Sterbehilfe und Strafrecht –

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Prof. Dr. Detlev Sternberg- Lieben - TU Dresden / Juris tische Fakultät 1 Sterbehilfe und Strafrecht Gemeinsame Veranstaltung von ELSA- Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der Juristische Fakultät Referent: Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben (Juristische Fakultät, TU Dresden)

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Sterbehilfe und Strafrecht –. Gemeinsame Veranstaltung von ELSA-Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der Juristische Fakultät Referent: Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben (Juristische Fakultät, TU Dresden). allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht). - PowerPoint PPT Presentation

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Sterbehilfe und Strafrecht –

Gemeinsame Veranstaltung von ELSA-Dresden und der Forschungsstelle

Medizinstrafrecht an der Juristische Fakultät

Referent:

Professor Dr. iur. Detlev Sternberg-Lieben

(Juristische Fakultät, TU Dresden)

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allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)

allgemeines Spannungsverhältnis bei rechtlichen Regelungen im Arzt/Patienten-Verhältnis:

einerseits: Unentbehrlichkeit rechtlicher Grenzziehung

andererseits: Anerkennung eines sachnotwendig gebotenen ärztlichen „Freiraums“

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allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)

Konsequenz: - Recht als bloßer Rahmen (zB

Freiheit der Therapiewahl => Grenze: „Kunstfehler)

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allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)

Aber: wesentliche Ausnahme:

„Zugriffsberechtigung" bei körperlichen Eingriffen

=>(mutmaßliche) Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters als zwingende Voraussetzung rechtmäßigen ärztlichen Handelns

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allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)

jeder (!) ärztliche Heileingriff als einwilligungsbedürftige Körperverletzung: auch bei vitaler Indikation keine ärztliche Befugnis zur eigenmächtigen Heilbehandlung

ggf. Sanktionierung aus §§ 223 Strafgesetzbuch, 823 BGB (Schadensersatz)

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allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)

Also stets zu fragen:

Ist Weiterbehandlung vom Willen des Patienten bzw. seines Vertreters gedeckt?

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allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)

Entscheidend: Ist die (Weiter)Behandlung vom (mutmaßlichen) Patientenwillen gedeckt?

Wenn nicht:- Fortfall der ärztlichen Berechtigung zur

Heilbehandlung (§ 223 StGB!); aber auch:- Fortfall der ärztlichen Pflicht zur Lebenserhaltung

(=> §§ 212, 13 / 323c StGB entfallen!)

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Kein Problem ärztlicher Sterbehilfe:

(unterlassene) Maßnahmen nach Eintritt des Todes: => Gesamt-Hirntod

---------------------------------------------

Sterbebegleitung:

Schmerzbekämpfung als auch strafbewehrte (§§ 223, 13 StGB) arztethische Pflicht

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Fehlende spezialgesetzliche Regelung für Sterbehilfe (außer: §§ 1901a ff. BGB

→ Rechtslage aus allgemeinen gesetzlichen Vorgaben zu erschließen

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Verbot aktiver Tötung

handelndes Setzen einer neuen, den Tod beschleunigenden „Noxe“

→ grundsätzlich strafbar - auch auf Verlangen des Patienten (§ 216 StGB

aber: Ausnahme =>

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indirekte „Sterbehilfe“

=> als unbeabsichtigte Nebenfolge notwendiger Schmerzbekämpfung (Wille auf Schmerzlinderung und nicht auf Tötung gerichtet):

→ erlaubt (und geboten! → s.o. → Sterbebegleitung):

- auch als „terminale Sedierung“

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indirekte „Sterbehilfe“

→ Abgrenzung zur verbotenen aktiven Tötung [o. (1)] gemäß Dosierungsindikation → keine Beschränkung auf Todesnähe → Einbeziehung auch sonstiger schwerer Leidenszustände (zB Luftnot)

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indirekte „Sterbehilfe“

Konstruktive Umsetzung der Straflosigkeit:

- § 34 StGB:patienten-interne (!) Abwägung

(Leben[srest] ./. Schmerz- und Leidensminderung)

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Verbot aktiver Tötung

Weitere Ausnahme:=> aktive Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid (Patient tötet sich selbst):

- zwar standesrechtlich untersagt - aber straffrei (keine Anstiftung, § 26 StGB, oder Beihilfe, § 27 StGB, da keine teilnahmefähige Haupttat) - Zusatzproblem: unterlassenen Lebensrettung (§§ 212/216, 13 / § 323c StGB) nach Suizidversuch

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Passive Sterbehilfe

(Behandlungsbegrenzung)

= Unterlassen der auf Lebensverlängerung ausgerichteten Maximaltherapie (= lebensverkürzende Therapie-Umstellung auf palliative Versorgung)

- bislang ebenfalls gesetzlich nicht speziell geregelt -

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Passive Sterbehilfe

→ für rechtliche Behandlung ohne Belang:

Nichtaufnahme einer lebensverlängernden Behandlung oder deren Abbruch!

Abbruch lebensverlängernder Behandlung durch Untätigbleiben (zB bei Begleitkrankheit) oder aktives Tun (sog. technischer Behandlungs-abbruch: „Abschalten“)!

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Passive Sterbehilfe

- keine Todesnähe erforderlich

- (bei entsprechendem Patientenwillen) auch Absetzen der künstlichen Ernährung (iwS) zulässig

- entgegenstehende Gewissens- entscheidung von Ärzten/Pflegekräften: nicht legitimierend für Weiterbehandlung

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Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungsabbruch)

a) sofern Unterlassen (zB keine weitere künstl. Ernährung)

→ Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-)

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Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungsabbruch)

b) sofern aktives Tun (zB Abschalten der künstlichen Beatmung) - Unterlassen durch Begehen (urspr. hL) → Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-)

- aktives Tun, aber rechtsfertigungsfähig (hL): [- MA: TB-Restriktion]

- § 34 StGB ODERODER - Art. 2 I, 2 II GG als RFG ODERODER - (mutm.) Einwilligung in Behandlungsabbruch (BGH)

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Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten

Unterscheide:- Aktuell erklärte (Nicht-)

Einwilligung des Patienten- Vorab erklärte (Nicht-)Einwilligung- Fehlende [mutmaßliche]) (Nicht-) Einwilligung

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Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten

- Aktuell erklärte (Nicht-) Einwilligung des Patienten

=> Weiterbehandlung als rechtswidrige Verletzung des Körpers sowie (zivilr.) des allg. Persönlichkeitsrechts!

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Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten

- Vorab erklärte (Nicht-)Einwilligung Gesetzliche Regelung in §§ 1901a ff.

BGB (Betreuungsrecht) Zur Patientenverfügung =>

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Zur Patientenverfügung

Patientenverfügung (§ 1901a Absatz 1 BGB) =

eine schriftliche Vorausverfügung einer einwilligungsfähigen volljährigen Person für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit, ob sie in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung

noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen des Gesundheitszustandes,

Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt.

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nicht durchschlagende Einwände gegen eine Verbindlichkeit einer Patientenverfügung

Lebensschutz höherwertig als Selbstbestimmung über den eigenen Körper

Heiligkeit gottgeschenkten Lebens („sanctity of life“) „Suizid-Ähnlichkeit“ jederzeitige Widerruflichkeit der Patientenverfügung fehlende Fähigkeit des Patienten zur Vorab-Einschätzung Mögliche Autonomie-Defizite in der Lebenswirklichkeit bei

Verfassen der Erklärung Möglichkeit "unsachgemäßen" Einflusses bei Erstellen der

Verfügung Dammbruchargument (nicht zu leugnende) Auslegungsprobleme

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Abgrenzung zu Vorsorgevollmacht u. Betreuungsverfügung

Die Patientenverfügung ist von Vorsorgevollmacht u. Betreuungsverfügung zu unterscheiden:

Vorsorgevollmacht = Vollmacht für den Fall, dass der Vollmachtgeber seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann (z.B. Gesundheitsfürsorge, Pflege, Vermögens- u. Behördenangelegenheiten).=> Konsequenzen: ggf. wie bei Patientenverfügung

Betreuungsverfügung = Vorschlag des Verfügen-den, welche Person vom Betreuungsgericht als Be-treuer im Bedarfsfall eingesetzt werden soll.

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Rechtliche Behandlung von Patientenverfügungen (I)

Rechtslage bis September 2009: Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Geprägt durch Rechtsprechung der Gerichte. Grundsatzentscheidung BGH vom 17.03.2003:

- Patientenverfügungen prinzipiell verbindlich, da Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde Beachtung dieser eigenverantwortlichen Entschei- dung gebieten.

- Voraussetzung: Wille des Patienten eindeutig und sicher für die konkrete Behandlungssituation fest-

stellbar (TodesnäheTodesnähe? Gericht nur bei Dissens

Arzt/Betreuer).

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Rechtliche Behandlung von Patientenverfügungen (II)

Neue Rechtslage seit September 2009: Patientenverfügung seit September 2009 in den §§ 1901a

ff. BGB verbindlich gesetzlich normiert. Betreuer/Bevollmächtigter als Vertreter des Patienten

müssen dem geäußerten Willen des Patienten Ausdruck verleihen und diesen zusammen mit Arzt umsetzen, wenn - die getroffenen Festlegungen zur konkreten Lebens- und Behandlungssituation passen, - kein gesetzliches Verbot (zB Tötung auf

Verlangen) betroffen ist,- kein äußerer Druck oder Irrtum ersichtlich ist,- es sich um den noch aktuellen Willen handelt.

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Keine Reichweitenbeschränkung

Patientenverfügungen sind für jedes Krankheitsbild rechtlich zulässig.

Keine Beschränkung der Gültigkeit von Behand-lungsverzichtserklärungen in Patientenverfügungen auf Fälle, in denen der Patient an einer „irreversibel tödlich verlaufenden Grunderkrankung“ (so BGH vor 2009) leidet.

Behandlungsentscheidung des Patienten „unab-hängig von Art und Stadium der Erkrankung“ (§ 1901a Absatz 3 BGB): keine „Todesnähe“ erforderlich.

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Formerfordernisse

Keine ärztliche und rechtliche Beratung notwendig, um eine verbindliche Patientenverfügung aufzu-setzen

Einziges Formerfordernis: Schriftlichkeit. (also kein notarielles/ärztliches Beglaubigungs-

erfordernis) Der Widerruf der Patientenverfügung ist allerdings

formlos - etwa mündlich - möglich (Problem: schlüssiges Verhalten?).

Kein Aktualisierungszwang

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Gleichstellung von Bevollmächtigtem u. Betreuer

Gesetzliche Regelung sieht Gleichbehandlung von Betreuer und Bevollmächtigtem vor. (Siehe: §§ 1901a Absatz 5, 1901b Absatz 3, 1904 Absatz 5 Satz 1 BGB)

Sachgerecht, da meist Bevollmächtigter und Betreuer ohnehin aus dem selben Personenkreis stammen.- Bevollmächtigter: Patient wählt zumeist enge Vertrauenspersonen aus Freundeskreis und Fa- milie (Ehegatte, Kinder, Eltern) aus.- Betreuer: Betreuungsgericht wählt nach gesetzlichen Vorgaben (§ 1897 Absatz 4 Satz 1 BGB) – sofern möglich - aus genau demselben Personenkreis eine geeignete Person aus.

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Missbrauchskontrolle iZm §§ 1901a ff. BGB

Dem Schutz vor missbräuchlichem Verhalten dienen:

Arzt und Betreuer/Bevollmächtigtem gemeinsam mit Wahrung der Patienteninteressen betraut

Einschaltung der Angehörigen (=> Anhörung) im Rahmen der „sozialen Kontrolle“ gemäß § 1901b BGB.

[aber: kein ärztl./pflegerisches Konzil erforderlich] Gerichtliche Kontrolle: Nur vorgesehen für den Fall, dass

kein Einvernehmen zwischen Arzt und Vertreter herzustellen ist in Bezug auf den Patientenwillen hinsichtlich einer medizinischen Maßnahme (§ 1904 Absatz 4 BGB).

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Strafbarkeits- und Haftungsrisiken des Arztes

Die körperliche Unversehrtheit des Menschen und sein Selbstbestimmungsrecht sind grundrechtlich geschützt (Art. 2 Absatz 1, 2 sowie Art. 1 I GG).

Jeder Eingriff in die körperliche Integrität stellt rechtlich eine Körperverletzung dar, auch wenn Ziel des Eingriffs die Heilung des Patienten ist.

Ärztliche Behandlungen bedürfen deshalb zu ihrer Rechtfertigung die Einwilligung des Patienten. Liegt eine solche Einwilligung nicht vor, bleibt die Maßnahme zivilrechtswidrig und strafbar.

Also: Genau zu prüfen, welche Maßnahmen dem Patientenwillen entsprechen und wie diesbezüglich vorzugehen ist.

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Verantwortung u. Indikationsstellung des Arztes

Ärztliche Feststellung, ob eine bestimmte Maßnahme medizinisch indiziert ist oder nicht, ist von ent-scheidender Bedeutung.

Liegt keine medizinische Indikation vor, so erübrigen sich alle Überlegungen zur Einschlägigkeit der Patientenverfügung, Konsensfindung mit Vertreter sowie Einschaltung des Betreuungsgerichts.

Medizinische Indikation hat objektiv und neutral zu erfolgen, nicht unter Zugrundelegung der Wert-vorstellungen des Arztes selbst (etwa was er unter „menschenwürdigem Leben bzw. Sterben“ versteht).

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Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (I) [s. Beckmann, MedR

2009, S. 582, 585]

1. Behandlung gemäß aktuell erklärtem Patientenwillen:

Medizinische Indikation?

Patient aktuellentscheidungsfähig?

+

Aktuelle Willens-entscheidung des

Patienten

Patientenverfügung vorhanden? - s.u.-

+

Behandlung/Nicht-behandlung

-

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Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (II) [s. Beckmann, MedR

2009, S. 582, 585]

2. Behandlung gemäß Patientenverfügung:

-

Patientenverfü-gung vorhanden?

Mutmaßlicher Patientenwille?

- s.u. -

+Einschlägig für aktuelle

Lebens- u. Behandlungssituation?

Behandlung/Nichtbehand-

lung

- +

Einver-nehmen

zw. Arzt u. Vertreter

Betreuungs-gericht

+

-

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Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (III) [s. Beckmann, MedR

2009, S. 582, 585]

3. Behandlung gemäß mutmaßlichem Patientenwillen:

Behandlung/Nichtbehand-

lung

Mutmaßlicher Patientenwille?

Wohl des Patienten??

- s.u. -

Einver-nehmen

zw. Arzt u. Vertreter

Behandlungswünsche des Patienten konkret

ermittelbar?

+-

Betreuungs-gericht -

+

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Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (IV)

4. Behandlung gemäß dem Wohl des Patienten:Wohl des

Patienten? = Teil der

Indikation

Behandlung/Nichtbehand-

lung

objektive, allgemeine Wertvorstellungen

(„in dubio pro vita“)?

Einvernehmen zw. Arzt u. Vertreter

-

+

Betreuungs-gericht

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Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen

Einseitiger Behandlungsabbruch => nach wie vor ungelöst!

Ausweichen auf mutmaßliche Einwilligung?

=>bloße Fiktion bzw. Gefahr verschleierter Fremdbestimmung

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Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen

Weitere Ansätze: Güterabwägung

- § 34 StGB (wie bei indirekter Sterbehilfe)? aber: Für patienten-interne Abwägung

(Leben[srest] ./. Schmerzbekämpfung) hier kein Raum:

stattdessen [Merkel]: Güterabwägung: "biologisches" Leben ./. fehlendes Lebensinteresse"?

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Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen

Weitere - isoliert nicht überzeugende - Ansätze:

- Sinnlosigkeit weiterer ärztlicher Bemühungen

- Unzumutbarkeit der Weiterbehandlung für den Arzt

- Menschenwürde des „Sterbenden“- Unverhältnismäßigkeit von Aufwand

und potentiellem Erfolg - Zielsetzung ärztlichen Auftrags =>

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Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen

Zielsetzung ärztlichen Auftrags: gerichtet auf „Erhaltung und

Ermöglichung menschlicher Selbstverwirklichung“ [Eser]

Endet mangels Möglichkeit weiterer Selbstwahrnehmung => bei unwiderruflichem Verlustes jeglicher Reaktions- und Kommunikations-fähigkeit

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Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen

Zukünftig rechtswissenschaftlich zu klären:=> Behandlungsabbruch bei fehlender

medizinischer Indikation?

Problem: Indikation - primär als fachliches Urteil über den Wert einer

Behandlungsmethode im Einzelfall - aber eben auch: Tor, durch das Ethik Eingang

findet in den ärztlichen Entscheidungsprozess (bspw. bei Behandlungsbegrenzung aus

utilitaristisch-ökonomischer Erwägung?)

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Fallbeispiel

Medizinischer Sachverhalt: Patient leidet unter schwerer pneumologischer Erkrankung und ist zusätzlich in Demenz verfallen. Er liegt auf der Intensivstation, wird künstlich beatmet und ist nicht an-sprechbar. Er kämpft mit immer wiederkehrenden Er-stickungsanfällen und muss regelmäßig durch Absaugen der Lungen vor dem Erstickungstod gerettet werden.

Juristische Fragestellung:Ist der behandelnde Arzt rechtlich verpflichtet, die lebens-erhaltenden Maßnahmen fortzusetzen, und inwiefern dürfen Erwägungen zur verbliebenen Lebensqualität des Patienten Einfluss auf seine Entscheidung haben, wenn weder eine Patientenverfügung vorliegt noch der mutmaßliche Patientenwille feststellbar ist?

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Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage I

Jedweder Einsatz med. Maßnahmen ist grds. vom Patientenwillen als Ausdruck seines Selbstbe-stimmungsrechts aus Art. 1, 2 GG abhängig.

Wenn Patientenwille nicht einholbar (z.B. Koma), ist zu prüfen, ob antizipierte Willensäußerung (z.B. Patienten-verfügung) vorliegt.

Wenn (wie in Fallbsp.) keine Willensermittlung (weder ausdrücklich noch mutmaßlich) möglich, dann ist laut BGH Bewertung nach „allg. Wertvorstellungen“ u. „objektivem Wohl des konkreten Patienten“ erforderlich.

Ausgangspunkt für interessengerechte Behandlung ist med. Indikation.

Vom Vorliegen der med. Indikation hängt das „ob“ und „wie“ der Behandlung ab.

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Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage II

Definition Med. Indikation:

Allg.: Krankheitsbild gegeben, das den Einsatz bestimmter ärztl. Maßnahmen erlaubt, die nach Abwägung des möglichen Nutzens u. Risikos für Patient sinnvoll erscheinen.

Genauer: Nach Feststellung einer Erkrankung (Diagnose), die behandelbar ist (Inblicknahme des med. Methodenspektrums), wird in Hinblick auf ein bestimmtes Behandlungsziel eine Prognose gestellt, ob mögliche Behandlungsmaßnahmen unter Be-achtung von Kontraindikationen einen Behand-lungserfolg erzielen können.

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Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage III

Fraglich, ob in vorliegendem Fall bei der Beurteilung der med. Indikation Aspekte der Lebensqualität be-rücksichtigt werden können. Beantwortung richtet sich danach, ob die „med. Indikation“ rein objektiviert einzuschätzen oder mit dem Begriff „Lebensqualität“ verknüpft zu sehen ist.

Problematisch, dass eine genau Definition des Begriffs „Lebensqualität“ nicht möglich ist und so Interpretationsspielraum verbleibt.

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Fallbeispiel – Rechtliche Bewertung I(„objektiviertes“ Begriffsverständnis)

1. Ansatz zur Bestimmung der med. Indikation: Med. Indikation ist unabhängig von der Lebensqualität

objektiviert zu verstehen.

Sobald Heilbehandlung mit med. Maßnahmen möglich und erfolgsversprechend ist, besteht eine ausreichende med. Indikation.

Demnach ist Lebensqualität nur Ergebnis und Ausfluss der wahrgenommenen Heilbehandlung und hat keinen Einfluss auf die „med. Indikation“ selbst, da diese abstrakt

(=> biologischer Heilerfolg) zu bestimmen ist. Erg.: Erwägungen zur Lebensqualität sind unbeachtlich in Hinblick auf die ärztl. Indikationsstellung.

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Fallbeispiel – Rechtliche Bewertung II(„verknüpftes“ Begriffsverständnis)

2. Ansatz: Med. Indikation ist eng verknüpft mit dem Begriff „Le-bensqualität“ zu

verstehen.

Neben Diagnose treten Prognose und Nutzen-Schaden-Abwägung (Krankheitsstadium, Alter u. Todesnähe).

Wohl des Patienten als Behandlungsgegenstand ist stark von der verbleibenden Lebensqualität abhängig.

Wenn sich Therapie auf bloße Aufrechterhaltung des vegetativen biologischen Lebens beschränkt, kann die Lebenserhaltungspflicht entfallen, da keine kurativen Aspekte mehr zu erkennen sind u. eine palliative Betreuung angezeigt scheint. Erg.: Erwägungen zur Lebensqualität sind durchaus von Belang für die med. Indikationsstellung.

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Fallbeispiel – Gesamtergebnis

2. Ansatz wird dem Wohl des Patienten besser gerecht u. ist daher vorzugswürdig => Arzt dem Menschen und nicht dem Organismus verpflichtet

Gesamtergebnis: - Prognose sowie Nutzen-Schaden-Abwägung (m.E. ärztlicher ärztlicher

BeurteilungsspielraumBeurteilungsspielraum!) in Hinblick auf verbleibende Lebensqualität u. Wohl des Patienten fällt negativ aus:

- Krankheitszustand stellt sich so dramatisch dar, dass nur kurzfristige und vorübergehende kurative Hilfe möglich ist. Patient bleibt unansprechbar, angewiesen auf ständiges Absaugen der Lungen u. an Intensivstation gebunden.

- Behandelnder Arzt ist nicht zur kurativen Weiter-behandlung verpflichtet. Palliative Maßnahmen sind indiziert.

-

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Gesetzestext § 1901a BGB (I)Patientenverfügung

(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungs-unfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Fest-legungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.

(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.

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Gesetzestext § 1901a BGB (II)Patientenverfügung

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Er-krankung des Betreuten.

(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet wer-den. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.

(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.

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Gesetzestext § 1901b BGBGespräch zur Feststellung des Patientenwillens

(1) Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Ent-scheidung.

(2) Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Absatz 2 soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.

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Gesetzestext § 1904 BGB (I)Genehmigung des Betreuungsgerichts

(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesund-heitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.

(2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Ab-bruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.

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Gesetzestext § 1904 BGB (II)Genehmigung des Betreuungsgerichts

(3) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht.

(4) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber be-steht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Ein-willigung dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten ent-spricht.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahme ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.

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Bei Patientenverfügungen nach wie vor ungeklärt (bspw.) -1-

Bindungswirkung bei Demenzerkrankungen [ja, sofern ausdrücklicher Bezug]

Untersagung von Maßnahmen der Basisversorgung (≠ künstliche Ernährung)

[m.E. zulässig]

Patientenverfügung und Suizident [m.E. keine Besonderheiten]

Patientenverfügung und ärztlicher bzw. pflegerischer Gewissenskonflikt

[auch nach BGH: auch insoweit kein Recht zur Behandlung gegen Patientenwillen]

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Nach wie vor ungeklärt (bspw.) -2-

„Ermittlungspflicht“ bezüglich Wirksam-keit der Patientenverfügung(Einwilli-gungsfähigkeit beim Verfassen / kein Widerruf) [m.E: idR nicht]

Darf Patienten seinem Vertreter „freies Ermessen“ bzgl. Behandlungsabbruch einräumen? [nach h.M.: ja]

Rechtslage, wenn weder eine Patienten-verfügung noch ein Behandlungswunsch festzustellen ist? [s. Folien 38 ff.]

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Unklarheiten infolge der Neuregelung -1-

Wann liegt „zeitnahe“ Einwilligungsverweigerung (≠ Patientenverfügung!) vor?

Wie konkret muss die Patientenverfügung sein? Verstoß gegen das Koppelungsverbot in § 1901a

Abs. 4 BGB => Patientenverfügung eines Mitglieds der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas? [m.E. Verfügung wirksam]

Darf Arzt sich unmittelbar auf Patientenverfügung stützen - und das vorgesehene Verfahren (Einvernehmen mit Patientenvertreter/ggf. Einschalten des Gerichts) übergehen?

M.E ja (aber hoch riskant, da BGH wohl anderer Auffassung)

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Unklarheiten infolge der Neuregelung -2-

einwilligungs(verweigerungs)fähiger Minderjäh-riger? Keine Patientenverfügung, aber wirksame Bevollmächtigung? Oder nur mutmaßl. Wille [dieser auf jeden Fall beachtlich: wirksames Veto trotz Elternzustimmung {!?}]?

Inhalt der medizinischen Indikation iSv § 1901b Abs. 2 BGB? [nur Grenzkontrolle durch Recht]

Verzicht des Patienten auf Angehörigenanhörung möglich?

Sofern mehrere medizinische Disziplinen arbeits-teilig gleichberechtigt beteiligt sind: Einvernehmen zwischen Patientenvertreter und welchen Ärzten? [m.E: mit allen]

“alte“ Patientenverfügungen/Bevollmächtigungen?

[m.E.: wirksam auch ohne Übergangsregelung]

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Noch zu den Unklarheiten iZm §§ 1901a ff. BGB:

Bei all den (neu) aufgeworfenen Fragen:

=> Grundentscheidung des Gesetz-gebers zu beachten, dass eine einschlägige Patientenverfügung zu befolgen ist!

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BGH, Urteil vom 25. 6. 2010 - 2 StR 454/09 -1-

1. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.

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BGH, Urteil vom 25. 6. 2010 - 2 StR 454/09 -2-

2. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden.

3. Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich

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Aus der Literatur

Schönke/Schröder28.-Eser, vor § 211 RN 21 ff.

Fischer58., vor § 211 RN 13 ff., 32 ff. MüKoStGB(2003)-Schneider, vor § 211

Rn. 88 ff. Rengier, Strafrecht, BT II11., §§ 6-8

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Aus der Rechtsprechung

BGH NJW 2010, 2963 = NStZ 2010, 630 (mit Besprechung durch Dölling, ZIS 2011,

345 ff., Engländer, JZ 2011, 513 ff., Hirsch, JR 2011, 37 ff., Kubiciel, ZJS 2010, 656 ff., Verrel, NStZ 2010, 671 Walter, ZIS 2011, 76 ff.)

BGH NJW 2011, 161 = NStZ 2011, 274 zu beiden Urteilen: Rissing-van Saan

(ehem. Vorsitzende des 2. Strafsenats!), ZIS, 2011, 544

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Vielen Dank für Ihr Interesse!

Professor Dr. Detlev Sternberg-Lieben Forschungsstelle Medizinstrafrecht Juristische Fakultät - TU Dresden