Österreichisch- ungarischer Posten in Serbien 1915

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SCHERL / SUEDDEUTSCHER VERLAG Österreichisch- ungarischer Posten in Serbien 1915 der spiegel 2/2014 38 Der bosnische Knoten Die Ermordung von Österreichs Thronfolger im Juni 1914 in Sarajevo platzte mitten ins Pokerspiel der Großmächte auf dem Balkan. 100 Jahre und drei verheerende Kriege später ist die Vielvölker-Region noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Von Walter Mayr

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Österreichisch-ungarischer Postenin Serbien 1915

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Der bosnische KnotenDie Ermordung von Österreichs Thronfolger im Juni 1914 in Sarajevo platzte mitten insPokerspiel der Großmächte auf dem Balkan. 100 Jahre und drei verheerende Kriegespäter ist die Vielvölker-Region noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Von Walter Mayr

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1914 DER KRIEG

UND DAS HEUTE 2014

Im äußersten Osten von Sarajevo, inden Wohnblockschluchten unweit desFlughafens, gilt der Mörder Gavrilo

Princip noch heute als Held.Hier, wo Bosniens Serben unter sich

sind, ehren sie ungeniert ihren berühmtes -ten Sohn: jenen schnauzbärtigen Studen-ten, der eines wolkenlosen Juni-Sonntags1914 in Sarajevo Österreichs ThronfolgerFranz Ferdinand erschoss. Mit einer Ku-gel in die Halsschlagader, abgefeuert auseiner Browning, Kaliber 7.65.

Der tödliche Anschlag des jungen bos-nischen Serben auf den Spross der öster-reichisch-ungarischen Doppelmonarchieentpuppte sich als Ouvertüre zu einer beispiellosen Tragödie. 15 Millionen Men-schen verloren während des ErstenWeltkriegs ihr Leben; die Herrscheraus den Häusern Habsburg, Hohen-zollern und Romanow büßten amEnde mit ihrem Thron.

War Princips Bluttat aus serbi-scher Sicht berechtigt, ein Racheaktan den Habsburgern, die das osma-nische Bosnien 1878 besetzt und1908 annektiert hatten? In Saraje -vos Osten jedenfalls schmückt sichdas Soho Caffe noch jetzt, ein Jahr -hundert später, wandfüllend mitdem Porträt des Attentäters. Auch dessen letzten Worte, einst einge-ritzt in eine Zellenwand im böhmi-schen Theresienstadt, sind abge-druckt: „Unsere Geister werdendurch Wien wandern.“

Was Gavrilo Princip und seineMitverschwörer von der panslawis-tischen Organisation „Junges Bos-nien“ vor hundert Jahren antrieb,war ein explosives Gemisch: radi -kaler Nationalismus, gepaart mit Skepsis gegenüber dem westlichenLebensstil und mit dem Zorn überdie eigene wirtschaftliche Rückstän-digkeit. Ermutigt vom Niedergangdes Osmanischen Reichs, das denBalkan jahrhundertelang beherrschthatte, waren Kriegstreiber in der Region bereits vor dem Attentat vonSarajevo auf dem Vormarsch, vor allem im benachbarten KönigreichSerbien – wo von einem Staat ge-träumt wurde, der sämtliche von Ser-

ben besiedelten Gebiete auf dem BodenÖsterreich-Ungarns einschließen sollte.

Bis heute gefährden Nationalisten aufdem Gebiet der zerfallenen Vielvölker-Republik Jugoslawien die Stabilität imHerzen Europas – nirgendwo ist das offen -sichtlicher als in Bosnien-Herzegowina.In jener kunterbunt wie ein Flickentep-pich gewirkten Republik, in der muslimi-sche Bosniaken, orthodoxe Serben undkatholische Kroaten siedeln.

Dass erstaunlich wenige Lehren ausdem Leid der vergangenen hundert Jahregezogen wurden, aus zwei Weltkriegenund dem innerbosnischen Schlachten ab1992, findet auch der weißhaarige Herr,den sie in Sarajevo-Ost „Bato“ – Kumpel– rufen und der an diesem Nachmittag imSoho Caffe unter dem Bild des Todes-schützen von 1914 sitzt.

Der 61 Jahre alte Diplomökonom undGeschäftsmann heißt Gavrilo Princip. Erist Namensvetter und leibhaftiger Groß-neffe jenes Burschen, der nur ein paarKilometer entfernt den folgenreichstenMordanschlag im 20. Jahrhundert ver -übte. „Batos“ Vater lebte mit dem ange-henden Attentäter unter einem Dach; waser seinem Sohn über den berühmten Vor-fahren erzählte, stammt aus erster Hand.

Ein sittenstrenger, strebsamer Kerl auseinfachsten Verhältnissen, das ist über -liefert, war jener Gavrilo Princip, der mitseinen Schüssen Weltgeschichte schrieb.Hat er sich schuldig gemacht? „Ich binkein Historiker“, sagt der Großneffe, „ichweiß lediglich – er war noch sehr jung.“

Mag „Bato“ äußerlich nur mit seinerlangen, schmalen Nase dem Todesschüt-zen von 1914 ähneln, tief im Innern teilter dessen Stolz aufs Serbentum und denAbscheu gegen jede Form der Fremd -herrschaft. „Bato“ ist irritiert, dass derRebell Princip nicht mehr zum modernenGeschichtsbild im unabhängigen Bosnienpasst. „Als ich in Sarajevo aufs Gymna -sium ging, hingen da noch Bilder zu seinen Ehren, und das ‚Junge Bosnien‘wurde als revolutionäre Organisation verehrt“, sagt er verwundert, „und nun,nach dem Ende Jugoslawiens, sollen dasplötzlich alles Terroristen gewesen sein?“

An diesem Punkt scheiden sich die post-jugoslawischen Geister, vor allem jetzt, da der 100. Jahrestag des Attentats vom28. Juni 1914 naht. Befürworter und Kriti-ker des Vermächtnisses von Gavrilo Prin-cip stehen sich dabei so unversöhnlich ge-genüber wie einst, während des blutigenbosnischen Sezessionskriegs ab 1992, zu

beiden Seiten der Front – beim Streitum den historischen Rang des Atten-täters von Sarajevo ähnelt die Ge-fechtslage jener von vor 20 Jahren.

Im einen Lager überwiegen Kroa-ten und Muslime, die in GavriloPrincip einen großserbischen Natio-nalisten und Mörder sehen, den zufeiern es im unabhängigen Bosnien-Herzegowina keinen Grund gebensollte; im anderen Lager finden sichvorrangig Bosniens Serben, die ih-ren Landsmann als national undanti imperialistisch gesinnten Frei-heitskämpfer verehren.

Anders als die katholischen Kroa-ten und die muslimischen Bosnia-ken, 1914 mehrheitlich kaisertreu,standen die kriegerischen Serbenim Habsburgerreich stets unter Ver-dacht – als fünfte Kolonne Belgrads.Heute sind die Gräben zwischenden Völkern und Konfessionen inBosnien tiefer denn je: Im Krieg inden neunziger Jahren starben nocheinmal 100000 Menschen, vor allemMuslime, auf diesem blutgetränktenBoden.

„Ja, Bosnien ist das Land des Has-ses“, lässt der spätere jugoslawischeNobelpreisträger Ivo Andrić in sei-ner Erzählung „Brief aus dem Jahr1920“ einen Arzt jüdischer Herkunftsagen. „Diesen spezifisch bosni-schen Hass müsste man studieren

* Illustration in einer Pariser Zeitung, 1914.

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Balkan Serie (II)

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Attentäter-Nachfahre Princip„Krieg ist meine Sache nicht“

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Anschlag auf Thronfolger Franz Ferdinand*Ursünde von Sarajevo

In einer sechsteiligen Serie beleuchtetder SPIEGEL die gegenwärtigen Folgendes Ersten Weltkriegs. In Bosnien, woder Krieg mit den Schüssen von Sarajevobegann, spielte sich ab 1992 das letzteMassensterben auf europäischem Bodenab. Bis heute bleibt das Land wegen der rebellischen Serben ein Krisenherd.

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und bekämpfen wie eine gefährliche undweitverbreitete Krankheit. Ich glaube sogar, dass fremde Wissenschaftler nachBosnien kommen würden, um hier denHass zu studieren, genauso wie sie dieLepra studieren.“

Was Serben gegen Ende des 20. Jahr-hunderts ihren ex-jugoslawischen Lands-leuten in Bosnien antaten, hat auch mitEreignissen vom Anfang des Jahrhun-derts zu tun. 550000 serbische Soldatenund Zivilisten, beinahe ein Fünftel derGesamtbevölkerung, verloren zwischen1914 und 1918 ihr Leben. Kein anderesVolk erlitt im Ersten Weltkrieg, relativgesehen, vergleichbare Verluste.

Das 1918 geschaffene serbisch domi-nierte Königreich Jugoslawien, genanntSHS nach seinen drei Völkern Serben,Kroaten und Slowenen, war ein Vorgänger -modell des späteren Jugoslawien undauch als Entschädigung für diesen ent-setzlichen Blutzoll gedacht. Doch die Ser-ben wurden darin mit jenen vereinigt, dieauf der anderen Seite der Front gekämpfthatten.

Das Königreich SHS trug deshalb denKeim des Zerwürfnisses von Beginn anin sich. Und so kam es genau dort, woSieger und Verlierer von 1918 weiter aufengstem Raum miteinander lebten, imZweiten Weltkrieg und erneut in denneunziger Jahren zu den blutigstenSchlachten: in der bosnischen Krajina undam Drina-Fluss.

All die vielen Worte vom Hass und vonder balkanischen „Ursünde“ aber, diesein Vorfahr mit den Schüssen von Sara-jevo begangen habe, beschäftigten „Bato“wenig. Er raunt lieber von dunklen Mäch-ten im Hintergrund. Warum, so fragt er,haben die Österreicher damals ihremFranz Ferdinand, dem angehenden Herr-scher über ein Imperium von Triest ander Adria bis Lemberg in Galizien, so we-nige Leibwächter mit auf den Weg ins un-ruhige Bosnien gegeben?

Wo doch bekannt gewesen sei, dass derErzherzog „morganatisch“, also unstandes -gemäß vermählt und deshalb nicht einmalbei Hofe in Wien wirklich gelitten war;dass er sogar den Thronverzicht für seineKinder beurkunden musste, nur um seineböhmische Sophie heiraten zu dürfen. Dadränge sich zwangsläufig die Frage auf,sagt „Bato“, ob nicht im Umfeld des grei-sen Kaisers Franz Josef ein paar hinter-listige Wiener Hofschranzen das Attentatselbst orchestriert haben.

„Bato“ spricht’s, grinst über seine Ver-schwörungstheorie und startet im VWGolf zu einer Spritztour durch Ost-Sara-jevo – jenen Außenbezirk der geteiltenbosnischen Hauptstadt, der seit dem Frie-densabkommen von Dayton 1995 offiziellnicht zur muslimisch-kroatisch dominier-ten Föderation zählt, sondern zur zweitenLandeshälfte, zur „Republika Srpska“.

Hier, wo einst Serbenführer RadovanKaradžić und General Ratko Mladić ihrgnadenloses Regiment führten, ist inzwi-schen ziviles Leben eingekehrt. Währenddie beiden Hauptverantwortlichen vordem Kriegsverbrechertribunal in DenHaag noch den Vorwurf des Völkermordszu entkräften versuchen, spazieren in Ser-bisch-Sarajevo Studenten plaudernd überdas ehemalige Kasernengelände in Luka-vica. Nur wenig erinnert noch daran, dassvon diesem Boden aus die fast vierjährigeBelagerung und Zerstörung Sarajevos ge-steuert wurde, eine zumindest der Dauernach einzigartige Barbarei in Europas Ge-schichte des 20. Jahrhunderts.

Gavrilo Princip, sein Päckchen Drina-Zigaretten stets in Reichweite, sein Zielfest im Auge, steuert flott übers historischverminte Gelände. Hält am verlassenenPostenhäuschen des ehemaligen Armee-geländes, das noch zu Kriegszeiten nachOnkel Slobodan Princip benannt war, ei-nem Partisanenführer und postum hoch-dekorierten Volkshelden der Sozialisti-schen Republik Jugoslawien. Zeigt den

Flughafen, auf dem in den Jahren der Be-lagerung Uno-Maschinen Lebensnotwen-diges anlieferten; und die ersten Häuservon Dobrinja, dem Athletendorf währendder Olympischen Winterspiele 1984.

Im Bosnien-Krieg wurde Dobrinja zurtäglichen Hölle für Zehntausende einge-kesselter Frontlinien-Bewohner, die hierTeevorräte aufrauchten, Löwenzahn aßenund die toten Opfer serbischer Granat -angriffe in ihren Vorgärten verscharrten.Dass blütenweiße Uno-Jeeps und -Schüt-zenpanzer in Sichtweite an ihren Häusernvorbeirollten, ohne zu helfen, nahmendie Eingeschlossenen mit Galgenhumor:„Solange unsere Totengräber hier nichtmit dem Spaten auf Öl stoßen, schert sichdie Welt nicht um uns.“

Das Verhältnis Bosniens zur Restweltist in der Tat seit eh und je geprägt durcheinen wesentlichen Widerspruch – zwi-schen dem Desinteresse, das dem wilden,gebirgigen Balkanland in Friedenszeitenentgegengebracht wird; und dem trauri-gen Ruhm, den es als Bühne des Blutver-gießens immer wieder erlangt.

Es ist, als platzte da in unschöner Re-gelmäßigkeit schlecht vernarbtes Gewebean alten Schnittstellen wieder auf. In Bos-nien und Herzegowina treffen ja nichtnur Orient und Okzident aufeinander,Rom und Byzanz, Katholizismus, Ortho-doxie und Islam, Lateinisches und Kyril-lisches. Es berühren sich hier auch ange-stammte Interessengebiete der Osmanen,Zaren und Habsburger. Deren erbitterterPoker um Macht in der Region war dasVorspiel zur Tragödie von Sarajevo 1914.

Bis heute berühren sich auf bosnischemBoden die Interessen von Groß- und Re-gionalmächten – von Russen und Türken,Amerikanern, EU-Europäern und Vertre-tern der islamischen Welt.

Dass sich das 20. Jahrhundert „im Wesentlichen zwischen zwei Brücken inSarajevo abgespielt“ habe, wie der bos-nische Schriftsteller Dževad Karahasan

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1914 1915 1916 1917 1918

28. Juni 1914Ermordung des österreichisch-unga-

rischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gattin in Sarajevo

6. JuliDas Deutsche Reich sichert Österreich-

Ungarn unbedingte Bündnistreue zu.

23. JuliÖsterreich-Ungarn stellt Serbien ein 48-Stunden-Ultimatum, alle gegen die Donaumonarchie gerichte-ten Aktionen zu unterbinden und Maßnahmen gegen dieam Mordanschlag beteiligten Personen zu ergreifen.25. JuliAbbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn undSerbien. Beide Staatenmachen mobil.

28. JuliKriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien6./7./11. AugustKriegserklärung Serbiens an das Deutsche Reich, Montenegros an Österreich-Ungarn sowie Montene-gros an das Deutsche Reich

14. OktoberBulgarien erklärt Serbien den Krieg.

Oktober bis DezemberÖsterreichisch-ungarische, deutsche und

bulgarische Truppen erobern ganz Serbien.

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Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan

Franz Ferdinandund Gattin inSarajevo,unmittelbarvor demAttentat

Deutsche und bulgarische Soldaten (r.) in Serbienim November 1915

Ö

6. SeptemberBulgarien schließt Bündnis

mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn

6. OktoberBeginn der Offensive der

Mittelmächte gegen Serbien.

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Serie (II) Balkan

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bemerkt, mag eine verkürzte Sichtweisesein. Doch in der Tat waren die Ermor-dung Franz Ferdinands 1914 an der Latei-nerbrücke wie auch die Ermordung zwei-er Zivilistinnen an der Vrbanja-Brückebei Kriegsausbruch im April 1992 Fanalevon erheblicher Bedeutung: Im erstenFall zerbarst eine mühsam austarierte eu-ropäische Ordnung; im zweiten Fall gingder Glaube zuschanden, mit dem Endedes Kalten Kriegs könnte dauerhafterFrieden auf dem Kontinent möglich sein.

Wie schon 1914 waren auch 1992 dieSerben, größtes Slawenvolk auf dem Bal-kan, am Ausbruch der Gewalt ursächlichbeteiligt. Bis heute gründet ihr Selbstver-ständnis, Pfeiler des christlichen Abend-landes zu sein, auf der – verlorengegan-genen – Amselfeld-Schlacht gegen dasOsmanische Reich 1389; auch auf demWiderstand gegen die Deutschen undHabsburger im Ersten Weltkrieg; und aufdem Partisanenkampf gegen die faschis-tischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg.

Was die kriegserprobten Serben zurunverändert kritischen Masse auf demBalkan macht, ist nicht zuletzt der Um-

stand, dass sie seit dem Zerfall Jugosla-wiens auf verschiedene Republiken ver-teilt leben: außer in Serbien selbst unteranderem auch in Bosnien-Herzegowina,Kroatien und im abtrünnigen Kosovo, woihr Status bis heute ungeklärt ist.

Der Kommunist Marschall Tito, von 1945bis 1980 der „größenwahnsinnige Zwerg“(Stalin) an der jugoslawischen Staatsspitze,hatte die ethnischen Fliehkräfte noch zubändigen gewusst. Ab 1991 aber brachendie Dämme. Die Serben, mit ihrer tradi-tionellen Schutzmacht Russland im Rü-cken, nahmen in Belgrad unter SlobodanMiloŝević Kurs auf ein Großserbien; ihrStatthalter Karadžić exekutierte derweilauf bosnischem Boden seine Politik „eth-nischer Säuberung“. Erst das Eingreifender USA und die Bomben der Nato konn-ten dem blutigen Treiben Einhalt bieten –eine schmerzliche Lek tion für die Europä-er, und besonders für die Deutschen.

Schon 1914 waren die ja eher kopflosins Desaster an der Seite Österreichs „hin -eingeschlittert“, wie Großbritanniens Pre-mier Lloyd George es damals nannte. ImZweiten Weltkrieg dann trugen Hitlers

Truppen samt kroatischen Satelliten we-sentliche Verantwortung dafür, dass eineMillion Jugoslawen ihr Leben verloren.Und Anfang der neunziger Jahre schließ-lich, unter der Ägide von Kanzler HelmutKohl und Außenminister Hans-DietrichGenscher, setzte Bonn sich mit der frühzeitigen Anerkennung der Abspal-tung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas dem Vorwurf aus, heikleAllian zen und gewachsene Erbfeindschaf-ten auf dem Balkan zu unterschätzen.

„Bato“ hat den Bosnien-Krieg ab 1992in Pale verbracht. Ausgerechnet in derSerbenhochburg oberhalb von Sarajevo,am Regierungssitz des Despoten Ka-radžić. Eine Stelle im Ministerium fürTourismus und Marketing hatten sie ihmdort angeboten, weil er nach Aufenthal-ten in Cambridge und Paris als Sprachen-kundiger und Weltläufiger unter bosni-schen Betonschädeln galt: „Alternativwäre mir nur die ,puschka‘, die Knarre,geblieben – und Krieg ist meine Sachenicht“, so rechtfertigt sich ausgerechnetder Nachfahr des Attentäters von 1914.

Im Nachkriegs-Bosnien ist er zu be-scheidenem Wohlstand gekommen. ÜberRäucherschinken und Schmalzgebacke-nem sitzt er hinterm Flughafen im MotelM3, an dem er Anteile hält. Die unsicht-bare Demarkationslinie zwischen demserbischen und dem FöderationsgebietBosniens, identisch fast mit der Frontliniebei Kriegsende 1995, verläuft quasi vorder Tür. „Die wahre Grenze allerdings isthier oben“, sagt Bato und tippt sich mitdem Finger an die Stirn: „im Kopf.“

Generalmajor Dieter Heidecker, Edel-weiß am Revers, 600 Soldaten aus 22 Län-dern im Rücken, sieht das ähnlich. DerÖsterreicher ist ranghöchster Militär derEU-Mission „Althea“, deren Soldatenmehr als 21 Jahre nach Kriegs ausbruchin Bosnien-Herzegowina noch immer Prä-senz zeigen müssen. „Dies ist ein wun-derschönes Land mit Leuten, die extrem

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Bosnische Soldaten und Zivilisten unter serbischem Scharfschützenfeuer in Sarajevo 1992Entsetzlichste Gewalttaten auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg

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27. August 1916Von der Entente gedrängt, erklärt König Ferdinand I. von Rumänien Österreich-Ungarn den Krieg.Ihm werden territoriale Gegen-leistungen in Siebenbürgen, der Bukowina und dem Banat in Aussicht gestellt. In den folgen- den Tagen erklären Deutschland, Bulgarien und die Türkei Rumänien den Krieg.3. SeptemberBeginn des Feldzugs derMittelmächte gegen Rumänien

15. bis 24. September 1918 In einer Offensive der Entente

werden die bulgarischen Truppen aus Makedonien verdrängt; ganz

Bulgarien wird alliiertesOperationsgebiet.

30. SeptemberBulgarien räumt alle ehemals serbi-

schen und griechischen Gebiete.29. Oktober

Die Jugoslawen erklären in Agram (kroatisch: Zagreb) das staatsrecht-liche Verhältnis der jugoslawischen

Gebiete der Monarchie mit Österreich-Ungarn für gelöst.

1. NovemberBildung einer selbständigen Regierung in Ungarn3. NovemberWaffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und den Alliierten

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Österreichisch-ungarische Truppen in Bukarest,6. Dezember 1916

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August 1917Führende bosnische Muslime fordern

von Kaiser Karl I. in Wien Autonomiefür das 1908 annektierte Bosnien.

1. DezemberProklamation des König-

reichs der Serben, Kroaten und Slowenen in Belgrad

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nett sind – solange sie nicht mit ihres -gleichen zu tun haben“, spottet sanft derHerr General.

Heidecker arbeitet mit seinen Truppendaran, dass die Bosnier bald allein für ihreSicherheit sorgen können. „Wir haben hierinzwischen die ersten Rekruten, die nachdem Krieg geboren wurden“, sagt der Eu-for-Oberkommandierende. Das gebe An-lass zur Hoffnung: „Die bosnische Armeeist derzeit das Einzige, was in diesem Landauf multiethnischer Ebene funktioniert.“

Seit dem Dayton-Abkommen von 1995gibt es nicht nur zwei Landesteile in Bos-nien-Herzegowina plus einen multinatio-nalen Distrikt, sondern auch zehn Kan-tone und insgesamt 180 Minister. Bis zuzwei Drittel des Budgets werden von derVerwaltung aufgefressen. Einigkeit zwi-schen den Landesteilen und Volksgrup-pen ist nicht einmal bei grundlegendstenDingen wie Minderheitenrechten herzu-stellen. Die EU droht, so ausdauernd wieerfolglos, mit Sanktionen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dassnicht nur auf militärischem, sondern auchauf zivilem Gebiet hundert Jahre nachdem Attentat die Österreicher schon wieder das Kommando in Sarajevo haben:Valentin Inzko verkörpert als Hoher Re-präsentant gemäß Dayton-Abkommen dieoberste zivile Autorität im Land. Europa,sagt Inzko, müsse sich an der Lösung desProblems Bosnien-Herzegowina messenlassen: „Denn das hier ist unser Hinter-hof.“

Von seinem ursprünglichen Traum,Bosnien schon zum 100. Jahrestag des Attentats in die EU zu bugsieren, hat Inz-ko sich verabschiedet. Nun spricht er nurnoch von vorbereitenden Schritten zur„Integration“ in die EU und die Nato.War um es so mühsam sei, den bosnischenKnoten zu zerschlagen? Es fehle, sagt Inz-ko, zwischen Muslimen, Kroaten und Ser-ben ganz offensichtlich an der Grundlage

für einen funktionierenden Staat – am„Konsens zwischen den drei Völkern“.

Ein Urteil, das ernüchternder kaumausfallen könnte – für Sarajevo, EuropasSchicksalsort, und für ganz Bosnien.

Wenn sich die verschiedenen Volks-gruppen derzeit überhaupt auf etwas ver-ständigen können, dann auf die These,dass seit dem Berliner Kongress 1878, seitVersailles 1919, Jalta 1945 und Dayton1995 so gut wie immer die anderen schuldwaren; all jene, die über diesen Land-strich am grünen Tisch entschieden unddadurch Unheil verursacht haben – in ei-ner, so sehen zumindest die Bosnier selbstdas, eigentlich friedfertigen Gegend, inder man halt gern fünf gerade sein lässt.

Bis wieder einmal alles schiefgeht.Dort, wo die Massengräber aus dem

letzten Krieg dicht an dicht liegen, im Os-ten Bosniens, unweit der serbischen Gren-ze, verbringt Gavrilo „Bato“ Princip sei-ne Sonntage. Seine Mutter lebt hier. DieAnfahrt führt durch die Republika Srpska,die knapp anderthalb Mil-lionen Ein wohner starkeTeilrepublik der Serben.Den Staat im Staat regiertals Präsident der Hard -liner Milorad Dodik, derdas Konstrukt Bosnien-Herzegowina als todge-weihten „Teufelsstaat“ be-schimpft. Und der sich da-bei der schützenden HandBelgrads wie auch Mos-kaus sicher sein darf.

In der Republika Srpska,zwischen Bratunac undSrebrenica, kam es ab1992 zu den entsetzlichs-ten Gewalttaten auf euro-päischem Boden seit demZweiten Weltkrieg. DasMassaker an über 8000Männern und Jungen aus

Srebrenica erschütterte die Weltöffentlich-keit. Die Mörder waren Angehö rige re-gulärer und para militärischer Einheitender Serben – Landsleute „Bato“ Principsalso.

Mitten in den bosnischen Killing Fieldstrifft er nun auf seine aus der Nähe Saraje-vos vertriebene Mutter: Dragica Princip, 92Jahre alt, lebt seit 1995 als Flüchtling in Bra-tunac. Zwischen Holzkisten voller Äpfel,Klopapierrollen und Flaschen mit selbstge-branntem Pflaumenschnaps versucht dieAlte, Würde zu wahren. Sie war ja anderesgewohnt: Zu jugoslawischen Zeiten „stan-den uns alle Türen offen, wir hatten Privi-legien“, sagt Dragica – die Verwandtschaftzum Attentäter sei hilfreich gewesen.

Draußen, vor Dragicas Tür, liegt einegeschundene Stadt. Zur Ruine verkom-men ist das Hotel Fontana, wo der Serben-General Mladić dem niederlän -dischen Uno-Kommandanten Ton Karre-mans ein Schnapsglas in die Hand drück-te, ehe das tödliche Schicksal der mus -limischen Männer und Burschen aus derUno-Schutzzone seinen Lauf nahm.

Von tobenden Kindern umgeben ist dieSchule, in der Muslime 1992 zu Hundertenerschossen wurden. Als trügerische Idyllemit frisch gemähtem Rasen tarnt sich dasStadion „Brüderlichkeit und Einheit“, indem der FK Bratstvo inzwischen wiederHeimspiele bestreitet – nachdem dort1992 laut Abschlussbericht der Uno-Ex-pertenkommission massenhaft Muslimefestgehalten, verbrannt und in den nahenDrina-Fluss geworfen worden waren.

3337 Tote, fast ein Fünftel der Bevöl-kerung, hatte allein Bratunac zu beklagen.75 Massengräber wurden bislang im Um-kreis der Stadt gefunden. 612 Menschensind bis heute vermisst. Immer noch wer-den Opfer ausgegraben, DNA-Proben ent-nommen, Leichenteile identifiziert. Un-abdingbar im Sinn der Aufklärung sei

dies, sagt Adam Boys vonder Internationalen Kom-mission für Vermisste:„Denn der Brennstoff fürden Bosnien-Krieg in denNeunzigern kam aus un-geklärten Vorkommnis-sen während des Erstenund Zweiten Weltkriegs;wir müssen diesen Mythen -zirkel durch brechen.“

Bürgermeister von Bra-tunac, wo die alte DragicaPrincip lebt, ist allerdingsein Serbe aus der Ka-radžić-Partei. Einer, derbehauptet, sein damali-ger Parteichef sei an derSache mit den 8000 Totenvon Srebrenica nichtschuld; und was die Zu-kunft Bosniens angehe,

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Besucher im Museum am Attentatsort in Sarajevo Europas Schicksalsort, am Schnittpunkt zwischen Orient und Okzident, Rom und Byzanz

Ex-Jugoslawien 2014

ÖSTERREICH-UNGARN

SER-BIEN

ALBA-NIEN

UNGARN

RUMÄ-NIEN

MAZE-DONIEN

MONTE-NEGRO

MONTE-NEGRO

BOSNIEN-HERZEGOWINA

Bosnien-Herzegowina (1908 annektiert)

SLOWENIEN

KROATIEN

SERBIEN

KOSOVO

Sarajevo

Sarajevo

Balkanstaaten 1914

200 km

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sei es am besten, wenn jede Nation „ei-nen eigenen Staat hätte, selbst wenn da-für Grenzen geändert werden müssen“.

So reden und so denken noch immerviele in Bosnien-Herzegowina. Nicht nurSerben, auch Kroaten.

Sieben Autostunden westlich von Bra-tunac, dicht hinter der Außengrenze desEU-Neulings Kroatien, liegt geduckt ineine wilde Landschaft aus Wald und Felsin gespenstischer Stille die Kleinstadt Bosansko Grahovo im heutigen Bosnien-Herzegowina. Hier wurde der AttentäterGavrilo Princip geboren.

Von dem Haus, in dem er seine Kind-heit verbrachte, sind nur Außenmauernaus grobem Naturstein geblieben. Maro-dierende kroatische Truppen haben dasGebäude bei ihrem Feldzug zur Rück -eroberung verlorener Siedlungsgebiete1995 verwüstet – nachdem es zuvor, 1942,schon einmal von den Partisanen in Trüm-mer gelegt worden war, wie der Alte er-zählt, der vom Nachbargrundstück mitseinem Krückstock herüberschlurft.

Miljkan Princip, 81 Jahre alt, ist einVetter von Gavrilo „Bato“ und der letzteaus der Großfamilie, der vor Ort verblie-ben ist. Er hat das Königreich Jugosla-wien erlebt, die Partisanen, Titos Sozia-listische Republik, den Vormarsch radi-kaler Serben Anfang der Neunziger unddie brutale Rache der Kroaten danach.

98 Prozent der Häuser von BosanskoGrahovo wurden 1995 zerstört, zerschos-sen, ausgeräuchert. Der Hauptverantwort-liche für den Verwüstungsfeldzug, derkroatische Generalmajor Ante Gotovina,wurde in Den Haag wegen diverserKriegsverbrechen verurteilt, später aberfreigesprochen. Inzwischen macht er guteGeschäfte auf EU-Gebiet und ist Ehren-bürger der Küstenstadt Split.

Derweil schlagen sich in Bosansko Gra-hovo, zwischen den Ruinen der Gavrilo-Princip-Schule und des Gavrilo-Princip-Kulturhauses, die zurückgekehrten Ser-ben durch, so gut es geht. Ihre Stadt liegtnun im kroatisch dominierten Teil der Fö-deration – eine Serben-Hochburg in feind-licher Umgebung. 70 Prozent der Bevöl-kerung sind arbeitslos, im ÖffentlichenDienst kommen bevorzugt Nicht-Serbenunter. Vor der Polizeistation in Grahovohängt nicht die Flagge Bosnien-Herzego-winas, sondern jene Kroatiens.

„Es wird in dieser Gegend keinen Frieden geben, solange nicht jeder unterseinem eigenen Volk lebt“, sagt der ser-bische Bürgermeister. Und „Bato“ Prin-cip, der Nachfahr des Attentäters , warntRest-Europa vor der Illusion, dass dort,wo der Erste Weltkrieg ausbrach, alle ihreLektion gelernt hätten: „Denn in diesemunserem Land gibt es leider immer dreiWahrheiten – je eine für Serben, Kroatenund Muslime.“

Balkan Serie (II)