Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen...

29
Das Thema meiner Seminararbeit lautet: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz) Autor: Markus Nagel FB 2 TH Darmstadt Veranstaltung: „Krieg in der Stadt: Religiöse Konflikte und Zunftaufstände“, Seminar im WS 96/97 Dozenten: Prof. Dr. Helmut Böhme und Dr. Dieter Schott

Transcript of Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen...

Page 1: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Das Thema meiner Seminararbeit lautet:

Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation

in den oberdeutschen und schweizerischen Städten

(Zürich, Strassburg und Konstanz)

Autor: Markus Nagel FB 2 TH Darmstadt

Veranstaltung: „Krieg in der Stadt: Religiöse Konflikte und Zunftaufstände“, Seminar

im WS 96/97

Dozenten: Prof. Dr. Helmut Böhme und Dr. Dieter Schott

1 EINLEITUNG..........................................................................................................................

2 HAUPTTEIL............................................................................................................................

2.1 ALLGEMEINE GEGEBENHEITEN AM ‘VORABEND’ DER ZWINGLISCHEN REFORMATION.................2.1.1 Humanismus.....................................................................................................................2.1.2 Kirchliches Leben.............................................................................................................2.1.3 Die schweizer Verfassung.................................................................................................2.1.4 Soziale und wirtschaftliche Verhältnisse...........................................................................2.1.5 Solddienst.........................................................................................................................

2.2 ULRICH ZWINGLI.....................................................................................................................2.2.1 Biographie........................................................................................................................2.2.2 Theologie Zwinglis...........................................................................................................

Page 2: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

2.3 VERLAUF DER DREI ZWINGLISCHEN STADTREFORMATIONEN......................................................2.3.1 Die Züricher Reformation.................................................................................................2.3.2 Opposition gegen die Zürcher Reformation.......................................................................2.3.3 Die Strassburger Reformation...........................................................................................2.3.4 Die Konstanzer Reformation.............................................................................................2.3.5 Versuch einer Schematisierung der drei Stadtreformationen.............................................

3 SCHLUSS.................................................................................................................................

1 Einleitung

Die Reformation steht am Tor vom ‘finsteren’ Mittelalter zur Neuzeit. Sie führt zu tiefgreifenden

Veränderungen in Kirche und Gesellschaft. Es gibt drei massgebende Reformatoren: Martin

Luther, in Wittenberg tätig, Johannes Calvin in Genf und Ulrich Zwingli in Zürich. Die

reformatorische Bewegung, die mit Zwingli in Verbindung steht, soll Thema dieser Arbeit sein.

Nicht behandelt wird der Zusammenbruch der Reformationsbewegungen im Konflikt mit den

gegenreformatorischen Kräften.

2

Page 3: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Zeitraum der zwanziger Jahre im 16. Jahrhundert.

Drei Stadtreformationen (Zürich, Strassburg und Konstanz) sollen dargestellt und ihre

zwinglische Prägung nachgewiesen werden. Die Stadtreformation wird in der Forschung oft

einerseits als ‘Ratsreformation’ oder andererseits als ‘Volksreformation’ gesehen 1. Lässt sich

diese Gegenüberstellung begründen oder entwickelt sich die Stadtreformation durch einen

Interessenskonflikt zwischen Rat und Bevölkerung?

Aufgebaut ist die Arbeit in drei Teile: Erstens beschäftigt sie sich mit der Lage der

Eidgenossenschaft und mit den Vorbedingungen der Reformation am Ausgang des 15.

Jahrhunderts. Zwingli, seine Biographie und seine Theologie bilden den zweiten Teil.

Schliesslich werden die drei Zwinglischen Stadtreformationen miteinander verglichen.

2 Hauptteil

2.1 Allgemeine Konstellation am ‘Vorabend’ der Zwinglischen Reformation

2.1.1 Humanismus

Der Humanismus2 als geistige Bewegung beeinflußte die Reformatoren ‘zwinglischer’ Prägung.

Die große Leitfigur des Humanismus war der Philosoph und Theologe Erasmus von Rotterdam.

Erasmus übte einen starken Einfluß auf die geistige Entwicklung des jungen Zwingli aus. Wie

seine Biographie zeigt, emanzipierte Zwingli sich mit den Jahren der Reformation immer mehr

von Erasmus.

Der Humismus ist eine Gelehrtenbewegung,

„eine […] Bewegung des Entdeckens, Erlebens und der Selbstverwirklichung, und ihre Parole ‘ad fontes’ meint im Kern den Ruf ‘zur Sache’ selbst, zu den Lebenswirklichkeiten, von denen in den literarischen Quellen berichtet wird.“3

Der Humanist will sich emanzipieren, auch wenn seine, damit gewonnene Lebensführung an die

Grenzen der mittelalterlichen Gesellschaftssysteme stößt. Vielfach überschreitet der Humanist

1 zum Beispiel, Moeller B., Reichsstadt und Reformation (Schriften des Vereins zur Reformationsgeschichte 180), [Ortsangabe fehlt] 1962, angegeben In: Brady Jr., Thomas A., Göttliche Republiken: die Domestizierung der Religion in der deutschen Stadtreformation, In 500 Jahre Zwingli (109-136)

2 Definition: „Im MA. [Mittelalter] in Europa entstandene Bewegung, deren Ziel das Studium der Antike sowie die umfassende Bildung des Menschen war. Der mittelalterl.[iche] H.[umanismus] hatte seine Blüte im 12. Jahrh.[undert] in Frankreich und England. Im 14. Jahrh.[undert] bildete sich in Italien der die Neuzeit mitprägende Renaissance-H.[umanismus] (Dante, Petrarca, Poggio). Zur Beschäftigung mit dem r.[ömischen] kam seit dem 15. Jahrh.[undert] die mit dem griech.[ischen] Schrifttum. Im 15. Jahrh.[undert] griff der Renaissance-H.[umanismus] auf Frankreich, Dtl.[Deutschland] und Holland (Erasmus, Celtis, Hutten, Reuchlin, Melanchthon so wie England(Th. Morus) über.“ In: Der Volks Brockhaus, Wiesbaden 197114

3 Locher Gottfried W., Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte, Göttingen 1979, S.43

3

Page 4: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

mit seinen neuen Erkenntnissen die Grenzen der Dogmatik und der Norm des gesellschaftlichen

Zusammenlebens. Ähnlichkeiten ergeben sich zwischen dem Humanisten und dem Reformator.

Wir fügen hier bereits an, daß dort, wo diese Haltung des Fragens nach der Sache selbst sich den literarischen ‘Quellen’ des ‘ursprünglichen’ Christentums zuwenden wird, der Heiligen Schrift, ein Humanist durchaus zugleich zum Reformator werden kann. Das wird in der schweizerischen Reformation der Fall sein.“4

Beide sind auf der Suche nach dem Ursprünglichen, beide geben sich im Zweifelsfall nicht mit

der herrschenden Lehre, die von der Lehrautorität aufgestellt ist und den Rang eines unfehlbaren

Dogmas hat, zufrieden. Beide stellen Grundlagen der Gesellschaft des ausgehenden Mittelalters

in Frage. Der Humanismus hatte auch ein ‘missionarisches’ Anliegen. Der Humanist blieb nicht

dabei stehen, selbst erkannt zu haben, er wollte mit diesem Erkannten die Menschen

weiterbilden. Die humanistische Bewegung war eine Bildungsbewegung. Die Schweiz brachte

selbst eine große Zahl namhafter Humanisten hervor5, die sich aber hauptsächlich national

verpflichtet fühlten und volksverbunden waren. Es gab also den Humanismus in der Schweiz

nicht als europäische beziehungsweise weltbürgerliche Bewegung, vielmehr verstand er sich als

schweizer Humanismus. Unter den schweizer Humanisten herrschte ein Gefühl der

Zusammengehörigkeit. Sie vereinten sich in der Sorge um die Existenz ihres Landes. Sie wollten

eine „schweizer Kulturnation schaffen“6. Der schweizer Humanismus in seiner pädagogischen

Zielsetzung überlebte die Reformation und wurde sogar von der katholischen Gegenreformation

weitergeführt.7

2.1.2 Kirchliches Leben

Das Gebiet der dreizehn alten Orte war auf vier Diözesen verteilt: Konstanz, Basel, Lausanne

und Chur. Kirchliches Herrschaftsgebiet entwickelte sich in seiner Struktur und in seinen

Grenzen eigenständig und unabhängig von der Einteilung der weltliche Herrschaftsbereiche.

Zuständigkeitsstreitigkeiten waren die Folgen. Ein Landesherr hatte es also häufig mit zwei

Bischöfen zu tun. Seine Untertanen gehörten zu unterschiedlichen Bistümern. Zu Zeiten der

konfessionellen Aufspaltung produzierte diese Tatsache beträchtliche Interessenskonflikte

zwischen Landesherr und Klerus.

In Fragen des kirchlichen Lebens hatte es der Klerus mit einem völlig unmündigen Laien zu tun.

Der Laie war ganz auf die Gunst seines zuständigen Priesters angewiesen. Der Priester herrschte

4 Ebenda

5 vergleiche (Vgl.) Locher, Zwingli, S.45-51

6 Ebenda, S.53

7 Vgl. Ebenda, S.54

4

Page 5: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

über die Sakramente8. Die Sakramente galten als Garantie für das Seelenheil des Einzelnen. Er

glaubte ‘an’ die Kirche. „Dieser Glaube an die Kirche […] konkretisierte sich an einem

unersättlichen Wunderglauben,“9 gepaart mit einem extremen Marienkult. Im Gegensatz zum

europäischen Klerus waren die schweizer Geistlichen weniger im ‘sittlichen Verfall’ begriffen.

Die Angriffe der oberdeutschen und schweizerischen Reformatoren richteten sich daher auch in

erster Linie nicht gegen einen Verfall der Sitten. Nicht weniger als das herrschende

Selbstverständnis der Kirche, als Hüterin und Spenderin des Seelenheils seiner Gläubigen, wurde

durch die Angriffe der Reformatoren in Frage gestellt.10

Bereits im Vorfeld der Reformation hatte sich auf dem Gebiet der Eidgenossen eine

Überlegenheit der Landesherren gegenüber dem Klerus etabliert. Es zeigte sich daran, daß der

Landesherr in kirchliche Belange, die der Herrschaft des Bischofs oblag, eingreifen konnte und

von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machte. Die Bevölkerung empfand die

Eingriffsmöglichkeit des Landesherrn als legitim. Für das reformatorische Gemeindeprinzip,

können die obrigkeitlichen Eingriffe als grundlegende Vorbereitung dienen.

2.1.3 Die schweizer Verfassung

Das Gebiet, das die Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert umfaßte, kann im streng

rechtlichen Sinn nicht als Staat bezeichnet werden. Es handelte sich um einen lockeren Bund

von souveränen Staaten. Drei verschiedene Gebietsarten waren zu unterscheiden: ‘Orte’ die auch

‘Stände’ genannt werden können (daraus wurden später die Kantone), ‘zugewandte Orte’ und

‘gemeine Herrschaften’. Jeder ‘Ort’ konnte die Tagsatzung einberufen, wenn Probleme

auftauchten, die gemeinsam als Eidgenossen anzugehen waren. Die Entscheidungen der

Tagsatzung waren keine verbindlichen Rechtsnormen. Sie hatten allenfalls den Rang eines

unverbindlichen Vorschlag. Gegen „widerstrebende Minderheiten“11gab es kein wirksames

Druckmittel. Zürich war eine von 13 ‘Orten’. Straßburg und Konstanz galten offiziell nicht als

‘zugewandte Orte’, durch ihre Bedeutsamkeit hatten sie aber eine den ‘zugewandten Orten’

vergleichbare Stellung. Konstanz beherbergte den Sitz des Bischofs, welcher für große Teile der

Eidgenossen als kirchliche Obrigkeit zuständig war. Straßburg galt als wirtschaftlich bedeutende

Stadt. Das Gebiet der Eidgenossenschaft liess sich auch noch in andere Einheiten einteilen: in

Länder und Städte. Die Städte waren aristokratische Republiken. Als von Alters her „extreme

8 Definition: Gnadenmittel, In: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) Duden, Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, Mannheim 197317

9 Locher, S.36

10 Ebenda, S.37

11 Ebenda, S.18

5

Page 6: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Demokratien; lag alle Gewalt bei der Landsgemeinde“12 13. Im europäischen Vergleich hatte der

Einzelne in der Eidgenossenschaft sehr viel Macht. Alle männlichen Schweizer führten eine

Waffe mit sich. Es bedurfte von Seiten der Obrigkeit viel Sensibilität im Umgang mit der

Bevölkerung, wollte man das bewaffnete Potential für sich nutzen und nicht gegen sich selbst

gerichtet sehen.

2.1.4 Soziale und wirtschaftliche Verhältnisse

Große Teile der Schweiz wurden genossenschaftlich verwaltet. Die Landvögte zogen die Steuern

ein, verantworteten die Aufstellung eines militärischen Aufgebots, ferner oblag ihnen die hohe

und niedrige Gerichtsbarkeit. Es gab kaum mehr Leibeigenschaft und Hörigkeit. Wirtschaftlich

dominierte ein breiter wohlhabender Mittelstand.

2.1.5 Solddienst

Im 15. Jahrhundert verstrickten sich die Schweizer in zahlreiche Kriege. Den militärischen

Konflikt aufgezwungen, stand für die Eidgenossenschaft ihre Unabhängigkeit gegenüber den, in

Expansion begriffenen herrschenden Mächten in Europa auf dem Spiel. Die Schweizer

überstanden die Kriege als Sieger. Als Folge der erfolgreichen eidgenössichen Kriegspolitik

begann man die Schweiz politisch zu isolieren. Man schuf den Mythos des ‘unbesiegbaren

kriegswütigen Barbaren’14. Die Schweizer verstanden es, ihr neues Image zu verwerten. Sie

pflegten ihre militärische Stärke, waren als Söldner sehr gefragt. Nach den Kriegen des 15.

Jahrhunderts war die Neutralität politisches Programm und Ziel der Schweiz. Zahlreiche

Soldbündnisse mit fremden Fürsten führten aber genau zum Gegenteil der angestrebten

Neutralität. Viele beklagten infolge des Soldienstes den ‘Verfall der Sitten’, das übertriebene

Streben nach Luxus und die Arbeitsscheu bei Bauern, Hirten und Handwerkern. Viele

Bergbauern ließen sich als Söldner anwerben, weil sie hofften, ihren Lebensunterhalt als Söldner

leichter zu verdienen als mit dem beschwerlichen Arbeiten eines Bergbauern. Viele Bergtäler

verloren ihre arbeitsfähigen Männer. Hunger und Seuchen bei den Zurückgebliebenen waren die

Folgen.15

12 Ebenda, S.20

13 „[…] dem Zusammentritt der Männer von 16 Jahren an unter freiem Himmel. Aussprache und Abstimmungen waren offen. Diesem in der Theorie sympathischen Brauch entsprach durchaus nicht immer das tatsächliche Maß an Entscheidungsfreiheit des Einzelnen. Die Landsgemeinde war oft der Demagogie oder dem Druck der Reichen und Mächtigen, […] ausgesetzt, die Verwaltung damit der Willkür.“ Zitiert, In: Ebenda

14 Vgl. Ebenda, S.22

15 Vgl. Ebenda, S.25f.

6

Page 7: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

2.2 Ulrich Zwingli

2.2.1 Biographie

Am 1.1.1484, wurde Huldrych16 Zwingli in Wildhaus im Toggenburg als dritter Sohn von Ulrich

Zwingli geboren. Er stammte aus bäuerlichen, wohlhabenden Verhältnissen. Bis zum Jahr 1497

genoß Zwingli eine traditionelle Schulbildung. Danach nahm sich der berühmte Heinrich

Wölflin, auch Lupulus genannt, aus Bern sich seiner an. Sein Vater schickte Ulrich, nachdem er

beinahe in ein Dominikanerkloster eingetreten war, nach Wien an die Universität. Zum

Sommersemester 1502 immatrikulierte er sich in Basel. Dort erwarb er 1504 den ‘Baccalaurus

an der philosophischen Fakultät, und 1506 den Titel des Magisters der freien Künste. Im selben

Jahr begann er mit dem Theologiestudium und wurde gleichzeitig als Pfarrer nach Glarus an die

dortige Kirchengemeinde berufen. In diesen Jahren lernte Zwingli verschiedene Humanisten

kennen, denen er sich freundschaftlich anschloß. Vor allem seine Begegnung und Freundschaft

mit Erasmus von Rotterdam prägten Zwingli und seine spätere theologische Lehre. Aufgrund des

Druckes im Herbst des Jahres 1516 von den Franzosen, die im benachbarten Bern saßen, ließ

sich Zwingli drei Jahre beurlauben. Diese Zeit verbrachte er in Einsiedeln, in Schwyz gelegen.

Eben dieses Jahr in dem Zwingli Glarus verließ, wird von der alten Zwingliforschern als

‘Wende’17 bezeichnet. Joachim Rogge hält dagegen eine genaue Datierbarkeit der

reformatorischen Wende Zwinglis für nicht sachgemäß.18 Zu Beginn des Jahres 1519 folgte

Zwingli einer Berufung an das Großmünsterstift in Zürich. Zürich war seine wichtigste

Wirkungsstätte. Hier war das Betätigungsfeld seiner reformatorischer Gedanken. In den Jahren

1523 bis 1525 versuchte Zwingli mit Erfolg, die Züricher Kirche in ihrer Struktur nach seinen

reformatorischen Gedanken umzubauen. Mit Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts

verstärkte sich der Druck auf das reformierte Zürich, sowohl von außen als auch von innen her.

Am 26. Juli 1531 erklärte Zwingli wegen dieses Drucks seinen Rücktritt. Bereits drei Tage

später nahm er, nachdem man ihm Unterstützung zugesichert hatte, seinen Rücktritt wieder

zurück. Im Herbst deselben Jahres brach der lange schwelende Konflikt zwischen den

Reformkräften und den altgläubigen ‘fünf Orten’19zu einen Krieg aus. Bei einem bewaffneten

Zusammenstoß am 11. Oktober bei Kappel starb Zwingli als Soldat.

16 diesen Namen gab sich der Reformator selbst

17 Vgl. Ebenda, S.75f. Anmerkung(Anm.)122 a)

18 Vgl. Rogge Joachim, Staatstheorie und Widerstandsrecht bei Zwingli (S.183-198).In: Blickle Peter, Lindt Andreas, Schindler Alfred (Hrsg.), Zwingli und Europa, Referate und Protokoll des Internationalen Kongresses aus Anlass des 500. Geburtstag von Huldrych Zwingli vom 26. März-30 März 1985, Zürich 1985

19 Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug

7

Page 8: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

2.2.2 Theologie Zwinglis

Es gibt eine entscheidende Schwierigkeit, Zwingis Theologie zusammenfassend darzustellen.

Zwingli ist nicht von Beginn seiner Wirkungszeit an mit einer schlüssigen reformatorischen

Theologie aufgetreten. Er hatte seine Theologie erst im Fortschreiten quasi aus apologethischer

Notwendigkeit heraus formuliert.20 Erst 1525 veröffentlichte Zwingli seine Dogmatik:

‘Comentarius de Vera et falsa’21, in der er seine Grundlagen zusammentrug.

Locher fasst „die Elemente des Zwinglischen Denkens“22, mit folgenden Schlagwörtern

zusammen:

„a) Scholastik23[…] an Thomas von Aquin anknüpfend[…]. b) Erasmischer Humanismus24;[…]. c) Der Wiener Humanismus;[…]. d) Der Schweizer Humanismus;[…]. e) Die Kirchenväter besonders die Kappadozier und Augustin,[…]. g) [In Zwinglis Theologie Theologie] spielen im Neuen Testament Matthäus wegen der Herrenworte die größte Rolle, Johannes wegen der Christologie25 und Pneumatologie26, der Hebräerbrief wegen des Opferbegriffs, der Römerbrief wegen der Sünden- und Gnadenlehre; beim Alten Testament überrascht das kongeniale27 Verständnis von prophetischen Texten bei Jesaja Jeremia und Ezechiel.“28

20 wichtige Schriften Zwinglis, in denen er nach und nach seine theologischen Positionen aufgrund aktueller Fragestellungen, erläutert:

Von erkiesen und fryheit der spysen, 16. April 1522

Von Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes, 6. September 1522

Usslegen, 14. Juli 1523

Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, 30. Juli 1523

Lehrbüchlein, 1. August 1523

Der Hirt, 26. März 1524

Comentarius de Vera et falsa religione, März 1525

21 Schuler Melchior, Schulthess Johannes (Hrsg.), Huldreich Zwinglis Werke. Erste vollständige Ausgabe, Zürich 1828-1842

22 Locher, S. 201

23 Definition (Def.): „die auf der antiken Philosophie beruhende christliche Philosophie und Wissenschaft des Mittelalters.“ In: Hermann Ursula, Fremdwörterbuch, 40000 Fremdwörter Schreibweise, Bedeutung, Anwendung, München 1993

24 Zwingli entfernt sich aber im Laufe der Refomation inhaltlich immer mehr von seinem Lehrer Erasmus. Streitpunkt war Erasmus’ allegorisches Bibelverständnis. Erasmus hielt Zwingli gegenüber nur eine bildhafte, gleichnishafte Auslegung der Heiligen Schrift für richig.

25 Def.: Lehre von Person und Natur Christi. In: Hermann, Fremdwörterbuch

26 Lehre vom Heiligen Geist, nach „pneuma(griechisch)[…] Atem Hauch Geist; im Neuen Testament: der Heilige Geist“, In : Das große Sprachbuch, Ein neuer Weg zum gutem Deutsch, Freiburg im Breisgau 1960

27 Def.: „geistresverwandt“, In: Hermann, Fremdwörterbuch

28 Locher, S. 201

8

Page 9: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Als der eigentlich reformatorische Zug in der Theologie Zwinglis ist die Tatsache, daß er die

Bibel in den Mittelpunkt rückt zu bezeichnen. Seine Hermeneutik29 der biblischen Berichte ist

ebenfalls neu. Er legt die biblischen Berichte biblizistisch, daß heißt, dem Wortlaut gemäß, aus.

Richtschnur der Bibelauslegung ist nicht mehr die kirchliche Auslegungstradition, sondern die

Bindung an den Heiligen Geist. Von völlig freier Auslegung kann, wie Locher richtig erwähnt,

aber trotzdem nicht die Rede sein:

„Wie bei allen Reformatoren werden die altkirchlichen Dogmen als legitime Zusammenfassung der biblischen Botschaft rückhaltlos anerkannt; werden sie rückwirkend als Kriterien auf die Exegese angewandt.“30

Diese Auslegungsart der Bibel führt Zwingli zwangsläufig in Opposition zur kirchlichen Lehre.

Kernpunkt der neuen Lehre bildet das Evangelium31, verbunden mit einem Glauben an die

Vorsehung Gottes.

„Nach Zwinglis Überzeugung ist die Welt der mittelalterlichen Kirche gekennzeichnet durch Vorschriften, Gesetze und Reglemente, die gegen die Freiheit des Menschen, welcher durch den Geist bestimmt wird, verstoßen.“32

Die Reformation ist deshalb als Befreiung aus der Unterdrückung zu verstehen, als eine

‘Emanzipationsbewegung’.

Gott läßt sich für Zwingli auf zwei Weisen fassen, die aber immer zusammengesehen werden

müssen:

Gott ist das Sein, dem alles Geschaffene zugrunde liegt, die ‘Ursache’ der Schöpfung.

Gottes Wesensinhalt ist das Gute. Gott definiert mit seinem Wesen das Gute.

Zwinglis Theologie hat einen stark gesetzlichen Einschlag. Das Gesetz ist die eine Seite des

Evangeliums, "der unabänderliche Gotteswille"33. Durch das Gesetz erkennen wir unser

Fehlverhalten.

Sein Verständnis der Kirche leitet Zwingli direkt, biblizistisch aus der Bibel ab. Nun wird der

eminent politische Charakter, der Zwinglischen Reformation sichtbar.

Regiert wird die Kirche durch den Heiligen Geist. Zetrum des Gemeindelebens ist die

Verkündigung. Sie dient der Verbesserung des Zusammenlebens. Nicht das Heil im Jenseits wird

29 Def.: (griechisch),[…] Kunst der Deutung, In: Hermann, Fremdwörterbuch

30 Locher, S.213

31 das bedeutet bei Zwingli, die Lehre vom Sühnetod Jesu Christi, die in Gottes Gerechtigkeit und Gottes Barmherzigkeit begründet liegt. Trotz aller Verständlichmachung bleibt die Satisfaktion ein Gnadengeschenk.

32 Ulrich Gäbler, Luther und Zwingli - eine Skizze, In: Luther, Band 55 (S.105-112), 1985 , S.107

33 Locher, S.214

9

Page 10: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

in aller erster Linie thematisiert, sondern die sozialen Missstände, hier und heute sollen beseitigt

werden. Heil, Vergebung zu verleihen, steht allein Gott zu, nicht den kirchlichen Amtsträgern. 34

Zwingli möchte eine Theokratie schaffen, eine durch und durch christliche Gesellschaft. Durch

die Reformation soll die weltliche Ordnung verändert werden. Sein Ziel ist es, die weltliche

Ordnung so zu reformieren, dass sie mit der christlichen Ordnung identisch ist. Er vergeistlicht

die 'weltlichen Geschäfte', wie die Arbeit in Wirtschaft und Politik. Die Obrigkeit vollstreckt die

Ordnungen Gottes. Ihre Weisungen erhält die Obrigkeit aus der Heiligen Schrift. Sie liefert auch

die Beurteilungskriterien, mit Hilfe dessen der Gläubige seine Obrigkeit kritisch hinterfragen

soll. Im Zweifelsfall kann die Obrigkeit, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommt, von der

Gemeinde ersetzt werden.35 Das Ziel dieses Widerstandsgedankens ist nicht die Abschaffung,

sondern die Bewahrung der Ordnung. Fest steht, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt ist.36

Die Sakramente können für Zwingli nur Zeichen des Heils sein. In ihnen kann keine Vermittlung

des Heils geschehen. Schwerwiegende Auswirkung hat der neue Sakramentsgedanke auf das

gesamte Selbstverständnis der Altgläubigen. Der Klerus hatte bisher die Macht über das

Seelenheil des Einzelnen. Zum Beispiel konnte er jemanden vom Nachtmahl ausschliessen.

Damit verlor dieser seine Seeligkeit. Zwingli bestreitet die Realpräsenz des Leibes Christi beim

Nachtmahl. Er verschärft damit die lutherische Abendmahlsposition.

2.3 Verlauf der drei Zwinglischen Stadtreformationen

2.3.1 Die Zürcher Reformation

Als Beginn der Zürcher Reformation mag das Jahr 1519 anzusehen sein. Das Jahr, in dem

Zwingli an das Grossmünsterstift nach Zürich berufen wurde. Zwinglis reformatorische

Veränderung begann bereits in seiner Zeit in Einsiedeln. Dort hatte er Gelegenheit, das

Mönchtum zu studieren. Er begann, die Missstände gerade im Mönchtum und nach einer

Wallfahrt nach Aachen im Jahr 1517 auch die Missstände im Zermonienwesen anzuprangern. In

dieser Zeit war auch seine ‘Bekehrung’ , vom Altgläubigen zum Reformator zu suchen.

Zwingli begann an seiner neuen Wirkungsstätte reformatorisch, indem er gleich bei seiner

Antrittspredigt die Perikopenordnung37 verliess und die Texte nach eigenem Gutdünken

auswählte. Er begann, stark gegen die Kirche und ihre Missstände zu polemisieren:

34 Vgl. Locher, S.218

35 Vgl. Schulze Winfried, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, monarchomachischer Widerstand (S.199-216), In : Blickle Peter, Lindt Andreas, Schindler Alfred (Hrsg.), Zwingli und Europa, Referate und Protokoll des Internationalen Kongresses aus Anlass des 500. Geburtstag von Huldrych Zwingli vom 26. März-30 März 1985, Zürich 1985, 203f.

36 Vgl. Ebenda

37 legt fest in welcher Messe welcher Predigttext behandelt werden soll.

10

Page 11: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

„Im Frühjahr 1519 heisst er Rom die grosse Hure […]. Bald warnt er vor Marienverehrung anhand des Rosenkranzes und vor der Anrufung der Heiligen; das Aufsagen des Unservaters bei der Heiligenverehrung ist Götzendienst. Die Mönche verführen auch sonst zur Abgötterei.“38

Bereits am Ende des Jahres 1519 hatte Zwingli die Mehrzahl der Zürcher auf seiner Seite. Er

fing an die Zahlungen zu seiner Unterstützung aus Rom abzulehnen. Aufgrund von Spannungen

zwischen Alt-, und Neugläubigen sah sich der Rat genötigt, um die Ordnung aufrecht zu

erhalten, bereits 1520 ein Mandat zu erlassen, indem er die neue Lehre, das heisst das neue

Schriftverständnis erlaubte, aber für die neue Lehre die alte Ordnung als bindend vorschrieb.

Dieses Mandat kam einer Quasianerkennung der evangelischen Lehre gleich. Beim Fastenstreit

kam es zu einer ähnlichen Entscheidung des Rates. Er erlaubte die neue Predigt, sprach sich aber

gegen eine Veränderung der Ordnung aus. Gestärkt durch die positive Beurteilung der neuen

Lehre durch den Rat der Stadt, versuchte Zwingli sogar die Kurie für seine neue Lehre zu

gewinnen. Diese lehnte deutlich ab und verhängte den Bann gegen evangelische Prediger.

Aufgrund der immer grösser werdenden Spannungen wollte der Rat eine Grundsatzentscheidung

zur neuen Lehre fällen. Am 29. Januar 1523 kam es deshalb zur 'ersten Disputation', die den

rechtlichen Charakter eines bürgerlichen Rechtsverfahrens hatte. Der Rat prüfte die strittigen

Fragen anhand der Bibel, und gestand der Reform die Rechtmässigkeit zu. Diese Entscheidung

hatte zur Folge, dass der Rat seine evangelischen Prediger schützen musste.

Bereits ein halbes Jahr später, am 26. Oktober erfolgte die ‘zweite Disputation’. Es war in weiten

Kreisen zur Unzufriedenheit mit den Formen des Kirchlichen Lebens gekommen. Konkret

standen Messe und Taufe im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Ausserdem waren Bilder aus

der Kirche entfernt worden. Allerdings ging diese Aktion in Ruhe vonstatten, ohne grosse

Exzesse. Diesmal verzögerte der Rat seine Entscheidung, was zur Radikalisierung von Teilen der

Reformwilligen führte und später zur Abspaltung der Täuferbewegung führte. Die zweite

Disputation brachte den Durchbruch der Zürcher Reformation, weil der Rat ganz im Sinn der

Reformkräfte entschied, die Reformbewegung wurde vom Rat offiziel anerkannt. In der dritten

Disputation kamen nocheinmal alle Streitpunkte zwischen Alt- und Neugläubigen zur Sprache:

das Schriftprinzip, die Messe, die Heiligen, die Bilder das neue Kirchenrecht ‘jus reformandi’.

Die katholische Opposition wurde auf ganzer Linie widerlegt.

Am 13. April 1525 veranlasste Zwingli eine neue Abendmahlsordnung: Die Freiheit der

Zeremonie wurde bestimmt, Laien durften fortan an der Austeilung beteiligt sein. Eine neue

Gottesdienstordnung wurde etabliert, Misstände bei der Zehnterhebung beseitigt. Bibelstunden

fanden statt, aus denen Bibelkommentare und die Zürcher Bibelüberstzung hervorkam. Neben

der Einrichtung von Synoden, bekam die Reformation eine moralische Komponente:

38 Locher, S.86

11

Page 12: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Sittenmandate wurden eingeführt, welche über das Zusammenleben wachten und Strafen, zum

Beispiel für öffentliches Fluchen erteilten.39

2.3.2 Opposition gegen die Zürcher Reformation

Im Kreis der Bürgerschaft hatte Zwingli viele Gegner, heimliche die nicht offen auftraten. Die

entschlossene politische und religiöse Oppositin war aber nur eine Minderheit. Sie war isoliert

und versuchte deshalb Verbindung zur katholischen Innerschweiz herzustellen. Diese

Verbindungen hatten konspirativen Charakter. Es gab auch offen geäusserte Kritik. 40 Der

Gesellschaft der Konstaffel ging es in ihrer Gegnerschaft vor allem um befürchtete finanzelle

Einbussen41, wenn Zwingli mit seiner Politik erfolgreich sein sollte. Ein Todesurteil für den

angesehenen Junker Jakob Grebel im Jahr 1526, der sich trotz des Verbotes von Pensionen, diese

bezahlen liess, schüchterte Zwinglis Gegner auf Jahre hin ein und brachte sie zum Schweigen. 42

Eng verknüpft mit der Konstaffel Gesellschaft war auch die römisch-katholische Opposition, in

Gestalt des Chorherrenstifts. Aufgrund des Druckes der Altgläubigen wurde bereits 1525 wieder

zumindest in einer Stadtkirche die tägliche Messe wiedereingeführt. Genaugenommen waren es

hauptsächlich gebildete Laien, die in Gegnerschaft zu Zwingli und seiner Reformation traten.

Die Tagsatzung war klar antireformatorisch eingestellt, daher wurde der Druck auf Zürich und

auf Zwingli sehr gross. Für den Ernstfall hatte Zwingli auch an die militärische Verteidigung der

Stadt und der Reformation gedacht. Die fünf Orte inizierten die Badener Disputation, der

Zwingli aber fern blieb. Die Disputation begann am 19. Mai 1526 und dauerte 4 Wochen. Die

Gegner Zwinglis erklärten sich zu Siegern. Aus der Disputation konnten die fünf Orte aber kein

Kapital schlagen, weil Bern, Basel und Schaffhausen ihre Unterschrift in der Tagsatzung für eine

Aechtung der refomatorischen Lehre verweigerten.

2.3.3 Die Strassburger Reformation43

1517/18, einige Jahre vor der eigentlichen Reformation in Strassburg konnte man bereits

ungehindert Lutherschriften lesen. Ein starker, in der Bevölkerung verwurzelter

Antiklerikalismus und eine grosse Reformationsbegeisterung in der Gemeinde förderte die

Reformation in Strassburg. Im Jahr 1521 trat der Leutepriester Matthis Zell mit der ersten

39 Vgl. Locher, S.123-136

40 in der Literatur wird vom Schimpfen in Wirtshäusern berichtet. Es gab auch ein Zwingli-Lied, das Zwingli verunglimpfte

41 Zwingli wollte ja die Pensionen verbieten, unabhängig von Rom sein. Auch das Reislaufen sollte verboten werden, auch das brachte ursprünglich finanzellen Gewinn. Zwingli veranlasste auch die Neuordnung der Zehnt und Zinsabgabe, im Dienst der sozialen Solidarität, das liess auch hier finanzielle Einbussen für die Gesellschaft der Konstaffel erwarten.

42 Vgl. Locher, S. 176f.

43 Vgl. Wenn nicht anders vermerkt: Schmidt, Heinrich Richard, Reichststädte, Reich und Reformation, Korporative Religionspolitik 1521-1529/30, Stuttgart 1986

12

Page 13: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

'lutherischen' Predigt hervor. Bereits am 21.5.1521 erhielt Zell eine eigene Kanzel im Münster.

Die Gläubigen hatten sich dafür eingesetzt. Hervorstechendes Charakteristikum der neuen Lehre

war ein starker Antiklerikalismus. Seine Begründung erfuhr dieser durch die neue

Rechtfertigungslehre. Zell griff das entscheidende Amt der Kirche an. Er stellte in Frage, ob die

Kirche die Spenderin des Heils sei:

„Die alte Kirche versäumt jedoch ihren Auftrag, statt dem Menschen die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu bringen, stürzt sie ihn immer erneut in die Angst um sein Heil, um sich als die einzige Gnadenspenderin zu behaupten und die Gläubigen durch den Verkauf von Gnaden auszubeuten.“44

In Bezug auf die äusseren Formen der Kirche blieb Zell konservativ. Er wollte nur eine

Wandlung in ihrem Selbstverständnis herbeiführen. Mit seiner neuen Lehre brachte sich Zell

sehr schnell in Opposition zu seinem Bischof, der Zell daraufhin aus seinem Amt entfernen

wollte. Der Rat der Stadt setzte sich für Zell ein, weil er Aufruhr bei einer zu erwartenden

Entlassung Zells befürchtete. Er versprach Zell, ihn bei einer eventuellen Entlassung auf Kosten

des Rates weiter zu beschäftigen. Neben Zell die eigentlich massgebliche Person der

Stadtreformation in Strassburg war der exkommunizierte verheiratete Dominikanerpriester und

Anhänger von Luther und Erasmus von Rotterdam Martin Bucer.

Zell stellte ihm am 16.8.1523 seine Münsterkanzel für Predigten zur Verfügung. Bereits am

nächsten Tag genehmigte der Rat Bucers Predigttätigkeit, „da er nur das Evangelium und die

apostolische Lehre verkündige.“45

Bucers Lehre lässt sich folgendermassen zusammenfassen:

Nur Christus herrscht über die Seelen der Gläubigen, nicht die Geistlichkeit, wie es

kirchliche Praxis und Lehre war.

Geistliche Vermittlungsversuche von Seiten des Klerus zwischen Gott und Menschen sind

nicht möglich. Der Klerus überschätzt seine geistlichen Kompetenzen.

Der Klerus besitzt auch keine Vorrechte und hat dieselben Pflichten wie alle anderen

Christen. Bucer führt als Pflichten die Ehe, den Gehorsam gegen die Obrigkeit und die Arbeit

für das Wohl aller auf.

Die zünftig organisierte Stadt dient als Vorbild für den Ausbau einer christlichen

Gesellschaft.

Der Staat ist das Instrument, mit dem Gottes Reich verwirklicht wird. Das Ziel ist ein

himmlisches Reich auf Erden.

44 Ebenda, S.57

45 Ebenda, S.60

13

Page 14: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Die Staatsgesetze leiten sich aus den Zehn Geboten ab und dienen dem Ausbau eines

Wohlfahrtsstaat.46

Am 1.12.1523 erliess der Rat ein Mandat, das ganz auf Erhalt von Ruhe und Ordnung zielte. Der

Rat ermahnte seine Prediger, sich auf die Verkündigung des Evangeliums zu beschränken.

Hauptstreitpunkt war die Frage der Eheschliessung von Priestern. Bis Ende 1524 heirateten 6

Prädikanten. Der Rat musste aufgrund des Druckes aus der Bürgerschaft den Verheirateten seine

Unterstützung zusichern. Schmidt stellt fest, dass damit der Rat seine ursprüngliche Position

aufgibt:

„Der Rat musste angesichts eines versagenden Ordinariats selbst dessen Kompetenzen übernehmen, um der bedrohlichen Volksstimmung Herr zu werden. Seine Pflicht, den Stadtfrieden zu wahren, trieb ihn in eine Rolle, die er nicht angestrebt hatte. Er musste dem Druck von unten nachgeben. Obwohl er selbst die Heirat von geweihten Personen verwarf, duldete er sie, weil sie ihm mit der Schrift als evangelisch erklärt werden konnte und weil seine Gemeinde die Prediger in ihrer Deutung unterstütze. Die an sich völlig unbestrittenen Kategorien

„Evangelium“ und „Schrift“ setzten eine Dynamik frei, die auf kirchliche Veränderung drängte. Das Evangelium drohte zu einer Waffe der Volksbewegung zu werden, die mit ihr für die neue Lehre und eine Reformation ohne die alte Kirche kämpfte.“47

Im Jahr 1523 kündigte der Rat auch seinen Schirm über die Geistlichen, das heisst seinen Schutz

über die Geistlichen auf. Er erhoffte sich, dass dadurch die Geistlichen freiwillig die

Bürgerrechte annehmen würden, was aber nicht geschah. Erst ein Mandat im Jahr 1525

verpflichtete die Geistlichkeit, die Bürgerschaft anzunehmen.

Die Stifte und Klöster übergaben ihre Almosenkästen an die Stadt. Beides, die Aufkündigung

des Schirmes und die Einrichtung einer neuen Armenordnung waren als solche keine

reformatorischen Akte, sondern eher soziale Notwendigkeit.

Am 14.3. 1524 exkommunizierte der Strassburger Bischof die evangelischen Priester. Diese

stritten mit den ‘regulären’ Priestern um die rechte Predigt des Evangeliums. Mehr und mehr gab

der Rat aufgrund des Druckes von der Bevölkerung48 seine neutrale Stellung der Reformation

46 Es stellt sich die Frage: War Bucer Lutheraner oder Anhänger Zwinglis? Bereits am 23 Mai 1521, gleich nach seinem Austritt aus dem Dominikanerkloster hatte sich Bucer mit Zwingli brieflich in Verbindung gesetzt. Seitdem betonten Zwingli und er ihre tiefe Verbundenheit, trotz mancher theologischen Meinungsverschiedenheiten. Locher zählt Bucer deutlich zu den Anhängern Zwinglis, siehe, Locher, S.458f.

47 Ebenda, S.65

48 Auslöser für eine Kurskorrektur des Rates war der Konflikt mit Conrad Treger, Provinzial des Augustiner-Eremiten-Ordens für den rheinisch schwäbischen Raum, der mit seinen 100 Thesen der neuen Lehre entgegentrat und eine Disputation anregte. Am 24. 8.1524 kam es zu einem Eklat. Treger verleumdete in einer Schrift den Rat und die Bürgerschaft Strassburgs. Daraufhin brachen Tumulte aus, die Bürgerschaft verlangte Massnahmen gegen Treger. Treger wurde gefangengesetzt und nach kurzer Zeit aus der Haft entlassen und aus der Stadt verwiesen. In diesem Zeitraum griff der Bauernkrieg auf die direkte Umgebung Strassburgs über. Dadurch steigerte sich der Wunsch der Strassburger Bevölkerung, eine Veränderung der gesellschaftlichen Grundgegebenheiten herbeizuführen.

14

Page 15: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

gegenüber auf und argumentierte einseitig für die neue Lehre. Mit dem ‘Erfolg’, dass 1524 der

Bischof und die Stiftsherren Strassburg verliessen und es bald keine altgläubigen Prediger in der

Stadt mehr gab. Alle in der Stadt verbleibenden Geistlichen mußten sich in die

Stadtgemeinschaft einpassen. Es gab keine herausgehobene Stellung mehr für den Klerus. Der

Rat hatte auf Druck der Bevölkerung eine von Gleichheit geprägte genossenschaftliche

Stadtgemeinschaft geschaffen. Er hatte auch die Oberhoheit über die Kirche übernommen. „Der

Rat hatte den Bischof als Ordinarius abgelöst.“49

„Rat, Gemeinde, Prediger sind gleichermaßen Sachverwalter und Amtleute des Herrn, der - wie in den Bürgersuppliken - höher steht als alle weltliche Macht und Untertänigkeit, sei es die des Rats dem Kaiser oder die der Bürger dem Magistrat gegenüber. Der Rat hat das Recht und die Pflicht, die Kirche zu ordnen,[…].“50

Damit übt der Rat in Strassburg die Herrschaft über die Kirche aus.

2.3.4 Die Konstanzer Reformation

In Konstanz herrschte am Vorabend der Reformation eine sehr starke antiklerikale Stimmung,

die sich begünstigend auf den Verlauf der Reformation auswirkte. Bereits 1518 kursierten in

Konstanz Luthers reformatorische Schriften. Der Konstanzer Humanistenkreis der überwiegend

aus Geistlichen bestand, sorgte in der Anfangszeit für die Ausbreitung der neuen Lehre.

Grösseren Bekanntheitsgrad bekam die neue Lehre durch Johannes Wanner den neuen

Münsterprediger, und durch Bartholomäus Metzler, Pfarrhelfer von St. Stephan, am Ende des

Jahres 1521. Diese beiden bereiteten den Boden für den eigentlichen Konstanzer Reformator,

Ambrosius Blarer:

„Der als Mönch im Kloster Alpirsbach lebende Ambrosius Blarer floh erst im Sommer 1522 heimlich nach Konstanz. Und auch dann weigerte er sich trotz der wiederholten Bitten des Rats noch bis 1525, öffentlich zu predigen. Blarer griff aber bis dahin bereits publizistisch in die sich zuspitzende Auseinandersetzung mit den Altgläubigen ein.“51

Vorbild der reformatorischen Bestrebungen war Zürich und Zwingli. Johannes Wanner hatte

Verbindungen zu Zwingli. Bereits 1522 versuchte der Bischof Hugo von Hohenlandenberg die

neue Lehre zu unterbinden. Er setzte Johannes Wanner unter Druck. Der Rat schützte Wanner.

Ja, er ging sogar soweit, als die neue Lehre anhand der Person Wanners 52 bei Gericht zu

Diskussion stand, daß er dem Bischof und seinem Gericht jede Autorität in Glaubensfragen

absprach. Damit setzte sich der Rat an die Spitze der Reformbewegung. Der Bischof sah sich um

49 Schmidt, Reichststädte, S.195

50 Ebenda, S.291

51 Dobras Wolfgang, Ratsregiment, Sittenpolizei und Kirchenzucht in der Reichsstadt Konstanz 1531-1548, Gütersloh 1993, S.35f.

52 Der Bischof hatte Wanner wegen Häresie (Irrlehre) anklagen lassen.

15

Page 16: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

seine Stellung gebracht und deshalb forderte er in Österreich53 Hilfe an. Aus Angst vor einer

etwaigen Intervention Österreichs gegen die reformatorischen Bestrebungen, zögerte der Rat in

seinem Eintreten für die Reformation. Er befasste sich zunächst mit ‘weltlichen’ Fragen. Er

versuchte den rechtlichen Status des Klerus neu regeln. Dazu gehörte, das die Geistlichen den

Bürgereid schwören sollten. Dieses Ziel war bereits 1511 vom Rat anvisiert worden. Bis zum

Spätjahr 1526 hatte der Bischof, die Domherren und die meisten altgläubigen Prediger Konstanz

verlassen, weil sie den Bürgereid nicht schwören wollten. Der Rat nahm alle vom Bischof

entlassene Prediger in seinen Dienst.

Das Vermögen der traditionellen Kirche wurde beschlagnahmt, und für die sozialen Belange der

Stadt verwendet. Ab dem Jahr 1527 wurden die Klöster reformiert, beziehungsweise aufgelöst.

Das Städtische Armenwesen wurde neugeordnet, durch das Erlassen einer Almosenordnung.

Man fragte Zwingli und Oeklampad54 um Rat, wie man die Bilder und Altäre aus den Kirchen

entfernen sollte. Es kam deshalb zu keinen Bilderstürmen in Kostanz. Die Bilder- und

Altarentfernung ging in Ordnung vonstatten.

„Ende der 20er Jahre war die reformatorische Umgestaltung des Kirchenwesens in

Konstanz weitgehend abgeschlossen. Der Rat besass die unumschränkte

Autonomie innerhalb der Stadtmauern. So hatte das Verlangen nach Reformation

der Kirche auch den vorreformatorischen Kampf mit dem Bischof um die

Stadtherrschaft zugunsten des Rates entschieden.“55

2.3.5 Versuch einer Schematisierung der drei Stadtreformationen

Die Reformationen der zwinglischen Prägung vollzogen sich in grosser Eigenständigkeit 56. Es

lassen sich zwar lutherische Einflüsse feststellen57, die aber nicht ausgereicht haben dürften

53 Konstanz war von Österreich gezwungen worden in den Schwäbischen Bund einzutreten. In der Folgezeit geriet Konstanz in eine schwere wirtschaftliche Krise. 1502 schloss Konstanz mit Österreich einen Schirmvertrag ab, indem sich Kaiser Maximillian von Österreich verpflichtete, für Konstanz ein Territorium zu beschaffen. Österreich verpflichtete sich auch zu einer jährlichen Schirmzahlung von 1200 Gulden. Für Konstanz war dieser Schirmvertrag eindeutig eine Belastung. Der Konstanzer Bischof stand auf Österreichischer Seite. Er wollte bischöfliche Herrschaftsrechte über die Stadt zurückgewinnen, die bereits im Hochmittelalter verloren gegangen waren. Konstanz wollte aus der Österreichischen Umklammerung wieder heraus, wollte nicht durch seinen Bischof als verlängerten Arm von Österreich regiert werden und entschloss sich deshalb, schweizerisch zu werden. Im September 1510 marschierte der Kaiser selbst mit seinen Truppen in Konstanz ein, verhinderte Konstanz’ ‘Flucht’ in die Schweiz . Er zwang die Stadt erneut in den Schirmvertrag, der ewige Dauer hatte und nicht mit einer Forderung an Österreich verknüpft war. Diese Zwangsituation trug dazu bei, dass auch der Konstanzer Rat sehr antiepiskopal eingestimmt war. Vgl. Dobras Wolfgang, Ratsregiment, S.25-34

54 Reformator in Basel

55 Dobras Wolfgang, Ratsregiment, S.41

56 Vgl. Gäbler Ulrich, Luther und Zwingli, In Luther, Band 55 (S.105-112), !985, S. 105

57 siehe auch Kapitel Verlauf der Strassburger Reformation

16

Page 17: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

um die Reformation vom ‘zwinglischen Kurs’ abzubringen. Mit den Jahren der Etablierung

der Zwinglischen Reformation kam es zu immer deutlicheren Differenzen zwischen

Lutheranern und den oberdeutschen und schweizer Reformatoren.58

Es wurde ein Biblizismus vertreten, der meinte, der Bibel verbindliche Normen entnehmen

zu können, die für das Zusammenleben der Christen unabdingbar sind.

Der Wunsch nach Einheit und Frieden in der Stadt war gross. Gerade aufgrund des

zunehmenden Reichtums der Stadt, versuchten Territorialfürsten sie unter ihre Herrschaft zu

bringen. Besonders die Kirchen in altgläubiger Tradition erregten Ärger bei der Bevölkerung,

weil sie sich nicht in die friedliebende Stadtgesellschaft eingliedern liessen, schon ihrer

Privilegien wegen nicht, und weil sie Herrschaftsansprüche von aussen in die Stadt

hineintrugen.59

Der soziale Druck, der durch die ungleiche Verteilung des Reichtums entstanden war, wurde

durch die Reformation behoben. Die Religion war das Mittel der Integration in der

auseinandertreibenden Gesellschaft. Man nannte diese Entwicklung auch Säkularisierung

oder Laisierung. Thomas Brady bezeichnete dieses Phänomen als Domestizierung und meint

damit, „das Bestreben, die bürgerliche Religion auf die Bedürfnisse der städtischen

Sozialordnung und das Verhältnis der herrschenden Oligarchie zum Volk abzustimmen.“60

Die Obrigkeit in Gestalt des Rates sah sich gezwungen, für die Reformation Partei zu

ergreifen. Sie tat es mittels neuer Gesetze, Predigtmandate, Gottesdienstordnungen. Der Rat

formulierte auch neue Glaubenssätze. Der Rat unterhöhlte damit den Herrschaftsbereich des

Bischofs. Der Klerus wurde entmachtet und verliess die Stadt.

Die Reformatoren erfuhren Schutz aus der Oberschicht und grosse Unterstützung von der

gemeinen Bevölkerung61. Nur durch eine solche breit angelegte, durch die gesamte

Bevölkerung62 getragene Sympathie für die Ideen der Reformation ist die Schnelligkeit und

Intensität der Veränderung der Stadt erklärbar.

58 es sei nur auf das Marburger Religionsgespräch verwiesen, Vgl. Gäbler Ulrich, Luther und Zwingli, In Luther, Band 55 (S.105-112), !985, S.111f: „Luther sah in der Niederlage von Kappel und Zwinglis Tod ein Gottesurteil über den Ketzer,[…].Wörtlich sagte Luther: ‘Das ist das Ende ihres Ruhms, den sie mit Lästerreden gegen das Abendmahl Christi suchten.’“

59 siehe Kapitel 2.1.2.Kirchliches Leben

60 Brady Jr., Thomas A., Göttliche Republiken: die Domestizierung der Religion in der deutschen Stadtreformation, In 500 Jahre Zwingli (109-136), S.113f.

61 vor allem in Strassburg und Konstanz mit ihrem schon vor der Reformation latent vorhandenen starken Antiklerikalismus

62 siehe auch: Tumulte während des Bauernkriegs in und um Strassburg sowie den Tumulten im Zusammenhang mit dem ‘Treger-Handel’

17

Page 18: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

Die Reformation wirkte sich integrierend aus auf die sozial immer weiter

auseinandertreibende Stadt. Durch sie schien sich der soziale Friede herstellen und sichern zu

lassen.63 Nach Thomas Brady lassen sich vier Stufen in der sozialen Integration durch die

Reformation ausmachen:

1. Der Klerus wird vollständig domestiziert durch: Eheschliessungen von Priestern,

Mönchen und Nonnen, der Klerus wird zahlenmässig verringert, dem Klerus werden

die Bürgerrechte, und damit auch -pflichten, sowie die Zunftmitgliedschaft

aufgezwungen, der Rat eignet sich die Einnahmequellen des Klerus, wie zum

Beispiel der klösterliche Almosenkästen an.

2. Es erfolgt eine Übertragung bischöflicher Rechte auf die profane Obrigkeit, zum

Beispiel beim Ehegericht.

3. Es tritt ein Trendwende in der Ausrichtung des Evangeliums ein. Die Predigt ist nun

stark dieseitsbetont und dient als Plattform für Veränderungswünsche der

Gesellschaft.

4. Durch die Kommunalisierung der Kirche wird der Pfarrer nunmehr der weltlichen

Obrigkeit unterstellt.64

Unabhängig von allen Gemeinsamkeiten zwischen den Stadtreformationen in Konstanz Zürich

und Strassburg, ist es unerlässlich auch die Unterschiede, die selbstverständlich anmuten, zu

betonen:

Jede Stadt hatte einen eigenen Reformator der ‘seiner’ Reformation ein eigenes

Gepräge gab. Neben Zwingli in Zürich hatten auch Ambrosius Blarer in Konstanz

und Martin Bucer in Strassburg ihre Lehren zum einen in Predigten aber auch in

Flugschriften und Büchern veröffentlicht.

Der Rat hatte in der Zusammenstellung seiner Mitglieder und der Stellung und

Geltung innerhalb der Gesellschaft ein eigenes Gewicht. Der Rat entschied

hauptsächlich über Vorgehensweise Intensität und Zeitplan der Veränderung.

Das Geflecht der Wirtschaftsbeziehungen und territorialen Bündnissen wirkte sich in

seiner Unterschiedlichkeit auf den Gang der jeweiligen Reformatorischen

Veränderungen aus.65

63 Vgl. Brady Jr., Thomas A., Göttliche Republiken: die Domestizierung der Religion in der deutschen Stadtreformation, In 500 Jahre Zwingli (109-136), S. 119

64 Ebenda

65 man betrachte nur die für Konstanz äusserst schwierige Verbindungen zu Österreich siehe auch Anmerkung 51

18

Page 19: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

3 Schluss

3.1 Fazit

Das Ziel der Arbeit war, die Zwinglische Reformation anhand der drei Stadtreformationen von

Zürich, Strassburg und Konstanz darzustellen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede

herauszuarbeiten. Die Gemeinsamkeiten sind erwiesenermassen zwinglisch. Das entscheidende

Beispiel sei herausgegriffen: Alle drei behandelnden Stadtreformationen haben als Zielpunkt

ihrer Entwicklung die Kommunialisierung des Klerus.66 Die beobachteten Unterschiede lassen

nur auf einen differierenden örtlichen Kontext schliessen.

Für eine Gegenüberstellung von ‘Ratsreformation’ contra ‘Volksreformation’ lassen sich nur

schwerlich Argumente finden. Sicher gingen zu bestimmten Zeiten der Reformation starke

bewegungsgestaltende Impulse vom Rat aus. Zu anderen Zeiten war der Druck der Bevölkerung

auf den Rat so stark, dass er nur noch reagieren und nicht mehr agieren konnte. Ein Übergewicht

der einen Akteure gegenüber den anderen lässt sich auf den gesamten Zeitraum der Reformation

bezogen kaum beobachten. Die Reformation in der Stadt entwickelte sich im Rahmen einer nur

schwerlich zu überblickenden Interessenvielfalt.

66 siehe Kapitel 2.2.2 Theologie Zwinglis, S.8-11

19

Page 20: Stadtreformation - die Variante Zwingli: Reformation in den oberdeutschen und schweizerischen Städten (Zürich, Strassburg und Konstanz)

3.2 Literatur:

Brady Jr., Thomas A., Göttliche Republiken: die Domestizierung der Religion in der

deutschen Stadtreformation (109-136). In: Blickle Peter, Lindt Andreas, Schindler Alfred

(Hrsg.), Zwingli und Europa, Referate und Protokoll des Internationalen Kongresses aus

Anlass des 500. Geburtstag von Huldrych Zwingli vom 26. März-30 März 1985, Zürich 1985

Das große Sprachbuch, Ein neuer Weg zum gutem Deutsch, Freiburg im Breisgau 1960

Der Volks Brockhaus, Wiesbaden 197114

Dobras Wolfgang, Ratsregiment, Sittenpolizei und Kirchenzucht in der Reichsstadt Konstanz

1531-1548, Gütersloh 1993

Duden, Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, Mannheim 197317

Gäbler Ulrich, Luther und Zwingli - eine Skizze, In: Luther, Band 55 (S.105-112), 1985

Hermann Ursula, Fremdwörterbuch, 40000 Fremdwörter Schreibweise, Bedeutung,

Anwendung, München 1993

Locher Gottfried W., Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen

Kirchengeschichte, Göttingen 1979

Moeller B., Reichsstadt und Reformation (Schriften des Vereins zur Reformationsgeschichte

180), [Ortsangabe fehlt] 1962

Rogge Joachim, Staatstheorie und Widerstandsrecht bei Zwingli (S.183-198).In: Blickle Peter,

Lindt Andreas, Schindler Alfred (Hrsg.), Zwingli und Europa, Referate und Protokoll des

Internationalen Kongresses aus Anlass des 500. Geburtstag von Huldrych Zwingli vom 26.

März-30 März 1985, Zürich 1985

Schmidt, Heinrich Richard, Reichststädte, Reich und Reformation, Korporative

Religionspolitik 1521-1529/30, Stuttgart 1986

Schuler Melchior, Schulthess Johannes (Hrsg.), Huldreich Zwinglis Werke. Erste

vollständige Ausgabe, Zürich 1828-1842

Schulze Winfried, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, monarchomachischer

Widerstand (S.199-216). In: Blickle Peter, Lindt Andreas, Schindler Alfred (Hrsg.), Zwingli

und Europa, Referate und Protokoll des Internationalen Kongresses aus Anlass des 500.

Geburtstag von Huldrych Zwingli vom 26. März-30 März 1985, Zürich 1985

20