Swiss Medical Forum 5/2016 · PDF fileImmunologie (SGAI) stellen in ... läre System wird...

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Swiss Medical Forum Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Organe officiel de la FMH pour la formation continue Bollettino ufficiale per la formazione della FMH Organ da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 5 3. 2. 2016 114 T. Carrel, A. Kammermann, C. Huber, et al. Behandlung von Erkrankun- gen der Mitralklappe 121 V. Aubert, M. Bauer, L. Bernasconi, et al. Irreführende Bluttests zur Diagnostik von Nahrungsmittel- unverträglichkeiten 123 S. Filippi, E. Bächli, G. Tscherry, C. Alfaré Ungutes aus dem Mediastinum 108 A. D. Kistler Interstitielle Nephritis SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

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SwissMedical Forum

Offizielles Fortbildungsorgan der FMHOrgane officiel de la FMH pour la formation continueBollettino ufficiale per la formazione della FMHOrgan da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch

With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”

5 3

. 2. 2

016

114 T. Carrel, A. Kammermann, C. Huber, et al.Behandlung von Erkrankun­gen der Mitralklappe

121 V. Aubert, M. Bauer, L. Bernasconi, et al.Irreführende Bluttests zur Diagnostik von Nahrungsmittel­unverträglichkeiten

123 S. Filippi, E. Bächli, G. Tscherry, C. AlfaréUngutes aus dem Mediastinum

108 A. D. KistlerInterstitielle Nephritis

SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

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Und anderswo …?

A. de Torrenté

107 Empagliflozin (Jardiance®): ein echter Fortschritt? Übersichtsartikel

A. D. Kistler

108 Interstitielle NephritisInterstitielle Nephritiden werden in der Differentialdiagnose der Niereninsuffizienz oft etwas vergessen, obwohl die Inzidenz gerade bei älteren Personen zu steigen scheint. Dies liegt an den milden und unspezifischen Befunden und der ätiologischen Heterogenität dieser Krankheits-gruppe.

T. Carrel, A. Kammermann, C. Huber, E. Roost, D. Reineke, F. Praz, P. Wenaweser, S. Windecker

114 Behandlung von Erkrankungen der MitralklappeAufgrund des schleichenden Verlaufs und der relativ späten Operationsindikation stellt die Mitralklappeninsuffizienz nach der valvulären Aortenstenose die zweithäufigste operierte Klappenerkrankung dar, obwohl sie im Vergleich zur Aortenpathologie eine höhere Prävalenz aufweist. Bis vor kurzem war die Rekonstruktion der Mitralklappe dem Klappenersatz überlegen und wurde ungeachtet der Ätiologie der Mitralinsuffizienz als Therapie der ersten Wahl betrachtet.

Seite der Fachgesellschaften

V. Aubert, M. Bauer, L. Bernasconi, A. J. Bircher, C. Chizzolini, E. Dayer, L.-F. Debétaz, W. Fierz, G. Müllner, M. Fontana, T. Hauser,

I. Heijnen, A. Helbling, N. Jeannet-Peter, F. Keller, S. Regenass, P. Roux-Lombard, P. Schmid-Grendelmeier, F. Spertini, C. Weilenmann,

U. Wirthmüller, B. Wüthrich

121 Irreführende Bluttests zur Diagnostik von Nahrungsmittel unverträglichkeitenDie klinische Fachkommission und die Kommission Labordiagnostik der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) stellen in der Schweiz eine verbreitete Anwendung von wissenschaftlich nicht gesicherten Testmethoden fest, die angeblich Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen diagnostizieren sollen. Diese kostspieligen Tests sind für die betroffenen Patienten nutzlos.

INHALTSVERZEICHNIS 105

Redaktion

Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska, Basel (Managing editor); Prof. Dr. David Conen, Basel; Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern

Beratende Redaktoren

Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg; Dr. Pierre Périat, Basel; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal

Advisory Board

Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne; Dr. Sven Streit, Bern; PD Dr. Ryan Tandjung, Zürich

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Fallberichte

S. Filippi, E. Bächli, G. Tscherry, C. Alfaré

123 Ungutes aus dem MediastinumEine zuvor gesunde 40-jährige, aus Thailand stammende Patientin beklagte seit zwei Monaten einen unproduktiven Husten. Eine Behandlung mit Clarithromycin brachte keine wesentliche Besserung. Der darauffolgende Röntgen-Thorax zeigte eine Transparenzminderung rechts thorakal. Zusätzlich berichtete die Patientin über eine geringgradige Belastungsdyspnoe sowi e zunehmende Rückenschmerzen, Müdigkeit und schwere, kraftlose Beine.

Extended abstracts from SMW

New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 126.

INHALTSVERZEICHNIS 106

ImpressumSwiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-ForumOffizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin

Redaktionsadresse: Ruth Schindler, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch

Manuskripteinreichung online: http://www.edmgr.com/smf

Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte-verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55,Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch

Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected]

Abonnemente FMH-Mitglieder: FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected] Abonnemente: EMH Schweize-rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 75, Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected]: zusammen mit der Schweizerischen Ärzte- zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize-rische Ärzte zeitung 1 Jahr CHF 175.– / Studenten CHF 88.– zzgl. Porto (kürzere Abonnementsdauern: siehe www.medicalforum.ch)

ISSN: Printversion: 1424-3784 / elektronische Ausgabe: 1424-4020Erscheint jeden Mittwoch

© EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG(EMH), 2016. Das Swiss Medical Forum ist eine Open- Access-Publika tion von EMH. Entsprechend gewährt EMH allen Nutzern auf der Basis der Creative-Commons-Lizenz «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbei-tung en 4.0 International» das zeitlich unbeschränkte Recht, das Werk zu ver-viel fältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen unter den Bedin-gungen, dass (1) der Name des Autors genannt wird, (2) das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und (3) das Werk in keiner Weise bear-beitet oder in anderer Weise verändert wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur mit ausdrück licher vorgängiger Erlaub-nis von EMH und auf der Basis einer schriftlichen Vereinbarung zulässig.

Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift pu blizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit Verfassernamen gezeichneten Ver-öffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht zwangsläufig die Meinung der SMF-Redaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Appli-kationsformen, vor allem von Neuzu-lassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der verwende-ten Medikamente verglichen werden.

Herstellung: Schwabe AG, Muttenz, www.schwabe.ch

Titelbild: © Science Pics | Dreamstime.com

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Und anderswo …?Antoine de Torrenté

Empagliflozin (Jardiance®): ein echter Fortschritt?

FragestellungDie Typ-2-Diabetes-Epidemie mit ihren Aus-wirkungen insbesondere auf das kardiovasku-läre System wird mehr und mehr zu einem echten volksgesundheitlichen Problem. Es ist jedoch unklar, ob die Senkung des Blutzucker-spiegels mit Sicherheit einen Rückgang kardio-vaskulärer Ereignisse und Todesfälle bewirkt, auch wenn der Trend nach einer Langzeitbe-handlung positiv ist. In letzter Zeit sind zahl-reiche neue Antidiabetika auf den Markt ge-kommen. Dazu gehören Medikamente, welche die Reabsorption von Glukose in den Nieren-tubuli hemmen und bei ihrer Einführung für Furore gesorgt haben. Sie hemmen den Na-trium-Glukose-Cotransporter (SGLT-2) und in-duzieren so eine Glukosurie und Natriurese. Empagliflozin hat eine positive Wirkung auf den arteriellen Blutdruck, Harnsäurewert und die Albuminurie gezeigt. Welche Auswirkun-gen hat es auf die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität in einer Diabetikerpopulation mit hohem kardiovaskulärem Risiko?

Methode Die Studie fand in 590 Zentren in 42 Ländern statt. Die Diabetiker waren >18 Jahre alt, litten

an einer bestätigten kardiovaskulären Er-krankung (~50% mit Myokardinfarkt, ~75% mit KHK und ~25% mit Schlaganfall) und wie-sen eine glomeruläre Filtrationsrate von min-destens 30 ml/min/1,73 m2 auf. Sie wurden im Verhältnis von 1 : 1 : 1 randomisiert und erhiel-ten 10 oder 25 mg Empagliflozin täglich bzw. ein Plazebo. In den ersten 12 Studienwochen erhielten sie weiterhin ihre Blutzucker- sowie Blutdruck- und Blutfett-senkende Standard-therapie. Anschliessend wurde diese nach dem Ermessen der Prüfer angepasst. Primärer Endpunkt war eine Kombination aus kardio-vaskulärem Tod, nichttödlichem Myokardin-farkt oder Schlaganfall. Sekundärer Endpunkt war der primäre Endpunkt plus Spitalein-weisung aufgrund von Herzinsuffizienz. Das mediane Follow-up betrug 3,1 Jahre.

ResultateInsgesamt wurden 7020 Patienten behandelt. Der primäre Endpunkt trat ein bei 490 von 4687 Patienten unter 10 oder 25 mg Empagli-flozin, also bei 10,5% (kein Unterschied bzgl. der Dosierungen), sowie bei 282 von 2333 Pa-tienten unter Plazebo, also 12,1%, p = 0,04. Bei den Patienten in der Empagliflozingruppe kam es signifikant seltener zu einer Herz-insuffizienz (2,7 vs. 4,1%). Als Nebenwirkungen trat in der Empagliflo-zingruppe – neben Genitalinfektionen bei

10% der Frauen – bei 0,4% der Probanden eine Urosepsis auf, im Vergleich zu 0,1% in der Pla-zebogruppe.

Probleme und KommentarDie in einer angesehenen Fachzeitschrift pu-blizierte Studie hinterlässt ein leicht ungutes Gefühl. Auch wenn die Resultate nicht zu be-streiten sind, zeigt die Analyse der Kurven der kardiovaskulären sowie der Gesamtsterblich-keit eine unerklärliche, extrem rasche Sepa-ration der Verum- und Plazebogruppe mit einem abrupten, beinahe asymptotischen Anstieg der Todesfälle in der Plazebogruppe ab Monat 42. Hinzu kommt eine 0,4%ige Uro-sepsisrate in der Empagliflozingruppe. Des Weiteren müssten 39 Patienten drei Jahre lang behandelt werden, um einen Todesfall zu vermeiden. Und schliesslich wurde die Studie von der Industrie, in diesem Fall von Boehrin-ger Ingelheim, finanziert und mitkonzipiert. Die Erklärung für den Nutzen von Empagli-flozin bleibt unklar: Verringerung der arte-riellen Steifigkeit, Senkung des Harnsäure-werts, Verbesserung der Herzfunktion? Wahr-scheinlich ist das Medikament eine sinnvolle Add-On-Therapie bei Typ-2-Diabetes, jedoch kein Allheilmittel.Zinman B, et al. N Engl J Med. 2015 Nov. 26;373(22):2117–28.

Ritalin: sinnvoll?Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-störung (ADHS) kann die Schullaufbahn be-troffener Kinder stark beeinträchtigen. Me-thylphenidat (Ritalin®) ist eine anerkannte, jedoch stark kritisierte Behandlung. Eine Meta analyse, die 12 000 Kinder und junge Er-wachsene von 3–21 Jahren einschloss, hat nun anhand der Einschätzungen von Lehrkräften den Nutzen von Ritalin bestätigt. Die Autoren der Metaanalyse weisen jedoch darauf hin, dass viele Studien einem Bias unterliegen können. Ein grosses Problem ist nach wie vor die Langzeitwirkung des Medikaments auf ein in der Entwicklung befindliches Gehirn …Storebø OJ, et al. BMJ. 2015 Nov. 25;351:5203.

Chikungunya-Fieber: Enzephalitis?Die Klimaerwärmung begünstigt die Ausbrei-tung von Mücken nach Norden. Damit besteht nun die Gefahr des Auftretens von Krankhei-ten, die hierzulande bis dato selten waren. Zu diesen gehört das Chikungunya-Fieber (auch «Gebeugter Mann» genannt). Anhand der Analyse von 300 000 Fällen auf La Réunion

2005 und 2006 konnten 57 Enzephalitiden mit positivem Virusnachweis im Liquor identifi-ziert werden. Ein dreijähriges Follow-up ergab neurologische Folgeschäden bei 30–40% der betroffenen Kinder. Die Mortalität betrug 17%. Da kann man nur auf die Entwicklung eines Impfstoffes hoffen …Gérardin P, et al. Neurology. 2016 Jan 5;86(1):94–102.

Behandlung asymptomatischer Bakteri-urien: Zunahme der Antibiotikaresistenzen?Die Behandlung asymptomatischer Bakteri-urien ist eine gängige Praxis, wird jedoch aus-schliesslich für Schwangere und Männer vor invasiven urologischen Eingriffen empfohlen. In einer Studie wurden 550 Frauen mit 39-mo-natigem Follow-up untersucht. 257 wurden nicht, 293 mit Antibiotika behandelt. Bei den behandelten Frauen war das Rezidivrisiko für eine Bakteriurie um das Vierfache erhöht mit signifikant häufigeren Escherichia coli-Resis-tenzen bei der Gabe von Amoxicillin-/Cla-vulansäure, Bactrim und Ciproxin als bei den unbehandelten Frauen. Fazit: keine Behand-

lung, ausser wenn die anerkannten Indikatio-nen vorliegen.Cai T, et al. Clin Infect Dis. 2015 Dec 1;61(11):1655–61. Wagenlehner FM, Naber KG. Clin Infect Dis. 2015 Dec 1;61(11):1662–3.

Grauer Star: bald keine Operationen mehr?Grauer Star (nach dem 70. Lebensjahr sind 50% der Personen betroffen) entsteht durch eine Veränderung der Anordnung der Kristal-linproteine (Kristalline) im Augeninneren, die zusammenklumpen und trüb werden. Nun ist es Forschern gelungen, an den Kristallinen in vitro diese Veränderungen rückgängig zu machen. Dies durch die Behandlung mithilfe eines kleinen Moleküls («Komponente 29») bzw. durch ein Zwischenprodukt der Biosyn-these von Cholesterin namens Lanosterol. Tierversuche waren ebenfalls erfolgverspre-chend. Schlechte Nachrichten für die Ophthal-mo logen …Zhao L, et al. Nature. 2015 Jul 30;523(7562):607–11. Makley LN, et al. Science. 2015 Nov 6;350(6261): 674–7. Quinlan RA. Science. 2015 Nov 6;350(6261):636–7.

UND ANDERSWO …? 107

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(5):107

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ÜBERSICHTSARTIKEL 108

Eine heterogene Gruppe von Nierenerkrankungen

Interstitielle NephritisAndreas D. Kistler

Medizinische Klinik, Nephrologie und Dialyse, Kantonsspital Frauenfeld

Interstitielle Nephritiden werden in der Differentialdiagnose der Niereninsuffizienz oft etwas vergessen, obwohl die Inzidenz gerade bei älteren Personen zu steigen scheint. Dies liegt an den milden und unspezifischen Befunden und der ätiologi­schen Heterogenität dieser Krankheitsgruppe. Das klinische Bild der häufigsten Form, der medikamentösen akuten interstitiellen Nephritis, hat sich mit einem veränderten Spektrum von auslösenden Medikamenten über die letzten Jahrzehnte gewandelt, ist heute oft weniger eindrücklich und wird wohl auch deshalb gerne übersehen.

Einleitung

Die interstitiellen Nephritiden umfassen eine ätio­logisch und klinisch heterogene Gruppe von Nieren­erkrankungen. Das Interstitium der Niere, der Raum zwischen den Nierentubuli und Glomeruli, ist im gesun­den Zustand sehr eng und besteht aus wenig lockerem Bindegewebe, peritubulären Kapillaren und einigen Makrophagen. Bei der akuten interstitiellen Nephritis (AIN) findet sich histologisch ein Ödem und ein zellu­läres Infiltrat im Interstitium sowie oft eine Entzün­dung der angrenzenden Tubuli («Tubulitis»). Bei der chronischen interstitiellen Nephritis (CIN) stehen ne­ben einer etwas weniger prominenten zellulären Infiltration eine interstitielle Fibrose und Tubulus­atrophie im Vordergrund. Der akuten interstitiellen Nephritis (AIN) liegt in der Mehrzahl der Fälle eine Medi kamenten­allergische Genese zugrunde, seltener sind autoimmune und infektiöse Ursachen. Eine chro­nische interstitielle Nephritis (CIN) kann durch eine Vielzahl von Ätiologien ausgelöst werden, so dass diese als ein unspezifisches Reaktionsmuster der Niere auf verschiedenste Noxen verstanden werden kann (Tab. 1). Wir werden uns im Folgenden vorwiegend mit der AIN, insbesondere der medikamentösen, befassen. Diese stellt, vor allem aufgrund der unspezifischen Be­funde, eine wahrscheinlich oft übersehene Ursache ei­ner akuten oder subakuten Niereninsuffi zienz dar. Ein eigenes Spektrum interstitieller Nierenschädigungen findet sich in Transplantatnieren; in der folgenden Dis­kussion werden wir uns aber auf Eigennieren be­schränken.

Akute interstitielle Nephritis

Ätiologie und PathogeneseDer Begriff «akute interstitielle Nephritis» wurde be­reits 1898 in einem Übersichtsartikel [1] geprägt und deren wesentliche histologische Merkmale benannt. Der Erkrankung, die vor allem bei Kindern beschrie­ben wurde, lagen bakterielle Infektionen zugrunde, insbesondere Scharlach und Diphtherie. Ironischer­weise wurden Antibiotika, welche diesen früher be­Andreas D. Kistler

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(5):108–113

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ÜBERSICHTSARTIKEL 109

drohlichen Infektionskrankheiten den Schrecken nah­men, später zur weitaus häufigsten Ursache einer AIN. Basierend auf neueren grossen Fallserien kann davon ausgegangen werden, dass heute ca. 80% der AIN medika mentös bedingt sind [2–4]. Die Liste möglicher auslösender Medikamente ist lang. Am häufigsten ver­antwortlich sind Antibiotka, nicht­steroidale Anti­rheumatika (NSAR), Allopurinol und Protonenpum­peninhibitoren (PPI) (Tab. 2), in der Mehrzahl der Fälle

liegt ein allergischer Mechanismus zugrunde. Dieser ist nicht dosisabhängig und führt in der Regel bei Re­exposition zu einem Rezidiv.Neben Medikamenten können verschiedene Autoim­munerkrankungen einen renalen Befall in Form einer interstitiellen Nephritis zeigen: Sarkoidose, systemi­scher Lupus erythematosus (SLE), Sjögren­Syndrom und das seltene TINU­Syndrom (tubulointerstitielle Nephritis und Uveitis). Infektiöse Ursachen einer AIN (Tab. 1) sind heute in entwickelten Ländern selten.

Klinik und LaborbefundeBei den ersten Beschreibungen einer medikamentösen AIN, ausgelöst durch Penicillin oder Methicillin, fanden sich bei den allermeisten Patienten Fieber, eine Eosino­philie und ein Exanthem als systemische Befunde. Im Urin zeigten praktisch alle Patienten eine Proteinurie, eine Mikrohämaturie und eine Leukozyturie [5]. Seit­her hat sich mit dem Wandel der Ätiologie (andere aus­lösende Medikamente) auch das klinische Bild der medikamentösen AIN geändert. Die «klassische Trias» Fieber, Eosinophilie und Exanthem findet sich nur noch bei ca. 5–10% aller Patienten, mindestens die Hälfte zeigt gar keines dieser systemischen Zeichen [3]. Der Urinbefund ist etwas sensitiver: Bei den meisten Pa­tienten (90–95%) findet sich eine leichte bis mässige Proteinurie, bei ca. 80% eine sterile Leukozyturie und in ca. zwei Drittel der Fälle eine Mikrohämaturie [3]. Die Proteinurie ist typischerweise relativ mild ausge­prägt und besteht aufgrund des tubulären Ursprungs vorwiegend aus Nicht­Albumin. Dies lässt sich durch gleichzeitiges Bestimmen des Protein/Kreatinin­ und des Albumin/Kreatinin­Quotienten nachweisen. Kli­nisch relevant und in der Regel der Grund dafür, dass eine AIN erkannt wird, ist eine akute bis subakute Verschlechterung der Nierenfunktion, die bis zur Dia­lysepflichtigkeit führen kann. Eher selten berichten Patienten über Schmerzen in den Nierenlogen (Kapsel­spannungsschmerz).Da viele Kliniker immer noch aus Textbüchern das klassische Bild einer Methicillin­induzierten AIN als Engramm im Kopf tragen, werden Verlaufsformen eine r AIN mit subtileren Urinbefunden und fehlenden Allgemeinsymptomen wohl häufig übersehen. Neben Methicillin zeigen auch einige andere Substanzklassen ein typisches klinisches Bild (Tab. 2). Speziell zu erwäh­nen sind die PPI, die im letzten Jahrzehnt zunehmend mit Fällen von AIN in Verbindung gebracht wurden [6, 7]. Hier kommen systemische Symptome kaum vor, und typischerweise sind auch die Urinbefunde nur mild ausgeprägt bzw. können gänzlich fehlen, so dass in dieser Situation eine AIN oft klinisch nicht vermutet wird.

Tabelle 1: Einteilung der akuten und chronischen interstitiellen Nephritiden nach Ätiologie.

Akut Chronisch

Medikamentös (ca. 80%) – allergisch – nicht-allergisch (selten)

Infektassoziiert (ca. 5%) – Bakterien: Streptokokken, Staphylo-

kokken, Diphtherie, Legionellen, Salmonellen, Brucellen, Mycobakterien

– Viren: CMV, EBV, HIV, Hantavirus– Pilze: Candida, Histoplasma

Autoimmun (ca. 10%)– Systemerkrankungen: Sarkoidose,

SLE, Sjögren, TINU, ANCA-Vaskulitis– Renal limitiert (Anti-TBM-Antikörper)

Idiopathisch

Medikamentös-toxisch– Calcineurin-Inhibitoren, Lithium, Indinavir,

Cisplatin, Analgetika, Aristolochiasäure

Schwermetalle– Blei, Cadmium

Infektiös– chronische Pyelonephritis, BK-Virus (bei

Nierentransplantation), Mykobakterien etc.

Autoimmun– Sarkoidose, SLE, Sjögren, TINU, ANCA-

Vaskulitis

Alloimmun– chronische Nierentransplantatabstossung

Metabolisch– Hypokaliämische Nephropathie

Strahlennephritis

Chronische Stauung / postobstruktiv

Genetisch– Autosomal dominante tubulointerstitielle

Nierenerkrankung (ADTKD), Zystinose etc.

Kristalle– Phosphat, Urat, Oxalat

Abkürzungen: CMV, Cytomegalievirus; EBV, Epstein-Barr-Virus; SLE, systemischer Lupus erythe-matodes; TINU, tubulointerstitielle Nephritis und Uveitis; ANCA, Anti-Neutrophilen-Cytoplasma-Anti-körper; TBM, tubuläre Basalmembran.

Tabelle 2: Häufigste medikamentöse Auslöser einer akuten interstitiellen Nephritis und typische klinische Charakteristika.

Medikament Klinische Charakteristika

Antibiotika

– Betalaktame Oft klassische Trias (Fieber, Eosinophilie, Hautausschlag)

– Sulfonamide Oft klassische Trias (Fieber, Eosinophilie, Hautausschlag)

– Fluorchinolone Meist keine systemischen Zeichen

– Rifampicin Vor allem bei intermittierender Gabe, kombiniert mit hämolytischer Anämie, Thrombopenie und Hepatitis; Antikörper-vermittelt

Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR)

Meist keine systemischen Zeichen, keine Eosinophilie, Latenz meist mehrere Monate, oft mit nephrotischer Proteinurie (zusätzlich glomeruläre Veränderungen im Sinne einer minimal change disease oder sekundären membranösen Nephropathie)

Protonenpumpen-hemmer (PPI)

Keine systemischen Zeichen; Sediment und Proteinurie meist nur geringgradig abnorm; lange Latenz

Allopurinol Tritt v.a. bei vorbestehender Niereninsuffizienz auf; meist Haut - ausschlag und erhöhte Leberwerte, mitunter unter dem Bild eines DRESS (drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms) verlaufend

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ÜBERSICHTSARTIKEL 110

Die Latenzzeit vom Beginn der Medikamenteneinnah­ me bis zum Auftreten einer AIN beträgt, wie dies für eine T­Zell­vermittelte Typ­IV­Hypersensitivitätsreak­tion typisch ist, im Durchschnitt ca. 10–14 Tage und in 80% <3 Wochen. Allerdings kann eine AIN ausnahms­weise auch einige Zeit später auftreten. PPI stellen auch hinsichtlich Latenzzeit eine wichtige Ausnahme dar: Diese beträgt im Mittel drei Monate und in Einzelfäl­len bis zu einem Jahr [6]. Eine lange Latenzzeit findet sich auch häufig bei NSAR.Bei nicht­medikamentösen Ursachen einer AIN finden sich in der Regel analoge Urinbefunde wie bei der medi kamentösen AIN: Leichte tubuläre Proteinurie, sterile Leukozyturie und gegebenenfalls eine Mikro­hämat urie. Die systemischen Symptome und Befunde hänge n von der allenfalls zugrundeliegenden System­erkrankung ab.

Epidemiologie und HäufigkeitGenaue Angaben zur Häufigkeit der AIN sind schwer zu machen, da viele Fälle wahrscheinlich nicht erkannt werden und bei klinischem Verdacht oft keine biopti­sche Diagnosesicherung erfolgt. In grossen Kollektiven wird der Anteil von AIN unter allen Nierenbiopsien um 2–3% angegeben. Bei Nierenbiopsien wegen akuter Niereninsuffizienz findet sich aber je nach Fallserie in 7–27% eine AIN [8]. In den letzten Jahren hat sich insbe­sondere bei älteren Patienten eine steigende Inzidenz von AIN gezeigt [7, 9], was an einer zunehmenden Poly­pharmazie bei dieser Patientengruppe liegen könnte, in Kombination mit einer erhöhten Anfälligkeit vorge­schädigter Nieren für eine AIN.Exakte Zahlen, wie oft bestimmte Medikamente eine AIN verursachen, sind naturgemäss schwer zu eruie­ren. PPI, die in neueren Fallserien für 5–15% der AIN verantwortlich gemacht werden, scheinen das Risiko für eine AIN um das 7­Fache zu erhöhen [10]. Das ab­solute Risiko einer AIN unter PPI ist aber mit ca. 12 pro 100 000 Personenjahren sehr gering, genauso wie wohl auch bei den meisten anderen Medikamenten. Die AIN als mögliche Komplikation spricht somit nicht gegen den Einsatz dieser Medikamente bei vorhande­ner Indikation.

DiangostikDie sichere Diagnose einer AIN erfordert eine Nieren­biopsie (Abb. 1). Als nichtinvasiver Test wurde der Nach­weis von eosinophilen Granulozyten im Urin (Eosino­philurie) propagiert. Während schon in initialen Studien die Sensitivität und Spezivität mit ca. 70% tief waren [8], haben neuere Untersuchungen gezeigt, dass eine Eosinophilurie kaum zwischen AIN und anderen Pathologien zu unterscheiden vermag und äusserst

Abbildung 1: (A) Unauffällige Niere (H&E, Originalvergrösserung ×125). (B) Akute

interstitielle Nephritis (H&E, Originalvergrösserung ×125). Charakteristisch ist das inter-

stitielle Ödem, mit interstitiellen Infiltraten vorwiegend aus Lymphozyten und Histio-

zyten sowie einzelnen eosinophilen Granulozyten, und Tubulitis mit Lymphozyten im

Tubulusepithel. (C) Chronische interstitielle Nephritis (Silber-Methenamin-Färbung,

Originalvergrösserung ×80). Charakteristisch ist die diffuse interstitielle Fibrose und

Tubulusatrophie (Tubuli mit kleineren Querschnitten und verdickter Basalmembran),

mit geringeren interstitiellen Infiltraten und geringerer Tubulitis. Die histologischen

Abbildungen wurden freundlicherweise von Frau Dr. A. Gaspert zur Verfügung gestellt.

A

B

C

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ÜBERSICHTSARTIKEL 111

wenig sensitiv ist [11, 12]. Die Suche nach einer Eosino­philurie hat daher in der klinischen Routine keinen Platz mehr, zumal der Test relativ arbeitsintensiv ist und einer Spezialfärbung bedarf. So stützt sich die Ver­dachtsdiagnose einer AIN meist auf eine Kombination der oben beschriebenen Laborbefunde mit dem Vor­handensein einer möglichen Ätiologie (Medikamen­teneinnahme oder Systemerkrankung). Bei Einnahme gewisser Medikamente (Acyclovir, Sulfadiazin, Indina­vir, Methotrexat, Ciprofloxacin) loht es sich ferner, im Urinsediment nach Kristallen zu suchen. Diese Medi­kamente können durch intratubuläre Kristallisation zu einer akuten Kristallnephropathie führen, die eine Differentialdiagnose zur Medikamenten­allergischen AIN darstellt. Sofern keine Kontraindikationen für eine Nierenbiopsie bestehen, sollte die Diagnose einer AIN histologisch gesichert werden, insbesondere wenn eine Therapie mit Steroiden in Frage kommt. Die Histo­logie erlaubt die Abgrenzung von möglichen Differen­tialdiagnosen (beispielsweise einer medikamentös­ toxischen Niereninsuffizienz) und eine prognostische Aussage (je mehr Fibrose und Tubulusatrophie, desto geringere Chance auf Erholung). Da eine frühzeitige Diagnosestellung prognostisch entscheidend sein kann, sollte bei unklarer akuter Nierenfunktionsverschlech­terung wenn immer möglich rasch ein Nephrologe zu­gezogen werden. Manchmal wird die Diagnose einer AIN auch histo­logisch gestellt, ohne dass sie klinisch vermutet wurde. Dann stellt sich anschliessend die Frage nach der Ätio­logie. Hierzu ist zunächst eine genaue Durchsicht der Medikation und eine detaillierte Anamnese bezüglich Einnahme von nicht rezeptierten Medikamenten not­wendig. Gelegentlich finden sich in der Medikations­liste eines Patenten mehrere Substanzen, die eine AIN auslösen könnten. Wenngleich es gewisse Korrelationen zwischen Substanzklasse und typischer Symptomatik und Befunden gibt (Tab. 2), sollten in diesem Fall wenn möglich alle Medikamente abgesetzt werden, die als

Auslöser in Frage kommen. In speziellen Situationen kann ein Lymphozyten­Transformationstest [13] hel­fen, das auslösende Agens zu identifizieren. Findet sich kein plausibler medikamentöser Auslöser, so muss nach Infektionen oder Autoimmunerkrankungen ge­sucht werden, die mit einer AIN assoziiert sein können. Diese Suche beinhaltet neben einer konzisen Ana­mnese und klinischen Untersuchung die Bestimmung gewisser Autoantikörper und serologischer Marker

(ANA, Anti­SSA und ­SSB, ANCA, Komplementfaktoren C3 und C4, CMV­ und EBV­Serologien).Die histologischen Charakteristika der AIN (wie bei­spielsweise die Zusammensetzung des zellulären In­filtrats) erlauben nur sehr bedingt einen Rückschluss auf die Ätiologie. Eine Sonderform stellt die granulo­matöse interstitielle Nephritis dar. Während auch hier in ca. einem Drittel der Fälle eine Medikamenten­aller­gische Genese zugrunde liegt, müssen insbesondere auch ein mykobakterieller Infekt und eine Sarkoidose gesucht werden, selten kann auch eine Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher M. Wegener) eine granu­lomatöse AIN verursachen; meist findet sich dann aber auch eine glomeruläre Beteiligung. Weiterführende Abklärungen beinhalten Röntgen Thorax, Quantiferon­ oder Mantoux­Test, Calcium im Blut und 24­h­Urin, ge­gebenenfalls Serum­ACE sowie ein ANCA­Test.

TherapieEntscheidend ist bei einer medikamenallergischen AIN, dass das auslösende Medikament raschmöglichst sistiert wird. Oft zeigt sich dann ohne weitere Therapie eine deutliche Verbesserung der Nierenfunktion.Etwas kontrovers ist die Datenlage zur systemischen Gabe von Steroiden. Leider existieren zur Therapie der interstitiellen Nephritis keine Daten aus randomisiert kontrollierten Studien (RCT). Verschiedene Fallbe­richte haben einen positiven Verlauf nach systemi­scher Gabe von Steroiden gezeigt; in einer retrospekti­ven Studie von 59 Patienten fand sich eine wesentlich bessere Erholung der Nierenfunktion unter Steroiden, wobei der Nutzen von Steroiden umso grösser schien, je früher sie gegeben wurden [14]. Eine andere retro­spektive Studie fand hingegen keinen signifikanten Ef­fekt von Steroiden, wobei hier die Steroidbehandlung durchschnittlich erst drei Wochen nach Diagnosestel­lung begonnen wurde [15]. Angesichts dieser Datenlage scheint es sinnvoll, bei medikamentöser AIN ohne Besse rung innerhalb von 5–7 Tagen nach Sistieren des vermuteten Auslösers eine Steroidbehandlung zu in­itiieren, sofern keine Kontraindikationen für Steroide bestehen. Vorgängig sollte die Diagnose bioptisch ge­sichert und ausgedehntere fibrotische Veränderungen ausgeschlossen werden. Im letzteren Fall wäre ein posi tiver Effekt von Steroiden unwahrscheinlich. Zeigt sich nach Sistieren des potentiell auslösenden Medika­ments eine klare Verbesserung der Nierenfunktion oder bestehen Kontraindikationen für eine systemi­sche Steroidbehandlung, so ist eine bioptische Diagno­sesicherung nicht zwingend indiziert, da ohne thera­peutische Konsequenz. Eine Steroidtherapie wird meist in einer Dosierung von 1 mg/kg Prednison begonnen, allenfalls nach in­

Sofern keine Kontraindikationen für eine Nierenbiopsie bestehen, sollte die Diagnose einer AIN histologisch gesichert werden.

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itialer Gabe von drei i.v. 250­mg­Methylprednisolon­ Stössen, gefolgt von einem Ausschleichen über drei Monate (bzw. rascher bei fehlendem Ansprechen innert zweier Wochen) [9]. Mit anderen immunsuppressiven Medikamenten ist die Erfahrung bei AIN sehr gering; sie sollten höchstens in Ausnahmefällen erwogen wer­den. Bei einer AIN nicht­medikamentöser Genese rich­tet sich die Therapie nach der Grunderkrankung.

Chronische interstitielle Nephritiden

Die chronischen interstitiellen Nephritiden sind ätio­logisch wesentlich heterogener als die akuten (Tab. 1). Im Prinzip stellt das histologische Bild einer chroni­schen interstitiellen Nephritis ein unspezifisches Reak tionsmuster des renalen Interstitiums auf eine Vielzahl von Noxen dar. Diese Noxen können primär infektiöser bzw. immunologischer Natur sein, oft han­delt es sich aber auch um metabolische und andere Ur­sachen, wo die zelluläre Infiltration des Interstitiums als eine unspezifische Entzündungsreaktion zu ver­stehen ist. Selbstverständlich ist die Grenze zwischen akuter und chronischer interstitieller Nephritis mit­unter fliessend; gewisse in Tabelle 1 unter CIN aufge­führte Noxen können auch zu akuteren Verläufen füh­ren und umgekehrt.Klinisch ist eine CIN charakterisiert durch eine lang­sam progrediente Abnahme der glomerulären Filtrati­onsrate (GFR), in der Regel begleitet von einer mässigen tubulären Proteinurie und gelegentlich einer sterilen Leukozyturie und Mikro hämaturie. Oft finden sich Zeichen einer tubulären Funktionsstörung wie Glukos­urie, Phosphaturie, renal­tubuläre Azidose und eine reduzierte Urinkonzentrationsfähigkeit, die sich in einer Nykturie äussern kann. Je nach zugrundeliegen­der Ätiologie können weitere charakteristische Labor­befunde vorliegen. Aufgrund des breiten ätiologischen Spektrums ist bei Patienten mit Nierenfunktions­verschlechterung unklarer Ursache eine sorgfältige Ana mneseerhebung entscheidend. Diese sollte insbe­sondere die Frage nach systemischen Symptomen, Ex­position gegenüber Medikamenten und Toxinen sowie eine detaillierte und fokussierte Familienanamnese be inhalten.Eine umfassende Abhandlung der chronischen inter­stitiellen Nephritiden würde den Rahmen dieses Ar­tikels sprengen. Wir wollen daher im Folgenden nur einige wenige Formen kurz streifen.

IgG4-related kidney diseaseDie IgG4-related disease (IgG4­RD) stellt eine kürzlich erkannte Entität dar, die durch eine Infiltration ver­schiedener Organe durch polyklonale, IgG4­produzie­

rende Plasmazellen und eine begleitende Fibrose cha­rakterisitert ist. Dieses histologische Bild wurde zuerst bei der autoimmunen Pankreatitis erkannt, seither werden verschiedene, früher als eigene Entitäten be­schriebene Erkrankungen (z.B. Riedel­Struma, Morbus Ormond) unter dem Krankheitsbild IgG4­RD sub­sumiert. Die häufigste renale Manifestation stellt eine interstitielle Nepritis mit plasmazellulärer Infiltration dar [16]. Im peripheren Blut finden sich bei renaler Manifestation einer IgG4­RD fast immer erhöhte IgG4­Konzentrationen (die bei IgG4­RD ohne renalen Befall nicht obligat sind). Eine IgG4­Erhöhung ist aber nicht spezifisch. Die Erkrankung spricht in der Regel gut auf Steroide an.

Balkannephritis und Chinese herbs nephropathyDie Ursache der Balkannephritis, einer langsam pro­gredienten chronisch insterstitiellen Nephropathie, die in gewissen örtlich eng begrenzten Gebieten im Balkan auftritt, blieb lange unklar. Mittlerweile wurde als höchstwahrscheinlicher Auslöser Aristolochia­säure identifiziert. Dabei handelt es sich um einen Be­standteil von Aristolochia clematis, einer endemisch vorkommenden Pflanze, die in Kornfeldern wächst und den Weizen verunreinigt. Der jahrelange Konsum von Brot aus lokal produziertem Mehl kann mit einer grossen Latenzzeit eine Balkannephropathie verur­sachen.Anfang der neunziger Jahre wurde als Ursache einer klinisch und histologisch sehr ähnlichen, aber deut­lich schneller progredienten interstitiellen Nephritis der Konsum chinesischer Heilkräuter identifiziert. Diese enthielten Aristolochiasäure aus der verwand­ten Spezies Aristolochia fangchi. Die beiden Nieren­erkrankungen werden deshalb nun auch unter dem Begriff «aristolochic acid nephropathy» zusammenge­fasst [17]. Für beide ist auch das gehäufte Auftreten uro­thelialer Neoplasien charakteristisch.

Autosomal dominante tubulointerstitielle NierenerkrankungDer Begriff autosomal dominant tubulointerstitial kidney disease (ADTKD) wurde erst kürzlich geprägt [18]. Er bezeichnet eine Gruppe erblicher interstitieller Nierenerkrankungen, die verursacht werden durch Mutationen in den Genen UMOD, MUC­1, REN oder HNF1B, und ersetzt ältere deskriptive Begriffe wie «me­dulläre Zystennieren Typ 2» oder «familiäre juvenile hyperurikäme Nephropathie». Klinisch sind die Er­krankungen charakterisiert durch eine langsam pro­grediente Niereninsuffizienz mit normalem Urinbe­fund oder leichter Proteinurie. Sie könnten gut mit der viel häufigeren hypertensiven Nephropathie verwech­

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selt werden, eine renale Hypertonie tritt aber meist erst spät im Verlauf der Erkrankung auf. Nierenzysten finden sich häufig, sie sind aber nicht obligat, an der Zahl oft nur wenige und meist eher kortikal als medul­lär gelegen (daher ist der ältere Begriff «medulläre Zystennieren Typ 2» irreführend). Je nach zugrunde­liegendem Gendefekt finden sich weitere charakteris­tische Befunde: Hyperurikämie und Gichtanfälle schon im jungen Alter bei UMOD­, urogenitale Malforma­tionen sowie Diabetes mellitus (MODY 5) bei HNF1B­ und tiefer Blutdruck bei REN­1­Mutationen.

Kristallnephropathien: Phosphat, Oxalat, Urat (akut oder chronisch)Die akute Uratnephropathie stellt die renale Manifes­tation des Tumorlysesyndroms dar und kann durch prophylaktische Gabe von Rasburicase in Risikositua­tionen verhindert werden. Ob auch eine langjährige

Hyperurikämie zum Beispiel bei metabolischem Syn­drom zu einer chronischen Uratnephropathie führen kann, ist immer noch umstritten. Wohl finden sich dann histologisch Uratkristalle im renalen Interstitium, die Nierenfunktionseinschränkung ist wahrscheinlich aber eher durch die meist begleitende arterielle Hyper­tonie bedingt. Eine Oxalatnephropathie kann bei der seltenen primären Hyperoxalurie oder bei schweren sekundären Hyperoxalurieformen auftreten. In jüngs­ter Zeit wurden vermehrt Oxalatnephropathien auf­grund sekundärer Hyperoxalurie nach Adipositaschir­urgie beschrieben [19]. Eine weitere iatrogene Form der Kristallnephropathie stellt die akute Phosphatnephro­pathie dar, die nach Koloskopievorbereitung mit phos­phathaltigen Präparaten bei Patienten mit vorbeste­hend eingeschränkter Nierenfunktion auftreten kann und leider meist zu einer irreversiblen schweren Nie­reninsuffizienz führt [20].

Ausblick

Es ist zu erwarten, dass mit der Markteinführung neuer Medikamente die (nicht vollständige) Liste in Tabelle 2 weiter wachsen wird. Gerade neuere Medika­mente müssen daher immer auch als mögliche Auslö­ser einer AIN in Betracht gezogen werden, selbst wenn bei einem bestimmten Präparat eine AIN bisher noch nicht beschrieben wurde.Grosse Defizite herrschen noch immer in der nicht­invasiven Diagnostik einer AIN und in der Therapie. Es wäre wünschenswert, dass Biomarker im Urin oder Blut identifiziert und validiert würden, die eine ver­nünftige Sensitivität und Spezivität für eine AIN auf­weisen. Ebenso wichtig wäre die Durchführung von randomisierten kontrollierten Studien zur Therapie der AIN mit Steroiden und anderen Immunsuppres­siva bzw. Immunmodulatoren. Leider sind dem Autor dieses Artikels weder zur Therapie noch zur Diagnostik der AIN grössere, relevante prospektive Studien be­kannt, die aktuell liefen und auf einen baldigen Er­kenntnisgewinn hoffen liessen.

DanksagungIch bedanke mich herzlich bei Dr. med. Ariana Gaspert, Institut für Klinische Pathologie, UniversitätsSpital Zürich, für die histologischen Abbildungen.

Disclosure statementDer Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Titelbild© Science Pics | Dreamstime.com

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des Online­Artikels unter www.medicalforum.ch.

Das Wichtigste für die Praxis

• Eine akute interstitielle Nephritis (AIN) ist weitaus am häufigsten Medi-

kamenten-allergischer Genese.

• Das klinische Bild der AIN hat sich genauso wie die auslösenden Medi-

kamente in den letzten Jahrzehnten starkt gewandelt:

– Systemische Symptome und Befunde sind eher selten geworden;

– Meist findet sich eine leichte Proteinurie, eine sterile Leukozyturie

und gelegentlich eine Mikrohämaturie. Diese Befunde sind aber nicht

obligat;

– Die wichtigsten auslösenden Medikamentenklassen umfassen Anti-

biotika, NSAR und Protonenpumpenhemmer.

• Die zuverlässige Diagnose einer AIN kann nur histologisch durch Nie-

renbiopsie gestellt werden.

• Praktisches Vorgehen bei möglicher AIN:

– Daran denken bei akuter/subakuter Nierenfunktionsverschlechterung

ohne eindeutige andere Erklärung!

– Potentiell auslösende Medikamente stoppen, falls sich der Verdacht

erhärtet aufgrund von: (a) Medikation mit einer Substanz, die eine

AIN auslösen kann; (b) zeitlicher Korrelation der Medikation mit

der Nierenfunktionsverschlechterung; (c) passenden Urinbefunden

(tubuläre Proteinurie, Leukozyturie, ggf. Mikrohämaturie).

– Stellt sich nicht innert maximal fünf Tagen eine deutliche Verbesse-

rung der Nierenfunktion ein und bestehen keine Kontraindikationen

für eine systemische Steroidgabe, so empfiehlt sich die Durchfüh-

rung einer Nierenbiopsie und bei Bestätigung der Diagnose ein The-

rapieversuch mit Steroiden.

• Chronische interstitielle Nephritiden sind eine ätiologisch sehr hetero-

gene Gruppe von Erkrankungen, die sich durch eine langsame Nieren-

funktionsverschlechterung, eine milde Proteinurie, mitunter eine sterile

Leukozyturie und oft tubuläre Funktionsstörungen manifestieren.

Korrespondenz: PD Dr. med. Andreas D. Kistler Medizinische Klinik Nephrologie und Dialyse Kantonsspital Frauenfeld Postfach CH­ 8501 Frauenfeld andreas.kistler[at]stgag.ch

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

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ÜBERSICHTSARTIKEL 114

Wechseldynamik zwischen etablierten Operationstechniken und neuen Technologien

Behandlung von Erkrankungen der MitralklappeThierry Carrela, Andrea Kammermanna, Christoph Hubera, Eva Roosta, David Reinekea, Fabien Prazb, Peter Wenaweserb, Stephan Windeckerb

a Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie, Universität Bern und Inselspital Bernb Universitätsklinik für Kardiologie, Universität Bern und Inselspital Bern

Epidemiologie

Eine mittelschwere bis schwere Mitralklappeninsuf­fizienz wird bei ungefähr 2–3% der 60­ bis 69­jährigenBevölkerung beobachtet. Bei Patienten, die älter als 70 Jahre sind, steigt die Prävalenz auf 5,5% [1]. Eine leichte bis mittelschwere Mitralklappeninsuffizienzkann über viele Jahre asymptomatisch verlaufen. Patienten mit einer chronisch schweren Mitralklap­peninsuffizienz werden jedoch meistens innerhalbvon vier bis sechs Jahren symptomatisch. Aufgrunddes schleichenden Verlaufs und der relativ späten Ope­rationsindikation stellt die Mitralklappeninsuffizienznach der valvulären Aortenstenose die zweithäufigste operierte Klappenerkrankung [2] dar, obwohl sie imVergleich zur Aortenpathologie eine höhere Prävalenzaufweist (Abb. 1) [3]. Bis vor kurzem war die Rekonstruktion der Mitral­klappe dem Klappenersatz überlegen und wurde unge­achtet der Ätiologie der Mitralinsuffizienz als Therapie der ersten Wahl betrachtet. Kürzlich publizierten Mi­chael Acker und Kollegen im New England Journal ofMedicine einen Artikel mit dem Titel: «Mitral Valve Re­pair versus Replacement for Severe Ischemic Mitral Regur­gitation» [4]. Die Schlussfolgerung dieser Arbeit, dass kein relevanter Unterschied in Bezug auf die linksven­trikuläre Anpassung (reversed remodeling) und die 1­Jah­res­Überlebensrate zwischen den beiden therapeuti­schen Optionen bei der funktionellen (ischämischen)Mitralklappeninsuffizienz bestünde, führte zu zahl­reichen Diskussionen. Bis anhin wurde von vielen Kar­diologen und Herzchirurgen die höchstmögliche Re­konstruktionsrate als bevorzugtes Ziel eines Eingriffs an der Mitralklappe favorisiert, einschliesslich derfunktionellen Mitralinsuffizienz. Die Autoren schlos­sen mit dem Kommentar: «Der Mitralklappenersatz stellteine dauerhaftere Versorgung als die Rekonstruktion dar.»Nun gilt es aber zwischen den unterschiedlichen Ur­sachen der Mitralklappenpathologie zu differenzieren. Chen hat 2010 in einem Übersichtsartikel zum Thema«Behandlung der sekundären (funktionellen oderischämischen) Mitralklappeninsuffizienz» die sekun­

däre Mitralklappeninsuffizienz folgendermassen defi­niert [5]: «Functional mitral regurgitation (MR) is a com­mon clinical entity which will likely increase in the futuredue to predicted demographic changes. It is also associ­ated with poor long­term survival. [...] In primary MR, the valvular incompetence is caused by compromised orstructurally disrupted components of the valve appara­tus; the valve in functional MR is structurally normal,with the regurgitation resulting from failure of coapta­tion of the mitral valve leaflets without coexisting struc­tural changes of the valve itself.»

Dieser Beitrag war ursprünglich als Schlaglicht 2014 der Schweizerischen Gesellschaft für Herz­ und thorakale Gefässchirurgie vorgesehen. Als Schlaglicht wird treffend auf Französisch das «Coup de jour» bezeichnet und beschreibt in der Malerei die aufgesetzten helleren Farbaufträge für Lichtreflexe, die demMotiv die gewünschte Tiefe und Dynamik verleihen. Im Gegensatz dazu stellt das Streiflicht ein Licht dar, das von der Seite auf eine Fläche oder auf ein Objekt einfällt und dabei einen Schlagschatten erzeugt: Mit Streiflicht werden dieKonturen durch starke Schattierung überdeutlich dargestellt. Das Schlaglicht illustriert treffend ein dynamisches Hervorheben des Istzustandes, und genau diese Metapher soll den folgenden Überlegungen zur gegenwärtigenEntwicklung von neuen Konzepten zur Behandlung der Mitralklappeninsuffi­zienz zugrunde liegen.Thierry Carrel

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ÜBERSICHTSARTIKEL 115

Die Ätiologie der Mitralinsuffizienz muss für die Pla­nung der Intervention mit einer möglichst präzisenAnalyse der Morphologie beurteilt werden. Mit derEinführung verbesserter bildgebender Verfahren undder dreidimensionalen Echokardiographie wurde aber schnell klar, dass es neben funktioneller, ischämischerund degenerativer Genese auch Mischformen der Mitralklappenpathologie gibt. Die degenerative Form beinhaltet beispielsweise verschiedene Ausprägungen,vom fibroelastischen Defizit bis zum Morbus Barlow, der durch hypertrophe und verdickte Segel mit über­schüssigem Material charakterisiert ist. Diese anatomische Beschreibung ist nicht nur für eineadäquate Nomenklatur von Bedeutung, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sie eine Aussage über die Rekonstruktionsmöglichkeit sowie deren Stabilität im Verlauf ermöglicht.Unabhängig vom Mechanismus der Mitralklappen­insuffizienz kommt es im Verlauf der Erkrankung zueinem selbst perpetuierenden Teufelskreis zwischen dem Schweregrad der Mitralinsuffizienz einerseits und der zunehmenden, durch die Volumenbelastung bedingten, linksventrikulären Dilatation andererseits,die wiederum die Regurgitation begünstigt. Diese Be­trachtung ist insofern wichtig, als in den Empfehlun­gen der europäischen und amerikanischen Fachgesell­schaften die Dimensionen des linken Ventrikels im Hinblick auf die Operationsindikation mitberücksich­tigt werden [6, 7]. Zudem ist bei eingeschränkter links­ventrikulärer Funktion der Verlauf nach einer Re­konstruktion mit schlechteren klinischen Resultaten gekennzeichnet.

ZusammengefasstIm Gegensatz zur primären (strukturellen) Insuffi­zienz ist die sekundäre (funktionelle und ischämische) Insuffizienz keine Erkrankung der Mitralklappe selbst, sondern Ausdruck und/oder Folge der ventrikulärenDysfunktion mit konsekutiver Deformation des an­tero­posterioren Durchmessers, die zu einer Erweite­rung des Mitralklappenrings führt. Im Gegensatz dazu ist bei der primären oder strukturellen Mitralklappen­insuffizienz der eigentliche Mitralklappenapparat (Segel, Sehnenfäden und/oder Papillarmuskel, Anulus)erkrankt. Somit ist zu erwarten, dass bei Patienten mit sekun­därer Mitralklappeninsuffizienz die kausale Grund­erkrankung durch eine isolierte Behandlung derMitralklappe nicht genügend therapiert wird. Bei die­sen Patienten muss die häufig damit verbundene Herz­insuffizienz medikamentös optimal adressiert werden.

Chirurgische Behandlung

Trotz der genauen Abgrenzung der zugrundeliegendenpathophysiologischen Mechanismen zeichnet sich beider Behandlung der Mitralklappeninsuffzienz im All­tag nicht selten eine Vermischung der funktionellenund der degenerativen Mitralklappeninsuffizienz undin der Folge auch deren therapeutischen Ansätze ab.In unserer Klinik wurden in den letzten zehn Jahren1369 Mitralklappenoperationen durchgeführt. Die Re­konstruktionsrate von 70% (n = 965) ist auf den erstenBlick tiefer als die in der Literatur angestrebten Rekon­struktionsinzidenzen von 80 bis 95% [6]. Beim Kran­kengut unserer Universitätsklinik fallen aber einigeBesonderheiten auf:– Der isolierte Prolaps des posterioren Segels wird in

nur knapp 50% der Patienten als Ursache für die Mitralklappeninsuffizienz angetroffen;

– Kombinierte Eingriffe (mit Bypassoperation und/oder Aorten­ und gelegentlich Trikuspidalklappen­eingriff) werden häufiger durchgeführt als die iso­lierte Mitralklappenoperation;

– Komplexere Pathologien (Prolaps beider Mitralse­gel, ausgedehnte zirkuläre Verkalkung des Anulus,destruierende Endokarditis mit Abszedierung des Anulus und Papillarmuskelabriss als akute Kompli­kation eines Myokardinfarkts) sind praktisch gleichhäufig wie der isolierte Prolaps des posteriorenSegels;

– Und zuletzt werden in unserer Klinik mehr als 5%der Mitralklappeneingriffe als Reoperation durch­geführt, infolge Rezidivinsuffizienz nach vorheriger Rekonstruktion (entweder in unserer, aber noch häufiger in einer anderen Klinik).

Abbildung 1: Prävalenz der Herzklappenerkrankungen, aufgeschlüsselt nach Mitral- und

Aortenklappenbeteiligung. Nachdruck aus Am J Cardiol. Singh JP, et al. Prevalence and

clinical determinants of mitral, tricuspid, and aortic regurgitation (the Framingham

Heart Study). 1999 Mar 15;83(6):897–902. Mit freundlicher Genehmigung von Elsevier.

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ÜBERSICHTSARTIKEL 116

Somit darf die Rekonstruktionsrate nicht pauschal für alle Mitralklappeneingriffe ausgwiesen, sondern solltedifferenziert gemäss Ätiologie der Mitralinsuffizienzbetrachtet werden. Eine Rekonstruktionsrate von >90% kann theoretisch bei isoliertem Prolaps des pos­terioren Segels ohne zusätzliche Pathologie durchaus erreicht werden. In der Literatur sinkt diese Rate je­doch schnell bei einem Prolaps beider Segel oder bei ausgeprägtem Morbus Barlow auf Raten zwischen 60 und 70%.

Leitlinien

Werden die Leitlinien belichtet, so zeichnet sich in deren Schlagschatten ebenfalls die strenge Unterscheidung der Behandlungsstrategien gemäss zugrundeliegen­dem Krankheitsprozess: Die vor kurzem publiziertenLeitlinien der American Heart Association (AHA) [6]und die Empfehlungen der Europäischen Gesellschaftfür Kardiologie und der Europäischen Gesellschaft für Herzchirurgie [7] führen einvernehmlich die chir­urgische Mitralklappenrekonstruktion bei schwererprimärer (struktureller) Mitralklappeninsuffizienz alsIndikation zur Behandlung auf, und zwar mit der Indi­

kationsklasse I, Evidenzstufe B oder C (Abb. 2 und 3). Dies gilt nur, wenn die chirurgische Rekonstruktionmit einer hohen Wahrscheinlichkeit (>90%) erreicht werden kann. Bei der sekundären (funktionellen oder ischämischen) Mitralklappeninsuffizienz sind die Empfehlungen weniger stringent. So geben die Euro­päischen Leitlinien für die chirurgische Therapie eineEmpfehlung mit Klasse I, Evidenzstufe C, bei Patienten, welche gleichzeitig revaskularisiert werden sollten und eine höchstens mittelschwer reduzierte Pump­leistung der linken Kammer (>30%) aufweisen. DieAmerikanischen Leitlinien fallen mit Klasse 2a, Evi­denzstufe­C­Empfehlung, bescheidener aus. Die Abbil­dung 4 zeigt den Abklärungs­ und Behandlungsalgo­rithmus der Mitralklappeninsuffizienz gemäss AHA/ACC­(American College of Cardiology­)2014­Leitlinien.Aus diesen Ausführungen ist es nachvollziehbar, dass der Klappenersatz bei sekundärer Mitralklappeninsuf­fizienz der Klappenrekonstruktion durchaus als gleich­wertig, allenfalls sogar als überlegen betrachtet wer­den darf. Diese Schlussfolgerung darf aber keinesfalls in Analogie für die primäre Mitralklappeninsuffizienzerfolgen. Für diese Pathologie gilt klar, dass die Rekon­struktion dem Ersatz überlegen ist.

Abbildung 2: Richtlinien zur Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz der AHA/ACC 2014.

Reprinted with permission. Circulation.2014;129:2440-2492.©2014 American Heart Association, Inc.

Recommendations COR LOE References

MV surgery is recommended for symptomatic patients with chronic severe primary MR (stage D) and LVEF >30% I B (156, 179)

MV surgery is recommended for asymptomatic patients with chronic severe primary MR and LV dysfunction(LVEF 30%–60% and/or LVESD ≥40 mm, stage C2)

I B (150–153, 180–182)

MV repair is recommended in preference to MVR when surgical treatment is indicated for patients with chronicsevere primary MR limited to the posterior leaflet

I B (155, 183–198)

MV repair is recommended in preference to MVR when surgical treatment is indicated for patients with chro-nic severe primary MR involving the anterior leaflet or both leaflets when a successful and durable repair can be accomplished

I B (195–197, 199–203)

Concomitant MV repair or replacement is indicated in patients with chronic severe primary MR undergoingcardiac surgery for other indications

I B (204)

MV repair is reasonable in asymptomatic patients with chronic severe primary MR (stage C1) with preserved LV function (LVEF >60% and LVESD <40 mm) in whom the likelihood of a successful and durable repairwithout residual MR is >95% with an expected mortality rate of <1% when performed at a Heart Valve Centerof Excellence

IIa B (149, 203, 205–209)

MV repair is reasonable for asymptomatic patients with chronic severe nonrheumatic primary MR (stage C1)and preserved LV function in whom there is a high likelihood of a successful and durable repair with 1) newonset of AF or 2) resting pulmonary hypertension (PA systolic arterial pressure >50 mm Hg)

IIa B (154, 205, 210–215)

Concomitant MV repair is reasonable in patients with chronic moderate primary MR (stage B) undergoing cardiac surgery for other indications

IIa C N/A

MV surgery may be considered in symptomatic patients with chronic severe primary MR and LVEF ≤30% (stage D)

IIb C N/A

MV repair may be considered in patients with rheumatic mitral valve disease when surgical treatment is indi-cated if a durable and successful repair is likely or if the reliability of long-term anticoagulation managementis questionable

IIb B (194, 202, 203)

Transcatheter MV repair may be considered for severely symptomatic patients (NYHA class III/IV) with chronicsevere primary MR (stage D) who have a reasonable life expectancy but a prohibitive surgical risk because of severe comorbidities

IIb B (216)

MVR should not be performed for treatment of isolated severe primary MR limited to less than one half of the posterior leaflet unless MV repair has been attempted and was unsuccessful

III: Harm B (195–198)

AF indicates atrial fibrillation; COR, Class of Recommendation; LOE, Level of Evidence; LV, left ventricular; LVEF, left ventricular ejection fraction; LVESD, left ventricular end- systolic dimension; MR, mitral regurgitation; MV, mitral valve; MVR, mitral valve replacement; N/A, not applicable; NYHA, New York Heart Association; and PA, pulmonary artery.

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ÜBERSICHTSARTIKEL 117

Neue Implantate zur chirurgischen Be- handlung der Mitralklappeninsuffizienz

Neben den zahlreichen Techniken zwecks Rekonstruk­tion der Mitralklappe nach Entfernung des krank­haften Anteils des Segels (Resektion) wurde in den letz­ten Jahren eher eine möglichst sparsame Entfernung des Segelmaterials befürwortet und vermehrt der Ein­satz von neuen künstlichen Sehnenfäden untersucht [9, 10]. Die Ausmessung der optimalen Länge von Sehnenfäden und deren chirurgischer Verankerungkann durchaus anspruchsvoll sein. Unsere Gruppe inBern befasst sich seit Jahren mit der Standardisierung und Automatisierung für die Verwendung von künst­lichen Sehnenfäden, die zu einer wesentlichen Verein­fachung der Operationstechnik führen wird [11].

Auswirkungen neuer Therapien in der Behand-lung der MitralklappeninsuffizienzNeue, weniger invasive Behandlungsmöglichkeiten der Mitralklappeninsuffizienz lassen sich einteilen in Implantate zur Mitralklappenrekonstruktion und zum Mitralklappenersatz. Zur Ersteren gehört unter ande­rem der MitraClip [12, 13]. Entwicklungstechnisch ist der MitraClip für die Behandlung der sekundären (oderfunktionellen) Mitralinsuffizienz konzipiert worden –kommt jedoch klinisch auch vermehrt bei der primä­ren (strukturellen) Mitralinsuffizienz bei polymorbi­den und bei sehr betagten Patienten zum Einsatz. Inder Tat wurde die erste randomisierte Studie, die den

Abbildung 3: Richtlinien zur Behandlung der Mitralklappen-insuffizienz der ESC/EACTS 2012. Nachdruck aus Vahanian A, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). Eur Heart J. 2012 Oct;33(19):2451–96. © www.escardio.org/guidelines.

Abbildung 4: Abklärungs- und Behandlungsalgorithmus der Mitralklappeninsuffizienz gemäss AHA/ACC-2014-Richtlinien.

Reprinted with permission. Circulation. 2014;129:2440–92. © 2014 American Heart Association, Inc.

AF indicates atrial fibrillation; CAD, coronary artery disease; CRT, cardiac resynchronization therapy; ERO, effective regurgitant orifice; HF, heart failure; LV, left ventricular; LVEF, left ventricular ejection fraction; LVESD, left ventricular end-systolic dimension; MR, mitral regurgitation, MV, mitral valve; MVR,mitral valve replacement; NYHA, New York Heart Association; PASP, pulmonary artery systolic pressure;RF, regurgitant fraction; RVol, regurgitant volume; and Rx, therapy.

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ÜBERSICHTSARTIKEL 118

MitraClip mit der Chirurgie verglichen hat, in derMehrzahl der Fälle (>70%) bei primärer (struktureller)Mitralinsuffizienz durchgeführt [14]. Auffallend bei den Resultaten nach Einsetzen eines MitraClips ist das gute symptomatische Ansprechen der Patienten, trotz häufig persistierender residueller Insuffizienz. Neben dem MitraClip, der die beiden Mitraklappensegel in de­ren Mitte fixiert und dadurch aus einer Mitralklappen­öffnung zwei jeweils weniger als halb so grosse neue Mitralklappenöffnungen generiert, gibt es diverse an­dere komplexere Rekonstruktionsverfahren, die imGegensatz zum MitraClip die chirurgische Rekonstruk­tionsweise zu imitieren versuchen. Dies ist sowohl technisch wie auch technologisch sehr anspruchsvoll [16]. In dieser Hinsicht wurde das sog. CARILLON® MitralContour System® untersucht. Durch Einführung einerMetallspange in den Sinus coronarius wird eine bes­sere Koaptation der beiden Mitralsegel bewirkt. Dieses Verfahren versucht, die Technik der klassischen Ring­Annuloplastie nachzuahmen. Es eignet sich insbeson­dere für schwerstkranke Patienten mit einer dilata­tiven Kardiomyopathie und deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion [14]. Eine sorgfältige bild­gebende Abklärung ist notwendig, weil bei einigen Patienten der Koronarsinus nicht parallel zur AV­Klap­penebene verläuft. Ebenso ist auf eine eventuelle Kom­primierung der Arteria circumflexa zu achten.

Mitralklappenersatz mittels TAVI-Klappedurch einen chirurgischen ZugangDie massive, gelegentlich zirkuläre Verkalkung des Mitralklappenanulus stellt für den Chirurgen einetechnische Herauforderung dar. Eine Klappenrekon­struktion ist nur nach entsprechender Entkalkung desAnulus machbar. Letztere muss wegen der Gefahr deratrio­ventrikulären Diskonnektion sehr sorfältig durch­geführt werden. Wenn der Anulus dabei geschwächtwird, muss er mit einem Perikardstreifen rekonstru­iert respektive verstärkt werden. Bei solchen Fällenkann die Verwendung einer Transkatheterklappe sinn­voll und hilfreich sein. Wir haben 2012 bei einer 81­jäh­rigen Patientin mit kombiniertem Mitralklappenfehler(schwerer Insuffizienz und mässiger Stenose) und zir­kumferentieller Verkalkung des Mitralanulus erstma­lig eine Trankatheter­Aortenprothese (Edwards SapienXP) durch einen chirurgischen Zugang zusammen mit den Kardiologen eingesetzt [17].Der Entscheid zur Implantation einer Transkatheter­klappe fiel erst intraoperativ, nachdem der Anulus, ne­ben der massiven Verkalkung, mit einem Durchmes­ser von knapp 20 mm als sehr klein befunden wurde.Er wurde mit einem 20­mm­ und 24­mm­Ballon in situ dilatiert; anschliessend wurde die Klappe antegrad

durch den linken Vorhof eingeführt. Zur Sicherheit wurde die Klappe mit einzelnen Polypropylennähten zusätzlich fixiert.Der Verlauf unmittelbar nach diesem Eingriff war sehr günstig, und nach nun bald vier Jahren befindet sich die Patientin in NYHA­Klasse I. Die Klappenfunktionerscheint in der Echokardiographie als tadellos. Seitherhaben wir dieses Verfahren bei vier weiteren Patientenmit ähnlich guten Resultaten angewendet. Diese Fall­berichte sind ein typisches Beispiel, wie innovative Technologien bis zu ihrer Marktzulassung ausnahms­weise auch «off label» zugunsten von Patienten mit grossen chirurgischen Herausforderungen sinnvoll ein­gesetzt werden können.

Transapikales TMVR (Transcatheter Mitral Valve Replacement)Genau in die oben beschriebene Richtung entwickelt sich die Technologie weiter. Zurzeit befinden sichmindestens fünf verschiedene Implantate zum inter­ventionell­chirurgischen Mitralklappenersatz im Sta­dium des klinischen Versuchs [18]: die Tiara Valve (Neo­vasc Inc., Richmond, Kanada), das Edwards FORTIS™Transcatheter Mitral Valve (TMV) (Edwards Lifesciences,Irvine, USA), die Tendyne (Lutter) Klappe (Tendyne Inc.,Roseville, MN, USA), die CardiAQ­Edwards™ Transcathe­ter Mitral Valve (TMV) (Edwards Lifesciences, Irvine,USA) und die Twelve Klappe (Twelve, Inc. Redwood City,USA) (Abb. 5). Alle fünf werden aktuell über die Spitze des linken Ventrikels (transapikal) implantiert. Min­destens drei weitere Technologien befinden sich im ex­perimentellen Stadium (Sinomed Inc., Tianjin, China;HighLife SAS, Paris; Medtronic, USA).Die bisherige Entwicklung der Transkatheter­Aorten­Klappen­Implantation (TAVI) soll exemplarisch für die bevorstehende Weiterentwicklung der Mitralklappen­insuffizienz­Behandlung mittels Kathetertechnik die­nen. Diese Innovationen werden höchstwahrscheinlichzur besseren und früheren Abklärung der Mitralinsuf­fizienz führen. In einem zweiten Schritt werden jenach Resultaten die entsprechenden Leitlinien ange­passt, damit eine möglichst adäquate Therapie in einemfrühzeitigen Krankheitsstadium geplant werden kann. Als Beispiel sei die aktuelle Erfahrung mit der Edwards FORTIS™ TMV kurz zusammengefasst. Diese Mitral­klappe, die durch einen transapikalen Zugang einge­führt werden kann, besteht aus dem bewährten bovinen Perikardgewebe der herkömmlichen chirurgischen Bioprothesen mit der gleichen Antiverkalkungs­behandlung. Die Klappe enthält einen grösseren Stoff­ring, um die Verankerung und die Abdichtung der Klappe am Mitralanulus optimal zu ermöglichen. Zwi­schen Februar 2014 und März 2015 wurde diese Klappe

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ÜBERSICHTSARTIKEL 119

bei 13 Hochrisikopatienten anlässlich einer Machbar­keitsstudie in Europa und Kanada eingesetzt [19]. Die Untersuchung beinhaltete eine klinische Beobachtung und eine echokardiographische Kontrolle nach 30 Ta­gen, drei und sechs Monaten. Die Absetzung der Mit­ralklappe war bei 10 Patienten (77%) erfolgreich. ZweiPatienten, bei denen die Klappe nicht erfolgreich ein­gepflanzt werden konnte, wurden chirurgisch behan­delt, verstarben aber an Komplikationen am 4. und 7. Tag postoperativ (mesenteriale Ischämie und Sepsis).Zwei Patienten verstarben in den ersten 30 Tagen (eineran respiratorischer Insuffizienz, der zweite an einer Klappenthrombose). Die relativ hohe Sterblichkeit indieser kleinen Serie widerspiegelt vor allem das sehr hohe Risikoprofil der Patienten. Eine Beobachtung nach 6 Monaten steht bei acht Patienten zur Verfügung. Der mittlere Gradient beträgt 4 ± 1 mm Hg, die Aus­wurfl eistung der linken Kammer (33 ± 9%), und bei vierPatienten besteht eine triviale oder leichte transpro­thetische oder paraprothetische Insuffizienz. Seit die­

ser «first in man»­Studie wurde die Klappe bei weiteren20 schwerstkranken Patienten im Sinne des compas­sionate use verwendet.*Als Nebenerscheinung dürfte aber auch ein raschererund breiterer Einsatz der zur Verfügung stehendenneuen minimalinvasiven therapeutischen Optionen,ungeachtet der chirurgischen Möglichkeiten und der kausalen, zur Mitralklappeninsuffizienz führenden Pa­thologie, stattfinden. Es könnte auch sehr wohl sein,dass einzelne Leitlinien wegen oder dank der erweiter­ten medizinaltechnischen Möglichkeiten angepasstwerden. Die schnelle Erweiterung der medizintechnischen Möglichkeiten durch weniger invasive Klappenersatz­verfahren bergen aber auch die Gefahr, eine einfacheund sehr effiziente chirurgische Therapie (nämlich dieRekonstruktion der Mitralklappe, mit dem Vorteil desVerzichts auf eine lebenslange Antikoagulation) durch einen perkutanen Klappenersatz zu ersetzen. Letztererwäre möglicherweise für den Patienten etwas weniger

Abbildung 5: Vier perkutane Mitralklappenersatz-Devices in klinischen Studien: (A) Tiara Valve, (B) Edwards FORTISTM Trans-

catheter Mitral Valve (TMV), (C) Lutter Valve, (D) CardiAQ-EdwardsTM Transcatheter Mitral Valve (TMV). Nachdruck mit freundlicher

Genemigung von Neovasc (A), Edwards Lifesciences (B, D), Prof. Dr. med. Georg Lutter, Medizinische Fakultät, Universität Kiel (C).

C D

BA

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ÜBERSICHTSARTIKEL 120

belastend, würde aber eine Langzeitantikoagulation(wegen der Grösse des Implantats mit viel Abdichtungs­und Verankerungsmaterial im linken Vorhof) notwen­dig machen. Diese Entwicklungen werden noch mehr als heute die Diskussion in Heart­Teams benötigen. Grundsätzlich müsste aber der Mitralklappenersatz(selbst durch Transkatheter­Technik) nur bei nicht re­konstruierbaren Formen der primären Mitralinsuffi­zienz Anwendung finden.

Auswirkungen der neuen Verfahrenund Technologien auf die Praxis

Jedes neue Verfahren (hier beispielsweise vertretendurch neue Technologien zur Behandlung der Mitral­klappeninsuffizienz) muss der Notwendigkeit der aus­reichenden medizinischen Evidenz unterzogen werden. Dazu gehören heute auch Kriterien der langfristigen Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit. Mit der im­mer schnelleren Einführung von Innovationen (Ver­fahren und Implantate) wird es zunehmend schwierig,die Resultate etablierter Evidenz abzuwarten respek­tive nach dieser Evidenz zu praktizieren. Warum?– Neue Technologien werden sehr schnell nach «first­

in­man»­Studien und kleineren Pilotstudien ein­geführt und für den Markt zugelassen. Die Evidenzbenötigt aber gerade für biologische Klappen­prothesen Informationen über die Lebensdauer des Implantats.*

– In vielen Institutionen herrscht ein Druck zur Inno­vation. Einzelne Industriepartner nehmen Einfluss auf die Definition von Behandlungsindikationen und entwerfen Studienprotokolle, die dazu dienen, neue Produkte auszutesten und in der Regel mög­lichst schnell in den klinischen Alltag einzuführen.

– Prospektiv­randomisierte Studien sind in diesem Bereich gelegentlich schwierig zu interpretieren, weil die Einschlusskriterien restriktiv sind (entrybias) und dadurch keine Abbildung der realen Welterlauben [20]. Dadurch hinkt die medizinische Evi­denz bei nicht selektionierten Patienten nach.

– In diesem Bereich spielt die Etablierung von lokalen Herz­Teams eine wichtige Rolle, damit dem Patien­

ten alle Optionen unter Berücksichtigung der jewei­ligen Expertise unbefangen vorgestellt werden kön­nen. Argumente wie schnelle Therapie, Punktion anstelle eines chirurgischen Zugangs und kürzereHospitalisationszeit sollten nicht als Marketing­instrumente verwendet werden, sondern in den kli­nischen Kontext hinsichtlich Evidenz, Komorbidi­täten und Alter gesetzt werden. Für den Patienten sind Nachhaltigkeit und Einmaligkeit von mindes­tens ebenso grossem Interesse.

– Im Alltag ist die Behandlung der schweren Mitral­insuffizienz nicht selten komplex, weil mehrereFaktoren die Auswahl der Therapie zusätzlich be­einflussen können:a) Alter und Komorbiditäten der Patienten;b) Lebensqualität und Lebenserwartung: Im fort­

geschrittenen Alter steht die Lebensqualität imVordergrund. Zusätzlich sollte das Mortalitäts­risiko für jede Option und im Einzelfall kalku­liert werden.

Die Diskussion muss in einer ausgewogenen Art undWeise die verschiedenen Methoden (Chirurgie versusAlternative) evaluieren, und es sollte nicht nur das beste mechanische Resultat, sondern auch die Belas­tung für den Patienten im Sinne der Invasivität und ihrer Verträglichkeit berücksichtigt werden. Der end­gültige individuelle Entscheid wird zunehmend imHeart­Team unter Einbezug von Patienten, Angehöri­gen und Zuweisern getroffen werden müssen.

* NachtragGerade im Sinne dieser Bemerkung verhielt sich die Erfahrung mitder Edwards FORTIS™ TMV, die seit Verfassung dieses Berichts nichtmehr weiterverfolgt wird.

Disclosure statementSW declares research grants from: St. Jude Medical, Biotronik, Medici­nes Comp., Abbott, Medtronic, Edwards Lifesciences. Honoraria from: AstraZeneca, Eli Lilly, Abbott, Biosensors, Biotronik, Bayer.

Titelbild © Maya0851601054 | Dreamstime.com

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des Online­Artikels unter www.medicalforum.ch.

Korrespondenz: Prof. Dr. T. Carrel Direktor der Universitäts­klinik für Herz­ und Gefäss­chirurgie InselpitalCH­3010 Bern thierry.carrel[at]insel.ch

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

Literatur / Références

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SEITE DER FACHGESELLSCHAFTEN 121

Mitteilung der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie

Irreführende Bluttests zur Diagnostik von Nahrungsmittel - unverträglichkeitenMitteilung der klinischen Fachkommission und der Kommission Labordiagnostik der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) – Autoren*

Die klinische Fachkommission und die Kommission Labordiagnostik der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) stellen in der Schweiz eine verbreitete Anwendung von ungeeigneten, wissenschaftlich nicht gesicherten Testmethoden fest, die angeblich Nahrungsmittelallergien und -intoleran-zen diagnostizieren sollen. Diese kostspieligen Tests sind für die betroffenen Patienten nutzlos, da es bis heute keine überzeugenden Daten aus kontrollierten Studien gibt, die eine Korrelation der Testergebnisse mit Symptomen oder Krankheitsbildern nachweisen. Zu diesen Tests gehören zwei verschiedene Typen von In-vitro-Bluttests: die IgG-Antikörpertests und die zel-lulären Zytotoxizitätstests (ALCAT).

Nahrungsmittelallergie ≠ Nahrungsmittelintoleranz

Bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten wird zwischen Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelintole-ranzen unterschieden. Bei immunologisch bedingten Nahrungsmittelallergien lösen als Allergene bezeich-nete Proteine aus der Nahrung via Mastzellen und basophile Granulozyten eine spezifische IgE-vermit-telte Sofortreaktion aus. Der Sensibilisierungsnach-weis erfolgt hier mit standardisierten Hauttests und validierten Bestimmungen spezifischer IgE-Antikörper im Serum (Fluoreszenz- und Enzymimmunoassays). Die oft fälschlicherweise als Nahrungsmittelallergie be-zeichneten Nahrungsmittelintoleranzen hingegen, z.B. die häufige Laktoseintoleranz oder die seltenen Intole-ranzen auf Konservierungsmittel oder künstliche Farbstoffe (E-Stoffe), gehen ohne Beteiligung des Im-munsystems einher und können somit nicht mit im-munologischen Tests nachgewiesen werden. Sie werden mittels Ausschlussdiäten oder kontrollierter, oraler Provokationstests abgeklärt. Mit den genannten IgG-Antikörper- und ALCAT-Tests werden zudem eine Viel-zahl unterschiedlichster Symptome und Krankheiten untersucht, sei es im Abdominalbereich (Blähungen, Völlegefühl, Krämpfe, Durchfall, Reizdarm-Syndrom

etc.), bei Erkrankungen der Atemwege (chronischer Husten, Asthma bronchiale, wiederkehrende Infekte), bei Kopfschmerzen und Migräne, bei rheumatischen Erkrankungen (Muskel- und Gelenkschmerzen, Fibro-myalgie), bei Hauterkrankungen (atopische Dermatitis, Psoriasis), bei chronischer Müdigkeit, Übergewicht oder auch bei Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern.

Zertifizierung allein belegt nicht die klinische Relevanz

Bei den IgG- oder IgG4-Antikörpertests auf Nahrungs-mittel handelt es sich um immunologische Methoden, die zwar reale und reproduzierbare Messergebnisse erzeugen und sogar zertifiziert werden können, die aber klinisch nicht validiert sind; das heisst, mit der Zerti fizierung einer Testmethode allein ist die klinische Relevanz ihrer Resultate nicht belegt. Da Nahrungs-mittelallergien durch IgE vermittelt sind und Nahrungs-mittelintoleranzen nicht auf einer immunologischen Sensibilisierung beruhen, sind IgG- und/oder IgG4-Be-stimmungen gegen Nahrungsmittelallergene und Zu-satzstoffe nutzlos, auch wenn sie von verschiedenen Firmen und Labors angeboten werden. Zudem ist die Bildung spezifischer IgG gegen Nahrungsmittel auch bei gesunden Probanden messbar und hat nachweis-lich keinen pathophysiologischen Stellenwert [5]. Ledig-lich bei der durch Gluten induzierten, autoimmunen Enteropathie (Zöliakie) ist eine diagnostische Wertig-keit von spezifischen IgG und IgA (Anti-Endomysium bzw. -Gewebstransglutaminase und -Gliadin-Antikör-per) nachgewiesen, wobei sie histologisch durch eine Darmzotten-Atrophie bestätigt wird.Beim sogenannten Zytotoxizitätstest, früher zytotoxi-scher Lebensmitteltest und heute auch – irreführend – «Antigen Leukocyte Cellular Antibody Test» (ALCAT)

* V. Aubert, Lausanne; M. Bauer, Olten; L. Bernasconi, Aarau; A. J. Bircher, Basel; C. Chizzolini, Genf; E. Dayer, Sitten; L.-F. Debétaz, Lausanne; W. Fierz, Schaan; G. Müllner, Luzern; M. Fontana, Mendrisio; T. Hauser, Zürich; I. Heijnen, Basel; A. Helbling, Bern; N. Jeannet-Peter, Genf; F. Keller, Bellinzona; S. Regenass, Basel; P. Roux-Lombard, Genf; P. Schmid-Grendelmeier, Zürich; F. Spertini, Lausanne; C. Weilenmann, Porrentruy; U. Wirthmüller, Bern; B. Wüthrich, Zollikerberg.

Die Artikel der Rubrik «Seite der Fachgesellschaften» geben nicht unbedingt die Ansicht der SMF-Redaktion wieder. Die Inhalte unter - stehen der redaktionellen Verantwortung der unter- zeichnenden Fachgesell-schaft bzw. Arbeitsgruppe.

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SEITE DER FACHGESELLSCHAFTEN 122

genannt, wird dem Patienten anhand der gemessenen Reaktionen von Leukozyten auf eine Vielzahl von Nahrungsmittel extrakten und Zusatzstoffen nahege-legt, welche Nahrungsmittel er meiden soll. In einer Blutprobe werde eine zelluläre Reaktion – gemäss Testanbietern Indiz für eine «Intoleranz» – auf bis zu 460 biologische und chemische Substanzen aus Lebens-mitteln, functional foods und Heilkräutern sowie Um-weltchemikalien, E-Stoffe, Zusätze, Farbstoffe, Medika-mente und Schimmelpilze analysiert. Gemäss einem

der Anbieter beträgt der Preis für den ALCAT-Test, je nach Anzahl der geprüften Substanzen, zwischen Fr. 1000.– («Basistest», 100 Lebensmittel) und Fr. 1600.– («Diamanttest», 200 Lebensmittel, 50 Chemikalien, 20 Schimmelpilze, 20 pharmaaktive Substanzen). Diese Zytotoxizitätstests entbehren aber einer rationalen, wissenschaftlichen Basis und erzeugen keine reprodu-zierbaren Resultate. Logischerweise lässt sich keine signifikante Übereinstimmung mit der klinischen Dia-gnose nachweisen, und somit sind diese Tests zur Diagnos tik einer Nahrungsmittelunverträglichkeit ungeeignet. Da aufgrund der Ergebnisse der ALCAT- und IgG-Antikörpertests den Patienten aber geraten wird, die als positiv bestimmten Stoffe zu vermeiden, haben die Tests nicht unerhebliche Einbussen auf de-ren Lebensqualität und können in Extremfällen sogar zu Ernährungs-Mangelzuständen führen. Die Europäische Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI), die Deutsche Gesellschaft für All-ergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Ärzte-verband deutscher Allergologen (ADA), die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Im-munologie (ÖGAI) und die Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) kommen nach Analyse der Datenlage in Stellungnahmen zum Schluss, dass weder zytotoxische Testverfahren noch die Be-

stimmung von IgG- oder IgG4-Antikörpern gegen Nah-rungsmittel einen diagnostischen oder klinisch rele-vanten Aussagewert haben [1–4]. Die Fachgesellschaften raten aufgrund fehlender Evidenz von deren Anwen-dung ab [1–3]. Die weitere Überprüfung bestätigte, dass diese Tests nicht aussagekräftig und, was die zytotoxi-schen Tests betrifft, nicht reproduzierbar sind [6]. Der Einsatz dieser Testverfahren bei Patienten ist daher nutzlos, irreführend und im Extremfall schädlich. Gemäss Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV, An-hang 3 vom 1. Januar 2014) werden IgG/IgG4-Bestim-mungen gegen Nahrungsmittel konsequenterweise durch die Grundversicherung nicht vergütet und sollten unserer Meinung nach auch nicht von den Zusatzver-sicherungen übernommen werden.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur1 Ortolani C, Bruijnzeel-Koomen C, Bengtsson, Bindslev-Jensen C,

et al. EAACI Position Paper. Controversial aspects of adverse reactions to food. Allergy. 1999;54:27–45.

2 Stapel SO, Asero R, Ballmer-Weber BK, Knol EF, Strobel S, Vieths S, Kleine-Tebbe J, EAACI Task Force. Testing for IgG4 against foods is not recommended as a diagnostic tool: EAACI Task Force Report. Allergy. 2008;63:793–6.

3 Kleine-Tebbe J, Reese I, Ballmer-Weber BK, Beyer K, et al. Keine Empfehlung für IgG- und IgG4-Bestimmungen gegen Nahrungs-mittel. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) nach Über-nahme des Task Force Report der European Academy of Allergology and Clinical Immunology (EAACI). Allergologie. 2009;32:320–1.

4 Kleine-Tebbe J, Ballmer-Weber B, Beyer K., Erdmann S. et al. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umwelt-medizin (GPA), der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI). In-vitro-Diagnostik und molekulare Grundlagen von IgE-vermittelten Nahrungsmittel-allergien. Allergo J. 2009;18:132–46.

5 Zeng Q, Dong SY, Wu LX, Li H, Sun ZJ, Li JB, et al. Variable food- specific IgG antibody levels in healthy and symptomatic Chinese adults. PLoS One. 2013;8[1]:e53612.

6 Wüthrich B, Lantin JP. Test alternativi sulle intolleranze alimentari Non affidabili e non riproducibili. Tribuna Medica Ticinese. 2014:79:81–6.

Korrespondenz: Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und Immu-nologie Klinische Fachkommission Scheibenstrasse 20 Postfach 1 CH-3000 Bern 22

Weder zytotoxische Testverfahren noch die Bestimmung von IgG- oder IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel haben einen diagnos-tischen oder klinisch relevanten Aussagewert.

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FALLBERICHTE 123

Eine seltene, jedoch wichtige Differentialdiagnose

Ungutes aus dem MediastinumSieghart Filippi, Esther Bächli, Georg Tscherry, Christian Alfaré

Medizinische Klinik, Spital Uster

Fallvorstellung

AnamneseEine zuvor gesunde 40-jährige, aus Thailand stam-mende Patientin wurde bei ihrem Hausarzt vorstellig. Sie beklagte seit zwei Monaten einen unproduktiven Husten. Eine Behandlung mit Clarithromycin brachte keine wesentliche Besserung. Die Patientin meldete sich deshalb erneut beim Hausarzt. Die darauffolgende radiologische konventionelle Bildgebung zeigte eine Transparenzminderung rechts thorakal. Zu diesem Zeitpunkt berichtete die Patientin darüber hinaus über eine geringgradige Belastungsdyspnoe sowi e zu-nehmende Rückenschmerzen, Müdigkeit und schwere, kraftlose Beine. Es erfolgte die Zuweisung auf unsere Notfallstation.

StatusIm Status wurden eine leicht erhöhte Kerntemperatur sowie eine Sinustachykardie von 110/min festgestellt. Die Herz- und Lungenauskultation waren wie die Un-

tersuchung der Wirbelsäule und der Neurostatus un-auffällig. Eine Organomegalie und eine Lymphadeno-pathie waren nicht tastbar.

UntersuchungenDie Laboruntersuchungen zeigten ein normales Differen tialblutbild und auch sonst keinen Hinweis auf einen Entzündungszustand. Im Serum wurden leicht erhöhte Trans aminasen sowie eine ebenfalls leicht er-höhte LDH (Lactatdehydrogenase) festgestellt. Ein HIV-Test war negativ und das TSH (Thyreoidea-stimulieren-des Hormon) normal. Die Hepatitis-Serologie zeigte eine statt gehabte Infektion mit Hepatitis B und eine negative Hepatitis-C-Serologie. Im Thoraxröntgenbild fand sich eine kugelig verbrei-terte mediastinale Kontur rechts und es bestand der Verdacht auf einen Pleuraerguss rechts (Abb. 1). Die da-raufhin durchgeführte Computertomographie (CT) des Thorax ergab multiple pleurale Tumoren mit grossem Pleuraerguss rechts. Eine Lymphadenopathie oder pul-monale Rundherde fanden sich nicht. Differentialdiag-nostisch wurden pleurale Metastasen eines unbekann-ten Primärtumors oder ein malignes Mesotheliom erwogen. Die Untersuchung des Pleuraergusses ergab keinen Nachweis von malignen Zellen, jedoch ein lympho zytenreiches Exsudat ohne Nachweis von säu-refesten Stäbchen. Die Kultur des Punktates blieb ne-gativ. Es erfolgte eine CT-gesteuerte Biopsie der paramedia-stinalen Tumormasse, die eine Infiltration durch einen epithelialen Tumor mit reichlich Stroma von lymphoi-den Zellen mit Vorläufer-T-Zell-Immunphänotyp er-gab. Der Befund sprach für ein Thymom, am ehesten Typ B2 nach WHO-Klassifikation. Differentialdiagnos-tisch konnte zu diesem Zeitpunkt ein Lymphom nicht gänzlich ausgeschlossen werden, woraufhin eine Kno-chenmarkpunktion erfolgte, die wenig reaktive Verän-derungen ohne weitere Auffälligkeiten aufwies. Zum Staging bei Verdacht auf ein Thymom erfolgte eine PET-CT, die metabolisch aktive Raumforderungen me-diastinal und pleural rechts ohne weitere anreichernde Herde darstellte (Abb. 2). Aufgrund der erwähnten Befunde konnte von einem Thymom ausgegangen werden. Es wurde interdiszipli-när beschlossen, der Patientin 4 Zyklen neoadjuvante Chemotherapie (Cyclophosphamid, Cisplatin und Do-xorubicin), gefolgt von einer eventuellen Resektion

Abbildung 1: Thorax-Röntgen bei Erstkonsultation mit grossem Pleuraerguss

und kugeliger Verbreiterung der mediastinalen Kontur rechts.

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FALLBERICHTE 124

und Radiotherapie zu empfehlen. Dieses Vorgehen lehnte die Patientin jedoch auch nach mehreren Ge-sprächen ab. Sie entzog sich vorderhand ärztlichen Kontrollen.

Verlauf18 Monate später stellte sich die Patientin erneut vor. Seit einem Monat beklagte sie Schluck- und Sprech-störungen mit tagesabhängigen Schwankungen sowie seit zehn Tagen bestehende Atemnot. Der Neurologe hielt angesichts der Symptome eine Myasthenia gravis in milder Form für möglich. Eine Behandlung mit Pyri-dostigmin (Mestinon®) wurde diskutiert, jedoch auf Wunsch der Patientin zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen.Kurz darauf kam es zu einer notfallmässigen Am-bulanzzuweisung. Der Ehemann der Patientin berich-tete, dass sie plötzlich nicht mehr atmete, worauf er sie Mund-zu-Mund beatmete. Der Rettungsdienst doku mentierte eine somnolente Patientin mit einer peri phe ren Sauerstoffsättigung von 85% bei stabilen Kreis laufparametern. Die Blutgasanalyse ergab eine schwere respiratorische Globalinsuffizienz (pCO2 10,1 kPa). Im CT-Thorax lag eine Progredienz des Thy-moms vor (Abb. 3). Als Ursache für die respiratorische Insuffizienz gingen wir von einer neuromuskulären Schwäche im Rahmen einer paraneoplastischen Mya-sthenia gravis aus. Wir verabreichten Neostigmin 0,5 mg intravenös be-reits auf der Notfallstation mit daraufhin deutlicher Verbesserung der Atmung (Normalisierung der Hyper-kapnie) sowie der Sprech- und Schluckbeschwerden. Im Anschluss wurde die Therapie auf Pyridostigmin 3 × 60 mg und ab Tag 2 auf 4 × 60 mg pro Tag umge-stellt. Zudem wurden über fünf Tage intravenös Im-munglobuline verabreicht. Im weiteren Verlauf wurde die Behandlung mit Prednisolon ausgebaut. Unte r die-ser Behandlung verschwanden die neuromuskulären Beschwerden.Nach dieser dramatischen Situation willigte die Pa-tientin nun in die bereits eineinhalb Jahre zuvor emp-fohlene Behandlung ein. Es wurden 4 Zyklen adjuvante Chemotherapie mit Cyclophosphamid, Cisplatin und Doxorubicin verabreicht, woraufhin sich eine ein-drückliche Grössenregredienz der Tumormanifesta-tion feststellen liess. Es bestanden jedoch weiterhin ausgedehnte Tumormassen. Daraufhin erfolgte eine umfangreiche Tumoroperation mit totaler parietaler Pleurektomie, partieller Dekortikation mit Perikard- und Zwerchfellresektion rechts, Thymektomie, Wedge-resektion des rechten Oberlappens mit einer Zwerch-fell- und Perikard-Rekonstruktion. Es konnte jedoch keine Resektion des Tumors im Gesunden (R0-Resek-

Abbildung 2: PET-CT zum Staging: Darstellung grosser Tumormassen paramediastinal

und supradiaphragmal rechts.

Abbildung 3: CT-Befund, unbehandelt, 18 Monate nach Diagnosestellung

mit weit fortgeschrittener, knotiger Tumorausdehnung pleural.

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FALLBERICHTE 125

tion) erzielt werden; makroskopisch wurde der Tumor entfernt, in der Histo pathologie waren jedoch kleinere Tumoranteile im Resek tionsrand nachweisbar (R1-Re-sektion). Die Histologie bestätigte das Thymom (WHO B3, Masaoka-Stadium IVa). Die Patientin erholte sich zuerst erstaunlich gut. Bis auf einen leichten Husten gab sie keine weiteren respi-ratorischen Beschwerden an. Von Seiten der Myasthe-nie war sie trotz Reduktion der Mestinon®-Dosis be-schwerdefrei. Etwa vier Monate danach erfolgte eine CT-Verlaufskontrolle, die vor allem eine grössere Luftansammlung mit Kompression der Restlunge rechts und eine Kontrastmittel-angereicherte Flüssig-keitsansammlung im vorderen Mediastinum ergab, die als Empyem eingeordnet werden musste. Es kam in der Folge zu mehrfachen Re-Thorakotomien bei Pleu-raempyem rechts, weshalb auch keine Bestrahlung er-folgte. Bei erneuter Tumorprogression mediastinal rechts ein weiteres halbes Jahr später erfolgte eine pal-liative Chemotherapie mit 6 Zyklen Carboplatin und Paclitaxel mit Erreichen einer Partialremission. Be-reits wenige Wochen später musste jedoch eine er-neute Progression in der PET-CT konstatiert werden, weshalb man sich zur erweiterten Restpneumonekto-mie entschloss. Der weitere Verlauf war dann primär geprägt durch wiederholte myasthene Krisen, kompli-ziert durch eine Critical-illness-Myopathie. Nach Be-handlung mit Steroiden, intravenösen Immunglobuli-nen und zwei Gaben Rituximab sowie nach längeren Aufenthalten auf der Intensivstation gelang schliess-lich die Einstellung auf ein Heimventilationsgerät, das die Patientin aktuell nur noch nachts einsetzen muss.Unter kon sequenter Einnahme von Pyridostigmin ist es in der Folge zu keinen weiteren myasthenen Krisen gekommen bei einer Belastbarkeit, die es sogar ermög-lichte, den Haushalt zu erledigen. Hinweise für eine er-neute Tumorprogression – nun vier Jahre nach Dia-gnosestellung – bestanden bis dato nicht.

Diskussion

HintergrundThymustumoren stellen eine heterogene Gruppe von Neoplasien dar. Die epithelialen Tumoren (Thymome, Thymuskarzinome) sind die häufigsten Subtypen. Wei-tere, wesentlich seltenere Thymustumoren sind Lym-phome, andere hämatopoietische Neoplasien, Keim-zelltumoren, Karzinoide und mesenchymale Tumoren [1]. Thymome sind mit 50% die häufigsten Tumoren des vorderen Mediastinums und somit die häufigste media stinale Neoplasie beim Erwachsenen [2]. Etwa ein Drittel sind maligne [3]. Maligne Thymome sind seltene Erkrankungen mit einer Inzidenz von 1,5 Fällen pro Million pro Jahr. Thymome treten in jedem Le-bensalter auf. Das Durchschnittsalter liegt bei 56 Jah-ren. Insgesamt steigt die Inzidenz bis zum 77. Lebens-jahr an und fällt anschliessend ab. Männer und dunkelhäutige Menschen sowie Asiaten sind etwas häufiger betroffen. Die Inzidenz für Zweitmalignome ist, bezogen auf B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome, gas-trointestinale Tumoren sowie Weichteilsarkome, leicht erhöht [4].

SymptomeEtwa ein Drittel bis die Hälfte der Patienten sind sym-ptomatisch [2]. Die meisten Symptome sind aufgrund von Kompression oder durch Invasion in die umgeben-den Strukturen bedingt, die sich als Thoraxschmerzen, Dyspnoe, Husten und Vena-cava-superior-Syndrom äussern. Der Thymus spielt in der Entstehung der Auto-immunpathogenese eine wichtige Rolle. Somit sind Thymome häufig mit paraneoplastischen Symptomen assoziiert. 30–64% der Patienten entwickeln eine My-asthenia gravis. Weitaus seltener sind andere paraneo-plastische Syndrome. In 2–5% der Fälle treten hämato-logische Erkrankungen wie aplastische Anämie (1,3%), hämolytische Anämie oder Agranulozytose auf. Im

Tabelle 1: Stadieneinteilung nach Masaoka mit Prognose [6, 7].

Stadium Beschreibung Häufigkeit 5-Jahres-Überleben 10-Jahres-Überleben Rezidivrate

I Makroskopisch durch Kapsel begrenzt, mikroskopisch keine Kapselinfiltration

48% 100% 91% <0,9%

II Makroskopisch Tumorinfiltration des mediastinalen Fettgewebes oder der Pleura, mikroskopisch Kapsel infiltration

23% 98% 88% 4,1%

III Makroskopisch Infiltration der angrenzenden Organe

19% 89% 47% 28,4%

IVa Pleurale und/oder perikardiale Tumordissemination

7% 71% 11% 34,3%

IVb Lymphogene und/oder hämatogene Metastasierung

3% 53%

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Falle einer paraneoplastischen Hypogammaglobulin-ämie spricht man vom «Good-Syndrom». Zudem sind weitere seltene autoimmune Erkrankungen beschrie-ben [2, 3, 5].

KlassifikationIm klinischen Alltag haben sich die histologische Tumor klassifikation der World Health Organization (WHO), die mit der Prognose korreliert, sowie die Sta-dieneinteilung nach Masaoka durchgesetzt. Erstere, die erstmals 1999 veröffentlicht und 2004 aktualisiert wurde, basiert auf histologischen Kriterien und unter-teilt die Thymome in 6 Subtypen. Typ A und AB zeigen ein benignes, Typ B1 und B2 ein intermediäres und Typ B3 und Typ C ein malignes Verhalten [1]. Das Staging nach Masaoka [6] bezieht sich auf die Invasivität und Ausbreitung der Thymome und Thymuskarzinome und korreliert gut mit dem Überleben (Tab. 1) [7].

DiagnostikMittel der Wahl zur primären Abklärung einer media-stinalen Raumforderung ist eine thorakale Computer-tomographie. Die PET-CT stellt aktuell noch nicht den Standard bei Abklärungen eines möglichen Thymoms dar, wird jedoch bereits breit angewendet. Unter su-chungen zeigen, dass mittels PET-CT Low-risk- Thy-mome (WHO A, AB, B1) von High-risk-Thymomen (WHO B2, B3, C) unterschieden werden können [8]. Die PET-CT dient zurzeit aber vor allem zur Detektion von Lymphknoten- oder Fernmetastasen bzw. Rezi diven.

TherapieEs existieren bisweilen keine randomisierten klini-schen Studien zur Behandlung von Thymomen und Thymuskarzinomen. Guidelines empfehlen den Ein-satz von Chirurgie, neoadjuvanter bzw. adjuvanter Cis-platin-basierter Chemotherapie und Strahlentherapie in Abhängigkeit des Stagings und der Resektabilität des Tumors.

Anhand der Bildgebung muss eingeschätzt werden, ob eine R0-Resektion potentiell möglich ist. Die histologi-sche Diagnosestellung sollte zur Vermeidung einer Tu-morverbreitung durch die Biopsie, bei hochgradigem Verdacht auf ein Thymom und potentieller R0-Resek-tabilität, erst im Rahmen der Operation erfolgen. Thymome bzw. Thymuskarzinome im Stadium I nach Masaoka bedürfen bei erfolgreicher R0-Resektion kei-ner weiteren Chemotherapie bzw. Radiotherapie. Es wird eine 5-jährige Nachkontrolle bei Thymom und eine 10-jährige Nachkontrolle beim Thymuskarzinom empfohlen. Bei initial fehlender Aussicht auf eine R0-Resektion muss eine neoadjuvante Chemotherapie mit anschliessender erneuter Evaluation einer R0-Resek-tabilität erwogen werden. Eine Strahlentherapie wird nach einer R1- und R2-Resektion bzw. nach einer neo-adjuvanten Chemotherapie ohne Möglichkeit einer an-schliessenden R0-Resektion empfohlen [9].

PrognoseDie Prognose ist vor allem abhängig von der R0-Resek-tabilität, dem Staging nach Masaoka sowie der histo-logischen WHO-Klassifikation. Eine Tumorgrösse von über 8 cm ist ein unabhängiger Prädikator für ein Rezi-div (Tab. 1) [6, 10].

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur 1 Müller-Hermelink HK, Ströbel P, Zettl A, Marx A, Chan JKC,

Harris NL, et al. Combined thymic epithelial tumours . In: Travis WD, Brambilla E, Müller-Hermelink HK , Harris CC editor. Pathology and Genetics of Tumours of the Lung, Pleura, Thymus and Heart. WHO classification of tumours series. Lyon, France: IARC Press. 2004;145–97.

2 Detterbeck FC, Parsons AM. Thymic tumors. Ann Thorac Surg. 2004;77:1860–9.

3 Rosenow EC, Hurley BT. Dysorders of the thymus. Arch Intern Med. 1984;144:767–70.

4 Engels EA, Pfeiffer RM. Malignant thymoma in the United States; demographic patterns in incidence and associations with subsequent malignancies. Int J Cancer. 2003;105:546–51.

5 Regnard JF, Magdeleinat P, Dromer C, Dulmet E, de Montpreville V, Levi JF, Levasseur P. Prognostic factors and long term results after thymoma resection: a series of 307 patients. J Thorac cardiovasc surg. 1996;112:376–84.

6 Masaoka A, Monden Y, Nakahara K, et al. Follow up study of thymomas with special reference to their clinical stages. Cancer. 1981;48:2485–92.

7 Schneider PM, Fellbaum C, Fink U, Bollschweiler E, Präuer HW. Prognostic importance of histomorphologic subclassification for epithelial thymic tumors. Ann Surg Oncol. 1997;4:46.

8 Terzi A, Bertolaccini L, Rizzardi G, Luzzi L, Bianchi A, Campione A, et al. Usefulness of 18-F FDG PET/CT in the pre-treatment evaluation of thymic epithelial neoplasms. Lung Cancer. 2011;4:239–43.

9 National Comprehensive Cancer Network guidelines http://www.nccn.org/professionals/physician_gls/f_guidelines.asp (zugegriffen am 09.01.2014).

10 Ströbel P, Bauer A, Puppe B, Kraushaar T, Krein A, Toyka K, et al. Tumor Recurrence and Survival in Patients Treated for Thymomas and Thymic Squamous Cell Carcinomas: A Retrospective Analysis. J Clin Oncol. 2004;22:1501.

Korrespondenz: Dr. med. Sieghart Filippi UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100 CH-8091 Uster sfilippi[at]gmx.net

Schlussfolgerungen für die Praxis

Thymome/Thymuskarzinome sind ingesamt seltene, jedoch wichtige Dif-

ferentialdiagnosen von Tumoren im Mediastinum. Beim Auftreten von pa-

raneoplastischen Syndromen muss die Differentialdiagnose eines Thy-

moms/Thymuskarzinoms berücksichtigt werden. In dem beschriebenen

Fall kam es nach Ablehnung der empfohlenen Therapie zum Zeitpunkt der

Dia gnosestellung zu einem ausgedehnten intrathorakalen Tumorbefall

und zum Auftreten einer Myasthenia gravis, die den Verlauf der Erkran-

kung und die Morbidität wesentlich beeinflusste.

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