags und des

Senat- West- Berlins ist.42

Es folgt eine Spontandemonstration mit dem Ziel des Verlagsgebäudes Springer.

Als Journalistin verfolgt Ulrike die Demonstration und erlebt erstmalig mit, wie

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45 Ebd. S.180ff

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durch die aufgebrachte Menge Steine in Fenster des Verlagsgebäudes geschleu-

dert werden. Ein Verlagsauto wird in Brand gesteckt und eine Blockade aus Autos

errichtet, um die weitere Auslieferung von Zeitungen zu verhindern. Ulrike sympa-

thisiert mit den Gewaltbereiten. In dieser Situation erkennt sie erstmalig ihren Wil-

len sich an den Gewalttaten zu beteteiligen. Ihr Intellekt hält sie jedoch davon ab,

sich aktiv zu beteiligen. 43

Beeindruck von diesen Ereignissen, bringt Ulrike wenig später ihre Bewunderung

gegenüber dieser Bewegung zum Ausdruck, die den Mut haben solche Methoden

zu ergreifen und nicht nur passiv und in aller Stille Widerstand zu leisten. Zunächst

nimmt sie aber auch weiterhin nur eine beobachtende Rolle als Journalistin ein.

Im Oktober 1968 lernt sie im Rahmen ihrer Berichterstattung über den Prozess zur

Kaufhausbrandstiftung, in Frankfurt, die Angeklagten Andreas Baader und Gudrun

Ensslin kennen.44

Sie verfolgt den Prozessverlauf und insbesondere die von Bader und Ensslin ge-

schilderten Motive. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Brandanschläge nicht

geeignet sind politische Forderungen durchzusetzen. Ungeachtet dessen ist sie

wiederum beeindruckt von der Konsequenz und Radikalität politischer Gruppen.

Die Geschehnisse nach dem Tod Rudi Dutschkes und die Erfahrungen mit ge-

waltbereiten Gruppierungen, setzten bei ihr einen Umdenkprozess in Gang.

Sie hält im Ergebnis gesetzlich verbotene Handlungen für legitim, wenn sie einem

politischen Ziel folgen, welches auch ihren Interessen entspricht.

Aufgrund einer kommerziellen Entwicklung der Zeitung „konkret“ trennt sich Ulrike

zwischenzeitlich von dieser und wird freie Journalistin in Westberlin.

Mangelnde soziale Kontakte bringen Ulrike dazu in eine WG in West-Berlin einzu-

ziehen. Hier ist sie mit Bekannten aus früheren Jahren zusammen.45

Sie beschäftigt sich im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit mit dem „Projekt

Staffelberg“, was sich mit Veränderung in Jugendheimen auseinandersetzt. Die-

ses Projekt verfolgt das Ziel die freiheitliche Entwicklung von Jugendlichen in Hei-

men zu fördern, in dem sie die Heime durch die Jugendlichen selbst leiten lassen

und nicht durch staatlich eingesetzte Erzieher. 46

Hier freundet sie sich mit Gudrun Ensslin an. Die Frauen erkennen bei sich viele

Gemeinsamkeiten, da auch Gudrun allein erziehende Mutter ist und politisch ähn-

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lich orientiert ist wie Ulrike.

Auf Grund der Zersplitterung ihrer politischen Diskussionsrunden in der Folgezeit,

fühlt sich Ulrike isoliert und hat kaum noch Möglichkeiten gleich Gesinnte zu tref-

fen.

Im Februar 1970 tauchten Bader, Ensslin und der APO Anwalt Horst Maler bei

Ulrike auf. Alle drei waren zu Haftstrafen verurteilt worden und suchten Unter-

schlupf. Isoliert und allein gelassen, begrüßte Ulrike die Anwesenheit der Drei und

nahm sie bei sich auf. 47

Die Drei sahen sich als militante Sozialrevolutionäre. Ulrike verfolgte ihre Gesprä-

che sozusagen als Zaungast. Später organisierte sich die Gruppe eigene Woh-

nungen und gefälschte Papiere. Ulrike hielt aber einen regelmäßigen Kontakt auf-

recht, um einer wiederholten sozialen Isolation entgegen zu wirken.

Die Gruppe um Bader versucht in dieser Zeit die Stadt zur Unterstützung sozialer

Projekte zu zwingen und verleiht ihren Forderungen z.B. durch einen Brandan-

schlage Nachdruck. Weiterhin versuchte die Gruppe sich Waffen zu organisieren.

Meinhof wird hier nicht aktiv und kämpf wiederum mit ihren inneren Konflikten

Gewalt selbst auszuüben.48

Mittlerweile hat Ulrike eine Festanstellung an einem Institut.

In Folge der Agententätigkeit eines getarnten Verfassungsschutzmitarbeiters wird

Baader im April 1970 verhaftet.49

Gudrun und Horst Maler planen die Befreiung Baders. Es wird geplant Bader unter

dem Vorwand an einem Buch mitzuwirken, aus dem Gefängnis zu holen. Ulrike

wird eingeweiht, da sie dieses vermeintlich Buch Schreiben soll. Sie soll als be-

kannte Journalistin den Lockvogel spielen. Sie fühlt sich der Gruppe verpflichte

und empfände es als beschämend hier keine Unterstützung zu leisten. 50

Was die spätere strafrechtlich Verfolgung betraf, sollte Ulrike herausgehalten und

als Unbeteiligte dargestellt werden.

Die Befreiungsaktion am 14. Mai 1970 verlief nicht wie geplant. Der Institutsleiter

wurde durch einen der Befreier angeschossen. Die Befreier konnten mit Bader

fliehen, wobei sich Ulrike Meinhof überraschend den Flüchtenden anschloss. Zu

dieser Zeit konnte sich Niemand der Beteiligten erklären, warum sie dies tat, da

sie eigentlich als Unbeteiligt galt. 51

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Die Fahndungsbehörden behaupteten später, dass in Ulrikes zurück gelassener

Handtasche ein Revolver und ein Hypothekenbrief auf ein Haus gefunden wurden.

Diese Mitteilungen, ihre Flucht und ihre Prominenz führten wohl dazu, dass Ulrike

Meinhof in der Öffentlichkeit und durch die Medien als Hauptaktivistin der Gruppe

galt. Mit einer Belohnung von 10.000,-DM wurde sie zur Fahndung ausgeschrie-

ben. Beeindruckt von den Geschehnissen tauchte Ulrike zwei Tage unter und gab

ihre Kinder zu Freunden. Dann wurde sie von der Gruppe um Bader gefunden und

in der Folge in die Gemeinschaft integriert.52

Die Gruppe entschloss sich ein Guerilla Camp in Jordanien aufzusuchen und so

verließen sie am 21. Juni 1970 mit gefälschten Pässen Berlin. Dort wollte sich die

Gruppe militärisch ausbilden lassen und Waffen kaufen. 53

In Jordanien nahm die Gruppe Einfluss auf Ulrike, die immer noch mit Skrupeln

kämpfte. Sie sollte ihre bürgerliche Vergangenheit hinter sich lassen. Angesichts

der Tatsache, dass sie sich schon zuvor mit den Zielen der Gruppe identifiziert

hatte, fiel ihr dies nicht sonderlich schwer. Allerdings die Forderung sich von ihren

Kindern zu trennen, konnte sie zunächst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren.

Gudrun, von der sie wusste, dass diese schon vor einiger Zeit ihr Kind weggege-

ben hatte, war mittlerweile zu einer Vorbildfigur für Ulrike geworden. Als der Ent-

schluss bei Ulrike dann doch gereift war, die Kinder in ein Waisenlager der El Fa-

tah zu geben, hatte ein Freund des Kindesvaters Klaus Rainer Röhl die Kinder

bereits in Sicherheit gebracht.54

Aus Jordanien zurückgekehrt, entscheidet die Gruppe um Bader weitere Aktionen

durch Banküberfälle zu finanzieren. In der Folge überfällt die Gruppe am 29. Sep-

tember 1970 drei Banken in Westberlin und erbeutet 300.000,-DM.55 Nach den

Banküberfälle und weiterer krimineller Aktionen kommt die Gruppe, besonders

Andreas Bader, zu dem Schluss, dass Ulrike für die Teilnahme an operativen Ak-

tionen eher ungeeignet ist. Ängste, wiederum zu versagen, lassen Ulrike in ein

emotionales Loch fallen. Sie bekommt von der Gruppe neue Aufgaben zugeteilt

und rappelt sich wieder auf. Die Erwartungshaltung der Gruppe ist nach ihrem frü-

heren Versagen groß. Sie sucht, wie sie es schon früher getan hatte, Unterstützer

für ihre Sache. Diese Kontakte verhelfen der Gruppe zu Fluchtautos, Wohnungen

und Kommunikationsmöglichkeiten per Telefon. 56

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Im Oktober 1970 werden 5 Mitglieder ihrer Gruppe in Berlin verhaftet. Daraufhin

begibt sich der Rest der Gruppe nach Westdeutschland.

Die Städte der Bundesrepublik waren der Gruppe um Bader bislang als Aktions-

feld fremd. Aus diesem Grund war die Gruppe sozial und politisch isoliert. Der

Aufbau einer Infrastruktur erwies sich als schwierig. Ein Strukturaufbau in den

Städten, entsprechend ihren Vorbilder, der Südamerikanischen Stadtguerilleros

oder den Black- Panther- Gruppen in den USA, scheint unerreichbar. Die Gruppe

ist voll damit beschäftigt sich zu reproduzieren, was ihrer gesamten Energie be-

darf. Zwei Jahre lang unternimmt die Gruppe keinerlei politische Aktionen.

In dieser Zeit kommt es zu Streit über Arbeitsweise und Konzept der Gruppe, die

sich mittlerweile „Rote Armee Fraktion“ nennt. Insbesondere kritisiert Ulrike die

ständige „Herumfahrerei“ mangelhafte Planung und Vorbereitung, sowie überhas-

tete Ortswechsel, wenn etwas nicht klappt. Diese Auseinandersetzungen ver-

schärfen Spannungen und Rivalitäten.

Im Ergebnis wird sich entschlossen die Ideologie der RAF in einem Konzept zu

erstellen. Hiermit beauftragt, versucht Ulrike Meinhof in ihrem „Konzept Stadtgue-

rilla“ den Aktionen der RAF im Nachgang eine strategisch politische Logik zu ver-

leihen. Was sie seinerzeit als „konkret“ Kolumnistin stets vermieden hatte, produ-

zierte sie nun: Ideologie.57

Sie versucht in dieser Veröffentlichung zu begründen, was nicht zu begründen ist.

Sie tut dies aber nicht in Folge von Realitätsverlust, sondern aus Loyalität zur

Gruppe.

Es wird nicht nur versucht die Taten der Gruppe politisch zu rechtfertigen, sondern

auch die Ziele und Motive der Gruppe darzustellen. Sie versteht sich als antiimpe-

rialistische Kampfgruppe, als Teil der Befreiungsbewegung der Dritten Welt, ver-

langt Handlungen gegen den Völkermord in Vietnam und hat das Ziel die Macht-

barriere des Staates einzureißen.

Anfang des Jahres 1972 hatte die RAF mittlerweile mehrere Stützpunkte in ver-

schiedenen Großstädten geschaffen. Die Strukturen hatten sich gefestigt. Im Mai

1972 verübten verschiedene Gruppen der RAF mehrere Bombenanschläge auf

Einrichtungen der US Streitkräfte in Deutschland. Es waren Todesopfer und Ver-

letzte zu beklagen. Mit den Anschlägen wollte die RAF die zuvor veröffentlichte

Ideologie bekräftigen. Im Nachgang nahm die RAF in der Presse Stellung zu ihren

Anschlägen.58

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59 Ebd. S.228

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Weggefährten der Ulrike Meinhof berichten später, dass sie seit der Veröffentli-

chung der RAF Ideologie in der Öffentlichkeit zunehmend sorgloser auftritt, obwohl

der Fahndungsdruck der Behörden groß war. Es schien als wären ihr die Gefah-

ren öffentlicher Auftritte und die damit verbundenen Risiken einer Verhaftung nicht

mehr bewusst.59

Die Verfolgungsbehörden verstärkten ihren Fahndungsdruck, in dessen Folge Ul-

rike Meinhof im Juni 1972 in Hamburg festgenommen wurde.60

Vom Tod Dutschkes beeindruckt, hält Ulrike Meinhof zunächst noch daran fest,

sich nicht an Gewaltaktionen zu beteiligen, identifiziert sich aber zunehmend mit

deren Ideologien.

In der Folge hilft der Kontakt zu Bader und Ensslin Ulrike aus ihrer sozialen Isolie-

rung und bewirkt eine Stärkung ihrer schon vorhandenen Motive.

Im Zuge Baders Befreiung aus der Haft wird Ulrike eher zufällig zum Mitglied der

radikalen Gruppe. Es schien kein „Zurück“ mehr für sie zu geben, zumal die Pres-

se und die Verfolgungsbehörden ihre Rolle heraufspielten. Die Beihilfe zur Flucht

Baders stellt die erste wirkliche radikale Handlung Ulrike Meinhofs dar.

Die Gruppe bildet ein eigenes Bezugs und Wertesystem welches Ulrike später

durch ihr „Konzept Stadtguerilla“ manifestiert.

Sie entschließt, trotz Zweifel, sich von ihrem bürgerlichen Leben zu trennen und

somit auch ihre Kinder zurückzulassen. In der Folge wird deutlich, dass Ulrikes

Versagensängste nach kurzer Resignationsphase dazu führen, sich noch stärker

für das Wohl der Gruppe einzusetzen, um die Geborgenheit der Gruppe nicht

durch Ausschluss zu verlieren. Sie bekam organisatorische Aufgaben zugeteilt.

Die im Zuge der neuen Aufgaben aufkommende Euphorie, lassen Ulrike zuneh-

mend sogloser mit ihrer Situation umgehen. Trotz zunehmender Verfolgung tritt

sie in der Öffentlichkeit lauthals auf und betrachtet weitere Aktionen der Gruppe

als risikolos. So beteiligte sie sich auch an den Banküberfällen zur Selbsterhaltung

der Gruppe und letztlich auch an den Bombenanschlägen gegen ihre politischen

Gegner.

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Fazit

Alle drei Sozialisationsphasen sind gekennzeichnet von Motiven, die bestimmte

Handlungen einer Person nach sich ziehen.

Die Motive der Ulrike Meinhof basieren auf großem Hass dem Nationalsozialis-

mus gegenüber, der ihre Kindheit und Jugend durch Verluste und Ängste geprägt

hat. In der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere in Handlungen der Regie-

rung der BRD nach dem Krieg, sah sie Parallelen zum Nationalsozialismus.

Ihr politisches Engagement wurde getragen von Emotionen. Kontakte zu radikal

gesinnten Personen bewirkten eine zunehmende Identifizierung mit deren Ideen.

Sie fühlt sich zu diesen Personen hingezogen, weil diese die gleichen Ziele ver-

folgen. Deren Motive basieren aber auf politischen Ansichten und nicht wie bei

Ulrike auf der Angst, dass wieder Menschen durch Kriegshandlungen Ängste und

Verluste erleiden müssen. Zum Hass gegen die eigene Regierung kommt der

Hass gegen die USA als Kriegtreiber.

Ein Ausweg aus ihrer sozialen Isolation, als neu hinzu tretendes Motiv, sorgt für

eine tiefere Integration in die Gruppe um Bader und Ensslin. Ängste die Gruppe

wieder als „Ersatzfamilie“ zu verlieren, führen zu einer vollen Integration in die

Gruppe. Von der folgenden Befreiung Baders, bis hin zu den späteren Anschlägen

auf US-Einrichtungen, zieht sich dieses weitere Motiv durch das gesamte Leben

der Ulrike Meinhof.

Der Sozialisationsprozess der Ulrike Meinhof von einer Studentin zu einem aktiven

Mitglied der RAF, zeigt Übereinstimmungen zu allgemeingültigen Indikatoren einer

terroristischen Entwicklung.

Abweichend von den im Text geschilderten allgemeingültigen Indikatoren, spielen

Emotionen eine herausragende Rolle. Bezogen auf diese emotionale Komponen-

te, kam es aus subjektiver Sicht im Laufe ihres Lebens zum Motivwandel. Ihre ak-

tive Zeit als Journalistin war geprägt von dem benannten Motiv, vom Krieg Betrof-

fene vor Ängsten und Verlusten zu bewahren. Später zeigt sich, dass sie bei sich

selbst wieder Ängste und Verluste durch soziale Isolation, Versagen oder Aus-

schluss befürchtete.

Page 17: Sozialisation in terroristischen Gruppen

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Literaturverzeichnis

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Terror.“. URL: (Stand:09.11.06 )

o Meinhof Biographie

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Selbständigkeitserklärung

Ich, Marcel Bassüner versichere hiermit, dass ich diese Facharbeit selbständig

verfasst habe und keine andern als die angegebenen Quellen benutzt wurden,

sowie Zitate kenntlich gemacht wurden.