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Leseprobe Schiller, Friedrich Die Jungfrau von Orleans Eine romantische Tragödie Mit einem Kommentar von Alexander Reck und Barbara Potthast © Suhrkamp Verlag Suhrkamp BasisBibliothek 86 978-3-518-18886-6 Suhrkamp Verlag

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Leseprobe

Schiller, Friedrich

Die Jungfrau von Orleans

Eine romantische Tragödie

Mit einem Kommentar von Alexander Reck und Barbara Potthast

© Suhrkamp Verlag

Suhrkamp BasisBibliothek 86

978-3-518-18886-6

Suhrkamp Verlag

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Suhrkamp BasisBibliothek 86

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Diese Ausgabe der »Suhrkamp BasisBibliothek – ArbeitstextefÅr Schule und Studium« bietet nicht nur Friedrich Schillers»romantische TragÇdie« Die Jungfrau von Orleans, sondernim Anhang auch AuszÅge aus den Gerichtsprotokollen des Ver-fahrens gegen die historische Jeanne d’Arc sowie einen Kom-mentar, der alle fÅr das Verst�ndnis des StÅckes erforderlichenInformationen enth�lt: eine Zeittafel zu den historischen Ereig-nissen sowie Materialien zum geschichtlichen Hintergrund, eineZeittafel zu Leben und Werk des Autors, die Entstehungs- undTextgeschichte, die Wirkungsgeschichte, einen �berblick Åberdie Deutungsaspekte, Literaturhinweise sowie Wort- und Sach-erl�uterungen.Zu ausgesuchten Texten der Suhrkamp BasisBibliothek erschei-nen im Cornelsen Verlag HÇrbÅcher und CD-ROMs. WeitereInformationen erhalten Sie unter www.cornelsen.de.Barbara Potthast lehrt Deutsche Literaturwissenschaft an denUniversit�ten Stuttgart und OsnabrÅck. Habilitation zum histo-rischen Roman des 19. Jahrhunderts, Arbeiten zur Aufkl�rung,zum 19. Jahrhundert und zur klassischen Moderne.Alexander Reck, Dr. phil., Literaturwissenschaftler und Histo-riker, ist im Schuldienst in Baden-WÅrttemberg t�tig. VerÇffent-lichungen u. a. zu Eduard MÇrike, Friedrich Theodor Vischer,Paul Ernst, Erich K�stner, Goethe und Kafka.

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Friedrich SchillerDie Jungfrau von OrleansEine romantische TragÇdie

Mit einem Kommentarvon Barbara Potthastund Alexander Reck

Suhrkamp

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Der vorliegende Text folgt der Ausgabe:Friedrich Schiller, Werke und Briefe in zwÇlf B�nden.Herausgegeben von Otto Dahn, Heinz Gerd Ingenkamp,Rolf-Peter Janz, Gerhard Kluge, Herbert Kraft,Georg Kurscheidt, Matthias Luserke, Norbert Oellers,Mirjam Springer und Frithjof Stock. Band 5: Dramen IV.Herausgegeben von Matthias Luserke, Frankfurt am Main:Deutscher Klassiker Verlag 1996, S. 149-277 und S. 600-615.Karten im Kommentarteil: F cartomedia, Angelika Solibieda,Karlsruhe (angefertigt fÅr Gerd Krumeich, Jeanne d’Arc. DieGeschichte der Jungfrau von Orleans. C. H. Beck Wissen. Ver-lag C. H. Beck oHG, MÅnchen).

OriginalausgabeSuhrkamp BasisBibliothek 86

Erste Auflage 2009

Text: F Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1996

Kommentar: F Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung, des Çffent-lichen Vortrags sowie der �bertragung durch Rundfunk und Fernsehen,auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikro-film oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Satz: Jouve Germany, KriftelDruck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmUmschlagabbildung: Schiller-Nationalmuseum/Deutsches Literatur-archiv, MarbachUmschlaggestaltung: Regina GÇllner und Hermann MichelsPrinted in Germany

ISBN 978-3-518-18886-6

1 2 3 4 5 6 – 14 13 12 11 10 09

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Inhalt

Friedrich Schiller, Die Jungfrau von Orleans.Eine romantische TragÇdie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Anhang

AuszÅge aus den Gerichtsprotokollen desVerfahrens gegen die historische Jeanne d’Arc . . . . 147

Kommentar

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Entstehungs- und Textgeschichte . . . . . . . . . . . . . . 174

Der geschichtliche Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 180

Zeittafel der historischen Ereignisse . . . . . . . . . . . . 185

Wirkungsgeschichte und Nachleben . . . . . . . . . . . . 189

Deutungsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Wort- und Sacherl�uterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

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Die Jungfrau von OrleansEine romantische TragÇdie

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8 Personen

Personen

karl der siebente , KÇnig von Frankreich.kÇnigin isabeau , seine Mutter.agnes sorel , seine Geliebte.philipp der gute , Herzog von Burgund.graf dÅnois Bastard von Orleans.la hire , �

� kÇnigliche Offiziere.dÅ chatel �erzbischof von rheims .chatillon, ein burgundischer �

� Ritter.raoul , ein lothringischer �talbot , Feldherr der Engell�nder.lionel , �

� englische AnfÅhrer.fastolf , �montgomery , ein Walliser.mehrere franzÇsische, burgundische und

englische ritter.ratsherren von orleans.ein englischer herold .thibaut d’arc , ein reicher Landmann.margot, �louison, � seine TÇchter.johanna, �etienne, �claude marie, � ihre Freier.raimond, �bertrand, ein anderer Landmann.Die Erscheinung eines schwarzen Ritters.KÇhler und KÇhlerweib.Pagen, Soldaten und Volk.KÇnigliche Kronbediente, BischÇfe, Marsch�lle ,Magistratspersonen, Hofleute, Damen, Kinder und anderestumme Personen im Gefolge des KrÇnungszuges.Die Zeit der Handlung ist das Jahr 1430.Die Szene wechselt in verschiedenen Gegenden Frankreichs.

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Prolog*

Eine l�ndliche Gegend . Vorn zur Rechten ein Heiligen-bild* in einer Kapelle; zur Linken eine hohe Eiche .

ÆErster Auftrittæ

Thibaut d’Arc. Seine drei TÇchter. Drei junge Sch�fer, ihreFreier.thibaut Ja, liebe Nachbarn! Heute sind wir noch

Franzosen, freie BÅrger noch und HerrenDes alten Bodens, den die V�ter pflÅgten;Wer weiß, wer morgen Åber uns befiehlt!Denn aller Orten l�ßt der Engell�nderSein sieghaft Banner* fliegen, seine RosseZerstampfen Frankreichs blÅhende Gefilde.*

Paris hat ihn als Sieger schon empfangen,Und mit der alten Krone DagobertsSchmÅckt es den SprÇßling eines fremden Stamms.Der Enkel* unsrer KÇnige muß irrenEnterbt und flÅchtig durch sein eignes Reich,Und wider ihn im Heer der Feinde k�mpftSein n�chster Vetter und sein erster Pair*,Ja seine Rabenmutter fÅhrt es an.Rings brennen DÇrfer, St�dte. N�her stetsUnd n�her w�lzt sich der Verheerung RauchAn diese T�ler, die noch friedlich ruhn.– Drum, liebe Nachbarn, hab ich mich mit GottEntschlossen, weil* ichs heute noch vermag,Die TÇchter zu versorgen, denn das WeibBedarf in KriegesnÇten des BeschÅtzers,Und treue Lieb’ hilft alle Lasten heben.Zu dem ersten Sch�fer– Kommt, Etienne! Ihr werbt um meine Margot,

Prolog. Erster Auftritt 9

Vorspiel,Vorrede

Bild derJungfrauMaria

5

Fahne

Gegend,Landschaft

10

Karl VII. vonFrankreich

Angehorigerdes franz.Hochadels15

20 wahrend

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Die �cker grenzen nachbarlich zusammen,Die Herzen stimmen Åberein – das stiftetEin gutes Ehband!*

Zu dem zweiten Claude Marie! Ihr schweigt,Und meine Louison schl�gt die Augen nieder?Werd’ ich zwei Herzen trennen, die sich fanden,Weil ihr nicht Sch�tze mir zu bieten habt?Wer hat jetzt Sch�tze? Haus und Scheune sindDes n�chsten Feindes oder Feuers Raub –Die treue Brust des braven Manns alleinIst ein sturmfestes Dach in diesen Zeiten.

louison Mein Vater!claude marie Meine Louison!louison Johanna umarmend: Liebe Schwester!thibaut Ich gebe jeder dreißig Acker Landes

Und Stall und Hof und eine Herde – GottHat mich gesegnet und so segn’ er euch!

margot Johanna umarmend:Erfreue unsern Vater. Nimm ein Beispiel!Laß diesen Tag drei frohe Bande* schließen.

thibaut Geht! Machet Anstalt. Morgen ist die Hochzeit,Ich will, das ganze Dorf soll sie mit feiern.Die zwei Paare gehen Arm in Arm geschlungen ab

ÆZweiter Auftrittæ

thibaut Jeannette , deine Schwestern machen Hochzeit,Ich seh sie glÅcklich, sie erfreun mein Alter,Du, meine jÅng’re, machst mir Gram und Schmerz.

raimond Was f�llt euch ein! Was scheltet ihr die Tochter?thibaut Hier dieser wackre JÅngling, dem sich keiner

Vergleicht im ganzen Dorf, der Treffliche,Er hat dir seine Neigung zugewendet,Und wirbt um dich, schon ists der dritte Herbst,

10 Prolog

25

Ehebundnis

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35

40Verlobun-gen, Verbin-

dungen

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Mit stillem Wunsch, mit herzlichem BemÅhn,Du stÇßest ihn verschlossen, kalt, zurÅck,Noch sonst ein andrer von den Hirten allenMag dir ein gÅtig L�cheln abgewinnen.– Ich sehe dich in JugendfÅlle prangen,Dein Lenz* ist da, es ist die Zeit der Hoffnung,Entfaltet ist die Blume deines Leibes,Doch stets vergebens harr’ ich*, daß die BlumeDer zarten Lieb’ aus ihrer Knospe breche,Und freudig reife zu der goldnen Frucht!O das gef�llt mir nimmermehr und deutetAuf eine schwere Irrung der Natur!Das Herz gef�llt mir nicht, das streng und kaltSich zuschließt in den Jahren des GefÅhls.

raimond Laßt’s gut sein, Vater Arc! Laßt sie gew�hren!Die Liebe meiner trefflichen JohannaIst eine edle zarte Himmelsfrucht,Und still allm�hlig reift das KÇstliche!Jetzt liebt sie noch, zu wohnen auf den Bergen,Und von der freien Heide fÅrchtet sieHerabzusteigen in das niedre DachDer Menschen, wo die engen Sorgen wohnen.Oft seh ich ihr aus tiefem Tal mit stillemErstaunen zu, wenn sie auf hoher Trift*

In Mitte ihrer Herde ragend steht,Mit edelm Leibe, und den ernsten BlickHerabsenkt auf der Erde kleine L�nder.Da scheint sie mir was hÇh’res zu bedeuten,Und dÅnkt mir’s oft, sie stamm’ aus andern Zeiten.

thibaut Das ist es, was mir nicht gefallen will!Sie flieht der Schwestern frÇhliche Gemeinschaft,Die Çden Berge sucht sie auf, verl�ssetIhr n�chtlich Lager vor dem Hahnenruf,Und in der Schreckensstunde, wo der MenschSich gern vertraulich an den Menschen schließt,

Zweiter Auftritt 11

55

Fruhling

warte ich

60

65

70

Weide (von›treiben‹:der Ort, wo-hin getrie-ben wird)

75

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12 Prolog

Schleicht sie, gleich dem einsiedlerischen Vogel*,Heraus ins graulich dÅstre GeisterreichDer Nacht, tritt auf den Kreuzweg* hin und pflegtGeheime Zweisprach* mit der Luft des Berges.Warum erw�hlt sie immer diesen OrtUnd treibt gerade hieher ihre Herde?Ich sehe sie zu ganzen Stunden sinnendHier unter dem Druidenbaume sitzen,Den alle glÅckliche GeschÇpfe fliehn.Denn nicht geheur ists hier, ein bÇses WesenHat seinen Wohnsitz unter diesem BaumSchon seit der alten grauen Heidenzeit.Die �ltesten im Dorf’ erz�hlen sichVon diesem Baume schauerhafte M�ren*,Seltsamer Stimmen wundersamen KlangVernimmt man oft aus seinen dÅstern Zweigen.Ich selbst, als mich in sp�ter D�mmrung einstDer Weg an diesem Baum vorÅberfÅhrte,Hab ein gespenstisch Weib hier sitzen sehn.Das streckte mir aus weitgefaltetemGewande langsam eine dÅrre HandEntgegen, gleich als winkt’ es, doch ich eilteFÅrbaß* und Gott befahl ich meine Seele.

raimond auf das Heiligenbild in der Kapelle zeigend:Des Gnadenbildes segenreiche N�h,Das hier des Himmels Frieden um sich streut,Nicht Satans Werk fÅhrt eure Tochter her.

thibaut O nein! nein! Nicht vergebens zeigt sichs mirIn Tr�umen an und �ngstlichen Gesichten*.Zu dreien Malen hab’ ich sie gesehnZu Rheims auf unsrer KÇnige Stuhle sitzen,Ein funkelnd Diadem* von sieben SternenAuf ihrem Haupt, das Zepter* in der Hand,Aus dem drei weiße Lilien* entsprangen,Und ich, ihr Vater, ihre beiden Schwestern

wie die Eule

Wegkreu-zung

Zwiesprache90

95

Geschichten

100

105

weiter

110

Erscheinun-gen, Offen-

barungen

115WertvollerStirnreif

Herrscher-stab

Erscheinenim Wappen

der franz.Konige

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Und alle FÅrsten, Grafen, ErzbischÇfe,Der KÇnig selber, neigten sich vor ihr.Wie kommt mir solcher Glanz in meine HÅtte?O das bedeutet einen tiefen Fall!Sinnbildlich stellt mir dieser WarnungstraumDas eitle Trachten ihres Herzens dar.Sie sch�mt sich ihrer Niedrigkeit – weil GottMit reicher SchÇnheit ihren Leib geschmÅckt,Mit hohen Wundergaben sie gesegnet,Vor allen Hirtenm�dchen dieses Tals,So n�hrt sie sÅnd’gen Hochmut in dem Herzen,Und Hochmut ist’s, wodurch die Engel fielen,Woran der HÇllengeist den Menschen faßt.

raimond Wer hegt bescheidnern tugendlichern SinnAls eure fromme Tochter? Ist sie’s nicht,Die ihren �ltern Schwestern freudig dient?Sie ist die hochbegabteste von allen,Doch seht ihr sie wie eine niedre MagdDie schwersten Pflichten still gehorsam Åben,Und unter ihren H�nden wunderbarGedeihen euch die Herden und die Saaten;Um alles was sie schafft ergießet sichEin unbegreiflich Åberschwenglich GlÅck.

thibaut Ja wohl! Ein unbegreiflich GlÅck – Mir kommtEin eigen Grauen an bei diesem Segen!– Nichts mehr davon. Ich schweige. Ich will schweigen;Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?Ich kann nichts tun als warnen, fÅr sie beten!Doch warnen muß ich – Fliehe diesen Baum,Bleib nicht allein, und grabe keine WurzelnUm Mitternacht, bereite keine Tr�nke,Und schreibe keine Zeichen in den Sand –Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister,Sie liegen wartend unter dÅnner Decke,Und leise hÇrend stÅrmen sie herauf.

Zweiter Auftritt 13

120

125

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Bleib nicht allein, denn in der WÅste tratDer Satansengel selbst zum Herrn des Himmels .

ÆDritter Auftrittæ

Bertrand tritt auf, einen Helm in der Hand.raimond Still! Da kommt Bertrand aus der Stadt zurÅck.

Sieh was er tr�gt!bertrand Ihr staunt mich an, ihr seid

Verwundert ob* des seltsamen Ger�tesIn meiner Hand.

thibaut Das sind wir. Saget an.Wie kamt ihr zu dem Helm, was bringt ihr unsDas bÇse Zeichen in die Friedensgegend?Johanna, welche in beiden vorigen Szenen still und ohneAnteil auf der Seite gestanden, wird aufmerksam und trittn�her.

bertrand Kaum weiß ich selbst zu sagen, wie das DingMir in die Hand geriet. Ich hatte eisernesGer�t mir eingekauft zu Vaucouleurs*,Ein großes Dr�ngen fand ich auf dem Markt,Denn flÅcht’ges Volk war eben angelangtVon Orleans mit bÇser Kriegespost*.Im Aufruhr lief die ganze Stadt zusammen,Und als ich Bahn mir mache durchs GewÅhlDa tritt* ein braun Bohemerweib* mich anMit diesem Helm, faßt mich ins Auge scharfUnd spricht: Gesell, ihr suchet einen Helm,Ich weiß, ihr suchet einen. Da! Nehmt hin!Um ein geringes steht er euch zu Kaufe.– Geht zu den Lanzenknechten , sagt’ ich ihr,Ich bin ein Landmann, brauche nicht des Helmes.Sie aber ließ nicht ab und sagte ferner:Kein Mensch vermag zu sagen, ob er nicht

14 Prolog

155

wegen

160

165Stadtchenim Nordenvon Dom-

remy

Nachrichtenvom Krieg

170

tritt zu mir

Zigeunerin

175

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Des Helmes braucht. Ein st�hlern Dach fÅrs HauptIst jetzo mehr wert als ein steinern Haus.So trieb sie mich durch alle Gassen, mirDen Helm aufnÇtigend, den ich nicht wollte.Ich sah den Helm, daß er so blank und schÇnUnd wÅrdig eines ritterlichen Haupts,Und da ich zweifelnd in der Hand ihn wog,Des Abenteuers Seltsamkeit bedenkend,Da war das Weib mir aus den Augen schnell,Hinweggerissen hatte sie der StromDes Volkes, und der Helm blieb mir in H�nden.

johanna rasch und begierig darnach greifend:Gebt mir den Helm!

bertrand Was frommt* euch dies Ger�te?Das ist kein Schmuck fÅr ein jungfr�ulich Haupt.

johanna entreißt ihm den Helm:Mein ist der Helm und mir gehÇrt er zu.

thibaut Was f�llt dem M�dchen ein?raimond Laßt ihr den Willen!

Wohl ziemt ihr dieser kriegerische Schmuck,Denn ihre Brust verschließt ein m�nnlich Herz.Denkt nach, wie sie den Tigerwolf* bezwang,Das grimmig wilde Tier, das unsre HerdenVerwÅstete, den Schrecken aller Hirten.Sie ganz allein, die lÇwenherz’ge Jungfrau,Stritt mit dem Wolf und rang das Lamm ihm ab,Das er im blut’gen Rachen schon davon trug .Welch tapfres Haupt auch dieser Helm bedeckt,Er kann kein wÅrdigeres zieren!

thibaut zu Bertrand: Sprecht!Welch neues KriegesunglÅck ist geschehn?Was brachten jene FlÅchtigen?

bertrand Gott helfeDem KÇnig und erbarme sich des Landes!Geschlagen sind wir in zwei großen Schlachten ,

Dritter Auftritt 15

180

185

190

nutzt

195

Tupfelhyane(franz.›loup-tigre‹)

200

205

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Mitten in Frankreich steht der Feind, verlorenSind alle L�nder bis an die Loire* –Jetzt hat er seine ganze Macht zusammenGefÅhrt, womit er Orleans belagert.

thibaut

Was! GnÅgt ihm nicht in Mitternacht* zu herrschen,Und soll auch noch der friedliche Mittag*

Des Krieges Geißel fÅhlen?bertrand Unermeßliches

GeschÅtz ist aufgebracht von allen Enden,Und wie der Bienen dunkelnde GeschwaderDen Korb umschw�rmen in des Sommers Tagen,Wie aus geschw�rzter Luft die HeuschreckwolkeHerunterf�llt und Meilenlang die FelderBedeckt in unabsehbarem Gewimmel,So goß sich eine Kriegeswolke ausVon VÇlkern Åber Orleans Gefilde,Und von der Sprachen unverst�ndlichemGemisch verworren dumpf erbraus’t das Lager.Denn auch der m�chtige Burgund, der L�nder-Gewaltige hat seine Mannen alleHerbeigefÅhrt, die LÅt t i cher, Luxemburger,Die Hennegauer, die vom Lande Namur,Und die das glÅckliche Brabant bewohnen,Die Åpp’gen Genter, die in Samt und SeideStolzieren, die von See land, deren St�dteSich reinlich aus dem Meeres-Wasser heben,Die Herdenmelkenden Hol l�nder, dieVon Utrecht , ja vom �ußersten West f r ies land ,Die nach dem Eispol schaun – Sie alle folgenDem Heerbann* des gewaltig herrschendenBurgund und wollen Orleans bezwingen.

thibaut O des unselig jammervollen Zwists,Der Frankreichs Waffen wider Frankreich wendet!

bertrand Auch sie, die alte KÇnigin, sieht man,

16 Prolog

210Fluss imWesten

Frankreichs

im Norden

Suden

215

220

225

230

235Aufruf andie Wehrfa-higen, sich

fur denKrieg zu be-

waffnen

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Die stolze Isabeau, die BaierfÅrstin,In Stahl gekleidet durch das Lager reiten,Mit gift’gen Stachelworten alle VÇlkerZur Wut aufregen wider ihren Sohn,Den sie in ihrem Mutterschoß getragen!

thibaut Fluch treffe sie! Und mÇge Gott sie einstWie jene stolze Jesabel verderben!

bertrand Der fÅrchterliche Salsbury , der Mauren-ZertrÅmmerer*, fÅhrt die Belagrung an,Mit ihm des LÇwen Bruder Lione l ,Und Talbot , der mit mÇrderischem SchwertDie VÇlker niederm�het in den Schlachten.In frechem Mute haben sie geschworen,Der Schmach zu weihen alle Jungfrauen,Und was* das Schwert gefÅhrt, dem Schwert zu opfern.Vier hohe Warten* haben sie erbaut,Die Stadt zu Åberragen; oben sp�htGraf Salsbury mit mordbegier’gem Blick,Und z�hlt den schnellen Wandrer auf den Gassen.Viel tausend Kugeln schon von Zentners LastSind in die Stadt geschleudert, Kirchen liegenZertrÅmmert, und der kÇnigliche TurmVon Notre Dame beugt sein erhabnes Haupt.Auch Pulverg�nge haben sie gegrabenUnd Åber einem HÇllenreiche stehtDie bange Stadt, gew�rtig* jede Stunde,Daß es mit Donners Krachen sich entzÅnde.Johanna horcht mit gespannter Aufmerksamkeit undsetzt sich den Helm auf

thibaut Wo aber waren denn die tapfern Degen*

Saintrailles , La Hire und Frankreichs Brustwehr*,Der heldenmÅt’ge Bastard , daß der FeindSo allgewaltig reißend vorw�rts drang?Wo ist der KÇnig selbst, und sieht er mÅßigDes Reiches Not und seiner St�dte Fall?

Dritter Auftritt 17

240

245

Mauernzer-trummerer

250

wer

255 Beobach-tungsturme

260

265 erwartend

Kampfer

RingformigeSchutz-mauer aufBefesti-gungsanla-gen

270

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bertrand Zu Chinon* h�lt der KÇnig seinen Hof,Es fehlt an Volk, er kann das Feld nicht halten.Was nÅtzt der FÅhrer Mut, der Helden Arm,Wenn bleiche Furcht die Heere l�hmt?Ein Schrecken, wie von Gott herabgesandt,Hat auch die Brust der Tapfersten ergriffen.Umsonst erschallt der FÅrsten Aufgebot*.Wie sich die Schafe bang zusammen dr�ngen,Wenn sich des Wolfes Heulen hÇren l�ßt,So sucht der Franke*, seines alten RuhmsVergessend, nur die Sicherheit der Burgen.Ein einz’ger Ritter nur, hÇrt’ ich erz�hlen,Hab’ eine schwache Mannschaft aufgebracht,Und zieh’ dem KÇnig zu mit sechzehn Fahnen*.

johanna schnell:Wie heißt der Ritter?

bertrand Baudricour. Doch schwerlichMÇcht’ er des Feindes Kundschaft* hintergehn,Der mit zwei Heeren seinen Fersen folgt.

johanna Wo h�lt der Ritter? Sagt mirs, wenn ihrs wisset.bertrand Er steht kaum eine Tagereise weit

Von Vaucouleurs.thibaut zu Johanna:

Was kÅmmerts dich! Du fragstNach Dingen, M�dchen, die dir nicht geziemen.

bertrand Weil nunder Feind som�chtigund keinSchutzVom KÇnig mehr zu hoffen, haben sieZu Vaucouleurs einmÅtig den BeschlußGefaßt, sich dem Burgund zu Åbergeben.So tragen wir nicht fremdes Joch und bleibenBeim alten KÇnigsstamme – ja vielleichtZur alten Krone fallen wir zurÅck,Wenn einst Burgund und Frankreich sich versÇhnen.

johanna in Begeisterung:Nichts von Vertr�gen! Nichts von �bergabe!

18 Prolog

Stadt in derTouraine

275

Vgl. Erl. zuV. 235

280

Franzose

285

Abzeichenvon Trup-

peneinhei-ten

Kund-schafter

290

295

300

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Der Retter naht, er rÅstet sich zum Kampf.Vor Orleans soll das GlÅck des Feindes scheitern,Sein Maß ist voll, er ist zur Ernte reif.Mit ihrer Sichel wird die Jungfrau kommen,Und seines Stolzes Saaten niederm�hn,Herab vom Himmel reißt sie seinen Ruhm,Den er hoch an den Sternen aufgehangen.Verzagt nicht! Fliehet nicht! Denn eh der Rocken*

Gelb wird, eh sich die Mondesscheibe fÅllt,Wird kein engl�ndisch Roß mehr aus den WellenDer pr�chtig strÇmenden Loire trinken.

bertrand Ach! Es geschehen keine Wunder mehr!johanna Es geschehn noch Wunder – Eine weiße Taube

Wird fliegen und mit AdlerskÅhnheit diese GeierAnfallen, die das Vaterland zerreißen.Darnieder k�mpfen wird sie diesen stolzenBurgund, den Reichsverr�ter, diesen TalbotDen himmelstÅrmend hunderth�ndigen,Und diesen Salsbury, den Tempelsch�nder,Und diese frechen Inselwohner alleWie eine Herde L�mmer vor sich jagen.Der Herr wird mit ihr sein, der Schlachten Gott.Sein zitterndes GeschÇpf wird er erw�hlen,Durch eine zarte Jungfrau wird er sichVerherrlichen, denn er ist der Allm�cht’ge!

thibaut Was fÅr ein Geist ergreift die Dirn?raimond Es ist

Der Helm, der sie so kriegerisch beseelt.Seht eure Tochter an. Ihr Auge blitzt,Und glÅhend Feuer sprÅhen ihre Wangen!

johanna Dieser alte Thron soll fallen? Dieses LandDes Ruhms, das schÇnste, das die ew’ge Sonne siehtIn ihrem Lauf, das Paradies der L�nder,Das Gott liebt, wie den Apfel seines Auges ,Die Fesseln tragen eines fremden Volks!

Dritter Auftritt 19

305

310 Roggen

315

320

325

330

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– Hier scheiterte der Heiden Macht. Hier warDas erste Kreuz, das Gnadenbild erhÇhet*,Hier ruht der Staub des heil’gen Ludewig ,Von hier aus ward Jerusalem erobert .

bertrand erstaunt:HÇrt ihre Rede! Woher schÇpfte sieDie hohe Offenbarung – Vater Arc!Euch gab Gott eine wundervolle Tochter!

johanna Wir sollen keine eignen KÇnigeMehr haben, keinen eingebornen Herrn –Der KÇnig, der nie stirbt , soll aus der WeltVerschwinden – der den heil’gen Pflug beschÅtzt,Der die Trift beschÅtzt und fruchtbar macht die Erde,Der die Leibeignen in die Freiheit fÅhrt ,Der die St�dte freudig stellt um seinen Thron –Der dem Schwachen beisteht und den BÇsen schreckt,Der den Neid nicht kennet, denn er ist der GrÇßte,Der ein Mensch ist und ein Engel der ErbarmungAuf der feindsel’gen Erde. – Denn der ThronDer KÇnige, der von Golde schimmert, istDas Obdach der Verlassenen – hier stehtDie Macht und die Barmherzigkeit – es zittertDer Schuldige, vertrauend naht sich der Gerechte,Und scherzet mit den LÇwen um den Thron!Der fremde KÇnig, der von außen kommt,Dem keines Ahnherrn heilige GebeineIn diesem Lande ruhn, kann er es lieben?Der nicht jung war mit unsern JÅnglingen,Dem unsre Worte nicht zum Herzen tÇnen,Kann er ein Vater sein zu seinen SÇhnen?

thibaut Gott schÅtze Frankreich und den KÇnig. – WirSind friedliche Landleute, wissen nichtDas Schwert zu fÅhren, noch das kriegerische RoßZu tummeln*. – Laßt uns still gehorchend harren,Wen uns der Sieg zum KÇnig geben wird.

20 Prolog

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