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Somatische Schmerzdiagnostik Klaus Böhme, Christian Simanski und Volker Lindner Inhalt 1 Körperliche Untersuchung ............................................................................. 1 1.1 Inspektion ................................................................................................. 2 1.2 Palpation .................................................................................................. 2 1.3 Neurologische Untersuchung ............................................................................ 4 2 Orthopädische Untersuchung .......................................................................... 5 2.1 Inspektion ................................................................................................. 6 2.2 Palpation .................................................................................................. 6 2.3 Funktionsüberprüfung des Bewegungsapparates ........................................................ 8 3 Neurologische Untersuchung ........................................................................... 10 3.1 Allgemeine Grundsätze .................................................................................. 11 3.2 Untersuchungsablauf ..................................................................................... 12 3.3 Untersuchungsgegenstand ................................................................................ 13 Literatur ....................................................................................................... 18 1 Körperliche Untersuchung " Die Erfassung der Schmerzerkrankung eines Patienten soll das bio-psycho-soziale Krankheitsverständnis mitberück- sichtigen. Voraussetzung ist deshalb eine ausführliche somatische und psychosoziale Anamnese . Die somatische Anamnese umfasst die spezielle Schmerzanamnese, inter- nistische, medikamentenbezogene, chirurgische und Fa- milienanamnese. " Bei der psychosozialen Anamnese werden die biografische Anamnese und die Wechselwirkung zwischen psychi- schem Befinden und körperlichen Störungen erfasst. " Danach erfolgt die erste körperliche Untersuchung. Sie umfasst Inspektion, Palpation und die Untersuchung, die orthopädische und neurologische Aspekte integriert. Die Untersuchung des Patienten soll in entkleidetem Zustand unter Berücksichtigung der Intimsphäre und vollständig erfolgen. Es wird neben der Beurteilung des Gesamtbildes das Augenmerk vor allem auf solche Körperregionen gelegt, die sich durch die vorausgegangene Schmerzanamnese als besondere Schwerpunkte herausgestellt haben. " Ein Ziel ist es, unspezifische von spezifischen Schmerzen zu unterscheiden. Die körperliche Untersuchung ist entsprechend Abb. 1 eingebettet in die Anamnese, die ggf. erforderliche interdis- ziplinäre Beurteilung und die monodisziplinäre oder multi- modale Behandlung. K. Böhme (*) Praxis für Anästhesie und Schmerztherapie, Kassel, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Simanski Unfall-, Hand- & Fußchirurgie, St. Martinus Krankenhaus Langenfeld, Langenfeld, Deutschland E-Mail: [email protected] V. Lindner Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Deutschland E-Mail: [email protected] # Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 R. Baron et al. (Hrsg.), Praktische Schmerzmedizin, Springer Reference Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-54670-9_5-2 1

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Somatische Schmerzdiagnostik

Klaus Böhme, Christian Simanski und Volker Lindner

Inhalt1 Körperliche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Inspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Palpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3 Neurologische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2 Orthopädische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.1 Inspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.2 Palpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.3 Funktionsüberprüfung des Bewegungsapparates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

3 Neurologische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103.1 Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113.2 Untersuchungsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123.3 Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1 Körperliche Untersuchung

" Die Erfassung der Schmerzerkrankung eines Patienten solldas bio-psycho-soziale Krankheitsverständnis mitberück-sichtigen. Voraussetzung ist deshalb eine ausführlichesomatische und psychosoziale Anamnese . Die somatischeAnamnese umfasst die spezielle Schmerzanamnese, inter-nistische, medikamentenbezogene, chirurgische und Fa-milienanamnese.

" Bei der psychosozialen Anamnese werden die biografischeAnamnese und die Wechselwirkung zwischen psychi-schem Befinden und körperlichen Störungen erfasst.

" Danach erfolgt die erste körperliche Untersuchung. Sieumfasst Inspektion, Palpation und die Untersuchung, dieorthopädische und neurologische Aspekte integriert.

Die Untersuchung des Patienten soll in entkleidetem Zustandunter Berücksichtigung der Intimsphäre und vollständigerfolgen. Es wird neben der Beurteilung des Gesamtbildesdas Augenmerk vor allem auf solche Körperregionen gelegt,die sich durch die vorausgegangene Schmerzanamnese alsbesondere Schwerpunkte herausgestellt haben.

" Ein Ziel ist es, unspezifische von spezifischen Schmerzenzu unterscheiden.

Die körperliche Untersuchung ist entsprechend Abb. 1eingebettet in die Anamnese, die ggf. erforderliche interdis-ziplinäre Beurteilung und die monodisziplinäre oder multi-modale Behandlung.

K. Böhme (*)Praxis für Anästhesie und Schmerztherapie, Kassel, DeutschlandE-Mail: [email protected]

C. SimanskiUnfall-, Hand- & Fußchirurgie, St. Martinus Krankenhaus Langenfeld,Langenfeld, DeutschlandE-Mail: [email protected]

V. LindnerKlinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,Campus Kiel, Kiel, DeutschlandE-Mail: [email protected]

# Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018R. Baron et al. (Hrsg.), Praktische Schmerzmedizin, Springer Reference Medizin,https://doi.org/10.1007/978-3-642-54670-9_5-2

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1.1 Inspektion

Der Patient wird von vorn, von hinten und in beiden seitli-chen Ebenen inspiziert und besonders die rechte mit derlinken Seite verglichen. Wir achten auf Bewegungsabläufe,Körperhaltung, Konturen, Haut, Benutzen von Hilfsmitteln,Schmerzverhalten und Stimmung. Beispielsweise zeigt einPatient mit einem CRPS, der Inspektion zugänglich, schondie typischen somatischen Zeichen der Erkrankung (Abb. 2).

1.2 Palpation

1.2.1 Grundlagen der PalpationExakte anatomische Kenntnisse der Skelettpunkte, der Seh-nenansätze und des Verlaufs der Muskulatur sind unabding-bare Grundlagen der Palpation.

Arten der Palpation sind:

• Tastpalpation in entspannter Lage,• Bewegungspalpation,• Druck- und Stoßpalpation,• Kibler-Hautfalte (im gesunden Gewebe lässt sich eine

Hautfalte abheben und nach cranial walzen, d. h. guteVerschiebbarkeit gegen tiefere Schichten).

1.2.2 BeurteilungDie Beurteilung der Palpation kann subjektiv – aus der Sichtdes Patienten – oder objektiv – aus der Sicht des Untersu-chers – erfolgen (Dvorak und Dvorak 1983).

Palpiert werden Haut, Muskeln und Sehnen, Schleimbeu-tel, Knochen, Gelenke, Nerven und Gefäße. Der Druck, derdurch den Daumen ausgeübt wird, soll immer gleich starksein. Ein vergleichbares Maß kann sein, dass der Druck desDaumens so stark ist, dass die Kapillaren des Untersuchersim vorderen Drittel des Nagelbettes nicht mehr durchblutetwerden.

Haut und Unterhaut Unter Berücksichtigung des Seiten-vergleichs werden beurteilt: die Beschaffenheit der Haut, dieTemperatur, die Schweißabsonderung sowie die Konsistenzund Beschaffenheit der Subkutis. Wird Schmerz auf geringenDruck angegeben?

Die vegetative Reaktion des Patienten kann über die pilo-motorische Reaktion oder den Dermografismus beobachtetwerden.

Muskeln und Sehnen Die Palpation muss präzise an denangegebenen Stellen des Skeletts erfolgen. Der Druck derPalpation muss so groß sein, dass an diesen Stellen die harteResistenz des Knochens wahrgenommen wird. Die Sehnen-ansätze müssen lotrecht zum Knochen getroffen werden. DieMyotendinosen werden in der Mitte des Muskels quer zumFaserverlauf, gleichsam pflügend durch die Gewebeschich-

Abb. 1 Einbettung derUntersuchung in die Erfassungund Therapie desSchmerzpatienten

2 K. Böhme et al.

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ten, ertastet und dann in beide Richtungen bis zum Sehnen-ansatz verfolgt (Dvorak und Dvorak 1983). Anzumerken ist,dass eine Myotendinose auch ohne Schmerzsymptomatikvorkommen kann; sie deutet aber schon auf eine Fehlfunkti-on hin.

Nicht nur bei entsprechender Schmerzangabe wird nachaktiven Triggerpunkten (TRP) wie auch nach latentenVeränderungen gesucht. In das verspannte Muskelfaserbün-del eingelagert können sich Triggerpunkte finden: zum einenin den Sehnenansätzen, zum anderen im Bereich der musku-lären Endplatte in der Mitte des zu palpierenden Faserbündelsim Bereich der motorischen Endplatte. Um sie zu palpieren,werden die Muskeln quer zur verspannten Muskelfaser, diesich „wie ein Seil durch den Muskel erstreckt“, untersucht.Dieses verspannte Muskelfaserbündel unterscheidet sichdeutlich von der Druckschmerzhaftigkeit der Fibromyalgie(Simons und Mense 2003). Bei Druck auf den TRP kommt eszum Schmerz im zugehörigen, entfernt vom Punkt liegendenSchmerzareal. Zwar wird in der Mehrzahl der Fälle ein pro-ximaler TRP seine Übertragungszone distal besitzen, aber esist durchaus möglich, dass ein Triggerpunkt distal imM. soleus liegt und der Schmerz nach proximal, in diesemFall in das Iliosakralgelenk, projiziert wird („referred pain“)(Mense 2003; Simons und Mense 2003; Travell 1976; Travellund Rinzler 1952).

Darüber hinaus sind die Tenderpoints zu untersuchen, diebei der Fibromyalgiediagnostik eine Rolle spielen. Defini-tionsgemäß müssen die in den Kriterien des American Col-lege of Rheumatology (ACR) genannten 18 Punkte überprüftwerden. Die Tenderpoints sind von den Triggerpunkten abzu-grenzen. Während bei Triggerpunkten objektiv durch denUntersucher Verhärtungen im Muskel und das angespannteMuskelfaserbündel palpiert werden können, wird ein Tender-point dann als positiv gewertet, wenn der Patient den defi-nierten Druck von etwa 4 Kp/cm2, über 1 s gehalten, alsschmerzhaft empfindet. Es handelt sich um eine subjektiveBewertung durch den Patienten (Conrad 2003). Eine sich

durch den Muskel ziehende muskuläre Verhärtung findet sichnicht.

Palpation der Sehnen und Gleitlager sowie der Schleim-beutel Insbesondere bei Entzündungen kommt es zu starkenSchmerzen.

Knochen Druck-, vor allem aber Klopfschmerz wird beiFrakturen, z. B. Osteoporose, Entzündungen, Bandscheiben-vorfällen und malignen Prozessen auszulösen sein.

Gelenke Zu achten ist auf Konsistenz der Gelenkkapsel,Schwellungen, Druckschmerz und Breite der Gelenkspalte,Reiben und Knacken bei aktiver oder passiver Bewegung desGelenkes.

Gefäße Erfassung der peripheren Pulse an den Extremitäten,auch im Seitenvergleich. Erkennen einer pAVK.

Nerven Bei Engpasssyndromen finden sich isolierte Klopf-und Druckschmerzen, z. B. ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen.

1.2.3 PalpationspunkteWirbelsäule Dornfortsätze, Querfortsätze, paravertebraleMuskulatur, Stauchung durch axiale Belastung.

Schultergürtel Sternoklavikulargelenk, Klavikula, Akro-mion, Processus coracoideus, Spina scapula, Sulcus intertu-bercularis, Tuberculum minus und majus, Fornix humeri,1. Rippe.

Ellbogengelenk Radiusköpfchen, Gelenkkapsel beiderseitsdes Olekranons und des Sulcus N. ulnaris.

Hand Processus styloideus ulnae und radii, Tabatière, Kar-palkanal, Handwurzelknochen und Fingergelenke.

Abb. 2 Patientin nach Radiusfraktur mit dem Bild eines CRPS

Somatische Schmerzdiagnostik 3

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Beckengürtel Spina iliaca anterior superior und posteriorsuperior, Crista iliaca, Crista sacralis media und Tuber ossisischii.

Hüftgelenk Trochanter major. Palpation des Gelenkes vonvorn, seitlich und kaudal.

Kniegelenk Condylus medialis et lateralis femoris, obererund unterer Pol der Patella, lateraler und medialer Kniege-lenkspalt, Tuberositas tibiae, Caput fibulae, Pes anserinus.

Fuß Malleolus medialis und lateralis, Kalkaneus, Fußwur-zelknochen und Zehengrundgelenke, Mittelfußköpfchen.

1.2.4 Funktionelle Untersuchung der GelenkeDie Beweglichkeit der Gelenke wird nach der Neutral-Null-Methode untersucht. Schmerzhafte Bewegungen – aktiv oderpassiv – und Art des Anschlags werden erfasst.

1.3 Neurologische Untersuchung

Muskulatur und Motorik Geprüft werden Tonus, Turgorund Kraft der Muskulatur. Dabei werden der Kraft entspre-chend der Einteilung von Daniels et al. (1974) die Grade 0–5zugeordnet. Der orthopädisch-neurologische Untersuchungs-gang ist sehr gut bei Hoppenfeld (1980) dargestellt.

Sensibilität Geprüft wird seitenvergleichend und von kra-nial nach kaudal:

• Berührung: mit Wattebausch, v.-Frey-Haar, Pinsel, ausge-zogenem Tupfer

• Schmerzreiz: Nadelspitze (mehrfach aufgesetzt), zerbro-chener Holzmundspatel

• Lagesinn: Bewegungsempfindung an den Gelenken• Temperatur: Metall- oder Plastikzylinder oder Reagenz-

glas mit kaltem oder warmem Wasser temperiert• Vibration: Stimmgabel

Nervendehnungsschmerz Im Bereich des Plexus brachialisführt eine Rotation des Kopfes zur gesunden Seite zurSchmerzprovokation (Abb. 3). Die Flexion des gestrecktenBeines in der Hüfte führt im positiven Fall zur Schmerz-ausstrahlung in den N. ischiadicus (Lasègue-Zeichen,Abschn. 2.3; Abb. 13a) mit Verstärkung durch Ventralflexiondes Fußes (Bragard-Zeichen, Abschn. 2.3; Abb. 6).

Reflexprüfung Geprüft werden muss das Vorhandensein,das Fehlen oder die Seitendifferenz eines Reflexes. Fernerwird eine abnorme Stärke – gesteigerte Reflexe mit Verbrei-terung der Reflexzone – oder ein Klonus untersucht.

• Muskeleigenreflexe an der oberen Extremität:– Bizepssehnenreflex,– Brachioradialreflex,– Trizepssehnenreflex.

• Muskeleigenreflexe an der unteren Extremität:– Quadrizepssehnenreflex,– Achillessehnenreflex.

• Fremdreflexe, Haut-Muskel-Reflexe:– Bauchdeckenreflex, oben,– Bauchdeckenreflex, unten,– Babinski-Reflex.

Koordination, AllgemeinesZu nennen sind hier:

• Finger-Nase-Versuch,• Knie-Hacke-Versuch,• Abweichung nach einer Seite beim Gehen,• Hypermetrie,• Adiadochokinese,• Romberg-Versuch.

Der Gesamtablauf der Untersuchung ist in Abb. 4 darge-stellt. Ergeben sich bei der Untersuchung auffällige Befunde,sollte der Patient einer fachspezifischen Untersuchung undggf. einer technischen Diagnostik zugeführt werden (Abb. 5).

Abb. 3 Patient mit Hyperästhesie und Allodynie bei einem oberenSulkustumor mit Schädigung des Armplexus durch den Tumor. DerÄrmel der Jacke wurde herausgetrennt, da die leichte Berührung desStoffes extrem schmerzhaft war

4 K. Böhme et al.

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2 Orthopädische Untersuchung

" Die orthopädische Untersuchung beinhaltet nicht nur dieEinzelbetrachtung von Stütz- und Bewegungsapparat,sondern auch die Beurteilung der funktionellen Zusam-mengehörigkeit beider. Daher muss die orthopädische

Untersuchung immer am nahezu unbekleideten Patientenerfolgen. Bei der Patientenentkleidung erfährt der Unter-sucher etwas über pathologische Befunde schon alleindurch die klinische Beobachtung: Beispielsweise könnendie verzögerte Entkleidung einer Extremität, die Zuhilfe-nahme der gesunden Gliedmaße bei der Entkleidung derErkrankten, sichtbare Narben und Hautveränderungen,

Abb. 4 Ablauf der körperlichenUntersuchung

Somatische Schmerzdiagnostik 5

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das Vorhandensein von Orthesen, Einlagen, orthopädi-schen Maßschuhen und die einseitige Abnutzung vonBekleidung zusätzliche Informationen über die zu erwar-tende Pathologie geben.

2.1 Inspektion

Durch die allgemeine Inspektion werden verschiedeneAbweichungen von Körperform und Bewegungsfunktionjeweils immer im Seitenvergleich untersucht. Dabei werdenindividuelle Haltungs- oder Schonhaltungsmuster sowohl inRuhe als auch in Bewegung bewertet. Dies kann Aufschlussüber die vorliegende Schmerzsymptomatik geben. Es istwichtig, bei der klinischen Inspektion systematisch vorzuge-hen und unten stehende Punkte zu beachten.

Bei der klinischen Inspektion zu beachten:1. Kopfhaltung2. Schulterstand3. Form der Wirbelsäule:

– Wirbelsäulenlot– Halslordose– Brustkyphose– Lendenlordose– Relief der Bauchmuskulatur

4. Becken/Hüftgelenke:– Beckenstand

(Fortsetzung)

– Beckenkippung– Hüftstreckung

5. Fuß-/Beinachsen:– Varus/Valgus Beinachse– Verkürzung der Beinlänge– Kniestreckung (Rekurvation/Antekurvation)– Sprunggelenke– Rückfußstellung– Fußgewölbe– Zehendeformitäten

6. Dynamisches Gangbild

Weitere Faktoren sind zu untersuchen, beispielsweise:

• Schonhaltung (einer Extremität, Hilfsstellungen etc. . . .),• Asymmetrie (Muskelminderung, Skelettdeformitäten, Mi-

mik etc. . . .),• Deformitäten (Skoliosen, Rippenbuckel, Kyphosen,

Gelenkachsen, Erguss etc. . . .),• Hautveränderungen (Narben, Tumore, Effloreszenzen,

Keratosen, Clavi, Verfärbung, Trophik, Turgor, Durchblu-tung etc. . . .),

• Kontrakturen.

2.2 Palpation

Palpiert wird in Ruhe und in Bewegung. Dabei werdenResistenzen, Schwellungen und Druckschmerzpunkte, aberauch physiologische Knochenhöcker, Gelenkspalten undPulse getastet sowie Gelenkanschlagspunkte und -qualitäten(weicher, harter Anschlag . . .) beurteilt.

2.2.1 Allgemeine StrukturenPalpiert werden müssen:

• Gefäße: Aufsuchen der Pulspalpationspunkte zur Erhe-bung des Gefäßstatus

• Muskulatur: Hyper-, Normo- oder Hypotonus im Seiten-vergleich unter Erschlaffung und unter maximalerAnspannung (Beispiel: Spastik, Kontraktur, Parese . . .)

• Sehnenansätze: „Schnappen“ der Sehne in der Sehnen-scheide/Ringband, Krepitieren oder Druckschmerzhaftig-keit am Sehnenansatz, knotige Veränderungen (Beispiel:„schnellender“ Finger, Achillodynie . . .), Einklemmungs-erscheinungen (Beispiel: Schulterimpingement)

• Periost: Lokalisierter oder generalisierter Druckschmerz(Beispiel: Osteitis, Tumor, Knochenprellung, -fraktur . . .)

• Knochen: Abnorme Beweglichkeit oder Krepitieren (Bei-spiel: Frakturen und Pseudoarthrosen . . .)

KonventionellesRöntgen

Fachspezifische Untersuchungen

ComputertomografieMyelo-CT

NervenleitgeschwindigkeitElektromyografie

(EMG, NLG)

Evozierte Potentiale(EVP)

Technische Untersuchungen

KernspintomograhieKernspin-Myelographie

TranskranielleMagnetstimmulation

(TKMS)

Funktionelle Myelographie

Doppler und andere

Quantitative sensorischeTestung

(QST)(in zertifizierten Laboren)

Abb. 5 Weiterführende, fachspezifisch-technische Untersuchung

6 K. Böhme et al.

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• Gelenk: Krepitieren, Blockade, „Schnappen“ (Beispiel:Arthrose, freie Gelenkkörper, Patelladysplasie . . .)

• Druckschmerzhaftigkeit: Flächenhafte oder punktförmigeDruckdolenz

• Nervenstatus: Abschn. 3

2.2.2 Spezielle StrukturenDarüber hinaus gibt es eine Reihe spezieller Strukturen, diepalpiert werden müssen. In Klammern sind mögliche patho-logische/schmerzhafte Befunde angegeben.

WirbelsäuleErtasten der Dornfortsätze aller Wirbel in kraniokaudalerRichtung. Regionale Landmarken für die Zuordnung zu fol-genden Strukturen:

• C7 (Vertebra prominens): Dieser Dornfortsatz zeigt eine„hervortretende“ Position am Übergang der Halslordosezur Brustkyphose.

• Th3: Dornfortsatz, der auf der Verbindungslinie der bei-den Schulterblattgräten (Spinae scapulae) liegt.

• Th7: Dornfortsatz, der bei angelegten Armen auf derVerbindungslinie der unteren Schulterblattwinkel liegt.

• L4: Dornfortsatz befindet sich in der Verbindungsliniezwischen den höchsten Punkten beider Beckenschaufeln.

• S2: Diesen Dornfortsatz findet man auf Höhe der Spinaeiliacae posteriores superiores. Diese hinteren oberenDarmbeinstachel sind bei vielen Menschen auch als dieseitlichen Eckpunkte der Lenden- bzw. Michaelis-Rautesichtbar, da dort die Haut zu kleinen Grübchen einsinkt.

Beckenregion und untere ExtremitätBeckenregion• Spina iliaca anterior superior (z. B. Ansatz von M. tensor

fasciae latae, Tractus ileotibialis . . .)• Beckenkamm (z. B. postoperativ nach autologer Spongio-

saentnahme . . .)• Spina iliaca posterior superior (z. B. postoperativ nach

autologer Spongiosaentnahme dorsal . . .)• Ileosakralfugen (ISG-Blockaden, Sakroileitis . . .)• Tuber ossis ischii (z. B. tendinöser Ansatz der „Ham-

stringsehnen“, Frakturen . . .)• Symphyse (z. B. chronische Instabilität nach Geburtsvor-

gang . . .)• Steißbein (z. B. Fraktur . . .)

Untere Extremität• Trochanter Major (z. B. Bursitis trochanterica, Coxar-

throse . . .)• Medialer und lateraler Femurkondylus (z. B. Gonarthrose,

Arthrose im Femoro-patellaren Gleitlager)

• Patella (z. B. Arthrose im femoropatellaren Gleitlager,Z. n. Patellaluxation mit Knorpelkontusion/abgeschertemosteochondralem Fragment, Patellaspitzensyndrom,-instabilität . . .)

• Medialer und lateraler Kniegelenkspalt (z. B. Meniskus-schaden . . .)

• Tuberositas tibiae (z. B. M. Osgood Schlatter . . .)• Fibulaköpfchen (z. B. chronische Instabiltät im proxima-

len Tibiofibulargelenk, hohe Fibulafraktur bei Maisonneu-ve-Verletzung im oberen Sprunggelenk . . .)

• Vordere und hintere Syndesmosenregion am oberenSprunggelenk (z. B. Verletzung der vorderen und/oderhinteren Syndesmosenbänder . . .)

• Außen- und Innenknöchel (z. B. Frakturen, Rupturen derSprunggelenksbänder . . .)

• Fersenbein-Würfelbein Bandhaft (z. B. Zerreißen derstraffen Bandverbindung bei Supinationstraumen . . .)

• Basis des 5. Metatarsale (z. B. Abrissfraktur bei Supina-tionstrauma, Jones-Fraktur . . .)

• Calcaneus (z. B. Frakturen, Haglund-Exostose, Fasziitisplantaris . . .)

• Fußwurzelknochen (z. B. postttraumatische Chopart-, Lis-franc-Instabilität, Arthrosen . . .)

• Metatarsale-Köpfchen (z. B. Morton Neurom, Transfer-metatarsalgie. . .)

• Zehengelenke (z. B. Metatarsalgie, Hallux valgus/rigidus. . .)Schulterregion und obere Extemität

Schulterregion• Sternoklavikulargelenk (z. B. Instabiltät . . .)• Clavicula (z. B. Fraktur . . .)• Processus coracoideus (z. B. Acromioclaviculargelenk-

[AC-]Bandverletzung, Fraktur . . .)• AC-Gelenk (z. B. akute oder chronische Instabilität . . .)• Subakromialraum (z. B. chronische Bursitis subacromia-

lis, Impingement . . .)• Tuberculum majus (z. B. Fraktur, Supraspinatussehnenpa-

thologie . . .)• Tuberculum minus (z. B. Fraktur, Infraspinatussehnenpa-

thologie . . .)• Sulcus intertubercularis (z. B. Bizepssehnenpathologie

. . .)• Scapula (z. B. Frakturen . . .)

Obere Extremität• Epicondylus humeri radialis und ulnaris (z. B. Frakturen,

Tennis-/Golferellenbogen . . .)• Sulcus N. ulnaris (z. B. posttraumatische, postoperative

Irritation des Nerven im Kanal . . .)• Olecranon (z. B. chronische Bursitis, Fraktur . . .)• Proximales und distales Radio-Ulnar-Gelenk (z. B. chro-

nische Instabilität, posttraumatisch . . .)

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• Processus styloideus radii et ulnae (z. B. posttraumatischeGriffelfortsatz- und Bandansatzverletzungen . . .)

• Tabatière (z. B. Scaphoidfraktur . . .)• Handwurzelknochen (z. B. Arthrose, chronische Instabili-

tät posttraumatisch . . .)• Fingergelenke (z. B. Herberden-, Bouchard-Arthroseloka-

lisation . . .)

2.3 Funktionsüberprüfung desBewegungsapparates

2.3.1 Allgemeines BewegungsmusterBei der allgemeinen funktionellen Untersuchung des Bewe-gungsapparates werden Aspekte wie Rotation der Beine,Gangbild (harmonisch, flüssig, humpelnd etc.), Abrollverhal-ten des Fußes (Steppergang, Zirkumduktion des Beines undFußes), Gelenkkontrakturen und einseitige Gelenkbelastungsowie das gleichmäßige Schwingen von oberen Extremitäten(Schultergelenke), Rumpf und unteren Extremitäten (Beinen)berücksichtigt.

2.3.2 BewegungsumfangNeben dem allgemeinen Bewegungsmuster wird auch deraktive und passive Bewegungsumfang aller Gelenke oderdes betreffenden Gelenkes beschrieben.

" Der aktive und passive Bewegungsumfang wird durch dieNeutral-Null-Methode quantifiziert!

Bei dieser Methode geht man von einem aufrechtstehen-den Menschen mit angelegten Armen aus; die Daumen zei-gen nach ventral und die Füße sind geschlossen. Eine Personin dieser Haltung befindet sich in der Neutral-Null-Stellung.Jede Bewegung aus den verschiedenen Ausgangsstellungenwird dann in Winkelgraden gemessen.

2.3.3 BewegungsebeneDarüber hinaus werden 4 Ebenen beschrieben. Die Median-ebene ist eine Symmetrieebene, die den Körper in zweispiegelbildlich gleiche Hälften teilt. Außerdem gibt es3 Bewegungsebenen: die Frontalebene (Abduktion/Adduk-tion, Abspreizen/Anspreizen), die Sagittalebene (Flexion/Extension, Ante-/Retroversion) und die Transversalebene(Innen-/Außenrotation). Wichtig ist es auch, diese Messun-gen im klinischen Verlauf zu beurteilen, um Verschlechterun-gen oder Verbesserungen detektieren zu können.

Weiterhin kann Traktion eines Gelenkes durch dieAbnahme des intraartikulären Druckes zu einer Schmerzlin-derung und Kompression/Stauchung durch Zunahme desintraartikulären Druckes zu einer Schmerzzunahme führen(beispielsweise die schmerzhafte Kompression und Stau-chung des in 90 Grad Flexion gebeugten Hüftgelenkes beivorliegender Coxarthrose).

2.3.4 GelenkspielDarüber hinaus ist auch die Qualität des Gelenkanschlagesbei der passiven Bewegungsprüfung zu beurteilen. Hierunterschiedet man

• hart-elastischen/knöchernen Anschlag (z. B. vordererSchubladentest bei der Prüfung auf Festigkeit des vorde-ren Kreuzbandes im Kniegelenk),

• weich-elastischen/muskulären Anschlag (z. B. bei derBeugung im Ellenbogengelenk) und

• fest-elastischen/ligamentären Anschlag (z. B. bei der vor-deren Schubladentestung des oberen Sprunggelenkes).

Bei Patienten mit „hyperlaxer“ Gelenkführung ist dasGelenkspiel deutlich lockerer als bei Patienten mit normalerGelenkführung; dies muss aber nicht pathologisch sein,sofern Seitengleichheit besteht.

Beispielsweise ist der Anschlag nach einer länger zurück-liegenden Ruptur des vorderen Kreuzbandes im Kniegelenkbei der vorderen Schubladentestung weich und in der Regelschmerzfrei, bei der akuten Kreuzbandruptur mit vorliegen-dem Kniegelenkserguss fest-elastisch und schmerzhaft.Dementsprechend kann sich auch die Qualität des Gelenkan-schlages je nach vorliegender Pathologie an einem Gelenkverändern.

2.3.5 MuskelkraftMit der Muskeltestung gegen Widerstand werden Muskel-kraft (isometrische Kontraktion) und die Beschaffenheit derSehnenansätze spezifischer Muskeln getestet. Durch Muskel-minderung nach Kniebinnenschaden etwa werden auch Min-derungen des Kraftgrades bei der Kniestreckung resultieren(Atrophie des m. vastus medialis), darüber hinaus kann einechronische Muskelverkürzung bei Provokationstest zuschmerzhaften Kontraktionen führen (z. B. bei Achillo-dynie).

Die Muskelkraft wird in einer Skala von 0–5 Kraftgra-den eingeteilt.

Kraftgrade0: Keine Muskelaktion1: Sicht- oder spürbare Muskelaktion, jedoch ohneWirkung2: Geringe Kraft; Bewegung bei Aufhebung derSchwerkraft (z. B. bei Lagerung auf einer Untersu-chungsliege)3: Bewegung gegen die Schwerkraft4: Kraft gegen Widerstand5: Volle Muskelkraft

8 K. Böhme et al.

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2.3.6 GelenkachsenEine Achsenabweichung in der Frontalebene bezeichnet manals Valgus- oder Varusstellung, in der Sagittalebene als Re-oder Antekurvation. Die Bezeichnungen gelten sowohl fürdie obere als auch für die untere Extremität.

2.3.7 NervendehnungstestsDie Nervenwurzeln ziehen durch die engen Foramina inter-vertebralia der Wirbelkörper und sind dabei von den Hirn-häuten umschlossen. Dies bietet ihnen Schutz vor störendenEinflüssen von außen, macht sie jedoch empfindlich für jeg-liche Art von raumfordernden Prozessen im Spinalkanal oderin den Foramina selbst (z. B. Facettengelenksarthrose, Tumo-ren, Bandscheibenvorfälle).

Bei klinischem Verdacht einer Wurzelirritation imLWS-Bereich kann man mit den sogenannten Lasègue- undBragard-Zeichen provozierenden Zug auf den Nerv unddamit i. d. R. einschießenden (neuropathischen) Schmerzausüben.

Lasègue-Zeichen Der Patient liegt mit seitlich angelagertenArmen auf dem Rücken (Abb. 13a; Abschn. 3.3). Der Unter-sucher beugt jeweils ein Bein im Hüftgelenk, während dasKniegelenk gestreckt ist. Ein positiver pathologischer Testliegt vor, wenn bei einer Beugung <70� zur Unterlage pro-vozierende Schmerzen auslösbar sind. Bei einer Beugung>70� sind auch bei Gesunden Schmerzen auslösbar, da beiden meisten untrainierten Patienten eine Verkürzung derischiokruralen Muskulatur vorliegt.

Bragard-Zeichen Da die zu untersuchenden Nerven nichtnur dorsalseitig an den unteren Extremitäten verlaufen, son-dern auch plantarseits entlangziehen, kann durch eine zusätz-liche Dorsalextension des Fußes im Anschluss an dieLasègue-Untersuchung der Zug auf die Nerven verstärktwerden (Abb. 6).

2.3.8 Becken-/Hüftgelenktest

Untersuchung der Iliosakralgelenke (ISG)Zur klinischen Untersuchung der Iliosakralgelenke werdendie Menell-Tests angewendet. Schmerzhafte Bewegungsein-schränkungen werden z. B. durch Entzündungen verursacht(Sakroileitis) und können durch provozierende Scherbewe-gung im Iliosakralgelenk ausgelöst werden.

1. Mennell-Zeichen Für diese Untersuchung befindet sichder Patient in Bauchlage. Mit einer Untersucherhand wird dasBecken manuell fixiert (dadurch entsteht axialer Druck aufdas Os sacrum), mit der anderen Untersucherhand wird dasgestreckte Bein vorsichtig von der Untersuchungsliege abge-hoben. Dadurch entsteht eine Scherbewegung im Iliosakral-gelenk der untersuchten Seite, die im Falle einer Entzündung

(Sakroileitis) oder muskulären Blockade (ISG-Blockade) zustechenden Schmerzen führt.

2. Mennell-Zeichen Der Patient ist in Rückenlage, das nichtzu untersuchende Bein wird an die Brust herangezogen undmit den Armen fixiert (Abb. 7). Dadurch kommt es zu einerDorsalkippung des Beckens und einer Lendenlordosenabfla-chung und somit zu einer Beckenfixierung. Anschließendwird eine Scherbewegung durch Hängenlassen des Beinesder zu untersuchenden Seite ausgelöst, bei der das Bein überdie Kante der Untersuchungsliege zu liegen kommt. Durchsenkrechten Druck auf das Bein wird eine Scherbewegungauf das gleichseitige Iliosakralgelenk ausgelöst: Bei Vorlie-gen einer Pathologie entsteht ein Schmerz.

HüftgelenktestsThomas-Handgriff Bei einigen Patienten kann das Beinnur dann in die Neutral-Null-Stellung gebracht werden, wenndas Becken kompensatorisch nach ventral gekippt wird.Ursache dafür ist eine Verkürzung (Kontraktur) der Beuge-muskulatur des Hüftgelenkes (z. B. bei Coxarthrose). DieKippung des Beckens führt dann zu einer verstärkten Len-denlordose, um die Kontraktur zu kompensieren. Beim auf-rechtstehenden oder liegenden Patienten kann es schwierigsein, zwischen einer primären oder einer dadurch bedingtenkompensatorischen Hyperlordose der LWS zu differenzieren(Abb. 8a). Dazu wird der Thomas-Handgriff benutzt: DerPatient ist in Rückenlage, auf einer Untersuchungsliege wirdein Hüftgelenk flektiert und das Knie an die Brust herange-zogen. Dadurch wird das Becken wieder nach dorsal gekippt.Bei Vorliegen einer Beugekontraktur des anderen Beines

Abb. 6 Bragard-Zeichen (aus Wottke 2004)

Somatische Schmerzdiagnostik 9

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wird dieses durch den Zug der verkürzten Muskeln von derUnterlage abgehoben (Abb. 8b).

Trendelenburg-Zeichen Diese Untersuchung dient zur Tes-tung der pelvitrochanteren Muskulatur. Bei Insuffizienz die-ser (Mm. glutaeus medius et minimus) sinkt die Hüfte beim1-Beinstand auf die kontralaterale (gesunde) Seite ab. Ist dieMuskulatur auf der linken Körperseite betroffen (z. B. nachHüft-TEP-Rezidiveingriffen), so sinkt das Becken auf dierechte Seite, wenn das rechte Bein angehoben wird (Abb. 9).

Beim Gehen kommt es dann bei einseitiger Pathologie zumTrendelenburg-Hinken, bei einem beidseitigen Befall zumWatschelgang (Entengang).

Axialer Hüftgelenks-Stauchungsschmerz Der Patient be-findet sich in Rückenlage. Das zu untersuchende Bein wirdim Knie- und Hüftgelenk gebeugt. Dabei umfasst der Unter-sucher mit beiden Händen den distalen Oberschenkel undstaucht ihn in axialer Richtung (Abb. 10). Schmerzen mitProjektion in die Leiste weisen auf eine Hüftgelenkspatholo-gie hin (z. B. Coxarthrose), bei Hüft-TEP-Prothesenträgernauf eine Implantatlockerung. Bei Schmerzprojektion in denLWS-Bereich ergeben sich Hinweise auf Bandscheibenpa-thologien oder degenerative Wirbelveränderungen.

3 Neurologische Untersuchung

" Eine orientierende neurologische Untersuchung sollte beisämtlichen Patienten mit einer chronischen Schmerzer-krankung erfolgen, auch wenn kein primär neuropathischanmutendes Beschwerdespektrum vorliegt. Grund dafürist, dass auch andersartige Schmerzformen durch neuro-logische Primärerkrankungen eine Negativbeeinflussungoder Triggerung erfahren können. Als Beispiel sind hartnä-ckige Zervikobrachialgien muskuloskelettärer Prägung zunennen, wie sie durch den Rigor eines fokal begonnenenMorbus Parkinson initiiert werden können.Abb. 7 2. Mennell-Zeichen

Abb. 8 Thomas-Handgriff: a ImLiegen kann eine vollständigeExtension des Hüftgelenks durchHyperlordose der lumbalenWirbelsäule und vermehrteBeckenkippung vorgetäuschtwerden. b Der Patient hält dasgegenseitige Bein mit maximalerFlexion im Hüftgelenk. Liegt eineFlexionskontrakur vor, so wirddas betroffene Kniegelenkangehoben

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3.1 Allgemeine Grundsätze

Vor der Durchführung einer neurologischen Untersuchungam schmerzkranken Patienten sollte man sich kurz folgendeallgemeingültige Grundsätze in Erinnerung rufen:

1. Der körperliche Untersuchungsgang vermag keinen Be-fund zu offenbaren, der als direktes Maß für die Intensitätbzw. die Beschwerdecharakteristik eines Schmerzsyn-droms heranzuziehen ist. Die festgestellten Auffälligkeitensind ausschließlich dazu geeignet, die der Schmerzausprä-gung ganz oder teilweise zugrunde liegenden Nerven- undMuskelschäden in ihrem Ausmaß zu beschreiben. Hierbei

zeigt die praktische Erfahrung einer neurologischenSchmerzpraxis immer wieder, dass die Intensität desbestehenden Schmerzsyndroms keine positive Korrelationzeigt zu Schwere und Ausmaß des vorliegenden neurolo-gischen Schädigungsmusters. Oftmals entsteht sogar derEindruck, dass eine langfristige Aktivierung der schmerz-wahrnehmenden Verarbeitungssysteme das Vorhandenseinrelativ intakter neuronaler Leitungs- und Funktionsstruk-turen voraussetzt.

" Entsprechend ist eine sehr sorgfältige Durchführung derneurologischen Untersuchung auch zum Aufspüren dis-kreter sensomotorischer Defizite notwendig (u. a. auchzur angemessenen Beurteilung gutachterlicher Fragestel-lungen).

2. Nahezu sämtliche Abläufe des neurologischen Untersu-chungsgangs erfordern ein relativ hohes Maß an Auffas-sungs- und Einschätzungsvermögen sowie an Fähigkeitzur realitätsgerechten Handlungskonturierung bei denbetroffenen Patienten. Als Beispiele sind hier die Auffor-derungen zur Beurteilung des Wahrnehmungsgehaltesunterschiedlicher taktiler Stimuli oder zur differenziertenmotorischen Bewegungsaktivierung im Rahmen vonKraft- und Koordinationsprüfungen zu nennen. DieserSachverhalt stellt für die Neurologie im Vergleich zuanderen Fachgebieten eine relative Besonderheit dar. Sowird auch die traditionelle Nähe zur Psychiatrie/Psycho-logie – u. a. im Hinblick auf die Beurteilung dissoziativerZustandsbilder oder somatoformer Störungen des Wahr-nehmungs- und Erlebnisspektrums – verständlich.

3. Die Beurteilung neurologischer Befundauffälligkeitenbeinhaltet die Notwendigkeit, speziell in morphologisch-topischer Hinsicht sehr großräumige Zuordnungen zuberücksichtigen. So kann z. B. der positive Ausfall desam Fuß auszulösenden Babinski-Zeichens Ausdruck einerLäsion der Pyramidenbahn im Bereich der kontralateralenGehirnhälfte etwa als Folge eines Hirntumors sein oderein neuropathisches Schmerzsyndrom der Handregionkönnte durch einen (evtl. auch sehr kleinen) Hirninfarktverursacht werden.

4. Die einzeln erhobenen Untersuchungsbefunde gewinnenihre Aussagekraft in der Regel erst in einer konklusivenZusammenschau sämtlicher Befunde. So ist z. B. ein sehrniedriges Reflexniveau bei einem psychovegetativ rechtangespannt wirkenden Patienten ohne weitere Untersu-chungsauffälligkeiten pathognomonisch als nicht relevanteinzuschätzen, stellt aber evtl. eine wichtige Auffälligkeitim Gefolge einer Polyneuropathie dar.

Abb. 9 Trendelenburg-Zeichen: a negativ (normal), b positiv (dasBecken sinkt auf der gegenüberliegenden Seite unter die Horizontaleab) (aus Krämer und Grifka 2007)

Abb. 10 Axialer Stauchungsschmerz des Hüftgelenkes

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3.2 Untersuchungsablauf

Es gibt keine durch Übereinkunft oder durch Sachzwängeentstandene Verbindlichkeit zum Ablauf des Untersuchungs-vorgangs. Es hat sich aber in den unterschiedlichen Darstel-lungen zur Erhebung des neurologischen Status die hiereingehaltene Reihenfolge eingebürgert.

Entsprechend ist eine sehr sorgfältige Durchführung derneurologischen Untersuchung auch zum Aufspüren diskretersensomotorischer Defizite notwendig (u. a. auch zur ange-messenen Beurteilung gutachterlicher Fragestellungen).

3.2.1 Überprüfung der HirnnervenHierbei ist aus praktischen Gründen ein funktionsorientiertesVorgehen notwendig. So sollte z. B. die Testung der Seh-leistung, Pupillomotorik und Okulomotorik für die Hirn-nerven I, III, IV und VI zusammengefasst erfolgen undgleichzeitig auf die Möglichkeit supranukleärer Störungen(etwa im Sinne einer vertikalen Blickparese) geachtet wer-den. Auch die Funktionstestung der Gesichtsmuskulatursollte simultan die motorischen Funktionen der HirnnervenV und VII erfassen.

Die Prüfung meningealer Reizerscheinungen (sog. Menin-gismus) als Indiz für eine Hirnhautentzündung oder eineSubarachnoidalblutung und die palpatorische Explorationder A. temporalis als möglicher Hinweis auf eine Arteriitistemporalis im Rahmen akut oder subakut aufgetretener Zeph-algien sollte aufgrund praktischer Erwägungen im Verlaufdieses Untersuchungsgangs erfolgen.

3.2.2 Erhebung des ReflexstatusHierfür ist eine bequeme Lagerung des Patienten (auf demRücken) von besonderer Bedeutung, da bei diesem Untersu-chungsschritt eine möglichst weitgehende Muskelentspan-nung anzustreben ist. Entsprechend sollte auf eine genügendeAuflagefläche für die Arme neben dem Körper in einer leichtangewinkelten Position geachtet werden. Eine Überstreckungder Halswirbelsäule aufgrund des Fehlens einer Kissenunter-lage bzw. einer Verstellmöglichkeit des Kopfteils ist ebenfallskontraproduktiv.

3.2.3 Prüfung des Muskeltonus, derMuskeltrophik und der Kraftentwicklung

Bei einer Inspektion des Muskelreliefs sollte u. a. berück-sichtigt werden, dass die Verschmächtigung von Muskel-gruppen aufgrund einer Adipositas in ihrem Ausmaß leichtunterschätzt wird und dass eine umschriebene Atrophie auchim Bereich der Rumpfmuskulatur entstehen kann.

Die Prüfung des Muskeltonus hat die Möglichkeit einerschmerzbedingten Tonuserhöhung z. B. im Sinne einerinstinktiven Schutzreaktion zu berücksichtigen. Ebenso kannes zu einer reflektorischen Innervationshemmung als Folge

starker Schmerzzustände kommen, deren Vorhandenseinnicht als Parese fehlgedeutet werden darf.

Verdeutlichungstendenzen erlebter Defizite werden er-kennbar durch eine Diskrepanz zwischen der motorischenFunktionsstörung bei zielgerichteter Überprüfung einerseitsund einer relativen Intaktheit der entsprechenden Innervati-onsmuster im Rahmen zweckorientierter Handlungsabläufeandererseits, z. B. Demonstration einer Fußheberplegie in derunmittelbaren Testsituation bei erhaltener Fähigkeit zumAbrollen des Fußes beim Gehen. Sie erschweren die Beurtei-lung der (evtl.) zugrunde liegenden, durch direkte neuronaleSchäden entstandenen Innervationsstörung erheblich, dürfenaber auf keinen Fall zu dem Umkehrschluss führen, dass einefunktionelle Innervationsstörung ein primäres organischesSchädigungskorrelat bereits „automatisch“ ausschließt.

" Die üblicherweise in Rückenlage erfolgende Untersuchungdes Patienten birgt die Gefahr, dorsal gelegene Auffällig-keiten zu übersehen (z. B. Manifestation einer Scapulaalata, Atrophie der Glutealmuskulatur).

Bei muskuloskelettären Schmerzbildern wird immer wie-der ein beginnender M. Parkinson übersehen, der z. B. mitdem fokalen Beginn seiner akinetisch-rigiden Symptomatikim Bereich eines Armes mit der Präsentierbeschwerde einesSchulter-Arm-Syndroms verknüpft sein kann.

3.2.4 Überprüfung der SensibilitätsfunktionDieser Untersuchungsschritt offenbart bei vielen Patienteneine nur gering ausgeprägte Fähigkeit zur differenziertenund nuancierten Selbstwahrnehmung. So besteht häufig dieTendenz, das durch chronische Schmerzen betroffene Kör-perareal auch mit Sensibilitätsstörungen zu assoziieren,obwohl tatsächliche Defizite sensibler Wahrnehmungsfunk-tionen nicht vorhanden sind. In jedem Fall sollten die ver-schiedenen sensorischen Qualitäten gezielt getestet werden,da dissoziierte Empfindungsstörungen (s. unten) durchauswegweisend für bestimmte Krankheitsprozesse sein können.Hier sei beispielhaft die häufig mit schweren neuropathischenSchmerzzuständen vergesellschaftete Syringomyelie genannt.

Die Testung der Nervendehnungszeichen bzw. derAusschluss einer erhöhten mechanischen Vulnerabilität derNervenhauptstämme bietet sich in diesem Untersuchungsab-schnitt an.

3.2.5 Evaluation der KoordinationDie koordinativen Funktionsabläufe stellen den Übergangdar – ausgehend von den einzelnen Möglichkeiten der moto-rischen Impulsgebung hin zu ihrer sinn- und zweckhaftenEinbindung in komplexe aufgabenbezogene und zielgerich-tete Handlungsmuster. Somit stellen sie relativ hohe Anfor-derungen sowohl an die planerischen Möglichkeiten als auchdie Antriebssteuerung der Patienten, und das Ergebnis wird

12 K. Böhme et al.

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stark beeinflusst durch ihre kognitive Selbsteinschätzung,motivationale Ausgangssituation und neuropsychologischeFunktionsintaktheit. Hierbei darf auch eine „unkritische“Unterbewertung von Defiziten, z. B. im Rahmen einerNeglektproblematik nach Schlaganfällen oder eines Stirn-hirnsyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma, nicht übersehenwerden. Umgekehrt können primär außergewöhnlich befä-higte oder hochtrainierte Menschen (z. B. Jongleure, Draht-seilartisten etc.) bereits initiale Störungen ihrer Koordinationzu einem Zeitpunkt wahrnehmen, an dem sie sich nochunseren „durchschnittlichen“ Testmethoden entziehen.

" In jedem Fall sind die Koordinationsabläufe aufgrund ihrerKomplexität als besonders „störanfälliger“ Bereich anzuse-hen für den Einfluss somatoformer Reaktionsbildungen imRahmen einer psychischen Grund- oder Begleitproblema-tik chronischer Schmerzerkrankungen.

Für die Erkennung stellt die Stereotypie der Fehlfunktionunter Vernachlässigung auch von Übungseffekten im Rah-men einer repetitiven Funktionsprüfung (z. B. konstantgleichförmiges Vorbeizeigen beim Finger-Nasen-Versuch)ein wichtiges Charakteristikum dar, ebenso wie die bereitsfür die Kraftprüfung beschriebene Variabilität der Funktions-abläufe in Relation zu den situativen Umständen.

3.2.6 Bewertung der neuropsychologischenAusgangssituation

Dieser Beurteilungsvorgang durchzieht nahezu automatischden gesamten Untersuchungsablauf, da speziell bei der neu-rologischen Statuserhebung der weitaus größte Anteil dietätige Mithilfe des Patienten verlangt. Entsprechend reduzie-ren sich die neurologischen Untersuchungsmöglichkeiten beibewusstlosen Personen drastisch.

Die Fähigkeit des Patienten, dem Untersuchungsablauf inseinen passiven und aktiven Anteilen zu folgen, lässt wich-tige Schlüsse auf die Intaktheit seiner umgebungsbezogenenWahrnehmungsqualitäten, seines kognitiven Strukturierungs-vermögens und der exekutiven Funktionssteuerung zu. Auchdie emotionale Reaktionsbildung auf Anforderungen istbedeutsam, da sie Rückschlüsse auf die intentionale undmotivationale Grundeinstellung des Patienten zulässt underste Hinweise auf psychische Beeinträchtigungsbilder gebenkann.

3.3 Untersuchungsgegenstand

In diesem Abschnitt werden die zu prüfenden Funktionsbe-reiche einzeln dargestellt unter Bezugnahme auf den ebenbeschriebenen Ablauf.

3.3.1 HirnnervenN. olfactorius (I) Prüfung der Wahrnehmung aromatischerRiechstoffe (z. B. Pfefferminze, Vanille) getrennt für jedesNasenloch in Abgrenzung gegenüber der Wahrnehmung sog.Trigeminusreizstoffe (mit einem schleimhautschädigendenPotenzial wie z. B. Salmiak).

Störungen sind z. B. nach Hirnkontusionen mit Beteili-gung der basalen Anteile des Frontalhirns oder Schädelfrak-turen unter Einbeziehung der Frontobasis denkbar.

N. opticus (II) Prüfung der Sehkraft (orientierende Wahr-nehmungseinschätzung) und der Gesichtsfeldentfaltung (fin-gerperimetrisch).

• Monokuläre Störung: gleichseitige prächiasmatischeLäsion (z. B. Retrobulbärneuritis).

• Bitemporale Störung: chiasmatischer Prozess (z. B. Hypo-physentumor).

• Homonyme Hemianopsie: retrochiasmatischer Prozesskontralateral (z. B. Posteriorinfarkt).

Spiegelung des Augenhintergrundes zur Beurteilung derPapille, z. B. Papillenstauung bei Pseudotumor cerebri mitchronischem Kopfschmerzsyndrom.

N. oculomotorius (III), N. trochlearis (IV), N. abducens(VI) Prüfung der Pupillo- und Okulomotorik.

Die Abduktion des Auges (M. rectus latissimus) erfolgtdurch den N. abducens und die Wendung nach innen-unten(M. obliquus superior) durch den N. trochlearis. Sämtlicheanderen Funktionen (einschließlich der Pupillenreaktionenauf Licht, konsensuell und bei Konvergenz) sind durch denN. oculomotorius vermittelt. Eine Anisokorie mit Ptosis undEnophthalmus kann auf ein Horner-Syndrom bei einer Stö-rung der sympathischen Innervation (z. B. bei einem Cluster-kopfschmerz oder einer ebenfalls häufig mit halbseitigenKopfschmerzen einhergehenden Dissektion der A. carotis)hinweisen. Hierbei stellt die gleichseitige Verengung derPupille den pathologischen Befund dar, auch wenn der Unter-suchungsaspekt manchmal eher eine Erweiterung auf derGegenseite auffällig erscheinen lässt. Konjugierte Blickpare-sen oder ein Nystagmus sind ganz überwiegend als supranu-kleäre ZNS-Affektionen (z. B. bei einer Multiplen Sklerose)einzuordnen.

N. trigeminus (V) Prüfung der Sensibilität des Gesichtessowie der Augen-, Mund- und Nasenschleimhaut und dermotorischen Funktion der Kaumuskulatur (Mundschließungund -öffnung):

Aufteilung in 3 Hauptäste (1. Stirn/Nase, 2. Wange,3. Temporal- und Unterkieferregion). Zuordnung des Korne-alreflexes folglich zum 1. Trigeminusast. Trigeminusneural-gien betreffen häufig den 2. und 3. Ast.

Somatische Schmerzdiagnostik 13

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N. facialis (VII) Prüfung der Gesichtsmuskulatur (außerden Kaumuskeln (N. trigeminus) und der Lidöffnung(N. oculomotorius)) und des Geschmackssinnes der vorderen2/3 der Zunge. Beobachtung einer Störung der Tränen- undSpeichelsekretion.

N. statoacusticus (VIII) Prüfung des Hörvermögens (orien-tierend durch Fingerreiben) und Beobachtung der Gleichge-wichtsfunktion:

Beeinträchtigungsmuster einerseits als Hyper- oder Hyp-akusis und andererseits in Form eines von den Patientenerlebten Drehschwindels (häufig mit ausgeprägter Übelkeit)spontan oder auf Provokation durch Lagerung mit Auslösungeines begleitenden Nystagmus der Augen.

N. glossopharyngeus (IX) Prüfung der Sensibilität desRachens und des weichen Gaumens sowie der Geschmacks-wahrnehmung im Bereich des hinteren Zungendrittels undBeobachtung des Schluckaktes (oberer Ösophagus, Larynx-und Pharynxmuskulatur quer gestreift):

Auffälligkeiten in Form eines Abweichens des Zäpfchenszur gesunden Seite (Kulissenphänomen) mit Herabhängendes Gaumensegels auf der betroffenen Seite. Abschwächungdes Würgreflexes und Dyssynergie des Schluckvorgangs.Entstehung einer Glossopharyngeusneuralgie.

N. vagus (X) Beobachtung der Stimmbandinnervation(durch den N. laryngeus recurrens Nervi vagi, Störung z. B.nach Strumektomie) und der Schlundinnervation (starke„Überlappung“ mit dem N. glossopharyngeus). Parasympa-thische Versorgung des gesamten Brust- und Bauchraumes.

N. accessorius (XI) Überprüfung der motorischen Funkti-onstüchtigkeit des M. sternocleidomastoideus (Kopfwen-dung zur Gegenseite) und des M. trapezius (gleichseitigeSchulterhebung).

N. hypoglossus (XII) Prüfung der Zungenmotilität: BeiLähmungen Abweichen zur betroffenen Seite beim Heraus-strecken der Zunge.

Meningeale Reizerscheinungen im Rahmen z. B. einerSubarachnoidalblutung oder einer Meningitis lassen sich pro-vozieren durch ein Vorbeugen des Kopfes mit dem Nachweiseiner Steifigkeit der Nackenmuskulatur (Meningismus) odereiner reflektorischen Beugung der Beine in den Knien (posi-tives Brudzinski-Zeichen). Ein positives Lhermitte-Zeichenmit Auslösung von Kribbelmissempfindungen am Rumpfund an den Gliedmaßen ist eher wegweisend für eine Rei-zung des Myelons selbst in seinem zervikalen Abschnitt, dahierbei insbesondere die Hinterstränge gereizt werden.

3.3.2 ReflexstatusMuskeleigenreflexe (MER) Prüfung durch Aktivierung derDehnungsrezeptoren in den Muskelspindeln mittels eineskurzen Schlages auf die jeweilige Ansatzsehne:

Pathologische Ausprägungsformen als Abschwächungdes MER bei Unterbrechung der peripheren Leitungsbahnenund Steigerung des MER evtl. auch mit kloniformer Ausprä-gung im Sinne einer Enthemmung bei Störungen der modu-lierend-zügelnden Pyramidenbahn des ZNS.

Praktisch wichtige Muskeleigenreflexe zeigt Tab. 1.

Fremdreflexe Prüfung der sensomotorischen Funktionsin-taktheit durch taktile Provokation einer Bewegungsreaktion:Pathologische Ausprägung als Abschwächung (z. B. im Sei-tenvergleich).

Praktisch wichtige Fremdreflexe sind:

• Bauchhautreflexe: Provokation einer Kontraktion derBauchwandmuskulatur durch intensiven fokalen Sensibi-litätsreiz (waagerechtes Bestreichen der Bauchwand) mitspinalem Niveau Th7–12,

• Kremasterreflex: Provokation einer Kontraktion desM. cremaster durch Oberflächenreiz mittels Bestreichenauf der Oberschenkelinnenseite mit spinalem NiveauL1, L2,

• Analreflex: Kontraktion des Analsphinkters bei Bestrei-chen der Analregion mit spinaler Segmenthöhe S3–S5,

• Plantarreflex: Zehenflexion auf Bestreichen der Fußsohlen-außenkante mit Segmenthöhe S1, S2.

Pathologische Reflexe Nachweis von Enthemmungsvorgän-gen bei Läsionen der Pyramidenbahn in Form einer langsamenDorsalextension der Großzehe und evtl. einer fächerförmigenSpreizung der Zehen II–Vauf folgende taktilen Standardreize:

• Babinski-Phänomen: Bestreichen des lateralen Fußaußen-randes,

• Oppenheim-Phänomen: Festes Bestreichen des Schienen-beines,

• Gordon-Phänomen: Kompression des Unterschenkels.

Tab. 1 Muskeleigenreflexe

Eigenreflex Muskel Segment

Radiusperiostreflex M. brachioradialis Nervenwurzel C5,C6

Bizepssehnenreflex M. biceps brachii Nervenwurzel C5,C6

Trizepssehnenreflex M. triceps brachii Nervenwurzel C6,C7

Patellarsehnenreflex M. quadricepsfemoris

Nervenwurzel L3,L4

Achillessehnenreflex M. triceps surae Nervenwurzel S1,S2

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3.3.3 Muskeltonus, -trophik und KraftentfaltungErforderlich ist eine Inspektion des Muskelreliefs im Bereichder Extremitäten und unbedingt auch des Rumpfes von ven-tral und dorsal (für den Schultergürtel, die Rückenstrecker-muskulatur und die Glutealregion).

Tonusprüfung mit Feststellung eines schlaffen Muskelto-nus unter passiven Ruhebedingungen PathologischeZustände sind Spastik (federnde Tonuserhöhung) bei Pyra-midenbahnläsionen (kann auch einschießend auftreten),Rigor (Zahnradphänomen) bei Parkinson-Syndromen unterfakultativem Einschluss auch der Rumpfmuskulatur, insbe-sondere dann in Form eines (oft als schmerzhaftes Zervikal-syndrom imponierenden) Nackenrigors, Dystonie bei sonsti-gen extrapyramidal-motorischen Läsionen insbesondere derStammganglien (z. B. nach hypoxischen Hirnschäden).

Kraftprüfungen erfolgen isometrisch gegen Widerstand(keine Testung der „Gelenkigkeit“).

Graduierung der Kraftentfaltung0: Paralyse1: Sichtbare Kontraktion ohne Effekt2: Bewegungsimpuls unter Ausschluss der Schwer-kraft möglich3: Bewegung gegen Schwerkraft möglich4: Bewegung gegen Widerstand kraftgemindert5: Normale Kraftentfaltung (im Seitenvergleich)

Wechselnde Paresegrade finden sich bei der Myastheniagravis, dem Lambert-Eaton-Syndrom und den Paresen beiElektrolytentgleisungen (insbesondere der hypokaliämischenLähmung).

Peripherer Läsionsort (Nerv, Plexus, Nervenwurzel, Vor-derhornzelle): Parese mit schlaffem Tonus, Abschwächungder Muskeleigenreflexe und Atrophieentwicklung.

Zentraler Läsionsort (Myelon, Zerebrum): Parese mitTonuserhöhung, Steigerung der Muskeleigenreflexe und,bei chronischem, hochgradigem Schädigungsmuster, fakul-tativer Atrophie.

3.3.4 SensibilitätAusbreitung und Verteilung Alle Sensibilitätsstörungenund Schmerzen können bestimmten Verteilungsmustern amKörper folgen, die Rückschlüsse auf die Lokalisation derSchmerzursache zulassen (Abb. 11).

Erfassung von Reizzuständen Hierzu gehören die Paräs-thesie (z. B. Kribbelsensationen) und als neuropathische

Spontanschmerzen die Neuralgie (z. B. messerstichartiganfallsweise einschießende Schmerzattacken) oder Kausalgie(anhaltender Brennschmerz).

Wahrnehmungsqualitäten Hier müssen folgende Empfin-dungen geprüft werden:

• Oberflächliches Berührungsempfinden einschließlich Zwei-punktdiskrimination– Störungsmuster: Hyper-, Hyp- und Anästhesie

• Temperaturempfindung für Kälte- und Wärmereize– Störungsmuster: Thermhypästhesie, Thermanästhesie

• Bewegungs- und Lageempfindung durch adäquate Wahr-nehmung auch von diskreten Stellungsveränderungen anden Gelenken (vorzugsweise Endphalangen der Händeund Füße)– Störungsmuster: Abschwächung

• Vibrationsempfinden (Stimmgabeltest mit knöchernerSchwingungsübertragung)– Störungsmuster: Pallhypästhesie, Pallanästhesie

• Schmerzempfinden seitens oberflächlich (aus der Haut)und auch tief (aus den Gelenkkapseln und Muskelfaszien)entspringender Afferenzen, die durch sämtliche sensiblenReizqualitäten (insbesondere Berührung, Hitze, Kälte)evozierbar sind, sobald die Reizintensität eine entspre-chende Schwellenstärke überschreitet– Störungsmuster: Hyper-, Hyp- und Analgesie

" Eine Dysästhesie ist die qualitative Veränderung deseigentlich durch einen bestimmten Reiz evozierten Wahr-nehmungscharakters, insbesondere in Form einer Allo-dynie als evozierbarer neuropathischer Schmerz auf eineprimär als nicht schmerzhaft einzustufende Reizform.

Insbesondere Schäden des Myelons können zu dissoziiertenEmpfindungsstörungen führen mit isolierter Beeinträchtigungdes Schmerz- und Temperaturempfindens bei umschriebenenLäsionen des kontralateralen Vorder-/Seitenstranges z. B. imRahmen eines Brown-Séquard-Syndroms (Abb. 12). Auch einisolierter Befall markloser Nervenfasern im Rahmen einerPolyneuropathie kann zu einer akzentuierten Störung dergenannten sensiblen Qualitäten führen.

Das Nervendehnungszeichen nach Lasègue (Abb. 13a)mit einer Schmerzprovokation im Verlauf des N. ischiadicusdurch ein Anheben des gestreckten Beines stellt in der Regeleinen Hinweis für ein radikuläres Reizsyndrom der denN. ischiadicus versorgenden Nervenwurzeln dar. Gleichesgilt für den N. femoralis durch die Prüfung des umgekehrtenLasègue-Zeichens (Abb. 13c) mit Überstreckung des Beinesin der Hüfte.

Für die Prüfung peripherer Nervenreizzustände (z. B. imRahmen eines Karpaltunnelsyndroms oder eines Sulcus-

Somatische Schmerzdiagnostik 15

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ulnaris-Syndroms) eignet sich das Hoffmann-Tinel-Zeichenmit einem Beklopfen der Nervenhauptstämme in den entspre-chenden Engpassbereichen.

3.3.5 KoordinationsfunktionenZeigeversuche und Zielbewegungen Finger-Finger-Ver-such (Zusammenführung der Finger), Finger-Nase-Versuch(Berührung der Nasenspitze mit dem Zeigefinger nach weitausholender Zielbewegung) und Knie-Hacken-Versuch (Be-rührung einer Kniescheibe mit der kontralateralen Ferse undanschließendes Hinabfahren an der Schienbeinkante) jeweilsmit geschlossenen Augen zur Testung einer komplexen Inte-grationsleistung der körperbezogenen Wahrnehmungsfunk-tion einerseits und der zielgerichteten Bewegungssteuerungandererseits:

Pathognomonische Auffälligkeiten finden sich in Formeines Intentionstremors und überschießender Bewegungsab-läufe als zerebelläres Symptom bzw. einer dysmetrisch/hypo-metrisch-hypermetrischen Durchführung als Hinweis aufAfferenzstörungen, Hyperkinesen, aber auch Paresen (insbe-sondere bei Hypometrie).

Bewegungskoordination Prüfung der Diadochokinese(rasch aufeinanderfolgende Pro- und Supinationsbewegungder Unterarme) und des Reboundphänomens (Reaktionsfä-higkeit auf den raschen und überraschenden Wegfall einesmit deutlicher isometrischer Kraftentfaltung kontrolliertenWiderstandes) zur Testung zerebellärer Steuerungseigen-schaften:

D2

3

4

5 6 7 8 9 10 11 12

V1

V2V3

N. occipitalis major

N. occipitalis minor

N. auricularis magnus

N. cutaneus brachiiradialis (N. axillaris)

N. cutaneusbrachii ulnaris

N. cutaneusbrachiidorsalis(N. radialis)

N. cutaneusantebrachiiulnaris

N. cutaneusfemorislateralis

N. cutaneussurae lateralis(N. peroneus)

N. calacaneuslateralis (N. tibialis)

Nerviclunium

Periphere Innervation

V. Hirnnerv N. trigeminus

Plexus cervicalis

Plexus brachialis

thorakale Rumpfnerven

Plexus lumbalis

Plexus sacralis

N. suralis

N. peroneusprofundus, N. peroneus superficialis

N. suralis(N. tibialis)

N. saphenus(N. femoralis)

N. cutaneusfemoris dorsalis

R. calcaneus(N. tibialis)

N. plantaris medialis(N. tibialis)

N. peroneus profundus,N. peroneus superficialis

N. obturatorius

N. cutaneus femoris ventralis (N. femoralis)

N. genitofemoralis

N. ileohypogastricus

N. ileoinguinalis

N. cutaneusbrachii ulnaris

Nn. supraclaviculares

N. cutaneus brachiiradialis (N. axullaris)

N. cutanus antebrachii radialis (N. musculocutaneus)

N. ulnaris

N. ulnaris

N. cutaneus brachii radialis(N. axillaris)

N. radialis

N. medianus

N. cutaneus antebrachii

dor. (N. radialis)

N. radialis

N. cutaneusantebrachiiradialis( N. musculo-

cutaneus)

N. ulnaris

N. medianus

3

456789

1011

12

L1

L2

L3

L3

L4 L5

L2

L5 S1

S2

S2

S1

S2

C2

C3

C4

C5C5

C6

C8

C1

D2

D2

D2

D1

C1 C6

C8

D1

S5

Segmentale Innervation

Zervikalnerven

Thorakalnerven

Lumbalnerven

Sakralnerven

a

b

Abb. 11 Innervation. a peripher, b segmental (nach Poeck und Hacke 2006)

16 K. Böhme et al.

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Pathognomonische Auffälligkeiten sind eine A-, Dys-oder Bradydiadochokinese bzw. ein überschießendes Re-boundphänomen.

Koordination des Körpers im Raum Prüfung des Stehver-mögens (Stand mit geschlossenen Augen, nach vorn ausge-streckten Armen und geschlossenen Füßen), Unterberger-Tretversuch (Treten auf der Stelle mit geschlossenen Augen),Blindgang, Seiltänzergang (Gehen auf einem imaginärenStrich) zur Testung afferenter Wahrnehmungsfunktionen(peripher, medullär) und zerebellovestibulärer Abläufe:

Pathognomonische Auffälligkeiten finden sich in Formeiner ungerichteten Fallneigung bei Tiefensensibilitätsstörun-gen und einer einseitigen Fallneigung bzw. Drehtendenz indie entsprechende Richtung bei gleichseitigen vestibulärenoder zerebellären Beeinträchtigungen. Abasie als Gangunfä-higkeit.

Eine Dysmetrie der Sprache zeigt sich in Form einerDysarthrie (z. B. skandierende Sprachproduktion, verwa-schene Artikulation), die nicht mit einer Aphasie (s. unten)zu verwechseln ist.

3.3.6 NeuropsychologiePsychoorganische Grundfunktionen sind:

• Bewusstseinssteuerung,• umgebungsbezogene Aufmerksamkeitsfokussierung,• Stabilität des Konzentrationsniveaus,• gedankliches Reflexionsvermögen formal und inhaltlich,• situationsbezogenes Handeln und sinnbezogene Struktu-

rierung von Entscheidungsvorgängen,

• Affektkonturierung,• angemessene Antriebsaktivierung für exekutive Funkti-

onsabläufe.

Hirnlokale kortikale Leistungseigenschaften sind:

• Merkfähigkeit und Gedächtnisfunktion (Temporalhirn).• Sprachverständnis, -gedächtnis und Sprachproduktion mit

einem Störungsmuster z. B. als Broca-Aphasie (Beein-trächtigung der Sprachflüssigkeit bei relativ gut erhalte-nem Verständnis) oder als Wernicke-Aphasie (schwer-punktmäßige Sprachverständnisproblematik).

• Praktisches Strukturierungsvermögen von zweckbezoge-nen Handlungsabläufen mit einem Beeinträchtigungspro-fil im Sinne einer ideomotorischen Apraxie (Störung derBewegungsarchitektur), ideatorischen Apraxie (Zusam-mensetzung der einzelnen Bewegungsmuster zu einemHandlungsablauf) und konstruktiven Apraxie (Integrationder Handlungsabläufe in eine Planungsstruktur).

• Erkenntnisfunktion für den eigenen Organismus in Ver-knüpfung mit den Umgebungsbezügen mit einer Defekt-bildung im Sinne einer Agnosie (z. B. als Hemineglectnach Schlaganfall mit Beeinträchtigung des parietalenAssoziationskortex oder als Autotopagnosie mit Orientie-rungsverlust für die eigenen Körperkonstellationen).

Weitere Einzelheiten zum psychischen Befund finden sichim Kap. ▶ „Psychische Erkrankungen und Schmerz“.

Zentromedulläres Syndrom Gekreuztes Hirnstammsyndrom Hemisphärales Syndrom Brown-Sequard-Syndrom

Abb. 12 Sensibilitätsstörungen: zentromedulläres Syndrom, gekreuztes Hirnstammsyndrom, Hemihypästhesie, Brown-Séquard-Syndrom(gepunktet: Störung der Schmerz- und Temperaturwahrnehmung, schraffiert: Beeinträchtigung der epikritischen Sensibilität, schwarz: Läsionshöhe)

Somatische Schmerzdiagnostik 17

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Literatur

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Urban P (2012) Klinisch-neurologische Untersuchungstechniken.Thieme, Stuttgart

Wottke D (2004) Die große orthopädische Rückenschule. Springer,Berlin/Heidelberg

Abb. 13 Lasègue-Manöver. a Positives Lasègue-Zeichen (Ischiasdeh-nungsschmerz): Nervendehnungszeichen zur Bestimmung des Schwe-regrades einer Lumboischialgie. Meist positiv bei radikulären L4/L5-und L5/S1-Syndromen. Die Auswertbarkeit ist stark von der Koopera-tion des Patienten abhängig. b Pseudo-Lasègue: Beim Durchführen desLasègue-Manövers entwickelt sich langsam ein diffuser, dumpferSchmerz in LWS, Gesäß oder Oberschenkelrückseite ohne radikuläreAusstrahlung über das Knie hinaus. c Umgekehrter Lasègue-Test(Femoralisdehnungsschmerz): In Bauchlage erfolgt eine passive Über-streckung des Hüftgelenks bei gebeugtem Kniegelenk. Ein Femoralis-dehnungsschmerz weist auf eine höher gelegene Wurzelreizung imBereich von L3/L4 hin (mod. nach Pain Academy)

18 K. Böhme et al.