Sterbehilfe und Strafrecht - gerechter Einsatz knapper medizinischer Ressourcen bei Patienten am...

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gerechter Einsatz knapper medizinischer Ressourcen bei Patienten am Lebensende Gemeinsame Veranstaltung von ELSA- Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der Juristischen Fakultät der TU Dresden am 12. Juni 2012 Referent: Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben (Juristische Fakultät, TU Dresden)

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Sterbehilfe und Strafrecht - gerechter Einsatz knapper medizinischer Ressourcen

bei Patienten am Lebensende

Gemeinsame Veranstaltung von ELSA-Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der

Juristischen Fakultät der TU Dresden am 12. Juni 2012

Referent:Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben

(Juristische Fakultät, TU Dresden)

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Übersicht I

1. Vorbemerkung

2. Ärztliche Sterbehilfe iwS

3. Verhältnis Arztethik/(Straf-)Recht

4. Nicht feststellbarer Patientenwille: Ärztliche Indikation als entscheidende Weichenstellung

5. „übermäßiger“ Behandlungswunsch

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Einzelne Problemfelder 4. allgemeine

Sterbebegleitung 5. aktiver Sterbehilfe

durch Tötung (≠ Suizidmitwirkung)

6. sog. indirekte „Sterbehilfe“ (= Schmerz-minderung mit ggf. lebens-verkürzender Wirkung)

7. sog. passive Sterbehilfe (=

Behandlungsbegrenzung)

8. Nicht zu behandeln:

- Patientenverfügung - Vorsorgevollmacht- Entscheidungswege bei

Vorliegen bzw. Fehlen von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

(Vormundschaftsgericht?)

Übersicht II

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1. Vorbemerkung

allgemeines Spannungsverhältnis bei rechtlichen Regelungen im Arzt/Patienten Verhältnis

• Unentbehrlichkeit rechtlicher Grenzziehung

• Anerkennung eines sachnotwendig gebotenen ärztlichen „Freiraums“

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Recht als bloßer Rahmen

(z.B. Therapiefreiheit des Arztes)

Konsequenz

Grenze: „Kunstfehler“ bei Verfehlen des medizinischen Standards => rechtliche

Sanktionierung

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Wesentliche Ausnahme vom ärztlichen „Freiraum“

bei körperlichen Eingriffen: „Zugriffsberechtigung„ geboten

= (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters als zwingende Voraussetzung rechtmäßigen ärztlichen Handelns

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So bereits 1991 auch der Bundesgerichtshof in Strafsachen

• „Die Ausschöpfung intensivmedizinischer Technologie ist, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Patientenwillen widerspricht, rechtswidrig."

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2. Ärztliche Sterbehilfe iwS

Zur Zeit (noch) keine ausdrückliche gesetzliche Regelung

KonsequenzRechtslage aus allgemeinen gesetzlichen Vorgaben zu erschließen

≠ fertiges Ergebnis für alle Zweifelsfragen

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Spannungsverhältnis: Dilemma

• einerseits: Nicht-am-Leben-Erhalten eines anvertrauten Patienten trotz Möglichkeit (+ medizinischer Indikation) als Tötung durch Unterlassen

• andererseits: jeder (!) ärztliche Heileingriff = Körperverletzung

→ rechtmäßig nur bei (ausdrücklicher/mut- maßlicher) Einwilli-gung des Patienten oder seines Vertreters

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Spannungsverhältnis: Auflösung

Angesichts der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Menschenwürde, Persönlichkeitsrecht und Körperintegrität

selbst bei vitaler Indikation: keine ärztliche Befugnis zur Heilbehandlung ohne Einwilligung des Patienten

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So bereits 1957 der Bundesgerichtshof in Strafsachen

• „Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleistete Recht auf körperliche Unversehrtheit fordert Berücksichtigung auch bei einem Menschen, der es ablehnt, seine körperliche Unversehrtheit selbst dann preiszugeben, wenn er dadurch von einem lebensgefähr-lichen Leiden befreit wird. Niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Um-ständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden. Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich.“

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Entscheidung ders Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg

im Jahre 2008

• „Bei der Frage, ob bei einem Kranken eine Operation oder ein sonstiger ärztlicher Eingriff vorzunehmen ist, muss in erster Linie sein Selbstbestimmungsrecht beachtet werden. Jeder Mensch kann selbst bestimmen, ob, wie lange und in welcher Weise er behandelt werden soll. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gilt auch dann, wenn es darauf gerichtet ist, eine aus medizinischen Gründen dringend erforderliche Behandlung zu verweigern (…) oder lebensverlän-gernde Maßnahmen abzubrechen (…). Bei einer Missachtung des Selbstbestimmungsrechts eines Kranken kommt eine strafbare Körperverletzung in Betracht, wenn ein ärztlicher Eingriff vorgenommen oder auf andere Weise, z. B. durch Verabreichung von Medikamenten, in den Körper eingegriffen wird.“

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Rechtliche Folgen I

bei nicht konsentierter (also eigenmächtiger) Heilbehandlung

Sanktionierung aus § 223 Strafgesetzbuch (Körperverletzung)

Schadensersatz aus § 823 BGB (Körperverletzung & Verletzung des allg. Persönlichkeitsrechts)

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→ also auch bei Sterbehilfe iwS vorrangig:

Ist die (Weiter-)Behandlung vom (mutmaßlichen) Patientenwillen gedeckt?

Wenn nicht

Fortfall der ärztlichen Pflicht zur Lebenserhaltung

Fortfall der ärztlichen Berechtigung zur Heilbehandlung

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4. Allgemeine Sterbebegleitung

ohnehin nicht regelbar

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5. Aktive Sterbehilfe durch Tötung

= Setzen einer neuen, den Tod beschleunigenden „Noxe“ (z.B. „Todesspritze“)

= strafbar (§ 216 StGB)

(auch bei ausdrücklichem Patientenwunsch)

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wichtige „Ausnahmen“

indirekte „Sterbehilfe“ (Leidensminderung)

&

aktive Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid

(Patient tötet sich selbst, z.B. durch Einnahme tödlich wirkenden Medikaments, das ihm vom Arzt beschafft wurde)

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aktive Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid

• Teilnahme → straffrei (da Suizid keine strafbare Haupttat)

• nach Rechtsprechung problematisch → unterlassene Lebensrettung durch behandelnden Arzt nach Suizidversuch seines Patienten (straffrei bei „vertretbarer

Gewissensentscheidung“) - ferner: § 323c StGB -

• standesrechtlich untersagt =>

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aktive Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid

=> Beschluss des 114. Deutsche Ärztetages 2011:

• Änderung der (Muster-) Berufsordnung: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlan-gen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

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6. indirekte „Sterbehilfe“

= Schmerzlinderung mit ggf. lebensverkürzender Wirkung

hinreichende Schmerzbekämpfung als (arztethische) Pflicht (!) =>

=> strafbewehrt:

Bei fehlender Schmerzlinderung als Körperverletzung durch Unterlassen

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Schmerzmittelgabe rechtlich zulässig, sofern Todeserfolg unbeabsichtigte Nebenfolge der Schmerzbekämpfung

(Wille primär auf Schmerzlinderung und nicht auf Tötung

gerichtet)

sofern ausnahmsweise lebensverkürzende Wirkung indizierter Schmerztherapie

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Bundesgerichtshof in Strafsachen 1996

• „Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patienten-willen … ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen.“

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Abgrenzung zur verbotenen aktiven Tötung

• Willensrichtung des Arztes

• Rechtspraxis: Dosierungsindikation als Maßstab

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7. passive Sterbehilfe(= Behandlungsbegrenzung)

Therapie-Ziel-Änderung: Unterlassen einer auf Lebensverlängerung ausgerichteten Maximaltherapie → Palliative Medizin

gesetzlich nicht speziell geregelt; Konsequenz: auch hier Ausrichtung an allgemeinen Vorgaben der Rechts-ordnung

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Verfassungsrechtliche Vorgaben I

• Sterben in Würde + Beachtung eines in freier Selbstbestimmung geäußerten Patientenwillens gehören zum Schutzbereich der Menschenwürde

• kein aufgedrängter Schutz des Einzelnen vor sich selbst (Grundrechte als Freiheitsrechte)

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Verfassungsrechtliche Vorgaben II

• Selbstbestimmung – auch vorab ausübbar! - des Menschen über seinen eigenen Körper unabhängig von Krankheitsart und Todesnähe

• (verfassungsrechtlich geschützte) ärztliche Gewissensfreiheit rechtfertigt keinen Eingriff in Grundrechte des Patienten

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passive Sterbehilfe („Behandlungsabbruch“)

irrelevant für die (straf-)rechtliche Beurteilung

Nichtaufnahme einer lebensverlängernden Behandlung oder deren Abbruch

Abbruch lebens-verlängernder Behandlung durch Untätigbleiben oder aktives Tun

Art der abgelehnten Maßnahme (auch künstl. Ernährung) =>

Einsetzen des Sterbevorgangs

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Bundesgerichtshof in Zivilsachen 2003

• => „Die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der deshalb der Einwilligung des Patienten bedarf (…). Eine gegen den erklärten Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernährung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unter-lassung der Patient …verlangen kann. Dies gilt auch dann, wenn die begehrte Unterlassung - wie hier - zum Tode des Patienten führen würde. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig.“

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Zulässigkeit konsentierter passiver Sterbehilfe (Behandlungsbegrenzung)

aktuelles (auch mündliches) Veto des (einwilligungsfähigen!) Patienten

= verbindlich (wie sonst auch)

vorab: Patientenverfügung (vgl. nunmehr § 1901a BGB)

= Verbindlich, sofern...

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verbindlich, sofern...

• von Volljährigem aufgesetzt• schriftlich• einschlägig für aktuelle Lebens- und

Behandlungssituation• unabhängig von Art und Stadium einer

Erkrankung• nicht widerrufen vom Patienten• kein augenfälliger Wegfall ihrer

Geschäftsgrundlage

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nicht erforderlich...

• vorherige (ärztliche) Beratung

• (jährliche) Aktualisierung

• notarielle Beurkundung

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Konsequenz:

→ Weiterbehandlung rechtswidrig

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Verhältnis von Arztethik / (Straf-) Recht

Z.B. Vier-Prinzipien-Modell der Medizinethik von Beauchamp und Childress („Georgetown mantra“):

• Respekt vor der Autonomie der Patientin / des Patienten (respect for autonomy) 

• Nicht-Schaden (nonmaleficence) • Fürsorge, Hilfeleistung (beneficence) • Gleichheit und Gerechtigkeit (justice) 

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Verhältnis von Arztethik / (Straf-)Recht

Überschneidung von Ethik und Recht im ärztlichen Berufsfeld

(vgl. Bundesverfassungsgericht 1980: „Weit mehr als sonst in den sozialen Beziehungen der Menschen fließt im ärztlichen Berufsbereich das Ethische mit dem

Rechtlichen zusammen.“)

ABER: Staatlich gesetztes Recht als einziger allen Bürgern

noch gemeinsamer Handlungsrahmen

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Verhältnis von Arztethik / (Straf-) Recht

bei Übernahme ethischer Vorgaben in die Rechtsordnung:

→ ethische Vorgaben werden Teile der Rechtsordnung:

- Selbständigkeit der Rechtsanwendung gegenüber der moralischen Norm (als ihrem Ausgangspunkt) → (straf)gesetzmediatisierte Moralgültigkeit

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Verhältnis von Arztethik / (Straf-) Recht

EntlastungsfunktionEntlastungsfunktion der Standesethik für das Recht zur Vermeidung sachwidriger Feinsteuerung (Recht und Moral als „kommunizierende Röhren“)

→ Recht sichert und belässt Freiheitssphären, in denen sittliche Entscheidungen erst getroffen werden können

UnterstützendeUnterstützende Funktion der Ethik für das Recht: Begründung einer für die Wirksamkeit des Rechts unerlässlichen Rechtsgesinnung

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Verhältnis von Arztethik / (Straf-) Recht

mithin:

einerseits: Unentbehrlichkeit rechtlicher Grenzziehung (Schutz-Funktion zugunsten Patienten)

andererseits: sachnotwendiger medizinischer "Freiraum" (auch zugunsten des Patienten)

Konsequenz

Recht als bloßer Rahmen ("Grenzkontrolle") → z.B. Therapiefreiheit innerhalb des ärztlicherseits definierten Standards

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Verhältnis von Arztethik / (Straf-) Recht

Relevanz medizinischer Ethik für:

• GesetzgeberGesetzgeber als zu berücksichtigende Programmatik (z.B. bei evtl. ausdrücklicher Regelung der Sterbehilfe)

• Auslegungshilfe für RechtsanwenderRechtsanwender (z.B. Behandlungsabbruch bei Äußerungsunfähigkeit infolge Zielsetzung ärztlichen Handelns?)

• handlungsleitendes Kriterium für die ÄrzteschaftÄrzteschaft

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege lata

kein ärztliches Handeln im rechtsfreien (ausschließlich arztethisch gelenkten) Bereich, da:

- staatliche Schutzpflicht für das Leben

- umgekehrt aber auch staatliche Schutzpflicht:

- für Körperintegrität des Patienten (durch

Weiterbehandlung tangiert)

- für Menschenwürde des Patienten (Recht

auf seinen eigenen „natürlichen“ Tod)

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege ferenda

• gesetzgeberische Leitentscheidung notwendig („Wesentlichkeitstheorie“)

• bspw. gesetzliche Festlegung:

„Bei Sterbenden oder irreversibel Bewusstlosen ist eine medizinische Behandlung nicht geboten.“

(so Vorschlag in § 214 AE-Sterbehilfe [1986])

bspw. gesetzliche Festlegung:

„Bei Sterbenden oder irreversibel Bewusst-losen ist eine medizinische Behandlung nicht geboten.“

(so Vorschlag in § 214 AE-Sterbehilfe [1986])

=>

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege ferenda

• => Ausfüllung dieses gesetzlichen Rah-mens (Wann beginnt der Sterbeprozess? Wann liegt irreversible Bewusstlosigkeit vor?)

→ originär ärztliche Entscheidung

Beispiel für entsprechende „Arbeitsteilung“:

→ Todesbegriff:

- wann ist der Mensch tot? (=> Recht)

- wie ist dies festzustellen? (=> Medizin) -

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege ferenda

In zukünftiger gesetzlicher Regelung:→ Entscheidung, inwieweit ökonomischeökonomische

Erwägungen hierbei mit zu berücksichtigen→ explizite Rationierung auf höherer Ebene auf Basis

allgemein-verbindlicher Regelung (bspw. anhand „kosten-sensibler Leitlinien“ unter Berücksichtigung verfügbarer wissenschaftlicher Evidenz) vorzugs-würdig gegenüber impliziter Rationierungimpliziter Rationierung „am Krankenbett“

- i.Ü. nicht zu unterschätzen (Marckmann): - konsequente Berücksichtigung von Patienten-präferenzen („Veto“) kann bereits heute Ressourcen zugunsten anderer Patienten sparen

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege ferenda

Nur angedeutet:

→ Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen bei Lebenserhaltung überhaupt zulässig?

Vgl. BundesverfassungsgerichtBundesverfassungsgericht (1998), Bd. 115, 25: „Es ist mit den Grundrechten … nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten …von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive

Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.“ → →

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege ferenda

→ → zwar (BVerfG ebd.):

„Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung darf auch von finanz-wirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein … Gerade im Gesundheitswesen hat der KostenaspektKostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht.“

ABER: → →

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Behandlungs“abbruch“ / Rechtslage de lege ferenda

→ → BVerfG im Ergebnis :

=> unmittelbar aus der Verfassung ein medizinischer Leistungsanspruch gegenüber der Sozialversicherung [!] konstruiert, der einzig und allein auf den Gesundheitszustand des Betrof-fenen und auf eine (überdies dann auch nur potentielle) medizinische Zweckmäßigkeit der Leistung abstellt, ohne noch eine Kosten-Nutzen-Abwägung zuzulassen…

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zurück zur gegenwärtigen Rechtslage Vorgehen bis zur gesetzgeberischen Regelung:

=> „passive Sterbehilfe“

= Behandlungsbegrenzung

= Unterlassen auf Lebenserhaltung ausgerichteter Maximaltherapie

= lebensverkürzende Therapie-Umstellung auf palliative Versorgung

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Gegenwärtige Rechtslage

„Passive Sterbehilfe“:

auf jeden Fall zulässig (da rechtlich geboten!) bei:

- aktuell erklärtem Behandlungsveto des Patienten

- vorab erklärter Nicht-Einwilligung

in Behandlung (Patientenverfügung)

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Gegenwärtige Rechtslage

→ für rechtliche Behandlung ohne Belang:

- Nichtaufnahme einer lebensverlängernden Behandlung oder deren Abbruch

- Abbruch lebensverlängernder Behandlung durch Untätigbleiben (z.B. bei Begleitkrankheit) oder durch aktives Tun (sog. technischer Behandlungs-abbruch: „Abschalten“)

- Todesnähe

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Gegenwärtige Rechtslage

• Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungs“abbruch“)

UnterlassenUnterlassen: Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-) oder

- aktives Tunaktives Tun → TB-los oder rechtfertigungsfähig - Bewertung als Unterlassen?

- § 34 StGB oderoder - Art. 2 I iVm 1 I, 2 II GG (Patient) als

Rechtfertigungsgrund ODERODER

- (mutmaßliche) Einwilligung in Behandlungs- abbruch (BGHStE 55, 191 aus 2010)

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Gegenwärtige Rechtslage

letztlich nicht von Belang, ob:

- auf (fehlende) Einwilligung in die Weiterbehandlung oderoder

- auf (fehlende) Einwilligung in den Behandlungs“abbruch“

abgestellt wird:

→ Sachfrage bedeutsamer als deren dogmatisch-systematische Einordnung

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Gegenwärtige Rechtslage

bei nicht feststellbarem Patienten-Willen:

• keine Entscheidung durch Angehörige

• keine Entscheidung nach ärztlichem Belieben

• vielmehr: Abstellen auf mutmaßlichen Willen des individuellen Patienten (wie auch sonst als unentbehrlicher Notbehelf)

• mutmaßlicher Wille nicht zwingend identisch mit dem (zu unterstellenden) Willen eines "verständigen Durchschnitts- Patienten"

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Gegenwärtige Rechtslage• Patienten-Wille zu erschließen auf Basis

konkreter Anhaltspunkte (also anhand individueller personenbezogener Informa-tionen)

• zu berücksichtigen insbesondere (so

§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB):

- frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen

- ethische oder religiöse Überzeugungen

- sonstige persönliche Wertvorstellungen

- Ferner (?) → →

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Gegenwärtige Rechtslage

→ → vom BGH/Strafsenat 1994 insoweit erwähnt:

- altersbedingte Lebenserwartung

- Erleiden von Schmerzen

aber auch:

- Kriterien, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen

=> sehr zweifelhaft, da es hierbei nicht um das betroffene Individuum und seinen

mutmaßlichen Willen geht, vgl. etwa BGHStE 45,

219, 221 (1999) → →

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Gegenwärtige Rechtslage

→ → BGH (zu mutmaßlicher Einwilligung in OP-Erweiterung):

„Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sich der Patient anders entschieden hätte, wird allerdings davon auszugehen sein, daß sein (hypothetischer) Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftiggemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird.“

(mutmaßl. Wille als Fiktion = verschleierte Fremdbestimmung)

übertragen auf Behandlungs“abbruch“: =>

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Gegenwärtige Rechtslage

→ Allgemeine Wertvorstellungen bei passiver Sterbehilfe (BGHStE 40, 257, 263 [1994]):

„Im Einzelfall wird die Entscheidung natur-gemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: je weniger die Wiederherstellung eines je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten istmenschenwürdigen Lebens zu erwarten ist und je kürzer der Tod bevorsteht, um so eher wird ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen.“

- als „Willensvehikel“ kaum akzeptabel -

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Gegenwärtige Rechtslage

• Bundestagsdrucksache 16/8442 S. 16 (zur Patientenverfügung, § 1901a BGB)

„Kann ein auf die Durchführung, die Nichteinleitung oder die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betreuten auch nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisse nicht festgestellt werden, gebietet es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem Wohl des Betreuten zu entscheiden und dabei dem Schutz seines Lebens Vorrang einzuräumen.“

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Gegenwärtige Rechtslage

• § 1901a II 2 BGB: „[Bei fehlender Patientenverfügung →] Der

mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln.

Also: Gesetzgeberischer Vorhang zu – und Fragen

für die Praxis offen…..

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Gegenwärtige Rechtslage

Bei nicht feststellbarem Patientenwillen → bislang keine überzeugende Lösung entwickelt:bspw.:- SinnlosigkeitSinnlosigkeit weiterer ärztlicher Bemühungen (aber: „Frage nach dem „Sinn” ärztlichen

Handelns untrennbar mit jener weiteren nach der „Entscheidungsmacht” zwischen juristischem und medizinischem Geltungs-anspruch verknüpft.“ [Duttge]

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Gegenwärtige Rechtslage

- Unzumutbarkeit- Unzumutbarkeit der Weiterbehandlung für den Arzt? - MenschenwürdeMenschenwürde des „Sterbenden“?

- GüterabwägungGüterabwägung / § 34 StGB (wie bei indirekter Sterbehilfe)?

aber: Für patienten-interne Abwägung (Leben[srest] ./. Schmerzbekämpfung) hier kein Raum:

stattdessen [Merkel] Güterabwägung: "biologisches" Leben ./. fehlendes Lebensinteresse"? → →

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Gegenwärtige Rechtslage

→ → AberAber: - Wieso Fortexistenz für Apalliker eine seinen

Interessen zuwiderlaufende Last? „Der Apalliker lebt, mehr wissen wir nicht.“ (Jähnke)

- Weshalb sollte seine idR minimale Chance, doch noch aus dem Koma zu erwachen, als Interesse pro vita ausgeblendet bleiben? Wieso wäre eine für diesen Fall zu prognostizierende schlechte Lebens-qualität als Faktor in Abwägung einzustellen?

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Gegenwärtige Rechtslage

• ökonomische Faktorenökonomische Faktoren als insoweit ausschlaggebender Abwägungsfaktor?

abzulehnen: Lebensschutz würde totaler Materialisierung zum

Opfer fallen:

=> wirtschaftliche Faktoren dürfen nicht von vornherein die Frage nach dem Sinn weiterer Lebensverlängerung für den Patienten verdrängen!

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Gegenwärtige Rechtslage

Weiterer Ansatz:• normative Unzumutbarkeitnormative Unzumutbarkeit der Weiter- der Weiter-

behandlungbehandlung infolge Zielsetzung des auf „Erhaltung und Ermöglichung menschlicher Selbstverwirklichung“ gerichteten ärztlichen Auftrags (Eser) => dieser endet mangels Möglichkeit weiterer Selbstwahrnehmung bei unwiderruflichem Verlust jeglicher Reaktions- und Kommunikationsfähigkeit

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Gegenwärtige Rechtslage

Aber:Aber:

Diese Lösung setzt Verständigung über das Essentielle des Menschen voraus: Aus welchem Grunde kommt der Kommuni-kationsfähigkeit diese Schlüsselrolle zu?

{m.E. nur vom Gesetzgeber bestimmbar} {m.E. nur vom Gesetzgeber bestimmbar}

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Lösungsvorschlag

• Abstellen auf Fortfall der Indikation zur weiteren (Maximal-) Behandlung

Konsequenz:

Fortfall der strafbewehrten Behandlungs- pflicht

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Lösungsvorschlag

Fehlende Indikation für WeiterbehandlungFehlende Indikation für Weiterbehandlung als von Rspr. und Gesetzgebung relativ kritiklos verwandter Schlüsselbegriff der Sterbehilfe,

vgl. etwa:

- BGHZ 154, 205, 224 (2003) →

- § 1901b Abs. 1 BGB (2009) →

- s.a. BÄK (Sterbebegleitung 2011) →

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Lösungsvorschlag

• BGHZ (2003):

„Die medizinische Indikation, verstanden als das fachliche Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behandlungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall, begrenzt insoweit den Inhalt des ärztlichen Heilauftrags.

… im Schnittfeld naturwissenschaftlicher und medizinethischer Überlegungen nicht immer scharfe Begrenzung.“….

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67

Lösungsvorschlag

• Noch BGHZ (2003):[Keine Weiterbehandlung, sofern diese]…„ärztlicherseits … nicht angeboten wird

- sei es, dass sie nach Auffassung der behandelnden Ärzte von vornherein nicht indiziert, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.“

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68

Lösungsvorschlag

• § 1901b Abs. 1 BGB (zur Patientenverfügung):

“Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist.“

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Lösungsvorschlag

• BÄK (Sterbebegleitung 2011):

„Entscheidung [zur Behandlungsbegrenzung] darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden … Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation vom Arzt zu verantworten…. Alle Entscheidungen müssen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls getroffen werden.“

→ →

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Lösungsvorschlag

• [BÄK]→ Behandlung bei schwerster zerebraler Schädigung: Art und Ausmaß [der] Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation vom Arzt zu verantworten; eine anhaltende Bewusstseinsbeeinträchtigung allein rechtfertigt nicht den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen. ….Bei Neugeborenen mit schwersten Beeinträchtigungen durch Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, kann … eine lebenserhaltende Behandlung, die ausgefallene oder ungenügende Vitalfunktionen ersetzen soll, unterlassen oder beendet werden.“

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71

Lösungsvorschlag

• Aber:Aber:

es gibt nicht die Indikation:

=> Indikation (insb. auch iZm Nichtbehandlung am Lebensende) von Zielstellung abhängig

zu unterscheiden (z.B. Neitzke):

- medizinische Indikation

- ärztliche Indikation

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72

Lösungsvorschlag

• medizinische Indikation = „fachliche Rechtfertigung dafür, dass eine geplante

ärztliche Maßnahme in vergleichbaren Fällen medizinisch sinnvoll und damit angezeigt ist“ (Neitzke) bzw.

„Grund…, welcher es erlaubt, eine bestimmte ärztliche Maßnahme durchzuführen, die nach Abschätzung des möglichen Nutzen und Risikos - unter Beachtung etwaiger Kontraindikationen - für den Patienten sinnvoll ist.“ (Oehmichen)

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Lösungsvorschlag

Medizinische Indikation:- nach Feststellung einer Erkrankung (Diagnose), die

behandelbar ist (Inblicknahme des med. Methoden-spektrums)

- wird in Hinblick auf ein bestimmtes Behandlungs-ziel eine Prognose gestellt, ob mögliche Behand-lungsmaßnahmen unter Beachtung von Kontra-indikationen einen Behandlungserfolg erzielen können

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Lösungsvorschlaghierbei: grundsätzlich Indikation und Patienten-Konsens zu

trennen

aber: - Therapieziel auch von Wünschen des Patienten

abhängig („shared decision making“)- Prozesshaftigkeit der Indikationsstellung (ebenso

die Bildung des Patientenwillens) - in die dann indizierte Therapie muss Patient aber

noch einwilligen

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LösungsvorschlagÄrztliche Indikation:Prüfung der Angemessenheit einer medizinisch als

indiziert angesehenen Maßnahme am konkreten Einzelschicksal

= „Tor, durch das die Ethik Eingang findet in den überindividuell-rationalen Prozess ärztlicher Entscheidungsprozesse“ (Neitzke);

s.a. Anschütz (1982): „Indikationsstellung …. [als] einziger Ort, wo in den fast zwangshaft naturwissen-schaftlich logischen Gedankengang von Anamnese, Befund, Diagnose und Therapie ethische Gedanken-gänge eingebracht werden können.“

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Lösungsvorschlag

Zur ärztlichen Indikation zählen bspw.:- Alter- jetzige sowie zukünftige Lebensqualität (s.u.)- Komorbidität und andere Risiken- weitere Lebensplanung des Patienten- zu erwartende Compliance- Patienten-Einstellung zu Leid und Sterben- Menschenbild des Patienten- seine sonstigen Lebensumstände, soziales Umfeld

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Lösungsvorschlag

Gesamtindikation → zielt auf fachlich bestmögliches und individuell angemessenes Therapieangebot

„Therapie ohne medizinische Indikation: medizinisch-

wissenschaftlich verantwortungslos; Therapie ohne ärztliche Indikation: moralisch verantwortungslos“ (Neitzke)

→Arzt dem Menschen und nicht dessem Organismus verpflichtet

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Lösungsvorschlag

• nicht zur ärztlichen Indikation (mit ihrem am Patienten zu orientierenden Ansatz) zählen:

- gerechte Ressourcen-Zuteilung! - drittbewertete Lebensqualität: → Lebensqualität nur vom Betroffenen (und eben

nicht von Dritten) einzustufen: Maßgebend → Maßstab des PatientenMaßstab des Patienten (und nicht des

Arztes) → insoweit gibt es keine medizinisch- naturwissenschaftliche Objektivität

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Lösungsvorschlag

• ebenfalls nicht zur ärztlichen Indikation zählt: objektive „Futility“ (Sinn- oder Nutzlosigkeit

einer Maßnahme) → ob medizinisch mögliche Maßnahme dem

einzelnen Kranken in seiner konkreten Situation noch gerecht würde („angemessen“), darf nur aus Patientensicht bestimmt werden

(sonst droht: Camouflage in Wahrheit ökonomisch motivierter Entscheidung)

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Lösungsvorschlag

• zukünftig (?) zu erwarten:

=> ärztliche Indikationsstellung zunehmend unter Einschluss wirtschaftlicher Über-legungen (idR als verdeckte Rationierung)

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Lösungsvorschlag

vgl. Oehmichen (Arzt): „[Behandlungsindikation] letztlich determiniert

vom individuellen Krankheitszustand und der Prognose, von der kollektiven Erfahrung, von medizinischen Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie sowie von personellen, organisatori-schen, institutionellen und ökonomischen ökonomischen BedingungenBedingungen der gesamten Gesellschaft.“

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Lösungsvorschlag

vgl. Kirchhof (Jurist): „Auch Faktoren außerhalb der direkten Arzt-

Patienten-Beziehung beeinflussen das ärztlich Indizierbare: gesellschaftliche Gegebenheiten wie Verfügbarkeit von Ressourcen, Finanzierbarkeit und somit das Prinzip der „Gerechtigkeit“ dürfen nicht vernachlässigt werden. Damit wäre es notwendig, in der Indikationsstellung die „Kultur des Maßes neu zu entdecken“.“

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83

Lösungsvorschlag

Rationierungserwägungen verstärkt durch:• arztethisches Prinzip der Wahrung von

GerechtigkeitGerechtigkeit, hier als Sicherung des Teilhaberechts zukünftiger Patienten an medizinischen Leistungen

• ferner: Wo nichts ist, hat auch der Sozialstaat sein Recht verloren => “gegen Finanzengpässe lässt sich nicht juristisch anargumentieren“ (Isensee)

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Lösungsvorschlag

• zur „Rationierung am KrankenbettRationierung am Krankenbett“:

handlungsleitende Berücksichtigung knapper Ressourcen

→ Nichtbehandlung als Ergebnis einer Güterabwägung (§ 34 StGB bzw. rechtfertigende Pflichtenkollision) mit Interessen Dritter?

aber: entgegenstehend → Lebenswertindifferenz Lebenswertindifferenz des GGdes GG und damit auch des § 34 StGB!

=> hierzu BVerfG 39, 1, 59 (1975) →

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Lösungsvorschlag

BVerfG 39, 1, 59 (1975) zu § 218 StGB:

„Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes menschliche LebenJedes menschliche Leben - auch das erst sich entwickelnde Leben - ist als solches gleich als solches gleich wertvollwertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden.“

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Lösungsvorschlag• Aber: m.E. ungeachtet dieser Vorgabe der

„Lebenswertindifferenz“ zwei (letztlich auchauch „ökonomisch“ begründete) Kriterien für Behandlungsbeschränkung berück-sichtigungsfähig:

- „probalistische Sinnlosigkeit“- „quantitative Sinnlosigkeit“

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Lösungsvorschlag• „probalistische Sinnlosigkeitprobalistische Sinnlosigkeit“→ Maßnahmen, die einen lebenserhaltenden Effekt

zwar haben können, aber nicht mit einer hinreichenden [!?], „statistisch gesicherten“ Wahrscheinlichkeit

ab gewissem Grad der Unwahrscheinlichkeit des erwünschten Erfolges beginnt Abwägung mit dem dafür erforderlichen Aufwand (trotz des Grundsatzes, dass jedes Leben in jedem Zustand einen gegenüber ökonomischen Interessen nicht abwägbaren Höchstwert darstellt)

- vgl. Merkel -

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Lösungsvorschlag

z.B. Marckmann (Mediziner):

“Je kleiner der zu erwartende Nutzengewinn für Patienten ist, desto höhere Anforderungen sind an die wissenschaftliche Evidenz [seines Eintretens] zu stellen.“

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Lösungsvorschlag

Der Einsatz klinischer Maßnahmen in derartigen Grenzfällen eben auch ein Problem der Verteilung knapper Ressourcen

zur Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen vgl. Taupitz (Jurist):

Eine Behandlung darf umso eher unterbleiben, „je größere Ressourcen (im weitesten Sinne) sie einerseits bindet (die dann für andere Patienten nicht zur Verfügung stehen) und je geringer oder unsicherer der Nutzen (im weitesten Sinne) für den betroffenen Patienten andererseits ist.“

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Lösungsvorschlag• „quantitative Sinnlosigkeit“:→ Maßnahmen, die eine Lebenserhaltung zwar

hinreichend sicher, aber nicht für eine hinreichend lange Zeit [!?] erreichen können

besteht wirklich Rechtspflicht, einem tod-kranken Patienten eine "große Operation" zur Lebensverlängerung um nur wenige Stunden zu verabfolgen?

Parallele: Keine Garantenverpflichtung der Eltern, zur Behandlung ihres Kindes weltweit Spezialisten aufzusuchen

- vgl. Merkel -

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Lösungsvorschlag• angesichts der „Korrumpierbarkeit“ [im Sinne

vielfältiger Einflussmöglichkeiten] der Indikationsstellung (Gahl)

rechtliche Überprüfung erforderlichrechtliche Überprüfung erforderlich:

- aber nur auf „BeurteilungsfehlerBeurteilungsfehler““ - also: kein bedingungsloses Übernehmen ärztlicher Indikationsstellung durch das (Straf-)Recht

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Lösungsvorschlag• Keine Besonderheit der Sterbehilfe i.w.S.:

→ auch sonst kommt im Arztrecht von der Ärzteschaft eigenständig entwickelten Regulierungen (z.B. Behandlungsstandards) Rechtswirkungen (z.B. Verneinung eines Behandlungsfehler) nur zu:

- bei einer vom Rechtsanwender kontrollierten Rezeption [sowie ggfs.]

- bei vom Recht garantierter prozeduraler Absicherung

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Lösungsvorschlag

Lösung zwischen zwei zu vermeidenden Übeln zu entwickeln:

- Scylla ärztlicher Immobilität (infolge übermäßiger Einengung ärztlichen Entscheidungsspielraums durch feinststeuernde rechtliche Vorgaben)

- Charybdis rechtsbindungslosen ärztlichen Beliebens (unvereinbar mit den grundgesetzlichen Schutz-garantien für Leib und Leben, Art. 2 II GG)

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Lösungsvorschlag

Lösungsversuch: - kein Handlungsermessen freier Beliebigkeit

(also kein „rechtsfreier Bereich“) - sondern “kriterienorientiertes Beurteilungs-

ermessen“ (Eser), bei dem die wesentlichen Kriterien von der Rechtsgemeinschaft (nicht zwingend Gesetzgeber) vorzugeben sind →

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Lösungsvorschlag

• Hat der Arzt eine medizinisch-ärztlich vertretbare Entscheidung ohne Berücksichtigung sachfremder Erwägungen

( ← Problem: Wie groß ist das Einfallstor für Erwägungen gerechter Ressourcenzuteilung?

{m.E. de lege lata: nur probalistische und quantitative Sinnlosigkeit} )

getroffen?

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Lösungsvorschlag => vgl. insoweit die zur Vermeidung von

Beurteilungsfehlern entwickelten allgemeinen verwaltungsrechtlichen Kriterien:

- zutreffende und vollständige Sachverhalts-aufklärung / - Beachtung der einschlägigen Bewertungsmaßstäbe / - Vermeidung sachfremder, willkürlicher oder sonst un-sachlicher Erwägungen

• Sind diese Grenzen ärztlicher Indika-Sind diese Grenzen ärztlicher Indika-tionsstellung eingehalten, so hat die tionsstellung eingehalten, so hat die Rechtsordnung jede Entscheidung des Rechtsordnung jede Entscheidung des abwägenden Arztes zu respektierenabwägenden Arztes zu respektieren

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Lösungsvorschlag

• Sinnvolle Ergänzung dieses Lösungsansatzes:

→ prozedurale Kompensation - Legitimation durch VerfahrenLegitimation durch Verfahren: Bei Unentscheidbarem, das entschieden werden

muss, wird jedes prozedural ordentlich erlangte Ergebnis akzeptiert (Eser)

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Lösungsvorschlag- vgl. auch (bei Unentscheidbarem am Lebens-

beginn) Straffreiheit bei Angezeigtsein eines Schwangerschaftsabbruchs „nach ärztlicher Erkenntnis“ (§ 218a Abs. 2 StGB)

• vorliegend (Unentscheidbares am Lebensende): → → {sofern möglich}

Einschalten eines Klinischen Ethik-Komitees - keine inhaltliche Entscheidung der (hierfür nicht

legitimierten) Ethik-Kommission, sondern: - („nur“): Beratung des Arztes, der allein die

Entscheidung zu treffen und zu verantworten hat

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Lösungsvorschlag

• sicherlich mit dieser Lösung verbunden: => gewisser Kontrollverlust des Rechts

- m.E.: nicht zu beklagen, da hierdurch:

=> Freiraum eröffnet zur eigenverant- worteten, ethisch geleiteten ärztlichen

Entscheidung

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übermäßiger Behandlungswunsch

• Bundesgerichtshof in Zivilsachen 2003: „Auch dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen lässt sich eine Antwort [ergänze: auf die Frage, welche lebensverlängernden oder -erhaltenden Maßnahmen der Betroffene beanspruchen kann] nicht entnehmen; denn dieses Recht lässt sich nur als Abwehrrecht gegen, nicht aber als Anspruch auf eine bestimmte Behandlung begreifen (…).“

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übermäßiger Behandlungswunsch (bspw. in Bezug auf Wach-Koma-

Patienten)• Bei sog. übermäßigem Behandlungswunsch des

Patienten (übermäßig infolge fehlender Indikation): → grundsätzlich keine Behandlungspflicht

→ im Beispiel aber => Behandlungsabbruch unzulässig, da: - medizinische Indikation: (+) → Leben des Patienten kann erhalten werden

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übermäßiger Behandlungswunsch- ärztliche Indikation: (+) [!] => Gesichtspunkt mangelnder Lebensqualität (z.B.

Bewusstlosigkeit) scheidet infolge Patienten-disposition als berücksichtigungsfähiges Kriterium aus

(→ Orientierung der Bewertung dieses Lebens an individuellen Präferenzen des Betroffenen – wie auch im umgekehrten Fall einer Behandlungs-verweigerung!)

=> weder probalistische noch quantitative Sinnlosigkeit

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übermäßiger Behandlungswunsch

Konsequenz:

- behandelnde Ärzte müssen Verlegung des (z.B. Wach-Koma)Patienten in eine seine Weiterbe-handlung ermöglichende Institution ermöglichen

- für Übergangszeit bis zur Verlegung ist Behandlung fortsetzen

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Professor Dr. Detlev Sternberg-Lieben Forschungsstelle Medizinstrafrecht

Juristische Fakultät - TU Dresden