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SALVATORE CRUCELI Die systemistische Theorie Sozialer Arbeit nach Silvia Staub-Bernasconi Der Systemismus geht auf Silvia Staub-Bernasconi und die Zürcher Schule zurück. Es handelt es sich um einen Ansatz, der sich den Systemtheorien zurechnen lässt und die Theoriediskussion Sozialer Arbeit im deutschen Sprachraum seit mehreren Jahrzehnten wesentlich prägt. Ausgangspunkt für die Entwicklung der Theorie ist Silvia Staub-Bernasconis Feststellung, dass die Soziale Arbeit keine eigenständige Expertise aufweist und von anderen Disziplinen fremdbestimmt wird 1 . So entwirȼt sie 1983 in ihrer Dissertationsschriȼt die Grundzüge einer systemischen Theorie Sozialer Arbeit 2 . Dank einer systematischen und eigenständigen theoretischen Fundierung soll die Professionalierung der Sozialen Arbeit vorangetrieben und diese als gleichwertige Disziplin etabliert werden (Staub-Bernasconi, 2002, S. 280). Theorielinien © Berner Fachhochschule (BFH), Departement Soziale Arbeit, 2019, aktualisiert Jan 21 Seite 1 von 16

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SALVATORE CRUCELI

Die systemistische Theorie Sozialer Arbeit nach Silvia Staub-Bernasconi

Der Systemismus geht auf Silvia Staub-Bernasconi und die Zürcher Schule zurück. Es handelt es sich umeinen Ansatz, der sich den Systemtheorien zurechnen lässt und die Theoriediskussion Sozialer Arbeit imdeutschen Sprachraum seit mehreren Jahrzehnten wesentlich prägt.

Ausgangspunkt für die Entwicklung der Theorie ist Silvia Staub-Bernasconis Feststellung, dass dieSoziale Arbeit keine eigenständige Expertise aufweist und von anderen Disziplinen fremdbestimmtwird1. So entwir t sie 1983 in ihrer Dissertationsschri t die Grundzüge einer systemischen Theorie SozialerArbeit2. Dank einer systematischen und eigenständigen theoretischen Fundierung soll dieProfessionalierung der Sozialen Arbeit vorangetrieben und diese als gleichwertige Disziplin etabliertwerden (Staub-Bernasconi, 2002, S. 280).

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Der emergentistische Systemismus theoretischesFundament einer Theorie Sozialer Arbeit

Das theoretische Gerüst zur Fundierung ihrer Theorie findet Staub-Bernasconi beim argentinischenPhilosophen Mario Bunge. Es handelt sich dabei um eine spezifische Form der Systemtheorie, die imWissenscha tsdiskurs als „emergentistischer Systemismus“ bezeichnet wird. „Diese Begri fswahlfolgt zum einen dem Systemverständnis Bunges, System und Emergenz als Einheit zu konzipieren“und dient zum anderen als „Abgrenzung gegenüber anderen Systemtheorien“ (Sagebiel, 2012, S. 41).

Ihrerseits betont Staub-Bernasconi immer wieder die Abgrenzung von der Systemtheorie nachNiklas Luhmann (zum Beispiel Staub-Bernasconi, 2000). Der erbitterte Theoriestreit zwischen derZürcher Schule (mit Staub-Bernasconi als deren wichtigste Vertreterin)3 und der sich auf Luhmannberufenden Bielefelder Schule prägt den deutschsprachigen Fachdiskurs seit den 1990er-Jahren. Diesystematische Abgrenzung zwischen den beiden systemtheoretischen Zugängen beschä tigt unsauch im Rahmen dieser Ausführungen; letztlich wird so eine inhaltliche Schärfung und dasVerständnis der jeweiligen Positionen gefördert4.

Der System-Begri f nach Mario Bunge

Gemäss Bunge gibt es keine völlig isolierten Dinge. „Jedes Ding interagiert mit (einigen) anderenDingen“ (2004, S. 71). Daher werden als Grundannahmen der systemistischen Ontologie folgendedrei Postulate formuliert:

a. Jedes konkrete Ding ist entweder ein System oder Bestandteil eines Systems.b. Jedes System (mit Ausnahme des Universums) ist ein Subsystem eines anderen Systems.c. Das Universum ist ein System, das jedes andere Ding als Teil enthält.

(Bunge & Mahner 2004, S. 71)

Das Universum wird somit als eine (annähernd unendliche) Menge hierarchisch verschachtelterSysteme und Subsysteme verstanden. Dabei gibt es unterschiedliche Arten von Systemen; „diesekönnen physikalisch, biologisch, psychisch, sozial oder kulturell sein und unterscheiden sichuntereinander durch jeweils spezifische Eigenscha ten und Gesetzmässigkeiten“ (Staub-Bernasconi,2012, S. 270).

Allen Arten von Systemen sind drei elementare Eigenscha ten gemeinsam, die von Bunge undMahner (2004, S. 75) im Rahmen der sogenannten ZUS-Analyse beschrieben werden. ZUS stehtdabei für Zusammensetzung, Umgebung und Struktur:

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Z(Zusammensetzung)

Jedes System ist aus mehreren (mindestens zwei) Komponenten zusammengesetzt.)

U(Umgebung)

Jedes System hat eine Umgebung und lässt sich von dieser abgrenzen. Im Prinzip wäre mit Umgebungdie gesamte restliche Welt gemeint. Sinnvollerweise bezieht sich „U“ jedoch nur auf diejenige

„unmittelbare Umgebung“, die das System beein lussen kann beziehungsweise die von diesembeein lusst wird.

S(Struktur)

„Um wirklich ein System und nicht bloss einen Haufen zu bilden, müssen die Teile eines komplexenDings mit anderen Teilen interagieren, d. h. es muss Verknüpfungen zwischen den Komponenten des

Systems geben“ (Bunge & Mahner, 2004, S.75). Aufgrund dieser Verknüpfungen (oder Relationen)entsteht Struktur5.

Somit lässt sich ein System als ein „Etwas“ definieren, das „aus einer Anzahl von Komponenten besteht(Zusammensetzung), die untereinander eine Menge von konkreten Beziehungen unterhalten (innereStruktur), die sie untereinander mehr binden als gegenüber anderen ‚Dingen’, so dass sie sich gegenüberdem Rest der Welt als Umwelt abgrenzen (externe Struktur).” (Sagebiel, 2012, S. 41).

Emergenz und Prozessha tigkeit

Der Begri f der „Emergenz“ ist für das Verständnis des Systemismus von entscheidender Bedeutung.Obrecht bezeichnet „System“ und „Emergenz“ als „begri liche Zwillinge“, die im Mittelpunkt der Theoriestehen (2000, S. 208).

Systemtheorien gehen grundsätzlich von einer hohen Prozessha tigkeit aus. So befindet sich dasUniversum im systemistischen Weltbild in einem kontinuierlichen Wandlungsprozess. Systeme müssen

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sich neuen Gegebenheiten anpassen, gehen dabei neue Verbindungen ein und entwickeln laufend neueEigenscha ten. Dieser Prozess, im Rahmen dessen Eigenscha ten neu entstehen, wird als „Emergenz“bezeichnet; das Gegenstück dazu – das Verschwinden von Eigenscha ten – wird als „Submergenz“definiert (Bunge & Mahner, 2004, S. 79–80)6.

Die Abgrenzung vom Atomismus und vom Holismus

Zur Begründung der spezifisch systemistischen Perspektive bezieht sich Staub-Bernasconi in ihrem Werkimmer wieder auf die von Bunge eingeführte paradigmatische Unterscheidung zwischen Atomismus,Holismus und Systemismus.

Mit Atomismus beziehungsweise Individualismus bezeichnet Staub-Bernasconi „eine philosophische,metatheoretische Position, die davon ausgeht, dass alles Existierende aus isolierten, unverbundenenEinheiten besteht (…)“ (2012, S. 268). Mit den Begri lichkeiten der ZUS-Analyse werden Atomisten„mikroreduktionistisch“ die Zusammensetzung von Systemen betrachten, dabei jedoch Umgebung undStruktur vernachlässigen (Bunge & Mahner, 2004, S. 78).

Das holistische Paradigma konzentriert sich im Gegenteil auf die grossen Zusammenhänge,vernachlässigt dadurch jedoch Eigenscha ten und Beziehungen einzelner Systeme und Teilsysteme.„Holisten bevorzugen als Makroreduktionisten die Umgebung (…) und lassen Zusammensetzung undStruktur aussen vor“ (Bunge & Mahner, 2004, S. 78).

Den Mittelweg zwischen Atomismus („Jedes Ding geht seinen eigenen Weg“) und Holismus („Jedes Dinghängt mit allen anderen Dingen zusammen“) nennt Bunge „Systemismus“ (Bunge & Mahner, 2004, S. 71–72). Erst jetzt bewegen wir uns somit im Rahmen einer Systemtheorie.

Staub-Bernasconi nutzt die scharfe Abgrenzung vom Atomismus und vom Holismus, um dieÜberlegenheit des Systemistismus gegenüber individuumszentierten bzw. ausschliesslichgesellscha tsorientierten Theorien zu bekrä tigen. So kritisiert sie (tiefen-)psychologisch-humanistischeoder auch sozialpsychologisch-lebensweltlich fundierte Zugänge (←→ Atomismus) und wendet sichvehement gegen „neomarxistische Ansätze der 70-er Jahre“ und gegen „makrosoziale AnsätzeParsonscher und Luhmannscher Provenienz“ (←→ Holismus) (Staub-Bernasconi, 2012, S. 269)7. Derbesondere Vorzug des systemistischen Zugangs ist, dass „er eine theoretisch begründete undgleichzeitige Betrachtung des Mikrosozialen wie auch des Makrosozialen erlaubt“ (Staub-Bernasconi,2012, S. 273).

Die Bedeutung der systemistischen Bedürfnistheorie

Im Systemismus werden Menschen als lern-, sprach- und selbstwissensfähige Biosysteme betrachtet, dievon Bedürfnissen determiniert werden. Diese Bedürfnisse können biologisch, psychisch oder sozial seinund sind von Wünschen zu unterscheiden. Bedürfnisse sind elementar und lebensnotwendig. Wünschekönnen durchaus legitim sein, ihre Erfüllung darf aber nicht zu Lasten der Bedürfnisbefriedigunganderer gehen (Sagebiel, 2012, S. 46). Die Bedürfnisdeterminiertheit des Menschen ist vielleicht derentscheidende Baustein für die Übertragbarkeit des philosophischen Systemismus in die Soziale Arbeitund bestimmt somit wesentlich die Inhalte von Staub-Bernasconis Theorie8. Drei besonders wichtigeImplikationen werden im Folgenden kurz erläutert.

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(1) Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession

Das grundsätzliche Recht auf die Befriedigung von Bedürfnissen geht notwendigerweise mit einerethisch-normativen Haltung einher. Dazu bieten die Menschenrechte einen Bezugsrahmen mituniversellem Anspruch. Sie sollen die individuelle Bedürfnisbefriedigung der Mitglieder einerGesellscha t sicherstellen und gelten gleichermassen für alle Menschen, und zwar unabhängig vonGeschlecht, Alter, Hautfarbe9. Ethische Aussagen sind somit integraler Bestandteil einer Theorie SozialerArbeit.

(2) Soziale Probleme als Gegenstand Sozialer Arbeit

Die mangelnde Befriedigung von Bedürfnissen führt zu inneren Spannungszuständen und ist somit einprimärer Faktor für die Entstehung sozialer Probleme. Das ist wiederum für dieGegenstandsbestimmung der Sozialen Arbeit bedeutsam: Gegenstand Sozialer Arbeit sind gemässStaub-Bernasconi soziale Probleme (1996, S. 12).

In diesem Zusammenhang knüp t Staub-Bernasconi an die – auf Bunge zurückgehende –Unterscheidung der drei Paradigmen. Aus atomistischer (mikrosozialer) Sicht sind soziale Probleme„Selbstverwirklichungs- und Selbstbehinderungsprobleme von Individuen“, die konsequenterweise nurindividuell bearbeitet werden können. Aus holistischer (makrosozialer) Perspektive ergeben sich sozialeProbleme durch defizitäre gesellscha tliche Prozesse, zum Beispiel das „Versagen von Sozialisation“ oder„Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozesse“. Deren Entstehung wird vor allem durch die Soziologieund Kulturtheorien erklärt – mit dem nachteiligen E fekt, dass dabei der Blick auf das Individuumverloren geht. Im systemistischen Paradigma sind soziale Probleme das Resultat individueller, sozialerund gesellscha tlicher/kultureller Faktoren: Konsequenterweise fragt „das systemistische Paradigmanach dem Erklärungsbeitrag aller Grundlagendisziplinen“ (Staub-Bernasconi, 2012, S. 272–273).

(3) Der Umgang mit Macht

Die ungerechte Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen führt dazu, dass eine volleBedürfnisbefriedigung nur einer Minderheit vorbehalten ist. Das ist für Staub-Bernasconi Anlass für einedi ferenzierte gesellscha tliche Machtanalyse, in die sowohl gesellscha tliche (makrosoziale) wie auchindividuelle (mikrosoziale) Betrachtungen ein liessen. In Anlehnung an Jane Addams klassischeGegenüberstellung legitimer und illegitimer Macht unterscheidet Staub-Bernasconi dabei zwischenBegrenzungs- und Behinderungsmacht. Machtausübung wird somit nicht grundsätzlich tabuisiert – imGegenteil: Sie wird in spezifischen Kontexten als legitim und notwendig erachtet10. Eine solchetransparente Haltung soll Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern erlauben, die eigene Positionsmachtkritisch zu re lektieren11.

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Soziale Arbeit als Handlungstheorie

Staub-Bernasconi betrachtet die Soziale Arbeit als eine Handlungstheorie und -wissenscha t, diedurch die Verknüpfung sechs verschiedener Wissensformen gekennzeichnet ist:Beschreibungswissen, Erklärungswissen, Wertwissen als Basis für die Zielformulierung, Akteur- undVerfahrenswissen als Interventionswissen zur Erreichung von Veränderungen (vgl. Staub-Bernasconi, 1996, S. 11).

Durch die Formulierung der Wissensformen als W-Fragen entsteht ein Phasierungsmodellmethodischen Handelns, das im Au bau mit der klassischen Phasierung (Anamnese, Diagnose,Intervention, Evaluation) übereinstimmt, diese jedoch di ferenziert.

Tabelle 1: Die W-Fragen als Phasierungsmodell

Vom klassischen Doppelmandat zum professionellen Tripelmandat

Neben der prozessual-systemischen Denkfigur ist die Ausweitung des Doppelmandates zu einemTripelmandat zweifellos der im Fachdiskurs am meisten rezipierte Beitrag von Staub-Bernasconi.

Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist das doppelte Mandat der Sozialen Arbeit von Hilfe undKontrolle. Bezugnehmend auf die klassische Konzeption von Bönisch und Lösch als ein zentrales„Strukturmerkmal der Dienstleistungsfunktion“ ist die Soziale Arbeit angehalten, ein „stetsgefährdetes Gleichgewicht zwischen den Rechtsansprüchen, Bedürfnissen und Interessen desKlienten einerseits und den jeweils verfolgten sozialen Kontrollinteressen seitens ö fentlicherSteuerungsagenturen andererseits aufrechtzuerhalten“ (zit. nach Staub-Bernasconi, 2007, S. 6).

In einer sehr engen Auslegung des doppelten Mandates, so Staub-Bernasconi, genügt es, dieentsprechenden „gesellscha tlichen Normen, Gesetze sowie methodischen Verfahren zu kennen“und „die sozial abweichenden Tatbestände“ subsumtionslogisch bestimmten „Gesetzen, Verfahren,Vorschri ten, Fallsteuerungskontingenten“ zuzuordnen. Bei diesem Verständnis Sozialer Arbeitbleibt kaum Raum für eine eigenständige Expertise. Bei einer breiteren Auslegung des doppeltenMandates besteht für die Soziale Arbeit Spielraum für fallspezifische Verhandlungs- und

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Mediationsprozesse, doch finden diese notwendigerweise immer im Rahmen eines Machtgefällesstatt. „Ungeachtet dieser Unterscheidung charakterisiert das doppelte Mandat einen sozialen Beruf,aber nicht eine Profession“ (Staub-Bernasconi 2007, S. 6).

Erst durch die Konzeptualisierung eines dritten Mandates wird der Beruf Soziale Arbeit zurProfession. Dieses Mandat besteht zum einen aus einer wissenscha tlichen Fundierung derprofessionellen Praxis und zum anderen aus einem „Ethikkodex, den sich die Profession unabhängigvon externen Ein lüssen gibt und auch seine Einhaltung kontrolliert, kontrollieren sollte“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 6–7)12. Im Zusammenhang mit dem Ethikkodex stärkt Staub-Bernasconi dieeigenständige Expertise mit dem Verweis auf den Umstand, dass Gesetze wohl legal, aber nichtunbedingt ethisch legitim sind“ (2018, S. 112).

„Die wissenscha tlich und ethisch begründete relative Autonomie im Zusammenhang mitEntscheidungs- und Handlungsspielräumen“ ist, so Staub-Bernasconi, das „konstitutive Merkmaleiner Profession“ (Jahr, S. X).

Die beiden ersten Mandate bleiben natürlich weiterhin bestehen, doch können sie „aufgrund desdritten Mandates auch einer kritischen Beurteilung und Revision unterzogen werden“ (Staub-Bernasconi, 2018, S. 116-117)13.

Alles in allem stellen im Professionalisierungsdiskurs die explizite Benennung und die inhaltlicheAusformulierung des Tripelmandates einen klaren Fortschritt dar.

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Die prozessual-systemische Denkfigur

Ausgehend von den beschriebenen theoretischen Grundvoraussetzungen, entwickelt Staub-Bernasconimit der prozessual-systemischen Denkfigur ein methodisches Vorgehen, das eine systematische undwissenscha tlich gesicherte Problembeschreibung und -analyse erlaubt.

Staub-Bernasconi unterscheidet dabei vier Problemkategorien (Staub-Bernasconi, 1996). Diese dienender konkreten Analyse sozialer Probleme, und zwar sowohl im individuellen (mikrosozialen) wie auch imgesellscha tlichen (makrosozialen) Bereich.

Abbildung 2: Kategorien sozialer Probleme

(1) Ausstattung

Sie wird wiederum in sechs verschiedene Dimensionen unterteilt: körperliche Ausstattung, sozio-ökonomische beziehungsweise sozial-ökologische Ausstattung, die Ausstattung mitErkenntniskompetenz, die symbolische Ausstattung, die Ausstattung mit Handlungskompetenz undschliesslich die Ausstattung mit sozialen Mitgliedscha ten. So können einzelne Individuen, aberauch Familien, Gruppen oder sogar grössere Gemeinscha ten und Institutionen in Bezug auf ihreProbleme analysiert werden.

13(2) Austausch

Diese Dimension erlaubt es, ausgewählte Austauschbeziehungen durch die verschiedenenAusstattungsebenen hindurch zu analysieren. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach denausgetauschten Gütern und ob es sich dabei gesamtha t um einen symmetrischen oder

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asymmetrischen Austausch handelt. In letzterem Fall ist die Soziale Arbeit dazu aufgerufen, genauerhinzuschauen und allenfalls zu intervenieren.

(3) Macht

Hier werden ausgewählte Machtbeziehungen durch die verschiedenen Ausstattungsebenenhindurch analysiert. Dabei fragen wir nach den eingesetzten Machtquellen. Aus Sicht der SozialenArbeit ist besonders relevant, ob die Machtausübung begrenzend oder behindernd ist. Im Falle einerbehindernden Machtausübung wird eine Intervention durch die Soziale Arbeit notwendig.

(4) Kriterien

Hier geht es um die Frage nach konkreten gesellscha tlichen Kriterien (Werten), die in deranalysierten Problemlage von Bedeutung sind. Diese Dimension fragt ausschliesslich nachgesellscha tlichen Bedingungen und unterstreicht damit den Anspruch der Sozialen Arbeit, nebender Mikroebene auch den Makrobereich abzudecken.

Abbildung 2: Kategorien sozialer Probleme

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Die körperliche AusstattungZur körperlichen Ausstattung gehören „Eigenscha ten wie Gesundheit, Unversehrtheit, Geschlecht,Grösse, Gewicht, Alter, Hautfarbe, physische Attraktivität usw.“, aber auch „Gehirnstrukturen, imbesonderen das Zentralnervensystem mit seinen plastischen Teilbereichen als Grundlage für diepsychischen Prozesse der Informationsverarbeitung“ (Staub-Bernasconi, 1996, S. 15).

Die sozioökonomische und sozialökologische AusstattungIn der sozioökonomischen Ausstattung wird die Bildungs-, Arbeits-, Einkommens- undVermögenssituation analysiert. Die sozialökologische Ausstattung bezieht sich auf die Wohn-,Arbeits- und allgemein auf die Lebenssituation und auf damit zusammenhängende relevanteinfrastrukturelle Aspekte (Arbeitsweg, Mobilität, Erholungsangebote, Einkaufsmöglichkeiten usw.)(vgl. Staub-Bernasconi, 1996, S. 15).

Ausstattung mit ErkenntniskompetenzIn der Ausstattung mit Erkenntniskompetenz lassen sich gemäss Staub-Bernasconi die dreiGrundorientierungen „sinnlich-emotional“, „normativ“ und „kognitiv“ unterscheiden. Im Idealfallsind dabei alle drei Grundorientierungen in einem ausgewogenen Masse präsent (vgl. Staub-Bernasconi, 1996, S. 15–16).

Symbolische Ausstattung„Gemeint ist mit diesem Terminus die Verfügung über Begri fe, Aussagen und Aussagensysteme“(Staub-Bernasconi, 1996, S. 16). Hier geht es unter anderem um Wertvorstellungen,Zukun tsperspektiven/-pläne und Identitätsfragen („Selbstdefinitionen“).

Ausstattung mit HandlungskompetenzHier wird nach vorhandenen Handlungskompetenzen gefragt. Aus Sicht der Problemorientierung,die Staub-Bernasconis Ansatz prägt, fragen wir hier nach abweichendem Verhalten, doch könnenvorhandene Kompetenzen auch im Sinne eines ressourcenorientierten Ansatzes genutzt werden(vgl. Staub-Bernasconi, 1996, S. 16–17).

Ausstattung mit sozialen Mitgliedscha tenSoziale Beziehungen und Mitgliedscha ten werden nach Staub-Bernasconi ebenfalls alsAusstattungsmerkmale analysiert. Dabei sollen Austauschbeziehungen von Machtbeziehungenunterschieden werden (vgl. Staub-Bernasconi, 1996, S. 17).

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Abhängig vom jeweiligen kontextuell definierten hierarchischen Verhältnis werden sozialeBeziehungen entweder als (horizontale) Austausch- oder (vertikale) Machtbeziehungen analysiert.

Im Falle der Analyse einer (horizontalen) Austauschbeziehung fragen wir nach den Medien, die durch die jeweiligen Ausstattungsdimensionen hindurch ausgetauscht werden. Geiser (2015) di ferenziert die Austauschmedien folgendermassen:

• Kontakt/Berührung/Sexualität (körperliche Ausstattung)• Gütertausch (sozioökonomische und sozialökologische Ausstattung)• Kommunikation und Kore lexion (Ausstattung mit Erkenntniskompetenz und

symbolische Ausstattung)• Kooperation/Koproduktion (Ausstattung mit Handlungskompetenz)

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Falls dabei das „Gegenseitigkeitsprinzip“ (Staub-Bernasconi, 1996, S. 21–22) missachtet wird,sprechen wir von einer asymmetrischen Austauschbeziehung. Aus Sicht der Sozialen Arbeit bestehtgrundsätzlich Handlungsbedarf.

Im Falle der Analyse einer (vertikalen) Machtbeziehung fragen wir nach den Machtquellen, die durch die jeweiligen Ausstattungsdimensionen hindurch eingesetzt werden. Geiser (2015) definiert diese folgendermassen:

• Körpermacht (körperliche Ausstattung)• Güter- und Ressourcenmacht (sozioökonomische und sozialökologische Ausstattung)• Artikulationsmacht (Ausstattung mit Erkenntniskompetenz)• Definitions- oder Modellmacht (symbolische Ausstattung)• Positions- und Organisationsmacht (Ausstattung mit Handlungskompetenz)

Aus Sicht der Sozialen Arbeit besteht Handlungsbedarf, wenn die Machtausübung illegitimbeziehungsweise behindernd ist.

Die prozessual-systemische Denkfigur wurde von Staub-Bernasconi im Rahmen ihrerDissertationsarbeit Anfang der 1980er-Jahre entwickelt und danach in verschiedenen Publikationenimmer wieder neu aufgenommen14. Kaspar Geiser, ein prominenter Vertreter der Zürcher Schule, hatdie prozessual-systemische Denkfigur in seinem Hauptwerk „Problem- und Ressourcenanalyse inder Sozialen Arbeit. Eine Einführung in die Systemische Denkfigur“ (2007) zu einem fundiertenmethodischen Vorgehen weiterentwickelt. Dieses wurde in der Praxis breit rezipiert und wenn wirheute in unterschiedlichsten Praxisfeldern mit Staub-Bernasconis Zugang in Berührung kommen,dann steht häufig Geisers sehr zugängliches Buch in den Regalen der betre fenden Praktikerinnenund Praktiker15.

Arbeitsweisen

Neben einem fundierten theoretischen Gerüst und einem wissenscha tlich begründetendiagnostischen Verfahren braucht die Soziale Arbeit ein Repertoire handlungsleitender Methodenund Verfahren. Um diesen Anspruch einzulösen, entwickelt Staub-Bernasconi acht Arbeitsweisen.Sie geht dabei von den Problemkategorien und -dimensionen der prozessual-systemischenDenkfigur aus und stellt damit sicher, dass auch die angewendeten Verfahren spezifisch für dieSoziale Arbeit sind. Das ist ein weiterer Beitrag Staub-Bernasconis zur Professionalisierung derSozialen Arbeit.

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Würdigung

Die Verdienste von Silvia Staub-Bernasconi für die Etablierung der Sozialen Arbeit alswissenscha tliche Disziplin und Profession sind unbestreitbar. Mit einem äusserst systematischenZugang, tief durchdachten theoretischen Fundamenten, Analyseverfahren undHandlungsanleitungen liefert sie einen grossartigen Beitrag für eine fachlich begründete, vonSelbstvertrauen geprägte, professionelle Identität der Praktikerinnen und Praktiker der SozialenArbeit.

Die Soziale Arbeit ist eine vollwertige Profession (…). Sie ist eine anerkannte Disziplin in derHuman- und Sozialwissenscha t (…). Sie kann ihr Handeln wissenscha tlich begründen (…).Ihr gesellscha tliches Mandat als Beitrag zur Bearbeitung sozialer Probleme istmehrheitlich unbestritten. Ihre Expertise ist im ö fentlichen Diskurs und sozialpolitischenGestaltungsprozess gefragt und hat Ein luss auf politische Entscheidungen. (Staub-Bernasconi 2007, S. 3)

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Literatur

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Hege, Marianne & Heitkamp, Hermann. (Hrsg.). (2002). Soziale Arbeit in Selbstzeugnissen. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.

Heiner, Maja, Meinhold, Marianne, Spiegel, Hiltrud von & Staub-Bernasconi, Silvia. (Hrsg.). (1996). Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (3. Au lage). Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.

Klassen, Michael. (2004). Was leisten Systemtheorien in der sozialen Arbeit? Ein Vergleich der systemischen Ansätze von Niklas Luhmann und Mario Bunge (2003). Bern: Haupt.

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Obrecht, Werner. (2000). Soziale Systeme, Individuen, soziale Probleme und Soziale Arbeit. Zu den metatheoretischen, sozialwissenscha tlichen und handlungstheoretischen Grundlagen des „systemistischen Paradigmas“ der Sozialen Arbeit. In Roland Merten (Hrsg.), Systemtheorie sozialer Arbeit. Neue Ansätze und veränderte Perspektiven (S. 207–224). Opladen: Leske + Budrich.

Sagebiel, Juliane & Vanhoefer, Edda. (2012). Teamberatung in Unternehmen, Verbänden und Vereinen. Niklas Luhmann und Mario Bunge: Systemtheorien für die Praxis (2., überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Au lage). Stuttgart: Ibidem.

Staub-Bernasconi, Silvia. (1996). Soziale Probleme – Soziale Berufe – Soziale Praxis. In Maja Heiner, Marianne Meinhold, Hiltrud von Spiegel & Silvia Staub-Bernasconi (Hrsg.), Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (3. , S. 11–137). Freiburg im Breisgau: Lambertus

Staub-Bernasconi, Silvia. (2002). Silvia Staub-Bernasconi *12.5.1936. In Marianne Hege & Hermann Heitkamp (Hrsg.), Soziale Arbeit in Selbstzeugnissen,2 (S. 273–326). Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.

Staub-Bernasconi, Silvia. (2012). Soziale Arbeit und soziale Probleme. Eine disziplin- und professionsbezogene Bestimmung. In Werner Thole (Hrsg.), Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch (4. Au lage, S. 267–282). Wiesbaden: VS Verlag.

Staub-Bernasconi, Silvia. (2007). Vom beru lichen Doppel- zum professionellen Tripelmandat. Wissenscha t und Menschenrechte als Begründungsbasis der Profession Soziale Arbeit. Abgerufen von: http://www.avenirsocial.ch/cm_data/Vom_Doppel-_zum_Tripelmandat.pdf

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Staub-Bernasconi, Silvia. (2018). Soziale Arbeit als Handlungswissenscha t. Soziale Arbeit auf dem Weg zu kritischer Professionalität (2., vollständig überarbeitete u. aktualisierte Ausgabe). Opladen, Toronto, Leverkusen: Barbara Budrich.

Thole, Werner. (Hrsg.). (2012). Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch (4. Au lage). Wiesbaden: VS Verlag.

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1. In einer kritischen Auseinandersetzung mit Albert Scherr beschreibt Staub-Bernasconi diesen Umstand eindringlich: „Vondaher ist es nicht erstaunlich, dass Soziale Arbeit als ‚ganz normaler Beruf ‘, als Praxisfeld, deren Zusammenhang eherhistorisch als theoretisch-systematisch zu begreifen sei. (…) Das zentrale Problem sind hier nicht in erster Linie die imKontext der Zusammenarbeit prinzipiell unvermeidlichen Fremddefinitionen, sondern: dass den Fremddefinitionen nichtsPräzises, Eigenständiges (…) entgegengesetzt werden kann (…)“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 2).

2. Die Dissertationsschri t ist vergri fen, die wichtigsten Ideen finden sich jedoch in kompakterer und weit zugänglichererForm in späteren Schri ten (vgl. zum Beispiel Staub-Bernasconi, 2018; Staub-Bernasconi, 1996).

3. Die „Zürcher Schule“ verdankt ihren Namen dem Umstand, dass der emergentistische Systemismus während mehrererJahrzehnte an der Schule für Soziale Arbeit in Zürich weiterentwickelt und gelehrt wurde. Wichtig sind in diesemZusammenhang neben Silvia Staub-Bernasconi vor allem Werner Obrecht und Kaspar Geiser.

4. Klassen (2004) und Sagebiel (2012) sind gute Beispiele für einen solchen systematischen Vergleich.5. Beispielsweise entsteht durch die Relationen zwischen den verschiedenen Himmelskörpern (Sonne, Planeten, Monde,

Asteroiden, Kometen) die Struktur des Planetensystems.6. Diese System-Prozesse sind dabei durchaus evolutionär zu verstehen: „Die Anzahl der existierenden Dinge in der Welt

sind das Ergebnis eines prozessualen, räumlichen und zeitlich ausgedehnten Di ferenzierungsprozesses. Im Verlaufe derEvolution haben sich aus einfachen Systemen durch Zusammenschlüsse komplexe Systeme herausgebildet, indem dieeinzelnen Systeme zu Komponenten von komplexen Systemen wurden. Das Resultat dieser Prozesse sind spezifischeemergente Eigenscha ten der einzelnen Systeme (…)” (Sagebiel, 2012, S. 41).

7. In einem autobiografischen Beitrag erinnert sie an ihre „immer wieder geäusserte Kritik am menschenverachtendenPotential holistischer Theorien und Handlungsentwürfe, ob nationalistisch, neo-marxistisch, ‚systemisch’, oder religiös“(Staub-Bernasconi, 2002, S. 305).

8. Staub-Bernasconi bezeichnet „menschliche Bedürfnisse als Ausgangspunkt sozialarbeiterischer Theoriebildung“ (2018, S.86).

9. Kritisch könnte dem entgegengehalten werden, dass die Menschenrechte in der aufgeklärten westlichen Welt entstandensind und allein aus diesem Grund keinen universellen Anspruch haben können. Auch stützen die Bedürfnisorientierungund die Menschenrechtsperspektive einen eher individualisierenden Blick auf die Gesellscha t und den Menschen.

10. Ausführliche Betrachtungen zum Thema Macht finden sich unter Staub-Bernasconi (1996, S. 24–35) und Staub-Bernasconi (2018, S. 281–284; S. 405–435).

11. Staub-Bernasconi entwickelt dazu das Instrument der Machtquellenanalyse, das Sozialarbeiterinnen undSozialarbeitern erlauben soll, einen selbstre lexiven Blick auf den Einsatz eigener Machtquellen zu werfen (vgl. Staub-Bernasconi, 2018, S. 435–454).

12. vgl. auch Staub-Bernasconi, 2018, S. 111–122.13. Staub-Bernasconi nimmt in ihrer letzten Verö fentlichung die mögliche Kritik vorweg, dass diese (relative) Autonomie

auch schon im doppelten Mandat nach Böhnisch und Lösch präsent war. Ihrer Meinung nach wurde „in diesem bis heuteein lussreichen Artikel (…) der Schritt zur Profession mit relativer und ethischer Autonomie (schon) eingeleitet“ (2018, S.113).

14. Eine gut lesbare und doch genügend di ferenzierte Beschreibung der prozessual-systemischen Denkfigur findet sich inStaub-Bernasconi (1996) und Sagebiel (2012).

15. Leider hat Geiser im Vergleich zu Staub-Bernasconi eine kleine, jedoch wesentliche Änderung angebracht, die fachlichwenig nachvollziehbar ist und einige Verwirrung sti tet. Geiser führt in der Ausstattung nämlich „die Rezeptoren“ alsneue Dimension ein. Diese entsprechen den menschlichen Sinnesorganen und sollen dahingehend betrachtet werden, obsie intakt sind oder nicht. Die Einführung dieser neuen Kategorie bringt für die Analyse einzelner Fallsituationen keinensichtbaren Gewinn (allfällig beschädigte Sinnesorgane würden im ursprünglichen Modell einfach im Rahmen der„körperlichen Ausstattung“ analysiert). Während Geiser einerseits also eine neue (unnötige) Kategorie scha t, lässt erandererseits die „Ausstattung mit Erkenntniskompetenz“ mit der „symbolischen Ausstattung“ zusammenfallen. Das hatzur Folge, dass nun die di ferenzierte Betrachtung dieser beiden (im ursprünglichen Modell von Staub-Bernasconi nochgetrennten) Ausstattungsdimensionen erschwert oder gar verunmöglicht wird. So unerheblich die von Geiservorgenommene Änderung auf Anhieb erscheinen mag, so hat sie in Anbetracht der systemischen Verknüpfung der vierProblemkategorien für das methodische Handeln mit der prozessual-systemischen Denkfigur doch einige Konsequenzen.

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