Stellungnahme der Bundesärztekammer...Künstliche Befruchtung Keywords: Kostenübernahme für...

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Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften und lesbischer Paare bei der Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung“ (BT-Drs. 19/1832) sowie zum Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Medizinische Kinderwunschbehandlungen umfassend ermöglichen“ (BT-Drs. 19/5548) Berlin, 20.11.2018 Korrespondenzadresse: Bundesärztekammer Dezernat 6 Herbert-Lewin-Platz 1 10623 Berlin

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Stellungnahme

derBundesärztekammer

zumGesetzentwurfderBundestagsfraktionBÜNDNIS90/DIEGRÜNEN

„GleichstellungnichtehelicherLebensgemeinschaftenundlesbischerPaare

beiderKostenübernahmefürMaßnahmenderkünstlichenBefruchtung“

(BT-Drs.19/1832)

sowie

zumAntragderBundestagsfraktionDIELINKE

„MedizinischeKinderwunschbehandlungenumfassendermöglichen“

(BT-Drs.19/5548)

Berlin,20.11.2018

Korrespondenzadresse:

BundesärztekammerDezernat6Herbert-Lewin-Platz110623Berlin

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1. GrundlegendeBewertungdesGesetzesentwurfs BT-Drs.19/1832unddesAntragesBT-Drs.19/5548

Mit ihrem Gesetzentwurf vom 24.04.2018, BT-Drs. 19/1832, fordern Abgeordnete derBundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – in weitgehender Analogie zu demGesetzentwurf BT-Drs. 18/3279 vom 27.11.2014 – eine Änderung des Fünften BuchesSozialgesetzbuch, damit „neben verheirateten auch verpartnerte sowie nicht formalisiertePaare für Maßnahmen der homologen oder heterologen künstlichen Befruchtung einengesetzlichen Anspruch auf partielle Kostenübernahme durch die gesetzlicheKrankenversicherung“erhalten.BegründetwirdderGesetzentwurfmitdemBestreben,dieaktuell herrschende Benachteiligung nicht verheirateter Paare bei der Chance aufElternschaftaufzuheben.

In ihrem Antrag BT-Drs. 19/5548 vom 07.11.2018 fordern Abgeordnete derBundestagsfraktion DIE LINKE, medizinische Kinderwunschbehandlungen umfassend zuermöglichen, insbesondere durch „die volle Erstattung der Kosten für medizinischeMaßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auch unter Verwendung vonSpendersamen“ durch die gesetzliche Krankenversicherung für alle „Menschen mitungewollter, medizinisch begründeter Kinderlosigkeit“ und parallel dazu Beendigung der„dann überflüssig gewordene[n] Bezuschussung aus dem Bundeshaushalt“ und der„entsprechendenVereinbarungenmitdenLändern“.

Die Bundesärztekammer begrüßt ausdrücklich das grundsätzliche Anliegen derGesetzentwürfe, sichmit den offenen Fragen der Reproduktionsmedizin zu befassen undgesetzliche Regelungen zu schaffen. Allerdings ist der Ansatz, in diesem Bereich dieFinanzierungsfragen zuerst regeln zu wollen, aus ärztlicher Sicht abzulehnen. Denn derGesetzgeber muss zunächst die das menschliche Leben elementar berührenden Fragenverbindlichentscheiden,bevoraufdieserBasisineinemzweitenSchrittweitereFragen wiez.B.dieFinanzierunggeregeltwerdenkönnen.

Vor diesem Hintergrund tritt die Bundesärztekammer weiterhin für eine systematischeRechtsentwicklung für diesen medizinisch, ethisch und rechtlich ebenso komplexen wiesensiblen Bereich ein und fordert den Gesetzgeber sowie die politischenEntscheidungsträgerauf, rechtlicheRegelungenfürdieReproduktionsmedizinzuschaffen.

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2. StellungnahmeimEinzelnen

A. RegelungenimSozialrechtundimBerufsrecht

Die Bundesärztekammer hat zur Kenntnis genommen, dass der vorletzte Absatz desAllgemeinen Teils der Begründung des Gesetzentwurfes BT-Drs. 19/1832mit den Sätzenschließt:„EineentsprechendeAnpassungdesFünftenBuchesdesSozialgesetzbucheswieauchder Förderrichtlinie des BMFSFJ steht allerdings noch aus, ebenso wie eine entsprechendeAnpassungdesärztlichenBerufsrechtsderLänder.“DieseForderungwirderhobenvordemHintergrunddesindervorletztenWahlperiodevonderFraktionBÜNDNIS90/DIEGRÜNENvorgelegten Antrages BT-Drs. 17/7030, für den gemäß Dokumentations- undInformationssystem des Deutschen Bundestages gilt: „Erledigt durch Ablauf derWahlperiode“(vgl.http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/384/38402.html).

DieAussageimAllgemeinenTeildesGesetzentwurfesBT-Drs.19/1832istsonichtkorrekt.DerindervorletztenLegislaturperiodevorgelegte,vomBundestagaufgrunddesAblaufsderWahlperiode nicht weiter beratene Antrag BT-Drs. 17/7030 hat keine unmittelbarenAuswirkungen auf das ärztliche Berufsrecht. Die Aussage im Begründungstext desGesetzentwurfesBT-Drs.19/1832istsomitzukorrigieren.

B. FüreinesystematischeRechtsentwicklunginderReproduktionsmedizin

AusSichtderÄrzteschafterscheinteswedersachgerechtnochangemessen,alleinüberdieFinanzierung reproduktionsmedizinischer Maßnahmen die rechtlichenRahmenbedingungen dieses so sensiblen wie komplexen Bereiches der Medizinausgestalten zu wollen und dabei zu suggerieren, dass durch die Ausweitung derFinanzierungsregelung des SGB V Paare in Deutschland „bei der Chance auf Elternschaftnicht benachteiligt werden“ (BT-Drs. 19/1832) bzw. „die Ungleichbehandlung von Ehen zubeenden“ (BT-19/5548). Beispielsweise müssen Paare, die in der Regel auf natürlichemWege eine Schwangerschaft eingehen könnten, aber aufgrund einer genetischenPrädisposition eine Präimplantationsdiagnostik (PID) benötigen, ungeachtet vomrechtlichenStatusihrerPartnerschaftdieKostenfürdiein-vitro-Fertilisation(IVF),diePIDsowie für das Antragsverfahren zur PID komplett selbständig tragen (vgl.Bundessozialgericht,Urteilvom18.11.2014- B1KR19/13R).DiesesBeispielverdeutlicht,dass durch einen fragmentarischen Ansatz zur Regelung der offenen Fragen derReproduktionsmedizinzwarDetailfrageneinerKlärungzugeführtwerdenkönnen,sichaberanandererStellesofortneueFragenauftunundweitereInkongruenzenentstehen.Darüberhinaus wäre auch die Frage zu diskutieren, ob die in BT-Drs. 19/5549 geforderte „volleErstattungderKostenfürmedizinischeMaßnahmenzurHerbeiführungeinerSchwangerschaftauchunterVerwendungvonSpendersamen“durchdieGKVbeigleichzeitigerBeendigungderfinanziellen Förderung durch Bund und Länder insbesondere aus der Perspektive derVersichertengemeinschaft den in BT-Drs. 19/1832 und BT-Drs. 19/5548 formuliertenAnsprüchen, Ungleichbehandlung und Benachteiligung abzubauen, gerecht wird. Aus dengenannten Beispielen ergibt sich, dass sich die in dem Gesetzentwurf und dem Antraggeforderte Beendigung von Benachteiligung und Ungleichbehandlung nur durch einenumfassendenundsystematischenRegelungsansatzerreichenlässt.

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DassdieinBT-Drs.19/1832undBT-Drs.19/5548implizitadressiertenfamilienrechtlichenFragestellungennichtausschließlichüberFinanzierungsregelungenimSGBVzuregelnsind,zeigtauchdieaktuelleRechtsprechung.Sohat derBundesgerichtshof inseinemBeschlussvom10.10.2018(Az.XIIZB231/18) festgestellt,dassdieEhefrauderKindesmutternichtaufgrundderEhezumrechtlichenMit-ElternteildesKindeswird.

Darüberhinaus istkritischanzumerken,dassdieAuslegungwesentlicherBegriffederBT-Drs. 19/1832,wie z. B. „ausmedizinischen Gründen“ oder „miteinander in einer auf DauerangelegtenLebensgemeinschaftleben“,denÄrztinnenundÄrztenobliegenwürde,ohnedassder Gesetzgeber in diesem Zusammenhang wesentliche Entscheidungen gesetzlichfestgelegthätte. Esbleibt zumindest fraglich, obund inwieweitdieBegriffserläuterungenderRichtlinieüberdieGewährungvonZuwendungenzurFörderungvonMaßnahmenderassistierten Reproduktion des BMFSFJ (https://www.informationsportal-kinderwunsch.de/fileadmin/Content/Bundesfoerderrichtlinie160208.pdf) angewendetwerden können, u. a. mit Blick auf die Einschränkung des Anwendungsbereiches dieserRichtlinie auf Ehepaare oder Paare, die in einer nichtehelichen LebensgemeinschaftzwischenMannundFrauleben.InBT-Drs.19/5548wird„dievolleErstattungderKostenfürmedizinischeMaßnahmenzurHerbeiführungeinerSchwangerschaftauchunterVerwendungvonSpendersamen“für„Menschenmitungewollter,medizinischbegründeterKinderlosigkeit“gefordert,sou.a.für„FrauenundPersonenanderenGeschlechts,die[…]ohnePartnerschaftleben“.AllerdingsstelltsichausärztlicherSichtdieFrage,obindiesemFalldasKriterium„medizinischbegründeterKinderlosigkeit“erfülltist.

Ärztliches Handeln in der Reproduktionsmedizin hat wie in kaum einem anderenmedizinischen Gebiet die Belange unterschiedlicher Beteiligter zu beachten. DieÜberschneidungmedizinisch-wissenschaftlicher,ethischerundrechtlicherAspekte,letzterewiederum imSchnittpunkt vor allemdesEmbryonenschutzgesetzes, des Sozialrechts, desStrafrechts,desFamilienrechtssowiedesärztlichenBerufsrechts,führtzueinerbesonderenKomplexität dieses medizinischen Gebietes. Dabei ist das Selbstbestimmungsrecht desPaaresmitKinderwunschebensozuberücksichtigenwiederhoheRangdesKindeswohls.

Mit Sorge nimmt die Bundesärztekammer wahr, dass eine systematische Regelung derwesentlichen reproduktionsmedizinischen Fragen in diesem sensiblen und komplexenBereich,beispielsweisemittelseinesFortpflanzungsmedizingesetzes,inDeutschlandbishernicht vorgenommen wurde. Statt einer umfassenden rechtlichen Regelung für dieReproduktionsmedizin wurden seit dem Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes(ESchG) im Dezember 1990 lediglich fragmentarische Regelungen geschaffen, die imWesentlichen auf einzelne Impulse, wie beispielsweise die Umsetzung von europäischemGeweberecht zurückzuführen waren (u. a. Richtlinie 2004/23/EG) oder die richterlicheRechtsprechung(vgl.z.B.UrteildesBGHvom06.07.2010zurrechtlichenZulässigkeitderPIDsowieUrteildesOLGHammvom06.02.2013zurAnonymitätdesSpendersvonSamenzurheterologenVerwendung).

ImErgebnishabensichdierechtlichenRegelungenfürdieReproduktionsmedizinaufgrunddes fragmentierten Ansatzes bisher weder systematisch noch kongruent entwickelt.Einzelne Fragen wurden einer isolierten gesetzlichen Regelung zugeführt, ohne denGesamtkontextzusammenfassendundübersichtlichzunormieren.Esisteinkompliziertes,ausdifferenziertesundfürdieRechtsanwendernurschwerüberschaubaresNormengeflechtentstanden.DieweiterhinoffenenFragenderReproduktionsmedizinsollten- nichtzuletztwegenihrergesellschaftspolitischenImplikationen- breitdiskutiertundgelöstwerden.

Die Bundesärztekammer ist daher seit Jahren in regelmäßigen Abständen mit derdringenden Bitte an die politischen Entscheidungsträger herangetreten, sich der

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elementaren und dringlichen Aufgabe zu widmen, den offenen Fragen derReproduktionsmedizinmiteinersystematischenRechtsentwicklungzubegegnen.Sohatder116. Deutsche Ärztetag in Hannover im Jahr 2013 (s. Anhang 1) gefordert, „für dieReproduktionsmedizin eine systematische Rechtsentwicklung einzuleiten“. Der DeutscheÄrztetag betonte, „dass nur der Gesetzgeber legitimiert ist, diese das menschliche LebenelementarberührendenFragenverbindlichzuentscheiden“unddass„imFokussachadäquateRegelungen stehen sollten, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für dieReproduktionsmedizin in Deutschland festlegen“. Die offenen Fragen in derReproduktionsmedizin hat die Bundesärztekammer – wie auch andere Institutionen –wiederholtzusammengetragen(sieheu.a.Anhang2).

IndiesemBewusstseinundangesichtsderErfahrungenderletztenDekaden,dassüberdiewissenschaftliche Profilierung keine gesellschaftspolitischen Änderungen erwirkt werdenkonnten, hatte der Vorstand der Bundesärztekammer beschlossen, die im jeweiligenBerufsrecht der (Landes-)Ärztekammern umzusetzende (Muster-)Richtlinie zurDurchführung der assistierten Reproduktion nicht fortzuschreiben, sondern statt desseneinebundeseinheitlicheRichtlinieaufderBasisderdurchdasGewebegesetzgeschaffenenRechtsgrundlage nach § 16b Transplantationsgesetz zur Feststellung des allgemeinanerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft für die Entnahme menschlicherKeimzellenundderenÜbertragungzuerarbeiten.DemgesetzlichenAuftragentsprechendkonzentriertsichdieam1.Juni2018vonderBundesärztekammerimDeutschenÄrzteblattformal bekannt gemachte(http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/Ass-Reproduktion_Bekanntgabe.pdf), im Einvernehmenmit dem Paul-Ehrlich-Institut aufgestellte Richtlinie(http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/Ass-Reproduktion_Richtlinie.pdf) ausschließlich auf die medizinisch-wissenschaftlichen Aspekte. Die Ärzteschaft übernimmt somit auch weiterhin – auf derBasisrechtlicherRahmenbedingungen– fürdieReproduktionsmedizinAufgabenzuderenverantwortungsbewusstenAusgestaltungundUmsetzung.

Es gilt, die offenen Fragen der Reproduktionsmedizin - nicht zuletzt wegen ihrergesellschaftspolitischen Implikationen - breit zu diskutieren, um sie einer systematischenrechtlichen Regelung zuzuführen, bevor die Finanzierung normiert werden kann. Nur sokannerreichtwerden,dassdiebetroffenenKinder,ihreFamilienundggf.dieSamenspendersowiediebehandelndenÄrztinnenundÄrztenichtwiebishermitdenungelöstenFragenundProblemenkonfrontiertundalleinegelassenwerden.

3. Anhang

1. EntschließungI-03des116.DeutschenÄrztetagsinHannover20132. EntschließungIb-05des121.DeutschenÄrztetagesinFreiburg 2017

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