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Seminarausarbeitung Stellenwert von Bildung und Ausbildung Vergleich des Bildungssystems der Türkei mit dem Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland Seminar: Interkulturelle Kompetenz WS 2002/03 Sybille Zehringer (Matr.: 211019) Sebastian Kolbe (Matr.: 164618)

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Seminarausarbeitung

Stellenwert von Bildung und Ausbildung

Vergleich des Bildungssystems der Türkei mit demBildungssystem der Bundesrepublik Deutschland

Seminar: Interkulturelle KompetenzWS 2002/03

Sybille Zehringer (Matr.: 211019)Sebastian Kolbe (Matr.: 164618)

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 3TürkeiAllgemeines 4Brücke zwischen Europa und Asien 4Geschichte 4Kurzer Überblick über das politische System 5Es gibt keine zweite Zivilisation... Reformen Atatürks 6Konzept des Kemalismus 7Werte und Traditionen 8BildungssystemBildungssystem im Osmanischen Reich 8Das türkische Bildungssystem 9Inhalte 9Probleme des Schulsystems 11Berufsausbildung 12

Bundesrepublik DeutschlandAllgemeines 13Geschichte 13Werte 14Bildungssystem – Historische Entwicklung 14Bildungssystem – Politische und Organisatorische Beschreibung 15Bildungssystem – Besonderheiten 16 Bildungssystem – Probleme 17

Resümee 19Eisbergmodell 20Schlusswort 20Quellenangaben 21

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•Einleitung

Das Bildungssystem ist ein Indikator für die gesamtgesellschaftliche Orientierung eines Landes.Traditionen und Bräuche werden in erster Linie an Kinder und Jugendliche weitergegeben, da diese inihren Ansichten noch nicht gefestigt sind und damit Inhalte intensiver aufnehmen können. Kinder sinddie Kulturträger der nächsten Generation. Diesen Umstand machen sich Gesellschaften aller Länderzunutze, um das ihnen wichtige Gedankengut weiterzugeben.Aus diesem Grund haben wir unser Thema gewählt. Die beiden Länder Türkei und Deutschlandschienen uns deshalb interessant, da beide nach dem 1. und 2. Weltkrieg tiefgreifende Veränderungenerfahren haben. Beide Staaten verloren einen Großteil ihrer Territorien und damit auch einen Teil ihrernationalen Identität. Während Deutschland große Probleme mit der Verarbeitung der Niederlage hatte,wurde in der Türkei versucht, ein neues Nationalbewusstsein zu schaffen.

Insbesondere im Dritten Reich wurde mittels staatlicher Jugendorganisationen (HJ, BDM,...) und strengreglementierter Unterrichtsinhalte der Versuch unternommen, dem Regime nützende Meinungen zumanifestieren. Auch heute liegt der Schwerpunkt der Kulturerziehung in Deutschland eher außerhalbder Familie. Ganz anders dagegen in der Türkei, wo die Familie einen traditionellen Schwerpunkt derkulturellen Wissensvermittlung darstellt und die Schule, trotz Bemühungen der Regierung, einengeringeren Stellenwert diesbezüglich hat.Durch den Vergleich beider Bildungssysteme kann man einen interessanten Einblick in die Korrelationzwischen der Kultur und Wertvorstellungen eines Landes und deren Umsetzung in schulischenSystemen erlangen. Im Folgenden wollen wir versuchen, diese Korrelation am Beispiel dieser beidenLänder aufzuzeigen.

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• Türkei

Allgemeines zur Türkei

Quelle: Spiegel-Online Türkei

Türkei- Brücke zwischen Europa und Asien

Die Türkei (779452 qm) sieht sich aufgrund ihrer geographischen Lage als „Brücke“ zw. Europa undAsien. Der kleinere Teil, das sogenannte Thrakien, liegt auf der „europäischen“ Seite. Der europäischeTeil ist durch den Bospurus von dem asiatischen, Anatolien,getrennt. 75 % der türkischen Bevölkerunglebt in Städten, vor allem in Ankara, Istanbul und Izmir. Seit 1950 wuchs die Stadtbevölkerung um 672%, die Ursache dafür liegt in einer Landflucht, bei gleichzeitig beginnender Industrialisierunginsbesondere der westlichen Städte. Vor allem die schweren Existenzbedingungen, durch hohesBevölkerungswachstum und aus einer bestimmten Vererbungsfolge resultierenden stetigenVerkleinerung der Ackerflächen verursachte Arbeitslosigkeit, zwingen viele, in den Städten ihr Glückzu versuchen. Das hat auch tiefgreifende gesellschaftliche Änderungen zur Folge.Sie zählt mit ihrer Bevölkerung von ca. 66.000.000 Menschen zu einem der bevölkerungsreichstenLändern Europas, einer Bevölkerung, die sehr jung ist: ca. jeder 3. ist unter 15 Jahren, jeder 2 unter 20.Der Anteil der Senioren ist sehr gering. Die Folge dieser Altersstruktur ist Arbeitslosigkeit undUnterbeschäftigung, da es mehr Arbeitssuchende gibt, als pro Jahr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. (vgl. Steinbach [5], S. 28; Landesk. Inform. Türkei, Einheit W3.1, S. 2; Spiegel-Online)

Geschichte der Türkei

330 vor Chr. gründete der römische Eroberer Konstantin Byzanz, das heutige Istanbul. Diesestrategisch günstig gelegene Stadt wurde die Hauptstadt des östlichen römischen Reiches und war derMittelpunkt des byzantinischen Reiches für mehr als 1000 Jahre. Das byzantinische Reich löste sichmit der Ankunft der Seljuk Türken, die vorher Persien erobert hatten, auf. 1071 besiegten sie diebyzantinische Armee in der Nähe des Van-Sees und besetzten Anatolien. Eine mongolische Invasionum 1200 beendete die Macht der Seljuken, aber trotzdem bildeten sich kurz darauf neue, kleineretürkische Staaten in Westanatolien.. Einer von ihnen wurde von Osman geführt, und wuchs ab dem

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13.Jh. durch ständige Eroberungen zu dem, was als das Osmanische Reich bekannt wurde. 1453 fielauch Konstantinopel in osmanische Hände. Im 16.Jahrhundert war das Osmanische Reich an seinemHöhepunkt angelangt. Der Erfolg des Osmanischen Reichs basierte auf militärischer Expansion , nichtauf Landwirtschaft oder Industrie. Als sie 1683 bei Wien scheiterten, begann der Verfall des Reichs,den eine Folge schwacher Sultane nicht aufhalten konnte. Im 19 Jh. war das Osmanische Reich mitUnabhängigkeitsbestrebungen unterworfener Völker, z.Bsp. auf dem Balkan, konfrontiert. 1829gewannen die Griechen ihre Unabhängigkeit zurück, gefolgt von den Serben, Rumänen, und 1878Bulgaren. 1911 eroberte Italien Tripolitanien in Nord Afrika, und im Balkan Krieg 1912-13 gingAlbanien und Mazedonien verloren. Im 1. Weltkrieg verloren sie die restlichen Provinzen außerhalbder Türkei: Syrien, Palästina, Irak und Arabien. Der größte Teil der Türkei wurde von den Alliierten(Griechen, Italiener, Franzosen und Russland) besetzt, so dass den Türken nichts mehr blieb. Andiesem tiefen Punkt der türkischen Geschichte übernahm Mustafa Kemal, der Vater der modernenTürkei, die Führung. Atatürk, „Vater der Türken“, wie er später genannt wurde, vereinigte dieversprengten Truppen, und führte einen Unabhängigkeitskrieg gegen die Alliierten. Der endgültigeSieg kam 1923 bei Izmir, bei dem die Griechen vernichtend geschlagen wurden. Danach fand ein„Austausch“ der Bevölkerung statt: mehr als eine Million Griechen mussten die Türkei verlassen, fasteine halbe Million Türken zog zu. Die Beziehungen zu Griechenland verbesserten sich 1930, wurdenaber durch den Zypernkonflikt nach dem 2. Weltkrieg wieder gestört, besonders nach der türkischenInvasion der Insel 1974. Die Türkei ist also der Nachfolgestaat des einstigen Osmanischen Reiches, dassich über den Mittleren Osten, den Balkan, Nordafrika, Mesopotamien und Kaukasus erstreckte. Von dem großen Reich blieb das Gebiet der heutigen Türkei übrig. (vgl. Kl. Islam Lexikon, S. 46 sowie Länderkundliche Informationen Türkei, Einheit S2.1, S. 2)

Nach der Gründung der Türkischen Republik 1923 begann Atatürk mit tiefgreifenden Reformen (s.unten). Seit Atatürks Tod 1938 war die türkische Geschichte turbulent. 1940 wurde einMehrparteiensystem etabliert, das allerdings unter anderem durch mehrmalige Militärputsche relativinstabil ist. Der Islam bekam wieder mehr Gewicht in der Gesellschaft. Ab 1970 entstanden vermehrtislamisch, z.T. auch fundamentalistisch motivierte Parteien (vgl. Steinbach [4], S. 26). 1976 trat dieTürkei zur „Konferenz islamischer Staaten“ bei. Diese Entwicklung war eng verbunden mit derLandflucht. Durch den Zuzug religiöser Menschen vom Land änderte sich die Gesellschaft in der Stadt.Der Einfluß religiöser Kräfte nahm zu, es gab durch Polarisierung Unruhen. In dieser Zeit entstandauch refah partisi, die Wohlfahrtspartei. Sie war die wichtigste Vertreterin des politischen Islam. 1996wurde ihr Vorsitzender Erbakan, Staatspräsident der Türkei, und setzte wieder vermehrt religiöseAkzente in Kultur und auch in der Bildungspolitik, wie z.Bsp die Förderung von Schulen für Predigerund Vorbeter. 1997 wurde Erbakans Rücktritt durch das Militär erzwungen und die Partei aufgelöst.1980 fand der letzte aus einer Reihe von Militärputschen statt, bei dem eine gewählte Regierungabgelöst wurde. Das Militär spielt immer noch eine große Rolle im politischen System der Türkei. (vgl. Kl. Islam Lexikon, S. 306 sowie Länderkundliche Informationen Türkei, Einheit S2.5.1, S. 45ff)

Kurzer Überblick über die Grundzüge des politischen Systems der Türkei

Die türkische Verfassung proklamiert einen demokratischen, laizistischen, und sozialen Rechtsstaat. Ganz allgemein ist das politische System bestrebt, einen starken Staat zu haben, was allerdings schwerdurchzusetzen ist, da diese Bestrebung immer mehr auf die moderne Gesellschaft mit Ansprüchen aufIndividualität und politische Freiheit treffen. Deshalb versucht die Verfassung der Türkei, den Staat vorder Gesellschaft zu schützen und sich auch über die Interessen der Bürger zu stellen. Dadurch könnenGrundrechte und Menschenrechte unter bestimmten Voraussetzungen drastisch eingeschränkt werden,wobei das aber durch die Annäherung an die europäische Union teilweise geändert wurde und nochwerden soll.

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Quelle: Steinbach [3], S. 20

Der nationale Sicherheitsrat besteht aus Mitgliedern des Militärs und zivilen Regierungsmitgliedern, zudenen der Staatspräsident als Vorsitzender, und auch der Ministerpräsident und Außen – sowie Innen-und Verteidigungsminister, gehören. Das Militär übt über dieses Organ großen Einfluss auf dieTagespolitik aus, obwohl die Aufgabe des nationalen Sicherheitsrates eigentlich lediglich inEmpfehlungen und Stellungnahmen besteht. Da das Militär aber politisch als auch gesellschaftlichgroßen Einfluss hat, ist jede Regierung bereit, „Empfehlungen“ des Sicherheitsrates als verbindlichanzusehen. Es gibt eine allgemeine Wehrpflicht von 36 Monaten, der Anteil am BSP für Militärausgaben beträgt5,3 %.

„Es gibt keine zweite Zivilisation...“- Reformen Atatürks

„Es gibt keine zweite Zivilisation, Zivilisation bedeutet europäische Zivilisation, und sie mußeingeführt werden- mit ihren Rosen und ihren Dornen“∗

Um die Türkei aus ihrer Unterlegenheit und Abhängigkeit nach dem 1. Weltkrieg zu befreien, hieltAtatürk es für wichtig und richtig, Staat und Gesellschaft zu verwestlichen. Im Rahmen einesautoritären politischen Systems ( es gab nur die eine Partei, der auch Atatürk angehörte), fandentiefgreifende wirtschaftliche und soziokulturelle Veränderungen statt:

∗ Zitat eines Vertreters der Organisation der „Jungtürken“, der sich Atatürk verbunden fühlte (Steinbach [2], S. 11)

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• 1922 Abschaffung des Sultanats∗(

Propagierung westlicher Kleidung, Abschaffung des ReligionsunterrichtsSäkularisierung von Erziehungs- und Gerichtswesen

• 1924 Abschaffung des Kalifats∗((

• 1926 Einführung der europäischen GesetzgebungEinführung des Gregorianischen Kalenders (internationale Jahreszählung)Einführung des Frauenstimmrechts und der Einehe (Monogamie)

• 1928 Abschaffung des Islam als Staatsreligion• 1928 Einführung des lateinischen Alphabetes und das Verbot des Fes als Kopfbedeckung• 1934 Einführung von Familiennamen und des Sonntags als wöchentlicher Feiertag sowie des

passiven Frauenwahlrechts

(vgl. Länderkundliche Informationen Türkei, Einheit S2.3.1, S. 26)

Konzept des „Kemalismus“:

1934 wurde die Staatspartei (Republikanische Volkspartei) gegründet, in die das Konzept desKemalismus mit seinen 6 Prinzipien aufgenommen wurde: (vgl. Länderkundliche Informationen Türkei, Einheit S2.3.2, S. 28ff sowie Steinbach [2], S. 10)

A.Nationalismus:. Errichtung eines türkischen Nationalstaates. Da die „türkische Nation“angesichts der multi-ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung, ein Konstrukt war, daserst geschaffen werden musste, setzte sich das Modell der Staatsnation durch. Das Bekenntniszur „türkischen Nation“ wird als das die Bevölkerung verbindende angesehen, nicht etwa dieReligion, Konfession oder Rasse. Dieser Nationalgedanke geht von der Unteilbarkeit vonStaatsgebiet und Staatsbevölkerung aus. Das Türkentum basiert also nicht auf ethnischerHerkunft, sondern auf dem Willen, sich als Teil der türkischen Nation zu fühlen.B.Säkularismus(Laizismus): Trennung von Staat und Religion und damit Austritt derTürkei aus der islamischen Staatenwelt und Abkehr von der islamische Reichsidee. C.Republikanismus : Wahl der republikanischen Regierungsform unter entgültiger Absage andie Wiedereinführung einer Sultans- oder KalifenherrschaftD.Populismus: Gleichheit der Bürger ohne Ansehen der Volkszugehörigkeit, Sprache undGlaubenE.Etatismus: bestimmende Rolle des Staates in der WirtschaftF.Reformismus: Postulat einer permanenten dynamischen Umformung von Staat undGesellschaft

Politische Willensbildung fand nur über die herrschende Republikanische Volkspartei (RP) statt. DieTrennung von Kirche und Staat war auf dem Land nur mäßig erfolgreich, so dass sich bald eineGegenkräfte z.Bsp. in der „Wohlfahrtspartei“ (Refah Partisi), die eine mehr islamistische Ausrichtungverfolgt. Trotz großer Erfolge bei Wahlen und zeitweiliger Übernahme der Regierung wurde diesePartei mehrfach verboten und umbenannt, zuletzt im Jahre 1998. (vgl. Spiegel-Online)

∗∗ das Sultanat war 600 Jahre lang die Herrschaftsform des Osmanischen Reichs∗∗∗ Kalifat ist die Institution eines weltlich religiösen Herrschers, der vor allem „Wächter des Glaubens“ ist und auf dieEinhaltung der Scharia (= islamisches Gesetzbuch) achtet

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Werte und Traditionen

Die traditionellen Gesellschaftsstrukturen sind seit den 60er Jahren des 20 Jh. durch Änderung derwirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Wandel begriffen. Das Leben auf dem Dorf ist voneinem starken Wir-Gefühl geprägt, und fest in der Gruppe und in sozialen Normen verankert. Strengdefinierte Verhaltensregeln ergeben sich aus den Erfordernissen einer klar gegliedertenpatriarchialischen Gesellschaftsordnung und aus islamischen Werten. Die Entziehung aus diesenNormen ist mit Sanktionen verbunden. Ein zentraler Wert ist die Ehre, wenn sie verloren ist, bedeutetdas soziale Ächtung. Eine wichtige Rolle spielt auch noch, trotz der Reformen Atatürks, Religiosität. Die Erziehung ist eher autoritär, und darauf ausgerichtet, den Kindern Gehorsam und Unterordnungbeizubringen, und nicht so sehr Selbständigkeit oder autonomes Handeln.In der Türkei gibt es sehr verschiedene Gesellschaftsschichten, die einerseits- das betrifft vor allem dieBevölkerung auf dem Land, bzw. die ländliche Bevölkerung, die vom Land in die Stadt gezogen ist-noch sehr an traditionellen Werten hängt, während es andererseits auch viele Bevölkerungsschichtengibt, die sehr westlich eingestellt sind, und auf die die obengenannten Werte nicht (mehr) zutreffen.(vgl. Kl. Islam Lexikon, S. 306 sowie Länderk. Inform. Türkei, E. S4.2, S. 16 und E. S9.4, S. 15)

Bildungssystem im Osmanischen Reich

Im Osmanischen Reich gab es keine Schulpflicht. Neben religiösen Grund- und Mittelschulen gab es ingrößeren Städten auch eher westlich orientierte Oberschulen. Das Bildungssystem war das klassischeSystem der medrese, d.h., dass islamische Fächer wie Koran –und Traditionslehre im Vordergrundstanden. An ausländischen und Privatschulen wurde der Unterricht in einer Fremdsprache erteilt. Fürdie Berufsausbildung gab es religiöse und militärische Ausbildungsstätten, die nur männlichenStudenten offen standen; für Frauen gab es Hebammen- und Lehrerinnenschulen. Mit Beginn derPräsidentschaft Atatürks kam es auch zum Bruch mit der islamisch geprägten Erziehung desOsmanischen Reichs, und zur Hinwendung zu einem westlich geprägten Gesellschaftssystem. Daskemalistische Erneuerungskonzept maß dabei dem Erziehungssystem einen hohen Stellenwert bei.Ganz in diesem Sinne wurde ein laizistisches, nationales, zentralistisches System begründet. (vgl.Steinbach [5], S. 30)Nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs und der Republikgründung gab es durch diemultiethnischen Zusammensetzung eigentlich keinen „türkischen Nationalstaat“. Um ein nationalesBewusstsein zu schaffen, bewertete das kemalistische Konzept das Bekenntnis zur türkischen Nationhöher als Religion oder Konfession oder ethnische Zugehörigkeit.1928 wurde das lateinische Alphabet anstelle des arabischen eingeführt, was die Grundlage derAlphabetisierung der Türkei war; 1932 wurde die türkische Sprachgesellschaft gegründet, mit demZiel, weitere persische und arabische Elemente aus der türkischen Sprache zu eliminieren. (vgl. Kl. IslamLexikon, S. 307) Sehr viel deutlicher wird der Zusammenhang zwischen den kemalistischen Reformen,insbesondere des Nationalismus, und dem Bildungssystem als Mittel zu deren Manifestierung infolgendem Schuleid:

„Ich bin Türke, aufrichtig und fleißig. Mein Grundsatz ist , die Jüngeren zu schützen, die Älteren zurespektieren, mein Land und meine Nation mehr zu lieben als mich selbst. Mein Ideal ist, aufzusteigenund vorwärtszukommen. Mein Dasein soll dem Türkischen geschenkt sein . Oh, Du großer Atatürk. Aufdem Weg, den Du uns bereitest, und dem Ziel entgegen, das Du uns gezeigt hast, werde ichununterbrochen gehen. Das schwöre ich.“(Neue Fassung von 1992)

Diesen Schuleid sprechen türkische Grundschulkinder jeden Tag vor dem Unterricht gemeinsam. DasZiel ist offensichtlich die Erziehung einer dem türkischen Nationalstaat ergebenen Jugend. In der

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Schule und den Klassenzimmern hängen Bilder von Atatürk, und es findet jeden Morgen eineFahnenhissung statt.

Das türkische Bildungssystem

Inhalte

Die Lehrinhalte und Methoden unterscheiden sich wesentlich von westeuropäischen Verhältnissen. DasLehrer-Schüler-Verhältnis ist autoritätsbestimmt, auf Gehorsam und Disziplin wird großen Wert gelegt;so sind z. Bsp. Anordnungen häufig ohne Angaben von Gründen zu erfüllen. Lehrinhalte werden kaumreflektiert oder diskutiert, deshalb gibt es kaum selbständiges Fragen; Gruppen oder Partnerarbeit fehltweitgehend. Der Unterricht wird lehrerzentriert frontal durchgeführt, überfüllte Klassen tragen auchdazu bei, diese Lehrmethode aufrechtzuerhalten. Sitzenbleiben wird nur in besonderen Fällenzugelassen, wobei der Wille der Eltern berücksichtigt wird. Die Verwendung disziplinarischer Strafenist seit 1992 untersagt, vorher wurde auf körperliche Züchtigung viel Wert gelegt.

Das Schulsystem ist durch ein hohes Maß an Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit gekennzeichnet,sowohl äußerlich mit Schuluniformen, als auch inhaltlich durch für die gesamte Türkei geltendeLehrpläne, Schulbücher und eine Vorbereitungspflicht für Lehrer. Die Gleichheit der SchülerInnen wird durch die obligatorische Schuluniform betont.Die zentrale Verwaltung obliegt dem Ministerium für nationale Erziehung (MEB), das verbindlicheEntscheidungen für alle Bildungseinrichtungen trifft.(vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 549ff)

VorschuleVorschuleinrichtungen sind fast unbekannt und so gut wie nur in Großstädten verbreitet. 1994 lag dieVersorgungsquote bei 11,5%, wobei private Träger überwogen. Für unter 2jährige gibt esKinderkrippen, Heime für 2-4jährige und Kindergärten für 4-5jährige.Die Kosten dafür tragen die Eltern. Allgemeinbildende SchulenAllgemeinbildende Schulen sind stufenförmig aufgebaut. Es beginnt mit der Grundschule, die 8 Jahredauert. Es gibt 4 Formen im Grundschulbereich; staatliche, private, private für Ausländer und privatefür Minderheiten, wobei letztere kaum Bedeutung haben. In der Stadt gibt es nur sehr wenige

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Grundschulen, deshalb läuft der Unterricht teilweise in 2 oder 3 Schichten. In Landschulen wird derUnterricht mit Rücksicht auf die Erntezeit um 30 Tage gekürzt.

Mittelstufe1997 wurde die Mittelstufe im Zuge einer Schulreform abgeschafft, und die Grundstufe von 5 auf 8Jahre erhöht. Trotzdem soll sie hier noch aufgeführt werden, weil die Inhalte und der Ablauf noch sehrähnlich sind.Die Mittelschule ist/war entweder allgemeinbildend (3 Jahre), berufsbildend (3 oder 4 Jahre), odertechnisch (3 Jahre). Neben staatlichen Schulen gibt es auch die privaten; teilweise ist auch dieKombination von Mittelschul- und Gymnasialbildung möglich. Der erfolgreiche Besuch derMittelschule befähigt den Besuch eines Gymnasiums. Auch das Gymnasium dauert 3-4 Jahre, und istauch wiederum allgemeinbildend, berufsbildend oder technisch. Es gibt sogenannte AnatolischeGymnasien, die vor allem eine kaufmännische Ausbildung bieten, und Privatschulen bzw. Colleges.Eine Besonderheit der Colleges ist, dass der Unterricht in einer Fremdsprache abgehalten wird, und dieLehrausstattung und Lehrer-Schüler-Relation günstiger ist. Ansonsten ist der Lehrinhalt an den derallgemeinbildenden Schulen angepasst. Die Aufnahme ist an eine Prüfung gebunden, bei der Schüler,die aus ländlichen Regionen stammen, im Nachteil sind, da sie keine Möglichkeit zuPrivatschulunterricht haben. Der Abschluß des Gymnasiums reicht noch nicht zum Besuch einerHochschule, sondern ermöglicht nur den Zugang zu den Aufnahmeprüfungen, der Abschluß einestechnischen oder berufsbildenden Gymnasiums ermöglicht nur unter bestimmten Bedingungen denZugang zur Hochschule.

HochschulenBei Gründung der Türkei gab es nur 1 Uni in Istanbul, heute gibt es insgesamt 68 Universitäten, 21wurden erst 1992 gegründet. Außerdem gibt es 17 private Stiftungsuniversitäten, die meisten sind inIstanbul oder Ankara, auf denen in englisch und französisch unterrichtet wird. Zur Zeit gibt es ca. 750000 Studenten. Das Studium ist zweigeteilt: der 1. Teil dauert 4 Jahre, daran anschließend kommennoch 2 Jahre bis zum Magisterabschluß, und noch weitere 4 Jahre bis zur Promotion. Die Nachfrageübersteigt bei weitem das Angebot an Studienplätzen. Seit 1963/64 gibt es Aufnahmeprüfungen, dieseit 1983 in einem 2-stufigen Verfahren ablaufen:In der 1. Prüfung, , die auch die Voraussetzung für die 2. Prüfung ist, wird das Allgemeinwissengeprüft. Große Engpässe an den Unis führen dazu, dass selbst die bestandene Aufnahmeprüfung nochkeine Garantie für die Zulassung ist. So konnten 1992/93 beispielsweise nur 27% der Bewerberangenommen werden. Für Hochschulen gibt es eigene Regelungen. Bis 1977 waren sie autonom und selbstverwaltet, danachverstärkten sich die staatlichen Kontrollen, bis 1981 im Zuge einer umfassenden Reformierung dieAutonomie aufgehoben und eine Aufsicht der Hochschulen durch den Hochschulrat (YÖK) eingeführtwurde. Dieser ist mit weitreichenden Kompetenzen für Lehrinhalte, personellen Entscheidungen(z.Bsp. Auswahl und Ernennung der Dekane) und die Organisation der Hochschulen ausgestattet.

(vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 550ff; Landesk. Infor. Türkei, E. S9.3, S. 6; Steinbach [5], S. 31)

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Probleme der staatlichen Schulen

„Alle Kinder haben das Recht und die Pflicht, an Bildung teilzunehmen und einen Beruf zuerlernen.“

Insbesondere in Städten sind die Klassen überfüllt. Wegen des herrschenden Raummangels muß derUnterricht teilweise sogar in Schichten durchgeführt werden. Mangel an Unterrichtsmaterialien undLaboreinrichtungen gibt es dagegen vor allem in ländlichen Regionen. Private Schulen sind weitaus besser ausgestattet, aber so teuer, dass sich der Großteil der Bevölkerungden Besuch nicht leisten kann. In der Öffentlichkeit werden Privatschulen deshalb kritisch betrachtet;Es gibt den Vorwurf der Kommerzialisierung des Bildungssystems, der Vertiefung vonKlassenungleichheiten und der Bildung neuer Eliteklassen. (vgl. Landesk. Infor. Türkei, E. 9.4, S18)

Sonderschulformen existieren kaum.1992/93 gab es nach Schätzungen ca 3 Mio Kinder, die eineSonderschulerziehung bedurften, aber nur knapp 30000 besuchen eine Sonderschul- oder spezielleIntegrationsklasse. Der Staat engagiert sich zwar, aber durch den Mangel an adäquat ausgebildetemPersonal, und der unzureichenden Ausstattung der Schulen, muss noch viel getan werden.Es gibt immer noch einen hohen Anteil an Analphabeten: 1985 waren 22,5%, 1996 nach Schätzungen15 % der Bevölkerung Analphabeten; dabei sind Frauen weitaus stärker vom Analphabetismusbetroffen als Männer.Der hohe Bevölkerungszuwachs führt zu steigenden Schülerzahlen, dazu kommt, dass die Landfluchtzur Überlastung der Schulen in den Städten führt. Für so hohe Schülerzahlen gibt es keine adäquateschulische Infrastruktur. Aufgrund geographischer und entwicklungsbedingter Probleme (starkeStreuung der Landbevölkerung, unwegsame geographische Lage, Landflucht), gibt es ein deutlichesStadt-Land und West-Ost-Gefälle hinsichtlich der Beschulungsquote, Ausstattung, Lehrerzahl usw..Problemzone ist vor allem Südostanatolien. (vgl. Landesk. Infor. Türkei, E. 9.1, S. 3) Dazu kommt derLehrermangel, da der Lehrerberuf wegen niedrigerem Einkommen nicht mehr so erstrebenswert ist wiefrüher, deshalb gehen besser qualifizierte Lehrer zunehmend an Privatschulen.Der Zugang zur Bildung ist erheblich vom Einkommen der Familie abhängig. Verstärkt wird das durchKinderarbeit, die besonders bei armen Familien eine Konkurrenz zur Schule darstellt. WohlhabendereFamilien haben die Möglichkeit auf (bessere) Privatschulen zurückzugreifen. Dadurch wird dasBildungsgefälle noch verstärkt. (vgl. Steinbach [5], S. 30-31)Aus diesem Grund wird besonders die (Aus-) Bildung von Mädchen eine Frage der sozialen undfinanziellen Zugehörigkeit der Familie, was insbesondere an dem deutlich geringeren Anteil vonMädchen an höheren Schulen zu sehen ist.Ein speziell türkisches Problem des türkischen Bildungssystem ist auf den von Atatürk propagiertenLaizismus zurückzuführen, der im Laufe der Zeit immer mehr zurückgenommen wurde. Deshalbkonnten immer mehr „Imam Hatip“ -Schulen gegründet werden, die Prediger ausbilden, und regenZulauf haben, da sie kostenlos sind. (vgl. Landesk. Infor. Türkei, E. 9.3, S. 6)Der Besuch dieser Schulen berechtigt (nach bestandener Prüfung) zum Hochschulstudium, wasreligiösen Auseinandersetzungen an Unis neuen Auftrieb gegeben hat.Ein weiteres großes Problem sind die Bildungsrechte ethnischer Minderheiten. Armenier, Griechen undJuden haben seit 1923 Minderheitenstatus und damit das Recht, eigene Schulen zu besuchen; Araberund Kurden z.Bsp. haben das nicht, da sie als türkische Staatsbürger gelten, was wiederum politischenSprengstoff gibt. (vgl. Steinbach [5], S. 34)

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Berufsausbildung

Die betriebliche Ausbildung beginnt nach dem Besuch der Grundschule, und dauert 3-4 Jahre. DasEintrittsalter für die Berufsausbildung ist 13 Jahre. Es gibt 3 Formen der Berufsausbildung:Die traditionelle betriebliche Ausbildung ohne Schulbesuch, die berufliche Ausbildung in schulischerForm und in dualer Form. Die schulische Ausbildung findet an Gewerbeschulen (beruflichenMittelschulen) technischen Gymnasien statt. Dort wird grundständige Bildung vermittelt, teilweisewird sogar in einem anerkannten Beruf ausgebildet. Die wichtigste Form der Berufsausbildung bildendie berufsbildenden Gymnasien, die teilweise geschlechtsspezifisch unterteilt sind. Die Gymnasien fürindustrielle Berufe standen lange Zeit nur Jungen offen, Mädchen besuchten z.Bsp. Gymnasien fürBekleidung, Erziehung, Kunsthandwerk. Die höchste Schülerzahl haben heute die kaufmännischenGymnasien. (vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 551)

Probleme

Wie bei den anderen Schulformen herrscht auch hier Lehrermangel bzw. gibt es nur schlechtqualifiziertes Personal; die Absolventen finden keinen Zugang zu Berufen, in denen sie eigentlichausgebildet sein sollten. Die Kritikpunkte sind vor allem Praxisferne, und die geringe Einsetzbarkeitder Absolventen von beruflich-technischen Gymnasien.

Da die schulische Ausbildung in der Türkei höher bewertet wird, als die betriebliche, ist es sehr schwer,die duale Berufsausbildung einzuführen.Allerdings erwirbt knapp die Hälfte der Jugendlichen, und dabei vor allem Mädchen, nach derGrundschule keine weitergehende schulische oder berufliche Bildung und gehen ohne Qualifizierungins Erwerbsleben. (vgl. Steinbach [5], S. 30)

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• Deutschland

Allgemeines

Quelle: Spiegel-Online – Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist neben der Türkei mit 82 Mio Einwohnern eine derbevölkerungsreichsten Staaten Europas. 88% der Bevölkerung lebt in Städten. Die BRD ist ein„veralterndes“ Land, nur jeder 6. ist unter 15 (vgl. Geißler [1], S. 3-5). Seit dem 2. Weltkrieg ist die BRDeine stabile Demokratie, und versteht sich als sozialer Rechtsstaat. Es gibt zahlreiche staatlicheSozialleistungen, wie z.B. Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung, die auf eine langeVergangenheit zurückgehen. Seit den 60er Jahren ist die BRD durch den Zuzug von (damalssogenannten Gastarbeitern) zu einem Einwanderungsland geworden. Die größte Einwanderergruppesind mit knapp 2 Mio Einwanderern Türken (vgl. Şen, S. 53). Insbesondere nach den 68er Unruhen istDeutschland mehr und mehr zu einer Zivilgesellschaft geworden. Im Folgenden wollen wir uns beidem Vergleich der BRD zur Türkei nur auf das Wichtigste beschränken.

Geschichte

Deutschland wurde in seinen heutigen Ausmaßen erst 1870/71 aus einer Staatenföderation gegründet.Das neue Kaiserreich führte während der Kanzlerschaft Otto von Bismarks, zahlreiche Sozialreformenein, wie z.B. Verbot der Kinderarbeit, Krankenversicherung, Alterssicherung/Rente usw. 1914 begann der 1. Weltkrieg, an dessen Ende 1918 nichts mehr so war wie vorher. Deutschland hatteden Krieg verloren, und musste einige Territorien abgeben. Nach dem 1. Weltkrieg wurde dasKaiserreich abgeschafft, und die Weimarer Republik gegründet. Es war der erste Versuch einerDemokratie in Deutschland., der letztendlich scheiterte und mit der Machtübernahme Hitlers, unddamit in einer Diktatur, endete. Im Dritten Reich wurde 12 Jahre lang das „nationale Empfinden“ unddie öffentliche Meinung durch Propaganda manipuliert und Kritik u.ä. nicht zugelassen. Nach dem Sieg

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der Alliierten USA, Großbritannien, Frankreich und Russland im 2. Weltkrieg wurde unter demEinfluss der Schrecken des Dritten Reichs weitgehende Reformen begonnen, die vor allem eineWiederholung einer Regierung wie im Dritten Reich verhindern sollten. Dazu gehörte neben derEntnazifizierung und der Auseinandersetzung mit dem Holocaust vor allem die (nach der WeimarerRepublik) erneute Einführung einer Demokratie.

Werte

Die Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Normen wurden in Deutschland nach dem 2. Weltkriegund nochmals durch die 68er neu geordnet. Nach dem 2. Weltkrieg stand das Bestreben imMittelpunkt, ein „neues“ Deutschland zu schaffen, in dem eine Diktatur wie das Dritte Reich nichtmehr möglich war. Deshalb werden auch heute noch Nationalismus und Patriotismus vermieden.Besonderen Wert wird auf Hinterfragung und Kritik gelegt, und auch Toleranz und OffenheitMenschen aus anderen Religionen und Staaten gegenüber wird als wichtig angesehen. Im Allgemeinenist trotzdem eher der persönliche soziale Status wichtig. Familie und Religion haben keinen hohenStellenwert, deshalb nimmt auch der Einfluss von Familie und Kirche immer weiter ab.Aus diesem Grund werden Werte und Normen auch zunehmend von der Gleichaltrigengruppe gesetzt.Auch der Gemeinschaftssinn wird nicht so sehr gefördert, wie etwa die Individualität, gerade in derErziehung der Kinder wird die individuelle Entwicklung gefördert. Eltern werden mehr als Partner,denn als Autoritätsperson gesehen, und auch die Erziehung ist im Allgemeinen nicht autoritär. AuchGleichberechtigung und die Infragestellung von Geschlechterrollen spielen – nicht nur in derErziehung- eine große Rolle. (vgl. Geißler [2], S. 45 und Geißler [3], S. 56-61)

(das ist natürlich nur eine sehr grobe Einschätzung der „deutschen“ Werte, und natürlich stellen sie einIdeal dar, das nicht jeder teilt, bzw. nicht sehr konsequent umgesetzt wird.)

Bildungssystem

Historische Entwicklung

Im Verlauf des 19.Jh. bildete sich, vorwiegend zunächst im preußischen Staatsgebiet, die Erkenntnis,dass eine gesicherte Grundbildung für die gesamte Bevölkerung von Vorteil wäre. Der bislangvorherrschende Zustand war, dass Bildung, insbesondere in ländlichen Gegenden, bestenfalls inunzureichenden Kirchenschulen vermittelt wurde. Die Verstaatlichung des Schulsystems ging inmehreren Schritten voran, in deren Entwicklung eine ordentliche Lehrerausbildung, gesicherte Lehrer-Gehälter, schriftlich formulierte Lehrpläne und natürlich die allgemeine Schulpflicht stand (vgl.Bloemer, S. 38). Dadurch wurde eine allgemeine Bildung allerdings auf einem, für heutige Verhältnisse,niedrigem Niveau geschaffen.Gleichzeitig wurde schon am Anfang des 19.Jh. die Universitätsausbildung insbesondere durch dieIdeen Alexander von Humboldts revolutioniert. Grundidee war, dass Lehre und Forschung eine Einheitbilden sollten. Offene Forschung und Wissenschaft soll also Bildung vermitteln. Im Zuge dieser Ideenwurden die Universitäten ausgebaut und um neue Zweige erweitert.Gründe für diese Entwicklung waren im wesentlichen wirtschaftlicher Natur: Im ausgehenden 19.Jh.wurde Wissen und Bildung als wesentlicher Faktor erkannt, um in der internationalen Konkurrenz umRohstoffe und insbesondere Technologien zu bestehen. Um in der damals bestehenden militärischenBedrohungslage nicht ins Abseits zu gelangen, war außerdem dauernde Militärforschung vonnöten.(vgl. Boenicke 2002, S. 7)Allerdings wurde diese Entwicklung nicht von allen Teilen der Gesellschaft positiv gesehen. Es gabStimmen, die vor einer „Überbildung“ bestimmter Gesellschaftsschichten warnten. AlsBeispiel warnte Otto von Bismarck vor der Einführung des Handarbeitsunterrichtes in Volksschulen,weil sich die Schülerinnen dadurch als „für ländliche Arbeiten zu gut“ fühlen könnten. (zitiert nach:Boenicke 2002, S. 9)

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Da das Prinzip der Statusvererbung für die aufstrebende bürgerliche Gesellschaft nicht mehr geltenkonnte, musste der soziale Stand auf andere Art und Weise gesichert werden. Da in den humanistischenKonzepten dieser Zeit einzig die Leistung als Berechtigung für eine bestimmte gesellschaftlicheStellung galt, musste die Bildung als Voraussetzung für Leistung reglementiert werden. (vgl. Boenicke2002, S. 6)

Als Konsequenz ist es die bildungspolitische Strategie im 19.Jh., „im Interesse einer Bildungselite denZugang zur Universität und zu akademisch privilegierten Berufskarrieren so einzuschränken, dass derBerechtigungsanspruch der größeren Zahl mit bildungstheoretischen Argumenten zurückgewiesenwerden kann.“ (Herrlitz 1997, S.176) . Dieses so geschaffene „Bildungsbürgertum“ verstand es, dieSchule als sozialen Filter einzurichten. Ausbildung dient zur Verteilung von sozialen Positionen bzw.Selektion (vgl. Boenicke 2002, S. 7). Ein Zeichen dieses Systems war z.B. die Beibehaltung deraltsprachlichen Gymnasien, die alleine einen uneingeschränkten Hochschulzugang erlaubten, aberaufgrund von Schulgebühren ärmeren Schichten nicht zugänglich war.

Um der zunehmenden Kritik des Schulsystems zu begegnen, wurden einige neue Schultypenerschaffen: z.B. Real-Schulen und naturwissenschaftliche Gymnasien (vgl. Boenicke 2002, S. 7). An demgrundsätzlichen Prinzip der Selektion änderte sich dadurch nichts. Allerdings wuchsen aus dieserSituation heraus auch alternative Schulformen aus reformpädagogischen Ansätzen oder anhand vonVorbildern in England und USA (vgl. Boenicke 2002, S. 11): z.B.: Waldorfschule, von Rudolf Steinergegründet 1919 in Stuttgart oder Montessori-Schulen, von bzw. nach pädagogischen Grundsätzen M.Montessoris begründet (vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 389).

Die wirklich großen Reformen des Schulsystems blieben denn auch aus und selbst nach dem zweitenWeltkrieg konnten sich die konservativen Kräfte in der späteren Bundesrepublik durchsetzen mit einerWeiterführung des dreigliedrigen, selektiven Oberschulsystems.(vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 138)

Politische und Organisatorische Beschreibung des Schulsystems

Die schulische Ausbildung ist in der Bundesrepublik Deutschland auf Länderebene geregelt. D.h. JedesBundesland entscheidet selber über Ausbildungsformen, Schultypen und Inhalte. Eine Konferenz derLänder-Kultusminister wacht über Vergleichbarkeit und gewährleistet so gegenseitige Anerkennungder Abschlüsse (vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 160/Düsseldorfer Abkommen + S.138) . Trotzdem ist geradedurch dieses föderale System ein kaum übersichtliches System von Schultypen, Abschlussformen undAusbildungswegen entstanden. Die meisten Abschlüsse sind zwar wenigstens innerhalb derBundesrepublik anerkannt, im internationalen Kontext kann es aber zu Probleme kommen. EinigeBerufschulabschlüsse werden selbst innerhalb der Republik nicht überall anerkannt.Das normale Schulsystem ist in den Bundesländern zumindest so weit ähnlich, so daß Kinder meistohne größere Probleme zwischen Bundesländern wechseln können. Unterschiede gibt es hier imwesentlichen nur in Namensgebungen, Schulzeiten und Zulassungskriterien. Daneben gibt es in so gutwie allen Bundesländern besondere Schultypen, wie Spezialschulen für begabte Kinder oderFörderschulen.Diese besondere und von außen unübersichtliche Vielfalt der Schultypen und die regionale (Länder)Organisation ist ein besonderes Merkmal des deutschen Schulsystems. Neben dem staatlichen Schulen gibt es des weiteren noch eine Vielzahl von privaten Schulen, die meistein besonderes Profil, wie z.B. Internatsschule oder besondere weitergehende Förderung, beinhalten.

Allgemeine Beschreibung des Schul- und Ausbildungssystems

In der Bundesrepublik Deutschland herrscht seit der Gründung eine allgemeine Schulpflicht von 9, inmanchen Bundesländern 10, Jahren mit einem weit gefächertem Schulsystem sowie ein sehrdifferenziertes Weiterbildungssystem. Obwohl auch das außerschulische Aus -und

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Weiterbildungssystem viele interessante Einblicke ermöglicht, soll hier im wesentlichen nur dasreguläre Schulsystem betrachtet werden.

Die Schulausbildung beginnt meist mit Kindergarten und Vorschule, die aber nicht allgemeinverpflichtend sind. Diese Nichtverpflichtung hat insbesondere auch den Effekt, dass die Ausbildung inden Vorschulen so gut wie keinen allgemeinen Regelungen unterliegt.In der nachfolgenden Grundschule werden dann grundlegenden Ausbildungsinhalte vermittelt, wieLesen, Schreiben und Rechnen. Die Grundschulzeit beträgt in den meisten Bundesländern 4 Jahre, inBerlin und Brandenburg 6 Jahre. In manchen Grundschulen wird auch schon eine erste Fremdsprachegelehrt.Nach der Grundschule folgen die weiterführenden Schulen, organisiert in einem dreigliedrigemSystem. D.h. es gibt drei verschiedene Schultypen (Hauptschule, Realschule und Gymnasium), die jenach Fähigkeiten des Schülers besucht werden sollen. Der Wechsel zwischen diesen Typen isttheoretisch immer möglich, aber in der Realität meist nur in Richtung verminderter Anforderungendurchführbar, also z.B. vom Gymnasium zur Realschule. Die Auswahl des Schulzweiges ist in allenBundesländern sehr unterschiedlich geregelt. In manchen Gegenden (z.B. Berlin) wird dieEntscheidung den Eltern überlassen und das Kind muss sich dann in einem sog. Probehalbjahr auf derweiterführenden Schule bewähren. Eine anders Auswahlverfahren (z.B. Rheinland-Pfalz) sieht einenIntelligenztest in der Grundschule vor, nach dessen Ergebnis und Schulnoten die weitereSchulausbildung von den Lehrern entschieden wird. Danach folgt dann eine weitere zweijährige sog.Orientierungsstufe, nach der noch einmal von den Lehrern eine Laufbahn- Entscheidung getroffenwird. Die Schulausbildung endet dann im allgemeinen mit einem Abschluss des entsprechendenSchulzweiges. In manchen Bundesländern muss auch bei Haupt- und Realschulabschlüssen einebesondere Prüfung abgelegt werden, während der Gymnasialabschluss (Abitur) immer eine Prüfungbeinhaltet. Das Abitur ist dann auch der einzige Abschluss, der zum Besuch einer Hochschuleberechtigt.Schulen in Deutschland sind, von den privaten Schulen abgesehen, staatliche Einrichtungen. Allerdingsgelten auch für Privatschulen die Bestimmungen des Landesschulgesetzes und Kultusminister.Die staatlichen Schulen sind grundsätzlich gebührenfrei. Unterschiedlich geregelt ist, ob auch derZugang zu Lehrmitteln gebührenfrei ist.(zum Schulsystem: vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 138ff sowie KMK 2002)

Besonderheiten

Ein äußerliches Merkmal der deutschen Schulausbildung ist die, für ausländische Beobachterungewöhnliche, zeitliche Organisation. Die meisten der staatlichen Schulen haben ausschließlich einHalbtagesprogramm. Das bedeutet, dass Schüler meist am Nachmittag eine außerschulische Betreuungbenötigen.Dies ist mit ein wichtiger Grund für die Existenzberechtigung privater Schulen, die eine volleTagesbetreuung bieten. Oft die einzige Möglichkeit für Kinder doppelt berufstätiger Eltern. Im Normalfall wird allerdings durch diese Festlegung auch ein eher traditionellesGeschlechterverhältnis (Hausfrau; Mann arbeitet) erhärtet. (vgl. Geißler 2000, S.47 sowieGottschall/Hagemann, S. 12-13+15)

Eine weitere Besonderheit ist das dreigliedrige Oberschulsystem. Schüler werden in Gruppen eingeteilt,die ihren Fähigkeiten entsprechen sollen. Leider ist die Auswahl des Schultyps regional sehrunterschiedlich und kaum vergleichbar. Besondere Tragweite bekommt dies schon dadurch, dass dieseEntscheidung meist das gesamte Leben entscheidend beeinflusst. Trotzdem wird diese Einteilung inden meisten Bundesländern alleine durch die Lehrer getroffen, ohne Mitspracherecht der Schüler oderEltern. Die Entscheidung alleine an Einzelkriterien muss hier als sehr kritisch gesehen werden. (vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 147 sowie BMB+F 2001, S. 14)

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Das Schulsystem ermöglicht zwar den Wechsel zwischen den Schultypen, in der Praxis sind dieAnforderungen für den Übergang kaum standardisiert und wenig praktikabel. Einen Ausweg bieten diein einigen Bundesländern eingerichteten Gesamtschulen, die eine Integration von mindestens zwei derOberschultypen ermöglichen. Dadurch bilden diese Gesamtschulen eigentlich ein unabhängigesSchulsystem neben den klassischen Schulen. Ein komplexes Punktesystem verwirklicht aber dieVergleichbarkeit. Diese Gesamtschulen erlauben für viele Schüler den Weg, mit ihren über eine längereZeit abgegebenen Leistungen, zu einem besseren Abschluss, als über die klassischen Schulen. Leiderhaben sich im Verlauf der Jahre auch einige Gesamtschulen als problematisch herausgestellt. Einer derGründe ist z.B. dass sehr große Schulen errichtet wurden, die kaum übersichtlich und ein nur schlechtesBetreuungsverhältnis erreichen. Dies und auch die Unübersichtlichkeit des Systems haben denGesamtschulen keinen guten Ruf beschert. (vgl. Gottschall/Hagemann, S. 18-19)Entgegengesetzt lief die Entwicklung in der DDR, die die bisherige Praxis abschaffte und durch eineallgemeine Oberschule ersetzte. Nach der Wende wurde allerdings überall das westdeutsche Systemübernommen. (vgl. Wörterbuch Pädagogik, S. 140ff)

Probleme des heutigen Schulsystems

Nicht nur die PISA-Studie sondern auch andere Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass dasvorhandene deutsche Schulsystem dringend einer Überarbeitung bedarf. Einige der Ergebnisse derPISA-Studie ergeben insbesondere für Deutschland ein erschreckendes Bild, so fällt z.B. auf, dass derUnterschied zwischen guten und schlechten Schülern nirgendwo so groß ist wie hier. D.H. besondersdie Förderung von schwachen Schülern gelingt dem dt. Schulsystem nur sehr schlecht. Die PISA-Studie kommt darüber hinaus noch zu dem Schluss, dass es auch im Bereich der Förderung besondersbegabter Schüler große Defizite gibt. (vgl. Smolka 2002, S. 6-8)

Unterschiede zwischen dermittleren Lesekompetenz von 15-Jährigen aus Familiendes oberen und unterender Sozialstruktur

Quelle: Smolka 2002, S. 6

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Eine weitere Erkenntnis ist, dass immer noch die soziale Herkunft im hohen Maße über denBildungserfolg eines Schülers entscheidet. Das Ziel, allen Heranwachsenden gleich guteBildungschancen zu geben und gleichzeitig die sozialen, ethnischen und kulturellen Unterschiedeauszugleichen, wird von keinem Bundesland erreicht. (BMB+F 2001, Kapitel 2.1.3.3, S. 22; Smolka 2002, S.7)Ein erklärtes Ziel des dt. Schulsystems ist es eine allgemeine Kultur der Wertschätzung des Lernens zusichern und zu verankern (siehe Grundgesetz Art.7 bzw. entspr. Länderverfassungen, vgl. Baumgärtner, S.1).Dieses Ziel wird im gegenwärtigen Zustand nur für einen Teil der Schüler erreicht. Weitere Ziele, wiez.B. die Förderung der Familie und der Gleichstellung von Frauen, können mit der bisherigenEinrichtung der Halbtagesschule nur unzureichend erfüllt werden, da diese kategorisch eineNachmittagsbetreuung der Kinder voraussetzen, die sonst nur durch finanziellen Mehraufwand (derFamilien) gewährleistet werden kann.Die Halbtagsschule hat darüber hinaus das Problem, dass die Unterrichtsfächer in einer relativ starrenzeitlichen Aufteilung angeordnet sind, die das Lernen inhaltlicher Zusammenhänge erschwert. Zudemfällt bei diesem Konzept schwer eine projektorientierte Arbeitsweise zu vermitteln, die gerade in derWirtschaft gefordert wird. Die fällt insbesondere im Vergleich mit dem AngelsächsischenSchulsystemen auf, wo eine solche Arbeitsweise mit gutem Erfolg gefördert wird. (vgl.Gottschall/Hagemann, S. 19 sowie Baumgärtner, S. 10)

Insgesamt kann man Festhalten, dass das deutsche Schulsystem mehrere große konzeptionelleSchwächen hat. Es gibt aber durchaus ernstzunehmende Versuche dies zu ändern. Daraus resultiert imwesentlichen die von manchem kritisierte Unübersichtlichkeit, die vielleicht aber auch mehr Chancenbietet als angenommen. So können neue Konzepte erst einmal im Kleinen (z.B. in einer begrenztenRegion) ausprobiert werden, wenn die Kultusministerkonferenz die gegenseitige Anerkennunggarantiert. Vielleicht sollte aber trotzdem eine größere Reform versucht werden um dieUngerechtigkeiten des etablierten Systems zu überwinden, den nötigen Anreiz dazu sollte schon dasschlechte Abschneiden bei der PISA-Studie gegeben haben.

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• Resümee

Zusammenfassend kann man sagen, dass Bildung in beiden Ländern einen sehr unterschiedlichenAnsatz hat: In Deutschland soll Bildung die allgemeine Kultur der Wertschätzung des Lernens sichernund verankern, in der Türkei haben alle Kinder das Recht und die Pflicht, an Bildung teilzunehmen undeinen Beruf zu erlernen. Daraus kann man einiges ableiten.In Deutschland hat Bildung an sich schon einen hohen Stellenwert, und „gebildet“ zu sein bedeutetauch gesellschaftliches Prestige. In der Türkei ist Bildung scheinbar mehr ein Mittel zum Zweck.Betrachtet man die „jüngste“ türkische Geschichte, und damit auch Atatürks Vorgehen, der dasBildungssystem tatsächlich als „Mittel zum Zweck sah“, um seine Reformen besser gesellschaftlichverankern zu können, sieht man auch den Zusammenhang. Durch strenge patriarchialische Strukturenund Hierarchien war die osmanische bzw. türkische Kultur von je her eher auf das Wohl derGemeinschaft, als auf das des Einzelnen bzw. auf Individualität ausgerichtet. Und auch Atatürk setztediese Tradition in seinem Bestreben, ein nationales Bewusstsein aufzubauen, fort, indem er schon inder Schule (Schuleid, Uniform) versuchte, ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen. Auch im politischenSystem der Türkei wird z. Bsp. das Wohl des Staates vor das Wohl des Einzelnen gestellt. InDeutschland ist das aufgrund der geschichtlichen Vergangenheit undenkbar. Es wird viel Wert aufIndividualität gelegt, und auch darauf, eben keinen Nationalismus weiterzugeben. Auch ein Schuleidwäre undenkbar, die Schüler sollen nicht einfach irgendetwas auswendig lernen, und nachsprechen,sondern kritisches Denken und Diskussionsfähigkeit ausbilden. Die Familie hat in der türkischenGesellschaft immer noch einen hohen Stellenwert, so haben z.Bsp auch die Eltern ein Mitspracherechtbei der Versetzung ihrer Kinder, in Deutschland dagegen haben eher die Lehrer das Sagen, Elternwerden kaum zu Rate gezogen, z. Bsp auch dann nicht, wenn es um die schulische Laufbahn ihrerKinder geht. Schon an diesen wenigen Beispielen kann man sehen, dass sich Traditionen oder kulturelleWertvorstellungen im Schulsystem fortsetzen. Die Weitergabe durch das Schulsystem macht sich dieTürkei seit ihrer Gründung explizit zu Nutze. Und man kann dabei erkennen, dass durch umfassendeReformen in der Regierungszeit Atatürks, und auch spätere Wechsel der Unterrichtsinhalte (z. Bsp.Religionsunterricht), wohl auch die Gesellschaft noch im Wandel begriffen ist. Wenn man dagegen dasdeutsche Schulsystem näher betrachtet, und dabei entdeckt, dass es sich, trotz turbulenter Geschichte,und unterschiedlichster Regierungssysteme und -wechsel, innerhalb von 200 Jahren praktisch kaumgeändert hat, könnte man unter Berücksichtigung unseres Einleitungssatzes („das Bildungssystem istein Indikator für die gesamtgesellschaftliche Orientierung“), nicht den Schluss ziehen, dass sich auchgesellschaftlich eigentlich nichts geändert hat? Gerade hinsichtlich einer gewissen „Rollenverteilung“,oder auch eines „Klassenbewusstsein“ in einem „3 Klassen-Schulsystem“ (Hauptschule, RealschuleGymnasium) , das das deutsche Schulsystem immer noch propagiert, und das dadurch auch weiter„überlebt“, liegt dieser Schluss nahe.

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• Schlusswort

Wir haben in dem Eisbergmodell versucht, einen kleinen Einblick in zwei unterschiedliche Kulturen zugeben, was uns aber eigentlich nur ziemlich oberflächlich gelungen ist. Das meiste haben wir mitErscheinungen erklärt, die auch „sichtbar“ waren, wie z. Bsp. den Schuleid mit dem Nationalismus,oder die individuelle Förderung mit geschichtlichen Erfahrungen. Was tatsächlich noch tieferdahintersteht, ist schwer zu sagen, und wenn es nicht um die eigene Kultur geht, auch sehr schwernachzuvollziehen. Für uns war es hilfreich, dass wir uns zuerst mit geschichtlichen Hintergründen, undganz allgemeinen Dingen über das jeweilige Land beschäftigt haben. Das hat uns eine Ahnung von derKultur gebracht, und, vor allem bei der Türkei, viel Neues, dass wir noch nicht wussten. Als wir dannversuchten, tieferzugehen, mussten wir erkennen, dass man die Kultur eines anderen Landesautomatisch mit den Augen der eigenen Kultur sieht, und dass man gegenüber der eigenen Kultursozusagen „betriebsblind“ ist; man kann Eigenarten usw. kaum erkennen, weil man sie alsselbstverständlich betrachtet. Wie wir schon während des Seminars festgestellt hatten, ist „Kultur“ einsehr komplexes Gemisch aus verschiedensten Einflüssen, die kaum erklärbar sind. Wir haben mitunserer Arbeit praktisch nur die Spitze des Eisbergs sichtbar gemacht. Trotzdem können wirabschließend sagen, dass sich die These, die wir Eingangs erwähnt hatten, für uns als plausibelerwiesen hat:

Das Bildungssystem ist ein Indikator für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung einesLandes.

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Schuluniformstrenge Beachtung

der äußeren Erscheinungsformen

Erziehung zumGemeinschaftssinnKeine Förderungder Individualität

SchuleidFahnenappellAtatürk Bilder

PatriotismusNationalgefühl

DisziplinUnterordnung

Gehorsam

EhreReligösität

ungeschriebeneGesetze

Hoher Stellenwertder Familie undGemeinschaft

Unterfinanzierungdes staatlichen Schulsystems

Geld abhängigkeitAndere Fertigkeiten

sind wichtiger (?)Formale Bildung hat

keinenhohen Stellenwert

Türkei Deutschland

Vermeidungvon Patriotismus Lehrer haben

wenig Autorität

Bildung hathohen Stellenwert

Formalisierung vonAnforderungen

Förderung der Kritik-und

Diskussionsfähigkeit;Politisierung der Öffentlichkeit

in Ausbildung und Medien

Förderung der Individualität;

Aufwertung des Einzelnen

Erfahrung aus der Geschichte

Leistungsgesellschaft:Benotungen,Zertifikate,

Zeugnisse in allen Teilen der Gesellschaft

GleichberechtigungDemokratisierung

Formalisierung desöffentlichen Lebens

Eisbergmodell

sichtbar

unsichtbar

Islamismus;Andere Behandlung

von Frauen

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Quellen

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Länderkundliche Informationen Türkei4. überarbeitete Auflage,Institut für Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung GmbH,Isoplan, 1986

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Weitere Quellen finden sich auf den Internetseiten von:http://www.goethe.dehttp://www.oecd.orghttp://www.kas.dehttp://www.bildungsserver.dehttp://www.shell-jugendstudie.dehttp://www.bpb.de

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