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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde 300 Jahre Karlsruhe Musik einer Stadt (2) Von Thomas Rübenacker Sendung: Dienstag, 16. Juni 2015 9.05 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Musikstunde

300 Jahre Karlsruhe Musik einer Stadt (2)

Von Thomas Rübenacker

Sendung: Dienstag, 16. Juni 2015 9.05 – 10.00 Uhr

Redaktion: Bettina Winkler

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere

Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD

von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst

in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030

Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?

Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen

Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.

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300 Jahre Karlsruhe – Teil 2

Karl Wilhelm, der Gründer der Stadt Karlsruhe vor 300 Jahren, war

nicht nur ein Hallodri und unverbesserlicher Weiberheld – er war

auch einer der aufgeklärtesten Regenten Europas. Nicht etwa weil

er alles schleifen ließ, ging es seinen Untertanen gut – sondern weil

er sich übers Regieren tatsächlich Gedanken machte. Er wollte ihr

Bestes! Er nahm es ihnen allerdings nicht einfach weg, dieses

„Beste“, sondern mehrte es. Den Juden, zum Beispiel, ging es

damals in Karlsruhe sehr gut. Europaweit nicht unbedingt verfolgt,

aber doch Bürger dritter Klasse (oder überhaupt keine Bürger),

waren sie als sprudelnde Geldquellen prass-süchtiger Fürsten

geduldet. In Karlsruhe wurde ihnen der Bürgerbrief nicht verwehrt,

sie mussten nur ein „ehrlich Handwerk“ ausüben, wozu neben

Schreinern oder Schmieden eben auch der Geldverleih gezählt

wurde. Karl Wilhelms Vision von einer „Modellstadt“ beschränkte

sich jedenfalls nicht auf den Grundriss der Kompassrose, den er

Karlsruhe verpassen ließ. Ein historisches Dokument, der

Privilegienbrief, zeugt bereits von seinem modernen Staats- und

Menschenbild. In diesen „Privilegien“ ist vieles bereits angelegt,

was sich die europäischen Völker in den Revolutionen der

Folgezeit bis ins 20. Jahrhundert erst mühsam erkämpften: das gute

Recht jedes Individuums, persönliche Freiheit, wirtschaftliche

Freiheiten, Gleichheit vor dem Recht, politische Mitsprache und

die Unantastbarkeit des jeweiligen Glaubens. Jede Woche gab es

eine allgemeine Audienz beim Regenten, die allen Untertanen

offenstand. So wird Weltgeschichte mitunter im Kleinen und von

vermeintlich „kleinen“ Leuten geschrieben, deshalb auch ist

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Karlsruhe heute weithin als „Residenz des Rechts“ bekannt – und

nicht nur, weil hier die beiden höchsten Gerichte der

Bundesrepublik angesiedelt sind.

MUSIK: BODINUS, SINFONIA B-DUR, M0387978 012, 4‘47

Dieses Allegro, Kopfsatz einer Sinfonia B-dur, stammt von dem

dritten Hofkapellmeister in Karlsruhe, Sebastian Bodinus. Der

Geiger, der zuvor jahrelang die Hofkapelle vom 1. Pult an geführt

hatte, klingt hier zwar mehr nach Mannheim als nach Karlsruhe –

und er endete schließlich, 1758, im Irrenhospiz von Pforzheim. Ein

badisches Leben, das dem aus Mitteldeutschland stammenden

Bodinus offenbar nicht seine Seelenruhe brachte. Kirstin Kares

leitete das Karlsruher Barockorchester.

Nachfolger des Stadtgründers Karl Wilhelm, nachdem dieser

verstorben war, wurde sein Enkel Karl Friedrich, da sein

gleichnamiger Sohn ebenfalls schon tot war: ein Jagdunfall. Karl

Friedrich II. war damals allerdings erst 10 Jahre alt und hatte einen

adligen Verwandten zur Seite, der ihm auf die Finger sah. Er trat

aber in die Fußstapfen seines Großvaters: Ganz närrisch auf Tulpen

jeder Art, noch mehr auf Frauen, als er denn durch das Feuer der

Pubertät gegangen war. Einen unerwarteten Aufschwung nahm

das Musikleben am Karlsruher Hof, an dem übrigens auch die

neue Markgräfin Caroline Luise als Cembalistin teilnahm, durch

das Aussterben der Baden-Badener Linie der Zähringer 1771. Der

Hof zu Rastatt wurde aufgelöst, die dortige Hofkapelle kam

nahezu komplett in Karlsruhe unter, darunter auch der

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höchstbegabte Geiger Joseph Aloys Schmittbauer. Er spielte unter

Kapellmeistern mit wenig vertrauenerweckenden Namen wie

Brandl oder Schwindl und wurde von seinem Dienstherrn einmal

das „Rückgrat unserer musique“ genannt, eine Art Ehrentitel wie

ein Orden. Der Gusto des Regenten veränderte sich vom

bukolischen Schäferständchen zur operatischen „Erlebnissinfonie“,

woraufhin Johann Evangelist Brandl eine einsätzige Sinfonie Es-dur

komponierte, die genausogut die Ouvertüre einer

hochdramatischen Oper hätte sein können.

MUSIK: BRANDL, SINFONIE ES-DUR, M0387978 018 (9:14)

Johann Evangelist Brandl, eine Sinfonie Es-dur op. 12, die Brandl in

Karlsruhe komponiert hatte und dort uraufführte. Wieder dirigierte

Kirstin Kares das Karlsruher Barockorchester.

Kapellmeister Brandl war es auch, der kurz vor der Wende vom 18.

zum 19. Jahrhundert mit dem Werk eines gewissen Wolfgang

Amadé Mozart ankam, einem Konzert für zwei Klaviere Es-dur, das

bei der Markgräfin Caroline Luise sofort auf Gegenliebe stieß. Die

einstens tüchtige Cembalistin hatte sich zur Solistin gemausert, und

zwar auf dem frisch angeschafften Hammerclavier, aber allein

aufzutreten hatte sie die Traute nicht, trotz Unterricht in Berlin bei

Hans von Bülow: Jedoch im Duo mit Brandl schon (der übrigens,

da nur ein Hammerclavier vorhanden war, seinen seconda-Part

immer noch auf dem alten Cembalo spielte, was kurios geklungen

haben muss). Mozart galt hier immer noch als ein Geheimtip, und

der Markgräfin erschien das Es-dur-Konzert gerade das Richtige,

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um unterm Weihnachtsbaum zu erklingen – statt der wie jedes Jahr

gebetsmühlenartig wiederholten Weihnachtslieder, bei denen der

ganze Hofstaat ab der zweiten Strophe, textvergessen, nur noch

auf Konsonanten brummte. Da war bei dem „Geheimtip“ Mozart

doch entschieden mehr geboten!

MUSIK: W.A.MOZART, KONZERT für zwei Klaviere ES-DUR, 1. Satz,

Ronald Brautigam, Alexej Ljubimov, Haydn Sinfonietta Wien,

Leitung: Manfred Haus, BIS-CD-1618, 9:48

Früher Mozart, spät in Karlsruhe: Das Konzert Es-dur für zwei Klaviere

und Orchester von 1779 war ein Liebling der klavierspielenden

Markgräfin Caroline Luise, die es mit Hofkapellmeister Brandl gerne

zu Weihnachten aufführte – sowohl im engsten Familienkreise wie

für den gesamten Hofstaat. Alexei Lubimov und Ronald Brautigam

spielten mit der Haydn Sinfonietta Wien, der Dirigent war Manfred

Huss.

Einer der bedeutendsten Hofkapellmeister in Karlsruhe war ab 1812

der in Schwetzingen geborene Franz Danzi, der so brillant war,

dass Johann Evangelist Brandl freiwillig ins zweite Glied trat und bis

1830 als zweiter Kapellmeister praktisch Danzis Assistent wurde.

Schreibt Joachim Draheim: „Der in ganz Deutschland als

vielseitiger und fruchtbarer Komponist bekannte und geschätzte

Danzi schlägt stilistisch eine Brücke von der Mannheimer Schule

und dem von ihm verehrten Mozart zur Romantik seines Freundes

und Schützlings (Carl Maria von) Weber … Zu Danzis zahlreichen

Bühnenwerken zählt auch das heroisch-komische Singspiel

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Turandot, das am 26. Dezember 1816 zum Geburtstag der

Großherzogin Stéphanie uraufgeführt wurde“ - übrigens

Napoleons Adoptivtochter Stéphanie Beauharnais, die er 1806

dem badischen Thronfolger Karl zur Frau gegeben hatte. Damit

war die badische Residenz nach der Französischen Revolution

wieder mal fein raus: Sie wurde erst Kurfürstentum und 1806 dann

Großherzogtum und bekam von Napoleons Gnaden so viel

Ländereien einverleibt, dass sie nun von der Kurpfalz bis zum

Hochrhein reichte. Auch die Einwohnerzahl wuchs: von 165.000 auf

stattliche 900.000, in Karlsruhe selbst auf 15.000 stolze Bürger.

MUSIK: DANZI, TURANDOT-OUVERTÜRE, M0387978 019 (5:33)

„Turandot“, ein Orientmärchen von Carlo Gozzi: die Bühnenmusik,

die der Karlsruher Kapellmeister Franz Danzi zu Beginn des 19.

Jahrhunderts komponierte, hier die Ouvertüre. Kirstin Kares leitete

das Karlsruher Barockorchester.

Warum hatte die Hausmusik der Großherzogen nahezu alle Noten,

die Corelli je komponiert hatte, aber nahezu nichts von Johann

Sebastian Bach? Weil Corelli ein Selbstvermarktungsgenie war und

Bach nicht. Bach schrieb für den Augenblick, änderte die Worte ja

nach Bedarf, sodass auch mal aus einer weltlichen eine geistliche

Kantate werden konnte. Corelli dachte bereits an die Nachwelt.

Und Franz Danzi besorgte, was besorgbar war: Corellis Werk in

mustergültigen Editionen, die europaweit verkauft wurden,

bachmusste man schon „ausgraben“, siehe die Matthäuspassion.

Aber Danzi hatte auch einen Draht zum Hof von Spanien, und

eines Tages brachte er der Großherzogein, die so gerne Gitarre

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wie Cembalo spielte, das ungedruckte Werk eines Italieners aus

Genua, der die Kinder der Bourbonen unterrichtete: Luigi

Boccherini. Ein Streichquartett mit Gitarre hatte es der Regentin

angetan, Mitglieder der Hofkapelle mussten sie darin begleiten

(und taten es gern, weil der Lohn reich war): Hören diesen

charmanten Zwitter mit dem Cuarteto Caslas und Carles Trepat.

Musik: Boccherini: Gitarrenquintett, M0297665 014, 6‘27

Bei einem Gastspiel 1816 des Danzi-Freundes Louis Spohr musste

Karlsruhe allerdings viel Kritik wegstecken. Nicht nur bemängelte

Spohr die ungeheizten Wohnungen und die „klobige“ St.

Stephanskirche, sondern rügte auch das Orchester: „... die Kapelle

ist, obgleich in neuester Zeit mehrere ausgezeichnete Künstler

engagiert wurden, noch immer sehr mittelmäßig. Einige gute

Mitglieder können die Schwächen der übrigen nicht verdecken.“

Das sollte sich aber ändern, nicht zuletzt durch den famosen

Konzertmeister Friedrich Ernst Fesca, der aus Magdeburg kam und

in Karlsruhe rasch zum Danzi nachfolgenden Kapellmeister

befördert wurde. Sein Einstand: die Ouvertüre D-dur op. 41.

MUSIK: FESCA, OUVERTÜRE D-DUR, M0387978 020 (6:36)