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150 Kilometer südlich von Berlin, im traditionsreichen industriepark Schwarze Pumpe, betreibt der Schweizer Energieversorger AlPiQ seit 2009 ein modernes GuD-Kraftwerk. medium gas hat die Anlage in der lausitz besucht – und interessante Einblicke in die Welt der Stromproduktion mit Erdgas erhalten. SCHWERpUNKT von Mandy Nickel, VNG | Fotos: Dirk Brzoska 22

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GuD-Anlagen

Spitzenkraft für Spitzenlast150 Kilometer südlich von Berlin, im traditionsreichen industriepark Schwarze Pumpe, betreibt der Schweizer Energieversorger AlPiQ seit 2009 ein modernes GuD-Kraftwerk. medium gas hat die Anlage in der lausitz besucht – und interessante Einblicke in die Welt der Stromproduktion mit Erdgas erhalten.

von Mandy Nickel, VNG | Fotos: Dirk Brzoska

Tradition und Moderne in der lausitzGeschichtsträchtig und traditionsreich ist der Standort auf jeden Fall. Zumindest für die Energiewirtschaft in Ostdeutschland. Spreetal, inmitten der Lausitz gelegen, war nämlich einer der größten Tagebaugebiete der DDR. Auf über 3000 Hektar Fläche wurde nach Kohle gebuddelt, aus der man schließlich Briketts, Strom, Gas und andere produkte für Industrie und Haushal-te erzeugte. Spreetal war ab 1958 auch die Heimat für das legendäre Kombinat Schwarze pumpe. Rund ein Viertel der gesamten Stadtgasproduktion kam von hier; die drei Kraftwer-ke des Standortes deckten knapp elf prozent des gesamten DDR-Strombedarfs.

20 Jahre nach der Auflösung des Kombinates hat die Region nichts von ihrer Bedeutung für die Energieversorgung verloren, auch wenn aus dem ehemaligen Energie- und Kohleveredlungs-standort ein vielfältiger Industriepark geworden ist. Namhafte Unternehmen – unter ihnen Siemens, Linde, Vattenfall und ThyssenKrupp – haben sich hier mit Niederlassungen ange-siedelt.

2008 kam ALpIQ hinzu, die führende Energiehändlerin und größte Energiedienstleisterin der Schweiz mit europäischer Ausrichtung. Das Unternehmen übernahm damals ein GuD-

Kraftwerk der Sustec Schwarze pumpe GmbH, baute es in-nerhalb eines Jahres um und erzeugt seit 2009 wieder Strom damit.

AlPiQ steigt in deutsche Stromerzeugung ein Das Unternehmen ALpIQ bzw. ihre Vorläufergesellschaft Atel ist seit 1912 in Deutschland aktiv. Bis 2008 war ALpIQ in Deutsch-land ausschließlich als Stromhändlerin und Dienstleisterin bekannt, eigene Kraftwerkskapazitäten hatte das Unterneh-men hierzulande allerdings nicht. Dabei gehören die Schwei-zer seit vielen Jahrzehnten zu den großen Energieerzeugern in Europa, betreiben Kraftwerke in der Schweiz, in Italien, Frank-reich, Spanien, Norwegen, Ungarn und in der Tschechischen Republik.

Stephan Anemüller, Leiter Business Development bei ALpIQ in Deutschland, erklärt den Hintergrund für den Einstieg in die Er-zeugung in Deutschland: „Der deutsche Handelsmarkt stellt den zentralen preis-Benchmark in Europa sowohl für unser Trading als auch für einige unserer Ländergesellschaften. Mit eigenen Erzeugungskapazitäten in Deutschland stärken wir die Versor-gungssicherheit und das Asset-basierte Trading und sichern uns damit auch gegenüber den volatilen Handelsmärkten ab.“ produktionskapazitäten seien daher ein Kernbestandteil der ALpIQ-Strategie.

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Erdgas ist eine gute Basis für die StromerzeugungIm ursprünglichen Kraftwerk von Sustec wurde als Brennstoff ein Synthesegas aus der Abfallverwertung eingesetzt. Als des-sen produktion aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt und die Anlagen veräußert wurden, erwarb ALpIQ das Kraftwerk. Für ALpIQ war der Umbau auf Erdgas Teil des Investitionsvorhabens. Die Umrüstungen waren erheblich: Gasturbine, Dampfturbine, Hilfskessel, Brenner und die Mess- und Regeltechnik wurden grundlegend überarbeitet oder erneuert. Hinzu kam in diesem Jahr eine weitere kleine Dampfturbine, um den Gesamtwirkungs-grad weiter zu verbessern.

Für Stephan Anemüller erfüllt der Brennstoff Erdgas in Ver-bindung mit der GuD-Technologie die Anforderungen zur Stromerzeugung in fast idealer Weise: „Gas- und Dampftur-binen-Kraftwerke haben hohe Wirkungsgrade und sorgen für vergleichsweise sehr niedrige CO2-Emissionen – das schont die Umwelt. Gleichzeitig ist die Anlagenfahrweise sehr flexibel, wodurch wir auf den Handelsmärkten und für unsere Kunden besondere produkte bereitstellen können.“ Insbesondere aus investiver Sicht ist ein GuD-Kraftwerk für den ALpIQ-Strategen sinnvoll. Die vergleichsweise moderaten Investitionskosten wür-den das Investitionsrisiko gegenüber anderen Kraftwerkstypen reduzieren und stellten eine implizite Absicherung gegen Markt-veränderungen dar.

Spreetal mit dem 55-Meter-Dampferzeuger im Hintergrund und den beiden Kühltürmen im Vordergrund.

AlPiQ

ALPIQ entstand Anfang 2009 aus dem Zusam­menschluss der führenden Schweizer Energieunter­nehmen Atel und EOS. Das neue Unternehmen ist in den Segmenten Energie und Energieservice tätig. ALPIQ erzeugt elektrische Energie, handelt an allen Energiebörsen in Europa

und hat 27 Tochtergesellschaften in Europa. Den Energieträger Erdgas nutzen die Schweizer als eine Energiequelle unter vielen, um Strom zu produzieren. Wichtigste Energiequelle ist die Wasserkraft (50 %), gefolgt von Erdgas (ca. 25 %). Daneben nutzt ALPIQ auch Kohle und Kernenergie zur Sicherung der Stromversorgung in Europa.

ALPIQ investiert auch verstärkt in erneuerbare Energien: Neben Wind­energieprojekten in Italien, Frankreich und Bulgarien ist ALPIQ Technolo­gielieferant für ein solarthermisches Versuchskraftwerk in Deutschland, welches seit Anfang 2009 in Betrieb ist.

Zahlen und Fakten– in 31 Ländern Europas präsent– kumulierter Umsatz 2009 von rund 15 Mrd. CHF (ca. 11,4 Mrd. €)– über 10 000 Mitarbeiter (in der Schweiz: > 5 000)

www.alpiq.com

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Übrigens: Erdgas als Energieträger für Kraftwerke hat für ALpIQ einen hohen Stellenwert. Rund ein Viertel der bestehenden Stromerzeugungskapazitäten des Unternehmens werden durch Gaskraftwerke gestellt – das sind immerhin rund 1500 MW. Domi-nierend ist allerdings der Anteil der Wasserkraft (die traditionell in der Schweiz einen hohen Stellenwert besitzt) im Erzeugungs-portfolio der ALpIQ.

flexibler Partner für die GasbeschaffungSeit die Anlage im Sommer 2009 ans Netz ging, kommt der Großteil der Erdgaslieferungen von VNG. Der Leipziger Impor-teur ist quasi „heimisch“ in Schwarze pumpe, war das Unter-nehmen doch früher dem Gaskombinat angeschlossen. Für Stephan Anemüller war diese Tradition aber nicht der aus-schlaggebende Grund, sich für die Lieferungen aus Leipzig zu entscheiden. Er erklärt warum: „Die Erdgasmärkte und

Wissenswert

So funktioniert ein GuD-Kraftwerk Nach der Verdichtung der Verbrennungsluft wird Erdgas bei bis zu 1140 °C in der Brennkammer verbrannt. Das dabei entstehende Abgas treibt die Gasturbine an und wird anschließend mit 560 °C in einen Dampfkessel geleitet, in dem Hochdruckdampf erzeugt wird. In der nachgelagerten Dampfturbine wird der 480 °C heiße Hochdruckdampf dann entspannt. Gas­ und Dampfturbinen treiben Generatoren an, die das Endprodukt Strom liefern. Es ist auch möglich, aus dem Dampfprozess teilweise Dampf zu entnehmen und damit Wärme für weitere Verwendungen zu gewinnen.

VNG liefert Erdgas für Kraftwerke VNG verfügt über langjährige Erfahrung mit Kunden, die Erdgas in den unter­schiedlichsten Industriezweigen einsetzen. Dazu gehören zum Beispiel die Glas­, Keramik­, Papier­ und Stahlproduktion als auch Metallverarbeitung und chemische Industrie. Auch Kraftwerksbetreiber zählen seit Jahren zu den Kunden. VNG versorgt ihre Industrie­ und Geschäftskunden mit der erforderlichen Erdgasmenge und der notwendigen Flexibilität.

Weitere informationen: www.vng.de (Geschäftsbereich industrie- und Geschäftskunden)

Auch der Hilfskessel wird selbstverständlich mit Erdgas befeuert.

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damit die Beschaffungssituation für Kraftwerke haben sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt. Als Kraftwerks-betreiber, der die Anlage rein marktorientiert bewirtschaftet, benötigen wir sowohl Sicherheit als auch Optimierungsmög-lichkeiten. Mit VNG haben wir einen partner gefunden, der mit uns ein maßgeschneidertes Konzept entwickelt hat. Damit haben wir eine gute Lösung gefunden für unsere Anforderun- gen an Strukturierung, Flexibilität und Möglichkeiten an den Handelsmärkten.“

Dr. Stephan Krein, Direktor Gasverkauf Industrie- und Ge-schäftskunden bei VNG, ergänzt aus Sicht des Gaslieferanten: „Wir wissen, dass eine Vielzahl an Wettbewerbern im Gasmarkt um die Gunst von Kraftwerksbetreibern buhlen.“ Umso wichti-ger schätzt er die individuelle Beratung ein, bei der z. B. Liefer-struktur, Vertragslaufzeit oder Abnahmeverpflichtungen für das jeweilige Kraftwerk diskutiert werden. „Wenn ein Kunde Fragen oder probleme hat, sei es nun mit der Vertragsgestaltung oder der technischen Umsetzung, dann kann er jederzeit auf uns zukom-men. Wir sind immer gesprächsbereit und versuchen, eine auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene Lösung zu finden“, so Dr. Krein weiter.

Spreetal wird als Spitzenlastkraftwerk betriebenBeim Kauf des bestehenden Kraftwerkes hatte sich ALpIQ 2008 einerseits für den Energieträger Erdgas entschieden, anderer-seits auch eine Vorentscheidung für den Einsatz der Anlage getroffen: Spreetal sollte als sogenanntes Spitzenlastkraftwerk betrieben werden. Es erzeugt nicht rund um die Uhr und das gan-ze Jahr hindurch Strom, sondern nur bei hohem Bedarf und den entsprechend hohen preisen an den Spotmärkten für Strom. In der Regel wird es zu so genannten „peak-Zeiten“, also zwischen 8 und 20 Uhr an Wochentagen eingesetzt.

Der Betrieb in dieser Zeitspanne hat für ALpIQ zwei Gründe. André Schnidrig, zusammen mit Alpiq-Trading verantwortlich für die Vermarktung der Stromerzeugung, erklärt: „Die Anlage wird im tatsächlichen Einsatz nach den erzielbaren Deckungsbeiträgen betrieben. Zu peak-Zeiten ist der erzielbare Clean-Spark-Spread besser als zu anderen Zeiten. Zum anderen erzielt die Anlage Erlöse aus der Unterstützung des Netzbetreibers zu Spitzenlast-zeiten. Dadurch, dass die Anlage einspeist, wenn der Bedarf am höchsten ist, sparen die Netzbetreiber Geld. Das nennt man vermiedene Netznutzung. parallel dazu arbeiten wir intensiv an der Vermarktung des Kraftwerkes im Regelenergiemarkt.“

im ALPiq-Kraftwerk in Spreetal leisten eine Gas- und zwei Dampfturbinen ihren Dienst.

Der Dampferzeuger aus Perspektive des Betriebsgebäudes.

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Spitzenlast fordert die Anlagentechnik Der Betrieb des Kraftwerkes in Spreetal als Spitzenlastkraftwerk hatte für ALpIQ zweifelsohne wirtschaftliche Gründe. Die sind für Falko Bandemer, den Betriebsleiter am Standort, zwar ent-scheidend für die Fahrweise der Anlage, aus technischer Sicht – und Bandemer ist Techniker durch und durch – erschweren sie jedoch den Betrieb. Während ein grundlastfähiges Kraft-werk kontinuierlich betrieben und nur für Wartung und In-standhaltung heruntergefahren wird, müssen die Turbinen und Anlagenteile in Spreetal für viele Schnellstarts ausgelegt sein. „Unsere Gasturbine fährt im Regelbetrieb morgens um 8 Uhr in gut 15 Minuten hoch und abends gegen 20 Uhr wieder herunter. Damit nichts schief geht, beschäftigen wir einen Leittechniker, der alle parameter der Anlage kennt und sie beim An- und Abfahren jederzeit kontrollieren kann“, erklärt Bandemer.

Auch die restliche Technik wird durch diesen Betrieb besonders gefordert. Bandemer erklärt es am Beispiel des Heizkessels: „Das heiße Gas aus der Turbine strömt mit rund 560 °C in den

Regelenergie für StromnetzbetreiberMit dem Ausbau der erneuerbaren Energien wird immer öfter Strom zur Netzstabilisierung benötigt. Denn während Kohle oder Erdgas kon­tinuierlich zur Verfügung stehen, ist die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien (wie Windkraft oder Photovoltaik) signifikant niedriger. Die Netzbetreiber müssen die Einspeisung aus Erneuerbaren daher kurz­fristig abschätzen. Wenn jedoch die tatsächliche Erzeugung abweicht, kommt es zu einem kurzfristigen Bedarf an Mehr­ oder Mindererzeugung aus konventionellen Kraftwerken. Die Netzbetreiber kaufen sich solche flexiblen Kapazitäten über ein öffentliches Ausschreibungsverfahren.

Clean-Spark-SpreadStromerlöse abzüglich der Kosten für das Erdgas und die benötigten CO2­Zertifikate. Der Clean­Spark­Spread ist eine Entscheidungsgröße für den physischen Kraftwerkseinsatz.

Kessel. Der ist natürlich für solche Temperaturen ausgelegt, allerdings verträgt er im vorgewärmten Zustand das heiße Gas besser. Steht die Anlage jedoch wie am Wochenende zwei Tage still, dann kühlt der Kessel aus.“ Solche technischen Faktoren

Jürgen Tolksdorf ist Schichtführer im Kraftwerk. Er ist u. a. für die Sicherheit der Anlagen verantwortlich.

in der Brennkammer mit Low-Nox-Brennern verbrennt Erdgas mit bis zu 1 140 °C.

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müsse man deshalb bei der Anlagenkonzeption immer berück-sichtigen – und natürlich im Betriebsgeschehen auch ständig im Auge behalten. Für diesen Job arbeiten 18 Mitarbeiter im Kraftwerk Spreetal, darunter allein 12 Mitarbeiter im Schichtbe-trieb. Auch eine Fachkraft für Mess-, Steuer- und Regeltechnik, ein Instandhaltungskoordinator sowie besagter Leittechniker arbeiten auf der Anlage.

Weitere Projekte in den neuen Bundesländern möglichMit der Anlage in Spreetal startete ALpIQ 2008 als Strompro-duzent in Deutschland. Noch ist kein weiteres Kraftwerk hin-zugekommen, allerdings ist seit 2009 von weiteren projekten die Rede.

Konkret plant ALpIQ ein 400-Megawatt-GuD-Kraftwerk in premnitz, 70 Kilometer westlich von Berlin. Für letzteres liegt seit Ende 2009 ein positiver Vorbescheid vor. „Als Investiti-onsstandort hat Deutschland einen guten Ruf und regional haben wir große Unterstützung erfahren. Vor diesem Hinter-grund plant ALpIQ auch langfristig einen weiteren Ausbau

der Erzeugung in Deutschland. Die Geschwindigkeit der Rea-lisierung hängt natürlich wesentlich von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem speziellen Investitionsklima für solche projekte ab“, erklärt Stephan Anemüller die weitere Strategie von ALpIQ in Deutschland. Gleichzeitig schränkt er aber auch ein: „Aktuell sind die erzielbaren Deckungsbeiträge für Kraftwerke allgemein sehr niedrig. Die energiepolitischen Entscheidungen der letzten Monate, insbesondere die Lauf-zeitverlängerung für Kernkraftwerke, sind für neue projekte eher hinderlich.“

Erdgas und seine Bedeutung im Wettbewerb um Erzeugungs-kapazitäten werde seiner Meinung nach im neuen Energiekon-zept noch nicht ausreichend gewürdigt. Auch die gute Umwelt-verträglichkeit und die Unterstützung für die Integration der erneuerbaren Energien durch Erdgas seien nicht hinreichend berücksichtigt. „Die aktuellen Investitionsunsicherheiten erfor-dern daher eine umfassende Sicht auf die projekte, bei denen wir auch neue Formen der Kooperation und der Finanzierung betrachten müssen.“

v. li.: Stephan Anemüller und Dr. Stephan Krein.

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