AG Strafrecht

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Au s der Arbeit des DAV AG Strafrecht Welche Reformen braucht das Strafrecht? Die Petersberger Tage der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht Die Strafverteidigerpraxis und die Wis- senschaft kommen bei den Petersber- ger Tagen zusammen. Die vielen ak- tuellen Strafverschärfungen im Straf- recht führten wieder einmal zu der Fra- ge, wie der Ultima-Ratio-Gedanke fruchtbar gemacht werden kann. Fazit: Noch mehr Strafrecht macht die Gesell- schaft nicht besser. Reichlich Kritik an aus der Hüfte ge- schossenen „Reformen" des Strafrechts, vor allem als Reaktion auf tagesaktuelle Themen, war dieses Jahr Gegenstand der Petersberger Tage (wegen des Um- baus auf dem Petersberg bei Bonn dies- mal in Frankfurt). ,,Die Reformen sind nichts als wilde Flickschusterei", kriti- sierte der Vorsitzende der Arbeits- gemeinschaft Dr. Dirk Lammer in seiner Eröffnungsansprache. Die letzte große und sinnvolle Strafrechtsreform habe es in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhun- derts gegeben. Seitdem nur Reform- bestrebungen, die nicht oder nur halb umgesetzt worden seien. Viel Stoff für leidenschaftliche Diskussionen. Strafrecht als Ultima Ratio Der ehemalige Richter des Bundesver- fassungsgerichts Prof. Herbert Landau ging in seinem Vortrag auf den Charak- ter des Strafrechts als Ultima Ratio ein. Er schilderte insbesondere die teilweise Abkehr vom ehedem entwickelten Ulti- ma Ratio-Gedanken hin zu einer eher auf die Bestimmtheit und Verhältnis- mäßigkeit strafrechtlicher Normen ge- richteten Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts. Der Ultima Ratio- Grundsatz würde zwar immer wieder gerne durch das Bundesverfassungs- gericht angeführt, es fehle ihm aber an verfassungsrechtlicher Wirkkraft. Lan- dau endete mit der Hoffnung, dass zu- künftig durch kreative dogmatische An- sätze der Ultima Ratio-Grundsatz aus seinem „Dornröschenschlaf" erwachen möge. Erziehungsgedanke in der Krise Ein grundsätzlich positives Zeugnis stellte sodann Prof. Dr. Theresia Höynck, (Universität Kassel) dem Sys- tem des Jugendstrafrechts und des Ju- gendgerichtsgesetzes aus. Trotz teils an- . tiquierter Begrifflichkeiten stelle es ein Erfolgsmodell dar. Mit Sorge betrachtete Höynck die Tendenz der Rechtspre- chung, sich gerade bei offenkundigem Erziehungsbedarf strafbar gewordener Heranwachsender vom Erziehungs- gedanken abzukehren, sobald ein gewis- ses Schuldausmaß erreicht werde. „Ein Unternehmensstrafrecht wird es hoffentlich nie geben." Mit diesen provokanten Worten leitete Rechts- anwalt Dr. Klaus Leipold seinen Vortrag zur Frage „Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht?" ein und brachte damit den Kern seines Vortrags auf den Punkt. Auch er nahm Bezug auf den Ultima Ratio-Grundsatz und er- teilte den Argumenten pro Unterneh- mensstrafrecht eine Absage. In der fol- genden Diskussion wies Rechtsanwäl- tin Gina Greve zutreffend darauf hin, dass die Problematik der Personalunion von Täter und Opfer, nämlich das Un- ternehmen, bislang noch nicht geklärt sei. Ergänzend führte Prof. Dr. Thomas nnau (Bucerius Law School) aus, dass grundsätzlich auch ein prozessua- ler Ausbau des Ordnungswidrigkeiten- rechts erforderlich wäre, um überhaupt ausreichende richterliche Kompetenz für entsprechende Bußgeldverfahren si- cherzustellen. Videoaufnahmen im Strafprozess ,,Mehr Dokumentation im Strafverfah- ren". Zu dieser immer wieder, vor allem von Seiten der Anwaltschaft in den Ring geworfenen Forderung, führte so- dann Rechtsanwalt Prof. Dr. Werner Leitner aus. Die Technik habe sich in den letzten 20 Jahren exponentiell ent- wickelt, leider sei sie immer noch nicht, oder nur sehr bedingt, im Strafprozess angekomm en. Der deutsche Strafpro- zess habe wegen des Verzichts auf ein Wortprotokoll weiterhin mittelalterliche Züge. § 217 StGB: verfehlte Reform Äußerst kritisch setzte sich Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, (Universiät Würzburg) mit dem neuen Verbot der gewerbs- mäßigen Förderung der Selbsttötung auseinander. Diese „verfehlte Bestim- mung" sei so weit gefasst, dass sie grundsätzlich auch die Arbeit von Hos- pizen und Palliativmedizinern ein- schränke. Mit deutlichen Worten for- derte er Rechtsprechung und Rechts- wissenschaft dazu auf, die zahlreichen Schwachstellen des neuen § 217 StGB durch einschränkende Auslegung zu korrigieren. Die Norm habe zu erhebli- cher Verunsicherung der befassten Ärzte und Pflegekräfte geführt. Eine verfass ungskonforme Einschränkung käme somit allen Seiten zugute. Die Grundlösung des Problems sei jedoch Aus der Ar beit des DAV nicht mit dem Strafrecht zu verwirk- lichen. Sanktionssystem im Umbruch? Zwei aktuellen Umsetzungsprojekten der 18. Legislaturperiode widmete sich Prof. Dr. Thomas Rönnau, ( Bucerius Law School). Das Fahrverbot als Neben- strafe bringe jedenfalls aufgrund man- gelnder Bestimmtheit, aufgrund von Kontrolldefiziten und einer möglichen Sekundärkriminalisierung im Hinblick auf vermehrte Straftaten nach § 21 StVG eine mögliche Mehrbelastung der Justiz. Der Schwerpunkt des Vor- trags lag indes auf der Neuregelung der Vermögensabschöpfung gemäß §§ 73 ff. StGB-E, u. a. als Reaktion auf die RL 2014/ 42 /EU, welche eigentlich bereits bis Oktober 2016 hätte ihre Um- setzung erfahren sollen. über die Neu- regelung der selbstständigen und ver- urteilungsunabhängigen Einziehung des§ 76a Abs. 4 StGB-E erwarte er leb- hafte Diskussionen, ebenfalls im Hin- blick auf Art. 14 Abs. 1 GG, sowie Art. 6 Abs.1 EMRK. Legalize it! " Mit einer Generalabrechnung zu Straf. recht und Drogenpolitik durch Prof. em. Dr. Lorenz Bollinger (Bremen) en- deten die Petersberger Tage 2017. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei die Pö- nalisierung des Konsums bestimmter Drogen, zumindest solange höchstens 1 Dr. Dirk Lammer (Vorsitzender der AG, L) im Gespräch mit Prof. Herbert Landau (ehemaliger Richter des Bun- desverf assungsgerichts, M.) und ei nem Teilnehmer. 2 Viel fältiges Programm bei den 9. Petersberger Tagen. 3 Prof. Dr. Lorenz Böllinger sprach zur Drogenpolitik. 4 Referent Prof. Dr. Werner Leltner. 5 Anja Sturm und Marie Luise Graf-Schlicker (Bundesjus- tizministerium). 6 Wolfgang Stahl meldete sich aus dem Publikum zu Wort. 7 Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht? Dieser Frage stellte sich Dr. Klaus Lei pold. 8 Pr of. Dr. Theresia Höynck sprach zum Jugendstraf- recht. 9 Eine weitere Stimme von den Teilnehmern: Dr. Eren Basar. 10-14 Die Pausen luden zum kollegialen Austausch ein. 15 Prof. Dr. Thomas Rönnau. eine Eigen- und keine Fremdgefähr- dung anzunehmen sei, illegitim. Die Rechtsgüter „Volksgesundheit" und „Soziales Zusammenleben" seien diffus und damit im Hinblick auf den Be- stimmtheitsgrundsatz u nd das Willkür- verbot keinesfalls ausreichend. Es sei dringend eine Entkriminalisierung des Drogenumgangs erforderlich. Rechtsanwalt Marc N. Wand!, Iserlohn/Essen

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Aus der Arbeit des DAV

AG Strafrecht

Welche Reformen braucht das Strafrecht?

Die Petersberger Tage der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht

Die Strafverteidigerpraxis und die Wis­senschaft kommen bei den Petersber­ger Tagen zusammen. Die vielen ak­tuellen Strafverschärfungen im Straf­recht führten wieder einmal zu der Fra­ge, wie der Ultima-Ratio-Gedanke fruchtbar gemacht werden kann. Fazit: Noch mehr Strafrecht macht die Gesell­schaft nicht besser. Reichlich Kritik an aus der Hüfte ge­schossenen „Reformen" des Strafrechts, vor allem als Reaktion auf tagesaktuelle Themen, war dieses Jahr Gegenstand der Petersberger Tage (wegen des Um­baus auf dem Petersberg bei Bonn dies­mal in Frankfurt). ,,Die Reformen sind nichts als wilde Flickschusterei", kriti­sierte der Vorsitzende der Arbeits­gemeinschaft Dr. Dirk Lammer in seiner Eröffnungsansprache. Die letzte große und sinnvolle Strafrechtsreform habe es in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhun­derts gegeben. Seitdem nur Reform­bestrebungen, die nicht oder nur halb umgesetzt worden seien. Viel Stoff für leidenschaftliche Diskussionen.

Strafrecht als Ultima Ratio

Der ehemalige Richter des Bundesver­fassungsgerichts Prof. Herbert Landau ging in seinem Vortrag auf den Charak­ter des Strafrechts als Ultima Ratio ein. Er schilderte ins besondere die teilweise Abkehr vom ehedem entwickelten Ulti­ma Ratio-Gedanken hin zu einer eher auf die Bestimmtheit und Verhältnis­mäßigkeit strafrechtlicher Normen ge­richteten Rechtsprechung des Bundes­verfassungsgerichts. Der Ultima Ratio­Grundsatz würde zwar immer wieder gerne durch das Bundesverfassungs­gericht angeführt, es fehle ihm aber an verfassungsrechtlicher Wirkkraft. Lan­dau endete mit der Hoffnung, dass zu­künftig durch kreative dogmatische An­sätze der Ultima Ratio-Grundsatz aus seinem „Dornröschenschlaf" erwachen möge.

Erziehungsgedanke in der Krise

Ein grundsätzlich positives Zeugnis stellte sodann Prof. Dr. Theresia

Höynck, (Universität Kassel) dem Sys­tem des Jugendstrafrechts und des Ju­gendgerichtsgesetzes aus. Trotz teils an­

. tiquierter Begrifflichkeiten stelle es ein Erfolgsmodell dar. Mit Sorge betrachtete Höynck die Tendenz der Rechtspre­chung, sich gerade bei offenkundigem Erziehungsbedarf strafbar gewordener Heranwachsender vom Erziehungs­gedanken abzukehren, sobald ein gewis­ses Schuldausmaß erreicht werde.

„Ein Unternehmensstrafrecht wird es hoffentlich nie geben." Mit diesen provokanten Worten leitete Rechts­anwalt Dr. Klaus Leipold seinen Vortrag zur Frage „Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht?" ein und brachte damit den Kern seines Vortrags auf den Punkt. Auch er nahm Bezug auf den Ultima Ratio-Grundsatz und er­teilte den Argumenten pro Unterneh­mensstrafrecht eine Absage. In der fol­genden Diskussion wies Rechtsanwäl­tin Gina Greve zutreffend darauf hin, dass die Problematik der Personalunion von Täter und Opfer, nämlich das Un­ternehmen, bislang noch nicht geklärt sei. Ergänzend führte Prof. Dr. Thomas Rönnau (Bucerius Law School) aus, dass grundsätzlich auch ein prozessua­ler Ausbau des Ordnungswidrigkeiten­rechts erforderlich wäre, um überhaupt ausreichende richterliche Kompetenz für entsprechende Bußgeldverfahren si­cherzustellen.

Videoaufnahmen im Strafprozess

,,Mehr Dokumentation im Strafverfah­ren". Zu dieser immer wieder, vor allem von Seiten der Anwaltschaft in den Ring geworfenen Forderung, führte so­dann Rechtsanwalt Prof. Dr. Werner Leitner aus. Die Technik habe sich in den letzten 20 Jahren exponentiell ent­wickelt, leider sei sie immer noch nicht, oder nur sehr bedingt, im Strafprozess angekommen. Der deutsche Strafpro­zess habe wegen des Verzichts auf ein Wortprotokoll weiterhin mittelalterliche Züge.

§ 217 StGB: verfehlte Reform

Äußerst kritisch setzte sich Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, (Universiät Würzburg) mit dem neuen Verbot der gewerbs­mäßigen Förderung der Selbsttötung auseinander. Diese „verfehlte Bestim­mung" sei so weit gefasst, dass sie grundsätzlich auch die Arbeit von Hos­pizen und Palliativmedizinern ein­schränke. Mit deutlichen Worten for­derte er Rechtsprechung und Rechts­wissenschaft dazu auf, die zahlreichen Schwachstellen des neuen § 217 StGB durch einschränkende Auslegung zu korrigieren. Die Norm habe zu erhebli­cher Verunsicherung der befassten Ärzte und Pflegekräfte geführt. Eine verfassungskonforme Einschränkung käme somit allen Seiten zugute. Die Grundlösung des Problems sei jedoch

Aus der Arbeit des DAV

nicht mit dem Strafrecht zu verwirk­lichen.

Sanktionssystem im Umbruch?

Zwei aktuellen Umsetzungsprojekten der 18. Legislaturperiode widmete sich Prof. Dr. Thomas Rönnau, ( Bucerius Law School). Das Fahrverbot als Neben­strafe bringe jedenfalls aufgrund man­gelnder Bestimmtheit, aufgrund von Kontrolldefiziten und einer möglichen Sekundärkriminalisierung im Hinblick auf vermehrte Straftaten nach § 21 StVG eine mögliche Mehrbelastung der Justiz. Der Schwerpunkt des Vor­trags lag indes auf der Neuregelung der Vermögensabschöpfung gemäß §§ 73 ff. StGB-E, u. a. als Reaktion auf die RL 2014/42/EU, welche eigentlich bereits bis Oktober 2016 hätte ihre Um­setzung erfahren sollen. über die Neu­regelung der selbstständigen und ver­urteilungsunabhängigen Einziehung des§ 76a Abs. 4 StGB-E erwarte er leb­hafte Diskussionen, ebenfalls im Hin­blick auf Art. 14 Abs. 1 GG, sowie Art. 6 Abs.1 EMRK.

Legalize it!"

Mit einer Generalabrechnung zu Straf. recht und Drogenpolitik durch Prof. em. Dr. Lorenz Bollinger (Bremen) en­deten die Petersberger Tage 2017. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei die Pö­nalisierung des Konsums bestimmter Drogen, zumindest solange höchstens

1 Dr. Dirk Lammer (Vorsitzender der AG, L) im Gespräch mit Prof. Herbert Landau (ehemaliger Richter des Bun­desverfassungsgerichts, M.) und einem Teilnehmer.

2 Vielfältiges Programm bei den 9. Petersberger Tagen.

3 Prof. Dr. Lorenz Böllinger sprach zur Drogenpolitik.

4 Referent Prof. Dr. Werner Leltner.

5 Anja Sturm und Marie Luise Graf-Schlicker (Bundesjus­tizministerium).

6 Wolfgang Stahl meldete sich aus dem Publikum zu Wort.

7 Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht? Dieser Frage stellte sich Dr. Klaus Leipold.

8 Prof. Dr. Theresia Höynck sprach zum Jugendstraf­recht.

9 Eine weitere Stimme von den Teilnehmern: Dr. Eren Basar.

10-14 Die Pausen luden zum kollegialen Austausch ein.

15 Prof. Dr. Thomas Rönnau.

eine Eigen- und keine Fremdgefähr­dung anzunehmen sei, illegitim. Die Rechtsgüter „Volksgesundheit" und „Soziales Zusammenleben" seien diffus und damit im Hinblick auf den Be­stimmtheitsgrundsatz und das Willkür­verbot keinesfalls ausreichend. Es sei dringend eine Entkriminalisierung des Drogenumgangs erforderlich.

Rechtsanwalt Marc N. Wand!, Iserlohn/Essen