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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
300 Jahre Karlsruhe Musik einer Stadt (2)
Von Thomas Rübenacker
Sendung: Dienstag, 16. Juni 2015 9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion: Bettina Winkler
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300 Jahre Karlsruhe – Teil 2
Karl Wilhelm, der Gründer der Stadt Karlsruhe vor 300 Jahren, war
nicht nur ein Hallodri und unverbesserlicher Weiberheld – er war
auch einer der aufgeklärtesten Regenten Europas. Nicht etwa weil
er alles schleifen ließ, ging es seinen Untertanen gut – sondern weil
er sich übers Regieren tatsächlich Gedanken machte. Er wollte ihr
Bestes! Er nahm es ihnen allerdings nicht einfach weg, dieses
„Beste“, sondern mehrte es. Den Juden, zum Beispiel, ging es
damals in Karlsruhe sehr gut. Europaweit nicht unbedingt verfolgt,
aber doch Bürger dritter Klasse (oder überhaupt keine Bürger),
waren sie als sprudelnde Geldquellen prass-süchtiger Fürsten
geduldet. In Karlsruhe wurde ihnen der Bürgerbrief nicht verwehrt,
sie mussten nur ein „ehrlich Handwerk“ ausüben, wozu neben
Schreinern oder Schmieden eben auch der Geldverleih gezählt
wurde. Karl Wilhelms Vision von einer „Modellstadt“ beschränkte
sich jedenfalls nicht auf den Grundriss der Kompassrose, den er
Karlsruhe verpassen ließ. Ein historisches Dokument, der
Privilegienbrief, zeugt bereits von seinem modernen Staats- und
Menschenbild. In diesen „Privilegien“ ist vieles bereits angelegt,
was sich die europäischen Völker in den Revolutionen der
Folgezeit bis ins 20. Jahrhundert erst mühsam erkämpften: das gute
Recht jedes Individuums, persönliche Freiheit, wirtschaftliche
Freiheiten, Gleichheit vor dem Recht, politische Mitsprache und
die Unantastbarkeit des jeweiligen Glaubens. Jede Woche gab es
eine allgemeine Audienz beim Regenten, die allen Untertanen
offenstand. So wird Weltgeschichte mitunter im Kleinen und von
vermeintlich „kleinen“ Leuten geschrieben, deshalb auch ist
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Karlsruhe heute weithin als „Residenz des Rechts“ bekannt – und
nicht nur, weil hier die beiden höchsten Gerichte der
Bundesrepublik angesiedelt sind.
MUSIK: BODINUS, SINFONIA B-DUR, M0387978 012, 4‘47
Dieses Allegro, Kopfsatz einer Sinfonia B-dur, stammt von dem
dritten Hofkapellmeister in Karlsruhe, Sebastian Bodinus. Der
Geiger, der zuvor jahrelang die Hofkapelle vom 1. Pult an geführt
hatte, klingt hier zwar mehr nach Mannheim als nach Karlsruhe –
und er endete schließlich, 1758, im Irrenhospiz von Pforzheim. Ein
badisches Leben, das dem aus Mitteldeutschland stammenden
Bodinus offenbar nicht seine Seelenruhe brachte. Kirstin Kares
leitete das Karlsruher Barockorchester.
Nachfolger des Stadtgründers Karl Wilhelm, nachdem dieser
verstorben war, wurde sein Enkel Karl Friedrich, da sein
gleichnamiger Sohn ebenfalls schon tot war: ein Jagdunfall. Karl
Friedrich II. war damals allerdings erst 10 Jahre alt und hatte einen
adligen Verwandten zur Seite, der ihm auf die Finger sah. Er trat
aber in die Fußstapfen seines Großvaters: Ganz närrisch auf Tulpen
jeder Art, noch mehr auf Frauen, als er denn durch das Feuer der
Pubertät gegangen war. Einen unerwarteten Aufschwung nahm
das Musikleben am Karlsruher Hof, an dem übrigens auch die
neue Markgräfin Caroline Luise als Cembalistin teilnahm, durch
das Aussterben der Baden-Badener Linie der Zähringer 1771. Der
Hof zu Rastatt wurde aufgelöst, die dortige Hofkapelle kam
nahezu komplett in Karlsruhe unter, darunter auch der
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höchstbegabte Geiger Joseph Aloys Schmittbauer. Er spielte unter
Kapellmeistern mit wenig vertrauenerweckenden Namen wie
Brandl oder Schwindl und wurde von seinem Dienstherrn einmal
das „Rückgrat unserer musique“ genannt, eine Art Ehrentitel wie
ein Orden. Der Gusto des Regenten veränderte sich vom
bukolischen Schäferständchen zur operatischen „Erlebnissinfonie“,
woraufhin Johann Evangelist Brandl eine einsätzige Sinfonie Es-dur
komponierte, die genausogut die Ouvertüre einer
hochdramatischen Oper hätte sein können.
MUSIK: BRANDL, SINFONIE ES-DUR, M0387978 018 (9:14)
Johann Evangelist Brandl, eine Sinfonie Es-dur op. 12, die Brandl in
Karlsruhe komponiert hatte und dort uraufführte. Wieder dirigierte
Kirstin Kares das Karlsruher Barockorchester.
Kapellmeister Brandl war es auch, der kurz vor der Wende vom 18.
zum 19. Jahrhundert mit dem Werk eines gewissen Wolfgang
Amadé Mozart ankam, einem Konzert für zwei Klaviere Es-dur, das
bei der Markgräfin Caroline Luise sofort auf Gegenliebe stieß. Die
einstens tüchtige Cembalistin hatte sich zur Solistin gemausert, und
zwar auf dem frisch angeschafften Hammerclavier, aber allein
aufzutreten hatte sie die Traute nicht, trotz Unterricht in Berlin bei
Hans von Bülow: Jedoch im Duo mit Brandl schon (der übrigens,
da nur ein Hammerclavier vorhanden war, seinen seconda-Part
immer noch auf dem alten Cembalo spielte, was kurios geklungen
haben muss). Mozart galt hier immer noch als ein Geheimtip, und
der Markgräfin erschien das Es-dur-Konzert gerade das Richtige,
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um unterm Weihnachtsbaum zu erklingen – statt der wie jedes Jahr
gebetsmühlenartig wiederholten Weihnachtslieder, bei denen der
ganze Hofstaat ab der zweiten Strophe, textvergessen, nur noch
auf Konsonanten brummte. Da war bei dem „Geheimtip“ Mozart
doch entschieden mehr geboten!
MUSIK: W.A.MOZART, KONZERT für zwei Klaviere ES-DUR, 1. Satz,
Ronald Brautigam, Alexej Ljubimov, Haydn Sinfonietta Wien,
Leitung: Manfred Haus, BIS-CD-1618, 9:48
Früher Mozart, spät in Karlsruhe: Das Konzert Es-dur für zwei Klaviere
und Orchester von 1779 war ein Liebling der klavierspielenden
Markgräfin Caroline Luise, die es mit Hofkapellmeister Brandl gerne
zu Weihnachten aufführte – sowohl im engsten Familienkreise wie
für den gesamten Hofstaat. Alexei Lubimov und Ronald Brautigam
spielten mit der Haydn Sinfonietta Wien, der Dirigent war Manfred
Huss.
Einer der bedeutendsten Hofkapellmeister in Karlsruhe war ab 1812
der in Schwetzingen geborene Franz Danzi, der so brillant war,
dass Johann Evangelist Brandl freiwillig ins zweite Glied trat und bis
1830 als zweiter Kapellmeister praktisch Danzis Assistent wurde.
Schreibt Joachim Draheim: „Der in ganz Deutschland als
vielseitiger und fruchtbarer Komponist bekannte und geschätzte
Danzi schlägt stilistisch eine Brücke von der Mannheimer Schule
und dem von ihm verehrten Mozart zur Romantik seines Freundes
und Schützlings (Carl Maria von) Weber … Zu Danzis zahlreichen
Bühnenwerken zählt auch das heroisch-komische Singspiel
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Turandot, das am 26. Dezember 1816 zum Geburtstag der
Großherzogin Stéphanie uraufgeführt wurde“ - übrigens
Napoleons Adoptivtochter Stéphanie Beauharnais, die er 1806
dem badischen Thronfolger Karl zur Frau gegeben hatte. Damit
war die badische Residenz nach der Französischen Revolution
wieder mal fein raus: Sie wurde erst Kurfürstentum und 1806 dann
Großherzogtum und bekam von Napoleons Gnaden so viel
Ländereien einverleibt, dass sie nun von der Kurpfalz bis zum
Hochrhein reichte. Auch die Einwohnerzahl wuchs: von 165.000 auf
stattliche 900.000, in Karlsruhe selbst auf 15.000 stolze Bürger.
MUSIK: DANZI, TURANDOT-OUVERTÜRE, M0387978 019 (5:33)
„Turandot“, ein Orientmärchen von Carlo Gozzi: die Bühnenmusik,
die der Karlsruher Kapellmeister Franz Danzi zu Beginn des 19.
Jahrhunderts komponierte, hier die Ouvertüre. Kirstin Kares leitete
das Karlsruher Barockorchester.
Warum hatte die Hausmusik der Großherzogen nahezu alle Noten,
die Corelli je komponiert hatte, aber nahezu nichts von Johann
Sebastian Bach? Weil Corelli ein Selbstvermarktungsgenie war und
Bach nicht. Bach schrieb für den Augenblick, änderte die Worte ja
nach Bedarf, sodass auch mal aus einer weltlichen eine geistliche
Kantate werden konnte. Corelli dachte bereits an die Nachwelt.
Und Franz Danzi besorgte, was besorgbar war: Corellis Werk in
mustergültigen Editionen, die europaweit verkauft wurden,
bachmusste man schon „ausgraben“, siehe die Matthäuspassion.
Aber Danzi hatte auch einen Draht zum Hof von Spanien, und
eines Tages brachte er der Großherzogein, die so gerne Gitarre
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wie Cembalo spielte, das ungedruckte Werk eines Italieners aus
Genua, der die Kinder der Bourbonen unterrichtete: Luigi
Boccherini. Ein Streichquartett mit Gitarre hatte es der Regentin
angetan, Mitglieder der Hofkapelle mussten sie darin begleiten
(und taten es gern, weil der Lohn reich war): Hören diesen
charmanten Zwitter mit dem Cuarteto Caslas und Carles Trepat.
Musik: Boccherini: Gitarrenquintett, M0297665 014, 6‘27
Bei einem Gastspiel 1816 des Danzi-Freundes Louis Spohr musste
Karlsruhe allerdings viel Kritik wegstecken. Nicht nur bemängelte
Spohr die ungeheizten Wohnungen und die „klobige“ St.
Stephanskirche, sondern rügte auch das Orchester: „... die Kapelle
ist, obgleich in neuester Zeit mehrere ausgezeichnete Künstler
engagiert wurden, noch immer sehr mittelmäßig. Einige gute
Mitglieder können die Schwächen der übrigen nicht verdecken.“
Das sollte sich aber ändern, nicht zuletzt durch den famosen
Konzertmeister Friedrich Ernst Fesca, der aus Magdeburg kam und
in Karlsruhe rasch zum Danzi nachfolgenden Kapellmeister
befördert wurde. Sein Einstand: die Ouvertüre D-dur op. 41.
MUSIK: FESCA, OUVERTÜRE D-DUR, M0387978 020 (6:36)