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4 Elektrische und magnetische Eigenschaften von Molekülen Die Verteilung der elektrischen Ladung in einem Molekül steht in enger Beziehung zu seiner Struktur und seiner Reaktivität. Die Kenntnis dieser Ladungsverteilung läßt recht gute Voraussagen über die physikalischen und chemischen Eigenschaften eines Moleküls zu. Eine vollständige Kenntnis der Ladungsverteilung erfordert die Angabe der La- dungsdichte an sämtlichen Punkten innerhalb eines Moleküls. Die Elektronendichte- verteilung kann experimentell durch Röntgen- oder Neutronenbeugung bestimmt werden (s. Abschn. 1.4.7 und 1.5.3). 4. l Dipolmoment und Polarisierbarkeit Häufig fällt in einem Molekül das Zentrum der durch die Atomkerne gebildeten positiven Ladung nicht mit dem Zentrum der durch die Elektronen gebildeten negati- ven Ladung zusammen. Der Abstand / zwischen diesen beiden Ladungszentren, multipliziert mit der positiven Ladung q, wird als elektrisches Dipolmoment ju bezeichnet. H = ql (4-1) Das Dipolmoment ist ein Vektor, dessen Richtung konventionsgemäß von der positiven zur negativen Ladung zeigt. Als Einheit des Dipolmomentes wird in der Chemie das Debye (D) verwendet. l D = 10~ 18 elektrostat. Einh. x cm = 3.334 x lO" 30 C m(C = Coulomb) Die Ladung eines Elektrons beträgt 4.802 x 10~ 10 elektrostat. Einh. oder 1.602 x 10~ 19 Coulomb. Ein Molekül mit einer um l Ä = 100 pm getrennten positi- ven und negativen Ladung besitzt also ein Dipolmoment von 4.80 D. Die Dipolmo- mente einfacher organischer Verbindungen liegen zwischen 0 und 6 D. Aus der Vektornatur des Dipolmoments folgt, daß man es aus Inkrementen für einzelne Bindungen oder Atomgruppen zusammensetzen kann, was sehr gut mit der Vorstellung von polaren Bindungen übereinstimmt (s. Abschn. 4.3). In einem elektrischen Feld wird einem Molekül ein der Feldstärke E proportiona- les Dipolmoment //, induziert, das aus der Verschiebung der Elektronen in Richtung Strukturen organischer Moleküle. Paul Rademacher Copyright © 1987 VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim ISBN: 3-527-26545-7

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4 Elektrische und magnetischeEigenschaften von Molekülen

Die Verteilung der elektrischen Ladung in einem Molekül steht in enger Beziehungzu seiner Struktur und seiner Reaktivität. Die Kenntnis dieser Ladungsverteilungläßt recht gute Voraussagen über die physikalischen und chemischen Eigenschafteneines Moleküls zu.

Eine vollständige Kenntnis der Ladungsverteilung erfordert die Angabe der La-dungsdichte an sämtlichen Punkten innerhalb eines Moleküls. Die Elektronendichte-verteilung kann experimentell durch Röntgen- oder Neutronenbeugung bestimmtwerden (s. Abschn. 1.4.7 und 1.5.3).

4. l Dipolmoment und Polarisierbarkeit

Häufig fällt in einem Molekül das Zentrum der durch die Atomkerne gebildetenpositiven Ladung nicht mit dem Zentrum der durch die Elektronen gebildeten negati-ven Ladung zusammen. Der Abstand / zwischen diesen beiden Ladungszentren,multipliziert mit der positiven Ladung q, wird als elektrisches Dipolmoment jubezeichnet.

H = ql (4-1)

Das Dipolmoment ist ein Vektor, dessen Richtung konventionsgemäß von derpositiven zur negativen Ladung zeigt. Als Einheit des Dipolmomentes wird in derChemie das Debye (D) verwendet.

l D = 10~18 elektrostat. Einh. x cm = 3.334 x lO"30 C m(C = Coulomb)

Die Ladung eines Elektrons beträgt 4.802 x 10~10 elektrostat. Einh. oder1.602 x 10~19 Coulomb. Ein Molekül mit einer um l Ä = 100 pm getrennten positi-ven und negativen Ladung besitzt also ein Dipolmoment von 4.80 D. Die Dipolmo-mente einfacher organischer Verbindungen liegen zwischen 0 und 6 D.

Aus der Vektornatur des Dipolmoments folgt, daß man es aus Inkrementen füreinzelne Bindungen oder Atomgruppen zusammensetzen kann, was sehr gut mit derVorstellung von polaren Bindungen übereinstimmt (s. Abschn. 4.3).

In einem elektrischen Feld wird einem Molekül ein der Feldstärke E proportiona-les Dipolmoment //, induziert, das aus der Verschiebung der Elektronen in Richtung

Strukturen organischer Moleküle. Paul RademacherCopyright © 1987 VCH Verlagsgesellschaft mbH, WeinheimISBN: 3-527-26545-7

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des positiven Pols und der Atomkerne zum negativen Pol resultiert (Abb. 4-1). DieProportionalitätskonstante a in Gl. (4-2) wird als Polarisierbarkeit des Molekülsbezeichnet.

rt = a£ (4-2)

Sie ist ein Maß für die Leichtigkeit, mit der die Ladungen innerhalb des Molekülsunter dem Einfluß eines äußeren Feldes verschoben werden können. Wegen derwillkürlichen Orientierung der Moleküle gegenüber dem elektrischen Feld stellt aeinen Mittelwert dar. Die Polarisierbarkeit hat die Dimension eines Volumens undist von der Größenordnung der Molekülvolumina, also etwa 10~24 cm3.

Da die intramolekulare Ladungsverschiebung dem angelegten Feld entgegenge-richtet ist, macht sie sich makroskopisch durch eine Schwächung des äußeren elektri-schen Feldes bemerkbar. Diese Schwächung wird durch die DielektrizitätskonstanteD gemessen, die gemäß Gl. (4-3) als Verhältnis der Feldstärke im Vakuum zurFeldstärke in der Substanz zwischen den Kondensatorplatten definiert ist. D ist stetsgrößer als l.

— EVakuum Substanz (4-3)

Den Zusammenhang zwischen D und a vermittelt die auf ein mol Substanzbezogene Gl. (4-4) von Clausius-Mosotti mit der Molmasse M und der Dichte d:

D- l M 4n- (4-4)

Pu ist die Molpolarisation, die sich aus der Atompolarisation PA und der Elektro-nenpolarisation PE zusammensetzt, und NA ist die Avogadro-Konstante. Der Haupt-anteil (ca. 90%) entfällt dabei auf PE, da sich die Elektronen im Vergleich zu denAtomkernen nahezu trägheitslos verschieben lassen.

^ -K

Abb. 4-1. Polarisierung von dipollosen Molekülen in einem elektrischen Feld. Unter dem Einflußdes äußeren Feldes werden die Elektronen und die Atomkerne etwas verschoben und damit einDipolmoment & induziert.

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4.2 Messung von Dipolmomenten 91

Im Falle eines polaren Moleküls, das also bereits ein permanentes Dipolmoment //besitzt, addiert sich das induzierte Dipolmoment \JL{ zu \JL, da sich die Dipolmoleküledem Coulombschen Gesetz entsprechend im äußeren Feld ausrichten. Die zugehö-rige Orientierungspolarisation Po ist um so größer, je größer das Dipolmoment ist.Andererseits wirkt ihr die thermische Bewegung der Moleküle entgegen, so daß P0

umgekehrt proportional der Temperatur ist. Dieser Sachverhalt wird durch dieDebye-Gleichung ausgedrückt:

P0 = (4n/3)NA^/(3kT) (4-5)

Für ein Dipolmolekül ergibt sich also die Molpolarisation als Summe der Verschie-bungspolarisation (PA + PE), die auch bei dipollosen Molekülen auftritt, und derOrientierungspolarisation der Dipolmoleküle:

4.2 Messung von Dipolmomenten

4.2.1 Bestimmung von ju mit Hilfe von Gl. (4-6)

Zur Bestimmung des Dipolmomentes eines Moleküls in der Gasphase oder alsverdünnte Lösung in einem unpolaren Solvens mißt man die DielektrizitätskonstanteD bei zwei oder mehreren Temperaturen und trägt PM gegen l /T auf. Der erhaltenenGeraden kann man nach Gl. (4-6) a aus dem Ordinatenabschnitt und /i2 aus derSteigung entnehmen. Die Fehlergrenze dieser Methode liegt bei etwa 1%.

4.2.2 Optische Methode

Eine zweite Methode, die sog. optische Methode, besitzt den Vorteil, daß Messun-gen bei verschiedenen Temperaturen nicht erforderlich sind, die u. U. bei empfindli-chen Substanzen problematisch sein können. Bei dieser Methode wird die Gesamtpo-larisation PM bei einer Temperatur gemessen und die Verschiebungspolarisationabgezogen. Letztere läßt sich nach der Lorenz-Lorentz-Gleichung refraktometrischaus der Molrefraktion bestimmen:

R = — (n = Brechungsindex) (4-7)n2+ 2 d

Dabei macht man sich die Tatsache zunutze, daß die drei Anteile der Gesamtpola-risation, PE, PA und PQ, in stark verschiedener Weise auf ein elektrisches Wechselfeld

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92 4 Elektrische und magnetische Eigenschaften von Molekülen

PM

ff'« iT l l l T

108 109 1011 1Q12 1Q13

Frequenz Hz

1011 101' 10"

Abb. 4-2. Abhängigkeit der Molpolarisation PM von der Frequenz eines elektrischen Wechselfeldes.Bei hoher Frequenz besteht die Molpolarisation ausschließlich aus der Elektronenpolarisation PE,da nur die Elektronen dem Wechselfeld folgen können. Bei mittleren Frequenzen kommt dieAtompolarisation PA und bei niedrigen Frequenzen außerdem noch die OrientierungspolarisationPO hinzu. Der Anstieg der Kurve oberhalb ca. l O14 Hz ist auf eine Absorption von UV-Strahlungzurückzuführen.

ansprechen. Eine Auftragung von PM gegen die Frequenz des Wechselfeldes zeigtAbb. 4-2.

Dipolmoleküle benötigen infolge ihrer Trägheit zu ihrer Ausrichtung eine Zeitvon etwa 10~ns. Im hochfrequenten Wechselfeld des Lichtes können die Dipoledem Feldwechsel nicht mehr folgen, so daß keine Dipolorientierung erfolgt.

Bei der Frequenz der Infrarotstrahlung mißt man die gesamte Verschiebungspola-risation, also die Summe von Atom- und Elektronenpolarisation. Hier vermögendie Atomkerne dem Wechselfeld, das in seiner Frequenz den Schwingungen desKerngerüstes entspricht, noch zu folgen, während im Bereich des sichtbaren Lichtesnur noch die Elektronenpolarisation voll erfaßt wird. In Abb. 4-2 sind die Einflüsseder Strahlungsabsorption durch Schwingungsanregung im infraroten und durchElektronenanregung im sichtbaren und ultravioletten Spektralbereich unberücksich-tigt geblieben.

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43 Dipolmoment und Molekülstruktur 93

Die Ungenauigkeit des Verfahrens besteht darin, daß man die im Sichtbarengemessene Molrefraktion R der gesamten Verschiebungspolarisation Pv = PE + PA

gleichsetzt, während sie tatsächlich nur PE erfaßt. Man kann diesen Fehler vermin-dern, indem man PA mit 10-15% der Elektronenpolarisation näherungsweise inRechnung stellt.

Für Lösungsmessungen muß man die Dielektrizitätskonstante bei möglichst niedri-ger Konzentration messen bzw. auf unendliche Verdünnung extrapolieren, um Ef-fekte der Eigenassoziation der Dipolmoleküle zu eliminieren. Die Polarisation desLösungsmittels ist nach der Mischungsregel zu berücksichtigen. Über Einzelheiteninformiert die am Ende des Kapitels angegebene Literatur.

4.2.3 Elektrische Resonanz-Methode

Insbesondere für Substanzen mit geringer Flüchtigkeit und Löslichkeit eignet sichdie Molekularstrahl-Methode, bei der Ablenkungen im elektrischen Feld untersuchtwerden. Der Strahl passiert zwei inhomogene elektrische Felder, das erste lenkt ihnab und das zweite refokussiert ihn auf einen Detektor. Zwischen diesen beidenFeldern befindet sich ein drittes, homogenes elektrisches Feld, das seinerseits voneinem oszillierenden Feld senkrecht zum statischen Feld überlagert wird. Das oszillie-rende Feld, das eine Frequenz aus dem Mikrowellen-Bereich besitzt, induziert Über-gänge zwischen den Rotationszuständen des Dipolmoleküls. Bei der Resonanzfre-quenz befindet sich ein bestimmter Anteil der polaren Moleküle in einem angeregtenZustand und wird nicht mehr durch das zweite inhomogene Feld auf den Detektorfokussiert. Wenn Resonanz vorliegt, zeigt der Detektor folglich einen merklichenIntensitätsabfall an. Aus der Frequenz des Wechselfeldes und der Stärke des stati-schen, inhomogenen Feldes kann man einen Wert für u2Ie ermitteln, wobei 7e dasGleichgewichts-Trägheitsmoment ist. Aus der Abhängigkeit der Resonanzfrequenzvon der Feldstärke erhält man /i/e, so daß sowohl ^ als auch 7e berechnet werdenkönnen.

4.2.4 Stark-Effekt

Auf die Bestimmung von Dipolmomenten aus dem Stark-Effekt, also der imMW-Spektrum beobachteten Aufspaltung von Rotationslinien im elektrischen Feld,wurde in Abschn. 1.2.6 hingewiesen.

4.3 Dipolmoment und MolekülstrukturÜblicherweise ist von der Vektorgröße des Dipolmoments nur der Absolutwert,

nicht aber die Lage und Richtung im Molekül bekannt. Allerdings lassen die Symme-trieeigenschaften eines Moleküls wichtige Rückschlüsse zu. So kann das Molekül

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kein permanentes Dipolmoment besitzen (/i = 0), wenn es zentrosymmetrisch istoder wenn eine Drehspiegelachse, mehr als eine Drehachse oder eine zu einerSpiegelebene senkrechte Drehachse vorhanden sind. Beispiele für diese Fälle sindraes0-l,2-Dibrom-l,2-dichlorethan in der a^-Konformation (1), die SpiroVerbin-dungen 2 und 3, Allen (4) sowie 1,3,5-Trimethoxybenzol (5) in der gezeichnetenKonformation. Demgegenüber besitzen 1,3,5-Triacetoxybenzol (6, /i = 2.40 D) undTetrakis(dimethoxyboryl)methan (7, \i = 1.60 D) endliche Dipolmomente, weil ihreSymmetrie durch die Konformation der Substituenten erniedrigt wird.

Br

•n^^x

H'//„

CH-

CO — CH3

CH3—CO — 0' " ^0 — CO — CH3

6

(CH30)2B

B(OCH3)2

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4.3 Dipolmoment und Molekülstruktur 95

Moleküle mit einem von Null verschiedenen Dipolmoment müssen einer derfolgenden Symmetrieklassen angehören: C l5 Cs, Cn oder Cnv. Dipolmomente sindhauptsächlich für die Ermittlung der Symmetrie größerer organischer Molekülenützlich, die sich mit anderen Methoden weniger gut untersuchen lassen. So wurdez.B. für Phenazin (8) kein Dipolmoment gefunden (Hirshfeld u. Schmidt, 1957),während die Chalcanthrene (9) Dibenzo-l,4-dioxin (X = O), Thianthren (X = S),Selenanthren (X = Se) und Telluranthren (X = Te) endliche Momente besitzen(Distefano et al, 1983).

8 X - O, S, Se, Te

Daß 8 dementsprechend einQplanare und 9 gefaltete Strukturen besitzen, ergabenauch Röntgenstrukturanalysen. Das Dipolmoment von 9 beträgt je nach Hetero-atom zwischen 0.55 und 1.50D. Daraus wurden Faltungswinkel längs der X. . .X-Achse von 164-125° abgeschätzt.

Die Richtung des Dipolmoments kann aus dem Stark-Effekt im MW-Spektrumexperimentell bestimmt werden (s. Abschn. 1.2.6). Aber auch aus der Symmetriedes Moleküls ergeben sich Anhaltspunkte über die Lage des Dipolvektors, dieinsbesondere für die Placierung des refraktometrisch ermittelten Absolutwertes vonNutzen sind: Besitzt das Molekül eine Symmetrieachse, so fällt der Vektor mit dieserzusammen, und man muß nur noch sein positives und negatives Ende bestimmen.

Letzteres ist zumeist nicht schwierig. Häufig ergibt sich die Antwort schon aus denElektronegativitäten oder formalen Ladungen der beteiligten Atome. Andererseitskann man sie auch aus einem Vergleich mit einer substituierten Verbindung erhalten.

Beispiel 4-1 Nitrobenzol (10):

Der Dipolvektor des Nitrobenzols (10, ju = 3.97 D) muß in der C2-Achse liegen, und das negativeEnde weist in Richtung der Sauerstoff-Atome. Ein Vergleich mit Chlorbenzol (11, ju = 1.55 D) und4-Chlornitrobenzol (12, /* = 2.60 D) bestätigt, daß in beiden Fällen der Vektor vom Benzolkern zumSubstituenten weist. Das Dipolmoment der disubstituierten Verbindung (12) ist annähernd gleichder Differenz der Dipolmomente der beiden mono substituierten (3.97 — 1.55 = 2.42 D).

07N

10 111.55

122.60 D

An diesem Beispiel haben wir gesehen, daß sich zwei entgegengesetzt gerichteteTeilmomente vektoriell zum Gesamtmoment addieren lassen. Die Zerlegung des

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experimentell bestimmten Dipolmomentes in Komponenten stellt die nützlichsteMethode bei der Anwendung von Dipoluntersuchungen auf Strukturprobleme dar.

Wie im obigen Beispiel lassen sich die Dipolmomente von Molekülen mit mehrerenpolaren Gruppen durch eine Vektoraddition aus den Teilmomenten (Inkrementen)einzelner Bindungen oder Substituenten zusammensetzen. Für ein zweiatomigesMolekül wie HC1 ist das Dipolmoment gleich dem Bindungsmoment. Andere Bin-dungsmomente lassen sich bei bekannter Molekülgeometrie aus den Dipolmomen-ten einfacher Verbindungen ableiten. Analog kann man bei funktioneilen Gruppenverfahren. Für die an einen Benzolring gebundene Nitrogruppe erhält man einGruppenmoment \i (Car—NO2) von 4.0 D und für die C—Cl-Bindung \i (Car—Cl) =1.6 D. Einige weitere Gruppen- und Bindungsmomente sind in Tab. 4-1 aufgeführt.

Tab. 4-1. Bindungs- und Gruppenmomente ß (in D).

Bindung (H — >)

H-CaiH-Car

H— NH— 0C — NCal— 0

car-oc=oCal-Cl

car-ci

ß0.30.01.31.50.40.71.02.51.71.6

Gruppe (H — >) \i

Ca— N02 3.0caCa

ca

Ca

Ca

— NO2 4.0— CN 3.6— CN 4.0

= aliphatisches C-Atom= aromatisches Atom

Sind die Teilmomente ̂ und /^2 nicht parallel oder antiparallel zueinander, so istbei der Vektoraddition der Winkel 9 zu berücksichtigen, und das resultierendeMoment & ergibt sich nach Gl. (4-8).

^ = Vvi + A + 2/*!//2 cos 0 (4-8)

Bei disubstituierten Benzolderivaten sind z.B. für 0 die Werte 60, 120 oder 180°zu verwenden, wenn es sich um ortho-, meta- oder ^ara-Isomere handelt.

Allerdings ist das Verfahren der Vektoraddition von Bindungs- und Gruppenmo-menten keineswegs in jedem Fall zuverlässig, da deren Größe und Richtung sichvon Molekül zu Molekül verändern können. Wenn man beispielsweise annimmt,daß das Bindungsmoment //(C—Cl) gleich dem Dipolmoment des CH3C1 (1.86D)ist, dann ergibt sich aus dem Dipolmoment des CHC13 (l. l D) ein Cl—C—Cl-Winkelvon 116°, der mit dem tatsächlichen Wert von 110.4° annähernd übereinstimmt.Andererseits erhält man für CH2C12 aus seinem Dipolmoment (1.60 D) einenCl—C—Cl-Winkel von 130°, der um nahezu 20° vom tatsächlichen Wert (111.8°)abweicht.

Bei Benzolderivaten findet man größere Abweichungen von der Additivität, vor-nehmlich im Falle der l ,2-Disubstitution aufgrund sterischer Wechselwirkungen derSubstituenten, sowie bei 1,2- und 1,4-Derivaten aufgrund einer direkten konjugativenWechselwirkung der beteiligten Gruppen. Daß im Falle des obigen Beispiels dasexperimentell gefundene Dipolmoment von 12 etwas größer ist als erwartet, läßt

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4.3 Dipolmoment und Molekülstruktur 97

sich mit einer Übertragung von Elektronendichte vom Chlor-Atom zur Nitro-Gruppe durch den mesomeren Effekt erklären.

Der Nutzen des Dipolmoments zur Unterscheidung von Isomeren ist offensicht-lich. So kann man z.B. die cis/trans-Isomeren von Azobenzol (13), l,2-Difluorethy-len (14), Dinitrostyrol (15) und ähnlichen Verbindungen mit den gemessenen Dipol-momenten mühelos unterscheiden (s. Tab. 4-2).

Ö--G13 14

— N 0 2

15

Tab. 4-2. Dipolmomente \i (in D) der eis//raAw-Isomeren von Azobenzol (13), 1,2-Difluorethen (14) und Dinitrostyrol (15).

131415

eis

3.002.427.38

Irans

000.50

Manche Moleküle, die eine zentrosymmetrische Struktur erwarten lassen, besitzenein endliches Dipolmoment. Für Benzochinondianil (16) wurde ein Dipolmomentvon 1.45 D gefunden, das für diese Verbindung die Z-Konfiguration anzeigt. 1,4-Dimethoxybenzol (17) liegt im kristallinen Zustand in der E-Form (17 a) vor, inLösung wird jedoch ein Dipolmoment von 1.73 D gefunden. Beim Auflösen derSubstanz findet also ein Konformationswechsel statt. Ob allerdings die Z-Form(17 b), ein Gleichgewicht zwischen 17 a und 17 b oder eine nicht-ebene Form vorliegt,läßt sich allein aus dem Dipolmoment nicht entscheiden.

CH3

17 a 17b

Wertvolle Resultate liefern Dipolmoment-Untersuchungen auch bei der Konfor-mationsanalyse (Näheres s. Abschn. 5.2), wenn die Konformeren wie z.B. die anti-und die gauche-Form des l ,2-Dichlorethans (18) sich in ihrem Dipolmoment unter-scheiden. Aus der Temperaturabhängigkeit des mittleren Dipolmomentes des Kon-

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98 4 Elektrische und magnetische Eigenschaften von Molekülen

formerengemisches ergibt sich ein Energieunterschied von 3.6-5.0 kJ/mol je nachAggregatzustand bzw. Lösungsmittel zugunsten der anti-Form.

18 gauche, /i = 2.

4.4 Dipolmoment und elektronische Struktur

Das Dipolmoment ist ein direktes Maß für die Elektronenverteilung in einemMolekül. Strukturelle Veränderungen wie z. B. die Einführung von Substituentenlassen sich in ihrem Einfluß auf die elektronische Struktur am Dipolmoment ablesen.Während im vorigen Abschnitt die Geometrie aus der Elektronenverteilung be-stimmt wurde, soll jetzt umgekehrt die Elektronen Verteilung bei bekannter oder alsbekannt angenommener Geometrie ermittelt werden. Da nicht beides simultan ausnur einer Meßgröße, nämlich dem Dipolmoment, zu erhalten ist, muß dem Verfahrenein gewisser Mangel anhaften, und man wird deshalb gut daran tun, sorgfältig zuüberprüfen, ob und inwieweit die jeweiligen Annahmen zutreffen. So ließe sich z. B.nur dann genaueres über die Polarität der C—N-Bindung in dem Ylid 19 aus demDipolmoment (4.97 D) ableiten, wenn die Konformation bekannt wäre.

Aus diesem Grunde werden Untersuchungen zur Elektronenstruktur zumeist aufstarre Moleküle beschränkt.

l l

\\-rf t \TI • \-r l •

R3N C (-) R3N C (-) R 3 N — C (-) 19

Beispiel 4-2 Azulen:

Für die Valenzstruktur 20 a wäre ein sehr kleines Dipolmoment zu erwarten. Der tatsächlicheWert ii = l.OD paßt eher zu Struktur 20b. (Vgl. hierzu Band l, S. 161.) Die Richtung des Dipolmo-ments ergibt sich durch einen Vergleich mit dem Chlorderivat 21 (ß = 2.69 D) (Kurita u. Kubo,1957).

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4.5 Elektronenmagnetismus und magnetische Suszeptibilität 99

20 a 20 b 21

Unter dem Einfluß einer polaren Gruppe kann die Elektronenverteilung in einemMolekül im Vergleich mit der unsubstituierten Verbindung verändert werden. DieWirkung eines Substituenten wird bekanntlich in einen induktiven und einen mesome-ren Anteil zerlegt, wobei ersterer über die a- und letzterer über die rc-Elektronenwirkt. Daß eine exakte Trennung schwierig ist, wurde in zahlreichen experimentellenund theoretischen Untersuchungen von Substituenteneffekten festgestellt (s. z.B.Michl, 1978, 1984).

Die Dipolmomente von l-substituierten n-Alkanen nehmen mit der Kettenlängebis zu den Propanderivaten zu, bleiben dann aber nahezu konstant. Dies spiegeltdie relativ kurze Reichweite des induktiven Effektes wider. Die polare Gruppeinduziert in ihrer Nähe geringfügige andere Momente in den Bindungen. Im Chlor-ethan betragen diese induzierten Momente in den C—H-Bindungen der Methylen-gruppe 0.09 D und in der Methylgruppe 0.02 D. Die rasche Abnahme des induktivenEffektes zeigt sich auch darin, daß verzweigte Ketten stets eine größere Polarisierbar-keit besitzen als die isomeren n-Alkylgruppen.

Interessant ist die geminale Mehrfachsubstitution. Bei den Chlormethanen nimmtdas C—Cl-Bindungsmoment von 1.86 D im CH3C1 über 1.25 D im CH^C^ auf0.92 D im CHC13 ab, und gleichzeitig steigt das C—H-Bindungsmoment geringfügigvon 0.16 auf 0.19D. Diese beiden Effekte können einander z.T. kompensieren.Während Chloroform (1.20 D) im Vergleich mit dem Methylchlorid (1.87 D) einreduziertes Dipolmoment besitzt, ist das Dipolmoment im 1,1,1-Trichlorethan(1.77 D) wieder vergrößert und besitzt einen im Vergleich zum CH3C1 normalenWert.

4.5 Elektronenmagnetismus und magnetischeSuszeptibilität

Wie die elektrischen Eigenschaften der Materie durch elektrische Momente derAtome und Moleküle verursacht werden, lassen sich die magnetischen Erscheinun-gen auf magnetische Momente der Elementarteilchen zurückführen. Die Hauptrollespielen hierbei die permanenten magnetischen Momente, die für Paramagnetismusund Ferromagnetismus verantwortlich sind.

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1 00 4 Elektrische und magnetische Eigenschaften von Molekülen

Während als Träger permanenter elektrischer Momente nur Moleküle in Betrachtkommen, sind permanente magnetische Momente häufig auch Atomen zugeordnet.Dabei lassen sich Elektronen- und Kernmagnetismus unterscheiden. Die NMR-Spekroskopie beruht bekanntlich auf dem Magnetismus bestimmter Atomkerne wie!H, 13C, 15N, 31P u.a. Hier wollen wir uns ausschließlich mit den auf die Elektronenzurückzuführenden magnetischen Eigenschaften befassen.

Das magnetische Moment eines Elektrons ist etwa l O3 mal so groß wie dasjenigeeines Protons. Der Elektronenmagnetismus hängt mit der Bewegung der Elektronenzusammen. Der Bahndrehimpuls /?/ wird durch die magnetische Quantenzahl l be-stimmt:

s-Elektronen (/ = 0) besitzen demnach keinen Bahndrehimpuls, während p- undd-Elektronen (/ = l bzw. 2) endliche Werte von;?/ haben. Für das zugehörige magne-tische Moment /^/ des Elektrons gilt:

-(4-10)

Dabei bedeuten e die Elementarladung und m die Masse des Elektrons. ye = — e/2m ist das gyromagnetische Verhältnis. Das negative Vorzeichen von ye stammt vonder negativen Ladung des Elektrons und zeigt, daß Uj und /?/ antiparallel sind. DieProportionalität zwischen /i/ und /?/ wird als magnetomechanischer Parallelismusbezeichnet. Das magnetische Bahnmoment der Elektronen tritt also nach Gl. (4-10)als Vielfaches einer Elementareinheit, die Bohrsches Magneton UE genannt wird,auf. IJLE = eh/(4nm) besitzt eine Größe von 9.273 x 10~21 Gauß cm3. Auch dasmagnetische Bahnmoment eines Elektrons hängt also allein von der Nebenquanten-zahl l ab: s-Elektronen haben kein Bahnmoment, während p-Elektronen das magne-tische Bahnmoment ]/2uE besitzen [Gl. (4-10)].

Neben dem Bahndrehimpuls besitzt ein Elektron noch einen Spindrehimpuls ps,dessen Größe durch die Spinquantenzahl s festgelegt ist:

(4-H)

Für ein Elektron hat s den Wert l / 2 , und für ps ergibt sich:

ps = — 1/3 - 0.91 x 10-34 (Js) (4-12)

Die Orientierung des Spindrehimpulses ist wie alle Drehimpulse gequantelt undwird durch die magnetische Quantenzahl ms bestimmt. Für ein Elektron sind dieWerte ms = +!/2 und ms= -{/2 erlaubt. Man spricht auch von Elektronen mit a-bzw. ß-Spin. Die zugehörige Größe der Richtungskomponente des Drehimpulses istdann ±h/(4n).

Bei der Übertragung des magnetomechanischen Parallelismus auf den Elektronen-spin ist allerdings zu beachten, daß hier das Verhältnis von magnetischem Moment

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4.5 Elektronenmagnetismus und magnetische Suszeptibilität 101

zu Drehimpuls nicht wie in Gl. (4-10) ye = — e/2m, sondern g ye ist (magnetomechani-sche Anomalie des rotierenden Elektrons). Der sog. g-Faktor hat einen Wert von2.0023. Für das magnetische Spinmoment ns gilt also die Beziehung (4-13), so daßdas magnetische Spinmoment eines einzelnen Elektrons j/3/^B = ± 1.73//B ist.

(4-13)

In einem Atom, Ion oder Molekül addieren sich die Bahn- und Spinmomentealler Elektronen zu einem Gesamtmoment. Dabei resultiert in vielen Fällen bei hoherSymmetrie das Gesamtmoment 0. Solche Teilchen bezeichnet man als diamagnetischund unterscheidet sie von den paramagnetischen Teilchen, für die ein permanentesmagnetisches Moment charakteristisch ist. Diamagnetismus findet man immer dann,wenn nur doppelt besetzte Orbitale, also nur Elektronen mit gepaartem Spin, vorhan-den sind.

Bei Teilchen mit ungerader Gesamtelektronenzahl gibt es mindestens ein nureinfach besetztes Orbital. Daher werden nicht sämtliche magnetischen Momenteintramolekular kompensiert, sondern es bleibt mindestens ein Spinmoment übrig,so daß man hier Paramagnetismus findet.

Unter der Einwirkung äußerer Magnetfelder werden auch in Atomen und Mole-külen ohne festes magnetisches Moment magnetische Momente induziert, die demFeld entgegengerichtet sind. Sie sind die Ursache des Diamagnetismus.

Die permanenten und induzierten magnetischen Momente sind die Ursache derMagnetisierung, die beobachtet wird, wenn ein Körper in ein Magnetfeld gebrachtwird. Für dia- und paramagnetische Stoffe findet man, daß die Magnetisierung /der einwirkenden Feldstärke H proportional ist:

I=XuH (4-14)

Der Proportionalitätsfaktor %M , die magnetische Suszeptibilität bezogen auf l mol,ist eine für ihren Magnetismus charakteristische Größe der betreffenden chemischenVerbindung. Für diamagnetische Stoffe ist #M negativ und für paramagnetischepositiv. Für die molare Suszeptibilität gilt eine Beziehung, die derjenigen für dieMolpolarisation [Gl. (4-6)] ähnelt:

^ XD + XP = N^ aD + (4-15)

ocD ist die induzierte magnetische Suszeptibilität und /% das magnetische Momenteines Moleküls. XD un<i XP sind die molare diamagnetische bzw. paramagnetischeSuszeptibilität. Während die diamagnetische Suszeptibilität Temperatur-unabhängigist, ist die paramagnetische Suszeptibilität der Temperatur umgekehrt proportional.Dieser Befund läßt sich folgendermaßen erklären: In einem äußeren Magnetfeldführen die molekularen Magnete als Kreisel Präzessionsbewegungen um die Feld-achse aus. Je nach ihrer Orientierung zur Feldrichtung haben die Elementarmagneteeine unterschiedliche potentielle Energie, was sich durch die Gleichung (4-16) aus-drücken läßt. Dabei kennzeichnet 6 den Winkel zwischen Momentachse und Feld-richtung. £pot hat also ein Minimum, wenn // parallel zu H orientiert ist.

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1 02 4 Elektrische und magnetische Eigenschaften von Molekülen

(4-16)

Eine Magnetisierung der Probe tritt demnach in dem Umfang ein, wie sich diezunächst statistische Orientierung in die energieärmere parallele Ausrichtung um-wandelt. Nach Boltzmann ist die Wahrscheinlichkeit, daß im thermischen Gleichge-wicht ein Elementarmoment den Winkel 9 zur Feldrichtung einnimmt, proportionalzu e~EPot/kT oder e+^//cos^r. Im zeitlichen Mittel resultiert dann ein in der Feldrich-tung liegendes Moment ß oder die molare Magnetisierung 7mol:

Imoi = NAfi (4-18)

(Die analoge Rotation eines polaren Moleküls in einem elektrischen Feld wirdmit der Langevin-Funktion beschrieben.) Für eine Substanz ohne permanentes ma-gnetisches Moment ist XP = 0, und die magnetische Suszeptibilität wird allein durchden negativen Term %D gebildet; die Verbindung ist also diamagnetisch. Eine solcheSubstanz ist für magnetische Feldlinien weniger permeabel als das Vakuum undbewegt sich daher in einem inhomogenen Magnetfeld zum Bereich niedrigerer Feld-stärke. Wenn die Substanz jedoch permanente magnetische Dipole besitzt, überwiegtder positive Term XP den negativen #D-Term, so daß #M positiv ist. Eine solcheSubstanz heißt paramagnetisch. Sie ist für magnetische Feldlinien besser durchlässigals das Vakuum und bewegt sich deshalb in den Bereich höherer Feldliniendichte.Das entgegengesetzte Verhalten para- und diamagnetischer Verbindungen in eineminhomogenen Magnetfeld macht man sich bei der experimentellen Bestimmung dermagnetischen Suszeptibilität mit Hilfe der magnetischen Waage zunutze.

Einige Verbindungen, hauptsächlich Metalle und Legierungen, besitzen positiveXu~ Werte, die etwa l O3 mal größer sind als normale diamagnetische Suszeptibilitäten.Hierbei handelt es sich um den Ferromagnetismus, der jedoch bei organischen Verbin-dungen nicht auftritt.

Wie bereits erwähnt, tritt Paramagnetismus nur bei Molekülen mit einfach besetz-ten Molekülorbitalen auf. Radikale sind demnach paramagnetisch, und auf dieserEigenschaft beruht die wichtigste physikalische Untersuchungsmethode für Radi-kale, die Elektronenspinresonanz- Spektroskopie. Gewöhnliche organische Molekülebesitzen jedoch nur doppelt besetzte MOs und sind daher diamagnetisch.

Zur diamagnetischen Suszeptibilität eines Moleküls tragen sämtliche Elektronenbei. Angenähert läßt sie sich aus den Beiträgen der einzelnen Atome Xt zusammenset-zen, wobei jedoch noch empirische Korrekturen l für Mehrfachbindungen, aroma-tische Ringe u. ä. zu berücksichtigen sind:

A (N = Anzahl der Atome) (4- 1 9)/=!

Kristalline Stoffe zeigen häufig eine Anisotropie der diamagnetischen Suszeptibili-tät, die Rückschlüsse auf die Kristallstruktur ermöglicht. Dies ist insbesondere beiMolekülen mit delokalisierten Ti-Elektronen der Fall. So besitzt z. B. Hexamethyl-benzol in Richtung der Molekülebene eine molare Suszeptibilität von — 102 x10~6 cm3 und senkrecht zur Molekülebene von — 163.8 x 10~6 cm3.

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4.5 Elektronenmagnetismus und magnetische Suszeptibilität 103

Bei anorganischen und metallorganischen Verbindungen sind häufig wertvolleRückschlüsse auf die Struktur möglich, wenn Para- oder Diamagnetismus beobach-tet wird.

Weiterführende und ergänzende Literatur zu Kapitel 4

Buckingham A.D. (1970), „Electric Moments of Molecules", in Henderson D. (Hrsg.): PhysicalChemistry - An Advanced Treatise. Bd. TV/Molecular Properties, S. 349, Academic Press, New York.McClellan A. L. (1963/74): Tables of Experimental Dipole Moments. Freeman, San Francisco.Bd. 2, Rahara Enterprises, El Cerrito.Exner O. (1975): Dipole Moments in Organic Chemistry. Georg Thieme Verlag, Stuttgart.Finkelnburg W. (1976): Einführung in die Atomphysik. 12. Aufl., Springer-Verlag, Berlin.Franke E. und Zimmer H. (1973), „Elektrische Dipolmomente1', in Körte F. (Hrsg.), MethodicumChimicum, Bd. 1/2, S. 716.Kutzelnigg W. (1975): Einführung in die Theoretische Chemie. Bd. l, Verlag Chemie, Weinheim.Minkin V.l., Osipov O.A. und Zhdanov Y.A. (1970): Dipole Moments in Organic Chemistry.Plenum Press, New York.Smyth C.P. (1972), „Determination of Dipole Moments", in Weissberger A. und Rossiter B.W.(Hrsg.): Physical Methods of Chemistry. Bd. l, Teil 4, Wiley-Interscience, New York.

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