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KIRSCHBAUM VERLAG BONN Schriftenreihe Fahreignung Herausgeber Matthias Graw Volker Dittmann Wolfgang Schubert Interdisziplinäre Unfallrekonstruktion und Prävention Tagungsband 10. Gemeinsames Symposium der DGVM und DGVP am 5. und 6. September 2014 in München Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. (DGVM) und Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e.V. (DGVP)

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KIRSCHBAUM VERLAG BONNSchriftenreiheFahreignung

HerausgeberMatthias GrawVolker DittmannWolfgang Schubert

Interdisziplinäre Unfallrekonstruktion und Prävention

Tagungsband10. Gemeinsames Symposium der DGVM und DGVP am 5. und 6. September 2014 in MünchenDeutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e. V. (DGVM) undDeutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP)

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DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR VERKEHRSPSYCHOLOGIE E.V. (DGVP)

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11. Gemeinsames Symposium der DGVP und DGVM am 25. und 26. September 2015 in St. Gallen (Schweiz)

Sehr geehrte Teilnehmer des 10. Gemeinsamen Symposiums von DGVM und DGVP in München 2014,

wir freuen uns, Ihnen hiermit wieder den Tagungsband zum vergangenen Gemeinsamen Symposium vonDGVM und DGVP überreichen zu können.

Auch in München wurde viel diskutiert und gemeinsam erarbeitet. Im Fokus stand mit der Unfallrekonstruktionund Prävention ein Thema, das Mediziner, Psychologen und Ingenieure übergreifend verbindet. Demzufolgekonnten wir auch etliche neue Teilnehmer in München begrüßen.

Durch die Zusammenarbeit beider Fachgesellschaften ist es also gelungen, auch die technische Seite stärkereinzubinden und den hohen Stellenwert von Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie in der Verkehrssicher-heitsarbeit zu unterstreichen.

Unser Dank dafür gilt nicht nur dem Organisationsteam und dem Tagungspräsidenten in München, HerrnProf. Dr. Mathias Graw, sondern auch Ihnen, den Teilnehmern, ohne deren rege Beteiligung der intensiveAustausch zwischen allen Seiten so nicht möglich wäre.

Wie jedes Jahr dürfen wir Sie mit Versendung des Tagungsbands der vergangenen Veranstaltung gleichzeitigzum nachfolgenden 11. Gemeinsamen Symposium einladen. Dieses findet statt am 25. und 26. September2015 in St. Gallen (Schweiz), in Verbindung mit den 9. St. Galler-Tagen und weiteren Kooperationspartnernaus Schweiz, Deutschland und Österreich. Tagungspräsident ist Dr. Martin Keller.

Thema der diesjährigen Veranstaltung wird sein Fahren und Gehirn – im Kontext des demographischenWandels. Näheres finden Sie unter www.verkehr-symposium.de.

Die Veranstaltung wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Fortbildung anerkannt.

Wir freuen uns auf ein weiteres spannendes Symposium mit Ideen und Anregungen für die gemeinsameArbeit und hoffen, Sie in St. Gallen wiederzusehen.

Wolfgang Schubert Volker DittmannPräsident der DGVP Präsident der DGVM

Nähere Informationen finden Sie auf der hinteren Umschlaginnenseite.

11. Gemeinsames Symposium

© Martin Keller

25.–26. September 2015 St. Gallen/Schweiz

Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP) und Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e. V. (DGVM)zugleich

Fahren und Gehirn – im Kontext des demographischen Wandels

9. St. Galler-Tage

www.verkehr-symposium.de

in Kooperation mit:Sektion Verkehrsmedizin der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM)Schweizerische Vereinigung für Verkehrspsychologie (VfV)Fachsektion Verkehrspsychologie des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP)Sektion Verkehrspsychologie des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP)Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu)

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InterdisziplinäreUnfallrekonstruktion

und Prävention

10. Gemeinsames Symposium der DGVP und DGVM am 5. und 6. September 2014

in MünchenDeutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V (DGVP) und

Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e. V. (DGVM)

HerausgeberMatthias Graw

Volker DittmannWolfgang Schubert

SchriftenreiheFahreignung

K I R S C H B A U M V E R L A G B O N N

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ISBN 978-3-7812-1927-4

© Kirschbaum Verlag GmbH, Fachverlag für Verkehr und Technik, Siegfriedstraße 28, 53179 Bonn, Telefon 02 28 /9 54 53-0, Internet www.kirschbaum.de

Satz: DTP – Unternehmer Medien GmbH · [email protected]: Medienhaus Plump, Rheinbreitbach

April 2015 · Bestell-Nr. 1927

Alle in diesem Werk enthaltenen Angaben, Daten, Ergebnisse etc. wurden von den Autoren nach bestem Wissen erstellt und von ihnen und dem Verlag mit größtmöglicher Sorgfalt

überprüft. Gleichwohl sind inhaltliche Fehler nicht vollständig auszuschließen. Autoren und Verlag können deshalb für etwaige inhaltliche Unrichtigkeiten keine Haftung übernehmen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung

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und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zum Schadensersatz.

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Inhaltsübersicht

Begrüßung

10. Gemeinsame Symposium der DGVMund DGVP in München ................................................ 5Matthias Graw, Volker Dittmann, Wolfgang Schubert(München)

Bayerischer Staatsminister des Innern,für Bau und Verkehr .................................................... 6Schirmherr des Symposiums – Joachim Herrmann, MdL vertreten durch den Landespolizeipräsidenten des Bayerischen Innenministeriums Prof. Dr. jur. Wilhelm Schmidbauer (München)

Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e. V. (VOD) .... 7apl. Prof. Dr. rer. nat. habil. Wilfried Echterhoff (Köln)

Medizinische Fakultät der LMU München................... 8Prof. Dr. Dr. h.c. Maximilian Reiser (München)

Laudatio/Danksagung

Von Dr. Rolf Hennighausen auf Professor Dr. med. Wolfgang Eisenmenger ........... 9

Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger......................... 10

Fachvorträge

Grundlagen der Biomechanik/Traumatologie ............ 13J. Adamec (München)

Biomechanische „Modelle“ in Forschung und Praxis ..... 17T. Fuchs, S. Peldschus (München)

Unfallrekonstruktion als Grundlage der Verkehrsunfallforschung ..................................... 19W. Hell, K. Bauer (München), H. Bäumler (Gebenbach)

Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Technik, Medizin und Psychologie zur Steigerung derVerkehrssicherheit ..................................................... 22S. Weber (Regensburg), E. Donner (Ingolstadt), A. Ernstberger (Regensburg)

Fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme zur Unfall- und Verletzungsvermeidung im Straßenverkehr ........ 26J. Remfrey (Frankfurt a. M.)

Reale Unfälle – Effizienzabschätzung vonFahrerassistenzsystemen ........................................... 28M. Rasch, W. Hell, S. Schick, S. Peldschus, M. Graw (München)

Fahrerassistenzsysteme (FAS) und Automatisierung im Fahrzeug – wird daraus eine Erfolgsgeschichte? ... 30W. Fastenmeier (Berlin)

Der Einfluss von Sanktionen auf das Verhalten im Straßenverkehr ......................... 38R. Banse, J. Koppehele-Gossel, M. Zöhner (Bonn), W. Schubert (Berlin)

Was können Persönlichkeitsverfahren f�ür dieBeurteilung der Fahreignung leisten? ........................ 42M. Herle (Mödling/A)

Psychologische Aspekte bei der Unfallursachen-analyse am Beispiel alterskorrelierter Unfälle – Folgerungen für Sicherheitsmaßnahmen .................... 45B. Pund, D. Otte, M. Jänsch, K. Duntsch (Hannover)

Wahrnehmung, ihre Zuverlässigkeit und Implika-tionen für die Gutachtertätigkeit nach Verkehrs-unfällen ...................................................................... 48 B. Schützhofer, R. Risser (Wien/A)

Dem Alkohol auf der Spur… – Nachweis von Alkohol und Alkoholkonsummarkern nach Aufnahme von Kleinstmengen und in besonderen Kollektiven ......... 54A. Thierauf-Emberger (Freiburg)

AAK – Wissenschaft und Praxis .................................. 58H.-T. Haffner (Heidelberg)

EtG – Aussagemöglichkeiten an Haar, Blut, Urin ........ 62D. Thieme (Kreischa), K. Ayni, M. Graw (München)

Neue Drogen .............................................................. 64F. Mußhoff (München)

„Legal Highs“ aus juristischer Sicht .......................... 67W. Pfister (Karlsruhe)

Suizide im Straßenverkehr in der Schweiz und in Bayern 72S. Gauthier, S. Kraus, V. Ajdacic-Gross, T. Reisch, C. Bartsch (Zürich/CH), M. Graw (München)

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Posterführungen

Unfallursache Krankheit – Ermittlungsansätze sowie präventive Aspekte ........................................... 75K. Püschel, G. Thayssen, P. Kellerer, M. Focken (Hamburg)

Pkw-Fußgänger-Unfall mit kilometerweitem Mitschleifen – eine Kasuistik...................................... 78 K. Stadler (München), K. Ahlgrimm (Karlsruhe), H.-T. Haffner (Heidelberg)

Physikalische Eigenschaften menschlichen Weichge-webes – Vergleichende Untersuchungen an Erwachsenen und Kindern ......................................... 81S. Lochner, M. Graw (München)

Kardiale Versagensbereitschaft bei i. v.-drogenabhängigen KFZ-Führern........................... 82 M. Riße, T. Röcker, R. Dettmeyer (Gießen)

Bestimmung von passiven Muskeleigenschaften für computergestützte Menschmodelle in der Crashsimulation ......................................................... 84T. Fuchs, K. Zhou, M. Graw, S. Peldschus (München)

Verletzungsmuster bei tödlichen Verkehrsunfällen in Abhängigkeit von der Überlebenszeit..................... 86 S. Schick, C. Holzmann (München), R. Pfeifer (Aachen), W. Hell (München), H.-C. Pape (Aachen), M. Graw (München)

MicroCT-Scans von Brustbeine für Menschmodelle in Frontal-Crash Simulationen .......... 88R. D. Segura, A. Wagner, M. Graw, S. Peldschus, K.-U. Hess (München)

Analyse der Schutzwirkung von Fahrradhelmen durch Simulation typischer Unfallszenarien .............. 90K. Bauer, M. Graw, K. Zhou, S. Peldschus (München)

Pilotprojekte über den Einsatz von Alkohol-Wegfahrsperren in Österreich .................................... 92A. Pumberger, S. Kaulich, A. Eichhorn, K. Robatsch (Wien/A)

ln-depth on-the-spot Road Accident Investigation in Finland –alcohol-related fatal motor vehicle accidents in 2008-2012 93A. Holopainen, K. Parkkari (Helsinki/FI)

Überpru�fung eines Cannabiskonsums ü�ber THC-COOH und 11-OH-THC in Haaren als Beleg einer Körperpassage .................................................. 96T. Franz, H. Sachs (München), D. Thieme (Kreischa), G. Schwarz, F. Mußhoff (München)

Einsatz der Immunanalysis Direct ELISA Kits als sensitive und spezifische immunchemische Vortest-verfahren im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik ... 99S. Lottner-Nau, B. Övgüer, H. Sachs, M. Graw, F. Musshoff(München)

Aussagekraft von Drogen- und Ethylglucuronid-Ergebnissen in kosmetisch behandelten Haarproben .... 101R. Agius, K. Graute, F. Peters, T. Nadulski, H.-G. Kahl, B. Dufaux (Bad Salzuflen)

Screening auf legale und illegale Drogen im Haar und Urinim Rahmen der Abstinenzüberprü�fung mittels ELISA....... 103R. Agius, K. Graute, F. Peters, T. Nadulski, H.-G. Kahl, B. Dufaux (Bad Salzuflen)

Unterschiedliche subjektive Wahrnehmung der Schläfrigkeitim Fahrsimulator im Vergleich zum Wachhaltetest .......... 106D. Schreier, C. Roth, J. Mathis (Bern/CH)

Alkohol-Interlocks – neue technische Trends B. Velten (Lübeck) .......................................................... 107

bewusst.sicher.werkstatt – Verkehrskompetenz für SeniorInnen........................................................... 108S. Kaulich (Wien/AT)

Verbessert eine Audioaufnahme des Explorations-gespräches �die Fahreignungsbegutachtung? ............ 109M. Zöhner (Bonn)

Workshops

Weiterentwicklung der Beurteilungskriterien(Schädlicher Gebrauch von Alkohol; Fahreignung)..... 111R. Mattern (Nußloch), A. Patermann (Berlin), T. Wagner(Dresden)

Erfahrungen mit der 3. Auflage derBeurteilungskriterien/Alkohol und Drogen ................ 113 R. Mattern (Nußloch), T. Wagner (Dresden), F. Mußhoff(München)

Ältere Kraftfahrzeugführer ......................................... 114W. Fastenmeier (Berlin), C. Weimann-Schmitz (Stuttgart),H. Gstalter (München)

Leitlinien verkehrspsychologischer Interventionen.... 115 P. Brieler (Hamburg), B. Kollbach (Berlin), U. Kranich(Leipzig)

Autorenverzeichnis ................................................... 119

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Begrüßung

Grußworte 5

10. Gemeinsames Symposium der DGVM

und der DGVP in München

Matthias Graw, Volker Dittmann, Wolfgang Schubert

BMVI als verbindliche Vorgabe bei der Fahreignungsbeur-teilung benannt werden. Zur Vorbereitung und Qualifizie-rung der beteiligten Ärzte hat die DGVM ein achtstu�ndigesCurriculum erarbeitet, das an mehreren Standorten inDeutschland intensiv nachgefragt und unterrichtet wird.Auch mit dem Thema „Alkohol und Atemalkohol“ greifenwir eine aktuelle politische Diskussion auf und werdenwissenschaftlich die Möglichkeiten und Grenzen derMessmethode diskutieren.

Wir hoffen, dass jeder am weiten Bereich der Verkehrsme-dizin, Toxikologie, Verkehrspsychologie und der Inge-nieurwissenschaften Interessierte seine Themenschwer-punkte finden und sich interaktiv beteiligen kann.

Mit herzlichen Grü�ßen

Ihre

Prof. Dr. med. Matthias GrawTagungspräsident

Prof. Dr. med. Volker DittmannPräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizine. V. (DGVM)

Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang SchubertPräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsycho-logie e. V. (DGVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das diesjährige 10. Gemeinsame Symposium der DGVMund DGVP findet am 5. und 6. September 2014 in Münchenstatt – hierzu heißen wir Sie herzlich willkommen.

Wir freuen uns auf zahlreiche Teilnehmer und intensiveFachdiskussionen. Das Symposium soll den interdiszipli-nären wissenschaftlichen Austausch ermöglichen, denwir brauchen, um im zentralen Thema der Verkehrssicher-heit neue Erkenntnisse zu erlangen und entsprechendepraktische Fortschritte zu erreichen – steht doch die „Visi-on Zero“ immer noch als Zielvorgabe von Politik und Ge-sellschaft. Mu�nchen wird sich hierbei sicherlich wiederals attraktiver Tagungsort präsentieren, mit zahlreichenErkenntnismöglichkeiten auch außerhalb des wissen-schaftlichen Programms.

Dieses ist im Jubiläumsjahr recht umfangreich: 17 Über-sichtsvorträge in 4 Themenblöcken: Biomechanik, Unfall-rekonstruktion und -forschung/Fahrerassistenzsyste-me/Psychologische Aspekte des Verkehrsunfalls/Alkoholund Drogen im Straßenverkehr und 24 Poster in den The-menbereichen Psychologie/Medizin und Bio mech a -nik/Toxikologie werden ergänzt durch 8 thematisch unter-schiedliche Workshops. Besondere Bedeutung hat sicher-lich die Diskussion um Anwendung und Weiterentwick-lung der von den beiden Fachgesellschaften herausgege-benen „Beurteilungskriterien“, die seit dem 1.5.2014 vom

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich gruße alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 10. Ge-meinsamen Symposiums der Deutschen Gesellschaft furVerkehrsmedizin e. V. (DGVM) und der Deutschen Gesell-schaft fur Verkehrspsychologie e. V. (DGVP) ganz herzlich.Auf dem Programm der diesjährigen Tagung stehen wichti-ge und hochaktuelle Themen, unter anderem „Alkohol imStraßenverkehr“, „Ältere Kraftfahrzeugfuhrer“ und „Fahr-eignung bei psychischen Störungen“.

Die interdisziplinäre Forschung und der fachliche Aus-tausch zwischen Experten verschiedener Fachrichtun-gen – insbesondere der Verkehrsmedizin und Verkehrs-psychologie – sind elementar fur den Gewinn neuer Er-kenntnisse im Bereich der Verkehrssicherheit. Unser al-ler gemeinsames Ziel ist es, die Verkehrssicherheit imöffentlichen Straßenverkehr zu erhöhen und Unfälle zuvermeiden. Auch aufgrund der gesellschaftlichen Ent-wicklungen stehen wir immer wieder vor neuen Heraus-forderungen.

Wir sind auf medizinische und psychologische Kenntnisseund Forschungsergebnisse angewiesen, um diese zu meis-tern. Ein Blick auf die aktuelle Verkehrsunfallstatistik zeigtdie Bedeutung fur unsere Gesellschaft – im Jahr 2013starben bei 630 Unfällen 680 Menschen auf Bayerns Stra-ßen. Das ist gegenuber dem Jahr 2012 ein Anstieg von rund2,7 %. Lassen Sie uns dieser Entwicklung mit vereintenKräften entgegenwirken.

Ich danke der DGVM und der DGVP fur ihr großes Engage-ment und ihre wertvollen Beiträge zur Erhöhung der Ver-kehrssicherheit aufs Herzlichste.

Ich wunsche dem Symposium einen erfolgreichen Verlaufsowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern informativeStunden mit anregenden Impulsen, interessanten Gesprä-chen und einen angenehmen Aufenthalt in Munchen.

Joachim Herrmann, MdL

Bayerischer Staatsminister des Innern, für Bau und Verkehr

Bayerischer Staatsministers des Innern,

fur Bau und Verkehr

Joachim Herrmann, MdL

6 Grußworte

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7Grußworte

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Vorsitzender des Dachverbands „Verkehrsunfall-Opfer-hilfe Deutschland e. V. (VOD)“ begruße ich die Mitgliederder DGVM und der DGVP und besonders die anwesendenTeilnehmer des gemeinsamen Symposiums im Jahr 2014.Die beiden Gesellschaften haben in der Vergangenheit, vorallem gemeinsam, bedeutende Entwicklungen fachlich ini-tiiert und deutschlandweit, aber auch international imple-mentiert. Schon in der Vorbereitung des Symposiums, indie ich gelegentlich Einblick hatte, wurde erkennbar, dasssich erneut kompetente Fachvertreter und fachlich interes-sierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beteiligenwurden, um Informationen einzuholen, aber auch zu ver-breiten. Häufig wird nicht deutlich genug gesehen, dassdas Sich-informieren einer sogenannten „Hol-Schuld“ undnicht einer „Bring-Schuld“ unterliegt. Daher begruße ichbesonders Politiker und Verbandsvertreter aus den Spitzendes deutschen und europäischen Bereichs, die diese Hol-Schuld fur sich selbst gesehen haben und mit ihrer Anwe-senheit beweisen, dass sie sie immer noch sehen.

Die VOD wunscht sich Fachleute und Vertreter der Öffent-lichkeit und der Verwaltung, die sachliche Lösungen vor

wirtschaftliche und Image-Interessen stellen. Manchmalwaren und sind die Prioritäten jedoch nicht immer klar ge-nug zu erkennen. Vom Symposium erwartet die VOD, dassSachfragen eindeutig im Vordergrund stehen, so wie es dasProgramm bereits deutlich ausweist. Mobilitäts- und Ver-kehrssysteme sollen dem Menschen dienen und uns alleneinen sicheren und komfortablen Lebensstandard sichernsowie unsere Volkswirtschaft fördern. Das Programm desSymposiums wird aus Sicht der VOD dieser Zielsetzung ge-recht.

Ich wunsche dem Symposium im Zusammenspiel unter-schiedlicher Ideen und divergierender Interessen gutefachliche Ergebnisse und eine produktive Wirkung, diespurbar in die Zukunft hineinreicht.

Die VOD ist daran interessiert, mit der DGVM und der DGVPweiterhin zu kooperieren, um zukunftsfähige Konzepte ge-meinsam voranzubringen.

apl. Prof. Dr. rer. nat. habil. Wilfried Echterhoff

Vorsitzender der Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e. V.(VOD)

Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e. V.

(VOD)

apl. Prof. Dr. rer. nat. habil. Wilfried Echterhoff

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Grußworte

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Verkehrsmedizin bedeutet Anwendung von ärztlichemWissen und Erfahrung zum Nutzen der Verkehrsteilnehmerund zur Verbesserung der Verkehrssicherheit“ (Verkehrs-und Rechtsmediziner Wagner (Homburg) 1957). Verkehrs-medizinische Anforderungen betreffen also jeden (behan-delnden) Arzt, bei Diagnostik und Therapie, bei der Aufklä-rung uber verkehrsmedizinische Risiken von Krankheitenund bei der Einnahme von Medikamenten. Ggf. mussenÄrzte auch Gutachten zur Fahreignung und zur Fahrsicher-heit erstellen.

Besondere Bedeutung hat die Verkehrsmedizin fur dieRechtsmediziner, die Weiterbildungsordnung schreibt furden Facharzt fur Rechtsmedizin den „Erwerb von Kenntnis-sen, Erfahrungen und Fertigkeiten in … strafrechtlichen,verkehrs- und versicherungsmedizinischen Fragestellun-gen einschließlich forensischer Biomechanik und forensi-scher Traumatologie“ vor. Fur die Medizinische Fakultät derLudwig-Maximilians-Universität Munchen ist es eine Freu-de und Ehre, dass das diesjährige gemeinsame Symposiumder DGVM (Deutsche Gesellschaft fur Verkehrsmedizin)und der DGVP (Deutsche Gesellschaft fur Verkehrspsycho-logie) von dem Institut fur Rechtsmedizin unserer Fakultätausgerichtet wird. Gerade hier in Munchen hat die ver-kehrsmedizinische Tätigkeit im Institut fur Rechtsmedizineinen besonderen Stellenwert. Das Thema dieser Tagung:„Interdisziplinäre Unfallrekonstruktion und Prävention:

Beiträge der Verkehrsmedizin, der Verkehrspsychologieund der Ingenieurswissenschaften“ zeigt einen Schwer-punkt der wissenschaftlichen Tätigkeit in der Verkehrsme-dizin auf. Es gilt, den Straßenverkehr sicherer zu machen,das Risiko fur den einzelnen Verkehrsteilnehmer zu sen-ken. Deutschlandweit rund 3.300 Verkehrstote 2013, davon680 in Bayern, geben dem bayerischen InnenministerRecht, wenn er Schwerpunkte fur mehr Verkehrssicherheitim Jahr 2014 ankundigt. Nur durch gemeinsame Anstren-gung von wissenschaftlicher Grundlagenforschung und po-litischer Umsetzung kann die Zahl von Verkehrsunfallop-fern reduziert werden.

Eine spannende Entwicklung ist die forensische Radiologie,an der ich als Radiologe sehr interessiert bin. Eine interdis-ziplinäre Arbeitsgruppe pruft gemeinsam die Möglichkei-ten der postmortalen Bildgebung; v. a. bei der Verletzungs-dokumentation, der Rekonstruktion und der virtuellen Mo-dellierung.

Als Dekan der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximili-ans-Universität Munchen möchte ich Ihnen eine anregendeund interessante Tagung und einen intensiven kollegialenAustausch wunschen und ich hoffe, dass Sie bei Ihren An-strengungen, die Sicherheit im Verkehr weiter zu verbes-sern, Erfolg haben werden.

Prof. Dr. Dr. h. c. Maximilian Reiser, FACR, FRCRDekan der Medizinischen Fakultät der LMU München

Medizinische Fakultät der LMU München

Prof. Dr. Dr. h. c. Maximilian Reiser

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Laudatio 9

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Mitglieder der DGVM,

heute möchte ich Ihnen ein sehr verdientes Mitglied unsererGesellschaft, das Sie bestimmt alle kennen, für die Ehrenmit-gliedschaft vorschlagen. Der Kollege wurde am 4. Februar1944 in Waldshut, an der Schweizer Grenze, geboren. Sein Va-ter fiel im Krieg. Die Mutter war Zahnärztin, sie zog ihn und sei-nen Bruder alleine auf. Nach dem Abitur im Jahre 1963 amHochrhein-Gymnasium Waldshut studierte er Humanmedizinin Freiburg im Breisgau und Wien. Er wollte zunächst eigentlichLandarzt werden und promovierte mit einem Thema zur Säug-lings- und Kleinkindentwicklung. Er begann aber dann dochals Assistent am Rechtsmedizinischen Institut der UniversitätFreiburg eine gerichtsmedizinische Weiterbildung. Ab Februar1972 arbeitete er am Institut für Rechtsmedizin in München.1977 habilitierte er sich mit einer Arbeit zur Altersbestimmungvon Hirnrindenverletzungen. Im Oktober 1989 wurde er zumNachfolger von Professor Wolfgang Spann als Ordinarius undVorstand des Instituts für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximili-ans-Universität München berufen und hat das Institut 20 Jahreführt. Am 1. April 2009 hat er die Leitung der Münchner Rechts-medizin an seinen Nachfolger Professor Matthias Graw weiter-gegeben. Noch immer hat er als Emeritus ein Zimmer in derRechtsmedizin und arbeitet wissenschaftlich. Sie wissen jetztalle, wen ich als Ehrenmitglied unserer DGVM vorschlage:

Professor Dr. med. Wolfgang Eisenmenger

Das Ansehen und die enorme wissenschaftliche Lebens-leistung von Professor Eisenmenger sind allgemein be-kannt. Er hat bereits zahlreiche Ehrungen erfahren. Beson-

ders hervorzuheben sind seine Mitgliedschaft in der Deut-schen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Bayeri-sche Verdienstorden und das Goldene Ehrenzeichen fürVerdienste um die Republik Österreich. Auch war WolfgangEisenmenger: 1996–2000 Präsident der Deutschen Gesell-schaft für Medizinrecht und 2001–2006 Präsident der Deut-schen Gesellschaft für Rechtsmedizin. Professor Eisenmen-ger hat, wie er bei seiner Verabschiedung bekannt gab, in sei-nem Leben ca. 20 bis 30.000 Leichen seziert. Dabei ging esneben kriminologischen Aspekten auch immer um Verkehrs-traumatologie und Verkehrstoxikologie. Sehr viele verkehrs-medizinische Veröffentlichungen mit neuen Erkenntnissenstammen aus seiner Feder und der seiner Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter. Für unsere Gesellschaft erinnere ich an diezahlreichen Vorträge von Professor Eisenmenger bei unserenJahrestagungen und insbesondere an den DGVM-Kongress1991 in München, den Wolfgang Eisenmenger als Tagungs-präsident hervorragend ausrichtete. Auch auf vielen Ver-kehrsgerichtstagen in Goslar war Professor Eisenmenger alsRedner gesetzt und war jahrelang Betreuer eines Arbeitskrei-ses. Dadurch tragen viele Empfehlungen des Goslarer Ver-kehrsgerichtstages seine Handschrift. Privat ist Wolfgangverheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter. Er hat inseinem Berufsleben genauso wie seine Mutter sehr hart undintensiv gearbeitet, und – auch wie seine Mutter – sich einentrockenen Humor bewahrt. Seine Mutter ist 95 Jahre alt ge-worden. Dies wünschen wir auch Wolfgang Eisenmenger beibester Gesundheit und hoffen, dass er uns als Ehrenmitgliedweiterhin mit seinem enormen Wissen und Können beratendzur Seite steht.

Ad multos annos (auf viele Jahre)

Laudatio

Professor Dr. med. Wolfgang Eisenmenger

Dr. Rolf Henninghausen

Laudator Dr. Rolf Henninghausen

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Danksagung10

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mein verehrter Lehrer und Amtsvorgänger Prof. Wolf-gang Spann sagte mir mehrfach: Sei gewarnt, wenn dugeehrt wirst. Das ist ein Hinweis darauf, dass du zumArzt gehen und dich untersuchen lassen solltest. DennEhrungen werden einem im Regelfall in einem Lebensal-ter zuteil, wo es bereits kritisch mit der Gesundheit wirdund sie sind deshalb ein deutliches Warnzeichen, dassdu denen, die dich ehren, nicht mehr als ernsthafterKonkurrent erscheinst, was daran liegen könnte, dasssie von deiner Gesundheit mehr wissen oder ahnen, alsdu selbst.

Mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der DGVMstellt sich mir also die Frage: Soll ich einen Untersu-chungstermin beim Hausarzt ausmachen oder erträgtmein Kreislauf die Belastung dieser Ehrung noch pro-blemlos? Nun, wie Sie sehen können, ist Letzteres der Fallund ich kann Ihnen versichern: Sie machen mir mit dieserEhrung wirklich eine ganz große Freude und ich sage demPräsidium und Ihnen, die sie dem Vorschlag zugestimmthaben, meinen herzlichen Dank.

Mit den Ehrungen ist es ja eine janusköpfige Angelegen-heit. Handelt es sich um Preise, dann beteuert der Preis-träger, dass dies für ihn Ansporn sei, noch mehr und nochbesser zu forschen und sich wissenschaftlich zu betäti-gen. Ehrenmitgliedschaften oder Gedenkmedaillen sinddagegen wie ein Zieldurchlauf: Man hat es geschafft, derWettkampf ist beendet. Und so werden Sie von mir jetztauch sicher nicht erwarten, dass ich eine Intensivierung

meiner Arbeit verspreche. Nein, ich schaue zurück unddas mit einem gewissen Stolz und auch mit Wehmut.

Zu meinem Stolz brauche ich keine Ausführungen zu ma-chen, das hat der Laudator bereits vorweggenommen.Aber über die Wehmut möchte ich schon noch etwas aus-führen. Viel ist geschrieben worden über die Zukunft desFaches Rechtsmedizin und das nicht ohne Grund. Am An-fang standen die heftigen Anfeindungen, überhaupt eineigenes Fach Rechtsmedizin oder Gerichtliche Medizin zuetablieren. Ich denke dabei beispielhaft an den berühm-ten Chirurgen Billroth, aber auch berühmte Pathologen,die bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts versuchthaben, die Notwendigkeit des Faches Rechtsmedizin in-frage zu stellen. Und dann kam 1966 der Wissenschaftsratmit der Empfehlung heraus, das Fach nicht mehr als Spe-zialgebiet in der Approbationsordnung zu behandeln,sondern im Rahmen der klinischen Fächer integriert zuunterrichten.

Ich will den Gang der Dinge hier nicht noch einmal vor IhrenAugen erstehen lassen, weil schon so viel darüber berichtetwurde. Weshalb ich das Szenario überhaupt bemühe, istdie Tatsache, dass es innerhalb unseres Faches einen Teil-bereich der Forschung gab, der geradezu essenziellen Cha-rakter hatte und der uns von keinem anderen Fach streitiggemacht wurde, und das war die Verkehrsmedizin.

Traumatologische Forschung betrieb hier in München be-reits 1880 der Chirurg Messerer, der folgerichtig in die ge-richtliche Medizin abwanderte. Der Motorisierung desStraßenverkehrs folgten auch bald die Opfer und das

Danksagung

Danksagung

Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger

Gratulant Prof. Dr. Volker Dittmann (l) und Geehrter Prof. Dr. med.Wolfgang Eisenmenger

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Danksagung 11

Strafrecht verlangte eine gründliche Untersuchung derVerkehrsunfälle, auch der medizinischen Aspekte. 1932wurde der Blutalkoholnachweis durch Widmark einge-führt und in der Folge durch Toxikologen und Gerichtsme-diziner verbessert und etabliert. Die Festlegung vonGrenzwerten der Alkoholisierung durch die Rechtspre-chung beruhte ausschließlich auf rechtsmedizinischerForschung, ebenso die Rechtsprechung und die Gesetzge-bung zur Drogenproblematik im Verkehr. Gurtanlege-pflicht und Helmtragepflicht – sie sind ohne die For-schungsergebnisse unseres Faches undenkbar und eben-so der Insassenschutz in heutigen Pkws. Mit diesen Erfol-gen, die der Verkehrssicherheit zugute kamen, prospe-rierte auch unser Fach, verbunden mit Namen wie Elbel,Grüner, Heifer, Mallach, Georg Schmidt, Hans-JoachimWagner, Wolfgang Dürwald, um nur einige zu nennen.

Es wurden Zentren für biomechanische Forschung in Hei-delberg, Hannover und München eingerichtet und beträcht-liche Drittmittel eingeworben. Und auf den Ergebnissen derEthanologie, der Drogenanalytik und der Biomechanik er-gaben sich forensische Aufgabenstellungen, die nicht nurden guten Ruf des Faches etablierten, sondern auch dieökonomischen Grundlagen aller Mitarbeiter sicherten.

Und wie ist die jetzige Situation? Bei den jungen Kollegin-nen und Kollegen besteht nur geringes Interesse für Ver-kehrsmedizin, was man schon seit vielen Jahren an derBesucherzahl des Verkehrsgerichtstages aus unseren Rei-hen beobachten konnte. Biomechanische Forschung istnur noch am Münchner Institut präsent und der Kampf fürdie Blutalkoholanalyse versus Atemalkohol ist wohl verlo-

ren, ebenso wie der Kampf um die Drogenanalyse in ihrervollen Breite.

Sie werden nun vielleicht denken: Was sollen die Kassan-drarufe eines Greises? Gerade, weil ich mich der Verkehrs-medizin verpflichtet fühle, möchte ich an die jungen Kolle-ginnen und Kollegen appellieren, sich aus der Historie un-seres Faches neu zu besinnen: Die DNA-Analytik und dieVirtopsy sind nicht alles für ein 3 Forscherleben und fürdie forensische Praxis. Verkehrsmedizinische Fragestel-lungen hat es immer gegeben und wird es weiterhin ge-ben. Auf dem Weg zur Vision Zero ist noch viel zu tun undes besteht kontinuierlicher Forschungsbedarf. Vielleichtsollten das Präsidium der Deutschen Gesellschaft fürRechtsmedizin und die Herausgeber unserer Fachzeit-schriften einmal eine Analyse des Ist-Zustandes und eineZukunftsplanung vornehmen und dabei den Stellenwertder Verkehrsmedizin für die jungen Kolleginnen und Kol-legen neu definieren.

Mit einem hoffnungsvollen Ausblick darf ich mich von Ih-nen verabschieden. Mein Freund und Nachfolger im Amt,Matthias Graw, führt die Forschung in allen Sparten derVerkehrsmedizin in der Münchner Tradition weiter. Dafürbin ich ihm sehr dankbar, insbesondere wenn ich sehe,wie anderswo diese Linie verlassen wurde.

Ein Kongress der Verkehrsmedizin und Verkehrspsycholo-gie mit ca. 390 Teilnehmern ist ein toller Erfolg und An-lass, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen.

Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger

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Verkehrsunfälle sind komplexe Ereignisse und entspre-chend vielschichtig ist auch ihre Rekonstruktion und Auf-arbeitung. Mit den mechanischen Aspekten von Verkehrs-unfällen bzw. den beteiligten mechanischen Systemen(Fahrzeuge, Infrastruktur) befasst sich klassischerweisedie Unfallanalyse, mit dem System „Mensch“ die Medizin(Rechtsmedizin, Verkehrsmedizin, Unfallchirurgie o. Ä.).Viele der denkbaren Fragestellungen können innerhalb ei-ner der beiden Disziplinen geklärt werden: die Unfallana-lyse gibt Aufschluss über den technischen Zustand derFahrzeuge und ihre Bewegungen vor und nach dem An-stoß, die Kollisionsintensität, die Vermeidbarkeit für dieBeteiligten, die Nutzung der Sicherheitssysteme usw.,Fragen nach Verletzungsumfang, Todesursache, Einflussvon Substanzen, Dauerfolgen der Verletzungen usw. wer-den medizinisch geklärt. Darüber hinaus gibt es Aspektedes Unfallgeschehens, die sowohl die mechanischen alsauch die biologischen Systeme betreffen (d. h. die Inter-aktion der Verkehrsteilnehmer mit ihrer Umgebung) unddie mittels einer biomechanischen Analyse zu klären sind.Die typischen Fragestellungen beziehen sich auf

– Rekonstruktion des Unfallgeschehens (Anstoßkonstel-lation beim Fußgängerunfall, Feststellung der Sitzplät-ze von Insassen, Plausibilität der Entstehung von Ver-letzungen/Beschwerden) und

− hypothetische Abläufe des Unfalls bei veränderten Para-metern (beim Anschnallen eines tatsächlich nicht ange-schnallten Insassen, beim Tragen eines Helms seitens ei-nes beim tatsächlichen Unfall nicht behelmten Motorrad-fahrers, bei einer niedrigeren initialen Geschwindkgeit ei-nes Fahrzeugs als tatsächlich gefahren usw.).

Während die isolierte Kenntnis des Schadensbildes an ei-nem Unfallfahrzeug oder die des Verlet-zungsbildes einesInsassen/Fußgängers usw. nur wenige Rückschlüsse hin-sichtlich des Unfallgeschehens erlauben, können selbstseltene bzw. untypische Abläufe bei Kombination der bei-den Spurenbereiche eindeutig rekonstruiert werden. In Ab-bildung 1 ist der wesentliche Sektionsbefund eines verun-fallten Fußgängers dargestellt. Dies wird von einem breitenVerletzungsareal auf der Rückseite des Oberkörpers domi-niert, dass sich außen durch multiple, parallel in einer Rich-tung von fuß- nach kopfwärts verlaufende, teilweise sehrtiefe und mit Lappenbildungen einhergehende Hautab-schürfungen und innen durch eine massive flächen-hafteEinblutung der Weichteile und zwei klaffende Wirbelsäu-lenbrüche am unteren und oberen Ende des Bereichs aus-zeichnet. Massive oberflächliche Hautdefekte mit von fuß-nach kopfwärts orientierten Hautabschürfungen wurdenauch im Gesichtsbereich festgestellt. Die Weichteilschädenim Bereich der unteren Extremitäten waren verhältnismä-ßig wenig ausgeprägt, trotz vorhandenen Unterschenkel-knochenfrakturen (Trümmerbrüche). Das Verletzungsbilderlaubt isoliert betrachtet nur sehr wenige rekonstruktiveRückschlüsse, in Verbindung mit der Kenntnis des (eben-falls untypischen und per se nur wenige Rückschlüsse aufInteraktion mit dem Fußgänger bietenden) Schadensbildesam Unfallfahrzeug (VW Golf, siehe Abbildung 2) kann je-doch der Ablauf der Kollision zwischen dem Fußgänger unddem Pkw gut rekonstruiert werden. Eine schematische Dar-stellung des Unfallablaufs zeigt Abbildung 3.

Bei biomechanischen Analysen von Verletzungen bzw.von Vorgängen, die zur Entstehung von Verletzungen ge-

Fachvorträge 13

Fachvorträge

Grundlagen der Biomechanik/Traumatologie

Jiri Adamec

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Fachvorträge

führt haben (evtl. führen könnten), wird grundsätzlich da-von ausgegangen, dass für die mechanische Genese einerkonkreten Verletzung zwei Bedingungen erfüllt werdenmüssen:

1. Der für die konkrete Verletzung verantwortliche Verlet-zungsmechanismus muss vorhanden sein (d. h., diemechanische Belastung muss ihrer Art nach geeignetsein, die Verletzung herbeizuführen)

2. Die aufgetretene Belastungshöhe muss die biomechani-sche Toleranz des betroffenen Gewebes überschreiten.

Das Studium der Zusammenhänge zwischen verschiede-nen Belastungstypen und den Charakteristiken der darausresultierenden Verletzungen einerseits und der Belastbar-keit des menschlichen Körpers andererseits (im Ganzen so-wie auf der Ebene von Segmenten, Organen usw.) steht be-reits lange im Mittelpunkt zahlreicher Untersuchungen,aufgrund der Komplexität der Problematik sind aber vieleFragen immer noch offen. Eine Übersicht der Grundartender Belastung wird am Beispiel von Kopfverletzungen inAbbildung 4 dargestellt. Dem Schema lassen sich auch diewesentlichen physikalischen Größen entnehmen, die zur

Quantifizierung der von außen einwirkenden Belastungs-höhe verwendet werden (roter Bereich).

In Abbildung 4 sind nur die Grundarten der Belastung undder Verletzungen dargestellt, das tatsächlich auftretendeSpektrum ist vielfältig und ineinander übergehend. Bei einerdirekten stumpfen Gewalteinwirkung auf den Kopf (Kopfauf-prall im Innenraum des Fahrzeugs) kommt es zu einer Verfor-mung des Schädels und des Gehirns, zur Propagation vonDruckwellen und zur Entstehung von Druckgradienten inner-halb des Schädels sowie zu einer Relativbewegung zwischendem Gehirn und dem Schädelknochen, wobei je nach kon-kreten Umständen (Größe der Kontaktfläche, Lokalisationder Aufprallstelle, Intensität des Aufpralls, Materialeigen-schaften des Zielobjektes usw.) diese Mechanismen in unter-schiedlichem Maße realisiert werden. Nachdem auch diebiomechanische Belastbarkeit einer hohen interindividuel-len Variabilität unterliegt, ist die exakte Vorhersage der auseinem bekannten Ereignis resultierenden Verletzungen nichtmöglich (bzw. zwei Personen können aus einer vergleichba-ren Belastung unterschiedliche Verletzungen davontragen).

Einzelne Verletzungen erlauben Rückschlüsse auf konkre-te Formen der Belastung individueller Körperteile. Der In-

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Abb. 1: Das Verletzungsbild. Die zwei oberen Bilder sind Übersich-ten der Körperrückseite vor und nach Präparation der Haut.Darunter eine Detailaufnahme der Haut linksseitig am Rü-cken. Unten links Gesichtsregion, rechts Wirbelsäule nachEntnahme der inneren Organe. Rote Pfeile markieren dieSchürfrichtung, gelbe Pfeile die Wirbelsäulenfrakturen.

Abb. 2: Die Schäden am Unfall-Pkw VW Golf. Oben links Übersichtder Fahrzeugfront, oben rechts die Verformung des Dachesund der Windschutzscheibe mit Gewebeanhaftungen an deroberen Kante der Windschutzscheibe, unten links Detaildes Dachschadens, unten rechts Verformung der Dachkanteund eine Lochbildung innerhalb der Windschutzscheibe.

Abb. 3: Schematische Darstellung der Interaktion zwischen demFußgängers und dem Unfall-Pkw während der Kollision.Geordnet von links nach rechts, von oben nach unten.

Abb. 4: Übersicht der Entstehung von Kopfverletzungen. Grundle-gende Belastungstypen, die Belastungshöhe beschreibendephysikalische Größen und entsprechende Verletzungstypen.

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formationsgehalt einzelner Körperläsionen hinsichtlichder Rekonstruktion eines komplexen Ereignisses ist aberverhältnismäßig gering und ihre Zuordnung zu einer kon-kreten Phase des Geschehens bzw. einer konkreten Inter-aktion nur im Kontext weiterer Spuren, insbesondere wei-terer Verletzungen, möglich. Einerseits entstehen beitraumatischen Einwirkungen häufig Läsionen mehrererKörperstrukturen, wobei nur bei Betrachtung sämtlicherzusammenhängender Verletzungen Aussagen zur erfolg-ten Belastung und daher zum ursächlichen Ereignis mög-lich sind (beispielsweise kann eine Impressionsfrakturdes lateralen Tibiakopfes aus einer axialen Belastung –Stauchung – beispielsweise bei einem Sturz mit Aufkom-men auf die Beine resultieren, bei zeitgleichem Vorhan-densein eines Innenbandrisses und einer Einblutung seit-lich am Knie ist von einer seitlichen Krafteineleitung ge-gen das durch das Körpergewicht fixierte Knie als Ursacheauszugehen). Analysiert werden daher grundsätzlichnicht nur Einzelverletzungen, sondern Verletzungsmuster.

Eine erfolgreiche Rekonstruktion eines Unfallgeschehenssetzt voraus, dass die einzelnen traumatischen Vorgängewiderspruchsfrei und vollständig in einen Gesamtrahmen(d. h. in Übereinstimmung mit anderen Spuren und den be-kannten Rahmenbedingungen) gesetzt wer-den. Die Be-deutung von korrekter Verletzungsbewertung sei anhandeines konkreten realen Falles kurz dargelegt. Es handeltesich um einen tödlichen Unfall mit Beteiligung eines Trak-tors und eines kindlichen Fahrradfahrers. Der Fahrradfah-rer wurde vom Traktor erfasst und mit dem linken Hinter-rad im Kopfbereich überrollt, was eindeutig durch Sekti-onsergebnisse (massive Schädelbrüche und -verformun-gen mit Teilenthirnung) und weitere Spuren (massiveHelmverformung, Gewebeanhaftungen am linken Hinter-reifen) belegt war. Der Fahrer des Traktors gab an, er hätteden Fahrradfahrer erst dann erkannt, als er sich schonrechts neben dem Traktor befunden habe; der Fahrradfah-rer sei aufgrund seines unvermittelten Schlenkers erfasstworden. Das unfallanalytische Gutachten, das auf den fürrelevant gehaltenen Spuren basierte (am Traktor sowie aufder Fahrbahn waren sehr viele Spuren vorhanden, wobeischwierig festzustellen war, welche dem Unfall zuzuord-nen sind), bestätigte die Version des Fahrers und ging voneiner Anstoßkonstellation wie in Abbildungen 5 und 6 dar-gestellt (bezeichnet als Gutachten 1) aus. Die Ermittlungenwurden daraufhin zunächst eingestellt.

Fachvorträge 15

Abb. 5: Die seitens der unfallanalytischen Sachverständigen rekon-struierten Anstoßkonstellationen zwischen dem Fahrradfahrerund dem Traktor. Skizze mit eingezeichneten Versionen.

Abb. 6: Die seitens der unfallanalytischen Sachverständigenrekonstruierten Anstoßkonstellationen zwischen demFahrradfahrer und dem Traktor. Oben: Version 1 mit Fahrraddargestellt. Unten: Version 2 mit Fahrrad dargestellt.

Die Eltern des Verstorbenen beauftragten aber zunächsteinen anderen unfallanalytischen Sachverständigen, derandere Spuren am Traktor für unfallrelevant hielt und einegrundlegend andere Unfallversion rekonstruiert hat (An-stoßkonstellation in Abbildungen 5 und 6 dargestellt undmit Gutachten 2 bezeichnet). Danach wurde eine Stel-lungnahme dahingehend erbeten, ob und evtl. welche derbeiden Unfallversionen sich anhand des Verletzungsbil-des (vgl. Abbildung 7) bestätigen bzw. ausschließen lässt.Angesichts der Tatsache, dass in der mit Gutachten 1 be-

Abb. 7: Das Verletzungsbild des verstorbenen Fahrradfahrers (Sekti-onslichtbilder, Übersicht der Körpervorder- und -rückseite).

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Fachvorträge

zeichneten Version der Fahrradfahrer seitlich zwischendem rechten Vorder- und Hinterrad unter den fahrendenTraktor und hier bis zum linken Hinterrad gelangt (siehehierzu Abbildung 8), müssten zahlreiche massive Schür-fungen auf der Körperoberfläche durch Schleifen auf derFahrbahn und/oder umschriebene Läsionen durch Inter-aktion mit den Stufen oder weiteren seitlichen Traktor-strukturen auftreten (der Fahrradfahrer war nur sehrleicht bekleidet). Vorzufinden waren aber lediglich leichteoberflächliche Verletzungen, vereinbar mit einem Sturzauf die Fahrbahn (untersucht wurde auch die Bekleidungund auch diese zeigte nur sehr geringfügige Beschädi-gungen). In Version 2 wurde der Fahrradfahrer von hintenerfasst (Erstkontakt der Schaufel mit dem Helm), auf dieFahrbahn gestürzt und im Wesentlichen nur durch den lin-ken Hinterreifen überrollt (die lichte Höhe des Traktorsmacht ein Überfahren ohne schwere Verletzungen mög-lich). Vor diesem Hintergrund konnte die mit 1 bezeichne-te Unfallversion anhand des Verletzungsbildes als nichtplausibel und die mit 2 bezeichnete Unfallversion als mitdem Verletzungsbild vereinbar eingestuft werden. DerFahrer wurde wegen einer Fahrlässigen Tötung zu einerGeldstrafe verurteilt.

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Abb. 8: Die seitlichen Partien des Traktors. In der Version 1 gelangtder Fahrradfahrer zwischen dem rechten Vorder- und Hin-terrad unter den Traktor.

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Einleitung

In den letzten Jahren haben numerische Menschmodelle,sogenannte Human Body Models (HBMs), zunehmend anBedeutung in der biomechanischen Forschung und in An-wendung der Fahrzeugsicherheit gewonnen. InsbesondereFinite-Elemente- (FE) Menschmodelle besitzen dabei eingroßes Potenzial zur detaillierten Verletzungsbewertungund Unfallrekonstruktion. Im Gegensatz zu konventionellenDummymodellen, mit denen lediglich die Kinematik undmechanische Belastungen abgebildet werden, können mitnumerischen Menschmodellen Spannungsverläufe und De-formationen, die bei einem Anprall in unterschiedlichen Kör-perregionen auftreten, differenziert analysiert und tatsächli-che Verletzungen wie z. B. Frakturen simuliert werden.

Finite-Elemente-Methode

Die Finite-Elemente-Methode ist ein numerisches Berech-nungsverfahren, bei dem ein Volumen oder eine Fläche inendlich viele, sogenannte Finite-Elemente, unterteilt wird(Diskretisierung). Durch die Definition gewebespezifi-scher Materialmodelle und Materialparameter kann dasVerhalten verschiedenster Gewebe des menschlichenKörpers abgebildet werden und es wird ermöglicht, dassSpannungen und Deformationen in den Geweben berech-net werden können. Kontaktdefinitionen garantieren eineInteraktion zwischen Modell und seiner Umgebung.

Warum Finite-Elemente-Menschmodelle?

FE-Menschmodelle weisen, vor allem im Vergleich zu kon-ventionellen Dummymodellen, eine hohe Biofidelität auf.Die Geometrien der Modelle basieren auf CT- und MRT-Bil-

dern, die segmentiert und anschließend mit Finiten Ele-menten vernetzt werden. Durch die Definition spezifischerMaterialmodelle und -parameter können die verschiede-nen Gewebe des menschlichen Körpers, wie beispielswei-se Knochen-, Haut- und Muskelgewebe, in biomechani-sche Modelle überführt werden und ermöglichen eineAussage über mögliche Verletzungen, wie etwa Rippen-brüche oder Verletzungen der inneren Organe.

Herausforderungen der FE-Menschmodellierung

Die FE-Menschmodellierung ist aufgrund der Komplexität derModelle mit beträchtlichen Herausforderungen verbunden.Biologische Materialen weisen ein nicht-lineares, visko-elas-tisches und anisotropes Verhalten auf, welches sich sehrschwer in mathematische Modelle überführen lässt. Die kom-plexen Geometrien des menschlichen Körpers, wie z. B. dieForm des Beckens, müssen durch Finite-Elemente-Netzemöglichst genau wiedergegeben werden. Auch ist nicht jederMensch gleich, anthropometrische Unterschiede in Körper-proportionen und -geometrien zwischen den Geschlechternund den verschiedenen Altersgruppen sind bekannt und fin-den zunehmend Einzug in die Menschmodellierung, da dieseDiversität auch unterschiedliche Anforderungen an passiveSicherheitssysteme im Auto stellt. Eine weitere große Heraus-forderung besteht darin, die Modelle für unterschiedliche An-prallszenarien gegen reale Experimente zu validieren, um diebiomechanische Qualität der Modelle sicherzustellen.

Aktuelle Projekte in der Arbeitsgruppe für Biomechanik

Die Arbeitsgruppe für Biomechanik des Instituts fürRechtsmedizin der LMU München beschäftigt sich inten-

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Biomechanische „Modelle“

in Forschung und Praxis

Therese Fuchs, Steffen Peldschus

Abb. 1: Biomechanische Modelle

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Fachvorträge

siv mit der Weiterentwicklung von FE-Menschmodellen fürunterschiedliche Anwendungsbereiche.

Ein Forschungsschwerpunkt ist hierbei die Verbesserungvon gängigen Materialmodellen, die für die Menschmo-dellierung verwendet werden. Diese Modelle bilden oftdas reale Verhalten von Gewebe nicht genau genug ab. Inzwei Projekten wurde der Einfluss von Weichgewebe beiverschiedenen Anprallszenarien untersucht. Dazu wurdendie mathematischen Modelle für passives Muskelgewebeund Haut optimiert und gegen reale Experimente vali-diert, die von Mitarbeitern der Arbeitsgruppe für Biome-chanik durchgeführt wurden.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppefür Biomechanik ist die anthropometrische Untersuchungund Weiterentwicklung von Menschmodellen. In Zusam-

menarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)und DYNAmore wurde ein numerisches Modell desmenschlichen knöchernen Thorax entwickelt, das insbe-sondere altersabhängige geometrische Faktoren berück-sichtigt. Das Modell repräsentiert sowohl die männlicheals auch die weibliche Population der über 64-Jährigenund ermöglicht dadurch eine an diese Altersgruppe ange-passte Verletzungssimulation.

In dem Projekt „THUMS User Community (TUC)“, einemvon der Arbeitsgruppe für Biomechanik koordiniertenDrittmittelprojekt der LMU in Kooperation mit der AUDI AG,Autoliv, BMW AG, Daimler AG, Opel AG, Porsche AG, ToyotaMotor Corporation und der Volkswagen AG, sollen FE-Men-schmodelle in die passive Fahrsicherheit von Automobilfir-men integriert werden. Dabei steht vor allem die biome-chanische Validität der Modelle im Vordergrund.

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Abb. 2: Erstellung FE-Modell

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Fachvorträge 19

Die Abteilung für medizinisch-biomechanische Unfallana-lyse im Institut für Rechtsmedizin der Universität Mün-chen hat seit 2003 eine sog. SUD (Sicherheitsunfall-Da-tenbank) mit schwersten Verkehrsunfällen mit Todesfolgeaufgebaut. Hier sind pro Jahr ca. 150 retrospektiv aufge-nommene Verkehrsunfälle, insgesamt ca. 1.500 Fälle, imBestand.

Seit Mitte 2013 wird auch eine kleine IN-DEPTH-Unfall-aufnahme mit zusätzlich ca. 50 Verkehrsunfällen pro Jahrin die Datenbank integriert. Hier ergibt sich die Möglich-keit ausgiebiger technischer Untersuchungen an den Un-fallfahrzeugen direkt an der Unfallstelle. Insgesamt sollhier die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Me-dizin, Psychologie, Fahrzeugtechnik und Straßenplanungzur Reduktion von tödlichen Verkehrsunfällen Ziel minus40 % innerhalb von 10 Jahren.

Um tödliche Verkehrsunfälle nachhaltig zu reduzierenmuss man wissen woran und warum die Verkehrsteilneh-mer sterben.

Für die anthropometrische Datenerfassung wird spezielleine Kinderdatenbank (n > 100) erstellt, um geometrischeund mechanische Relationen der erwachsenen Kinderbesser zu erfassen und zu verstehen (Abb. 2).

Im Jahr 2030 kommt es nach Berechnung der WHO zu ei-nem Anstieg von Verkehrsunfallverletzungen von Rangrei-henfolge 9 (2004) auf Rangreihenfolge 5.

In Europa gibt es zurzeit über 26.000 Getötete im Stra-ßenverkehr, über 1 Million Verletzte mit volkswirtschaftli-chen Kosten über 100 Milliarden Euro, (Europa EU 27).

Die Verkehrstoten in Deutschland Ziel 2010 Bundesver-kehrsministerium in den Jahren 2010 bis 2020 mit minus40 % weisen momentan eher eine Stagnation als eine ge-plante Reduktion.

Jahr Verkehrstote D2010 3.6482011 4.0092012 3.6002013 3.3382014 1. Halbjahr + 6 %

Unfallrekonstruktion

als Grundlage der Verkehrsunfallforschung

Wolfram Hell, Klaus Bauer, Michael Rasch, Hans Bäumler

Abb. 1: Frontalkollision mit geringer Überdeckung Fahrzeuginsas-se trotz Gurt und Airbag tödlich verletzt.

Abb. 2: Interne und externe Geometrie des ganzen Körpers.

Abb. 3: Todesursachen nach WHO

Tabelle 1: Kein nennenswerter Rückgang der Verkehrstoten inDeutschland seit dem Jahr 2010

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Nachhaltig diese zahlen um 4 % pro Jahr zu senken er-scheint momentan nicht erreichbar. Trotz der inzwischenreduzierten Zahl von Verkehrstoten sind im Jahr 2012 proTag immerhin noch 10 Menschen im Straßenverkehr umsLeben gekommen, weitere 1050 wurden verletzt.

Alle 4,9 Stunden wurde ein Pkw-Insasse getötet,

alle 15 Stunden starb ein Motorradfahrer,

alle 17 Stunden wurde ein Fußgänger getötet,

alle 22 Stunden verlor ein Fahrradfahrer sein Leben.

Im Weiteren werden Beispielfälle aus der Unfallforschungder LMU-SUD präsentiert.

Im vorliegenden Fall kam es durch eine fehlerhafte Kar-bon-Keramik-Bremsscheibe zu einem folgenschwerenVerkehrsunfall mit Todesfolge bzw. einem Schwerstver-letzten.

In dem ersten prospektiv aufgenommenen Unfall kam eszu einer Querschnittslähmung eines im Kindersitz gesi-cherten 28-monatigen Kindes, welches in einem 18 Jahrealten Kindersitz in einem nur 4 Jahre alten Pkw mit Isofix-Befestigung gesichert war. Durch Gurtlose und zu locke-rer Befestigung des fast 20-jährigen Kindersitzes kam eszu einer massiven Vorwärtsflexion mit konsekutiver Quer-schnittslähmung Th 11/12.

Ein weiterer Schwerpunkt der Abteilung SUD liegt zurzeitin der Rekonstruktion und Simulation von Unfällen mitrechtsabbiegenden Lkws und Fahrradfahrern.

In einer aufwendigen Simulation wird auch der Sichtbe-reich des Lkw-Fahrers betrachtet. In der Regel ist der Lkw-Fahrer durch viele Spiegel und nur sehr kurzes Aufschei-nen des Radfahrers in einem von 6 verschiedenen Spie-geln für ein nur sehr kurzes Zeitfenster überfordert.

Im LMU-SUD-Unfallmaterial konnte herausgearbeitetwerden, dass mindestens 6 von 10 Unfällen durch ein mo-dernes Rechtsabbiegesystem beim Lkw vermieden wer-den könnten.

Die Geschwindigkeiten bewegten sich überwiegend imSchrittbereich bis maximal 20 km/h. Um das Ziel der Re-duktion der Verkehrstoten und Schwerstverletzten zu er-reichen, erscheint Unfallprävention elementar. Es ist teil-weise verwunderlich, wie wenig internationale Ideen z. B.aus Japan (gläserne Beifahrertür), Großbritannien (Fres-nel-Linsen in Lkws) etc. in Deutschland angewandt wer-den, um nachhaltig Verkehrsunfälle mit Todesfolge zu ver-hindern.

Im Sinne der Vision Zero „Keiner kommt um, alle kommenan“ erscheint eine weitere Erfassung von Schwerstunfäl-len als sog. kontinuierliches Monitoring dringend erfor-derlich, um geeignete Präventionsmaßnahmen für häufigähnliche Unfallmuster zu entwickeln.

Fachvorträge20

Abb. 4: Unfallskizze

Abb. 5: Zustand des Fahrzeugs nach der Kollision.

Abb. 6: Spuren am Unfallort

Abb. 7: Zerbrochene Karbon-Keramik-Bremsscheibe

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Literatur

Burg, H., H. Zeidler: EES – Ein Hilfsmittel für die Unfallrekonstrukti-on und dessen Auswirkung auf die Unfallforschung, Verkehrsunfallund Fahrzeugtechnik, Hefte 4–6/80

Bäumler, H., Ungerer, H.: Die Erstellung von Energierastern für die Frontvon Personenkraftwagen und ihre Anwendung in der Unfallrekonstruk-tion, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, Hefte 09 und 10/89

Langwieder, K., Sporner, A., Hell, W.: Struktur der Unfälle mit Getötetenauf Autobahnen in Bayern im Jahr 1991, Huk Verband München 1994

RESIKO – Retrospektive Sicherheitsanalyse von Pkw-Kollisionen mitSchwerverletzten, Institut für Fahrzeugsicherheit, München, 1998

Hell, W., Langwieder, K., Sporner, A.: Injury Patterns compared to in-jury costs in car to car accidents of belted occupants with major in-juries, 43rd Annual Proceedings American Association for AutomotiveMedicine, Sitges, September 1999

Eppinger, R. et al.: Development of Improved Injury Criteria for theAssessment of Advanced Automotive Restraint Systems II, NHTSA,November 1999

Hell, W.: Comparison of Traffic Safety in West and Former East Germany.Resulting Countermeasures for a Reduction of the Fatality and InjuryRate. EUPSN Workshop »Increasing Safety in Eastern Europe« War-schau, April 2001

Gabauer, D., Gäbler, H.: Comparison of Roadside and Vehicle CrashTest Injury Criteria in Frontal Crash Tests, Virginia Tech, 2005

Hell, W.: Vergangenheit und Zukunft der medizinischen Unfallfor-schung in der Fahrzeugsicherheit. Möglichkeiten und Grenzen dermedizinischen Grundlagenforschung zur Passiven Sicherheit, Deut-sche Gesellschaft für Verkehrsmedizin Heidelberg, 2007

Bäumler, H.: Skriptum zur Vorlesung Unfallmechanik, Unfallanalyse,Unfallforschung, Hochschule für angewandte Wissenschaften Mün-chen, München, Juni 2012

Hell, W.: Unfälle mit Rechtsabbiegenden Lkw. Dringender Hand-lungsbedarf, GMTTB Jahrestagung Konstanz 2./3. Juni 2014

Hell, W., Graw, M.: Elderly people in fatal traffic accidents. Analysisof the LMU Safety Accident Database with results from Accident re-construction, autopsy and ideas of countermeasures from the tech-nical and medical perspective. Ageing and Safe Mobility Conference27–28 November 2014, Bergisch Gladbach, Germany

Hell, W.: Analyse schwerer Fahrradunfälle unter Berücksichtigungzukünftiger Pedelecs, FSD-Konferenz Dresden, Dezember 2014

Fachvorträge 21

Abb. 8: Prospektiv aufgenommener Unfall

Abb. 9: Großbritannien: Lkw-Kampagne gegen den toten Winkel

Abb. 10: Crashsimulation Realunfall rechtsabiegender Lkw

Abb. 11: Effizienz von Rechtsabbiegeassistent Lkw

Abb. 12: Logo von Vision Zero des Deutschen Verkehrssicherheitsrates

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Fachvorträge

Zusammenfassung

Die Audi Accident Research Unit (AARU) ist ein interdis-ziplinäres Forschungsprojekt des UniversitätsklinikumsRegensburg und der AUDI AG. Die Analyse von Verkehrs-unfällen ist die Grundlage der interdisziplinären For-schungstätigkeit. Dazu gehört die Erarbeitung einer ge-nauen Unfallrekonstruktion sowie die Erfassung aller ent-standenen Verletzungen und aller Begleitumstände, diezum Unfall geführt haben. Die Forschungsergebnisse flie-ßen direkt in die Entwicklung neuer Fahrzeuge ein. Dasgemeinschaftliche Verständnis über die Unfallentste-hung, den Unfallverlauf und die Unfallfolgen sind die Ba-sis zur Erreichung des gemeinsamen Ziels: Steigerung derallgemeinen Verkehrssicherheit durch die Vermeidungvon Unfällen und die Verringerung von Unfallfolgen.

1. Einleitung

Unfallmeldungen finden sich tagtäglich in den Schlagzei-len der Medien. Der Fokus der Berichterstattung liegt da-bei meistens auf den Unfallfolgen. Über die Unfallursachewird oft nur spekuliert. Dabei sollte man sich durchaus dieFrage stellen: Warum passieren diese Unfälle? Wirft maneinen Blick in die deutsche Bundesstatistik der Verkehrs-unfälle, wird deutlich, dass in über 90 % der Unfälle mitPersonenschaden menschliches Fehlverhalten die Haupt-ursache ist (Statistisches Bundesamt, 2014). Was genauzu diesem Fehlverhalten geführt hat, kann in der Regel je-doch von der Polizei nicht ermittelt werden und ist daher inder amtlichen Statistik nicht verzeichnet. Somit bleibenbei jedem einzelnen Unfall viele Fragen offen: Was passier-te unmittelbar vor dem Unfall? Warum genau kam es über-haupt zur Kollision? War der Fahrer durch irgendetwas ab-gelenkt? Stand er/sie unter Stress – aus privaten oder be-ruflichen Gründen? Wurde die Situation überhaupt als ris-kant wahrgenommen? Oder wurde das Risiko vielleicht so-gar bewusst in Kauf genommen?

Nur wenn man die jeweiligen Hintergründe eines Unfallskennt, das Verhalten des Fahrers sowie seine Reaktionennachvollziehen kann und den Unfallmechanismus genauversteht, kann man sinnvolle Gegenmaßnahmen entwi-ckeln. Eine bedeutende Möglichkeit stellt dabei die Ent-wicklung von Fahrerassistenzsystemen dar, die den Fah-rer in seiner Fahraufgabe unterstützen und vor Gefahrenwarnen bzw. direkt Gegenmaßnahmen einleiten können.

Im besten Fall ist es dadurch möglich, Unfälle zu verhin-dern. Ist ein Unfall jedoch unvermeidbar, ermöglichen sol-che Systeme aber zumindest oft, die Folgen des Unfalls zuminimieren.

2. Audi Accident Research Unit

2.1 Interdisziplinäre Unfallforschung

Die Audi Accident Research Unit (AARU) ist ein interdiszip-linäres Forschungsprojekt des Universitätsklinikums Re-gensburg und der AUDI AG. Die AARU hat es sich seit derGründung 1998 zur Aufgabe gemacht, Unfälle in einem sol-chen Detaillierungsgrad zu erheben, dass dadurch dasVerständnis erreicht wird, das notwendig ist, um sinnvolleGegenmaßnahmen zu entwickeln. Das Erhebungsgebietder AARU erstreckt sich dabei hauptsächlich auf Bayern.Die AARU besteht aus drei Disziplinen, die parallel arbei-ten: Techniker analysieren die Unfallstelle und die beteilig-ten Fahrzeuge und führen darauf aufbauend eine physika-lische Rekonstruktion des Unfalls durch. Mediziner analy-sieren die Verletzungen der beteiligten Personen, den bio-mechanischen Ablauf im Unfallgeschehen und die Heilungder Patienten. Psychologen interviewen die am Unfall be-teiligten Fahrer zu ihren subjektiven Eindrücken unmittel-bar vor dem Unfall und analysieren die Vorgeschichte desUnfalls. So entsteht die Möglichkeit, anhand realer Ver-kehrsunfälle aussagekräftige und gesicherte Erkenntnisseüber das Verhalten und die subjektiven Empfindungen undEindrücke der Fahrer in der Pre-Crash-Phase, also der kur-zen Zeit unmittelbar vor dem Unfall, zu erhalten.

2.2 Unfallerhebung

Das Ziel der AARU ist es, pro Jahr etwa 90 Verkehrsunfälle zuanalysieren, an denen Modelle von Audi, Lamborghini oderDucati beteiligt waren, die zum jeweiligen Unfallzeitpunktnicht älter als zwei Jahre sind. Weitere Auswahlkriterien fürdie Aufnahme in die Unfalldatenbank der AARU sind:• Bei dem Unfall wurden Personen verletzt und/oder• mindestens ein Airbag löste aus und/oder• die beteiligten Fahrzeuge wurden stark deformiert.

Dabei ist es für die Aufnahme in die AARU-Datenbank un-erheblich, in welchem am Unfall beteiligten Fahrzeug einAirbag auslöste oder die verletzte Person saß oder ob bei-spielsweise ein Radfahrer oder Fußgänger verletzt wurde.

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Interdisziplinäre Zusammenarbeit von

Technik, Medizin und Psychologie zur

Steigerung der Verkehrssicherheit

Stefanie Weber, Eckart Donner, Antonio Ernstberger

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Am Ende werden pro Unfall etwa 2.000 technische, medizi-nische und psychologische Einzeldaten anonym in der AA-RU-Datenbank gespeichert. Das Spektrum dieser Datenreicht im technischen Bereich von der Vermessung derSplitterfelder sowie der Brems- und Schlagspuren auf derStraße, über die Erfassung von Art und Schwere der Fahr-zeugschäden bis hin zu Sitzeinstellungen und mitgeführ-ter Ladung. All diese Daten werden bei Besichtigung derUnfallstelle sowie der einzelnen Unfallfahrzeuge gesam-melt. Das medizinische Team sammelt unter anderem In-formationen über das Alter der beteiligten Personen, mög-liche Vorerkrankungen sowie über das Ausmaß der Verlet-zungen und die Behandlung der jeweiligen Verletzung. AlsInformationsquellen dienen dem medizinischen Teamstandardisierte Interviews, die von speziell geschultenMitarbeitern entweder telefonisch oder persönlich durch-geführt werden, und die medizinischen Unterlagen der Be-teiligten (Arztbrief, Röntgenbilder etc.), die bei vorliegen-dem Einverständnis angefordert werden. In der psycholo-gischen Erhebung liegt dagegen der Fokus auf den subjek-tiven Angaben der beteiligten Fahrer, welche mittels einesausführlichen, standardisierten Telefoninterviews befragtwerden. Somit liegen dann Informationen beispielsweisehinsichtlich der Wahrnehmung kurz vor der Kollision vor,aber auch Angaben zur Müdigkeit, zu Stress oder Zeit-druck, zur Ablenkung, zur Risikowahrnehmung oder auchzur subjektiven Beurteilung des eigenen Fahrkönnens.

Wenn die drei hauptsächlich unabhängig voneinander ar-beitenden Fachteams ihre jeweilige Erhebung abge-schlossen haben, wird jeder Einzelfall in einer interdiszip-linären Fallbesprechung abschließend bearbeitet. EinSpezialist aus jedem Team stellt die entsprechenden Er-gebnisse vor. Dabei werden die gesammelten Daten mit-einander abgeglichen und objektiviert. Beispielsweisewird die subjektiv erlebte Geschwindigkeit, wie sie in derpsychologischen Erhebung berichtet wurde, mit der durchdie Technik aufgrund der Spurenlage rekonstruierten Ge-

schwindigkeit verglichen. Alle Anwesenden diskutierenden Unfall, bis alle Details verstanden und die drei Teamssich über den Hergang einig sind. Gerade diese interdis-ziplinäre Durchsprache führt zu einem deutlich besserenVerständnis des Unfallgeschehens und erlaubt eine Ver-gabe von Unfallursachen und eines Potenzials für Fahrer -assistenzsysteme.

Der gesamte Ablauf der Unfallerhebung ist in Abbildung 1dargestellt.

3 Unfallursachenkodierung

3.1 Verwendung der 5-Step-Methode

Die AARU vergibt zu jedem Unfall, der in der Fallbesprechungdiskutiert wurde, Unfallursachen und kodiert diese nach der5-Step-Methode (Chiellino et al., 2010; Hörauf et al., 2006).Die Kodierung der menschlichen Ursachen basiert dabei aufdem Modell von Rasmussen (1982) und der Adaption diesesModells durch Zimmer (2001) und wurde mit GIDAS (GermanIn-depth Accident Study) abgestimmt (Jaensch et al., 2009).

Bei Verkehrsunfällen kann es durchaus vorkommen, dassmehr als ein Beteiligter ursächlich zur Entstehung desVerkehrsunfalls beigetragen hat. Darüber hinaus kannaber auch aufseiten eines Beteiligten mehr als ein Faktorzur Entstehung des Unfalls geführt haben. Um die Unfall-ursachen in der AARU zu erfassen, besteht daher die Mög-lichkeit, jedem Unfallbeteiligten bis zu drei Ursachenfak-toren zuzuordnen.

Die Grundannahme der Unfallursachenkodierung bestehtdarin, dass im Straßenverkehr Unfallursachen aus dreiverschieden Bereichen zu erwarten sind: vom „Men-schen“, aus dem Bereich „Technik“ und aus dem Bereich„Umwelt“. Gemäß dieser Einteilung werden auch die Un-fallursachen in der 5-Step-Methode in drei Gruppen un-

Fachvorträge 23

Abb. 1: Prozess der Unfallerhebung bei derAARU-Verkehrsunfall forschung

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Fachvorträge

terteilt: Menschliche Ursachenfaktoren, Ursachen ausdem Bereich der Fahrzeugtechnik und Ursachen aus demBereich der Umwelt bzw. Infrastruktur. Bei der insgesamtvierstelligen Ursachenkodierung stellt die Zuordnung zueiner dieser drei Gruppen die erste Zahl dar.

Jede der drei Gruppen setzt sich aus spezifischen Katego-rien von Ursachenfaktoren zusammen. Diese Kategorienbilden die zweite Zahl der Ursachenkodierung. Im Bereichder menschlichen Ursachenfaktoren werden dabei fünfverschiedene Kategorien unterschieden. Diese fünf Kate-gorien bilden den sequenziellen Prozess von der Wahr-nehmung bis hin zur Handlungsausführung ab. Durch dieseDarstellungsart ist es möglich, den Zeitpunkt eines Fehlersim Unfallgeschehen genau zu bestimmen.

Jede Kategorie hat charakteristische Einflusskriterien, wel-che die häufigsten Faktoren darstellen, die zu einem Unfallgeführt haben. Diese Faktoren werden durch die dritte Zahlder Ursachenkodierung erfasst.

Mit der vierten Zahl der Ursachenkodierung wird schließ-lich jedem Einflusskriterium noch ein Indikator zugeord-net, der die zugrunde liegende Ursache im größtmögli-chen Detail beschreibt.

In Abbildung 2 ist eine exemplarische Unfallursachenko-dierung dargestellt: In diesem speziellen Fall kam es zueinem Auffahrunfall, weil der Fahrer durch die Unterhal-tung mit dem Beifahrer so abgelenkt war, dass er dasBremsen des Fahrzeugs vor ihm nicht wahrgenommenhat. Die Unfallursachenkodierung für diesen Fall lautetdaher „1.2.1.2“.

Es handelt sich hier um eine Unfallursache aus der Grup-pe der menschlichen Ursachenfaktoren (erste Zahl = 1).Das „Nichtwahrnehmen des Bremsen“ ist ein Problem inder Kategorie der Informationsaufnahme (zweite Zahl =

2). Das Einflusskriterium, also der Grund, warum es zu ei-nem Fehler in der Informationsaufnahme kam, ist Ablen-kung im Fahrzeug (dritte Zahl = 1). Die Ablenkung im Fahr-zeug erfolgte durch Mitfahrer (vierte Zahl = 2), wodurchder maximale Detaillierungsgrad der Unfallursache er-reicht ist.

3.2 Verteilung der Unfallursachen

Die detaillierte Kodierung, wie sie durch die 5-Step-Me-thode ermöglicht wird, ist notwendig, um die wahrenGründe für einen bestimmten Unfall zu verstehen. Sieschafft dadurch einen deutlichen Mehrwert gegenüberder in der Bundesstatistik verfügbaren amtlichen Haupt-unfallursache, die durch die Polizei vergeben wird, da die-se zu grob ist, um daraus konkrete Gegenmaßnahmen ab-leiten zu können.

In der AARU-Datenbank zeigt sich für die Unfälle, diedurch einen menschlichen Fehler verursacht wurdenund bei denen eine menschliche Ursache mit Unterkate-gorie kodiert wurde, folgende Verteilung (siehe Abbil-dung 3).

Es zeigt sich, dass Fehler in der Informationsaufnahmedie größte Ursache für Unfälle sind. Das bedeutet, dassdie Information, die zur Unfallvermeidung notwendiggewesen wäre, dem Fahrer zwar zugänglich gewesenwäre, aber nicht wahrgenommen wurde. Die zweit-höchste Fehlerrate zeigt sich in der Kategorie der Infor-mationsverarbeitung. Hier handelt es sich oftmals umeine falsche Beurteilung der Situation durch den Fahrer.Die hohe Zahl von Unfällen, bei denen Informationsauf-nahme und Informationsverarbeitung eine Rolle spie-len, sind potenzielle Beispiele für die Sinnhaftigkeit derEntwicklung von Fahrerassistenzsystemen. Hier gilt es,den Fahrer in seiner Wahrnehmung und seiner Beurtei-lung zu unterstützen.

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Abb. 2: Unfallursachenkodierung nachder 5-Step-Methode

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Da eine direkte, unüberlegte Zuordnung eines speziellenSystems zu einer bestimmten Fehlerkategorie nicht mög-lich ist, vergibt die AARU im Rahmen der Fallbesprechungmögliche Potenziale für Fahrerassistenzsysteme (FAS)explizit für jeden einzelnen Unfall.

4 Potenzialvergabe für Fahrerassistenzsysteme

Wenn in der Fallbesprechung die Unfallursachen verge-ben sind, wird die Frage gestellt: Welches Fahrerassis-tenzsystem hätte diesen Unfall positiv beeinflussen bzw.im besten Fall ganz verhindern können? Auch hierbei istdie interdisziplinäre Herangehensweise von großem Vor-teil. Denn nur, wenn die technischen und umweltbezoge-nen Voraussetzungen für ein bestimmtes System erfülltgewesen wären und eine Warnung o. Ä. auch vom Fahrerhätte aufgenommen werden können, wird ein solches Po-tenzial vergeben. Es werden also nur Potenziale vergeben,für die ein tatsächliches Wirkfeld existiert. Mit dieser Po-tenzialvergabe werden sowohl FAS angesprochen, dieheute schon in Serie verbaut werden, als auch Systemeund Funktionen, die in näherer und fernerer Zukunft vor-stellbar sind. Für Unfälle im Längsverkehr ist der Not-bremsassistent ein klassisches Beispiel, da dieser zu Be-ginn der Potenzialvergabe in der AARU noch im For-schungsstadium war und zwischenzeitlich im Paket Pre-Sense im Serienfahrzeug enthalten ist.

Die Potenzialvergabe aus der Verkehrsunfallforschung lie-fert damit wertvolle Beiträge bei der Generierung neuerForschungsideen, bei der Entwicklung von FAS und bei derBewertung von Wirkpotenzialen bestehender Systeme.Über die detaillierte Unfallursachenbeschreibung könnenaus den berichteten Unfällen schnell Ideen für praktischeSystemumsetzungen entstehen. Außerdem macht es dieVergabe der FAS-Potenziale den Fahrzeugentwicklern ein-fach, Beispielfälle zu finden, an denen Systementwürfeüberprüft und verbessert werden können.

5 Fazit

Durch die detaillierte Analyse von Verkehrsunfällen durchdie AARU werden Daten generiert, die zum einen zu einembesseren Verständnis der Unfallmechanismen und derUnfallfolgen führen und zum anderen Aufschluss über diePre-Crash-Phase, das Verhalten und die Reaktionen desFahrers geben. Auf dieser Grundlage können geeigneteGegenmaßnahmen entwickelt werden, um das Unfallge-schehen positiv zu beeinflussen. Eine Möglichkeit vonsei-ten der Fahrzeughersteller ist die Entwicklung von FAS,die im besten Fall helfen können, Unfälle komplett zu ver-meiden. Die Verkehrsunfallforschung leistet somit einenwertvollen Beitrag für die Steigerung der allgemeinenVerkehrssicherheit.

Literatur

Chiellino, U., Winkle, T., Graab, B., Ernstberger, A., Donner, E., Ner-lich, M. (2010): Was können Fahrerassistenzsysteme im Unfallge-schehen leisten? Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 56 (3), 131–137.

Hörauf, U., Buschard, B., Donner E., Graab, B., Winkle, T. (2006):Analyse von Verkehrsunfällen mit FAS-Potenzialeinschätzung amBeispiel des FAS Lane Departure Warning. Tagung aktive Sicherheit2006, München.

Jaensch, M., Otte, D., Pund, B., Chiellino, U., Hoppe. M. (2009): Implementation of ACASS – Accident Causation Analysis with SevenSteps – in In-Depth Accident Study GIDAS. 3rd International Con-ference on ESAR »Expert Symposium on Accident Research«. Be-richte der Bundesanstalt für Straßenwesen, F 72. Bergisch Glad-bach: Wirtschaftsverlag NW.

Rasmussen, J. (1982): Human errors: A taxonomy for describing human malfunction in industrial installations. Journal of OccupationalAccidents, 4, 311–333.

Statistisches Bundesamt (2014): Verkehrsunfälle 2013 (Fachserie 8,Reihe 7). Wiesbaden.

Zimmer, A. (2001): Wie intelligent darf/muss ein Auto sein? Anmer-kungen aus ingenieurspsychologischer Sicht. In T. Jürgensohn & K.-P. Timpe (Hrsg.), Kraftfahrzeugführung. Berlin: Springer.

Fachvorträge 25

Abb. 3: Verteilung der menschlichen Unfallursachen beider AARU (n = 859 Unfälle)

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In den vergangenen Jahren haben sich Verkehrssicherheitund Fahrkomfort stetig erhöht. Maßgeblich mitverant-wortlich für diesen positiven Trend sind Fahrerassistenz-systeme, die Unfälle vermeiden helfen und das Fahren an-genehmer gestalten. Laut WeltgesundheitsorganisationWHO sterben aber noch immer weltweit über 1,2 Millio-nen Menschen pro Jahr im Straßenverkehr, Millionen wer-den bei Unfällen verletzt (Abb. 1). Hauptursache für Stra-ßenverkehrsunfälle ist menschliches Versagen. Studiensprechen von mehr als 90 % Teilverschulden durch denFahrer, in über 70 % ist der Mensch alleiniger Unfallverur-sacher (Abb. 2).

Um die Zahl der Unfälle weiter zu senken, ist es deshalbnotwendig, den Fahrer bei der Bewältigung der Fahrauf-gabe zu unterstützen. Die Vision lautet: unfallfreies Fah-ren. Der Weg dorthin beinhaltet den kontinuierlichen Aus-bau der fortschrittlichen Fahrerassistenz (engl. AdvancedDriver Assistance Systems ADAS).

Fahrerassistenzsysteme wirken auf allen drei Ebenen derFahraufgabe: der Stabilisierungsebene, der Bahnfüh-rungsebene und der Navigationsebene (Abb. 3). In derStabilisierungsebene kompensieren sie technische Defi-zite der Fahrmaschine Auto (ein Bremspedal, ein Gaspe-dal, ein Lenkrad, aber vier gebremste respektive zwei odervier angetriebene und gelenkte Räder), Fahrfehler odermangelnde Fähigkeiten und Fertigkeiten beim Fahrer. Bei-spiele hierfür sind Antiblockiersystem (ABS), Bremsassis-

tent (BA), Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESC). Inder Bahnführungsebene übernehmen sie Routineaufga-ben, warnen vor Gefahren oder assistieren bei deren Be-wältigung. Beispiele hierfür sind Abstandsregeltempomat(ACC) sowie fortschrittlicher Notbremsassistent (AEB). Inder Navigationsebene unterstützen sie bei der Routenpla-nung und Routenführung oder Bereitstellung wichtigerFahr- und Verkehrsinformationen. Beispiele hierfür sindNavigationssystem, navigationsgestütztes Antriebsma-nagement sowie telematische Dienste.

Die Fahrerassistenz bedient im Wesentlichen drei Wirkfel-der, in denen sie dem Fahrer bei der Bewältigung seinerFahraufgabe assistiert. Diese drei Wirkfelder sind: Fahrsi-cherheit (Sicherheits-Fahrersassistenz), Fahrkomfort(Komfort-Fahrersassistenz) sowie Fahreffizienz (Eco-Fah-rersassistenz). Ihrer Bezeichnung entsprechend führt einhoher Erfüllungsgrad in diesen drei Feldern im Allgemei-nen zu einem Sicherheitsgewinn sowie zu einem gestei-gerten Fahrerlebnis bzw. zu mehr Fahrfreude.

Bei fortschrittlichen Fahrerassistenzsystemen wie ACC,Kollisionswarnung, aktiver Notbremse oder Spurverlas-senswarnung fährt der Fahrer selbst, wird aber situations-spezifisch bei der Bewältigung der Fahraufgabe zusätz-lich durch Umfeldsensorik unterstützt. Die Schlüsseltech-nologien hierbei sind das bereits erwähnte ElektronischeStabilitätsprogramm ESC, bild- und strahlbasierte Senso-rik, wie z. B. Kameras, Lidar- und Radarsensoren (Abb. 4).

Fachvorträge26

Fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme

zur Unfall- und Verletzungsvermeidung

im Straßenverkehr

James Remfrey

Abb. 2: UnfallursachenQuelle: European Commission, Directorate General Information Societyand Media, Informal document No.: ITS-13-07 (13th session of ITS, 23 June2006, agenda item 3)

Abb. 1: Getötete im Straßenverkehr nach Regionen weltweitQuellen: Dräger Review 101, The Magazine for Safety Technology Novem-ber 2010, Road Traffic Deaths by WHO Region; Statistics World Health Or-ganization, IRTAD 2011 ANNUAL REPORT OECD/ITF 2012 – Traffic deathsper 100 000 population 1970–2010

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Fachvorträge 27

Die Bestrebungen des Gesetzgebers (Abb. 5), bestimmteAssistenzsysteme künftig als Serienausstattung vorzuse-hen, und die Tatsache, dass Sicherheits-ADAS Einzug indie Neufahrzeugbewertung von Verbraucherverbänden(u. a. Europäisches Neuwagen-Bewertungs-Programm;European New Car Assessment Programme, Euro NCAP)gefunden hat, beschleunigen die Entwicklung und Markt-durchdringung von ADAS. Die Herausforderung für dieHersteller besteht im Wesentlichen darin, Sensoren durchSensorfusion in ihrer Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Einedarauf gründende verbesserte Umfeldinterpretation trägtzur Steigerung der Assistenzsystemleistung und damit zurSteigerung der erforderlichen Rechenleistung der Steuer-geräte bei.

Mit der wachsenden Zahl elektronischer Systeme undFunktionen im Fahrzeug hat eine Veränderung der klassi-schen Fahraufgabe begonnen. Sie zu bewältigen ist in vie-lerlei Hinsicht einfacher, komfortabler und wesentlich si-cherer geworden. Gleichzeitig steigt die Bedeutung undKomplexität der Mensch-Maschine-Schnittstelle im Fahr-zeug. Waren früher die Stellglieder Gaspedal, Bremspedalund Lenkrad nicht nur Eingabeeinheit für den Bedienbe-fehl (Signalgeber), sondern gleichzeitig auch Energiege-ber (Umsetzung der vom Fahrer eingebrachten muskulä-ren Energie) und – gerade durch die energetische Kopp-lung – auch Rückmeldeeinrichtung für den Kontakt zurStraße und in dieser Hinsicht „transparent“, sprich ver-ständlich vom Fahrer interpretierbar, sind es heute viel-fach die elektronischen Regeleingriffe, die diese Transpa-renz beeinflussen. Auf keinen Fall dürfen Regeleingriffe indie Stellgrößen Bremsen, Beschleunigen, Lenken, welchedie Fahrzeugbewegung steuern, zu irritierenden Rückwir-kungen führen.

Aktuelle Sicherheitskonzepte integrieren aktive und passiveSicherheitssysteme, die durch Umfeldinformationen undSignalvernetzung, wie z. B. Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommu-nikation effektiver zusammenwirken (Abb. 6). Unfälle wer-den vermieden, Unfallfolgen und Verletzungsrisiken verrin-gert. Weitgehend standardisiert eingeführte technischeSysteme wie Sicherheitsgurt, ABS, Front-, Seiten- undKopfairbags, BA und ESC sorgen schon heute für ein stabi-les, schleuderfreies Fahren mit kurzen Bremswegen undbieten umfangreichen Insassenschutz. Auf dem Weg zum

automatisierten Fahren spielen diese fortschrittlichen Fah-rerassistenzsysteme eine wichtige Rolle, da neue Funktio-nen auf dem Vorhandensein dieser Systeme aufbauen.

Elektronikfortschritte bei Rechenleistung, Speichergröße,Sensorik und Aktuatorik werden die Möglichkeit bieten,die Herausforderung Unfall- und Verletzungsvermeidungim Straßenverkehr zu meistern. Elektronik kennt keineSchrecksekunde, sie ist immer hellwach.

Abb. 3: Die drei Ebenen der Fahraufgabe und Beispiele zugehörigerFahrerassistenzsystemeQuelle: Continental AG

Abb. 4: Fortschrittliche Fahrerassistenz – SchlüsseltechnologienQuelle: Continental AG

Abb. 6: Fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme – Von einfachen zukomplexen SzenarienQuelle: Continental AG

Abb. 5: Weltweite Gesetzliche Vorschriften – Aktive SicherheitssystemeQuelle: Continental AG, ABS=Antiblockiersystem; BA=Bremsassistent;

ESC=Electronic Stability Control; AEBS/LDWS=Advanced Emergency

Braking System/Lane Departure Warning System; ACEA=Association

des Constructeurs Européens d'Automobiles (EU); EC=European Com-

mission; NHTSA=National Highway Traffic Safety Administration (USA);

Contran=National Council of Transport (Brasilien); MLIT=Ministry of

Land, Infrastructure, Transport and Tourism (Japan); MLTM=Ministry of

Land, Transport and Marine Affairs (Südkorea)

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Fachvorträge

Jährlich werden am Institut für Rechtsmedizin in München ca.2.500 Leichen untersucht, bei 150 handelt es sich um Ver-kehrstote. Die Daten zu den tödlichen Verkehrsunfällen wer-den seit 2003 in einer Datenbank gesammelt. Seit 2013 wer-den zusätzlich, in einer Kooperation mit zwei Sachverständi-gen für Unfallanalyse, prospektive Daten von aktuellen Ver-kehrsunfällen erhoben. Bei dieser prospektiven Datenerhe-bung stehen sowohl die Untersuchungen noch an der Unfall-stelle als auch die anschließenden technischen Untersu-chungen im Vordergrund. Alle erhobenen Unfalldaten wer-den in die Sicherheits-Unfall-Datenbank eingetragen.

In der Datenbank werden pro Unfallbeteiligtem 309 Da-tenfelder erfasst. Diese Datenfelder teilen sich in sechsHauptgruppen auf: Basisdaten, erweiterte Basisdaten,Fahrzeugdaten, medizinische Daten, Bereifungsdatenund Daten zum technischen Zustand des Fahrzeugs (Man-geldaten). Außerdem werden pro Fall noch Fotos, Fallbe-schreibungen, Simulationen sowie Fehlerspeicherproto-kolle gespeichert.

Zur Auswertung und Effizienzabschätzung von Fahrerassis-tenzsystemen werden mehrere Datenfelder, wie z. B. Unfall-typ, Straßenverhältnisse, Lichtverhältnisse, Unfallursache,Vermeidbarkeitsbetrachtung, spezifische Felder zu Fahrer -assistenzsystemen etc., genutzt. Es wird in drei Stufen er-mittelt, ob der Unfall durch Fahrerassistenzsysteme ver-meidbar oder dessen Verlauf beeinflussbar gewesen wäre.Betrachtet werden 36 Assistenzsysteme, aus einer festge-legten Liste, welche sich in folgende Untergruppen einteilenlassen: Eingreifende Systeme, Dynamikbeeinflussende Sys-teme, lichttechnische und warnende Systeme, Reifenkon-trolle und Bremssysteme, Präventive Systeme und Restli-

che. Die wichtigsten unfallvermeidenden Systeme sind:Adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, Automatische Not-bremse, Elektronisches Stabilitätsprogramm, Spurhalte-Assistent, Spurwechsel-Assistent und Traktionskontrolle.

In der Auswertung wurden 137 Verkehrsunfälle mit Pkw-Beteiligung betrachtet. 106 Unfälle davon waren außer-orts, zudem hätten sich davon rund 65 durch Fahrerassis-tenzsysteme vermeiden lassen. Insgesamt hätten 62 %des untersuchten Fallmaterials mit perfekt funktionieren-den Systemen verhindert werden können.

87 % aller tödlichen Pkw-Kollisionen aus dem betrachte-ten Fallmaterial (n=137) sind auf menschliches Fehlverhal-ten zurückzuführen. Daraus resultiert ein hohes Unfallver-meidungspotenzial von Assistenzsystemen (Vermeidungmenschlicher Fehler/Fahrfehler). Beispiele für menschli-che Fehler sind: Unaufmerksamkeit/Ablenkung, Einschla-fen und Fehleinschätzung der Fahrdynamik oder Sicht.

Es wurden Assistenzsysteme untersucht, welche das je-weilige Unfallgeschehen hätten verhindern können. Dafürwurden subjektive Beurteilungen der einzelnen Fälle undEinschätzungen, welches Fahrerassistenzsystem den je-weiligen individuellen Verkehrsunfall hätte verhindernkönnen, vorgenommen. Die drei wichtigsten unfallverhin-dernden Assistenzsysteme im Fallmaterial (n=137) warendie automatische Notbremse (34-mal), der Spurhalte-As-sistent (25-mal) und das elektronische Stabilitätspro-gramm (11-mal). Im Folgenden werden diese Systeme kurzbeschrieben.

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Reale Unfälle – Effizienzabschätzung

von Fahrerassistenzsystemen

Michael Rasch

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Fachvorträge 29

Automatische Notbremse:

Aufgabe: Kollisionsvermeidung und/oder Verringerungder Folgen einer Kollision durch automatische Abbrem-sung des Fahrzeugs.

Auswertung:Wenn eine Vermeidbarkeit durch den Fahrer(Ablenkung, Sekundenschlaf etc.) gegeben gewesen wä-re, hätte dieses System gewirkt. Potenzial hauptsächlichbei niedrigeren Geschwindigkeiten bei Einbiege-/Kreu-zungsunfällen.

Spurhalte-Assistent:

Aufgabe:Verhinderung von Verkehrsunfällen, die durch un-beabsichtigtes Verlassen der Fahrspur entstehen können.

Auswertung: Informationen zu Fahrbahnmarkierungenund deren Sichtbarkeit sowie der Überschreitungswinkelder Fahrbahnmarkierung werden aufgenommen und fürdie Wirksamkeit des Systems mitbetrachtet. Potenzialdes Systems liegt hauptsächlich bei Fahrunfällen und Un-fällen im Längsverkehr.

Elektronisches Stabilitätsprogramm:

Aufgabe: Stabilisierung des Fahrzeugs in fahrdynamischkritischen Situationen.

Auswertung: Dieses System hat sein Vermeidungspoten-zial fast ausschließlich bei Unfällen mit dem Unfalltyp 1(Fahrunfall), da diesem ein Verlust der Kontrolle über dasFahrzeug vorausgeht.

Fazit:

Fahrerassistenzsysteme können dem Fahrer etliche Aufga-ben abnehmen und tragen maßgeblich zur Sicherheit bei.Problematisch kann ein eintretender Gewöhnungseffekt ansolche Systeme sein. Bei Systemausfall oder bei einer Fahrtmit einem Pkw ohne Assistenzsysteme kann der Fahrer,welcher an die Assistenzsysteme gewöhnt ist, eventuellnicht mehr korrekt reagieren (Bsp. „Parkpiepser“).

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Fachvorträge

1 Ausgangslage

Das Ende der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts initiierte PRO-METHEUS-Projekt (vgl. den Überblick von Braess & Rei-chart, 1995) stellte nicht nur den Startschuss zu weitrei-chenden Automatisierungsbestrebungen im Bereich derFahrzeugführung dar, sondern hatte auch den Anspruch,noch bestehende Schwachstellen im Verkehr zu beseitigenund ihn mit größtmöglicher Sicherheit, Wirtschaftlichkeitund Effizienz zu gestalten. Heute stehen Fahrerassistenz-und Fahrerinformationssysteme (FAS/FIS) – oder allgemei-ner formuliert – fahrzeugtechnische Hilfen dem Autofahrergrundsätzlich auf allen Ebenen der Fahrzeugführung zurVerfügung. Die verfügbare und genannte Bandbreite ist da-bei groß: Sie reicht u. a. von Anti-Blockier- und Fahrstabili-tätsregelungen über Navigationssysteme, Systemen zur Un-terstützung der Längs- und Querführung (z. B. Adaptive Ab-stands- und Geschwindigkeitsregelung), Kreuzungsassis-tenten bis hin zu Konzepten eines autonomen oder vollauto-matisierten Fahrens (Abb. 1). Neben der offensichtlichen be-grifflichen Unschärfe und der unreflektierten Verwendungdes Begriffs „Assistenzsystem“ fällt auf, dass die vorgestell-te Evolution der Übernahme menschlicher Aufgaben hin zueinem technischen System mitunter geradezu euphorischbegrüßt und als selbstverständlich umzusetzende Aufgabegilt. Nicht zuletzt deshalb, weil mit dem rasanten Fortschrittder Mikroelektronik in absehbarer Zukunft die Einführung

von Systemen ermöglicht wird, die bis vor wenigen Jahrennoch als Zukunftsvisionen galten. Deren Entwicklung undMachbarkeit basieren vor allem auf rapide zunehmendenProzessorleistungen, hoher Speicherkapazität, Zuverlässig-keit der Bauteile, hohen Integrationsgraden sowie nicht zu-letzt auf einer günstigen Entwicklung der Kosten. Begleitetwurde diese Entwicklung im Bereich der Informationsverar-beitung durch gleichfalls rapide Fortschritte im Bereich derSensorik.

Wie erwähnt, besteht der Nutzen dieser Systeme nicht nurin ihrer größeren Leistungsfähigkeit, sondern vor allem auchin einer erhöhten aktiven Sicherheit, indem sie – Defizite bei der Aufnahme und Verarbeitung der relevan-

ten Fahrerinformationen beseitigen, – Fehlhandlungen des Fahrers vermeiden helfen, – die Folgen von dennoch auftretenden Fahrfehlern mil-

dern und – die Beanspruchung des Fahrers durch Über- oder Unter-

forderung abbauen.

Rompe (2014) gibt einen Überblick zum Unfallvermeidungs-potenzial heutiger Assistenzsysteme. Am Beispiel des Nut-zens für Senioren wird deutlich: Nicht alle Systeme werdengleichermaßen positiv auf die Verkehrssicherheit wirkenkönnen, es hängt stark davon ab, ob tatsächlich Sicherheits-eigenschaften oder lediglich Komfortaspekte im Vorder-grund stehen und welche Unfallarten adressiert werden.Demnach besitzen v. a. zwei Systemtypen das größte Poten-zial: Notbremssysteme, die bei rund 30–40 % aller Unfällehilfreich wirken könnten, sowie der Kreuzungsassistent beica. 27 % aller Unfälle. Intelligente Lichtsysteme und Nacht-sichtassistent, die häufig als besonders sicherheitsrelevantpropagiert werden (siehe dazu auch die kritische Studie vonGründl, 2005), Querführungsassistenten und ACC (AdaptiveCruise Control) liegen dagegen z. T. im niedrigen einstelli-gen Bereich.

Grenzen und Risiken, die mit der Einführung solcher Syste-me verbunden sind, werden dagegen eher selten themati-siert und gerade in den letzten Jahren scheint die Anzahlsystematischer Untersuchungen abgenommen zu haben,die auf empirisch gestützter Basis die Frage nach dem opti-malen Automatisierungsgrad beantworten könnten. Der fol-gende Beitrag versucht daher, neben ihren unbestritten po-sitiven Aspekten auch einen Überblick zu möglichen Proble-men der Automatisierung oder sogar negativen Auswirkun-

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Fahrerassistenzsysteme (FAS) und

Automatisierung im Fahrzeug –

wird daraus eine Erfolgsgeschichte?

Wolfgang Fastenmeier

Abb. 1: „Roadmap“ für Fahrerassistenzsysteme und „autonomes“Fahren (zusammengestellt nach Herstellerangaben, engli-sche Begrifflichkeit übersetzt)

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Fachvorträge 31

gen von Fahrerassistenzsystemen auf die Verkehrssicher-heit zu geben.

2 Begrifflichkeit

Assistenz und Automatisierung

Folgt man deutschem Sprachgebrauch, dann bedeutet „as-sistieren“ „jemanden nach dessen Anweisungen an dieHand gehen“ (Duden). Reichart und Haller (1995, S. 205)erweitern diese Definition und formulieren: „Ziel einer Fah-rerassistenz ist es, den Fahrer nach dessen Regeln und Er-wartungen in der Erfüllung seiner Fahraufgaben zu unter-stützen, ohne ihn zusätzlich zu belasten oder in seiner Ent-scheidungsfreiheit einzuschränken.“ Fahrerassistenzsyste-me in diesem Sinne müssen, um diesem Anspruch gerechtzu werden, an die Aufgaben des Menschen als Fahrer imStraßenverkehr, kurz: an die Fahraufgabe anknüpfen. Diesewird nicht auf der Ebene des Gesamtsystems „Verkehr“,sondern im Rahmen des Konzepts „Mensch-Maschine-Sys-tem“ (MMS) als Einheit „Fahrer-Fahrzeug-Straße“ analy-siert. Hierbei wird häufig auf das hierarchische 3-Ebenen-Modell des Führens von Kraftfahrzeugen zurückgegriffen(vgl. z. B. Allen, Lunenfeld & Alexander, 1971; Gstalter,1988). Diesem Modell zufolge bilden Navigation, Bahnfüh-rung und Stabilisierung in hierarchischer Stufenleiter dietypischen Anforderungsformen der Fahraufgabe. FAS las-sen sich dementsprechend danach unterscheiden, auf wel-cher Aufgabenebene bzw. bezüglich welcher Anforderungs-form sie Hilfen und Unterstützung für die Bewältigung derFahraufgabe liefern. So unterstützen z. B. Navigationssys-teme bei der Bewältigung der Navigationsaufgabe, indemsie situations- und zeitgerechte Informationen für die Rou-tenplanung, für die Umsetzung der geplanten Route und fürevtl. bei Staus etc. notwendig werdende Änderungen derRoute liefern. Andere Fahrerassistenzsysteme sind auf dieAufgabe der Bahnführung bezogen; so unterstützt z. B. ACCden Fahrer dabei, die Fahrgeschwindigkeit in Abhängigkeitvon Straßenverlauf und Abstand zu vorausbefindlichenFahrzeugen oder Hindernissen zu regeln. Spurhaltesyste-me und Fahrdynamiksysteme (wie ESP) schließlich dienender Bewältigung der Aufgabe der Stabilisierung, indem siedas Fahrzeug in der Spur halten oder das Schleudern desFahrzeugs verhindern (Tabelle 1). Demnach erfüllen insbe-sondere die auf die Manöver- bzw. Bahnführungsebene be-zogenen Systeme das Kriterium der Assistenz. Die der ba-salen Stabilisierungsebene zugeordneten Systeme, die oh-ne Zutun des Fahrers arbeiten und von ihm nicht beein-flussbar sind, sollten demnach nicht als Fahrerassistenz-systeme bezeichnet werden, sondern als aktive fahrdyna-mische Sicherheitssysteme.

Damit wird auch klar: Neue Techniken im Fahrzeug verän-dern nicht nur die Aufgabenteilung zwischen Fahrer undFahrzeug, sondern auch die Aufgaben des Fahrers, sie än-dern dadurch die mentalen und psychomotorischen Leis-tungen, mit denen der Fahrer die Fahraufgaben bewältigt –modifizieren also die Anforderungen an das Verhalten –und können damit auch die Belastungen, denen er ausge-setzt ist und die eventuell daraus resultierende Beanspru-chung beeinflussen. Generell können die neuen Aufgaben-

stellungen leichter oder schwieriger ausfallen als die ver-gleichbaren Anforderungen bei konventionellen Lösungen;es kann also eine Entlastung oder eine Zusatzbelastungentstehen. Weder das eine noch das andere ist prinzipiellrichtig oder falsch; wichtig ist vielmehr, dass es weder zuUnterforderungen noch zu Überforderungen kommt.

Eine weitere Strukturierungshilfe zur Begriffsbestimmungist die sog. „Interventionstiefe“ (vgl. Marberger, 2007), alsodie Frage, welche Form der Information/Assistenz gewähltwird und wie stark automatisiert der Eingriff des Systemsist. Gerne werden hierzu Taxonomien zu Automationsstu-fen („Levels of Automation“) herangezogen, wie sie ur-sprünglich im Rahmen der Automatisierung in Großindus-trieanlagen (z. B. Leitwarten in Chemie- und Atomkraftwer-ken) sowie der Luftfahrt entwickelt worden sind. Eine derbekanntesten Taxonomien ist die von Sheridan (2002), der10 Stufen vorschlägt, wobei die niedrigste Stufe 1 einer voll-ständigen manuellen Kontrolle entspricht, die höchste Stu-fe 10 der Vollautomation ohne Eingriffsmöglichkeit desMenschen. In Stufe 5 führt das System eine Handlung aus,wenn sie vom Fahrer bestätigt wird. In dieser Einteilungbleibt allerdings unklar, wo die Grenze von Assistenz zu Au-tomatisierung zu ziehen ist. Deshalb wird in Anlehnung anFastenmeier, Stadler & Lerner (1995) sowie Marberger(2007) folgende Unterscheidung getroffen:

– Informierende Systeme: System-Output ist Information(z. B. Abstandsanzeige).

– Warnende Systeme: System-Output ist bewertete Infor-mation (z. B. Warnung bei Unterschreitung als kritisch definierter Abstände).

– Assistierende Systeme: System-Output ist ausgeführte,bewertete Information (z. B. Soll-Abstand und Ge-schwindigkeit werden vom System geregelt).

– Teilautonome Systeme: Unvollständige Funktionsüber-nahme durch das System, allerdings ist auch hier dieGrenze zur Assistenz unscharf.

– Vollautonome Systeme: System-Output ist vollständigausgeführte, bewertete Information ohne Fahreraktion.

Fahrauf- Systemkategorie Zweckgabenebene

Navigation Telematiksysteme, Fahrtroute planen und z. B. Navigations- durchführen, situations-systeme und zeitgerechte Infor-

mationen bereitstellen

Bahnführung Fahrerassistenz- Entlastung bei Längs-systeme, z. B. ACC führungsaufgabe durch (Adaptive Cruise Abstandsregelung zuControl) vorausfahrenden Fz

Stabilisierung Spurassistent, Fahr- Fz in der Spur halten, dynamiksysteme, Schleudern des Fz durchz. B. ESP/DSC Stabilisierungseingriff

verhindern

Tab. 1: Zuordnung unterstützte Fahraufgabenebene und FAS

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Fachvorträge

Wie Abb. 2 deutlich macht, greift ein FAS in den konventio-nellen Regelkreis Fahrer-Fahrzeug-Situation ein, in dem esInformation aus Fahrumgebung und Fahrzeug erfasst, dieFahrsituation bewertet, das Sollverhalten des Fahrzeugsbestimmt und einen Vergleich mit den vom Fahrer eingelei-teten Fahrmanövern durchführt. Das FAS ist demnach einzusätzlicher Bestandteil des Regelkreises, der Fahrer bleibtin diesem Regelkreis aktiv („in-the-loop“), indem er z. B.das Gaspedal aktiv bedient, seine Wunschgeschwindigkeiteinstellt und lenkt. Ein automatisch agierendes und inter-venierendes System führt demgegenüber zu einer drasti-schen Veränderung des Regelkreises: Da das System allesautomatisch macht, den Fahrer „ignoriert“, fällt der Fahreraus dem Regelkreis heraus („out-of-the-loop“).

Ist Technik zuverlässiger als der Mensch?

Das Führen eines Fahrzeuges ist eine komplexe Aufgabe.Angesichts der großen Anzahl von Unfällen im Straßenver-kehr könnte man leicht dazu verleitet werden, den Fahrerals „die Unfallursache“ bzw. als „das schwächste Glied“des Mensch-Maschine-Systems in das Zentrum der Überle-gungen zur Erhöhung der aktiven Sicherheit zu stellen. Undes scheint überall Allgemeingut zu sein, dass die Unfallur-sache „menschliches Versagen“ weit schwerer wiegt alsdie Unfallursache „technisches Versagen“. Insoweit schei-nen Bestrebungen zur Automatisierung des Autofahrensauf den ersten Blick sehr naheliegend, da technische Syste-me hinsichtlich Sicherheit und Effizienz in der Regel Vortei-le gegenüber dem durchschnittlichen Fahrer zu besitzenscheinen. Um also Unzulänglichkeiten oder gar Fehler desFahrers zu vermeiden, so wird häufig gefolgert, müsse mannur den Fahrer durch entsprechende technische Systeme„ersetzen“ – der Grundgedanke aller Automatisierungsbe-strebungen.

Hier zeigt sich zunächst ein erschreckender Mangel an sys-temischer Denkweise, denn die Bemühungen setzen ja le-diglich an einem Systemelement an (der Technik), und ver-suchen, durch Veränderungen an diesem isolierten Teilsys-

tem das Fahrverhalten zu verbessern, ohne Rückwirkungenauf die anderen Systemelemente zu bedenken. Ob zudemeine veränderte Aufgabenteilung zwischen Fahrer undFahrzeug quasi „automatisch“ das Sicherheitsproblem imStraßenverkehr löst bzw. eine sinnvolle Maßnahme zur Er-höhung der aktiven Sicherheit darstellt, erscheint mehr alszweifelhaft. Denn zum einen ist die Handlungszuverlässig-keit des Fahrers im Straßenverkehr weit höher anzusiedeln,als es der oben angeführte Vergleich zwischen den Unfall-ursachen „menschliches Versagen“ und „technisches Ver-sagen“ nahelegt. Statistisch gesehen ist nämlich der Unfallein seltenes Ereignis: Ein Fahrer hat im Durchschnitt alle150.000 km einen Bagatellunfall und alle 90 Millionen kmeinen Unfall mit einem tödlich Verletzten. Berücksichtigtman weiter, dass pro gefahrenem Kilometer durchschnitt-lich 125 Beobachtungen gemacht und 12 Entscheidungengetroffen werden, dann ergibt sich aus diesen Zahlen, dasses nach ca. 10 Mrd. Beobachtungen und 1 Mrd. Entschei-dungen zu einer Fehlentscheidung kommt, die zu einemtödlichen Unfall führt (vgl. Huss, 1999). Diese Berechnungbezieht sich allerdings auch wieder lediglich auf das Sys-temelement „Fahrer“ und vernachlässigt das Gesamtsys-tem, das als fehlertolerantes System bezeichnet werdenkann: Auch andere Fahrer, die Fehler anderer Fahrer kom-pensieren, ein guter Ausbauzustand der Verkehrswege, gu-te passive und aktive Sicherheitstechnik im Fahrzeug tra-gen insgesamt dazu bei, die Handlungszuverlässigkeit desFahrers zu erhöhen. Dennoch sollte aus dem Rechenbei-spiel klar geworden sein: Es bedürfte eines erheblichenAufwands, um die Zuverlässigkeitswerte des Fahrers imStraßenverkehr mit technischen Komponenten zu übertref-fen.

Bei der Entwicklung und Erprobung von Fahrerassistenz-und Fahrerinformationssystemen hat sich daher mit Rechtdie Auffassung durchgesetzt, dass der Fahrer als entschei-dende Komponente im System Fahrer-Fahrzeug-Straße an-zusehen ist. D. h., im Zentrum aller Maßnahmen zur Erhö-hung der aktiven Sicherheit steht der Fahrer, der sich alsvergleichbar zuverlässiges Glied in diesem System erwie-sen hat. Dabei wird gar nicht geleugnet, dass trotz dieserrelativen Zuverlässigkeit des Fahrers Fehler bzw. ein Fehl-verhalten aufgrund von Mängeln bei der Informationsauf-nahme, bei der Informationsverarbeitung oder bei der In-formationsumsetzung auftreten können. Genau an diesemPunkt setzt ja gerade die Entwicklung von Fahrerassistenz-systemen an.

3 Problembereiche beim Einsatz von elektro-nischen Hilfen und Fahrerassistenzsystemen

Wenn es nun um Neuerungen insbesondere in der Fahr-zeugtechnik geht, stellt sich fast immer die entscheidendeFrage: Wie geht der Mensch mit der neuen Technik um undwie beeinflusst die Technik das Verhalten des Menschen,speziell das Fahrverhalten. Neben der Frage nach der tech-nischen Systemzuverlässigkeit sind hier zwei Kriterien zurBewertung von FAS angesprochen: Auswirkungen auf dieVerkehrssicherheit und die Qualität der Mensch-Maschi-ne-Interaktion (wie effizient, effektiv und zufriedenstel-lend ist die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstel-

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Abb. 2: Regelkreis der Fahrzeugkontrolle mit undohne Assistenzsystem

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le?). In Flugzeugführung und Großindustrieanlagen besitztdie Automatisierung im Vergleich zum Automobil einenschon beinahe jahrzehntelangen „Vorsprung“. Insbeson-dere in der Luftfahrt erhöht die Automatisierung die ge-samte Systemzuverlässigkeit und entlastet die Piloten. Ei-ne Reihe schwerer Zwischenfälle, die ausführlich analy-siert wurden, zeigte aber auch: Die Komplexität der Auto-matisierung wird von den Piloten selbst nach beträchtli-cher Erfahrung nicht immer verstanden (z. B. Billings,1997). Leider liegen im Automobilbereich nur wenige Ar-beiten zu Folgen der Automatisierung vor. Nachfolgendsoll daher überblicksartig auf eine Reihe wichtiger Pro-blembereiche eingegangen werden, die bei der Einführungvon Assistenzsystemen berücksichtigt werden müssen.

Ironien der Automation

Eine in diesem Kontext berühmte Arbeit ist die von Bain-bridge (1983) mit den von ihr beschriebenen „Ironien derAutomation“. Sie verweist zunächst auf das Design einesvorliegenden Gesamtsystems und stellt fest: Designfehlerunterschiedlicher Art sind häufig Ausgangspunkt undHauptquelle von Handlungs- und Bedienfehlern derjeni-gen, die in einem solchen System die Ausführenden sind.Da der Fahrer, Pilot etc. derjenige ist, der in diesem Systemaktiv agiert, ist es auch nicht angängig, ein Systemversa-gen allein dem Teilsystem Mensch anzulasten. Weiter be-lässt Automation häufig die Aufgaben, die nicht automati-siert werden können, beim Menschen, nimmt ihm u. U.„leichte“ Aufgabenelemente weg, belässt ihm die „schwe-ren“ Teilaufgaben und macht damit die Gesamtaufgabeschwerer. Eine der denkbar schlechtesten Strategien ist esauch, Regelungsaufgaben zu automatisieren, denn dabeiverbleiben dem Menschen im Wesentlichen zwei Aufga-ben: Überwachung und Übernahme. Dazu bedarf es so-wohl manueller Fertigkeiten als auch kognitiver Fähigkei-ten. Das kann kein erwünschter Aspekt menschlicher Leis-tung sein, denn die dazu notwendige Vigilanz/Dauerauf-merksamkeit ist keine Stärke menschlicher Informations-verarbeitung. Angesichts dessen erscheint es nahezu un-möglich, im Sinne der Systemtransparenz ständig überden aktuellen Systemzustand mit beträchtlicher Komplexi-tät informiert zu sein und bei Bedarf, also unter abnorma-len und zeitkritischen Bedingungen, entsprechende Aktio-nen ausführen zu können. So werden (meist in Fahrsimula-torstudien) zunehmende Übernahmezeiten mit steigen-den Automatisierungsgraden berichtet (Ruttke, 2013; Voll-rath, 2014). Dazu kommt: Wenn der menschliche „Opera-tor“ nicht in den Regelkreis eingebunden ist, wird er keinausreichendes Wissen über den aktuellen Systemzustandhaben können. Auch die „Enttrivialisierung“ des Fehlerskann resultieren: Aus einem an sich harmlosen Fehler er-wächst aus mangelnder Einsicht in das System u. U. ein ka-tastrophaler Fehler.

Akzeptanz

Entscheidend für die Verbreitung neuer Assistenzsystemeist die Akzeptanz durch den Fahrer. Dieser muss davonüberzeugt sein, dass solche Systeme einen Beitrag zur Er-höhung seiner Sicherheit (und auch seines Komforts) dar-

stellen. Dabei gilt grundsätzlich: Wenn eine Person eineAufgabe in die Verantwortung einer anderen Person oderMaschine übergibt und dadurch den Grad der Selbstbe-stimmung reduziert, erwartet sie, dass sie sich dadurch ei-nem deutlich geringeren Risiko aussetzt. Bezogen auf Fah-rerassistenzsysteme, die wie z. B. ACC in bestimmten Ver-kehrssituationen Fahraufgaben teilautomatisch durchfüh-ren, heißt das also: solche Systeme müssen durchgehendfehlerfrei und zuverlässig arbeiten. Handelt es sich um in-formationsdarbietende Systeme (z. B. Navigationssyste-me, Abbiegeassistent), dann dürfen diese keine Fehlinfor-mationen liefern und die Informationen müssen den sub-jektiven Erfahrungen und Erwartungen des Fahrers ent-sprechen. Zudem erscheint die Akzeptanz durch die Fahrerumso geringer, je mehr die Systeme das Fahrverhalten ver-ändern (Fastenmeier, Stadler & Lerner, 1995; Vollrath,2014). Die Akzeptanz beschränkt sich aber nicht auf denBereich der technischen Zuverlässigkeit der Systeme.Auch soziale und emotionale Aspekte spielen hier einenicht zu unterschätzende Rolle (vgl. Arndt, 2011). Das Fahr-zeug hat oft die Rolle eines Statussymbols und mit demFühren eines Fahrzeugs werden häufig Emotionen wieSpaß am Fahren oder das Fahren als Herausforderung ver-bunden.

Reaktanz

Mit dem sozialpsychologischen Konzept der Reaktanz wer-den negative Affekte und Verhaltensweisen beschrieben,die darauf abzielen, eine erlebte Freiheitseinschränkungrückgängig zu machen. Die Entstehung von Reaktanzscheint ein grundlegendes Verhaltensprinzip zu sein, dasdem Erhalt der Kontrolle und damit der psychischen Ge-sundheit dient. Assistenzsysteme können z. B. dann Reak-tanzen auslösen, wenn sie eine gewohnte Verhaltensweiseeinschränken oder ein bestimmtes Verhaltensergebnis er-zwingen. Ein typisches Beispiel ist hierfür ISA (IntelligentSpeed Adaptation): ISA-Systeme, die lediglich Geschwin-digkeitsempfehlungen einspeisen, führen zu positiver Ak-zeptanz, geringerer Geschwindigkeitsvarianz und bessererBefolgung von Verkehrsregeln. Umgekehrt könnte eine alserzwungen erlebte Nutzung von ISA-Systemen (die also di-rekt und ohne Zutun des Fahrers die Motorleistung ent-sprechend der gerade zulässigen Geschwindigkeit dros-seln) zu Widerständen führen, die sich in Frustration undeiner erhöhten Aggressions- und Risikobereitschaft nie-derschlagen (vgl. Saad et al., 2004). Besonders anfällig fürReaktanz dürften dabei Fahrer sein, für die das Autofahrenmehr als eine effektive Art ist, vom Ausgangspunkt A zumZielort B zu kommen, weil ihnen diese Transportart z. B.Fahrfreude vermittelt. Das gilt aber auch für Personen, dieaus beruflichen oder organisatorischen Gründen unterZeitdruck stehen.

Reaktive Verhaltensanpassungen

Die sicherheitstechnische Optimierung der Fahrzeugeführt nicht automatisch zu höherer Verkehrssicherheit: einZuwachs an technischer Sicherheit durch elektronischeHilfen und Assistenzsysteme wird vom Fahrer möglicher-weise durch riskantere Fahrweise wieder aufgezehrt. Dies

Fachvorträge 33

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Fachvorträge34

könnte sich z. B. in der Wahl kürzerer Zeitlücken manifes-tieren. Aus Feldstudien liegen Hinweise zu Effekten vonACC vor (Chaloupka et al., 1998; Fastenmeier, Stadler &Lerner, 1995, Vollrath, 2014): So bleibt einerseits wie er-wünscht ein entlastender Effekt für den Fahrer bei derLängsführung (v. a. Komfortaspekt) zu konstatieren, Ge-schwindigkeiten werden homogener, das Abstandsverhal-ten verbessert sich, Fehler und Konflikte bei der Längsfüh-rung nehmen ab. Andererseits gehen offenbar die homo-generen Geschwindigkeiten zulasten von Situationen, indenen langsamer gefahren werden sollte, die Vorsicht undRücksicht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nimmtab, das Situationsbewusstsein wird geringer. Ähnlicheszeigt sich bei Kolonnenfahrten mit automatischer Kopp-lung: positiver Effekt in diesem Modus, aber bei nachfol-gender manueller Fahrt, also in Situationen, in denen ACCnicht wirkte, wurde mit stark verkürzten, sicherheitskriti-schen Zeitlücken gefahren (Wille, Eick & Debus, 2004, zit.nach Vollrath & Krems, 2011). In einer Fahrsimulatorstudiefanden Vollrath, Schleicher & Gelau (2011), dass Fahrer imNebel mit ACC etwa 10 km/h schneller fuhren als ohne Sys-tem und dass es in kritischen Situationen zu verlangsam-ten Reaktionen kam. Dies könnte sowohl auf ein Aufmerk-samkeitsproblem hindeuten als auch darauf, dass die Fah-rer die Verantwortung an das technische System delegie-ren. Insgesamt existiert hier aber nach wie vor ein erhebli-cher Untersuchungsbedarf.

Ablenkungseffekte

Visuelle Informationen sind für den Fahrer unbestreitbarwichtig und eine zentrale Anforderung an den Fahrer. Infor-mationsdarbietende Systeme wie z. B. Navigationssyste-me erscheinen deshalb mitunter problematisch: Der not-wendige Blick auf ein Display sowie ggf. zusätzlich akus-tisch dargebotene Informationen können aufgrund von Ab-lenkungseffekten zu einer Beeinträchtigung bei der Be-wältigung der Bahnführungs- und Stabilisierungsaufgabe,also zu erhöhter mentaler Beanspruchung und letztlich –wenn ”resource-limited conditions“ (sensu Norman & Bo-brow, 1975) entstehen, zu Fahrfehlern führen. Verschiede-ne systematische Erfahrungen zeigen auch: Personen, diemit einem adaptiven Tempomaten oder mit einem Assis-tenzsystem zur Spurhaltung fahren, sind offenbar viel-mehr versucht, im Auto zu telefonieren und anderen Tätig-keiten nachzugehen. Entsprechend richtet sich die Auf-merksamkeit eher auf diese anderen Tätigkeiten als aufden Verkehr. Das ist gefährlich, denn es wird umso schwie-riger, die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße zurückzu-führen (Wandke, 2014). Gstalter, Galsterer & Fastenmeier(1995) konnten nachweisen, dass die Nutzung der opti-schen Information von Navigationssystemen gerade inkomplexen Situationen wie Kreuzungen häufig zu Fahrfeh-lern wie Rotlichtmissachtung, Abbiegen trotz Verbots oderGefährdung nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer führenkann. Insgesamt scheint die Veränderung des Aufmerk-samkeitsfokus und des Situationsbewusstseins für assis-tiertes und teilautonomes Fahren zum Teil bereits nachge-wiesen zu sein: so fallen bei Kollisionswarnung uner-wünschte Augenbewegungen von der Straße zur Anzeigean (Ruttke, 2013).

Ergonomische Gestaltung

Das Ablenkungsproblem macht deutlich, dass für die Ent-wicklung von elektronischen Hilfen und Assistenzsyste-men einer psychologisch günstigen Gestaltung codierterInformationen eine besonders große Bedeutung zu-kommt. Dabei geht es darum,– Informationen eindeutig und klar verständlich anzubiet-

en;– die Informationen entsprechend der Fahrebenen bzw.

-aufgaben zu hierarchisieren; – ein entsprechendes Informationsmanagement zu

installieren,– sicherheitsfördernde Informationen redundant zu

liefern;– die Art der Information nach Modalität (optisch/akust-

isch) und nach ihrer Menge sorgfältig auszuwählen.

Eine optimale Funktionsweise basiert also hauptsächlichauf folgenden Kriterien: Die dargebotenen Informationenmüssen zeitgerecht, relevant, situationsspezifisch, adä-quat und klar verständlich sein; und nicht zuletzt: sie müs-sen auch vom Fahrer akzeptiert werden.

„Over-reliance“

Ein Mensch, der innerhalb eines Mensch-Maschine-Sys-tems eine Aufgabe zu lösen hat, darf sich nie „blind“ aufdie Empfehlungen eines technischen Teilsystems verlas-sen und seine Verantwortung an dieses System delegieren(Brookhuis, DeWaard & Janssen, 2001; Östlund et al.,2004). Vollrath (2014) stellt Hinweise auf geringeres Situa-tionsbewusstsein fest; belegt ist auch das Auftreten von„Kommandoeffekten“, d. h. das unmittelbare Ausführenoder Einleiten von Fahrmanövern aufgrund von System-empfehlungen ohne notwendiges Sichern (Gstalter, Gal-sterer & Fastenmeier, 1995).

Systemmissbrauch

Hierunter wird meist ein vom Hersteller nicht vorgesehe-ner Gebrauch, oft auch über Auslegungsgrenzen hinaus,eines Systems verstanden. Der Fahrer steigert damit densubjektiven Nutzen eines FAS und nimmt bewusst Sicher-heitsrisiken in Kauf (vgl. Marberger, 2007). Ein typischesBeispiel ist die Nutzung eines ACC-Systems bei Nebel oderschlechten Sicht- und Wetterverhältnissen, um schnellerund mit geringeren Abständen fahren zu können. Aberauch die Nutzung eines Spurassistenten, um die Aufmerk-samkeit auf andere Tätigkeiten während der Fahrt richtenzu können, würde unter diese Rubrik fallen.

Fahrergruppenspezifische Bedürfnisse

Fahrerassistenzsysteme müssen, sollen sie ihrem An-spruch zu assistieren gerecht werden, in der Lage sein,sich an die spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicherFahrergruppen anzupassen. Solche fahrergruppenspezifi-sche Bedürfnisse differenzieren sich einerseits nach indivi-duellen Faktoren wie Alter, Fahrerfahrung und Wahrneh-mungsstilen (vgl. u. a. die differenzierte Darstellung des

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Nutzens altersbezogener FAS von Rompe, 2012). Anderer-seits verdanken sie sich auch fahrtspezifischen Faktorenwie z. B. dem Fahrtzweck (z. B. Fahrt zur Arbeit oder in denUrlaub), oder auch dem Zeitdruck und der Tagesbefindlich-keit. Fahrerassistenzsysteme sollten also langfristig in derLage sein, interaktiv auf die unterschiedlichen gruppen-spezifischen Fahrerbedürfnisse einzugehen, d. h. die je-weiligen Antizipationen, Entscheidungen und Risikowahr-nehmungen der Fahrer zu berücksichtigen, für die ein kon-kreter Nutzen in der täglichen Erfüllung der Fahraufgabenachzuweisen ist und die harmonisch in die vorhandenenhochroutinisierten Verhaltensmuster des Fahrers inte-griert sind.

Fertigkeitsverluste/“Deskilling“

Dieser Sachverhalt verweist zum einen auf die Ironien derAutomation (siehe Systemübernahme), kann aber auchauf schlichten Übungsverlust beispielsweise in der Navi-gation angewandt werden: Verkümmerung von Fertigkei-ten durch andauernde Nutzung von Navigationssystemen,da automatisierte räumlich-zeitliche Verhaltensmuster aufhöherer Ebene vom System erledigt werden und die ur-sprüngliche menschliche Basis von Wissen und Regelnverloren geht. Salopp ausgedrückt: Kann sich ein „navi-ge-wohnter“ Nutzer auch ohne technische Hilfen noch ausrei-chend orientieren?

Systemfunktionalität/Systemtransparenz

Gerade die menschliche Fähigkeit zur situativ, damit auchzeitlich angepassten Informationsverarbeitung in Abhän-gigkeit von statischen und dynamischen Merkmalen derumgebenden Situation unterscheidet die „Fahrersicht“von einer „Sensorsicht“ und macht sie ihr prinzipiell über-legen. Das bedeutet u. a., dass ein FAS transparent agierensollte und nicht entgegen den Fahrererwartungen reagiert(mentales Modell des Fahrers über aktuelle Situation) unddass eine Übernahme der Systemfunktionen durch denFahrer (z. B. bei Systemausfall und Grenzen der System-funktionalität) jederzeit reibungslos möglich ist. Hierzusind unter anderem die kritischen Zeitpunkte derjenigenSituationen zu bestimmen, in denen entweder Änderun-gen von Funktionszuweisungen erfolgen oder in denendem Fahrer unmissverständlich rückgemeldet werdenmuss, wann das System keine Unterstützung bereitstellt,wo also Systemgrenzen erreicht werden.

Hybridverkehr

Laut DAT (2014) liegen die Ausrüstungsgrade von FAS wieACC, Spurwechselhilfen etc. im niedrigen einstelligen Pro-zentbereich. Wie Verkehrssimulationen zeigen, besitzen z. B. ACC-Systeme das Potenzial, den Verkehrsfluss zu ho-mogenisieren und den Kraftstoffverbrauch zu senken (ins-besondere im Lkw-Bereich). Es wäre interessant zu erhe-ben, ob diese positiven Effekte nur bei einem hohen Aus-rüstungsgrad eintreten, oder ob sich beim herrschendenHybridverkehr – also dem gleichzeitigen Auftreten von mitFAS ausgerüsteten und nicht mit FAS ausgerüsteten Fahr-zeugen – diese Effekte ggf. ins Gegenteil verkehren.

4 Fazit

Die Entwicklung der FAS ist noch nicht abgeschlossen. Ne-ben den grundsätzlich positiven Auswirkungen modernerFahrzeugtechnik auf Komfort, Effizienz und Sicherheit ist esaber auch notwendig, mögliche negative Erscheinungen inZukunft genau zu beobachten. Im Gegensatz zu Automati-sierungskonzepten – die zu einer Aufgabenverschiebungweg von der Steuerung hin zu einer verstärkten Überwa-chung führen – bleibt dem Fahrer im Konzept der Fahrer-assistenz durch stets übersteuerbare Unterstützung seineaktive Rolle im Fahrer-Fahrzeug-Wirkkreis erhalten. DerFahrer soll durch Information, Warnung oder Regelung beider Bewältigung seiner Fahraufgabe unterstützt werden,ohne ihn zusätzlich zu belasten oder in seiner Verantwor-tung einzuschränken. In welchen Situationen dies langfris-tig erfolgreich möglich ist, hängt davon ab, inwiefern dieverfügbare Technik optimiert bzw. weiterentwickelt werdenkann und ob weiterhin systematische Überprüfungen undempirische Evaluationen von FAS-Effekten erfolgen, da dasFahrerverhalten nicht vom grünen Tisch aus prognostizier-bar ist. Anzeige-, Bedien- und Interaktionskonzepte erfor-dern hohe Transparenz und Bediensicherheit und sie müs-sen systematisch überprüft und empirisch in ihren Auswir-kungen auf das Fahrerverhalten evaluiert werden. Zwar istdas Bestreben vorhanden, die Wechselbeziehungen zwi-schen den Teilsystemen des Straßenverkehrssystems zuoptimieren, leider muss jedoch auch gesagt werden: dieentsprechenden Maßnahmen sind nicht immer aufeinan-der abgestimmt, in ihrer technischen Realisierung häufigsuboptimal und vernachlässigen Informationsbedarf undVerarbeitungskapazität des Fahrers. Nicht alles, was tech-nisch machbar erscheint, ist auch sinnvoll und von Nutzenfür den einzelnen Verkehrsteilnehmer. Daher sind Schnitt-stellen zwischen den physikalischen Systemen und demHumansystem zu schaffen, die den Wahrnehmungsge-wohnheiten, Leistungsmöglichkeiten und Bedürfnissen derVerkehrsteilnehmer gerecht werden und damit Handlungs-fehler vermeiden helfen.

Eine besondere Herausforderung für die nächsten Jahrestellt die erwähnte Berücksichtigung fahrergruppenspezifi-scher Bedürfnisse dar. Dies betrifft einerseits Überlegun-gen, die man als „Differenzielle Fahrzeuggestaltung“ be-zeichnen könnte: – Entwicklung individueller, fahrergruppenspezifischer

Hilfen/Systeme– optimale Anpassung von Fahrer bzw. Fahrergruppe und

Fahrzeug– Fahrer und Fahrzeug als gegenseitiges „Korrektiv“, um

situationsangepasste Fahrweise zu erreichen.

Erst mit den genannten Weiterentwicklungen erreichenFahrerassistenzsysteme auch das Potenzial, das eingangsformuliert worden ist. Langfristig scheinen nur diejenigeninteraktiven Assistenzsysteme einen Sicherheitsgewinn zuversprechen, die unter Einbeziehung der Fahrerbedürfnissekonzipiert sind, also seine Antizipationen, Entscheidungenund individuelle Risikowahrnehmung berücksichtigen, fürdie ein konkreter Nutzen in der Erfüllung der täglichen Fahr-aufgaben nachzuweisen ist und die harmonisch in die vor-

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Fachvorträge

handenen, hochroutinisierten Verhaltensmuster des Fah-rers integriert sind. Entwurf und Konstruktion wirksamerFAS setzen Kenntnis voraus (vgl. Fastenmeier & Gstalter,2007): – der zugrunde liegenden Fahraufgaben und ihrer Teilauf-

gaben– der daraus resultierenden mentalen und psychomoto-

rischen Leistungen, mit denen die jeweiligen Fahrauf-gaben bewältigt werden (Anforderungen)

– der damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzenmenschlicher Informationsverarbeitung sowie

– der motivationalen Voraussetzungen bei den Verkehrs-teilnehmern.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Fahrerassistenz-systeme zeichnen sich dadurch aus, den Fahrer bei der Be-wältigung der Fahraufgabe bzw. den darin enthaltenen An-forderungsformen Navigation, Bahnführung und Stabilisie-rung „nach dessen Anweisungen an die Hand zu gehen“.Assistenzsysteme stellen hierfür die für den Fahrer erfor-derlichen Informationen bereit und setzen die vom Fahreran das System gegebenen Informationen bzw. Anweisun-gen gemäß dessen Vorstellungen in Fahrmanöver um. DerGrad an Informationsbereitstellung und Informationsum-setzung in Aktionen bestimmt dabei die verschiedenenAusprägungsgrade von Fahrerassistenzsystemen. Die we-sentlichen Merkmale einer solcherart verstandenen Fahre-rassistenz zeigt folgende Auflistung (nach Reichart & Hal-ler, 1995):– Integration in die Fahraufgabe– Aktive Rolle des Fahrers im Fahrer-Fahrzeug-Wirkkreis

bleibt erhalten– Situationsspezifische Assistenzfunktionen– Stets überspielbar– Toleranz gegenüber Bedienfehlern– Beherrschbar bei Ausfällen– Sicheres, konsistentes, transparentes Bedien- und Inter-

aktionskonzept– Adaptation an verschiedene Fahrergruppen– Sicherstellung der Gültigkeit von mentalen Modellen– Rückmeldung an den Fahrer (z. B. „Teach-back“-Funktio-

nen).

Ob die Konzepte des hochautomatisierten und vollautoma-tisierten Fahrens wirklich tragfähig sind, erscheint aus heu-tiger Sicht noch zweifelhaft. Denn was ist die Zukunftsvisi-on? In hochautomatisierten Systemen muss der Fahrer dasSystem nicht mehr dauerhaft überwachen, das Fahrzeugübernimmt Längs- und Querführung (für eine gewisse Zeitund/oder in spezifischen Situationen) und Systemgrenzenwerden alle vom System erkannt; der Fahrer hat ausrei-chende Zeit zur Übernahme. In vollautomatisierten Syste-men übernimmt das Fahrzeug die Längs- und Querführungvollständig in einem definierten Anwendungsfall, der Fah-rer muss dabei nicht überwachen (vgl. VDA, 2014). Genaudaraus resultieren möglicherweise die beschriebenen Iro-nien der Automation. Deshalb sollten empirisch-systema-tisch – und nicht nur aus technischer, sondern auch und ge-rade aus humanwissenschaftlicher Perspektive – folgendeThemen bearbeitet und gewissermaßen als Forschungs-programm der nächsten Jahre betrachtet werden:

– Wo braucht der Fahrer wirklich Hilfe (Informationsbe-dürfniss und Informationsdefizite)?

– Ist Automation besser/zuverlässiger als der Mensch?– Die Car-to-X-Kommunikation hat erst dann tatsächlich

eine Zukunft, wenn Datensicherheit und Datenschutzgewährleistet werden können.

– Studien zu Effekten vorhandener FAS.– Sammlung, Auswertung und Bewertung bisheriger Stu-

dien zu FAS (Metaanalyse).– Vollständiges Verständnis aller Risiken.– Strategien zur Vermeidung von Missbrauch.– Methoden im Entwurfs- und Entwicklungsprozess:– Prospektive Risikoeinschätzung unter Berücksichtigung

des Fahrerverhaltens, da wir nicht auf Erfahrungen zumrealen Unfallgeschehen „warten“ können;

– Datengestützte Bewertung der Sicherheit;– Datenbanken zur Bewertung von FAS nach Verkehrs-

situationen und Fahrergruppen.– Optimierung der Informationsdarbietung (Informations-

manager).– Erweitertes Fahrertraining für Gebrauch von FAS; dies er-

scheint insbesondere deshalb notwendig, da die Syste-me komplex und nicht selbsterklärend sind.

Der Bogen zurück zum eingangs erwähnten PROMETHEUS-Projekt ist hier im Übrigen leicht zu schlagen, sind doch ei-nige der angesprochenen Themen bereits damals als Grund-probleme der Bewertung und Gestaltung von Mensch-Ma-schine-Systemen begriffen worden.

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Fachvorträge38

Der Einfluss von Sanktionen auf das Verkehrsverhalten istrelativ gut untersucht. Es gibt neuere und sehr umfassendeStudien in Deutschland (z. B. Stern, Schlag, Schade, Röß-ger, Fischer, Schade, 2006), in der Schweiz (Siegrist, Bäch-li-Biétry, Vaucher, 2000; Siegrist, Roskova, 2001) und einegroße Anzahl weiterer empirischer Studien in Kanada,Australien, den USA und anderen Ländern. Die angedroh-ten und verhängten Sanktionen bei Verkehrsverstößen sindjedoch nur ein Faktor unter vielen, die das Verkehrsverhal-ten im Allgemeinen und die Regelbefolgung im Besonderenbeeinflussen. Die Wirkung von Sanktionen muss daher ineinem größeren Zusammenhang betrachtet werden.

Beispielhaft für die Regelbefolgung soll im Folgenden derFall der Geschwindigkeitsbegrenzung betrachtet werden. Zu-nächst kann man annehmen, dass Verkehrsteilnehmer einebestimmte Geschwindigkeit als angemessen erleben. Dieseerwünschte Geschwindigkeit ergibt sich aus der subjektivenEinschätzung der Verkehrssituation (z. B. dem Zustand derStraße, dem Wetter, Lichtverhältnissen und der Verkehrs-dichte) sowie eigenen Zielen, die gerade verfolgt werden(z. B. Termindruck, Fahrspaß, Risikosuche etc.). Demgegen-über existieren auf sehr vielen Fahrstrecken Geschwindig-keitsbegrenzungen, die subjektiv als mehr oder weniger ver-bindlich erlebt werden. Merkwürdigerweise liegt die subjek-tive Wunschgeschwindigkeit vieler Verkehrsteilnehmer re-gelmäßig etwas oder sogar deutlich über der zulässigenHöchstgeschwindigkeit. Wenn das so ist, entsteht ein Kon-flikt. Wie verhalten sich Verkehrsteilnehmer in dieser Lage?

Schlag, Rößger und Schade (2012) haben ein Modell derRegelbefolgung vorgeschlagen, das die wesentlichen be-kannten Einflussfaktoren umfasst und in ein kausales Mo-dell integriert. Für die Zwecke dieses Vortrags wurde dasModell (siehe Abb. 1) etwas modifiziert.1 Die Regelbefol-gung hängt zunächst wesentlich von der Persönlichkeitdes Verkehrsteilnehmers (z. B. Risikosuche, Dissozialität)und situativen Merkmalen (Verkehrsanlagen, Wetter, Ver-kehrssituation) ab. Diese Faktoren sind für die universelleWirkung von Sanktionen aber nur am Rande relevant.

Ein weiterer Faktor sind informelle soziale Normen, dienicht in Gesetzen und Verordnungen festgelegt sind, son-

dern das Ergebnis einer sozialen Konstruktion darstellen.Ein klassisches sozialpsychologisches Modell der Verhal-tensvorhersage ist das Modell des Geplanten Verhaltensvon Ajzen (1985). Es postuliert, dass die Meinungen wich-tiger Personen (z. B. Eltern, Peers oder Partner) zu einembestimmten Verhalten eine subjektive Norm erzeugen, diedas Verhalten stark beeinflussen kann, wenn der Persondie Meinung ihrer Bezugspersonen wichtig ist. Eine zwei-te Quelle subjektiver Normen ist für praktische Zweckevermutlich noch relevanter: das Verhalten der anderenVerkehrsteilnehmer. Menschen wollen sich richtig verhal-ten (Cialdini & Goldstein, 2004). Wenn nicht so klar ist,was in einer bestimmten Situation das Richtige ist, orien-tiert man sich häufig am Verhalten der anderen. Wenn vie-le andere Menschen auf einem Streckenabschnitt zuschnell fahren, wirkt es für den Einzelnen normal und rich-tig, ebenfalls zu schnell zu fahren. Hier tritt aber das inte-ressante Phänomen auf, dass Verkehrsteilnehmer dasFehlverhalten der anderen häufig überschätzen. Bei zuschnell fahrenden Verkehrsteilnehmern kann die Über-schätzung auf den sogenannten false consensus-Effekt(Ross, Greene & House, 1977) zurückgeführt werden (dieanderen fahren auch zu schnell), bei langsam fahrendenVerkehrsteilnehmern auf die selektive Wahrnehmung:man sieht viele schneller fahrende Autos überholen, abernur wenige, die in der gleichen Geschwindigkeit fahrenwie man selbst. Die starke Wirkung dieser subjektivenNorm kann man für Interventionen nutzen: Van Houtenund Nau (1983) haben gezeigt, dass am Straßenrand ge-gebene Hinweise, dass die Mehrheit der Verkehrsteilneh-mer die Geschwindigkeitsbegrenzung einhält, eine deutli-che Reduktion der mittleren Geschwindigkeit bewirkten.

Ein weiterer ganz zentraler Faktor für die Regelbefolgung istdas Wissen über die Zweckmäßigkeit regelkonformen Ver-haltens und die daraus resultierenden internalisierten Nor-men, die das Verhalten nachhaltig und dauerhaft beeinflus-sen, weil sie für richtig und gerechtfertigt gehalten werden.Wenn man als Tatsache akzeptiert, dass ein zu hoher Blutal-koholgehalt, zu schnelles Fahren, das Bedienen des Handyswährend der Fahrt oder ein zu geringer Sicherheitsabstanddas Unfallrisiko erheblich steigern, ist man eher bereit, die-se Regeln auch zu befolgen. Neben den Medien sind hier dieFahrschulen ein wichtiger Sozialisationsagent, weil alleFahranfänger hier wichtige Informationen über die Ver-kehrsregeln und die Gefahren von Regelverstößen erhalten.Die systematischen Bemühungen, durch Informationsver-mittlung die Angemessenheit regelkonformen Verkehrsver-haltens zu propagieren, sind im Modell unter der ÜberschriftAufklärung zusammengefasst. Der verbleibende Teil des

Der Einfluss von Sanktionen

auf das Verhalten im Straßenverkehr

Rainer Banse, Judith Koppehele-Gossel, Malgorzata Zöhner, Wolfgang Schubert

1 Das Modell wurde etwas vereinfacht, einige Konstrukte ergänztoder so umbenannt, dass nur intrapsychische Prozesse als kau-sale Faktoren vorkommen (z. B. „Angst vor Bestrafung“ statt„Abschreckung“). Vor allem im Bereich der subjektiven Normenwurden die kausalen Prozesse modifiziert. Alle situativen Ein-flussfaktoren sind in hellgrauer Farbe dargestellt, alle in der Per-son repräsentierten oder wirkenden Faktoren in dunkelgrau.

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Modells befasst sich mit der Abschreckung bzw. den objek-tiven und psychologischen Determinanten der Furcht vorBestrafung, die ebenfalls die Regelbefolgung beeinflussen.

Die Psychologie kennt mehrere Theorien der Bestrafung,die sich zwei Klassen zuordnen lassen: die Lerntheorienwie Operantes und Klassisches Konditionieren und Theo-rien, die aufgrund einer mehr oder minder rationalen Infor-mationsverarbeitung eine Bewertung von Handlungsalter-nativen postulieren, wie Rational Choice oder Erwartungs-x-Wert-Theorien. Bei letzteren steht im Vordergrund, dassRegelverstöße dann zu erwarten sind, wenn der erwarteteNutzen eines (regelwidrigen) Verhaltens (z. B. Spaß oderZeitgewinn) die erwarteten Kosten (Strafe, Eigengefähr-dung) übersteigt. Die Konsequenz aus diesem Ansatz istklar: Um eine stärkere Regelbefolgung zu erreichen, müs-sen die Kosten des unerwünschten Verhaltens erhöht wer-den, also die Höhe der Strafe und die Strafwahrscheinlich-keit. Diese Theorie ist allerdings nur anwendbar, wenn un-mittelbar vor der Entscheidung, einen Regelverstoß zu be-gehen, tatsächlich Kosten und Nutzen der Handlungsalter-nativen abgewogen werden. Bei kriminellen Delikten weißman, dass das in aller Regel nicht der Fall ist, darum wirkenhöhere Strafen nicht abschreckend.

Die bekannteste psychologische Theorie des Bestrafensist aber natürlich das Operante Konditionieren nach Skin-ner. Die Theorie postuliert, dass die Häufigkeit eines Ver-haltens nach Bestrafung sinkt. Dieser allgemeine Effektwird durch drei Parameter moderiert: die Geschwindigkeitoder das Zeitintervall, in dem die Bestrafung auf das Ver-halten folgt, die Kontingenz oder Sicherheit, dass eine Be-strafung erfolgt, und die Stärke der Strafe. Nach dieserTheorie besteht also das Rezept für eine bessere Regelbe-folgung darin, Regelverstöße möglichst schnell, mög-lichst oft und möglichst stark zu bestrafen. Dass mög-lichst schnelles Strafen besonders wirksam ist, ist einevon Verkehrspsychologen (und nicht nur diesen) einhelligakzeptierte Lehrmeinung.

Aber was ist die empirische Evidenz für diese Gewissheit?Es gibt in der Tat eine starke bestätigende Evidenz ausTierversuchen. So ist die Bestrafung von Ratten 2 Sekun-den nach einem Tastendruck wesentlich wirksamer alsnach 30 Sekunden (Camp, Raymond & Church, 1967). Dasüber viele (Tier-)Experimente hinweg gefundene optimaleZeitintervall zwischen Verhalten und Bestrafung liegt bei500 ms (Müsseler & Prinz, 2002). Allerding muss manauch hier fragen, ob diese Theorie für das Verständnis vonBestrafungseffekten auf verkehrswidriges (oder kriminel-les) Verhalten angemessen ist.

Ist die Anwendung theoretisch plausibel? Ratten müssenden kausalen Zusammenhang zwischen eigenem Verhal-ten und der darauf folgenden Bestrafung aus der Situati-on extrahieren; schon nach wenigen Sekunden Intervallwird das Erkennen einer Kontingenz zwischen dem eige-nen Verhalten und der darauf folgenden Strafe schwierig,weil mit zunehmendem Intervall andere Verhaltensweisengezeigt werden, die den Zusammenhang immer mehr ver-schleiern. Im Gegensatz dazu ist Verkehrsteilnehmern der

Zusammenhang zwischen Regelübertretung und Strafevöllig klar. Man lernt ihn, oder bekommt ihn nach einer(entdeckten) Regelübertretung im Bußgeldbescheid er-klärt. Wer „geblitzt“ wird, weiß ganz genau, dass mit sehrhoher Wahrscheinlichkeit ein Bußgeldbescheid folgenwird. Selbst wenn es Wochen dauert, bis das Schreibeneintrifft, weiß man meistens ebenfalls ganz genau, warumman ihn erhält. Das Zeitintervall spielt hier offenbar keinegroße Rolle.

Ist die erhöhte Wirksamkeit schneller Strafen bei Ver-kehrsdelikten empirisch bestätigt? Soweit wir die Litera-tur übersehen, gibt es überhaupt keine überzeugendeEvidenz bei Verkehrsdelikten. Und auch bei Straftäternhängt das Zeitintervall zwischen Tat und Bestrafung empi-risch nichtmit der Legalbewährung zusammen (Suhling &Leitgöb, in Vorbereitung; Bliesener & Thomas, 2012). Dietheoretische Analyse und die empirischen Daten spre-chen dafür, dass die Wichtigkeit schnellen Strafens einMythos ist (allerdings ein sehr verbreiteter Mythos).

Wie steht es mit der Überwachung von Geschwindigkeits-begrenzungen? Die immer größere Verbreitung von Navi-gationsgeräten erschwert eine wirksame Überwachung.Viele Geräte können so eingestellt werden, dass stationä-re Radaranlagen automatisch mit einem akustischen Sig-nal als ein „Point of Interest“ angezeigt werden. DiesePraxis ist zwar illegal, wird aber von der Polizei faktischnicht verfolgt. Insgesamt ist die Politik in Deutschlandsehr darauf bedacht, Autofahrer nicht zu verärgern. Über-regionale Geschwindigkeitskontrollen werden zeitlich be-grenzt durchgeführt und angekündigt („Blitzmarathon“)und auch mobile Überwachungstätigkeiten werden vonder Polizei selbst an die Medien gemeldet. Ferner gibt essolche Kontrollen fast nur noch an Unfallschwerpunktenoder Gefahrenstellen. Hierbei ist zu beachten, dass dieÜberwachungs- und Sanktionspraxis die Gültigkeit vonGesetzen und Vorschriften definiert. Das explizite oder im-plizite Absehen von Strafverfolgung schafft faktisch dasDelikt ab. Die Beschränkung auf eine lokal oder zeitlichbegrenzte Überwachung führt implizit zu Sekundärvor-schriften (z. B. „die Vorschrift gilt nur tagsüber“ oder „inBonn gibt es kein Alkohollimit, solange man unfallfreifährt“). Umgekehrt werden als unsinnig empfundene Vor-schriften viel weniger respektiert – Regelübertretungenkönnen auch ein Ausdruck des Protests sein.

Führt nun die Verschärfung von Sanktionen zu einer ver-stärkten Regelbefolgung? Viele empirische Studien bele-gen eindeutig, dass eine auf bestimmten Streckenab-schnitten durchgeführte Überwachung und Sanktionie-rung zu verstärkter Regelbefolgung führt. Allerdings er-reicht man mit diesen Maßnahmen nur eine Art Verhal-tenskontrolle; Regelverstöße werden so lange unterlas-sen, wie die Verkehrsteilnehmer eine Sanktionierung er-warten. Wenn die Überwachungsmaßnahme beendetwird, erreicht die Zahl der Regelverstöße sehr schnell wie-der das Ausgangsniveau, die örtliche und zeitliche Gene-ralisierung ist sehr begrenzt. Eine eigentlich erwünschteInternalisierung von Regeln wird durch lokal und zeitlichbegrenzte Sanktionierung kaum erreicht.

Fachvorträge 39

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Fachvorträge

Die Analyse von Sanktionierungen wird meist als unidirek-tionaler und linearer Prozess aufgefasst. Die Sanktionierungdurch die Polizei oder andere Organe wird als unabhängigeVariable betrachtet und deren Auswirkung auf die Regelbe-folgung als abhängige Variable untersucht. Bjørnskau undElvik (1992) haben allerdings gezeigt, dass diese Sichtweiseinadäquat ist. Die Überwachungsorgane reagieren auf einverändertes Verhalten der Verkehrsteilnehmer. Eine spiel-theoretische Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass eineVerschärfung der Sanktionen zunächst zu einer Reduktionvon Regelverstößen führt, diese führt dann jedoch zu einerReduktion der Überwachung durch die Polizei. Bei begrenz-ten Ressourcen und vielen Aufgaben investiert die Polizeinur dann in die Verkehrsüberwachung, wenn sich das auchlohnt. So führt ein Erfolg der Maßnahmen fast unwillkürlichzu einer Reduktion genau dieser Maßnahmen.

Was sind die Implikationen dieser Überlegungen für eine„best practice“ in der Verkehrsüberwachung? Wir schla-gen die folgenden Maßnahmen vor:

• strikt zufällige und ausreichende Geschwindigkeits-,Alkohol- und Drogenkontrollen

� – die subjektive Entdeckungswahrscheinlichkeit mussdeutlich größer Null sein

� – Kontrollen müssen an jedem Ort und zu jeder Zeit fürmöglich gehalten werden (sonst werden sekundäreRegeln geschaffen)

• Verstärkung von Aufklärung und Schulung, um denSinn von Vorschriften zu vermitteln

• Schaffung von Möglichkeiten, als unsinnig empfundene

lokale Verkehrsregelungen zu überprüfen und ggf. zuändern (um Verstöße aus Protest zu vermeiden).

Was trotz vieler empirischer Studien bisher fehlt, ist einegroß angelegte experimentelle Feldstudie zum Zusam-menhang zwischen regional unterschiedlichen Überwa-chungsdichten und dem Fahrverhalten. So wird z. B. be-hauptet, dass der „Blitzmarathon“ wirksam sei, weil diemittlere Fahrtgeschwindigkeit zurückgehe. Tatsächlichweiß man das aber nicht, weil es keine Kontrollgruppegibt, mit der man abschätzen könnte, wie sich das Ver-kehrsverhalten ohne den Blitzmarathon entwickelt hätte.Eine experimentelle Studie, die in einer hinreichend gro-ßen Region (z. B. einem Bundesland) verschiedene Kon-trolldichten realisiert und über einen längeren Zeitraum (z.B. zwei Jahre) den Effekt dieser Maßnahmen auf die Regel-befolgung untersucht, würde es erstmals erlauben, denNutzen des Einsatzes von Überwachungsressourcen fürdie Verkehrssicherheit wirklich empirisch zu bestimmen.

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Das Modell wurde etwas vereinfacht, einige Konstrukte ergänzt oder so umbenannt, dass nur intrapsychische Prozesse als kausale Faktoren vorkom-men (z. B. „Angst vor Bestrafung“ statt „Abschreckung“). Vor allem im Bereich der subjektiven Normen wurden die kausalen Prozesse modifiziert.Alle situativen Einflussfaktoren sind in hellgrauer Farbe dargestellt, alle in der Person repräsentierten oder wirkenden Faktoren in dunkelgrau

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Fachvorträge 41

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Fachvorträge

Ausgangslage

Wenn auch zu Beginn der Fahreignungsbegutachtungv. a. die Leistungsfähigkeit eines Kraftfahrers im Vorder-grund stand, sorgten die Fortschritte in der verkehrspsy-chologischen Forschung dafür, dass zunehmend Persön-lichkeitseigenschaften als Determinanten riskantenFahrverhaltens Beachtung fanden. Persönlichkeitseigen-schaften können jedoch nur mithilfe psychologischer Me-thoden erfasst werden. Psychologische Methoden um-fassen dabei Exploration, Verhaltensbeobachtung undDaten aus Testverfahren. All diese Informationsquellengeben dem Psychologen in Kombination mit seinem Ex-pertenwissen über das menschliche Verhalten Auf-schluss über Ausprägung und Relevanz dieser Persön-lichkeitseigenschaften.

Doch welche Persönlichkeitskonstrukte gelten als ver-kehrssicherheitsrelevant? Selbstkontrolle, Psychische Sta-bilität, Risikobereitschaft mit allen Facetten wie Akzeptanzdes Risikoniveaus, Thrill and Adventure seeking, Gefahren-erkennung oder Aggressivität bzw. dissoziales Verhaltengelten als typische Konstrukte, die mit Verkehrssicherheitin Zusammenhang stehen sollen. Anzumerken ist, dass dasVerkehrssicherheitskriterium nicht nur am Unfallkriteriumfestgemacht werden sollte, sondern auch an Verhaltens-weisen, die eine Verkehrsübertretung bzw. Verkehrsüber-tretungen mit Gefährdungspotenzial wahrscheinlicher ma-chen, wie z. B. das Lenken unter Alkoholeinfluss.

A man drives as he lives…

... postulierten Tillman and Hobbs bereits 1949. Und wei-ter: “If his personal life is marked by caution, tolerance,foresight, and consideration for others, then he will drivein the same manner. If his personal life is devoid of thesedesirable characteristics, then his driving will be characte-rized by the same” (Tillman and Hobbs, 1949).

Mittlerweile sind über 60 Jahre vergangen, und die Verkehrs-psychologie hat die Forschung rund um Persönlichkeitsfak-toren und deren Beitrag zum Verkehrsverhalten noch weitervertieft. Eines der umfassendsten Projekte ist das EU-ProjektDRUID1 (Boets et al., 2008). Hier konnte bestätigt werden,dass Sensationssuche, Aggressionsneigung, geringe Selbst-kontrolle, geringe Problembewältigungstendenz, normab-weichende Einstellung, geringe Gefahrenwahrnehmung, Be-einflussbarkeit durch das soziale Umfeld, Gruppennorm undErwartungen anderer zu einer höheren Wahrscheinlichkeitvon Trunkenheitsfahrten führen.

Aber auch kleinere Studien zeigen interessante Erkennt-nisse auf:

So zeigen sich zum Beispiel signifikante Zusammenhängezwischen Risikobereitschaft und gewählter Geschwindig-keit auf der Autobahn (Yu & Williford, 1993; Arnett, Offer &Fine, 1997; Vogelsinger, 2005), der Anzahl an Trunkenheits-delikten (Studotot et al. 1995), Überholen an Überholverbo-ten (Yu & Williford, 1993; Arnett, Offer, & Fine, 1997) oderder Anzahl an Strafmandaten (Vogelsinger, 2005).

Psychische Stabilität korreliert in mehreren Studien mitFehlreaktionen unter Stress und in weiterer Folge mit demtatsächlichen Unfallkriterium (Eysenck, 1965; Shaw & Si-chel, 1971; Tarnowski, 2014) oder einer erhöhten Wahr-scheinlichkeit für Trunkenheitsdelikte (Boets et al., 2008).

Selbstkontrolle steht in Zusammenhang mit überhöhter Ge-schwindigkeit, Verwickelt-Sein in Unfälle oder exzessivem Al-koholkonsum (Burton et al., 1999). Zusammenhänge zeigensich auch zwischen Selbstkontrolle und dem Anlegen vonGurten (Burton et al., 1999) du wieder einer erhöhten Wahr-scheinlichkeit für Trunkenheitsdelikte (Boets et al., 2008).

Soziales Verantwortungsbewusstsein inkludiert die Ein-haltung von Regeln und Normen in einem sozialen Sys-tem, wobei der Straßenverkehr immer als ein sozialesSystem anzusehen ist. Studien zur Inbetriebnahme einesKfz unter Alkoholeinfluss haben ergeben, dass die Aus-prägung des sozialen Verantwortungsbewusstseins sehrwohl eine Rolle spielt bei der Entscheidung, angetrunkenins Auto zu steigen oder nicht. Bekannt ist hierbei z. B. dieStudie von Åberg aus dem Jahr 1998.

Aggressivität zeigt Zusammenhänge zu Verwarnungen undBußgeldern (Herzberg, 2001), und Zusammenhänge gerin-ger Höhe zu Eintragungen im Verkehrszentralregister(Herzberg, 2001) oder zu Unfällen (Herzberg, Schlag,2006).

Informationsquellen im Begutachtungsprozess

Im verkehrspsychologischen Begutachtungsprozess ste-hen dem Verkehrspsychologen mehrere Informations-quellen zur Verfügung, deren Ergebnisse es zu integrierengilt, um zu einem Gesamtbild zu kommen. So kann derPsychologe auf Informationen aus Exploration, Verhal-tensbeobachtung, Aktenanalysen (sofern möglich) und

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Was können Persönlichkeitsverfahren

für die Beurteilung der Fahreignung leisten?

Margit Herle

1 http://www.druid-project.eu/

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Daten aus Testergebnissen zurückgreifen. Nach Un-deutsch (1990) soll zur Eignungsbeurteilung die Möglich-keit wechselseitiger Beziehungen zwischen den einzel-nen Befunden beachtet werden. Verschiedene Ergebnissesollen integriert werden, wobei sich einzelne Ergebnissebestätigen, relativieren, differenzieren oder einander wi-dersprechen können.

Daten aus Persönlichkeitsverfahren

An Testverfahren für die Erhebung der verkehrsspezifi-schen Persönlichkeitsaspekte steht dem Praktiker eineReihe an „Breitbanddiagnostika“ sowie eigens für denVerkehrsbereich entwickelte Verfahren zur Verfügung.Beispielhaft seien hier IVPE, FRF, AVIS, VPT2, VIP, WRBTVaus dem Wiener Testsystem2 angeführt.

Die meisten Verfahren in diesem Bereich sind klassischeFragebögen. Heißt, sie bringen alle Nachteile, aber auchalle Vorteile von klassischen Fragebögen mit sich.

Eine Vielzahl an Untersuchungen belegt, dass Persönlich-keitsverfahren allgemein relativ anfällig für Verfäl-schungstendenzen sind (vgl. z. B. Kubinger, 2006; Ellings-on, Smith, Sackett, 2001; Mc Farland, Ryan, 2000; Mum-mendey, 1995). Dies gilt insbesondere dann, wenn derAusgang der Testung für den Probanden von großer Be-deutung ist, wie dies beim Urteil über die Fahreignung imRahmen der verkehrspsychologischen Begutachtung derFall ist. Trotz dieser offensichtlichen Schwächen – die alleFragebogenverfahren im größeren oder kleineren Ausmaßbetreffen – sind die Informationen, die man erhält, für dieBeurteilung der Fahreignung wertvoll. Mit klassischenPersönlichkeitsfragebögen wird das Selbstbild einesMenschen erfasst, und zwar aufgrund jener Informatio-nen, die er von sich preisgibt. Bei auftretenden Verfäl-schungstendenzen sollte der begutachtende Psychologezwischen impression management und self-deception un-terscheiden. Während impression management auf dieTendenz abzielt, ein sozial erwünschtes Bild zu erzeugen,geht es bei self-deception um eine verzerrte, aber subjek-tiv für richtig gehaltene Selbsteinschätzung (Paulhus,1991; Lindeman, Verkasalo, 1994). Diese Informationenkönnen sich im Begutachtungsprozess als wertvoll erwei-sen, einerseits für die Bewertung der Testergebnisse, an-dererseits aber auch für die Fortführung der Explorationbzw. Nachexploration.

In der Exploration können aufgrund der hohen Anforde-rung an die verbale Kompetenz des Gutachters, der unter-schiedlichen Befragungstechnik sowie angesichts mögli-cher Übertragungsphänomene, Störfaktoren (z. B. Sug-gestionen) auftreten, wodurch die Daten subjektiv gefärbtwerden können. Auch um etwaige subjektive Verzerrun-gen in der Exploration festzustellen, sind zusätzlich test-diagnostische Methoden unverzichtbar.

Aussagen über ein problematisches Trinkverhalten, stabi-le Veränderungen etc. werden aber letztendlich durch dasExplorationsgespräch erfasst, können aber durch Tester-gebnisse weiter abgesichert werden.

Konklusio

Persönlichkeitsverfahren sollen nicht die Exploration erset-zen, und können dies auch nicht. Sie sind jedoch ein unver-zichtbares Instrument, um weitere für den Begutachtungs-prozess relevante Informationen zu gewinnen, die Angabenaus der Exploration hinsichtlich Konsistenz oder Wider-sprüchlichkeit zu überprüfen, oder Anhaltspunkte für tiefer-gehende begutachtungsrelevante Explorationsthemen zugeben. Der Psychologe kann so im Begutachtungsprozessüber die Integration der unterschiedlichen Informations-quellen aus Exploration, Verhaltensbeobachtung, Akten-analysen in Kombination mit seinem Expertenwissen überdas menschliche Verhalten zu einer bestmöglichen Aussageüber Ausprägung und Relevanz der als verkehrssicherheits-relevant anzusehenden Persönlichkeitseigenschaften ge-langen. Aufgrund der für den Klienten massiven rechtlichenund auch persönlichen Konsequenzen der Begutachtungbezüglich seiner Fahreignung ist eine bestmögliche Absi-cherung der Beurteilung von besonderer Wichtigkeit.

Literatur

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Arnett, J., Offer, D., Fine, M. A. (1997): Reckless driving in adolescence:Stait and trait factors. Accident Analysis and Prevention, 29, 129–143.

Boets, S. et. al (2008): DRUID WP 5 State of the Art on Driver Rehabili-tation: Literature Analysis & Provider Survey. Verfügbar unter:http://www.druid-project.eu/.

Burton, V. S., Evans, T. D., Cullen, F. T., Olivares, K. M.; Dunaway, R. G.(1999): Age, self-control, and adults’ offending behaviours: A researchnote assessing a General Theory of Crime. Journal of Criminal Justice,1, 45–54.

Ellingson, J. E., Smith, D. B., Sackett, P. R. (2001): Investigating the in-fluence of social desirability on personality factor structure. Journal ofApplied Psychology, 86, 122–133.

Eysenck, H. J. (1965): Fact and fiction in psychology. Harmsworth: Pen-guine.

Hergovich A., Bognar, B., Arendasy, M., Sommer, M. (2014): Handan-weisung Wiener Risikobereitschaftstest-Verkehr (WRBTV). Mödling:Schuhfried GmbH.

Herle, M., Sommer, M., Wenzl, M., Litzenberger, M. (2014): Handan-weisung Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften(IVPE). Mödling: Schuhfried GmbH.

Herzberg, P. Y. (2001): Entwicklung und Validierung eines Verfahrens

Fachvorträge 43

2 IVPE: Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften(Herle, Sommer, Wenzl & Litzenberger, 2014)

FRF: Fragebogen für Risikobereitschaftsfaktoren (Kuratoriumfür Verkehrssicherheit, 2014a)

AVIS: Aggressives Verhalten im Straßenverkehr (Herzberg, 2014)

VPT.2: Verkehrsbezogene Persönlichkeitstests. Version 2 (Kura-torium für Verkehrssicherheit, 2014b)

VIP: Verkehrsspezifischer Itempool (Kuratorium für Verkehrssi-cherheit, 2014c)

WRBTV: Wiener Risikobereitschaftstest Verkehr (Hergovich, Bo-gnar, Arendasy & Sommer, 2014)

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Fachvorträge

zur Erfassung aggressiver Verhaltensweisen im Straßenverkehr(AVIS). Unveröffentlichte Dissertation, Universität Leipzig, Leipzig.

Herzberg, P. Y. (2014): Handanweisung Aggressives Verhalten im Stra-ßenverkehr (AVIS). Mödling: Schuhfried GmbH.

Herzberg, P. Y., Schlag, B. (2006): Aggression und Aggressivität imStraßenverkehr. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 37, 73–86.

Kubinger, K. D. (2006): Psychologische Diagnostik. Göttingen:Hogrefe.

Kuratorium für Verkehrssicherheit (2014a): Handanweisung Fragebo-gen für Riskobereitschaftsfaktoren (FRF). Mödling: Schuhfried GmbH.

Kuratorium für Verkehrssicherheit (2014b): Handanweisung Verkehrs-bezogener Persönlichkeitstest. Version 2 (VPT.2). Mödling: Schuh-fried GmbH.

Kuratorium für Verkehrssicherheit (2014c): Handanweisung Verkehrs-spezifischer Itempool. (VIP). Mödling: Schuhfried GmbH.

Lindeman, M., Verkasalo, M. (1994): Personality, situation, and positi-ve-negative asymmetry in socially desirable responding. EuropeanJournal of Personality, 9, 125–134.

McFarland, L. A., Ryan, A. M. (2000): Variance in faking across non-co-gnitive measures. Journal of Applied Psychology, 85, 812–821.

Mummendey, H. D. (1995): Die Fragebogen-Methode. Göttingen: Ho-grefe.

Paulhus, D. L. (1991): Measurement and control of response bias. In J.P. Robinson, P. R. Shaver, & L. S. Wrightsman (Eds.), Measures of per-

sonality and social psychological attitudes: Vol. 1 (pp. 17–59). San Die-go, CA: Academic Press.

Shaw, L., Sichel, H. (1971): Accident proness. Oxford: Pergamon Press.

Studotot et a. (1995): Profile of adolescent drinking drivers. In C. N.Kloeden & S. J. Mc Lean (Hrsg.), Alcohol, drugs and Traffic Safety – T95. Proceedings of the 13th International Conference on alcohol, Drugand Traffic Safety.

Tarnowski, A. (2014): Individual preconditions: Fitted personality bey-ond the traits. Presented at 8th Fit to Drive Congress. 8–9 May 2014.Warsaw.

Tillman, W. A., Hobbs G. E. (1949): The Accident-Prone AutomobileDriver: A Study of the Psychiatric and Social Background, 106 Ameri-can Journal of Psychiatrity 321–331 (November 1949).

Undeutsch, U. (1990): Zur Verwertbarkeit und Glaubhaftigkeit von Pro-bandenäußerungen. In W. R. Nickel, H. D. Utzelmann & K. G. Weigelt(Hrsg.), Bewährtes sichern – Neues entwickeln. Erstes bundesweitesKolloquium der Verkehrspsychologen amtlich anerkannter Medizi-nisch-Psychologischer Untersuchungsstellen. Köln: TÜV Rheinland.

Vogelsinger, J. (2005): Prüfung der Dimensionalität und Validität deserweiterten Subtests, Risikobereitschaft im Straßenverkehr’. Univer-sität Wien: unveröffentlichte Diplomarbeit.

Yu, J., Williford, W. R. (1993): Alcohol and risk/sensation seeking. Spe-cifying a causal model on high risk-driving. Journal of addictive disea-se, 12, 79–96.

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Fachvorträge 45

1 Gegenstand und Ziel der Studie

Unfälle betagter und hochbetagter Kraftfahrer weisen imUnterschied zu anderen Altersgruppen spezifische Merk-male auf, die bereits in der Vergangenheit im Rahmen derUnfallforschung an der medizinischen Hochschule Hanno-ver (MHH) identifiziert wurden. Die hierbei eingesetzteAnalysemethodik ACAS (Acident Causation Analysis Sys-tem) erbrachte beispielsweise Hinweise, dass über 60-jährige Kraftfahrer besondere Schwierigkeiten haben, imVerkehrsraum dargebotene Informationen verlässlich auf-zunehmen, insbesondere wenn es sich um mehrere simul-tan aufzunehmende äußere Reize handelt. Bei schnellenReaktionsabfolgen, wie sie in komplexen Verkehrssitua-tionen erforderlich sind, werden ältere Fahrer stärker be-ansprucht als jüngere, wobei die Möglichkeiten der Kom-pensation von Leistungseinbußen interindividuell (undauch intraindividuell) breit streuen (vgl. Johannsen & Mül-ler 2013). Daher stellt sich einerseits die Frage, welcheTrainings- und Fördermaßnahmen zum sicheren Mobili-tätserhalt sinnvoll eingesetzt werden können, und ande-rerseits welche technischen Assistenzsysteme für diespezifischen Probleme der höheren Altersgruppen nutz-bar sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass FAS wie ka-merabasierte Sehfeldassistenten zur Erweiterung derWahrnehmung im peripheren Bereich zwar prinzipiell Pro-bleme wie das „Übersehen“ verhindern können, jedochnotwendige Bedienungs- und Überwachungsfunktionenbei teilautomatisierten Funktionssystemen aufseiten desFahrers wiederum Aufmerksamkeitsleistungen binden.

Die im Rahmen der Unfallforschung der MHH in Koopera-tion mit dem TÜV Hessen erhobenen Daten über Verkehrs-unfälle der Jahrgänge 2008–2013 mit abgeschlossenertechnischer Unfallrekonstruktion wurden mit dem Fokusauf ältere Verkehrsteilnehmer (Pkw-Fahrer) unter zwei As-pekten näher analysiert:• Benötigen ältere Kraftfahrer besondere Informations-

systeme bzw. Assistenzsysteme, um für sie kritischeFahraufgaben besser zu bewältigen?

• Welche Schlussfolgerungen für weitere Hilfestellungenlassen sich aus den Daten im Sinne einer altersgerech-ten Verkehrsleitung sowie spezifischer Trainingsmaß-nahmen für ältere Kraftfahrer ableiten?

2 Methode der Datenerhebung

Die Human-Factor-Analyse erfolgte wie die Erhebungtechnischer und infrastruktureller Parameter „On-scene“,also zeitnah direkt am Unfallort. Der methodische Kernbildet das Vorgehen in Form einer „Real-World Investigati-on“, also einer Unfallursachenanalyse möglichst dicht amGeschehen („In-depth/In-time“). Die zeitliche und örtli-che Unmittelbarkeit der Datensammlung wird als wesent-liches Qualitätskriterium für die Relevanz von Unfallverur-sachungsdaten angesehen: die Verlässlichkeit und Gül-tigkeit der Daten ist umso höher, je umfänglicher das Da-tenangebot ist und je kürzer die Erlebnisinhalte aufseitendes am Unfallort befragten Beteiligten zurückliegen, umeine möglichst hohe Realitätsnähe zu gewährleisten.

Den theoretischen Rahmen hierfür stellt innerhalb ACASein hierarchisches Klassifikationsschema von fünf Kate-gorien menschlicher Grundfunktionen dar, die bei der Un-fallentstehung wirksam waren (Otte et al. 2009). Außerbeim ersten Schritt, dem objektiven Informationszugang,bezeichnen die weiteren Schritte in sequenzieller Weisemenschliche funktionelle Qualitäten, die einzeln oder inKombinationen bei der Unfallentstehung aktiv waren undzur Verursachung beitrugen: Informationsaufnahme, In-formationsverarbeitung, Zielsetzung und Ausführen derHandlung (siehe Abbildung 1).

Die Codierung der vorgefundenen Merkmalsausprägun-gen auf den ACAS-Kategorien erfolgt in mehrdimensiona-len Bewertungsschemata, die in die Datenbank der Un-fallforschung eingehen. Ergebnis dieser Analyse ist eineauf einem zeitlichen Vektor abgebildete Ablaufbeschrei-bung der Unfallentstehung unter wahrnehmungs- undhandlungstheoretischer Perspektive.

3 Datenbasis und Untersuchungsdesign

Herangezogen für die Datenanalyse wurden die siebenUnfalltypen des Unfallkatalogs des Gesamtverbands derdeutschen Versicherungswirtschaft, wobei die einzelnenUnfalltypen Hinweise auf die zu bewältigende Fahraufga-be geben. Die Daten über die Unfalltypen entstammen derDatenbasis der German In-Depth Accident Study (GIDAS),

Psychologische Aspekte bei der

Unfall ur sachen analyse am Beispiel

alters korrelierter Unfälle – Folgerungen

für Sicherheits maß nahmen

Bernd Pund, Michael Jänsch, Dietmar Otte, Katja Duntsch

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Fachvorträge

wobei die Häufigkeitsverteilungen auf den einzelnen Un-falltypen für 3.000 Kraftfahrer unter 65 Jahren und für 510Kraftfahrer über 65 Jahren verglichen wurden.

Der Frage spezieller menschlicher Einflussfaktoren beider Unfallentstehung wurde mit den durch die Erhebungs-methode ACAS generierten Daten der MHH nachgegan-gen. Die menschlichen Ursachenfaktoren auf den fünf Ka-tegorien dieser durch die Unfallforschung der MHH entwi-ckelten Systematik wurden für 3.144 Pkw-Fahrer unter65 Jahren sowie für 570 Pkw-Fahrer über 65 Jahren be-stimmt und miteinander verglichen.

Die Abbildung 2 gibt den Prozess der Datenanalyse(Workflow) wieder. Aus 9.742 Beteiligten bei den zwi-schen 2008 und 2013 erhobenen Verkehrsunfällen wur-den 6.145 Pkw-Fahrer extrahiert, hiervon interessiertendie 3.577 Pkw-Fahrer als Haupt- oder Alleinverursacher.Diese wurden nach den Kriterien des Alters von unter

65 Jahren und über 65 Jahren aufgeteilt und einer Auswer-tung nach Unfalltypen (GIDAS-Daten) sowie ACAS-Codes(MHH-Daten der Unfallforschung) zugeführt.

Der Altersgruppenvergleich für die Unfalltypen setzte fol-gende Zulassungskriterien für die Analyse voraus:• Die Häufigkeit auf dem jeweiligen Unfalltyp muss für die

ältere Gruppe höher sein, um die für diese Altersgruppespezifischen Unfallmerkmale, zumindest sich von denenjüngerer Fahrer unterscheidende, näher zu betrachten.

• Diese Unterschiede müssen statistisch mindestens sig-nifikant sein, um in den Analyseprozess einbezogen zuwerden.

4 Ergebnisse: Häufigste Unfalltypen für 65+

Beide oben genannten Auswahlkriterien erfüllten• Unfalltyp 2 (Abbiegeunfall), wobei dieser am häufigsten

mit 32 % auf den Unfalltyp 211 „Kollision beim Linksab-biegen im Kreuzungsbereich mit in ursprünglicher Fahrt-richtung entgegenkommendem Kraftfahrzeug“ entfiel.

• Unfalltyp 3 (Einbiegen/Kreuzen), wobei dieser am häu-figsten mit 24 % auf den Unfalltyp 342 „Kollision alsWartepflichtiger am Anfang des Kreuzungsbereichs mitRadfahrer auf Nebenweg von rechts“ entfiel.

• Unfalltyp 4 (Überschreiten), wobei dieser am häufigs-ten mit 24 % beim Unfalltyp 401 „Kollision mit von linksüberschreitendem Fußgänger im Längsverkehr“ reprä-sentiert wurde.

Abbildung 3 gibt beispielhaft die häufigsten Abbiegeunfälledes Unfalltyps 2 wieder.

5 Ergebnisse: Häufigste menschliche Ursachen(ACAS-Codes) für 65+

Bezogen auf den jeweiligen Unfalltyp interessierte esnun, welche menschlich begründbaren Ursachen, be-stimmt anhand der am Unfallort erhobenen Kategorie vonACAS, eine Rolle spielten.

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Abb. 1: ACAS-Kategorien der menschlichen Grundfunktionen

Abb. 2: Workflow Abb. 3: Häufigste Abbiegeunfälle für Pkw-Fahrer 65+

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Abbildung 4 zeigt beispielhaft für den Unfalltyp „Abbie-geunfall“ die Verteilung der 5 Kategorien von ACAS beiden Unfallarten 211 und 224 (Konflikte beim Linksabbie-gen) sowie bei den Unfalltypen 244 und 243 (Konfliktebeim Rechtsabbiegen) für die Gruppe 65+.

Die relative Häufigkeit von 32 % beim Typ 211 gibt einenHinweis auf das Unfallvermeidungspotenzial durch tech-nische, infrastrukturelle oder verhaltensmodifizierendeMaßnahmen. Überhaupt war über alle Unfalltypen hin-weg festzustellen, dass die ACAS-Kategorie „Informati-onsaufnahme“ bei beiden Altersgruppen am höchstenausgeprägt war.

Für die Gruppe 65+ lagen die Schwerpunkte der menschli-chen Verursachung bei den Unfällen im Kreuzungsbereich(Abbbiegeunfälle, Einbiege- und Kreuzenunfälle) im Funk-tionsbereich der Detektion:• Falsche Beobachtungsstrategie durch unterlassene Re-

orientierung bzw. fehlendes sicherndes Blickverhalten• Fokus auf andere (für die Bewältigung der Fahraufgabe

irrelevante) Verkehrsteilnehmer.

In diesen Beobachtungsfehlern kommen altersbezogeneSchwierigkeiten der mangelnden Abschirmung gegen Ab-lenkung und der fehlenden Inhibition irrelevanter Reizezum Ausdruck. Betroffen sind ferner die Fähigkeit der Ablö-sung und Neuausrichtung der Aufmerksamkeit sowie die„Sammelstrategie“ von Informationen im Kreuzungsbe-reich. Bei den Einbiege- und Kreuzenunfällen älterer Fahrerist mit 24 Prozent der Unfälle der Unfalltyp 342 betroffen, indem die Fahraufgabe „als wartepflichtiger Pkw-Fahrer vordem Kreuzungsbereich einen Radfahrer auf Nebenweg vonrechts passieren lassen“ zum Ausdruck kommt.

6 Schlussfolgerungen

Diese bei älteren Kraftfahrern in Kreuzungsbereichen hö-her repräsentierten Unfalltypen als bei jüngeren Fahrernlegen nahe, dass Fahrassistenzsysteme vor allem auf dieInformation über bevorrechtigte Fahrzeuge, vor allem aufdie Erkennung des Verkehrs auf Nebenwegen (Radfahrer)vor und im Kreuzungsbereich ausgerichtet sein sollten.Kamerasysteme im peripheren Bereich oder seitlicheShort-Range-Radarsysteme mit Blind-Spot-Detektion bishin zur eingreifenden Radfahrererkennung lassen sichals Sehfeld- und Abbiegeassistenten in einen sich in derEntwicklung befindlichen Kreuzungsassistenten integrie-ren. Bei den Abbiegeunfällen im Kreuzungsbereichkommt der Umgebungserfassung mit Erkennung des Ge-genverkehrs in Kombination mit einem Bremsassistenten(z. B. Aufbau des Bremsdrucks bei Verlassen des Gaspe-dals) ein Unfallvermeidungspotenzial zu. SpezifischeTrainingsmaßnahmen für ältere Kraftfahrer sollten aufdie Sensibilisierung für Risiken ausgehend von Neben-wegen vor und im Kreuzungsbereich mit einem entspre-chenden Blickverhaltenstraining ausgerichtet sein. Kon-krete Anforderungen der „Informationssammelstrategie“

(z. B. Blickzuwendungsfrequenz) oder der Geschwindig-keitswahl beim Abbiegen sollten entsprechende Trai-ningsmodule darstellen.

Infrastrukturelle Verbesserungen beziehen sich auf dieVerfügbarkeit von klar erkennbaren Haltelinien für Abbie-gevorgänge in Kreuzungsbereichen. Auch konventionelleLösungen wie der Anbau von Spiegeln zur erweiterten Be-obachtungsmöglichkeit bei Abbiegevorgängen nachrechts (bessere Erkennung von Radfahrern, die sich vonhinten nähern) können ein „Übersehen“ verhindern.

Die häufigsten Unfalltypen auf gerader Strecke sind Konflik-te mit überschreitenden Fußgängern von links (24 %) undvon rechts (15 %), wobei wiederum die mangelnde Informa-tionsaufnahme die größte Rolle spielt. Die Kombination vonFußgängererkennung über z. B. kamera- oder radarbasierteSysteme mit einem eingreifenden Bremsassistenten kannhier Abhilfe schaffen. Da bei derartigen Verkehrskonfliktenauch das Problem einer Ablenkung des Fahrers betroffen ist,sollten Möglichkeiten der Fahrerzustandserkennung (wiekamerabasierte Erfassung von Blickabwendungen) reali-siert werden. Trainingsmaßnahmen für ältere Fahrer solltenein spezifisches Modul „Umgang mit und Verhinderung vonAblenkungen“ berücksichtigen.

Innovative technische Entwicklungen gehen in Richtungeiner Fußgängerabsichtserkennung über Kamerasystememit Berechnung einer Wahrscheinlichkeit für die Fußgän-gertraverse.

Literatur

Johannsen, H., Müller, G. (2013): Anpassung von Kraftfahrzeugen andie Anforderungen älterer Menschen auf Basis von Unfalldaten. In:Schlag, B., Beckmann, K. J. (Hrsg.): Mobilität und demografischeEntwicklung. Eugen-Otto-Butz-Stiftung, TÜV Media GmbH, Köln.

Otte, D., Pund, B., Jänsch, M. (2009): Unfallursachen-Analyse ACASSfür Erhebungen am Unfallort. In: Zeitschrift für Verkehrssicherheit 3,122–128.

Fachvorträge 47

Abb. 4: Verteilung menschlicher Ursachen bei Abbiegeunfällen(Pkw-Fahrer 65+)

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Fachvorträge

1 Einleitung

In der richterlichen Beweiswürdigung spielen Zeugenaus-sagen eine wichtige Rolle. In der Praxis zeigt sich, dassdasselbe Ereignis aber oft von verschiedenen Beteiligtenunterschiedlich wahrgenommen und wiedergegebenwird. Der Beitrag beschäftigt sich mit der der Zeugenaus-sage zugrunde liegenden Wahrnehmung sowie den darinbegründeten möglichen Fehlerquellen, welche wiederumzu potenziellen Mängeln in der Zeugenaussage führen. Eswird des Weiteren der Frage nachgegangen, wie man dieGlaubwürdigkeit einer Aussage objektivieren kann, wobeizwischen verhaltensbasierter und inhaltlicher Glaubwür-digkeitsdiagnostik differenziert wird.

Den Autoren ist es wichtig zu zeigen, dass man auf bestimm-te Verzerrungen Einfluss nehmen kann, z. B. durch die Frage-technik, auf andere dagegen nicht, z. B. unterbrochene Ge-dächtnisprozesse aufgrund von Schock und Trauma. Auf Ba-sis dieses Wissens kann im ersten Fall die Qualität der Zeu-genaussagen, im zweiten die Qualität ihrer Interpretationund damit insgesamt die Grundlage für die richterliche Be-weiswürdigung optimiert werden. Da die Analyse von Stra-ßenverkehrsunfällen hauptsächlich rekonstruktiv erfolgt,wobei Aussagen von Zeugen und Beteiligten einen wesentli-chen Beitrag liefern, ist es notwendig, sich mit diesem Themaintensiv auseinanderzusetzen und die zur Anwendung kom-menden Methoden der Befragung und Interpretation auf wis-senschaftlicher sowie professioneller Basis zu verbessern.

2 Was ist Wahrnehmung?

Wahrnehmung ist laut Goldstein (2014) eine bewusstesensorische Erfahrung, der im Wahrnehmungsprozess diezusätzlichen Schritte erkennen (z. B. „Das ist ein Auto.“)und handeln (z. B. Kopfdrehung oder Augenzuwendung)folgen. Der dynamische Wahrnehmungsprozess ist stän-digen Veränderungen unterworfen. Wahrnehmung istsehr stark individuell gefärbt. Sie hängt von biologischenFaktoren wie der Leistungsfähigkeit der Sinnesorganeoder dem Stoffwechsel ab. Auch psychologische Faktorenwie z. B. Gedächtnisfähigkeit, Erwartungen, Einstellun-gen, Erfahrungen und Interesse haben einen großen Ein-fluss auf diese. Neben den biologischen und psychologi-schen Faktoren bestimmen auch sonstige Einflüsse wieUmweltgegebenheiten (z. B. Wetter) oder Alkohol-, Dro-gen- oder Medikamenteneinfluss die Wahrnehmung.

2. 1 Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und Auf-merksamkeit

Aufmerksamkeit ist notwendig für Wahrnehmung, wennman nicht nur ein allgemeines Bewusstsein für eine Situa-tion braucht, sondern konkrete Details einer Szenerie er-fassen möchte. Aufmerksamkeit ist somit die Zuweisungvon (beschränkten) Bewusstseinsressourcen auf Bewusst-seinsinhalte wie beispielsweise auf Wahrnehmungen derUmwelt oder des eigenen Verhaltens und Handelns sowieGedanken und Gefühle (Bleuler, 1916). Bereits Posner etal. (1980, zitiert nach Goldstein, 2014) gelang mit ihrem so-genannten Hinweisreizverfahren der Nachweis, dass Infor-mationsverarbeitung durch gezielte Aufmerksamkeitszu-wendung effizienter und besser abläuft. Um eine Szene alsGanzes grob wahrnehmen zu können, braucht es aller-dings keine fokussierte Aufmerksamkeit (vgl. z. B. Reddyet al., 2004 oder Fei Fei Li et al., 2002). Wenn wir eine Stra-ße entlangspazieren, fallen uns Dinge, denen wir Aufmerk-samkeit schenken (z. B. die Tatsache, dass alle anderenFußgänger aufgrund des bedeckten Wetters einen Regen-schirm bei sich tragen und man selber nicht) viel stärkerauf als andere Gegebenheiten. Worauf wir unsere Auf-merksamkeit bevorzugt richten, hängt neben individuellenEinstellungen und Interessen (siehe psychologische Ein-flussfaktoren auf die Wahrnehmung oben) auch von denfolgenden, im SEEV-Modell von Wickens, Horrey, 2008, zu-sammengefassten vier Faktoren ab. Der Reiz muss im Sin-ne von Hervorhebung (Salience) neu und/oder überra-schend sein. Wesentlich für eine Aufmerksamkeitszuwen-dung ist auch der damit verbundene Aufwand (Effort). Wieviel Anstrengung kostet es mich, trotz Müdigkeit und Kopf-schmerz meinen Blick dorthin zu wenden? Erwartung (Ex-pectancy) steuert ebenfalls die Aufmerksamkeitszuwen-dung. Wird eine bestimmte Information an einer bestimm-ten Stelle erwartet? An letzter und vierter Stelle im SEEV-Modell steht die Bedeutung (Value) eines Reizes. Wiewichtig ist eine bestimmte Information für mich? WelcheKonsequenzen gibt es, wenn ich diese nicht wahrnehme?

Selektive Aufmerksamkeit und somit die Tatsache, dasswir unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge fokussie-ren, während wir andere ignorieren, bewahrt unser visuel-les System vor Überlastung. Wir verarbeiten und analysie-ren nur einen geringen Teil der wahrnehmbaren Informa-tionen. Ein in diesem Zusammenhang im Straßenverkehrmitunter gefährliches Phänomen ist die sog. „inattentional

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Wahrnehmung, ihre Zuverlässigkeit und

Implikationen für die Gutachtertätigkeit

nach Verkehrsunfällen

Ralf Risser, Bettina Schützhofer

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blindness“. Wenn die Aufmerksamkeit selektiv auf be-stimmte Inhalte fokussiert ist, kann es vorkommen, dassselbst bedeutsame Veränderungen im Umfeld nicht wahr-genommen werden, weil sie nicht im Aufmerksamkeitsfo-kus stehen. Scholl et al. (2003) konnten dieses Wahrneh-mungsphänomen im Zusammenhang mit Mobiltelefonienachweisen. 30 % der Studienteilnehmer registrierten einObjekt nicht, obwohl sich dieses durchaus im Fokus ihresAuges befand, weil ihre Aufmerksamkeit selektiv auf denGesprächspartner nach innen gerichtet war.

2.2 Wahrnehmungsprobleme

An dieser Stelle wird beispielhaft auf einige die Wahrneh-mung beeinflussende Faktoren eingegangen.

2.2.1 Entwicklungspsychologische Besonderheiten

Wahrnehmung hängt, wie weiter oben bereits ausgeführt,von biologischen Faktoren wie der Leistungsfähigkeit derSinnesorgane ab. Die Leistungsfähigkeit derselben entwi-ckelt sich bei Kindern bis ca. 14/15 Jahre und nimmt mit fort-geschrittenem Alter wieder ab. Das Wissen um diese ent-wicklungspsychologischen Besonderheiten ist sowohl fürdie Befragung als auch für die Wertung in Bezug auf Aussa-getüchtigkeit und richterliche Beweiswürdigung wichtig.Den Einfluss von Körpergröße und Gesichts- und Blickfeldveranschaulicht Abbildung 1. Diese zeigt ein Bild von einemVater, welcher mit seiner 6-jährigen Tochter am Schutzweg

eine Straße überqueren möchte (Verkehrssituation). In Ab-bildung 2 wird verdeutlicht, wie das Kind die Verkehrssitua-tion wahrnimmt und wie der Vater. Während der Erwachseneeinen guten Überblick über die Situation hat, sieht das Kindaufgrund seiner Köpergröße gerade einmal das Knie des Va-ters sowie die Stange des Verkehrszeichens und hat keineÜbersicht über die Verkehrssituation. Erschwerend für dieÜberblicksgewinnung ist neben dem niedrigeren Blick-standort, welcher bei 6-jährigen Kindern durchschnittlich110 cm beträgt (die durchschnittliche Pkw-Höhe liegt bei ca.130 cm), das noch eingeschränkte periphere Sehen. Im Ge-gensatz zum Vater, welchem ein Gesichtsfeld von durch-schnittlich 180˚ zur Verfügung steht, überblickt die 6-Jährigeerst rund 110˚. Dies bedingt, dass sich von der Seite nähern-de Radfahrer, Autos etc. lange außerhalb des Gesichtsfeldsbefinden und erst spät wahrgenommen werden können.

In Abbildung 3 wird beispielhaft auf den Entwicklungsver-lauf von einigen für das Sehen wichtigen Aspekten wie Ak-kommodationsfähigkeit, perspektivische Tiefenwahrneh-mung und peripheres Sehen eingegangen. Analoges giltfür das Hören oder psychomotorische Fähigkeiten wiezum Beispiel das Reaktionsvermögen.

Die dargestellten entwicklungspsychologischen Befundehaben wichtige Implikationen. Die reduzierte Akkommo-dationsfähigkeit bedingt ein sogenanntes „Kontrastse-hen“. Darunter versteht man, dass die Schnelligkeit einessich bewegenden Fahrzeugs nur im Vergleich mit demHintergrund bestimmt werden kann, was in seitwärtigerBewegungsrichtung besser gelingt als in frontaler. Die zu-sätzlich bis zum 9. Lebensjahr noch nicht vollständig ent-wickelte perspektivische Tiefenwahrnehmung führt dazu,dass Kinder bis zu diesem Alter größere Autos als näherund schneller einschätzen als kleinere. Auch wird helle-res, weißliches Licht als näher wahrgenommen als dunk-leres farbiges; dies impliziert, dass sowohl gelbe Schein-werfer (häufig bei französischen Automarken) als auchAutos mit Abblendlicht bei gleicher Distanz als weiter wegeingeschätzt werden. Es sind somit massive Schwierigkei-ten bei der realistischen Einschätzung von Geschwindig-keiten, Entfernungen und Distanzen zu attestieren.

Durch die altersbedingte Abnahme der Leistungsfähigkeitder Sinnesorgane ergeben sich zum Teil analoge Proble-

Fachvorträge 49

Abb. 1: Verkehrssituation

Abb. 2: Gegenüberstellung: Verkehrssituation aus Sicht des Kindes und aus Sicht des Vaters

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me mit der Aussagetüchtigkeit. So können z. B. Seniorendurch ein wie bei Kindern wieder reduziertes Gesichts-und Blickfeld unter Umständen für eine Unfallrekonstruk-tion wichtige Dinge nicht berichten, weil diese sich nichtim wahrnehmbaren Blickfeld befanden. Wenn das nutzba-re Sehfeld eingeschränkt ist, können des Weiteren hoheGeschwindigkeiten nicht mehr gut wahrgenommen wer-den. Die sich verringernde Akkommodationsfähigkeitgeht auch mit verlangsamten Blickwechseln einher (vgl.Cohen, 2008).

2.2.2 Stress und starke emotionale Erregung

Trauma, Stress oder starke emotionale Erregung könnendas Abspeichern und somit auch das Erinnern von belasten-den Ereignissen beeinflussen. Weiß der Sachverständigeoder Befrager dies nicht, kann er das Unvermögen des Zeu-gen, auf gezielte Frage zu Randdetails oder zum Ablauf desUnfalls zu antworten, auch falsch interpretieren und bewer-ten. Im Allgemeinen wird der Grund für eine emotionale Er-regung elaborierter verarbeitet und damit besser gemerktals „nebensächlichere“ Details, man spricht von einem so-genannten „tunnel memory“ (vgl. z. B. Safer et al., 1998).Opfer mit akuter Posttraumatischer Belastungsstörung(PTSD) haben einen Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbiasin Bezug auf Details, die mit dem Trauma in Verbindung ste-hen (vgl. z. B. Paunovic et al., 2002). Studien zeigen, dassstressbedingte hohe Corstisolausschüttung Gedächtnispro-zesse für neutrale Informationen (im Allgemeinen Randde-tails) unterbricht, während emotionale Inhalte hingegen gutabgespeichert werden (vgl. dazu z. B. Payne et al., 2006).

Die meisten der oben diskutierten Aspekte haben Auswir-kungen auf die Aussagetüchtigkeit einer Person, auf wel-che unter Abschnitt 5 näher eingegangen wird.

3 Gruppenspezifische Eigenschaften und diedaraus resultierenden Probleme hinsichtlichder Aussagetüchtigkeit

Die Gruppe der Unfallbeteiligten und Zeugen ist sehr he-terogen. Es gibt Unfallbeteiligte und Zeugen, deren Aus-sagetüchtigkeit eingeschränkt ist, weil sie unter Schockstehen und emotional sehr betroffen sind, weinen etc.(vgl. dazu auch Abschnitt 2.2.2). Manche sind aber aucheinfach nur ängstlich, fühlen sich durch die Polizeiuniformverunsichert, den Fragestil oder die räumliche Umgebungauf dem Polizeikommissariat. Die rhetorischen Fähigkei-

ten und verbalen Kompetenzen sowie bei Nichtmutter-sprachlichkeit das Sprachverständnis eines Unfallbetei-ligten oder Zeugen können ebenfalls massiven Einfluss ei-nerseits auf die Qualität der Zeugenaussagen und ande-rerseits die Bewertung derselben nehmen.

Den eben angeführten möglichen Einschränkungen in derAussagetüchtigkeit eines Zeugen oder Unfallbeteiligtenkann durch gezielte Schulung der Befrager in Bezug auf z. B.Auswirkungen von Schock/Trauma auf das Gedächtnis oderGesprächsführung/Fragetechniken/Beziehungsaufbaubzw. das Beiziehen eines qualifizierten Dolmetschers gutbegegnet werden (vgl. dazu auch Abschnitt 6).

Schwieriger wird es mit verhaltenen Zeugen, welche auchnicht immer einfach von ängstlichen unterscheidbar sind.Verhaltene Zeugen geben sich zurückhaltend oder verstört,weil sie gewisse Inhalte verschweigen wollen bzw. kein In-teresse daran haben, dass der Unfallhergang richtig rekon-struiert werden kann. Sie wollen, dass ihr Anteil an der Un-fallverursachung durch z. B. Medikamentenbeeinträchti-gung oder Unaufmerksamkeit durch das Ausführen von Ne-bentätigkeiten während des Fahrens nicht ans Lichtkommt. Ähnlich verhält es sich mit befangenen Zeugen,welche in einem Naheverhältnis zu einem Unfallbeteiligtenstehen und diesen z. B. vor weiterer strafrechtlicher Verfol-gung oder anderen negativen Konsequenzen schützen wol-len und sich deshalb in ihren Zeugenberichten sehr zurück-haltend und bedeckt geben. Manchmal gibt es auch über-motivierte Zeugen, die meinen, etwas gesehen zu habenund dies sehr ausgeschmückt berichten, obwohl sie diestatsächlich gar nicht wahrgenommen haben, sondern erstdurch den gehörten Knall auf den Unfall aufmerksam wur-den und sich den Unfallhergang dann aufgrund der danachbeobachteten Details und Spuren rekonstruiert haben.

Der Wunschzeuge ist zu 100 Prozent aussagetüchtig undmotiviert, seine Erinnerungen an den Unfallhergang unddas, was er wahrgenommen hat, verständlich und wahr-heitsgemäß wiederzugeben. Sachverständige, Polizistenund Juristen sind in ihrem Alltag jedoch mit unterschiedli-chen Abweichungsgraden von diesem Optimalzustandkonfrontiert. Die wichtigste Frage, die sich Befrager bei ei-nem Zeugen immer stellen sollten, lautet: Was ist die Mo-tivation für eine Aussage oder Nicht-Aussage? Vor demHintergrund derselben können eventuelle Missinterpreta-tionen der erhaltenen Zeugenaussagen unter Umständenvermieden werden.

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Abb. 3: Gegenüberstellung des Entwicklungsver-laufs einiger für das Sehen wichtiger As-pekte bei Kinder und Senioren

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4 Bedeutung von (Zeugen-)Aussagen aus ver-kehrspsychologischer Sicht

In der forensischen Psychologie haben psychologischeÜberlegungen zur Zeugenaussage eine lange Tradition, inder Verkehrspsychologie wurde erst jüngst der Fokus aufdiesen Bereich gelegt.

Zeugenaussagen und Aussagen Beteiligter spielen jedocheine wesentliche Rolle bei der Analyse von Verkehrsunfäl-len und der Erforschung ihrer Ursachen. Es ist von großerRelevanz, wie zuverlässig diese Aussagen sind. In Helsin-ki (Pasanen, 1992) wurden über einen längeren ZeitraumUnfälle über Video aufgezeichnet und mit den Aussagenvon Zeugen und Beteiligten verglichen. Dabei zeigten sichdeutliche Unterschiede zu üblichen, bei Rekonstruktio-nen erhaltenen Bildern. Die einen Verkehrsunfall aufneh-menden Polizisten sind nur sehr selten direkte Augenzeu-gen des Unfalls. Sie kommen im Allgemeinen zum Unfall-ort, wenn alles vorbei ist und versuchen, aus Bodenspu-ren, der Art und dem Zerstörungsgrad der Fahrzeuge so-wie aus den Verletzungsmustern der Beteiligten den Her-gang zu rekonstruieren. Wie zuverlässig sind aber Aussa-gen, welche der Rekonstruktion des Unfallhergangs zu-grunde liegen?

Einschätzen zu können, wie sehr man sich auf Aussagenverlassen kann, bzw. zu wissen, wo Fehlerquellen bei derInterpretation von Aussagen liegen, ist natürlich auch imZusammenhang mit der verkehrspsychologischen Explo-ration von Bedeutung.

5 Wahrnehmungsprobleme aufgrund von„Nicht-Können“

Strigl (1996) sieht die mangelnde Zuverlässigkeit von Zeu-gen- und Beteiligtenaussagen in folgenden psychischenProzessen: a) Fehler in der Wahrnehmung, b) Fehler beimEinprägen, c) Fehler beim Behalten und d) Fehler bei derWiedergabe.

ad a) Wie schon weiter vorne dargestellt, erfolgt die Wahr-nehmung nicht in einer Art fotografischer Aufnahme, son-dern stellt einen konstruktiven Prozess dar. Die eintref-fenden Reize und Empfindungen werden mit gespeicher-ten Erinnerungen verglichen und zugeordnet. Fehlen guteErinnerungen, um eine Empfindung zu identifizieren, sowird diese der am ähnlichsten erscheinenden zugeordnet.Daraus können aber falsche Erwartungen entstehen. Indie Wahrnehmung als Fehler gehen auch Begrenzungendes Sinnesapparats wie z. B. seitliche Begrenzung derSicht sowie blinder Fleck und Fehler beim Schätzen vonEntfernungen sowie Geschwindigkeiten ein. Einstellungund Motivation sowie Vorurteile beeinflussen, wie bereitserwähnt, die Wahrnehmung ebenfalls. Beispiel: Bei einemExperiment sollten Lehrer Fehler bei Schülern entdecken,die hinter einem Vorhang ein Gedicht vortrugen. Bei denals guten Schülern vorgestellten Kandidaten fanden sieweniger Fehler als bei den Schülern, die als schlechteSchüler bezeichnet wurden. Objektiv machten aber allevorlesenden Schüler gleich viele Fehler, weil die Fehler in

den Text eingebaut waren.

ad b) Die wichtigsten Variablen beim Einprägen sind dieHäufigkeit, in der ein Inhalt dargeboten wird, und das Be-stehen eines Sinnzusammenhangs zwischen den Inhal-ten. Bei der Beobachtung von Verkehrsunfällen ist immernur eine einmalige Darbietung gegeben. Die Dauer derBeobachtung ist meist sehr kurz, und der Krach der Kolli-sion führt zu einer starken emotionalen Erregung. Daswieder führt zu Störungen der Einprägung. Die Beobach-tung des Unfallereignisses war zudem fast nie intentional,das heißt, man war mit ganz anderen Dingen beschäftigt.Darüber hinaus ist ein Sinnzusammenhang oft nicht gege-ben, weil man nur Bruchstücke wahrgenommen hat unddie Aufmerksamkeit erst durch den Lärm auf das Unfaller-gebnis gerichtet wird. Den Unfallhergang selbst hat manaber eigentlich gar nicht beobachtet. In solchen Situatio-nen haben Zeugen oft die Überzeugung, dass ihre Wahr-nehmung richtig sei, aber sie beschwören unter Umstän-den einen Sachverhalt, den sie gar nicht wirklich wahrge-nommen haben (können).

ad c) Die Vergessenskurve von Ebbinghaus, inzwischen invielen Experimenten bestätigt, zeigt, dass gelerntes Ma-terial rasch vergessen wird. Mit dem Verlauf der Zeit flachtaber die Vergessenskurve deutlich ab. Das heißt: Wasnach vier Wochen noch behalten wird, bleibt lange beste-hen. Einer der wichtigsten Störfaktoren ist somit der zeit-liche Abstand zwischen dem Einprägen und der Aussage.Ein weiterer stellt die Überlagerung der eingespeichertenInformation durch neue Informationen dar. Zeugenaussa-gen werden oft erst Monate nach dem Unfallereignis ab-gegeben. In dieser Zeit wird eine Fülle von neuen Informa-tionen aufgenommen. Insbesondere jene, welche mit demuntersuchten Ereignis in Verbindung stehen, beeinflussendie spätere Zeugenaussage. Auf diese Weise werden dieAussagen mit der allgemeinen Meinung „harmonisiert“.Auch Überlegungen, wie man sich selber besser darstel-len kann, können hier einfließen. Es ist daher für dieBrauchbarkeit von Unfallberichten nicht unwichtig, dassdiese unmittelbar nach dem Ereignis aufgenommen wer-den. Der Mensch ist kein genauer Chronist der Ereignisse,sondern eher der Autor eines Drehbuchs. Nicht nur unge-schulte Zeugen unterliegen diesem experimenter bias,sondern auch geschulte Beobachter und Wissenschaftler.Die Erwartung des Versuchsleiters hat Einfluss auf seineWahrnehmung und Interpretation.

ad d) Die Zeugenaussage wird sehr stark von der Frage-form beeinflusst. Die freie Nacherzählung zeigt wenigerFehler, aber auch eine geringere Vollständigkeit als direk-te Frageformen. Kleine Unterschiede wie „Sahen Sie ei-nen kaputten Scheinwerfer?“ oder „Sahen Sie den kaput-ten Scheinwerfer?“ führen zu unterschiedlichen Antwor-ten. Zeugen, denen Fragen mit dem bestimmten Artikelgestellt wurden, erklärten signifikant häufiger, den Ge-genstand gesehen zu haben. Bei der Beurteilung der Fahr-geschwindigkeit werden höhere Werte angegeben, wennman statt „zusammenstoßen“ „aufeinanderprallen“ ver-wendet. Merkmale ähnlicher Beobachtungen, selbst ausdem Fernsehen, fließen in die spätere Erinnerung ein.

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Selbst frühere eigene Aussagen beeinflussen die spätereAussage. Die Wiederholungen erfolgen nicht als exakteKopien, sondern unterliegen Veränderungen durch die et-was veränderte Sicht des Zeugen. Die zweite Aussage isteine uminterpretierte Kopie der ersten Aussage („Stille-Post-Effekt“) (Schützenhöfer, 2009; Hölzl et al., 2002).

Unter welchen Umständen kann man auf die Richtigkeit ei-ner Aussage vertrauen? Arntzen (2007) zeigt, dass Aussa-gen durch Interessen gesteuert werden. SystematischeVerfälschungen der Erinnerung sind somit durch psycholo-gische Gesetzmäßigkeiten bedingt. Sie können in allenPhasen auftreten, sowohl beim Wahrnehmen und Erkennenals auch beim Abspeichern und Wiedergeben, und sie kön-nen physiologischer als auch motivationaler Natur sein.

6 Vorgehensweise(n) um (richtige) Wiedergabevon Wahrnehmungsinhalten zu unterstützenunter Berücksichtigung der Fehlerquellen

6.1 Angemessene Gesprächsführung

Die Exploration des Zeugen sollte seinen Erinnerungspro-zess fördern, ohne ihn durch suggestive Fragen oder in-haltliche Vorgaben zu beeinflussen. Eine Exploration ist„das Erkunden bestimmter Sachverhalte und Stimmun-gen mittels qualifizierter Gesprächsführung“: Wie bereitsausgeführt, wird die Zeugenaussage von der Frageformbeeinflusst. So führt die Möglichkeit der freien Nacher-zählung ohne gezieltes Nachfragen durch den Befrager ei-nerseits zu weniger Fehlern, andererseits aber auch zu ei-ner geringeren Vollständigkeit als direkte Frageformen.Gibt man einem Zeugen durch das Stellen von geschlos-senen Fragen nur die Möglichkeit, diese zu bejahen oderzu verneinen, fehlt auch die Basis für die Überprüfung derinhaltlichen Qualitätskriterien einer Aussage. Empfeh-lenswert ist somit, als ersten Schritt zu versuchen, einenmöglichst zusammenhängenden Bericht vom Zeugen zuerhalten. Die folgenden Fragen sollten in Anwendung derTrichtertechnik zunächst so offen wie möglich sein underst mit der Zeit spezifischer werden.

Es empfiehlt sich ein halbstrukturiertes Vorgehen, das zu-nächst ein offenes Berichten ermöglicht. Nach der freienSchilderung des Zeugen kann zur strukturierten Befra-gung im Sinne der Trichtertechnik übergegangen werden.Mithilfe derselben können die erhaltenen Informationenpräzisiert und ergänzt werden. Wichtig ist hier, dass derBefrager an der konkreten Erlebniswelt des Zeugen an-knüpft. Hilfreich ist ebenfalls, zur Absicherung des Ver-ständnisses auf Zusammenfassungen und Überleitungenzwischen den Frage- bzw. Themenblöcken zu achten.

6.2 Herstellung eines guten Gesprächsklimas

Bevor mit der Exploration gestartet wird, gilt es, Folgen-des zu beachten: Es ist eine tragfähige Beziehung aufzu-bauen und für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen.Hilfreich dafür sind sogenannte Eisbrecherfragen, wie Fra-gen nach dem Weg zur Befragung oder zum Wetter. Esempfiehlt sich auch, mit einfachen Fragen zu beginnen, z. B.

nach soziodemografischen Daten. Dabei sollte man natür-lich korrekt über Zweck und Protokollierung des Ge-sprächs informieren. Worum es geht, ist aber, dass manalles, was für den Zeugen belastend ist, in die Mitte desGesprächs schiebt. (Auch wenn das für die Verlässlichkeitder Aussagen eine geringere Rolle spielt: Im Interesse desKlienten gilt es, einen guten Gesprächsabschluss zu fin-den, von schwierigeren und von belastenden Inhaltenwieder zu unverfänglichen Themen zu kommen, um inentspannte(re)m Klima auseinanderzugehen.) Die obers-te Prämisse im Zusammenhang mit der Verlässlichkeitvon Aussagen ist jedenfalls die Vermeidung von psy-chischem Stress für den Zeugen.

7 Erkennen von Hinweisen für Glaubwürdigkeit

Glaubhaftigkeitskriterien, die sich aus dem Aussageinhaltergeben, sind Detaillierung und inhaltliche Beschreibungwie Schilderung eigenpsychischer Vorgänge (Angst, Arg-wohn, Enttäuschung etc.), phänomengebundene Schilde-rungen (der Zeuge bringt Formulierungen, die von be-grenztem Überblick über die beobachteten Abläufe zeu-gen, die aber dennoch den sachlichen Gegebenheiten ge-recht werden) sowie ausgefallene, originelle Einzelheiten.Die Wiedergabe von Gesprächen aus unterschiedlichenRollen, Interaktionsschilderungen, negative Komplikati-onsketten, inhaltliche Verschachtelungen sowie vielfälti-ge Verflechtung des Aussageinhalts mit veränderlichenäußeren Umständen gehören dazu. Für die meisten Zeu-gen ist es unmöglich, eine Falschaussage mit zahlreichenEinzelheiten auszuschmücken. Vor allem wird es für denfalsch aussagenden Zeugen immer schwieriger, weitereübereinstimmende Details zu erfinden, je länger er be-richtet.

Zu den Glaubhaftigkeitskriterien, die sich aus dem Verlaufder Aussageentwicklung ergeben, gehört die relative Kon-stanz einer Aussage in zeitlich auseinander liegenden Be-fragungen. Alle Zeugenaussagen, welche auf Schätzun-gen beruhen, werden bei späteren Vernehmungen aller-dings selten übereinstimmend wiederholt. Höchste Ge-nauigkeit kann hier auf Einlernen hinweisen. Ferner solltesich eine sinnvolle Ergänzbarkeit einer Aussage bei nach-folgenden Befragungen ergeben, um scheinbare Wider-sprüche aufzuklären. Eine Aussage, die nachträglich aufunerwartete Fragen rasch ergänzt werden kann, sprichtspeziell gegen „eingeredete“ und „eingedrillte“ Falsch-aussagen.

Zu den Glaubhaftigkeitskriterien, die sich aus der Aussage-weise ergeben, gehört, paradoxerweise, die Inkohärenz:Charakteristisch für die inkohärente Aussageweise ist,dass Aussagen unzusammenhängend sprunghaft vorge-bracht werden. Die chronologische Reihenfolge ist gestört.Für den Außenstehenden ergibt sich aber schließlich dochein geschlossenes Bild, das frei von Unstimmigkeiten ist. Jegrößer die Anzahl der zunächst unverbundenen „Aussage-fetzen“ ist, die sich später zu einem geschlossenen Bild zu-sammenfügen, und je umfangreicher die gesamte Zeugen-aussage ist, umso höher ist die Qualität dieser Aussageei-genart, die zu einem besonderen Glaubhaftigkeitsmerkmal

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werden kann. Auch eine ungesteuerte Aussageweisespricht für Glaubwürdigkeit: Die Antworten kommen mit ei-ner dem individuellen psychomotorischen Tempo des Zeu-gen entsprechenden Promptheit, aber nicht voreilig.

Kriterien aus dem Motivationsumfeld der Aussage sindnatürlich ebenfalls zu beachten: Beziehung zu Interessen,Wünschen, Strebungen, Absichten und der jeweiligen Si-tuation des Zeugen müssen erschlossen werden. Waskann den Zeugen bewogen haben, eine glaubhafte Aussa-ge zu machen?

8 Zusammenfassung dessen, was uns wichtig ist

Wissen um Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits- und Ge-dächtnisphänomene sowie um verschiedene Zeugenty-pen ist ein wichtiger Ausgangspunkt dafür, was man voneinem bestimmten Zeugen oder Unfallbeteiligten erwar-ten kann und wann bzw. wie man ihn am besten befragt.Man kann Zeugen durch professionelle Gesprächsführungund Gesprächstechniken in ihrer Aussagetüchtigkeit imSinne einer Optimierung des Erinnerungsprozesses un-terstützen (vgl. Abschnitt 6). Bei der anschließenden Be-wertung der erhaltenen Inhalte ist es notwendig, Kenntnisvon Kriterien (sowohl auf inhaltlicher als auch auf Verhal-tensebene) zu haben, die für die Glaubwürdigkeit einerAussage sprechen.

Alle diese vier Ebenen sind wichtig, damit Aussagen vonihrer Richtigkeit, Wichtigkeit und Aussagekraft möglichstkorrekt eingeschätzt werden können und der Unfall gutrekonstruiert werden kann. Die Autoren sprechen sichaus diesem Grund für mehr Interdisziplinarität in demderzeit schwerpunktmäßig von technischen Sachverstän-digen betreuten Bereich der Verkehrsunfallrekonstrukti-on aus.

9 Worauf man sich in Zukunft konzentrierensollte – wo braucht es (mehr) Wissen (unddementsprechend Forschung

Ein ethisches Problem, welches man jedenfalls ausführ-lich diskutieren sollte, ist das Dilemma, dass man inmanchen Fällen eine gute Beziehung zum Befragten,bzw. ein gutes Gesprächsklima herstellt, um Antwortenzu bekommen, die man dann gegen den Probanden ver-wendet.

Wichtige Forschungsthemen für die Zukunft müssten sicheinerseits auf die Entwicklung guter theoretischer Model-le für „gute“ Befragungs- und Explorationsmethodennach Verkehrsunfällen und vor allem auf die inhaltlicheVorgehensweise konzentrieren. Solche Arbeiten wärenvielleicht keine wirkliche Innovation, vielmehr ginge eszunächst um eine Zusammenfassung existenten Wissensund darauf basierend eine Weiterentwicklung und Struk-turierung dieses Wissens. Andererseits sollten empiri-sche Studien zur Identifikation und Systematisierung vonWahrnehmungsfehlern geplant und durchgeführt werden.Denkbar wären etwa Projekte, in denen Versuchsperso-nen Videomaterial geboten wird, dessen Inhalte wieder-

gegeben werden sollen, wobei man die Methoden der Be-fragung variiert, um festzustellen, welche Vorgehensswei-se am effizientesten ist, bzw. welche Wahrnehmungsin-halte besser und welche schlechter rekonstruierbar sindund welchen (systematischen) Einfluss darauf die Frage-technik nimmt.

Literatur

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Bleuler, E. (1916): Lehrbuch der Psychiatrie. Berlin: Verlag von JuliusSpringer.

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Goldstein, E. B. (2008): Wahrnehmungspsychologie. 7. Auflage,Nachdruck 2014. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag.

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Payne, J. D., Jackson, E. D., Ryan, L., Hoscheidt, S., Jacobs, W. J., Na-del, L. (2006): The impact of stress on neutral and emotional aspectsof episodic memory. Memory, 2006, 14 (1), 1–16.

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Fachvorträge 53

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Fachvorträge

Ethylglukuronid (EtG) ist ein Stoffwechselprodukt desTrinkalkohols und wird seit mehreren Jahren im klini-schen, führerscheinrechtlichen und forensischen Settingals direkter Alkoholkonsummarker für die Abstinenzkon-trolle genutzt. Um Kenntnisse über die Limitationen derTestung mit diesem Alkoholkonsummarker zu erlangen,wurden und werden Untersuchungen zur Sensitivität undSpezifität durchgeführt. Diese schließen Versuche mitAufnahme kleinster Ethanolmengen und Studien an be-sonderen Probandenkollektiven ein.

Kleinste Alkoholmengen können auch durch den Konsumvon dem Namen nach alkoholfreien Getränken in den Körpergelangen. Die Obergrenze für „alkoholfreie“ Getränke (unterEinschluss alkoholfreien Biers) liegt nach der Verordnung1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rats bei1,2 Vol.-%; der Grenzwert für entsprechende „alkoholfreie“Getränke in Deutschland liegt bei 0,5 Vol.-%. Damit sind inDeutschland Ethanolmengen bis zu 4 g/l zulässig.

Im Gegensatz zu anderen Biersorten erfreut sich alkoholfrei-es Bier in Deutschland steigender Absatzzahlen. Vor demHintergrund des geringen Alkoholgehalts und der zuneh-menden Beliebtheit erwuchs die Frage, welche maximalenBlutalkoholkonzentrationen nach forciertem Konsum vonalkoholfreiem Bier erreicht werden können und ob sich da-raus negative Konsequenzen für Verkehrsteilnehmer, Pro-banden aus einem Alkoholabstinenz-Monitoringprogrammoder Schwangere sowie stillende Mütter ergeben.

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Trinkversuchedurchgeführt [1]. Zunächst waren 78 freiwillige Versuchs-teilnehmer aufgefordert, innerhalb einer Stunde 1,5 l alko-holfreies Bier mit einem Ethanolgehalt von 0,41–0,42 Vol.-% zu trinken. Es erfolgte damit eine Alkoholaufnahme inHöhe von 4,8–4,9 g. Vor Trinkbeginn wurde eine Nullblut-probe entnommen; weitere Blutentnahmen erfolgten 30,60, 75, 120 und 150 Minuten nach Trinkbeginn. Die Blut-proben wurden mit Headspace-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion (HS-GC-FID; Nachweisgren-ze 0,0005 g/l, entsprechend 0,0004 ‰; Bestimmungs-grenze 0,001 g/l, entsprechend 0,0008 ‰). Am Ende derVersuchsdurchführung lagen von 67 Teilnehmern (34 Män-ner, 33 Frauen, Alter 18–78 Jahre, mittleres Alter 29,2 Jahre,

Körpergewicht 48–116 kg, Median 68 kg, Körpergröße158–191 cm, Median 175 cm) vollständige Datensätze vor.Bei 20 Probanden war in mindestens einer Probe Alkoholnachweisbar. Sämtliche Ethanol-positiven Proben wurdenbis 75 Minuten nach Trinkbeginn gewonnen. Die höchstegemessene Serumkonzentration betrug 0,0069 g/l, ent-sprechend einer Blutalkoholkonzentration in Höhe von0,0056 ‰; diese wurde beim ältesten Versuchsteilneh-mer, einem 78-jährigen Mann (siehe unten) nachgewiesen.

Nach den Ergebnissen dieses Versuchs ergeben sich selbstbei forciertem Konsum von alkoholfreiem Bier keine negati-ven führerscheinrechtlichen Konsequenzen für Fahranfänger,die nach § 24c StVG mit einer „0,0 ‰-Grenze“ (bei einemanalytischen Grenzwert in Höhe von 0,20 ‰) belegt sind.

Ein gleichartiger Versuch wurde zur Frage der Auswirkun-gen eines Konsums alkoholfreien Biers auf die Milch stil-lender Mütter durchgeführt [2]. Im Unterschied zu obenbeschriebenem Versuch wurden nicht Blut-, sondern Mut-termilchproben auf Ethanol untersucht. 15 gesunde, stil-lende Mütter (Alter 18–46 Jahre, Median 32 Jahre; Körper-größe 152–180 cm, Median 167 cm; Körpergewicht44,5–78,5 kg, Median 70 kg; BMI 18,4–28,5, Median 23,4;Alter der Kinder 2–23 Wochen) nahmen an dem Versuchteil. Sämtliche Frauen gaben an, während der Schwanger-schaft und seit der Entbindung keinen Alkohol konsumiertzu haben. Bei im Übrigen gleichem Versuchsaufbau wur-den Muttermilchproben vor Trinkbeginn, am Ende derTrinkphase sowie 60 und 180 min nach Trinkende mit ei-ner elektronischen Milchpumpe gewonnen. Die Analyseauf Ethanol erfolgte wiederum mit HS-GC-FID (Nachweis-grenze 0,0006 g/l, Bestimmungsgrenze 0,001 g/l). Nur inzwei der insgesamt 105 Proben wurde Ethanol nachgewie-sen: bei einer Probandin in einer Konzentration von0,0021 g/l, bei einer anderen Probandin mit einer Ethanol-detektion oberhalb der Nachweisgrenze. Der quantitativeNachweis gelang bei der Probandin mit der kürzestenTrinkzeit. Beide Proben wurden unmittelbar nach Trinken-de gewonnen.

Eine größere Menge alkoholfreies Bier wurde eingesetzt,um die Risiken, die sich durch den Konsum alkoholfreienBiers für Teilnehmer eines Alkoholabstinenz-Monitoring-

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Dem Alkohol auf der Spur... – Nachweis von

Alkohol und Alkoholkonsummarkern nach

Aufnahme von Kleinstmengen und in

besonderen Kollektiven

Annette Thierauf-Emberger

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programms ergeben können, abzuschätzen [3]. Nach denaktuellen CTU-Kriterien wird EtG für die Abstinenzkontrol-le verwendet; der Grenzwert von EtG für die Abstinenz be-trägt 0,1 mg/l. Oftmals wird zusammen mit EtG ein weite-rer direkter Alkoholkonsummarker, Ethylsulfat (EtS) be-stimmt. Die Probanden unseres Versuchs waren aufgefor-dert, nach mindestens 5-tägiger Alkoholabstinenz und Ab-gabe einer Null-Urinprobe innerhalb einer Stunde 2,5 l al-koholfreien Biers zu trinken. Die Ethanolaufnahme betrugdabei 8–8,3 g. 4 gesunde Freiwillige nahmen an diesemVersuch teil (2 Männer, 2 Frauen, Alter 23–30 Jahre, Kör-pergewicht 54–91 kg). Über einen Zeitraum von 20 Stun-den nach Trinkbeginn wurden Urinproben gewonnen, diemittels LC-MS/MS auf EtG und EtS untersucht wurden. DieMarkerkonzentrationen wurden auf einen Kreatininwertvon 100 mg/dl normiert (EtG100, EtS100). Die maximalenEtG100-Konzentrationen bei diesem Versuch lagen zwischen0,49 und 1,18 mg/l; die maximalen EtS100-Konzentrationenreichten bis 0,9 mg/l. Bei einem Probanden war EtG100 noch20 Stunden nach Trinkbeginn qualitativ nachweisbar (Wert< Bestimmungsgrenze). Bei allen Probanden war derGrenzwert für EtG (0,1 mg/l) deutlich überschritten; beiProbenabgabe in zeitlicher Nähe zum Konsum größererMengen alkoholfreien Biers ist somit ein EtG-Nachweisoberhalb des Cut-offs möglich.

Zur selben Fragestellung wurden Trinkversuche mit klei-neren Alkoholmengen durchgeführt [4]. Nach wiederum

mindestens 5-tägiger Alkoholabstinenz tranken 12 Ver-suchsteilnehmer (5 Männer, 7 Frauen, Alter 20–43 Jahre)einen Schluck Sekt (33 ml, 11,5 Vol.-%, entsprechend 3 gEthanol). Über einen Zeitraum von 24 Stunden nach demTrinkereignis wurden Urinproben gewonnen. Die mittelsLC-MS/MS gemessenen maximalen normierten Konzen-trationen betrugen 0,14–1,53 mg/l für EtG und 0,09–1,17mg/l für EtS. Bei einem Probanden war EtG nicht nach-weisbar. Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, wurde auchbei dieser Untersuchung der Grenzwert der Alkoholabsti-nenz für EtG deutlich überschritten.

Aufgrund des Überschreitens des Cut-off-Werts bei einerAlkoholaufnahme in Höhe von 3 g wurde eine weitere Un-tersuchung mit einer Alkoholmenge von 1 g vorgenommen[4]. Nach mindestens 5-tägiger Alkoholabstinenz und einerNull-Urinprobe wurde der Alkohol entweder in Form von 11ml Sekt (11,5 Vol.-%) oder von 3,15 ml Whisky (40 Vol.-%)verabreicht. Für den Sekt-Versuch fanden sich 7 gesundeVersuchsteilnehmer (3 Männer, 4 Frauen, Alter 22–41 Jah-re); für den Whisky-Teil des Versuchs wurden 12 gesundeProbanden (4 Männer, 8 Frauen, Alter 19–42 Jahre) gewon-nen. In beiden Versuchsteilen wurden Urinproben über 24Stunden gewonnen, die – wie in den vorangegangenen Ver-suchen – mittels LC/MS-MS analysiert und auf den Kreati-ninwert normiert wurden. Nach dem Sektkonsum wurdenmaximale EtG100-Konzentrationen bis 0,25 mg/l und maxi-male EtS100-Konzentrationen bis 0,15 mg/l erreicht. Im Whis-ky-Teil des Versuchs wurden EtG100-Höchstwerte bis 0,32mg/l gemessen. Den Abbildungen 2 a und b ist zu entneh-men, dass auch nach Konsum dieser sehr geringen Alkohol-mengen bei Probengewinnung in zeitlicher Nähe zum Trink-ereignis ein Überschreiten des Grenzwerts möglich ist. Beivier Probanden aus beiden Versuchen wurde kein EtG nach-gewiesen.

In den meisten bislang durchgeführten Studien zu dem Al-koholkonsummarker EtG fielen einige Probanden (bis zu10 %) durch fehlende Bildung dieses Markers auf. Mit ei-ner Prävalenz von ca. 7 % liegt in der Bevölkerung eine an-geborene Stoffwechselanomalie, der Morbus Gilbert-Meulengracht, vor. Es handelt sich dabei um eine Gluku-ronidierungsstörung mit herabgesetzter Aktivität der Iso-form 1A1 der Uridindiphosphatglukuronosyltransferase

Fachvorträge 55

Abb. 1: EtG100-Konzentrationsverläufe der einzelnen Probandenüber die Zeit nach Aufnahme von 3 g Ethanol

Abb. 2a und b: EtG100-Konzentrationsverläufe bei den einzelnen Probanden über die Zeit nach Aufnahme von 1 g Ethanol in Form von a) Sekt oderb) Whisky.

Abb. 2a Abb. 2b

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Fachvorträge

(UGT) um bis zu 80 %. In den meisten Fällen verläuft die-se Stoffwechselstörung asymptomatisch; mögliche Sym-tome sind Ikterus und Erschöpfung.

Zur Klärung der Frage, ob diese Stoffwechselanomalie mitGlukuronidierungsstörung die Ursache für die Nicht-Nachweisbarkeit des Glukuronidierungsprodukts EtG dar-stellt, wurde eine Trinkstudie durchgeführt [5]. Initial nah-men 30 Probanden mit diagnostiziertem Morbus Gilbert-Meulengracht (18 Männer, 12 Frauen, Alter 18–71 Jahre) andem Versuch teil. Nach mindestens 2-tägiger Alkoholabs-tinenz und Abgabe einer Null-Urinprobe tranken die Ver-suchsteilnehmer 0,1 l Sekt (11,5 Vol.-%, entsprechend 9 gEthanol). Urinproben wurden ca. 3, 6, 12 und 24 Stundennach dem Trinkereignis gewonnen, auf EtG und EtS unter-sucht; die Ergebnisse wurden auf einen Kreatininwert von100 mg/dl normiert. Eine Person wurde aufgrund einerpositiven Ausgangsprobe ausgeschlossen. Ein weitererProband zeigte nach anfänglichem Alkoholkonsummar-kerabfall einen deutlichen Wiederanstieg, der auf einenneuerlichen Alkoholkonsum hinwies; auch dieser Pro-band wurde nicht in die Studienauswertung inkludiert. 28Probensets waren verwertbar. Bei sämtlichen Probandenwar EtG – wie üblich in etwas höheren Konzentrationen imVergleich zum EtS – nachweisbar. Die maximalen Konzen-trationen wiesen zu allen Probengewinnungszeitpunktendeutliche interindividuelle Unterschiede auf, die der Ta-belle 1a und b zu entnehmen sind. Da bei allen Testperso-nen EtG nachweisbar war, ergeben sich keine Hinweiseauf eine gestörte Bildung von EtG bei Personen mit derStoffwechselanomalie Morbus Gilbert-Meulengracht. DieNicht-Nachweisbarkeit von EtG bei einigen Probanden be-ruht also nicht auf dieser Glukuronidierungsstörung. EtGist damit auch bei Probanden mit Morbus Gilbert-Meulen-gracht ein geeigneter Marker für die Abstinenzkontrolle.Die Glukuronidierung des Ethanols geschieht bei den be-troffenen Personen durch andere Isoformen des Enzyms.

Zuletzt sollen noch Besonderheiten eines anderen speziel-len Kollektivs Erwähnung finden. Wie oben erwähnt, wurdedie höchste Blutalkoholkonzentration im Rahmen desTrinkversuchs mit alkoholfreiem Bier bei dem ältesten Ver-suchsteilnehmer nachgewiesen. Auch in einem anderenVersuch fiel der älteste Proband mit einer deutlich höherenAlkoholkonzentration auf. An dieser Studie nahmen 10 Frei-willige (5 Männer, 5 Frauen) im Alter zwischen 19 und 75Jahren (Durchschnittsalter 30,5 Jahre) teil. Angestrebt wur-de eine Blutalkoholkonzentration in Höhe von 1,2 ‰; diedafür erforderliche Trinkmenge wurde für jedes Individuumnach Widmark berechnet. Bei den 9 jüngeren Teilnehmernim Alter bis 31 Jahre lagen die gemessenen Maximalkon-zentrationen zwischen 0,99 und 1,41 ‰; der 75-jährige Pro-band baute hingegen eine maximale Blutalkoholkonzentra-tion in Höhe von 2,03 ‰ auf und zeigte Intoxikationser-scheinungen. Vorerkrankungen waren nicht bekannt; einVorkonsum war durch eine Nullprobe ausgeschlossen.

Innerhalb der Widmark-Formel, anhand derer die Trink-mengen berechnet wurden, ist die Abweichung am ehes-ten im Widmark-Faktor zu suchen. In der Literatur findensich Berichte zu einer Abnahme des Gesamtkörperwas-

sers bei älteren Menschen. Führt das solcherart herabge-setzte Verteilungsvolumen zu einer systematischen Fehl-berechnung nach Widmark? Um dieser Frage nachzuge-hen, wurde ein weiterer Trinkversuch durchgeführt [6].

An dieser Studie nahmen 51 Probanden (22 Frauen, 29 Män-ner) im Alter über 60 Jahre (61–84 Jahre, Durchschnitt 69,8Jahre) teil. Vor Versuchsbeginn waren die Teilnehmer zu ei-ner mindestens 2-tägigen Alkoholabstinenz aufgefordert,die durch eine Nullblutprobe überprüft wurde. Es erfolgte in-nerhalb einer halben Stunde der Konsum alkoholischer Ge-tränke in einer Menge, die nach der Widmark-Formel zu ei-ner Blutalkoholkonzentration in Höhe von 0,60 ‰ führensollte. Beginnend mit dem Trinkende wurden über 4,5 Stun-den in zunächst halbstündlichen, dann stündlichen Interval-len Blutentnahmen durchgeführt. Die Blutproben wurdenmittels HS-GC-FID auf Ethanol untersucht. Personen mit we-sentlichen Erkrankungen waren von der Teilnahme an derStudie ausgeschlossen; als Vorerkrankungen genannt wur-den: Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Diabetesmellitus, depressive Episoden und Hypercholesterinämie.

Die maximal erreichten Blutalkoholkonzentrationen vari-ierten zwischen 0,30 und 0,81 ‰. Da die Hypothese desgeringeren Verteilungsvolumens höhere Blutalkoholkon-zentrationen erwarten lässt (H1: µs > µ0, H0: µs=µ0), wur-de anhand des Wilcoxon-Tests die einseitige Fragestellungüberprüft, ob die ermittelten Blutalkoholkonzentrationensignifikant über dem Erwartungswert von 0,60 ‰ lagen.Für α=0,05 und α=0,1 wurde der kritische Wert für T nichtüberschritten, sodass H1 anzunehmen und von statistischsignifikant erhöhten Blutalkoholkonzentrationen bei älte-ren Menschen auszugehen ist. Die mittlere maximale Blut-alkoholkonzentration innerhalb des gesamten Versuchslag bei 0,63 ‰, für die über 70-Jährigen bei 0,66 ‰.

Literatur

[1] Thierauf, A., Große Perdekamp, M., Auwärter, V. (2012): MaximaleBlutalkoholkonzentrationen nach forciertem Konsum von alkohol-freiem Bier. Rechtsmedizin 22:244–247.

[2] Schneider, C. C.; Thierauf, A.; Kempf, J.; Auwärter, V. (2013): Etha-nol concentration in breast milk after the consumption of non-alco-holic beer. Breastfeed Med 8, 291–293.

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EtG100 [mg/l]

Min Max

3 h 0,58 18,43

6 h 0,67 13,8

12 h 0,08 3,39

24 h n. n. 0,53

EtS100 [mg/l]

Min Max

3 h 0,87 6,87

6 h 0,29 4,48

12 h n. n. 1,19

24 h n. n. 0,19

Tab. 1a und b: Maximale EtG100- und EtS100-Konzentrationen zu denunterschiedlichen Probengewinnungszeitpunkten (n. n.: nicht nachweisbar).

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[3] Thierauf, A., Gnann, H., Wohlfarth, A., Auwärter, V., Große Perde-kamp, M., Buttler, K. J., Wurst, F. M., Weinmann, W. (2010): Urine tes-ted positive for ethyl glucuronide and ethyl sulphate after the con-sumption of »non-alcoholic« beer. Forensic Sci Int 202, 82–85.

[4] Thierauf, A., Halter, C. C., Rana, S., Auwärter, V., Wohlfarth, A.,Wurst, F. M., Weinmann, W. (2009): Urine tested positive for ethyl glu-curonide after trace amounts of ethanol. Addiction 104, 2007–2012.

[5] Huppertz, L. M., Gunsilius, L., Lardi, C., Weinmann, W., Thierauf-Emberger, A.: Influence of Gilbert’s syndrome on the formation ofethyl glucuronide. Eingereicht zur Publikation.

[6] Bielefeld, L., Auwärter, V., Pollak, S., Thierauf-Emberger, A.: Diffe-rences between the measured blood ethanol concentrations and theestimated concentration by Widmark’s equation in elderly persons.Eingereicht zur Publikation.

Fachvorträge 57

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Fachvorträge

Einleitung

Inzwischen liegen 16 Jahre Erfahrung mit den gerichtsver-wertbaren AAK-Messungen im Ordnungswidrigkeitenrechtvor. Immer wieder, wie auch jetzt aktuell, werden Vorstößeunternommen, die AAK-Messungen auf das Strafrecht aus-zudehnen. Diese Situation bietet einerseits die Gelegen-heit zu einem Rückblick: Welche praktischen Probleme mitder AAK-Messung bestehen noch und wie könnten sie ggf.gelöst werden. Sie bietet andererseits jedoch auch dieNotwendigkeit, sich aus naturwissenschaftlicher Sicht mitder Zukunft einer eventuellen Einführung eines AAK-Grenzwerts ins Strafrecht zu beschäftigen. Unabhängigdavon, wie man dazu steht, könnte sie sich über kurz oderlang möglicherweise gar nicht verhindern lassen.

Praktische Probleme

In den ersten Jahren nach der Einführung waren die gut-achterlich zu bearbeitenden Zweifel an den AAK-Ergebnis-sen sehr vielgestaltig. Sie betrafen die apparativ-mess-technische Seite, die Durchführung der Messung und dieEinflüsse individueller oder situativer Besonderheiten.

Die apparativ-messtechnische Seite spielt zwischenzeit-lich kaum mehr eine Rolle. Es ist allgemein anerkannt,dass das Dräger Alkotest 7110 Evidential hinsichtlich Präzi-sion und Richtigkeit Ergebnisse liefern kann, die der foren-sischen Blutalkoholbestimmung vergleichbar sind. Daswird wohl in gleicher Weise auf das Nachfolgemodell zu-treffen. Ein gewisses Problem kann – zumindest bei demalten Gerät – die Eichfrist darstellen. Die wird von den Eich-ämtern noch unterschiedlich gehandhabt und von den Ge-richten unterschiedlich gewertet. Von Beginn an wurdedas Ende der Eichfrist des Geräts von den Eichämtern un-abhängig vom Tag der Eichung auf das Monatsende desletzten Eich-Monats festgesetzt. Das bedeutet, dass die ei-gentliche Eichfrist nicht nur 6 Monate, sondern im Extrem-fall knapp 7 Monate umfassen kann. Dies wurde von denGerichten teilweise gerügt, worauf die Eichämter größten-teils, aber eben nicht alle, zu einer tagesgenauen Angabedes Eichendes übergegangen sind. Die alten Evidential-Geräte sind aber noch so programmiert, dass auf demMessprotokoll nur der letzte Eichmonat, nicht der letzteEichtag angegeben ist, und dass die Messfunktion des Ge-räts erst am letzten Tag des entsprechenden Monats ge-sperrt wird. So sind Messungen möglich, die – in strengerAuslegung – außerhalb der Eichfrist liegen. Es steht zu hof-fen, dass diese Problematik im Nachfolgegerät durch eineentsprechende Änderung der Software gelöst ist.

Relativ still geworden ist es auch um die sog. Lebensakteder Geräte, die anfänglich von Verteidigern häufiger ange-

fragt wurde. Prinzipiell steht ein durchaus vernünftiger Ge-danke dahinter. Lebensakten werden bei Geräten geführt,bei denen die Anwender kleinere Wartungs- und Repara-turarbeiten selbst vornehmen können. Sie dienen demNachweis einer störungsfreien Funktion. Für das Evidentialist eine solche Lebensakte nicht erforderlich, da solcheEingriffe nicht möglich sind. Ohne Zweifel sind aber auchbei AAK-Messgeräten Funktionsstörungen möglich. Die In-nenministerien einiger Länder haben deshalb die Polizei-dienststellen zum Führen sog. Lastenhefte aufgefordert, indenen Besonderheiten und Unregelmäßigkeiten bei Mes-sungen, Wartungen und Nacheichungen dokumentiertwerden sollen (z. B. Innenministerium Baden-Württem-berg, 1999). In der Praxis ist es noch eher selten, dass einsolches Lastenheft vorgewiesen werden kann. Ist dies derFall, enthält es in der Regel keinen Eintrag. Das ist auchnicht zu erwarten, denn so grobe Funktionsstörungen,dass sie dem Bediener auffallen, dürften selten sein. Infor-mationen über feinere Funktionsstörungen, wie sie nur beider Wartung und Eichung zu entdecken sind, werden nichtgesammelt oder sind nicht zugänglich. Deshalb ist ein Las-tenheft in der bisherigen Form nicht ausreichend und soll-te zumindest auf Funktionsuntersuchungen vor der Na-cheichung erweitert werden.

Größere Bedeutung als den messtechnischen kommt aberden Problemen bei der Durchführung der Messung zu.Das Wissen der Polizeibeamten um die Funktionsweisedes Messgeräts und die Durchführung der Messung isthäufig ungenügend. Angesichts des Multiplikator-Sys-tems, mit dem die erforderliche Schulung organisiertwird, ist das nicht anders zu erwarten. Multiplikator-Sys-teme führen bekanntlich auf jeder Ebene der Wissenswei-tergabe zu erheblichen Verlusten. So klagen die Multipli-katoren gelegentlich auch offen darüber, dass sie nichtwissen, wie sie die vorgeschriebe eintägige Schulungzeitlich ausfüllen sollen.

Wie groß dieses Problem „Durchführungsfehler“ in derPraxis ist, haben Becker und Manthey (2010) in ihrem Be-richt aus Mecklenburg-Vorpommern eindrücklich gezeigt:Rund 20 bzw. 40 % Fehler bei der Wartezeit bzw. Kontroll-zeit, die „zu Verwertungsverboten geführt haben bzw. je-derzeit hätten dazu führen können.“ Da Einsprüche derBetroffenen eher selten sind, erfolgten und erfolgen wohlnoch immer rechtliche Konsequenzen, die eigentlich einerGrundlage entbehren. Die Höhe der Fehlerquote wird manallerdings etwas relativieren müssen. Sie bezieht auchfehlende oder ungenügende Dokumentationen ein, dienicht zwangsläufig auf eine fehlerhafte Durchführungrückschließen lassen. Ob die Erinnerung der durchführen-den Polizeibeamten ein Viertel- oder ein halbes Jahr spä-ter im Gerichtsverfahren angesichts der Vielzahl der zwi-

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AAK – Wissenschaft und Praxis

Hans-Theodor Haffner

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schenzeitlich bearbeiteten Fälle für den konkreten Einzel-fall noch so detailliert vorhanden ist, dass sich solche Do-kumentationslücken überzeugend schließen lassen,muss bezweifelt werden.

Aus gutachterlicher Praxis scheint aber das Problem derWarte- und Kontrollzeit – besser der Überwachungszeit –zwischenzeitlich zunehmend in den Hintergrund zu tre-ten; zumindest stellt es immer seltener die Fragestellungeines Gutachtenauftrags dar. Dagegen häufen sich inzwi-schen Fälle von falschen Alters- und Geschlechtsangaben,auf Tippfehler bei der Eingabe zurückzuführen. Dadurchkönnen die in der Geräte-Software verankerten Mechanis-men zur Kontrolle der erforderlichen Messvoraussetzun-gen ausgehebelt werden. Sie werden im Rahmen von Be-gutachtungen zu ganz anderen Fragestellungen häufigrein zufällig entdeckt und geben deshalb zu der Befürch-tung Anlass, dass hier eine nicht unerhebliche Dunkelzif-fer vorliegen könnte; im Untersuchungskollektiv von Be-cker und Manthey (2010) lag sie bei gut 2 %. Theoretischkann ein solcher Fehler in manchen Fällen nachträglichgeheilt werden, wenn das tatsächlich abgegebene Atem-volumen, das aus dem Messprotokoll zu ersehen ist, dasalters- und geschlechtsspezifisch erforderliche Mindest-Atemvolumen erreicht oder überschreitet. Zur Überprü-fung finden sich die Mindestanforderungen bei Lagois(2000a). Ein Messergebnis kann also trotzdem durchausrichtig sein; es handelt sich aber sicher nicht um ein ord-nungsgemäß zustande gekommenes Messergebnis. DieGerichte gehen mit dieser Problematik unterschiedlichum. Es kann aber in diesem Zusammenhang auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 1993 verwiesen werden, in dem –wenngleich in anderem Zusammenhang – der „… An-spruch, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Mess-daten verurteilt zu werden ...“, betont wird (BGH, 1993).

Fließend ist der Übergang zu den Einflüssen durch indivi-duelle oder situative Besonderheiten. In der Mehrzahlstehen sie nur im Zusammenhang mit Durchführungsfeh-lern zur Diskussion. In der Regel dreht es sich um die Auf-nahme nicht-alkoholhaltiger oder sogar alkoholhaltigerFremdsubstanzen in die Mundhöhle kurz vor oder sogarwährend der Messung, also, soweit solche Behauptungenals richtig unterstellt werden, um Mängel bei der Überwa-chung. Dass es sich ggf. in diesen Fällen ebenfalls umnicht ordnungsgemäß gewonnene Messdaten handelt,sei nur am Rande erwähnt.

Bislang sind keine nicht-alkoholhaltigen Substanzen be-kannt geworden, die bei ordnungsgemäßer Anwendungzu einer Verfälschung des Messergebnisses geführt hät-ten (Lagois, 2000b; Schmidt et al., 2000). Noch nicht ab-schließend geklärt ist die Frage, ob geringe Verfälschun-gen vorkommen können, wenn sich während der Proben-gabe eines Alkoholisierten eine Fremdsubstanz in derMundhöhle befindet. Im Rahmen einer Begutachtung wareinmal eine experimentelle Klärung der Frage in Auftraggegeben worden, inwieweit das unbemerkte LutschenvonTicTac und Fishermen‘s Friend eine Verfälschung desMessergebnisses herbeiführen kann. Dabei lagen dieMessergebnisse mit Fishermen’s Friend tatsächlich fast

alle knapp über den mathematisch berechneten Funktio-nen für die Erwartungswerte; die geringe Zahl der Proban-den erlaubte allerdings keine zuverlässige Signifikanz-prüfung (Haffner, unveröffentlicht). Die Abweichungenbewegten sich jedoch nur innerhalb der Messfehlerspan-ne des Evidential, was den Richter angesichts eines Mess-werts im zu beurteilenden Fall von über 0,3 mg/l zu einerVerurteilung veranlasste. Keine Berücksichtigung fanddabei allerdings der Hinweis im Gutachten, dass es sichbei derartigen sehr geringen, aber einseitig gerichtetenAbweichungen nicht um ein Problem der Präzision, son-dern um ein Problem der Richtigkeit einer Messung han-delt. Deshalb kann diese Argumentation zumindest beiMesswerten auf der gesetzlichen Grenze oder knapp da-rüber nicht angewendet werden.

Auch die Anwendung alkoholhaltiger Fremdsubstanzenwie bspw. Medikamenten- oder Mundhygienesprays istnicht ganz so unproblematisch, und das gilt nicht nur fürdie Überwachungszeit, sondern sogar knapp über dieWartezeit hinaus; sie kann somit auch bei ordnungsgemä-ßer Durchführung der Messung Bedeutung erlangen. Dietechnischen Sicherheitsvorkehrungen gegen den sog.Mundrestalkohol erfassen nur größere Abweichungen.Die Überhöhung durch Mundrestalkohol sinkt in Form ei-ner Exponential-Funktion ab, schmiegt sich in ihrem Aus-lauf asymptotisch der Abszisse an. Im Auslauf der Kurvesind also nur noch sehr kleine Abweichungen vorhanden.Gerade in diesem Bereich liegen aber die Verstöße gegendie Wartezeit, die ja in der Regel nicht um 10 oder 15 Minu-ten, sondern eher um 1 oder 2 Minuten verfehlt wird. Zu-dem haben Untersuchungen mit alkoholhaltigen Mund-spülmitteln oder Mundsprays ergeben, dass die asympto-tische Annäherung der Kurve in Einzelfällen länger als 20Minuten dauern kann, also fälschliche Überhöhungen ingeringem Umfang auch bei Einhaltung der Wartezeit vor-kommen können (Dettling et al., 2003). Die Lösung diesesProblems könnte in einer Verlängerung der Warte- undder Beobachtungszeit liegen.

Dass sich die Messergebnisse auch durch Hyper- und Hy-poventilation in gewissem Umfang beeinflussen lassen,ist nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen (Schuff etal., 2002). In der täglichen Routine scheint das keine gro-ße Rolle zu spielen.

AAK-Grenzwert im Strafrecht – wissenschaftlicheGrundlagen

Während die noch bestehenden praktischen Problemedurchaus beherrschbar sind, bedarf es hinsichtlich einerkünftig möglichen Anwendung der AAK-Messungen imStrafrecht noch einmal einer Beleuchtung der wissen-schaftlichen Grundlagen. Die Probleme sind dabei natür-lich grundsätzlich die gleichen wie im Ordnungswidrigkei-tenrecht. Sie wurden bei der Einführung des AAK-Gefah-rengrenzwerts keineswegs alle wissenschaftlich korrektgelöst. Stattdessen glaubte man, sie als marginal in Kaufnehmen zu können. Ggf. müsste man sich überlegen, obsie tatsächlich so marginal sind bzw. ob sie ggf. auch un-ter den höheren Ansprüchen noch tolerabel sind.

Fachvorträge 59

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Fachvorträge

Das zentrale Problem liegt in der Notwendigkeit einerVergleichbarkeit von BAK und AAK. Die BAK kann dieAAK, die AAK kann aber nicht die BAK ersetzen. Blut kannso gut wie immer gewonnen werden, Atemluft nicht. Ab-gesehen davon, dass die Abgabe einer Atemluftprobe ei-ner Mitwirkung des Probanden bedarf und dass die AAK-Messung bei Bewusstlosen und Schwerverletzten nichtmöglich ist, hat zudem eine nicht unerhebliche Zahl vonProbanden Mühe, das erforderliche Atemvolumen aufzu-bringen. Eine früher durchgemachte Lungenentzündungoder Pleuritis kann selbst bei jungen Probanden schongenügen. Deshalb ist es nicht ausreichend, unabhängigvon BAK-Grenzen eine AAK-Grenze alleine aufgrund derRisikoerhöhung durch eine mit AAK-Werten dokumen-tierte Alkoholisierung zu bestimmen. Die wissenschaftli-che Grundlage dazu wäre vorhanden, schließlich wurdedie Grand-Rapids-Studie mithilfe von AAK-Messungendurchgeführt, die erst nachträglich auf BAK-Werte umge-rechnet wurden (Borkenstein et al., 1974). Sondern esmuss ein AAK-Grenzwert als Äquivalent des BAK-Grenz-werts geschaffen werden. Das aber ist aufgrund des in-ter- und intraindividuell schwankenden Konversionsfak-tors schwierig. Bei der Etablierung des AAK-Grenzwertsim Ordnungswidrigkeitenrecht wurde versucht, eine Puf-ferzone zu schaffen, indem man den Konversionsfaktorvergleichsweise niedrig ansetzte, um der AAK-Messungeine Begünstigung zu verschaffen. Es ist zweifelhaft, obsich dies mit unseren Ansprüchen an die Rechtsgleich-heit im Strafrecht verträgt. Schließlich bedeutet zwangs-läufig jede Begünstigung der einen eine Benachteiligungder anderen Methode. Und die betroffenen Beschuldig-ten haben aus den oben genannten Gründen nicht einmalalle die Möglichkeit, das für sie günstigere Verfahren zuwählen.

Für die Festlegung eines BAK-äquivalenten Grenzwertsder AAK ist als erstes zu berücksichtigen, dass die Grenz-werte aus einem Grundwert und aus einem Sicherheitszu-schlag zusammengesetzt sind. Der Grundwert ist die ei-gentliche Grenze, z. B. 1,0 ‰. Mit dem Sicherheitszu-schlag, im Beispiel 0,1 ‰, wird die Messpräzision berück-sichtigt. Die Messpräzision ist aber methodenabhängigund kann nicht einfach in gleicher Höhe von einer Metho-de auf die andere übertragen werden. Dieser handwerkli-che Fehler wurde bereits bei der Festlegung des Gefahren-grenzwerts der AAK gemacht. Er führte nur deshalb nichtzu praktischen Konsequenzen, weil rein zufällig die Präzi-sion der BAK-Messung und der AAK-Messung in diesemKonzentrationsbereich gleich sind (Haffner et al., 2002).Auf die AAK umgerechnet werden müsste also eine BAKvon 1,0 ‰.

Die Umrechnung erfordert die Festlegung eines Konversi-onsfaktors. In den Diskussionen wird immer wieder insFeld geführt, die Konversionsfaktoren schwankten in denExtremen zwischen 0,7 und 6,0 (Übersichten bei Haffneret al., 2003; Mußhoff, 2014). Das ist grundsätzlich richtig,für Überlegungen hinsichtlich eines BAK-äquivalentenAAK-Grenzwerts aber irrelevant. Diese Werte umfassennämlich alle pharmakokinetischen Phasen und alle Kon-zentrationsbereiche. Wirklich relevant sind nur die Werte

in der Eliminationsphase auf dem Niveau von 1,0 ‰. Eige-nen Untersuchungen zufolge liegen die Konversionsfakto-ren hier bei etwa 2,16 ± 0,056, d. h. mit hinreichenderWahrscheinlichkeit in einer Spanne zwischen 1,99 und2,33 (Haffner et al., 2003). Das sind aber Werte, die imRahmen von Infusionsversuchen gewonnen wurden, sichalso auf die gesicherte Eliminationsphase stützen kön-nen. Nach oraler Alkoholaufnahme kann von einem gesi-cherten Abschluss der Resorption erst sehr viel später als20 Minuten nach Trinkende ausgegangen werden, nachBGH-Rechtsprechung erst 2 Stunden nach Trinkende(BGH, 1973). Das lässt sich auch experimentell bestäti-gen. So konnte bspw. in einer Versuchsserie mit 178 Pro-banden gezeigt werden, dass 20 Minuten nach Trinkendenoch mehr als 60 % mit ihrem Konversionsfaktor unter 2,0lagen. Selbst 2 Stunden nach Trinkende hatten erst 92 %einen Konversionsfaktor von 2,0 erreicht oder überschrit-ten (Dettling et al., 2006). Daraus folgt: Man kann dieSchwankungsbreite des Konversionsfaktors zwar relativweit einengen, aber nur, wenn man die Wartezeit von 20Minuten auf 2 Stunden erhöht.

Unter dieser Voraussetzung – 2 Stunden Wartezeit nachTrinkende – könnte also eine Umrechnung eines BAK-Grundwerts von 1,0 ‰ mithilfe bspw. des genannten Kon-versionsfaktors von 2,16 auf einen AAK-Grundwert von et-wa 0,47 mg/l vorgenommen werden. Zu addieren wäredann noch der Sicherheitszuschlag für die Präzision, derdie Messfehlerschwankungen abpolstern soll. Die Mess-präzision ist nicht nur von der Messmethode, sondernauch von der Größenordnung der Konzentration abhän-gig. Auf dem Niveau von etwa 1,0 ‰ bzw. 0,5 mg/l ist dieMesspräzision der AAK etwas schlechter als die der BAK.Im Rahmen der bereits erwähnten 2002 durchgeführtenStudie konnten wir unter den damaligen Voraussetzungenbeim Vergleich der Variationskoeffizienten darstellen,dass, um die gleiche Sicherheit zu erreichen, einem AAK-Grundwert ein Sicherheitszuschlag von 17 % addiert wer-den müsste (Haffner et al., 2002): Damit käme man auf ei-nen AAK-Grenzwert von 0,55 mg/l.

Dass im Ergebnis derselbe Wert herauskam, wie er mitder landläufig üblichen, wissenschaftlich aber nicht halt-baren Halbierung des BAK-Werts errechnet wird, ist Zu-fall. Denn zum einen umfasst dieser Wert kein Sicher-heitspolster zur Begünstigung der AAK, sondern errech-net sich aus einem wissenschaftlich vertretbaren Mittel-wert. Zum anderen handelt es sich nur um ein Zwi-schenergebnis. Denn es bedarf noch eines zweiten Si-cherheitszuschlags, der gewährleisten muss, dass derje-nige, bei dem mit der einen Messmethode ein Ergebnisüber dem Grenzwert ermittelt wurde, auch bei Anwen-dung der anderen Methode den Grenzwert überschrittenhätte. Das bedeutet, dieser zweite Sicherheitszuschlagwäre sowohl den 1,1 ‰ als auch den 0,55 mg/l hinzuad-dieren. Nur so könnte eine Rechtsgleichheit beider Me-thoden einigermaßen sichergestellt werden. Angesichtsder Schwankungsbreite des o. g. Konversionsfaktorsmüssten die Grenzwerte um etwa 8 % des Grundwerts er-höht werden. Die neuen Grenzwerte würden dann 1,18 ‰BAK bzw. 0,59 mg/l AAK betragen.

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Resümee

Es bestehen durchaus noch Probleme in der praktischenAnwendung des Evidential. Die könnten aber durch ent-sprechende Vorkehrungen wie etwa Software-Änderun-gen, Offenlegung der Funktionsuntersuchungen vor denNacheichungen, bessere Schulung der Polizeibeamtenund insbesondere verlängerte Warte- und Überwachungs-zeiten behoben oder zumindest minimiert werden.

Die Entscheidung, ob ein AAK-Grenzwert auch im Straf-recht etabliert werden sollte, ist letztlich eine rechtspoliti-sche Aufgabe. Aus rechtsmedizinischer Sicht können le-diglich die notwendigen naturwissenschaftlichen Grundla-gen beigetragen werden. Sie münden im Wesentlichen inzwei Ergebnisse: Zum einen müsste ein zweiter Sicher-heitszuschlag sowohl auf den AAK- als auch auf den BAK-Grenzwert aufgeschlagen werden, um eine Rechtsgleich-heit beider Grenzwerte zu erzielen. Dies würde eine Anhe-bung des derzeit gültigen BAK-Grenzwerts erforderlichmachen. Abgesehen von der Frage, wie sich dies auf dieEinstellung und das Rechtsempfinden der Gesellschaftauswirken würde, entstünde dadurch ein Leck in der Straf-verfolgung. In der Spanne zwischen 1,10 ‰ und 1,18 ‰dürften etwa 5 bis 10 % der verkehrsrechtlich relevantenFälle liegen, die dann einer strafrechtlichen Verfolgungentgehen könnten. Zum anderen müsste die Wartezeitnach Trinkende auf 2 Stunden ausgedehnt werden. Manwird um die 2 Stunden in voller Länge nicht herumkom-men, denn jede Verkürzung der Wartezeit bedeutet einehöhere Schwankung des mittleren Konversionsfaktors,verbunden mit der Notwendigkeit, den zweiten Sicher-heitszuschlag zu erhöhen und damit den Grenzwert weiteranzuheben. Dabei erhebt sich rein organisatorisch die Fra-ge, ob sich der mit der notwendigen Verlängerung derWartezeit verbundene Aufwand gegenüber der jetzigenVerfahrensweise überhaupt lohnt. Nicht zuletzt entstehtein zweites Leck in der Erfassungsdichte durch die Alko-holelimination in der verlängerten Wartezeit. Letztlich be-steht also zwar kein Zweifel an der grundsätzlichen Mög-lichkeit einer Einführung eines AAK-Grenzwerts auch insStrafrecht. Bei naturwissenschaftlich korrekter Vorge-hensweise, die eine conditio sine qua non sein sollte, wäreihr Nutzen jedoch erheblich zu relativieren.

Literatur

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Fachvorträge 61

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Fachvorträge

Abstrakt

Die Analytik des Ethanol-Metaboliten Ethylglucuronid(EtG) erlangte wegen seiner verlängerten renalen Aus-scheidung einen hohen Stellenwert, z. B. als Langzeitmar-ker zur Beurteilung des Alkoholkonsums in der Abstinenz-kontrolle. Durch Festlegung geeigneter Grenzwerte konn-ten sowohl Urin als auch Haar als Untersuchungsmatricesetabliert werden, wobei sich die forensischen Aussagenzunächst auf qualitative (bestenfalls semi-quantitative)Abgrenzungen beschränkte.

Die Belastbarkeit quantitativer Aussagen von EtG-Konzen-trationen ist potenziell eingeschränkt durch interindividu-elle Variation oder Enzyminduktion infolge Alkohol- oderArzneimittelmissbrauchs und selbst in Serumproben we-nig erforscht. Zur Untersuchung dieser Fragestellung wur-de eine Applikationsstudie mit 25 Probanden durchgeführtund in drei aufeinanderfolgenden Tagen exakt definierteMengen Ethanols appliziert. Dabei wurden an zwei Tagendie gleichen Trinkmengen und im dritten Zyklus die Hälfteder Ursprungsmenge verabreicht und pro Proband 14 Blut-proben entnommen und quantitativ auf Ethanol und EtGuntersucht. Die Modellierung der resultierenden Datenzeigt eine insgesamt gute Beschreibung des Zeitverlaufsmit dem gewählten pharmakokinetischen Modell.

Die qualitative Analytik des direkten Alkohol-Stoffwechsel-produkts EtG gehört heute zweifellos zu den verlässlichstenNachweismöglichkeiten eines vorangegangenen Alkohol-konsums, wobei Blut-, Urin- und Haarproben gleichermaßenals Untersuchungsmatrices geeignet sind. Die quantitativenAussagen zum primären Alkoholkonsum sind notwendiger-weise weniger präzise als korrespondierende BAK-Werte, lie-fern aber wertvolle Zusatzinformationen zum Langzeitkon-sum. Da der analytische Aufwand einer zusätzlichen EtG-Be-stimmung in Blutproben vergleichsweise (relativ zu den Kos-ten für Logistik und Probenahme) gering ist, sollte der diag-nostische Mehrwert, z. B. zur Plausibilität von Konsumanga-ben auf der Basis von EtG, sorgfältig geprüft werden.

Pharmakokinetik von Ethylglucuronid

Der Aussagewert von Ethylglucuronid (EtG) ist naturgemäßdadurch beschränkt, dass für Biotransformationsproduktezusätzlich zur interindividuellen Variation des Ethanol-Kon-zentrationsverlaufs (z. B. bedingt durch unbekanntes Re-sorptionsdefizit und variable Abbauraten) die Variabilität vonEtG-Bildung und -Elimination zu berücksichtigen ist. Wäh-rend die Elimination von EtG im Wesentlichen durch passive

renale Filtration erfolgt und – bei Ausschluss von Nierenin-suffizienz – relativ gut prognostizierbar erscheint, sind an derBildung von EtG zahlreiche Enzyme1, 2 beteiligt, was durch In-duktion, Suppression oder genetischen Polymorphismus zudeutlicher interindividueller Variation führen kann.

Obwohl die kinetischen Zeitgesetze der primären Invasion(1. Ordnung) und Elimination (0. Ordnung) von Ethanol so-wie der nachfolgenden Bildung (1. Ordnung) und renalenAusscheidung (1. Ordnung) von EtG sehr einfach erscheinen(Abbildung 1), folgt für die resultierende Modellierung desZeitverlaufs ein komplexes Rechenmodell (Abbildung 2).

Trotz dieser Komplexität ist es ein unschätzbarer Vorteil, dassmit lediglich 2 zusätzlich zu optimierenden Parametern einegute Modellierung der EtG-Kinetik gelingt. Abbildung 2 zeigtdie Beschreibung eines idealisierten Trinkverlaufs (einmaligeAlkoholaufnahme), wobei durch retardierte Bildung und lang-same Ausscheidung von EtG ein gegenüber dem Blutalkoholdeutlich verlängertes Nachweisfenster resultiert.

Modellierung von EtG bei komplexen Trinkverläufen

Die oben genannten kinetischen Gesetze lassen sich aufbeliebige Trinkszenarien erweitern. Im nachfolgend be-schriebenen Fall wurden identische Trinkverläufe im Ab-stand von 36 Stunden wiederholt und nach einem weiteren24-stündigen Intervall mit halber Trinkmenge wiederholt.Die Übereinstimmung von experimentellen und modellier-ten Werten belegt die Validität des Modells (Abbildung 3).

Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen

Die mögliche Verallgemeinerung entsprechender kineti-scher Aussagen wird durch intra- und interindividuelle Va-riationen der Parameter limitiert. Da zur Bestimmung ent-sprechender Parameter jeweils ganze Trinkzyklen berück-sichtigt werden müssen, erfordert die Ermittlung der kineti-schen Parameter einen erheblichen logistischen Aufwand.

Die bisherigen Untersuchungen von 50 Probanden erga-ben folgende Mittelwerte (Variationsbereiche):

k3 = 580 (400–755) mg/l/h k4 = 0.19 (0.13–0.27) 1/h t1/2 = 6.3 (4.5–7.6) h.

Trotz erheblicher Schwankungsbreiten sind bei der Inter-pretation realer Fälle zusätzliche Aussagen zur Plausibilitätvon Trinkbehauptungen möglich. In einem untersuchten

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EtG – Aussagemöglichkeiten in Haar,

Blut und Urin

Detlef Thieme, Khatera Ayni, Matthias Graw

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Fall, bei dem der Beschuldigte geltend machte, dass die ge-messene Blutalkoholkonzentration von 0,7 mg/g aus-schließlich dem vorherigem Konsum von 160 ml Wodka(40 Vol.-%, 2,2 Stunden vor Blutentnahme) geschuldet sei,konnte die Aussage aufgrund der korrespondierenden, fürdie Einlassung viel zu geringen EtG-Konzentration von4.950 ng/ml sicher widerlegt werden.

Vergleich des Aussagewerts von EtG-Konzentrationen in Urin- und Haarproben

Der Aussagewert von Urin und Haaren wird durch die jewei-ligen Mechanismen der Elimination (Inkorporation) in die

entsprechende Matrix determiniert. Dabei sind Urinkonzen-trationen im Wesentlichen durch die renale Filtrationsratedefiniert, im Vergleich zu anderen Xenobiotika relativ gutprognostizierbar und können ggf. durch Kreatinin standardi-siert werden. Im Allgemeinen liegt das Konzentrationsver-hältnis Urin/Plasma bei ca. 85 und die Aussagegenauigkeitder Urinkonzentration wird vor allem durch die meist unbe-kannten Zeitpunkte der Entleerung der Harnblase limitiert.

Der Vorteil bei Verwendung von Haarproben besteht inder Akkumulation von EtG nach wiederholtem Alkohol-konsum und so der erheblich verlängerten Retrospektion.Obwohl polare und saure Analyte wie EtG nur schlecht inHaare inkorporiert werden, resultiert aufgrund der ver-gleichsweise hohen Plasmakonzentrationen von EtG im-mer noch eine messbare Menge von EtG im Haar.

Die mit etablierten Cut-off-Werten von > 9 pg/mg EtG(vereinbar mit einem problematischen Alkoholkonsumvon > 20 g/d: ‚at-risk drinkers‘ oder > 25 pg/mg (bei einemtypischen Alkoholkonsum von > 60 g/d: ‚heavy drinkers‘))wurde eine Signifikanz beschrieben, die zumindest indem Bereich traditioneller Alkoholismusmarker lag.3

Dabei gilt die generelle Einschränkung, dass derartigeAussagen nur für wurzelnahe Haarsegmente gelten, dadie Konzentration von EtG infolge unkontrollierter Aus-waschung der polaren Substanz signifikant abnimmt undvalide Aussagen nur in proximalen Abschnitten (z. B. 0–3cm) gültig sind.

Zusammenfassung

Die Konzentrationen von EtG in Urin und Haaren sindetablierte und verlässliche Parameter für Langzeitüber-wachung von Alkoholmissbrauch (z. B. Abstinenzkontrol-le). EtG liefert jedoch keine direkte Aussage zu akuter Al-koholwirkung.

Die Kinetik von EtG in Blut kann gut modelliert werdenund – mit vernachlässigbarem analytischem Zusatzauf-wand- zur Rückrechnung und Überprüfung der Plausibili-tät von Trinkangaben beitragen.

Die interindividuelle Variation der kinetischen Parameterund die statistische Signifikanz resultierender Aussagenmüssen weiter kritisch evaluiert werden.

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Fachvorträge 63

Abb. 1: Bildungs- und Eliminationskinetik von EtG und resultierendekinetische Zeitgesetzeüber die Zeit nach Aufnahme von 3 gEthanol

Abb. 2: Modellierung des zeitlichen Konzentrationsverlaufs vonAlkohol (blau) und EtG (rot) im Vergleich zu Messwertennach einmaliger Aufnahme von Ethanol

Abb. 3: Modellierung des zeitlichen Konzentrationsverlaufs vonAlkohol (blau) und EtG im Vergleich zu Messwerten nachmehrmaliger Aufnahme von Ethanol

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Fachvorträge

Während noch bis vor 7 bis 8 Jahren unter einem Drogens-creening eine Analyse auf Cannabinoide, Opiate, Kokain(me-tabolite), Amphetamine und Ecstasy, ggf. noch unter Einbe-ziehung von Methadon und Benzodiazepinen verstandenwurde, hat sich nicht zuletzt bei Straßenverkehrsunfällenein Wandel hin zu sog. „Neuen Drogen“ ergeben.

Darunter zu verstehen ist nicht nur die Gruppe der NeuenPsychoaktiven Substanzen (NPS), die gerne auch als „Le-gal Highs“ vertrieben werden. So hat in einigen Regionenin Deutschland das Methamphetamin die Droge Amphet-amin weitestgehend ersetzt, wenngleich dieses bzgl. ei-nes Nachweises noch nicht zu größeren Problemen führt.Andere Substanzen werden im Labor dagegen nur mitSpezialmethoden detektiert.

Aufzuführen ist hier auch bei Straßenverkehrsunfällen γ-Hydroxybuttersäure (GHB, „Liquid Ecstasy“). Insbeson-dere seit Ende der 1990er-Jahre wird GHB verstärkt als Par-tydroge verwendet. Abhängig von der Dosierung wirktGHB entweder als Entaktogen oder Hypnotikum. In niedri-gen Dosen von etwa 0,5–1,5 g dominiert der stimulierendeEffekt; GHB wirkt dann anxiolytisch, leicht euphorisierendund sozial öffnend, allerdings treten ähnlich wie bei einemAlkoholrausch auch motorische Beeinträchtigungen auf. Inhöheren Dosen bis etwa 2,5 g kommt es analog zum Alko-hol zunächst zu einer Stimmungs- und Antriebssteigerung,u. U. tritt eine aphrodisierende Wirkung hinzu. In noch hö-heren Dosen wirkt GHB stark einschläfernd, Überdosierun-gen können zu plötzlichem narkotischen Schlaf führen,aus dem die betreffende Person kaum zu wecken ist. BeiÜberdosierungen und insbesondere in Kombination mit Al-kohol, atemdepressiv wirkenden Medikamenten oder Ben-zodiazepinen kann es zu Übelkeit und Erbrechen kommen,was im weiteren Verlauf durch die narkotisierende Eigen-schaft der Droge zum Erstickungstod führen kann. Es kön-nen lebensbedrohliche Atemdepressionen und Herzrhyth-musstörungen auftreten.

GHB wird mit einer Halbwertszeit von etwa 30 min relativschnell vollständig über Bernsteinsäure im Zitratzyklus zuKohlendioxid und Wasser metabolisiert. Eine Analytik, dieeine sichere Interpretation erlaubt, ist zudem dadurch er-schwert, dass GHB als physiologische Substanz im Körpervorkommt und es andererseits durch exogene Einflüsse zuVeränderungen der GHB-Konzentration in Asservatenkommen kann. Aufgrund der raschen Verstoffwechselungmuss für einen analytischen Nachweis einer exogenen Auf-nahme eine Blut-/Plasmaprobe innerhalb von 6–8 h nachAufnahme gewonnen werden, in einer Urinprobe kann einNachweis 8–12 h nach Aufnahme erfolgen. Zu beachten ist,dass GHB nicht in routinemäßigen Übersichtsanalysen de-tektiert wird, es bedarf Spezialanalysen via GC/MS oder

LC/MS. Derzeit werden verschiedene Grenzkonzentratio-nen zur analytischen Unterscheidung von physiologischenWerten diskutiert, wobei allgemein GHB-Konzentrationen> 10 mg/l im Urin bzw. > 4 mg/l in Blut/Plasma als Indiz füreine exogene Aufnahme angesehen werden.

Der Nachweis einer Einmalgabe von GHB durch eine Haar-analyse ist problematisch, da eine Unterscheidung vonphysiologischen Konzentrationen kaum sicher zu erwar-ten ist. Bei entsprechenden Fällen müssen die Konzentra-tionen in mehreren sehr kleinen Haarsegmenten vergli-chen werden. Eine gelegentliche oder regelmäßige GHB-Aufnahme z. B. bei der Frage nach der Fahreignung (esgibt eine ganze Reihe regelmäßiger Konsumenten) ist an-hand einer Haaranalyse dagegen sicher nachweisbar.

Während GHB dem BtmG unterstellt ist, gilt dieses nichtfür die Vorläufersubstanzen γ-Butyrolacton (GBL) oder1,4-Butandiol. In der Praxis wird daher häufig leicht ver-fügbares GBL konsumiert, das im Organismus nach oralerAufnahme schneller als GHB resorbiert wird, sodass derPlasmaspiegel von GHB bei der der Einnahme von GBLschneller ansteigt als bei Einnahme von GHB selbst. DiePlasmahalbwertszeit von GBL beträgt aufgrund rascherMetabolisierung zu GHB weniger als 60 Sekunden, d. h.,5 min nach der Einnahme von GBL sind im Körper nurnoch etwa 3 % der Substanz vorhanden.

Unter den „Legal Highs“ versteht man vermeintlich legaleZubereitungen, die als Kräutermischungen, Lufterfrischer,Aquarienreiniger, Dünger oder Badesalze vertrieben oderaber als sog. „Research Chemicals“ angeboten werden,tatsächlich aber zentral wirksame Mittel enthalten. Wurdebis vor wenigen Jahren immer nur über eine überschauba-re Anzahl solcher NPS berichtet, registrierte die Europäi-sche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht al-leine für das Jahr 2013 81 neue Drogentypen (2012: 73;2011: 49, 2010: 41, 2009: 24, 2008: 13). Im Vordergrundstehen „Spice-Produkte“ und Stimulantien unter derSammelbezeichnung „Badesalz-Drogen“.

Die Gruppe der NPS wird dominiert von Räuchermischun-gen mit der Verkaufsbezeichnung Spice, die eben als „Le-gal Highs“ oder „Herbal Highs“ vertrieben werden, wassuggerieren soll, dass es sich um legale Naturproduktehandelt. Tatsächlich werden Kräutermischungen mit syn-thetischen Cannabinoiden versetzt, indem diese auf dieTrägerkräutermischungen aufgesprüht oder in kristallinerForm untergemischt werden. Auf den Verpackungen wer-den keinerlei Angaben zu den wirksamen Inhaltsstoffengemacht, und sowohl Art als auch Menge der Inhaltsstof-fe können großen Schwankungen unterliegen. Diese „Spi-ce-Produkte“ werden dann wie Cannabis als Joints ge-

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Neue Drogen

Frank Musshoff

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raucht. Typische Wirkungen dieser vornehmlich (CB1)-Re-zeptoreagonisten sind Sedierung, kognitive Dysfunktion,Tachykardie, trockener Mund, Hypotension, Ataxie, Im-munsuppression und psychotrope Effekte. Die meistender bisher in Räuchermischungen gefundenen syntheti-schen Cannabinoide zeigen eine deutlich höhere Affinitätzum CB1-Rezeptor als THC (z. B. JWH-200 vergleichbareAffinität, JWH-210 hundertfach höhere Affinität, AM-694fünfhundertfach höhere Affinität). Damit mag die Mög-lichkeit einer Überstimulation bestehen, sodass in klini-schen Notfällen auch cannabisuntypische Symptome wieAgitiertheit, Krampfanfälle, Übelkeit und Erbrechen beob-achtet werden. Es wird von Intoxikationen bis hin zum Toddurch Atemdepression oder im Rahmen eines Krampfge-schehens berichtet.

Durch routinemäßig eingesetzte Analyseverfahren wer-den solche synthetischen Cannabinoide in der Regel nichtdetektiert, weshalb sie häufig auch bei der Teilnahme anAbstinenzprogrammen konsumiert werden in der Hoff-nung, dass ein Gebrauch nicht nachzuweisen sei. Analyti-sche Spezialmethoden zum Nachweis dieser Substanzenin Körperflüssigkeiten sollten aufgrund der hohen Potenzder Substanzen eine hohe Sensitivität (Nachweisgrenze< 100 pg/ml Serum) aufweisen und das jeweils aktuell amMarkt befindliche Substanzspektrum möglichst vollstän-dig abbilden. Für die Urinanalytik ist es erforderlich, zu-nächst die Hauptmetaboliten der Substanzen zu identifi-zieren, da die unveränderten Substanzen in der Regelnicht renal ausgeschieden werden. Eine Glukuronidspal-tung der monohydroxylierten und glukuronidierten Analy-ten ist unerlässlich. Als Methode der Wahl ist wohl dieKombination aus Hochleistungsflüssigkeitschromatogra-phie mit der hochauflösenden Massenspektrometrie (LC-HRMS) anzusehen.

Obwohl diese Substanzen dazu geeignet sind, zu einerFahruntüchtigkeit zu führen, sind sie nicht im Anhang des§ 24a StVG aufgeführt, sodass nur bei erheblichen Leis-tungsdefiziten analog zu Medikamenteninhaltsstoffen einVerfahren nach §§ 315c/316 StGB infrage kommt.

Unter dem Begriff Badesalz-Drogen versteht man insbe-sondere synthetische Cathinon- und Piperazin-Derivate,über die an anderer Stelle schon berichtet wurde (Muß-hoff et al., 2013). Nach dem Konsum solcher Substanzenkommt es zu typischen sympathomimetischen amphet-amin-ähnlichen Wirkungen. Als häufige unerwünschteNebenwirkungen beschrieben sind solche kardiovaskulä-rer Art mit Kurzatmigkeit, Brustschmerzen bis zum Herz-tod, gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Er-brechen, Anorexie, Unterleibsschmerzen, erektile Dys-funktion, aber auch erhöhte Libido, Krampfen oder mus-kuloskelettale Arthralgie. Konsumenten können weiterhinstark aggressiv werden und unter Kopfschmerzen, Bruxis-mus, Gedächtnisverlust, Tremor, Mydriasis, Nystagmusleiden und sich wütend, ängstlich, müde, depressiv, dys-phorisch, euphorisch, voller Energie oder empathisch zei-gen und visuelle und auditorische Halluzinationen haben.Die psychischen Symptome können bis zu panischen Re-aktionen und Paranoia führen. Natürlich sind die Wirkstof-

fe nicht deklariert, verändern sich auch in demselben Pro-dukt innerhalb kürzester Zeit und sind ganz offensichtlichdafür gedacht, missbraucht zu werden.

Wie bei den Spice-Produkten ist ein analytischer Nach-weis nur über Spezialmethoden sichergestellt. Zudem be-steht wiederum das Problem, dass eine Vielzahl von nochnicht beschriebenen Substanzen potenziell als „LegalHighs“ in Betracht kommen oder neu synthetisiert wer-den kann. Ist die Substanz noch nicht bekannt, ist sieauch schwerlich im Labor nachweisbar. Die Situation erin-nert an ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Analytik derEntwicklung bzw. dem Vertrieb neuer Stoffe hinterher-

Fachvorträge 65

Fallbeispiel 23:20 Uhr angehalten, da er seinen Pkw inSchlangenlinien geführt hat. Bei der polizeilichenÜberprüfung werden Gleichgewichtsstörungen, Stö-rungen in der Feinmotorik eine Fallneigung beim sog.Einbeinstand sowie wässrige Augen und erweiterte Pu-pillen festgestellt.

Laut ärztlichem Bericht anlässlich einer Blutentnahmeum 00:40 Uhr wurde dokumentiert: Finger-Finger-Pro-be unsicher; Finger-Nasen-Probe unsicher; Pupillenstark erweitert; Pupillenlichtreaktion verzögert;scheint leicht unter Drogeneinfluss zu stehen.

Im Rahmen einer ersten chemisch-toxikologischenAnalyse wird eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von0,31 ‰ ermittelt, ein immunchemisches Drogenscree-ning verlief negativ.

Da die deutlichen Auffälligkeiten nicht durch diese Er-gebnisse zu erklären waren, ordnete die zuständigeStaatsanwaltschaft eine weiterführende Analyse an.

Analysenergebnis (Serum):

– BAK: 0,31 ‰– JWH-019: 1,7 ng/ml– JWH-122: 7,6 ng/ml– JWH-210: 4,4 ng/ml– AM-2201: 0,31 ng/ml

Die aufgefundenen Spice-Wirkstoffe sind Agonistenam Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 und verursachen so-mit cannabisähnliche psychotrope Effekte. Ihre phar-makologische Potenz entspricht nach einer groben Ab-schätzung über die Rezeptoraffinitäten der 4-fachen(JWH-019), 60-fachen (JWH-122), 90-fachen (JWH-210)bzw. 40-fachen (AM-2201) des CannabiswirkstoffesTHC. Aus sachverständiger Sicht lassen sich die fest-gestellten deutlichen Leistungsdefizite (s. oben) durchdie Wirkung und Mengen der aufgefundenen Substan-zen somit ohne weiteres erklären. Aufgrund der Ge-samtbefundlage wurde davon ausgegangen, dass HerrX. bedingt durch den Konsum berauschender Mittelnicht mehr in der Lage war, ein Kraftfahrzeug im Stra-ßenverkehr sicher zu führen und es erfolgte eine Ver-urteilung gem. § 316 StGB.

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Fachvorträge

hinkt. Auch für diese Badesalz-Drogen ist wohl die LC-HRMS als Methode der Wahl zu erachten.

Wie bereits an anderer Stelle berichtet, sind solche NPS aufeinfachste Weise z. B. aus dem Internet zu bestellen. In Chat-Rooms wird ungeniert über Erfahrungen mit solchen Substan-zen berichtet und teilweise sogar der Vorteil herausgestellt,dass solche Substanzen bei Straßenverkehrskontrollen oderDrogenkontrollprogrammen nicht nachweisbar seien.

Sowohl bei forensisch-toxikologischen Untersuchungenzur Fahrsicherheit als auch zur Fahreignung muss mansich des Problems bewusst sein. Aber auch bei Fragennach einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach Bege-hung anderer Taten ist ein Konsum solcher Stoffe bei einerBeurteilung von Relevanz.

Labore müssen in der Lage sein, zumindest bei entspre-chendem Anfangsverdacht entsprechende Nachweiseführen zu können.

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Die unter dem Sammelbegriff „Legal Highs“ angepriesenenWirkstoffzusammensetzungen scheinen Genuss ohne ge-sundheitliche Risiken und ohne strafrechtliche (oder be-hördliche) Konsequenzen zu versprechen. Beides trifft in-dessen nicht zu. Der Gebrauch der Substanzen ist mit erheb-lichen Gesundheitsgefahren verbunden: Der Umgang mit ih-nen kann außerdem zu strafrechtlicher Verurteilung führen,auch wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofsvom Juli 2014 zum Arzneimittelbegriff1 hier Schranken gezo-gen hat; in jedem Fall kann er Anlass für einschränkendeEntscheidungen der Verwaltungsbehörden sein. Die Stoffewerden deshalb im Folgenden nicht mehr als „Legal Highs“bezeichnet. Sachgerecht ist vielmehr die Benennung, die sieauch im internationalen Raum2 erhalten haben: Neue psy-choaktive Substanzen (NPS).

1. NPS sind europaweit auf dem Vormarsch. Zwischen1997 und 2012 wurden von den Mitgliedstaaten der Euro-päischen Union an die Europäische Beobachtungsstellefür Drogen und Drogensucht (EBDD) etwa 290 neue psy-choaktive Substanzen gemeldet. Die Zahl der jährlichen„Neuerscheinungen“ verdreifachte sich im Zeitraum von2009 bis 2012 von 24 auf 73. In der EU haben 5 % aller jun-gen Menschen bereits mindestens einmal derartige Sub-stanzen konsumiert. Die Zahl der Online-Shops, in denendiese verkauft werden, vervierfachte sich zwischen 2010und 2012 auf insgesamt 690.3

In Deutschland sind als „Kräutermischungen“, „Badesal-ze“ oder „Lufterfrischer“ ganz unterschiedliche Substan-zen im Handel. Die einen sorgen für einen cannabisähnli-chen Rauschzustand, die Wirkung anderer ähnelt der desAmphetamins. Durch den Zusatz beispielsweise von syn-thetischen Cannabinoiden, Alkylindol-Derivaten, Cathi-non-Derivaten oder Piperazinen werden euphorisierende,sedierende oder halluzinogene Wirkungen erreicht. Grö-ßeren Bekanntheitsgrad erlangte 2008 die Substanz „Spi-ce“, eine Kräutermischung, der das synthetisch hergestell-te Cannabinoid CP 47, 497 und das Alkylindol-Derivat JWH-018 beigemischt waren.4 Diese in ihrer Wirkungsweise demnatürlichen Cannabis ähnlichen Substanzen standen bis-

lang auch im Fokus der strafgerichtlichen Entscheidungenbetreffend NPS. Typische Wirkung nach dem Konsum sol-cher Kräutermischungen ist eine gehobene Stimmung bishin zur Euphorie mit subjektiv gesteigerter Sinneswahr-nehmung. Phasen gesteigerten Antriebs können mitSchläfrigkeit, Apathie und Lethargie abwechseln. Bei ho-hen Konsumdosen, Anwendung durch Personen mit psy-chischen Störungen und bei wiederholtem Konsum kommtes häufiger zu atypischen Rauscherlebnissen, bei denenWahnvorstellungen, Angst, Halluzinationen und Deperso-nalisierungserlebnisse, akute Panikreaktionen, Desorien-tierung, Verwirrtheitszustände und Gedächtnisverlust auf-treten. Die Rauscherlebnisse können sich bis zu sogenann-ten bad trips mit Suizidimpulsen steigern. Aufgrund dernicht standardisierten Zumischung der synthetischen Can-nabinoide und der daraus folgenden sehr ungleichmäßi-gen Verteilung besteht die Gefahr der Überdosierung.5 Deramerikanische Toxikologe John W. Huffman ist Namensge-ber einer ganzen Gruppe dieser Art von NPS (so z. B. JWH-018, JWH-073, JWH-210). Er hat lange Zeit an der Entwick-lung der Substanzen für den therapeutischen Gebrauchgearbeitet. Die Testreihen wurden indes bereits in der ers-ten experimentell-phamakologischen Phase abgebrochen,da die gewünschten gesundheitlichen Effekte nicht erzieltwerden konnten und erhebliche Nebenwirkungen auf-grund der psychoaktiven Wirksamkeit zu erwarten waren.6

Huffman warnt seither nachdrücklich vor dem Konsum die-ser Substanzen und bezeichnet ihn angesichts der mögli-chen Nebenwirkungen als „Russisches Roulette“.7

2. a) Bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Handels mitNPS liegt wegen der berauschenden Wirkung der Substan-zen und den mit ihrem Konsum verbundenen Gefahren derGedanke an das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) nahe, dasin seinen §§ 29 ff BtMG den unerlaubten Umgang mit Betäu-bungsmitteln unter Strafe stellt. Indes sind Betäubungsmit-tel im Sinne des BtMG nur die in den Anlagen I, II und III zu§ 1 BtMG aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Damit sollein Höchstmaß an Gesetzesbestimmtheit erreicht und ausGründen der Rechtssicherheit für jedermann trennscharf er-kennbar werden, wo die Grenze strafbaren Umgangs mit Be-

Fachvorträge 67

„Legal Highs“ aus juristischer Sicht

Wolfgang Pfister

1 EuGH, Urt. v. 10.7.2014 – C-358/13, NStZ 2014, 461.

2 So zum Beispiel im „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen“,COM/2013/0619 final – 2013/0305 (COD), juris.

3 Zu den Einzelheiten vgl. „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen“, a .a. O.

4 Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Auflage Einleitung Rn. 59, 514.

5 BGH, Beschl. v. 28.5.2013 – 3 StR 437/12, MedR 2014, 236 (Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung); zu den mit dem Konsum verbunde-nen Gesundheitsgefahren vgl. auch BT-Drucks 17/7706 S. 2; Weidig, Zur Strafbarkeit von „Legal Highs“, Blutalkohol 2013, 57; Diehm/Pütz:„Spice“ und vergleichbare Produkte, Kriminalistik 2009, 131; Patzak/Volkmer: „Legal-High“-Produkte – wirklich legal?, NStZ 2011, 498.

6 BGH a. a. O.

7 Weidig a. a. O.

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täubungsmitteln verläuft. NPS sind jedoch erst einmal nichtin diesen Anlagen aufgeführt, weil sie jeweils neu im Che-mielabor entstanden sind. Nun können die Anlagen zwardurch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustim-mung des Bundesrats geändert und ergänzt werden, wennein gesundheitsgefährdender Stoff neu auf dem Markt auf-taucht. Allerdings ist der dazu notwendige wissenschaftli-che und administrative Vorlauf so langwierig, dass bei In-krafttreten der „Verordnung zur Änderung betäubungsmit-telrechtlicher Vorschriften – BtMÄndV“ der endlich „geliste-te“ Stoff regelmäßig vom Markt verschwunden und durch ei-nen anderen, ähnlichen – aber nicht identischen und des-halb wieder nicht vom BtMG erfassten – Stoff ersetzt wor-den ist. Die „Designer“ sind regelmäßig schneller als derVerordnungsgeber, das „Hase-und-Igel-Spiel“ beginnt vonNeuem.8 Gelegentlich versäumen Händler und Konsumen-ten jedoch, rechtzeitig auf noch nicht indizierte Stoffe umzu-steigen, und werden deshalb wegen Verstoßes gegen dasBetäubungsmittelgesetz bestraft.

b) Als Alternative zum Betäubungsmittelgesetz haben dieStrafverfolgungsbehörden das Arzneimittelgesetz (AMG)genutzt. § 5 Abs. 1 AMG verbietet, „bedenkliche Arznei-mittel“ in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderenMenschen anzuwenden. Nach § 5 Abs. 1 AMG sind be-denkliche Arzneimittel solche, „bei denen nach dem je-weiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse derbegründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungs-gemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, dieüber ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissen-schaft vertretbares Maß hinausgehen.“ § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMGbedroht den Verstoß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahrenoder Geldstrafe.9

Was als Arzneimittel zu gelten hat, definiert das AMG abs-trakt. Danach sind Arzneimittel zum einen Stoffe oder Zube-reitungen aus Stoffen, „die zur Anwendung im oder ammenschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und alsMittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oderzur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheitenoder krankhafter Beschwerden bestimmt sind“ (§ 2 Abs. 1Nr. 1 AMG – Präsentationsarzneimittel). Zum anderen han-delt es sich um Arzneimittel, wenn Stoffe oder Zubereitun-gen aus Stoffen „im oder am menschlichen oder tierischenKörper angewendet oder einem Menschen oder einem Tierverabreicht werden können, um entweder a) die physiologi-schen Funktionen durch eine pharmakologische, immuno-logische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen,

zu korrigieren oder zu beeinflussen oder b) eine medizini-sche Diagnose zu erstellen“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG – Funkti-onsarzneimittel). Da die NPS nicht als Arzneimittel be-zeichnet und bestimmt sind und deshalb keine Präsentati-onsarzneimittel sein können, kommt es für die Anwend-barkeit des AMG allein auf die Definition des Funktionsarz-neimittels und dabei auf das Verständnis des Merkmals„beeinflussen“ an. Denn die Merkmale „wiederherstellen“und „korrigieren“ können mangels entsprechender Wirk-samkeit der NPS ersichtlich nicht erfüllt sein. Zweifelsfreibeeinflussen die Stoffzubereitungen die physiologischenFunktionen. Entscheidend ist aber, ob es für die Erfüllungder gesetzlichen Definition ausreichend ist, dass Körper-funktionen durch die pharmakologische, immunologischeoder metabolische Wirkung des eingenommenen Stoffs inirgendeiner – gegebenenfalls gesundheitsschädlichen –Weise beeinflusst werden, oder ob ein „Beeinflussen“ nurvorliegt, wenn damit ein therapeutischer Nutzen oder je-denfalls eine positive Beeinflussung der physiologischenFunktionen im Sinne einer therapeutischen Zielrichtungerreicht wird.10

Dem Bundesgerichtshof lagen 2013 mehrere Revisionengegen strafrechtliche Verurteilungen nach dem AMG vor.Die Angeklagten hatten jeweils mit synthetischen Canna-binoiden versetzte Kräutermischungen vertrieben. Da dasAMG in der seit Mitte 2009 geltenden Neufassung die Eu-ropäische Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG in derFassung der Richtlinie 2004/27/EG wörtlich umgesetzt hatund dadurch der europäische Arzneimittelbegriff in dasdeutsche Arzneimittelrecht übernommen worden ist, kames für die Frage, welcher der beiden Auffassungen zu fol-gen ist, auf die – autonom vorzunehmende – Auslegungdes unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs an, für die nichtan die frühere nationale Rechtsprechung zum deutschenArzneimittelbegriff angeknüpft werden kann. Diese Ausle-gung des europäischen Rechts ist Aufgabe des Gerichts-hofs der Europäischen Union (EuGH). Nachdem der EuGHdie hier inmitten stehende Frage, wie „beeinflussen“ zuverstehen sei, bislang nicht entschieden hatte und derenAntwort für das nationale Gericht auch nicht offenkundigwar, haben zwei Senate des Bundesgerichtshofs demEuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:„Ist Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EGvom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie2004/27/EG vom 31. März 2004 geänderten Fassung da-hin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzun-gen im Sinne dieser Vorschrift, die die menschlichen phy-

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8 Die derzeit letzte (27.) Änderungsverordnung vom Juli 2013 hat u. a. die synthetischen Cannabinoide AM-1220, AM-1220-Azepan, AM-2201, AM-2232, AM-2233 (benannt nach dem Forscher Professor Alexandros Makriyannis) und JWH-307 (benannt nach dem ForscherProfessor John W. Huffman) in die Anlage II zu § 1 BtMG aufgenommen. Die 28. BtMÄndV steht kurz vor der Veröffentlichung im Bundes-gesetzblatt.

9 Schon dies zeigt, dass es sich bei der Anwendung des AMG auf NPS nur um einen „Notnagel“ handeln kann: Das BtMG stellt nicht nurviele andere Umgangsformen mit Betäubungsmitteln unter Strafe, es enthält – abhängig von Tatmodalitäten (z. B. Menge des Rausch-gifts, gewerbsmäßige oder bandenmäßige oder bewaffnete Begehungsweise) – Strafdrohungen von bis zu fünf Jahren Mindeststrafe undbis zu 15 Jahren Höchststrafe.

10 Dies ist in Rechtsprechung und Literatur bislang kontrovers diskutiert worden. Dabei wurde vor allem von den Verwaltungsgerichten undder verwaltungsrechtlichen Literatur überwiegend ein therapeutischer Nutzen verlangt, während die Strafgerichte sowie überwiegenddie strafrechtliche Literatur jede nennenswerte Beeinträchtigung der physiologischen Funktionen als ausreichend erachteten; ausführ-lich zum Streitstand BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – 3 StR 437/12, MedR 2014, 236 (Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung).

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siologischen Funktionen lediglich beeinflussen – alsonicht wiederherstellen oder korrigieren –, nur dann als Arz-neimittel anzusehen sind, wenn sie einen therapeutischenNutzen haben oder jedenfalls eine Beeinflussung der kör-perlichen Funktionen zum Positiven hin bewirken? Fallenmithin Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die alleinwegen ihrer – einen Rauschzustand hervorrufenden – psy-choaktiven Wirkungen konsumiert werden und dabei ei-nen jedenfalls gesundheitsgefährdenden Effekt haben,nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie?“11

Der EuGH hat daraufhin entschieden, die Arzneimittel-richtlinie sei dahin auszulegen, dass von dem Merkmal„Stoffe wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehen-den nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eineschlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionenbeschränken, ohne dass sie geeignet wären, der mensch-lichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglichzu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzu-stand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlichsind.“12 Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentli-chen auf die Definitionen von Präsentationsarzneimittelnund Funktionsarzneimitteln abgestellt. Auch wenn siedurch das Wort „oder“ getrennt seien, müssten beide Va-rianten in Verbindung miteinander gelesen werden, wasvoraussetze, dass ihre verschiedenen Kriterien nicht soverstanden werden könnten, dass sie im Gegensatz zuei-nander stünden. Aus der Richtlinie ergebe sich, dass diePräsentationsarzneimittel Eigenschaften zur Heilung undVerhütung menschlicher Krankheiten haben müssten.Aus Kohärenzgründen müsse deshalb der Begriff „beein-flussen“ dahingehend verstanden werden, dass der Stoffder Gesundheit „zuträglich sein“ müsse, um als Funkti-onsarzneimittel gelten zu können. Dass Mittel zur Emp-fängnisverhütung und zum Schwangerschaftsabbruchnicht der Gesundheit zuträglich seien, stehe der Arznei-mitteldefinition nicht entgegen, da es sich hier um eineSonderregelung handele. Die Gefahr der (weitgehenden)Straflosigkeit des Umgangs mit NPS könne kein Argumentsein. Das Ziel, eine Bestrafung zu ermöglichen, könne we-der die Definition des Arzneimittelbegriffs noch die Ein-stufung eines Stoffs als Arzneimittel beeinflussen.

Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bin-det das anfragende Gericht. Auf die an ihr in ersten Be-sprechungen geäußerte Kritik13 kann es somit nicht an-kommen. Der Bundesgerichtshof hat deshalb in der demAnfrageverfahren zugrunde liegenden Sache den Ange-klagten freigesprochen, soweit er wegen unerlaubten In-

verkehrbringens von Arzneimitteln bestraft worden war.14

In einem anderen Verfahren hat er die Sache teilweise andas Landgericht zurückverwiesen, damit geprüft und ent-schieden werden kann, ob sich der Angeklagte wegenfahrlässiger Körperverletzung dadurch schuldig gemachthat, dass eine Minderjährige aufgrund der ihr vom Ange-klagten zum Konsum überlassenen, mit synthetischenCannabinoiden versetzten Kräutermischung die Gesund-heit schädigende Nebenwirkungen erlitten hatte.15

c) Welche Konsequenzen sind aus der seit der Entschei-dung des Europäischen Gerichtshofs weitgehenden Straf-losigkeit des Inverkehrbringens von NPS zu ziehen?

Auf europäischer Ebene gibt es seit September 2013 ei-nen Vorschlag für eine Verordnung über NPS. Der Entwurflegt den Fokus darauf, dass NPS nicht nur zu Rauschzwe-cken unter Inkaufnahme von Gefahren für die Gesundheit,sondern auch für die Forschung verwendet werden kön-nen. Das Bestreben geht deshalb dahin, das Funktionie-ren des Binnenmarkts zu erleichtern und gleichzeitig dieVerbraucher vor schädlichen neuen psychoaktiven Sub-stanzen zu schützen. Auf EU-Ebene sollen sowohl derfreie Verkehr von NPS zur Verwendung in Industrie undGewerbe sowie für wissenschaftliche Forschung sicherge-stellt als auch abgestufte, sich nach dem konkreten Risikorichtende Beschränkungen für risikobehaftete Substan-zen vorgesehen werden. Geplant ist ein robustes Systemfür den raschen Informationsaustausch über NPS auf demMarkt, mit dessen Hilfe die Risiken bewertet und risikobe-haftete Substanzen vom Markt genommen werden kön-nen. Die Mitgliedstaaten der EU sind sichdarüber einig,dass gegen NPS rascher (und gegebenenfalls auch mit vor -übergehenden Maßnahmen) vorgegangen werden mussund dass der derzeitige Entscheidungsprozess zu lang-sam ist.16 Gleichwohl lässt sich angesichts des in dem Vor-schlag detailliert geregelten Abstimmungsbedarfs auf dersupranationalen Ebene der Gedanke nicht beiseiteschie-ben, dass die Hersteller von NPS mit der Schaffung neuerVarianten von Rauschmitteln auch zukünftig schnellersein werden als die Behörden mit deren Einstufung alsmehr oder minder gefährlich und der Entscheidung überdie Form von Marktbeschränkungen.17

Es erscheint deshalb vordringlich, auf nationaler Ebene zuprüfen, ob anstelle von einzelnen Stoffen nicht doch ge-samte Stoffgruppen in die Anlagen zu § 1 BtMG aufge-nommen werden können. Die Strafbarkeit des Umgangsmit NPS wäre dann nicht länger von der Schnelligkeit ab-

Fachvorträge 69

11 BGH, Beschl. v. 28.5.2013 – 3 StR 437/12, MedR 2014, 236; Beschl. v. 8.4.2014 – 5 StR 107/14, PharmR 2014, 296.

12 EuGH, Urt. v. 10.7.2014 – C-358/13, NStZ 2014, 461.

13 Patzak/Volkmer/Ewald, NStZ 2014, 463; Pabel, A&R 2014, 182.

14 BGH, Urt. v. 4.9.2014 – 3 StR 437/12 – juris; ebenso Beschl. v. 13.8.2014 – 2 StR 22/13 – juris (vorangehend LG Limburg/Lahn, Urteil vom27.9.2012 – 5 KLs 3 Js 14210/11 – juris).

15 BGH, Beschl. v. 23.7.2014 – 1 StR 47/14, NStZ-RR 2014, 312.

16 Vgl. „Vorschlag für eine Verordnung der Europäischen Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen“, a. a. O.

17 Hinzu kommt, dass die schärfste Form der Marktbeschränkung – das Verbot von Herstellung, Erzeugung und Bereitstellung auf demMarkt – erst greifen soll, wenn von der Substanz schwerwiegende gesundheitliche, soziale und sicherheitsrelevante Risiken ausgehen,insbesondere, wenn der Konsum der Substanz regelmäßig zum Tode führt, vgl. Art. 13 Nr. 1 Buchst. s) des Vorschlags.

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Fachvorträge

hängig, mit der das Betäubungsmittelrecht an die Ände-rungen im Angebot auf dem Suchtmittelmarkt angepasstwerden kann. Solche Versuche hat es bereits 1990 und1997 gegeben; sie sind an den Bedenken gescheitert,dem Vorbehalt des Gesetzes würde dadurch nicht ausrei-chend Rechnung getragen.18 Diese Bedenken sind jedochüberwindbar: So kommt das Arzneimittelrecht, obwohl esebenfalls Strafvorschriften enthält, mit einer abstraktenDefinition des Arzneimittels aus. Das Strafrecht kennt vie-le Rechtsbegriffe, die durch die Rechtsprechung ausge-füllt werden müssen, ohne dass die Vorschriften am Be-stimmtheitsgrundsatz scheitern.19 Dass die Unterstellungvon Stoffgruppen unter das BtMG dem Bestimmtheits-grundsatz nicht zuwiderlaufen müsste, hat ein von denProfessoren Rössner und Voit im Auftrag der Bundesre-gierung erstattetes Gutachten bereits 2011 ergeben.20

Derzeit ist unter der Federführung des Bundesministeri-ums für Gesundheit eine Arbeitsgruppe damit betraut,entsprechende Stoffgruppen zu beschreiben.

3. Für die Beurteilung der Teilnahme am Straßenverkehrunter dem Einfluss von NPS gilt Folgendes:

a) Der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit nach § 24aStraßenverkehrsgesetz (StVG) stehen derzeit in gleicherWeise wie bei der Beurteilung nach dem BtMG die Prinzi-pien der Gesetzesbestimmtheit und des Analogieverbotsentgegen. Nach § 24a Abs. 2 StVG handelt ordnungswid-rig, „wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieserVorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßen-verkehr ein Kraftfahrzeug führt“, wobei eine solche Wir-kung vorliegt, „wenn eine in dieser Anlage genannte Sub-stanz im Blut nachgewiesen wird.“ Die Anlage zu § 24Abs. 2 StVG enthält seit 200721 zehn Substanzen (u. a. Can-nabis, Heroin, Morphin, Kokain, Amphetamin und Me-tamphetamin). NPS befinden sich nicht darunter. Alleindie Ähnlichkeit der Wirkung einer NPS mit einem der indi-zierten Stoffe reicht nicht aus.

b) Differenzierter ist die Frage einer Verfolgung als Straf-tat zu betrachten. Nach § 316 StGB wird bestraft, „wer imVerkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl erinfolge des Genusses alkoholischer Getränke oder ande-rer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahr-zeug sicher zu führen.“ § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGBstellt unter Strafe den, der „im Straßenverkehr ein Fahr-zeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischerGetränke oder anderer berauschender Mittel nicht in derLage ist, das Fahrzeug sicher zu führen und dadurch Leiboder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen

von bedeutendem Wert gefährdet.“ Die NPS sind zwei-felsohne „berauschende Mittel“ im Sinne dieser Vor-schriften, sodass eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit imVerkehr oder wegen Straßenverkehrsgefährdung in Be-tracht kommt. Der Strafverfolgung stehen indes zwei Pro-bleme entgegen: Zum einen ist es für die kriminaltechni-schen Labore wegen fehlender Referenzsubstanzen oftnur schwer festzustellen, welche Stoffe oder Stoffzuberei-tungen der Beschuldigte eingenommen hat.22 Zum anderngibt es – für NPS ebenso wie für die vom BtMG erfasstenSubstanzen – bislang keine Grenzwertbestimmungen, wiesie für das Fahren unter Einfluss von Alkohol erfolgt sind.Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rausch-mittelbedingten Fahrunsicherheit auch weiterhin nicht al-lein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführtwerden. Gesicherte Erfahrungswerte, die es erlaubenwürden, bei Blutwirkstoffkonzentrationen oberhalb einesbestimmten Grenzwerts ohne Weiteres auf eine rausch-mittelbedingte Fahrunsicherheit zu schließen, bestehennach Auffassung des Bundesgerichtshofs noch immernicht. Es bedarf daher neben dem positiven Blutwirkstoff-befund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen,die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleis-tungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so-weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesenist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Stre-cke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zusteuern.23

4. Auch jenseits des Strafrechts bleibt der Gebrauch vonNPS nicht ohne Folgen. Verwaltungsgerichtliche Entschei-dungen haben für die unterschiedlichsten Lebensberei-che zum Teil harsche Konsequenzen aus dem Umgang mitNPS gezogen:

Wenn ein Schüler „Legal Highs“ in der Schule erwirbt, beisich führt und einem Mitschüler auf dessen Nachfragenach Drogen angibt, er könne ihm etwas besorgen, dannbegründet ein solches Verhalten eine ernstliche Gefahrfür die Erziehung der anderen Schülerinnen und Schülerim Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 SchulG Rheinland-Pfalzund kann einen – auch dauerhaften – Ausschluss von derSchule rechtfertigen.24

Das Verwaltungsgericht Augsburg hat einstweiligenRechtsschutz gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis we-gen Nichteignung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46Abs. 1 Satz 1 und § 11 Abs. 7 Fahrerlaubnis-Verordnung(FeV) abgelehnt. Die Antragstellerin habe u. a. die Kräuter-mischungen Smile und Jamaican Gold Extreme im Zeit-

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18 Vgl. Meinecke/von Harten: Neue psychoaktive Substanzen und Arzneimittelstrafrecht – Hilfsstrafbarkeit oder konsequente Rechtsan-wendung, StraFo 2014, 9.

19 Vgl. zuletzt zur „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ im Sinne von § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB BGH, Urt. v. 8.5.1914 – 3 StR 243/13 –juris.

20 Vgl. zu den Einzelheiten Weidig a.a.O.

21 BGBl. I 2007, 1045.

22 Diehm/Pütz a.a.O., Weidig a.a.O.

23 BGH, Beschl. v. 21.12.2011 – 4 StR 477/11, NStZ 2012, 34.

24 OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 14.8.2013 – 2 A 10251/13, NVwZ-RR 2013, 963.

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raum von Anfang Mai 2012 bis Ende Juni 2012 konsumiertund damit den Regeltatbestand der Nr. 9.1. der Anlage 4zur FeV erfüllt. Der Umstand, dass die in den Kräutermi-schungen enthaltenen synthetischen Cannabinoide zumZeitpunkt des Konsums noch nicht in die Anlagen zu § 1BtMG aufgenommen waren, sei ohne Bedeutung, denn esgehe um die unabhängig von der Einstufung als Betäu-bungsmittel festgestellte, vom Konsum eines bestimmtenWirkstoffs ausgehende straßenverkehrsrelevante Gefahr.25

Das Verwaltungsgericht Gießen hat die aufschiebendeWirkung einer Klage gegen eine Gewerbeuntersagungwiederhergestellt, dem Kläger (dem Betreiber einesHead-Shops) aber die Auflage erteilt, es bis zum Ab-schluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu un-terlassen, mit synthetischen Cannabinoiden versehene

Kräutermischungen zu vertreiben. Nach den Feststellun-gen des Antragsgegners, die auf entsprechenden Ermitt-lungsergebnissen der Polizei beruhten, waren aus demLaden des Klägers stammende Kräutermischungen (ver-setzt mit JWH-210 und JWH-081) von Jugendlichen undjungen Erwachsenen inhalativ konsumiert worden, was inden festgestellten Fällen zu schweren Gesundheitsbeein-trächtigungen geführt hatte.26

5. Abschließend ist festzuhalten, dass der Umgang mitNPS nicht ohne rechtliche Konsequenzen bleibt, auchwenn die Verfolgbarkeit des Handels mit diesen Substan-zen aus der Sicht des Strafrechtlers derzeit unbefriedi-gend ist. „Legal“ sind sie jedenfalls nicht. Zur Gewährleis-tung eines effektiven strafrechtlichen Schutzes ist der Ge-setzgeber in der Pflicht.

Fachvorträge 71

25 VG Augsburg, Beschl. v. 10.5.2013 – Au 7 S 13.576, SVR 2014, 117.

26 VG Gießen, Beschl. v. 13.1.2012 – 8 L 4499/11.GI , PharmR 2012, 168.

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Fachvorträge

Hintergrund

Im Jahr 2013 gab es in der Schweiz 17.473 Verkehrsunfällemit Personenschaden, anlässlich dieser starben 269 (1,5 %)Menschen an den Folgen des Verkehrsereignisses.1 InDeutschland starben im Vergleich bei 37.7481 Verkehrsun-fällen mit Personenschaden 3.339 Menschen (8,8 %).2 Wieviele der tödlichen Verkehrsereignisse auf Suizide im Stras-senverkehr zurückgeführt werden können, ist in beidenLändern nicht bekannt. In der internationalen Literatur wirdangegeben, dass schätzungsweise 1–7 % aller Verkehrsto-ten im Rahmen eines Suizids versterben, was verdeutlicht,wie gravierend die Problematik einzuschätzen ist und wiewenig eigentlich über die tatsächliche Prävalenz bekanntist.3 Gemäss WHO ist diese Suizidmethode mit 0,2 % allerSuizide im Allgemeinen als sehr selten4 einzustufen, wobeiin Deutschland im Jahr 2012 gemäß Statistischem Bundes-amt Wiesbaden etwa 0,74 % aller Suizide auf solche imStrassenverkehr5 zurückzuführen waren. Grundsätzlichwird eine hohe Dunkelziffer von Suiziden im Straßenver-kehr angenommen, da sich diese Methode sehr einfach alsUnfall tarnen lässt, wodurch Angehörige dem Stigma desSuizids entgehen können und unter Umständen keine Ver-sicherungseinschränkungen hinnehmen müssen.6

Problematik der Beurteilung von Suiziden imStraßenverkehr

Die Problematik von Suiziden im Straßenverkehr liegt inder Identifizierung solcher Ereignisse, da für die Bewer-tung eines Unfallereignisses als suizidal intendiert bisherkeine eindeutigen Kriterien existieren. Die Bewertung ei-nes tödlichen Verkehrsereignisses als Suizid bedarf einerinterdisziplinären Zusammenarbeit von polizeilichen,fahrzeugtechnischen und rechtsmedizinischen Expertin-nen und Experten. Zu Letzteren gehören Befunde deramtsärztlichen Leichenschau und der Obduktion. Mittler-weile unerlässlich geworden für die Beurteilung tödlicherVerkehrsereignisse ist die forensische Bildgebung, mitder bei Bedarf mittels 3-D-Dokumentation der Unfallher-gang detailgetreu rekonstruiert werden kann. In dierechtsmedizinische Beurteilung fließen zudem Ergebnis-se forensisch-pharmakologisch-toxikologischer und fo-rensisch-genetischer Ergebnisse ein. Polizeiliche Ermitt-lungen umfassen beispielsweise Angehörigen-Gesprächesowie die Suche nach Abschiedshandlungen, wie bei-spielsweise Abschiedsbriefe, elektronische Nachrichten(SMS, E-Mails), Telefonsprachnachrichten, der Besuch

von typischen Internetportalen etc. Der Bericht der unfall-technischen Untersuchungsspezialisten umfasst Informa-tionen zu Witterungsverhältnissen, Tageszeit, Lichtver-hältnissen, Brems-, Drift-, Schleuderspuren, Aufprallge-schwindigkeit und der Fahrzeugbeschaffenheit.

Zur Verdeutlichung der Zuordnungsproblematikein Fallbeispiel aus dem Obduktionsgut des In -s tituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich

Ein 82 Jahre alt gewordener Mann wurde an einem Nachmit-tag im Februar tot in seinem VW Golf gefunden, nachdem erzuvor mit seinem Auto am Straßenrand einer Landstraße(Geschwindigkeitsbegrenzung 80 km/h) mit einem Baumkollidiert war. Bei der Obduktion fanden sich Verletzungen,die sich zweifelsohne dem Verkehrsereignis zuordnen lie-ßen: Es fanden sich Hinweise für einen Kopf-Anprall amDashboard in Form einer Perforation der Unterlippe, Zerrei-ßungen der Zunge, Zahnabbrüchen und einer Quetsch-Riss-wunde am Kinn. Das Brustbein war quer gebrochen. Die Rip-pen wiesen gering umblutete Serienbrüche auf beiden Sei-ten auf und in beiden Brusthöhlen fanden sich insgesamt ca.2.000 ml Blut. Die Leber zeigte mehrere Zerreißungen und inder Bauchhöhle fanden sich weitere 200 ml Blut. Die rechteHüftpfanne und das rechte Wadenbein waren gebrochen undan den Unterschenkelstreckseiten fanden sich frische Haut-unterblutungen. Die inneren Organe wiesen Schockzeichennach Blutverlust im Sinne sogenannter Organeigenfarbe aufund es fanden sich streifige Unterblutungen der Herzinnen-haut als Zeichen eines hämodynamisch relevanten Blutver-lusts. Die Fettembolieprobe mittels Doppelmesserschnitt fieldeutlich positiv (Grad III nach Falzi et al.) aus. Die forensisch-pharmakologisch-toxikologische Untersuchung ergab kei-nen Nachweis einer Beeinträchtigung durch Alkohol, Medi-kamente oder andere Fremdstoffe.

Bei der Obduktion ließen sich außerdem vorbestehende, al-tersbedingte Organveränderungen feststellen, hier vor-nehmlich ein deutlich vergrößertes Herz (420 g, 79 % rela-tives Herzübergewicht nach ZEEK) mit alter Infarktnarbein der Herzhinterwand und einer stenosierenden, koronaren3-Ast-Gefäßerkrankung, ein Lungenemphysem, eine ge-neralisierte Arteriosklerose und eine Zyste an der rechtenNiere sowie ein solitäres Nebennierenrindenadenom. DieTodesursache war ein hämorrhagischer Schock bei Poly-trauma in Verbindung mit vorbestehenden Organverände-rungen. Die Bewertung der Todesart war äußerst schwierigund ohne ergänzende polizeiliche Abklärungen unmöglich.

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Suizide im Strassenverkehr

in der Schweiz und in Bayern

Saskia Gauthier, Sybille Kraus, Vladeta Ajdacic-Gross, Matthias Graw,

Thomas Reisch, Christine Bartsch

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Infolge der vorbestehenden Organveränderungen wäre ausrechtsmedizinischer Sicht ein Unfall aus natürlicher innererUrsache grundsätzlich denkbar gewesen. Die unfalltechni-schen Untersuchungen ergaben, dass der Mann nicht ange-gurtet war. Die Witterungs- und Lichtverhältnisse zum Zeit-punkt des Ereignisses waren unauffällig gewesen. Bei derLandstraße handelte es sich um eine schnurgerade verlau-fende, geringgradig abfallende Straßenführung, die mit einerüblichen Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h zu be-fahren ist. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass derältere Herr die Strecke offenbar mehrmals, von unterschied-lichen Zeugen beobachtet, abgefahren hatte. Die Woh-nungstüre war unverschlossen mit einem von innen ste-ckenden Schlüssel und auf einem Tisch in der Wohnung desMannes lag offenkundig zur Ansicht ein Testament. Letztlichwurde in Anbetracht aller Untersuchungsergebnisse ein Sui-zid als wahrscheinlichste Todesart angenommen.

Dieses Fallbeispiel verdeutlicht eindrücklich, wie schwie-rig letztlich die rechtsmedizinische Bewertung der Todes-art bei tödlichen Verkehrsereignissen ist und stellt den Be-zug zu Studienergebnissen zweier ähnlich angelegter Stu-dien aus Zürich und München her, welche sich rechtsmedi-zinisch untersuchter Suizide im Straßenverkehr gewidmethatten. Die Ergebnisse der beiden Studien und möglichePräventionsansätze zu dieser deutlich unterschätzten Sui-zidmethode werden nachfolgend dargestellt.

Methode

Grundlage der zwei Studien waren zwei großangelegteForschungsprojekte:

Suizide in der Schweiz 2000–2010

Bei diesem vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertenProjekt (Projektnummer: 133070) handelte es sich um ein in-terdisziplinäres (Psychiatrie und Rechtsmedizin) multizentri-sches Forschungsprojekt, daß zum Ziel hatte, detaillierteKenntnisse von Suizidmethoden in der Schweiz zu gewinnenund auf Basis der neu gewonnenen Erkenntnisse neue Prä-ventionsstrategien zu entwickeln. Methodisch wurden retro-spektiv alle Akten rechtsmedizinisch untersuchter Suizideder Jahre 2000–2010 aus den Datenarchiven aller Institutefür Rechtsmedizin der Schweiz durchgeschaut und benötigteDaten mithilfe eines hierfür konzipierten Erhebungsbogenserfasst. Einziges Einschlusskriterium war, dass die rechtsme-dizinisch bestimmte Todesart eindeutig ein Suizid war. Ausdem SPSS-Datengut der insgesamt 4.885 erfassten Fällewurden 53 Fälle von Suiziden im Strassenverkehr extrahiert.Eingeschlossen wurden sowohl aktiv motorisierte als auchnicht-motorisierte Suizidenten. Zugtodesfälle wurden vonder Untersuchung ausgeschlossen. Unterschiede zur Ge-samtstichprobe wurden mit dem Chi-Quadrat-Test überprüft.

Suizide in Bayern

Im Rahmen eines Habilitationsprojekts wurden Akten zuSuiziden im Straßenverkehr aus dem Sektionsgut des In-stituts für Rechtsmedizin der Universität München retro-spektiv ausgewertet.

Ergebnisse

Es fanden sich insgesamt 80 Fälle, wovon 53 aus derSchweiz (1,02 % der Gesamtstichprobe) und 27 aus Bay-ern stammten. 81 % der Fälle waren rechtsmedizinischeObduktionen, die übrigen 19 Fälle waren amtsärztlicheLeichenschauen am Sterbeort ohne anschließende Ob-duktion. Tabelle 1 gibt einen Überblick über soziodemo-grafische Parameter zu den verstorbenen Personen. Auf-fallend war, dass die Schweizer Studienpopulation mit ei-nem durchschnittlichen Lebensalter von 43 Jahren durch-schnittlich 8 Jahre jünger war als die Gesamtstichprobeder übrigen Suizide (p < ,001), was sich mit den Ergebnis-sen anderer Studien deckt, die besagen, dass Suizidentenim Straßenverkehr in der Regel jünger sind, als Personen,die eine andere Suizidmethode wählen.

50 % der Suizide fanden auf Landstraßen statt gefolgtvon Autobahnen (27 %). Den Akten liess sich in 27 der 80Fälle (33,8 %) entnehmen, dass, gemäss polizeilichenErmittlungen, keine Bremsspuren vorlagen. Als Suizid-methode wählten 71 % das aktive Fahren gegen ein fes-tes Hindernis, wobei dies meistens andere Personen-kraftwagen (35 %) oder Lastwagen (23 %) waren. In 26 %der Fälle kam es zum Tod durch ein sich-überfahren-las-sen. Tabelle 2 zeigt die Hindernisse, gegen die in suizi-daler Absicht gefahren wurde. Begleittodesfälle von un-beteiligten Personen, wie beispielsweise dem Fahrerdes entgegenkommenden Fahrzeugs, kamen in 6 der 53Schweizer Fälle vor und damit insgesamt 4 mal häufigerals bei anderen Suizidmethoden (p < ,000). Hierdurchwird betont, dass diese Methode nicht nur für den Suizi-

Fachvorträge 73

n = 43 (%)

Pkw-Pkw 15 (35)

Pkw-Lkw 10 (23)

Pkw-Baum 9 (21)

Pkw-anderesfestes Hindernis

5 (12)

Pkw-Abhang/Sturz 3 (7)

Pkw-Zug 1 (2)

Tabelle 1: Soziodemografische Parameter

Tabelle 2: Mechanismus des Suizids bei Fahren gegen Hindernis

n (%)

Weiblich 16 (20)

Männlich 64 (80)

Alter 18–82

Median 43

Zivilstand n = 49

Verheiratet 17 (35)

Unverheiratet 32 (65)

Nationalität n = 80

Schweizer 38 (79)

Deutsch 22 (81,5)

Berufstätigkeit n = 31

Reguläre Arbeits-zeit (nur CH)

23 (74)

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Fachvorträge

denten, sondern auch für unbeteiligte Personen lebens-gefährlich ist.

Informationen zu psychiatrischen Erkrankungen lagen inweniger als der Hälfte aller Fälle vor. Falls bekannt, warenDepression und wiederkehrende Suizidalität die vorherr-schenden Erkrankungen, womit sich der Suizident imStraßenverkehr nicht von den anderen Suizidenten unter-scheidet.

Somatische Vorerkrankungen ließen sich in 24 Fällen denAkten entnehmen. Vorherrschend waren neurologischeErkrankungen (25 %), gefolgt von kardiovaskulären Er-krankungen (17 %) sowie Erkrankungen von Augenund/oder Ohren (13 %). Bei 8 % der Fälle ließ sich den Ak-ten das Vorliegen eines Malignoms entnehmen.

Als vermutete Auslöser galten nach Abschluss der polizei-lichen Ermittlungen in 43 % der Fälle akute psychischeBelastungen. Abschiedshandlungen fanden sich in etwasmehr als einem Viertel aller Fälle (26 %), meistens in Formvon Briefen (41 %) und/oder verbalen Suizidankündigun-gen (32 %) gegenüber Dritten. Im Vergleich der SchweizerFälle mit der Gesamtstichprobe zeigte sich, dass Ab-schiedshandlungen hier signifikant seltener waren als beider Gesamtstichprobe (p < ,002).

Eine pharmakologisch-toxikologische Untersuchung wur-de in 74 % der obduzierten Fälle durchgeführt, und im Fal-le der Schweizer Stichprobe signifikant häufiger als beider Gesamtstichprobe der übrigen Suizidmethoden(p < .001), was unterstreicht, wie wichtig diese ergänzen-den Untersuchungen bei der Abklärung tödlicher Ver-kehrsunfälle sind. Die Trinkalkoholbestimmung im peri-pheren Blut bzw. im Muskelgewebe fiel in 41 % der Fällenegativ und in 32 % positiv aus mit einem Range zwischen0,3–2,4 Gew. ‰. Die immunochemischen Vorteste imUrin oder im Nierendialysat waren bei 60 % der Fälle ne-gativ und damit weniger häufig negativ als in der Gesamt-stichprobe der übrigen Suizidmethoden (p < ,000 nurSchweizer Fälle).

Mögliche Präventionsansätze

Mögliche Präventionsansätze für diese offenbar deutlich un-terschätzte, fremdgefährdende erfolgreiche Suizidmethodekönnten neue technische Entwicklungen in Form von Fahre-rassistenzsystemen, wie beispielsweise Kollisionsschutz,sein, die insbesondere Suizide im Affekt verhindern könn-ten. Als wichtigen Aspekt erachten wir außerdem die Sensi-bilisierung von Mitarbeitenden des Gesundheitssystems fürdiese Suizidmethode, um insbesondere bei Überlebendenvon Verkehrsunfällen die Möglichkeit eines Suizidversuchsals Unfallursache in Betracht zu ziehen. Generell zeigen dieanhand unserer retrospektiven Studien gewonnenen Daten,dass viele bedeutende Informationen nicht aus den rechts-medizinischen Akten hervorgehen und weitere prospektiveForschungsansätze in diesem Bereich verfolgt werden soll-ten. Wünschenswert wäre eine gezielte, interdisziplinäre Er-forschung und Abklärung aller tödlichen Verkehrsereignissezur Entwicklung von weiteren Präventionsansätzen.

Literatur

1. Bundesamt für Statistik. Verkehrsunfälle in der Schweiz 2013.http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=5605

2. Statistisches Bundesamt – Verkehrsunfälle in Deutschland 2013.https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/Verkehrsunfaelle.html

3. Routley, V., Staines, C., Brennan, C., Haworth, N., Ozanne-Smith,J.: Suicide and Natural Deaths in Road Traffic – Review. Monash Uni-versity Accident Research Centre 2003, Report Nr. 216.

4. Michel, K., Ballinari, P., Bille-Brahe, U., Bjerke, T., Crepet, P., DeLeo, D.: Methods used for parasuicide: results of the WHO/EUROMulticentre Study on Parasuicide. Soc Psychiatry Psychiatr Epide-miol 2000; 35(4),156–63.

5. De.Statista.de. Anzahl der Sterbefälle durch Suizid in Deutsch-land nach Art der Methode im Jahr 2012. http://de.statista.com/sta-tistik/daten/studie/585/umfrage/selbstmordmethoden-in-deutschland-2006/

6. Milner, A., De Leo, D.: Suicide by Motor Vehicle “Accident“ inQueensland. Traffic Inj. Prev. 2012; 13, 342–347.

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Einleitung

„Verkehrsunfälle passieren nicht, sie werden verursacht!“

Bei Verkehrsunfällen, deren Hergang sich nicht auf Anhieberschließt, gilt es, unter dem Aspekt einer möglichen Er-krankung eines der Fahrzeugführer, besonders sorgfältigzu ermitteln und möglichst frühzeitig Beweise zu sichern.

Problemstellung

Werden vorschnelle Schlüsse gezogen und scheinbar of-fensichtliche Erklärungen zum Unfallhergang nicht infra-ge gestellt droht, ein unwiederbringlicher Beweismittel-verlust mit der Folge, dass strafrechtliche, verwaltungs-rechtliche und sonstige notwendige präventive Maßnah-men nicht ergriffen werden können.

Ein Ermittlungsverfahren kann durchaus auch Ausgangs-punkt für weitergehende medizinische Maßnahmen undTherapien beim Unfallfahrer sein. Andererseits sind wei-tere Unfälle unter Umständen vermeidbar, wenn konse-

quent aufgeklärt wird. Gelegentlich erbringen derartigeErmittlungen sogar Hinweise auf zuvor nicht bekannte Er-krankungen.

Methodik und Ergebnisse

Dargestellt werden drei Fälle, die besonders verdeutli-chen, welche weitreichenden Folgen einerseits mangel-hafte und andererseits sorgfältige Aufklärung für poten-zielle Opfer, aber auch Unfallverursacher haben können.

Beispiel 1

Unfall Nr. 1 (5.7.2004):Fahrzeugführer kommt mit seinem Pkw in einer Linkskurvevon der Fahrbahn ab und kollidiert mit einem entgegenkom-menden Fahrzeug. Ein nachfolgendes Fahrzeug kann nichtmehr rechtzeitig bremsen und fährt in die Unfallstelle hinein.Bilanz: Verletzte Personen und erheblicher Sachschaden.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Fahrzeugführer wird ge-mäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) gegen Auflage ein-

Posterführungen 75

Unfallursache Krankheit – Ermittlungsansätze

sowie präventive Aspekte

Klaus Püschel, Günther Thayssen, Peter Kellerer, Maria Focken

Posterführungen

Der Spiegel (Ausgabe 45/2011)

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Posterführungen

gestellt. Die Aufklärung der Unfallursache unterbleibt; füh-rerscheinrechtliche Maßnahmen werden nicht angeordnet.

Unfall Nr. 2 (22.12.2004):Fahrzeugführer fährt auf einer Landstraße mehrfach aufein vor ihm fahrendes Fahrzeug auf, überholt und fährtungebremst mit ca. 100 km/h in eine geschlossene Ort-schaft, wo er von der Fahrbahn abkommt, sich über-schlägt und an einem Lärmschutzwall zum Stehen kommt.

Bilanz: Unfallverursacher wird lebensgefährlich verletzt,weitere Unfallbeteiligte werden leicht verletzt, hoher Sach-schaden.

Das Ermittlungsverfahren wird gemäß § 170 Abs. 2 StPOeingestellt, weil kein hinreichender Tatverdacht für dasVorliegen einer Straftat besteht. Eine Verhängung vonführerscheinrechtlichen Maßnahmen gem. §§ 69, 69aStPO ist damit nicht möglich.

Die tatsächliche Unfallursache wird nicht aufgeklärt.

Unfall Nr. 3 (12.3.2011):Fahrzeugführer kommt bei der Fahrt auf einer Autobahnplötzlich und ohne erkennbaren Anlass nach links von derFahrbahn ab. Das Auto wird nach Kollision mit Leitplankenzurück auf die Fahrbahn geschleudert, wo es mit einemnachfolgenden Pkw und einem Sattelzug kollidiert.Bilanz: Hoher Sachschaden.

Dem Unfallverursacher wird zunächst die Fahrerlaubnisvorläufig gemäß § 111a StPO entzogen. Nach Beschwerdedurch den Beschuldigten wird dieser Beschluss aufgeho-ben und dem Beschuldigten der Führerschein zurückge-geben. Das Ermittlungsverfahren wird anschließendebenfalls gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichen-den Tatverdachts eingestellt.

Der Fahrzeugführer erhält nach Abschluss des Verfahrenseine Entschädigung aus der Staatskasse für die „erlittene“vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

Es erfolgt keine abschließende Aufklärung der Unfallursa-che. Die Einlassung des Beschuldigten, ein technischerMangel sei unfallursächlich gewesen, kann nicht (mehr)widerlegt werden, da das Fahrzeug für eine Untersuchungnicht mehr zur Verfügung steht.

Unfall Nr. 4 (12.3.2011):Bilanz: 4 Tote und mehrere Verletze; hoher Sachschaden.

Unfallursache: Epileptischer Krampfanfall – retrospektivebenso bei den vorangegangenen Unfällen Nr. 1–3.

Wäre dieser schwere Unfall vermeidbar gewesen, wennman die früheren Unfallereignisse konsequent aufgeklärthätte?

Beispiel 2

Ein zum Tatzeitpunkt 68-jähriger Pkw-Führer, ein prakti-zierender Arzt, kollidierte nachts beim Befahren einer in-nerstädtischen Straße mit 12 (!) am linken Fahrbahnrandgeparkten Pkw und verließ unerlaubt die Unfallstelle. DasFahrzeug wurde wenige Hundert Meter entfernt unver-schlossen aufgefunden. Im Fahrzeug befanden sich unteranderem ein Arztkoffer mit diversen Notfallmedikamen-ten, Spritzen und die Radkappe eines der beschädigtenFahrzeuge.

In der Mittagszeit des folgenden Tages meldete sich der Un-fallfahrer bei der Polizei. Da der Mann eine verwaschene Aus-sprache hatte, wurde er zur Wache gebeten, wo ein Atemal-koholtest mit negativem Ergebnis durchgeführt wurde.

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Der Spiegel (Ausgabe 7/2014)

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Im Auftrag der Staatsanwaltschaft und mit Einverständnisdes Beschuldigten wurde eine körperliche Untersuchunggemäß § 81a StPO durchgeführt, da der Verdacht einer Er-krankung des Beschuldigten vorlag. Die Untersuchungdurch einen Rechtsmediziner und einen Neurologen be-stätigten die Annahme eines Diabetes sowie einer demen-ziellen Erkrankung auf vaskulärer Grundlage mit neurolo-gischen Ausfallerscheinungen.

Im nachfolgenden Hauptverhandlungstermin wurde derAngeklagte wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähig-keit, aufgrund der diagnostizierten Demenzerkrankung,vom Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs freige-sprochen und wegen des weiteren Vergehens des uner-laubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verur-teilt. Darüber hinaus wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogenund eine Sperrfrist von insgesamt fünf Jahren verhängt.

Nach Mitteilung der Anklageschrift und einer weiteren Be-gutachtung wurde dem Angeklagten von der zuständigenGesundheitsbehörde zudem die Approbation entzogen.

Beispiel 3

77-jähriger Beschuldigter geriet auf einer innerstädtischenStraße in den Gegenverkehr und kollidierte mit einem ent-gegenkommenden Pkw. Es entstand Sachschaden in Höhevon insgesamt ca. 4.500 €. Der Beschuldigte entfernte sichunerlaubt von der Unfallstelle. Im Laufe des Ermittlungs-verfahrens stellte sich heraus, dass Ursache für das Unfall-geschehen neben dem geringen Konsum von Alkohol einnicht erkannter Gehirntumor war.

Das Verfahren wurde wegen dauernder Verhandlungsun-fähigkeit des Beschuldigten eingestellt; die Fahrerlaub-nisbehörde wurde informiert.

Fazit

Zu den wichtigsten Maßnahmen der Beweismittelsiche-rung gehören die Feststellungen am Unfallort selbst (Spu-

renlage, Ausschluss technischer Defekte etc.), die Ent-nahme von Blutproben und die körperliche Untersuchungdes Unfallverursachers.

Prinzipiell ist es Aufgabe der Ärzte, ihre Patienten imKrankheitsfall präventiv auch zu Fragen der Fahrtauglich-keit zu beraten und Möglichkeiten zu deren Erhalt aufzu-zeigen. Sollte dies erforderlich sein, ist ein ärztliches„Fahrverbot“ auszusprechen und zu dokumentieren.

Nicht selten berichten Unfallverursacher nach einem Unfal-lereignis mit Verdacht auf Krankheit und/oder Medikamen-teneinfluss gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten,ihr Arzt habe diese Thematik nicht mit ihnen besprochen.

In diesem Zusammenhang ist besonders auf die Studie vonRedelmeier et al. aus Kanada hinzuweisen, die belegt, dassdas relative Unfallrisiko nach gezielter Aufklärung/Warnungdurch den behandelnden Arzt im Hinblick auf medizinischeDefizite immerhin um nahezu 50 % zurückging.

Literatur

1) Püschel, Focken in 52. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 201 ff.und S. 221 ff.

2) DAR 7/2014, S. 403 mit Anm. Focken.

3) Focken, Püschel in BA 3/2014, S. 148.

4) Redelmeier, D. A., Yarnell, C. J., Thiruchelvam, D., Trbshirani, R. J.:Physicians warning for unfit drivers and the risk of trauma from roadcrashes. N Engl. J Med 367/13), 1228–1236/2012).

5) Beschluss des 117. Deutschen Ärztetages (2014), VII-58, 117. Deut-scher Ärztetag (Düsseldorf, 27.–30.5.2014) „VerkehrsmedizinischeKompetenz ist ein wesentliches Element in der Patientenberatung“;Rudiger, G., Kocherscheid, K. (Hg.).

6) Ältere Verkehrsteilnehmer – Gefährdet oder gefährlich; Defizite,Kompensationsmechanismen und Präventionsmöglichkeiten. Uni-versity Press, Bonn 2011.

Posterführungen 77

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Posterführungen

Einleitung

Tödliche Verkehrsunfälle, bei denen ein Fußgänger durchden unfallverursachenden Pkw über weite Strecken mit-geschleift wird, sind eher selten. In der Regel beträgt dieMitnahmestrecke nur einige Meter. Meist geraten Perso-nen unter ein Fahrzeug, die bereits auf der Straße liegen,seltener Personen, die im Rahmen des Unfalls an- undumgestoßen werden. Sie werden zwischen Fahrzeugun-terboden und Straße eingeklemmt oder verhaken sich mitihrer Kleidung an Unterbodenstrukturen.

Fragen der Ermittlungsbehörden, die vonseiten der Rechts-medizin bzw. des Unfallsachverständigen beantwortet wer-den sollen, sind in der Regel:

1. Todesursache?2. Anstoßpunkt des Opfers am Pkw? 3. Wo unter dem Fahrzeug hatte sich das Opfer verhakt

bzw. wo war es eingeklemmt? 4. Bemerkbarkeit des Fußgängeranpralls und Mitschleifens

durch den (stark alkoholisierten) Beschuldigten? 5. Vermeidbarkeit des Unfalls?

Kasuistik

Sachverhalt

Gegen 07:25 Uhr meldete der Unfallverursacher der Poli-zei einen durch ihn verursachten Verkehrsunfall „an meh-reren geparkten Pkw innerhalb einer Ortschaft“. AufNachfrage verneinte er einen Personenschaden. Etwazeitgleich fanden Zeugen die Leiche des 27-jährigen Zei-tungsausträgers auf der Straße, in einer Linkskurve nach

einer Kreuzung (Abb. 1). Der Auffindeort befand sich etwa3,11 km nach der Unfallstelle und etwa 0,5 km vor derWohnanschrift des Beschuldigten.

Dieser wurde von der Polizei kurz nach 08:00 Uhr daheimalkoholisiert angetroffen; sein Pkw (VW T4) war ord-nungsgemäß geparkt und wies massive Beschädigungenauf (Abb. 2). Die BAK des Beschuldigten betrug um 10:55 Uhr2,24 Promille; aufgrund eigener Angaben kann der Be-schuldigte als alkoholgewöhnt bezeichnet werden. AmFahrverhalten seines Pkw sei nichts auffällig gewesen.

Gegebenheiten an der Unfallstelle

Der Pkw Dacia des Zeitungsausträgers war in Fahrtrich-tung des Beschuldigten am linken Fahrbahnrand geparkt.Hinter ihm drei weitere Pkw. Alle wurden beschädigt unddurch den Aufprall verschoben, Zeitungstaschen und Aus-tragewagen waren auf der Straße verteilt (Abb. 3, Abb. 4).Die Beamten der Verkehrsunfallaufnahme stellten auf der3,1 km langen Strecke bis zum Auffindeort eine „nichtdurchgehende Schleifspur, teils mit Blut- und/oder Gewe-beantragungen“, „auch auf der Gegenfahrbahn, nahezumittig“ fest. Es sei „jede Kurve so geschnitten, als ob derFahrer gerade durchfahren wollte“.

Beschädigungen an den beteiligten Pkw und Gegenständen

Der VW T4 des Unfallverursachers wies massive Beschädi-gungen vorne links auf; zudem fand sich eine Delle an derVorderseite der Motorhaube, Schmutzabrieb am Unterbo-den links bis vor die Hinterachse und eine verbogeneBremsleitung links hinten. Am vorderen Kennzeichenkonnte ein textiles Abdruckmuster festgestellt werden.

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Pkw-Fußgänger-Unfall mit kilometerweitem

Mitschleifen – eine Kasuistik

Kathrin Stadler, Kai Ahlgrimm, Hans-Theodor Haffner

Abb. 1: Auffindeort des Getöteten Abb. 2: Pkw VW T4 des Beschuldigten

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Die übrigen beteiligten Pkw wiesen teils massive Beschädi-gungen auf. An der Innenseite der Beifahrertür des PkwDacia des Getöteten waren Schmutzspritzer nachweisbar.Der Griff des Zeitungsaustragewagens war deutlich verbogen.

Wesentliche Sektionsbefunde

Bei der Obduktion fanden sich, bei altersentsprechendunauffälligem Organstatus, Zeichen des Verblutens beiriesigem, teils bis auf die Knochen reichendem Schürfa-real des Rumpfs und Oberschenkels sowie des Gesichts,jeweils linksseitig.

Brust- und Bauchhöhle waren eröffnet, wobei Herz undLunge ebenfalls Schürfdefekte aufwiesen.

Weiterhin fanden sich flächige Schürfbezirke des Rückensund der Extremitäten, ein inkompletter Durchriss der Le-ber in der Mittellinie, eine Einblutung im Bereich der Milz-wurzel mit kleinem Kapseldefekt.

Zudem bestanden zwei Quetsch-Riss-Wunden der Kopf-schwarte, ein Schädelberstungsbruch einhergehend mitleichter Subdural- und Subarachnoidalblutung rechts,Hirnrindenprellungsarealen rechts frontal und temporalsowie ein Hirnödem, bereits mit Zeichen des Hirndrucks.

Auffällig waren ausgedehnte petechiale Blutungen derHaut und Schleimhäute des Gesichts und eine kleineHautvertrocknungszone mit textilem Abdruckmuster ander rechten Knieinnenseite, etwa auf Stoßstangenhöhe.Es lagen keine Überrollverletzungen vor.

Rekonstruktion und Ergebnisse

1. Todesursache: Die an Kopfschwarte, Hirnschädel undGehirn festgestellten Befunde lassen sich am ehestendurch eine Anprallverletzung des Kopfes interpretieren.Die Verletzungen sind jedoch nicht so schwer, dass hier-durch alleine der Tod sofort hätte eintreten können. Weite-re Verletzungen, die von den schleifbedingten Verletzun-gen abzugrenzen wären, konnten nicht festgestellt wer-den. Insofern ist zunächst davon auszugehen, dass der Ge-schädigte nicht bereits durch den primären Anprall an derUnfallstelle tödlich verletzt wurde. Vielmehr ist davon aus-zugehen, dass es aufgrund der Schleifverletzungen zu Er-öffnungen von großen Gefäßen, u. a. des Herzens, undKörperhöhlen gekommen ist und letztlich diese Verletzun-gen für den Todeseintritt durch Verbluten verantwortlichwaren. Er wurde demnach erst durch das Mitgeschleiftwerden tödlich verletzt. Auch die ausgeprägten petechia-len Blutungen sprechen dafür, dass der Tod nicht soforteintrat. Die tiefgreifenden Schleifverletzungen lassen sichdurch einen langstreckigen Schleifkontakt erklären.

2. Eine eindeutige, zweifelsfreie Anstoßverletzung konntenicht aufgezeigt werden. Dies könnte darauf zurückge-führt werden, dass zwischen dem anstoßenden Fahrzeugund dem Körper des Getöteten als polsterndes Elementder Zeitungswagen lokalisiert war; passend hierzu fandensich textile Abdruckmuster am Knie des Getöteten und amKennzeichen des T4. Der Griff des Austragewagens fügtesich in die Delle in der Motorhaube ein.

3. Verklemmung unter dem Pkw: Dass der Geschädigtenicht abgewiesen, sondern unter das Fahrzeug gezogenwurde, kann ggf. durch eine gebückte Körperhaltung mitdadurch tiefer liegendem Körperschwerpunkt erklärt wer-den. Offensichtlich war er gerade dabei, Zeitungspakete

Posterführungen 79

Abb. 3: Unfallstelle

Abb. 4: Unfallstelle mit Endstanden

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Posterführungen

aus seinem Fahrzeug auszuladen (Schmutzanspritzungenan der Innenseite der Fahrzeugtür), als sein Fahrzeug ange-stoßen wurde. Durch den Fahrzeuganprall kam es zudemzu einem Aufsteigen des VW T4. Unklar ist dabei, warumder Körper nicht unter dem Fahrzeug durchgewalkt wurde,sondern sich verhakte. Die gemeinsam durchgeführte Be-sichtigung der Kleidung zeigte keine sicheren Hinweise aufein Einhaken der Kleidung an einer Unterbodenstruktur.Am Auffindeort löste sich der Körper vermutlich infolge derLenkbewegung nach dem Abbiegevorgang.

4. Bemerkbarkeit: Das Mitschleifen einer Person mussdurch den Unfallverursacher zunächst nicht bemerkt wer-den, da sich das Fahrverhalten des VW T4 durch die voran-gegangene Pkw-Pkw-Kollision ebenfalls erheblich verän-dern kann. Bemerkt werden kann jedoch zumindest innüchternem Zustand die erneute Änderung des Fahrver-haltens nach Lösen der mitgeschleiften Person.

5. Vermeidbarkeit: Im vorgestellten Fall wäre die Kollisionvermeidbar gewesen.

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Einleitung

Bestehende Menschmodelle beruhen auf Daten von Frei-willigen- & Leichenversuchen (postmortem human sub-jects) an Erwachsenen. Neben den äußeren anthropome-trischen Maßen und der geometrischen Form einzelnerSegmente, spielt die Zusammensetzung des menschli-chen Körpers eine große Rolle bei der Entwicklung vonMenschmodellen. Gerade für die Materialeigenschafteneinzelner Weichgewebe (Muskulatur, subkutanes Fettge-webe, Haut) lassen sich in der Literatur unterschiedlicheWerte finden, jedoch keine Daten für Kinder. So basierenModelle speziell für Kinder auf skalierten Erwachsenen-daten. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Notwendig-keit die Eigenschaften von Muskulatur, subkutanem Fett-gewebe und Haut zu überprüfen und vergleichende Unter-suchungen an Kindern und Erwachsene durchzuführen.

Im Speziellen sollen Eigenschaften wie das spezifischeGewicht (Dichte) und der Wassergehalt (WG) einzelnerWeichgewebe – Muskulatur, subkutanes Fettgewebe,Haut – bestimmt, mit bestehender Literatur verglichenund mögliche Unterschiede zwischen kindlichem und er-wachsenem Weichgewebe aufgezeigt werden.

Material und Methoden

An menschlichem Weichgewebe wurde zum einen der Was-sergehalt an 131 Muskelproben (M. psoas major) und 99 Fett-gewebsproben mittels Trocknung bis zur Gewichtskonstanzuntersucht, zum anderen wurde mittels Wasserverdrängungnach dem Archimedischen Prinzip die Dichte vom Weichge-webe bestimmt. Das Kollektiv zur Bestimmung des spezifi-schen Gewichts umfasste 159 Muskelproben, 97 Proben vonsubkutanen Fettgewebe und 79 Hautproben von Leichen imAlter von Neugeborenen bis hin zum Greis. Die Dichte wurdein zwei Gewebezuständen (nativ, konserviert) untersucht unddie Ergebnisse verglichen. Die Fixierung erfolgte mit Formalinund wurde ausschließlich am Muskelgewebe durchgeführt.

Ergebnisse

Dichte

• Das Muskelgewebe der Kinder (MW 1,0551 ± 0,0266 g/cm3) weist signifikant höhere (p < 0,001) Dichtewerteauf als die Muskulatur der Erwachsenen (MW 1,0163 ±0,0218 g/cm3).

• Für das subkutane Fettgewebe (MW 0,9343 ± 0,0700 g/cm3) und die Haut (MW 1,0893 ± 0,0440 g/cm3) konntezwischen den Kindern und den Erwachsenen kein signi-fikanter Unterschied nachgewiesen werden, obwohlbei beiden Geweben die Dichtewerte der Kinder unter-halb der Werte der Erwachsenen liegen.

• Die Dichte von nativen (MW 1,029 g/cm3) und konser-vierten Geweben (MW 1,056 g/cm3) verhält sich nichtgleich; fixiertes Muskelgewebe zeigt das höhere spezi-fische Gewicht.

Wassergehalt

• Es zeigt sich eine hoch signifikanter Unterschied (p < 0,001)sowohl für den Wassergehalt der Muskulatur als auchfür den des subkutanen Fettgewebes zwischen kind-lichen und erwachsenen Weichgewebsproben.

• Das Gewebe der Kinder (Muskel: 76,74 %; Fettgewe-be:11,08 %) zeigte deutlich höhere Werte als das derErwachsenen (Fettgewebe: 8,25 %).

Diskussion

Die Ergebnisse veranschaulichen, dass es signifikante Un-terschiede der Werte von Dichte und Wassergehalt vonkindlichem und erwachsenem Gewebe gibt, die nicht zuvernachlässigen sind, sodass für die Generierung von Kin-dermodellen Daten nicht ohne Weiteres aus der Literaturfür Kinder übernommen werden dürfen.

Posterführungen 81

Physikalische Eigenschaften menschlichen

Weichgewebes – Vergleichende Untersuchung

an Erwachsenen und Kindern

Stefanie Lochner, Matthias Graw

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Posterführungen

Einleitung

Bei langjährigem i. v.-Drogenabusus kommt es sowohl zuentzundlichen als auch zu toxischen Affektionen des Myo-kards, welche Anlass fur eine kardiale Versagensbereit-schaft bei drogenassoziierten und davon unabhängigenTodesfällen, und somit auch bei drogenabhängigen Kfz-Fuhrern, sein können.

Untersuchungsgut und Methode

Bei 100 Drogentoten, die nach langjähriger intravenöserApplikation verstarben, wurden systematisch entnomme-ne Herzproben histopathologisch untersucht.

Ergebnisse

Histopathologisch konnte ein breites, z. T. weitgehendubereinstimmendes Spektrum histopathologischer Be-funde mit perivaskulärer und interstitieller Fibrose, Endo-kardfibrose, fokaler Myokardfibrose sowie mit myokardi-tischen Veränderungen, hierbei sowohl als virale Begleit-myokarditits als auch als Ausdruck einer allergisch-ana-phylaktischen Komponente, festgestellt werden.

Schlussfolgerungen

Histologische Untersuchungen des Herzens sind hilfreichund im Einzelfall, auch bei drogenunabhängigen Todesfäl-len, notwendig zur Erhebung von Befunden, die eine kar-diale Versagensbereitschaft erklären.

82

Kardiale Versagensbereitschaft bei i. v.-

drogenabhängigen KFZ-Fuhrern

Manfred Riße, Tobias Röcker, Reinhard Dettmeyer

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Posterführungen 83

Einleitung

In den vergangenen Jahren haben computergestützteMenschmodelle zunehmend an Bedeutung für die biome-chanische Forschung und die Anwendung in der Fahreug-sicherheit gewonnen. Insbesondere sogenannte Finite-Elemente (FE)-Menschmodelle besitzen dabei ein großesPotenzial zur detaillierten Verletzungsbewertung und Un-fallrekonstruktion. Im Gegensatz zu konventionellenDummymodellen, mit denen lediglich die Kinematik undeine mechanische Belastung abgebildet werden können,können mit numerischen Menschmodellen Spannungs-verläufe und Deformationen, die bei einem Anpralin un-terschiedlichen Körperregionen auftreten, differenziertanalysiert und tatsächliche Verletzungen wie z. B. Fraktu-ren simuliert werden.

Kommerziell verfügbare Menschmodelle besitzen zwarschon ein großes Potenzial zur Verletzungsbewertung inCrashsimulationen, können aber besonders in Bezug auf dieMaterialmodellierung verbessert werden. Insbesondere imGebiet der Crashberechnung stellen Anprallszenarien mit ho-hen Geschwindigkeiten eine besondere Herausforderung fürdie Modellierung der biologischen Gewebe dar. Die meistenGewebe im menschlichen Körper weisen ein komplexes Ma-terialverhalten auf, das besonders durch seine Dehnratenab-hängigkeit charakterisiert wird. Für Crashsimulationen mitnumerischen Menschmodellen ist es deshalb wichtig, dasMaterial von Weichgewebe so zu definieren, dass es auch fürhohe Dehnraten ein korrektes Materialverhalten aufweist.Innerhalb dieser Studie wurde ein dehnratenabhängiges Ma-terialmodell für passives Muskelgewebe entwickelt undgegen Daten aus Freiwilligenversuchen validiert.

Methodik

1. Entwicklung des Materialmodells

Zunächst wurde auf Basis der Daten von Cronin et al.(2006) eine mathematische Materialbeschreibung für pas-sives Muskelgewebe unter Kompressionsbelastung entwi-ckelt. Durch Versuche mit einer Split-Hopkinson-Prüfein-richtung hat Cronin Spannungs-Dehnungs-Kurven fürMuskelgewebe von Rindern unter Kompressionsbelastungbestimmt. Die numerische Materialbeschreibung wurdevorläufig durch die Simulation dieser Versuche überprüft.

2. Freiwilligenversuche

Anschließend wurden Freiwilligenversuche (Abbildung 1)durchgeführt, bei denen ein Aluminiumimpaktor aus ver-schiedenen Höhen (20 und 40 cm) auf den entspanntenOberarm der 7 Freiwilligen fallen gelassen wurde. Dabeiwurde die Beschleunigung des Impaktors (Abbildung 2)gemessen.

3. Validierung der Materialbeschreibung

Im Folgenden wurde die im ersten Schritt entwickelte Ma-terialbeschreibung durch Simulation der Freiwilligenver-suche und Vergleich der Beschleungungen in Versuch undSimulation validiert.

Ergebnisse und Diskussion

Abbildung 3 zeigt Simulationsaufbau und Spannungsver-lauf der nachgestellten Experimente von Cronin et al.

Bestimmung von passiven Muskeleigenschaften

für computergestützte Menschmodelle in der

Crashsimulation

Therese Fuchs, Ketuo Zhou, Felicitas Lanzl, Matthias Graw, Steffen Peldschus

Abb. 1: Freiwilligenversuch Abb. 2: Beschleunigungsprofile des Impaktors gemessen 7 Freiwillige Abb. 3: Modellaufbau

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(2006). Das Materialmodell FU_CHANG_FOAM wurdefür die mathematische Modellierung des Rindermus-kels gewählt. Die Dehnratenabhängigkeit des Gewe-bes kann durch dieses Materialmodell wiedergegebenwerden.

Abbildung 4 zeigt die Spannungs-Dehnungs-Kurven derFE-Simulation im Vergleich zu den Experimenten vonCronin et al. (2006) für die Dehnraten 1.000 s-1, 1.700 s-1 und 2.300 s-1. Die Grafik zeigt, dass die Ergebnisseder Simulation annähernd mit denen der Experimenteübereinstimmen. Der Unterschied in den Kurvenverläu-fen bis zu einer Dehnung von etwa 0,2 ist darauf zurück-zuführen, dass diese in der Simulation noch keinen sta-bilen Zustand erreicht hat. Zusammenfassend lässt sichsagen, dass die getroffene Materialwahl für das passiveMuskelgewebe unter Kompressionsbelastungen sehrgut geeignet ist.

Abbildung 6 vergleicht den Kraft-Zeit-Verlauf der Frei-willigenversuche mit dem der Simulation (Abbildung 5)für eine Fallhöhe von 20 cm. Die Ergebnisse spiegelnden Verlauf der Kurve aus den Versuchen sehr gut wi-der. Allerdings wird die genaue Form der experimentel-len Kurven nicht exakt durch die Simulationskurve wie-dergegeben. Kurvenverläufe der Ergebnisse der Fallhö-he aus 40 cm weisen einen ähnlichen Trend auf. Die Dis-krepanz zwischen den Kurven kann durch unzureichendmodellierte Materialien der Haut und des Fettgewebesverursacht werden. Beide Materialen sind ebenfalls

dehnratenabhängig, wurden in diesem Modell aber alselastisch dargestellt.

Schlussfolgerung

Die im Rahmen dieser Studie entwickelte Materialbe-schreibung stellt eine sehr gute mathematische Annähe-rung an das biomechanische Verhalten des passiven Mus-kelgewebes unter Kompressionsbelastung dar. Allerdingsbedarf das Finite-Elemente-Modell der Freiwilligenversu-che weiteres Untersuchungen hinsichtlich einer korrektenMaterialbeschreibung der Haut und des Fettgewebes.

Modellierung des Oberarms

Für die Simulation der Freiwilligenversuche und somitauch für die Validität des gewählten Materialmodells isteine genaue Modellierung des menschichen Arms ent-scheidend. Für diese Studie wurden die CT-Aufnahmen(Abbildung 7A) des Oberarms eines 22-jährigen Mannesin ein STL-Model (Abbildung 7B) überführt, das die Geo-metrien der Haut, der Muskeln und Knochen wiedergibt.Für die Segmentierung wurde die Software Mimics (Versi-on 14.12, Materialise) verwendet. Auf Basis dieses STL-Models wurde der Arm vernetzt und in ein FE-Modell über-führt (Abbildung 7C).

Für die verschiedenen Gewebearten im Finiten-Elemente-Modell wurden die folgenden Materialmodelle gewählt. DieKnochen wurden als Starrkörper modelliert, die Haut und

Posterführungen84

Abb. 4: Spannungs-Dehnungs-Kurven der FE-Simulation imVergleich mit den Ergebnissen von Cronin et al. (2006)

Abb. 7A-C: (A) CT-Aufnahme des Oberarms; Konturlinien für dieModellierung der Weichgewebe (B) auf Basis der CT-Aufnahmen erzeugte Geometrie (STL-Format) folgen-der Gewebe des Arms: Haut, Muskel und Knochen (C)FE-Modell des Arms erzeugt auf Basis des STL-FormatsAbb. 6: Kraft-Zeit-Verlauf der Freiwilligenversuche

Abb. 5: Simulation der Freiwilligenversuche: Spannungsverlauf

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Posterführungen 85

das adipöse Gewebe mit dem Modell OGDEN_RUBBER, Liga-mente elastisch und das Muskelgewebe mit dem Material-modell FU_CHANG_FOAM. Somit wurde lediglich für dasMuskelgewebe ein dehnratenabhängiges Materialmodellgewählt. Als Input hierfür dienten die Spannungs-Dehnungs-Verläufe aus den Versuchen von Cronin et al. (2006).

Literatur

Cronin, D. S.; Van Sligtenhorst, C., Brodland, G. W. (2006): Highstrain rate compressive properties of bovine muscle tissue deter-

mined using a split Hopkinson bar apparatus, Journal of Biomecha-nics, 39, 1852–1858.

Van Loocke, M., Lyons, C. G., Simms, C. K. (2006): A validated modelof passive muscle incompression, Journal of Biomechanics, 39,2999–3009.

Shergold, O. A., Fleck, N. A., Radford, D. (2006): The uniaxial stress ver-sus strain response of pig skin and silicone rubber at low and high strainrates, International Journal of Impact Engineering, 32, 1384–1402.

Comley, K., Fleck, N. (2012): The compressive response of porcineadipose tissue from low to high strainrate, International Journal ofImpact Engineering, 46, 1–1.

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Posterführungen

Das Polytrauma ist die häufigste Todesursache beim Men-schen unter 40 Jahren. Auch wenn schon große Fortschritteerzielt wurden, die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr zureduzieren, liegt das Ziel der Europäischen Kommission beieiner weiteren Reduktion um 50 % von 2010 bis 2020 [1].

Im Sinne der Haddon-Matrix [2] kann dies durch Unfallver-meidung, Reduktion der Verletzungsschwere bei einem Un-fall und durch die medizinische Behandlung der Unfallfol-gen erzielt werden. Um Mittel sinnvoll einzusetzen, ist esnötig, zu wissen, inwieweit eine Verbesserung der prähos-pitalen Versorgung von Polytraumapatienten möglich ist.

In einem ersten Schritt soll hier in Abhängigkeit vom Ortdes Versterbens (am Unfallort oder in der Klinik) analysiertwerden, ob und welche typischen Verletzungsmuster beitödlichen Verkehrsunfällen auftreten.

Alle 277 polytraumatisierten Patienten nach Straßenver-kehrsunfall mit einem ISS ≥16, die in den Jahren 2004 und2005 verstorben waren und in der Rechtsmedizin Mün-chen obduziert wurden, wurden in diese Studie einbezo-gen. Alle Verletzungen wurden nach AIS 2005 update2008 [3] codiert. Es wurden Todeszeit und -ort, Unfallum-stände und demographische Parameter (Alter, Ge-schlecht) aufgenommen.

Im Stil eines Fall-Kontroll-Designs wurden diejenigen, dieam Unfallort verstarben (PT-TUO), mit denen, die in derKlinik verstarben (PT-TIK) hinsichtlich der erhobenen Da-ten verglichen.

MAIS, ISS, die Körperregion(en), in denen der MAIS zu fin-den war, sowie die maximale Verletzungsschwere in jederKörperregion MAISregion (Kopf, Hals inkl. HWS, Thorax inkl.BWS, Abdomen inkl. LWS, knöchernes Becken, obere Extre-mitäten, untere Extremitäten, Äußeres) wurden ermittelt.

Unfallumstände wurden durch Unfallort (außerorts/inner-orts/Autobahn), Art der Verkehrsteilnahme (aktiv: Fahreroder Fußgänger, passiv: Beifahrer/Mitfahrer), Art des Ver-kehrsmittels (Fahrrad/Fußgänger/Krad/Pkw/Sonstige),Gegner (Lkw/Pkw/Alleinunfall/Transporter/Sonstige) so-wie das Anlegen/Tragen eines Gurts bzw. Helms (je nachVerkehrsteilnahme) beschrieben.

Chi-Quadrat-Test bzw. Mann-Whitney-U-Test wurden fürnominale und ordinale bzw. kontinuierliche Variablen ver-wendet, um statistische Unterschiede zwischen den Grup-pen zu erkennen.

178 polytraumatisierte Verkehrsunfallopfer waren am Un-fallort (PT-TUO) verstorben, 99 in der Klinik (PT-TIK). Bei56 % der PT-TUO wurden medizinische Maßnahmen einge-leitet, der Zeitpunkt des Todes lag maximal 1,17 Std nachdem Unfallzeitpunkt. Die Hälfte der PT-TIK starb innerhalbvon 7,2 Stunden nach Unfall, weitere 25 % lebten noch biszu 2,4 Tage, die restlichen 25 % zeigten ein Überleben biszu 123 Tagen.

Unterschiede zwischen diesen zwei Gruppen (PT-TUO vs.PT-TIK, p < 0.05) ließen sich finden für:

– Alter (Median 40a vs. 51a), – Geschlecht (männlich 73 % vs. 60 %), – Unfallort (innerorts 16 % vs. 38 %), – Verletzungsschwere MAIS5+ (90 % vs. 52 %),– Verletzungsschwere ISS=75 (58 % vs. 8 %

(siehe auch Abbildung 1)),– Verletzungsschwere der Körperregionen Kopf, Hals,

Gesicht, Thorax und Abdomen (höhere MAISregion in derGruppe PT-TUO) (z. B. lag ein MAISKopf = 6 bei 38 % derPT-TUO vor und nur bei 4 % der PT-TIK).

86

Verletzungsmuster bei tödlichen

Verkehrsunfällen in Abhängigkeit

von der Überlebenszeit

Sylvia Schick, Christopher Holzmann, Wolfram Hell, Hans-Christoph Pape,

Roman Pfeifer, Matthias Graw

Abb. 1: prozentuale Häufigkeitsverteilung des ISS (gruppiert), fürTod am Unfallort (PT-TUO) und Tod in Klinik (PT-TIK)

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Fahrer, Fußgänger und Mitfahrer waren in den Gruppenstatistisch signifikant unterschiedlich vertreten (66 %, 23%, 11 % vs. 47 %, 35 %, 18 %). Kein statisch fassbarer Un-terschied ließ sich allerdings für die Art der Verkehrsteil-nahme (aktiv, passiv), die Art des Verkehrsmittels, Gurt-bzw. Helmbenutzung oder den Gegner finden.

Die Häufigkeiten, mit denen die Körperregionen jeweilsMAIS3+ verletzt waren, sind in Abbildung 2 tabellarischund grafisch dargestellt.

Die Körperregionen, in denen der MAIS auftrat, unter-scheiden sich nicht: in den Regionen Kopf und/oder Tho-rax traten bei 78 % bzw. 75 % der Verstorbenen dieschwersten Verletzungen auf.

Typische Verletzungsmuster ließen sich ebenso nichtfinden. Die häufigsten Kombinationen von schwerver-letzten Körperregionen MAISregion ≥ 3 sind Kopf und Tho-rax ohne weitere schwerverletzte Region, oder Kopf undThorax und mindestens eine weitere schwerverletzteKörperregion.

Heutzutage nicht behandelbare Verletzungen (AIS6) la-gen bei knapp 60 % vor, die noch am Unfallort verstarben,aber auch bei 8 %, die erst in Kliniken starben. Diese Po-lytraumaopfer waren häufiger weiblich, älter und seltenerFahrer; ihre Unfälle fanden häufiger innerorts statt.

Für keine Gruppe konnten typische Verletzungsmuster gefun-den werden. Kopf und Thorax bleiben die am häufigsten undam schwersten verletzten Regionen bei tödlichen Unfällen.

Die vermeidbaren Todesursachen sollen bei den 40 % derPolytraumapatienten, die am Unfallort mit einem MAIS < 6verstarben, in einem nächsten Schritt identifiziert werden,um Präventionsmaßnahmen abzuleiten.

Literatur

[1] European Commission, Brussels, 20.7.2010, COM(2010) 389 final.

[2] Haddon, W.: American Journal of Public Health,1968, 58, 1431–8.

[3] Association for the Advancement of Automotive Medicine, AAAM:The Abbreviated Injury Scale: 2005 update 2008, Barrington, IL; 2008.

Posterführungen 87

Abb. 2: Anteil der Polytrauma Patienten, bei denen in der entsprechenden Körperregion eine Verletzung der Schwere MAISregion ≥ 3 auftrat,je für die Gruppen Tod am Unfallort und Tod in Klinik

Tod am Unfallort, n = 178

Kopf MAISregion 3+ 74.2 %

Gesicht MAISregion 3+ 14.0 %

Hals MAISregion 3+ 32.0 %

Thorax MAISregion 3+ 92.7 %

Abdomen MAISregion 3+ 46.1 %

Becken MAISregion 3+ 43.3 %

Obere Extremität MAISregion 3+ 3.4 %

Untere Extremität MAISregion 3+ 43.3 %

Äußeres MAISregion 3+ 3.4 %

Tod in Klinik, n = 99

Kopf MAISregion 3+ 74.7 %

Gesicht MAISregion 3+ 5.1

Hals MAISregion 3+ 14.1 %

Thorax MAISregion 3+ 89.9 %

Abdomen MAISregion 3+ 28.3 %

Becken MAISregion 3+ 31.3 %

Obere Extremität MAISregion 3+ 1.0 %

Untere Extremität MAISregion 3+ 20.2 %

Äußeres MAISregion 3+ 0.0 %

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Posterführungen

Motivation

Bei Frontal-Unfällen treten in einem bestimmten Ge-schwindigkeitsspektrum neben Rippen-Frakturen häufigauch Brustbein-Frakturen auf [1]. Bisher wurde noch keineStudie zu Brustbein-Frakturen mit Menschmodellendurchgefuhrt. Die Einflussfaktoren und Verletzungsme-chanismen mussen noch untersucht werden. Die Mikro-struktur und spezifisch die Corticalis-Schicht des Kno-chens spielt eine entscheidende Rolle bei der Energie-Aufnahme bzw. die Verformung und Spannungsverteilungbei der Belastung der Knochenstruktur. Zur Bestimmungder Mikrostruktur wurden 3 Brustbeine gescannt.

Micro-CT-Scan

Drei Brustbeine wurden präpariert am Institut fur Rechts-medizin der Ludwigs-Maximilians-Universität Munchen.Die Proben wurden gescannt mit einer Voxel-Auflösungvon 0.139 mm in einer 3-D-micro-CT Scanner GeneralElectric phoenix v | tome | x s Machine (Earth and Environ-mental Science der LMU). Diese Auflösung erlaubt die Be-trachtung der Corticalis-Dicke des Knochens. Die Cortica-lis-Dickenverteilung wurde mit Image-Prozessing (Mate-rialise, 3-Matic) ermittelt. Das Spektrum der Dickenvertei-lung wurde in funf Bereiche unterteilt.

Reale Corticalis-Dickenverteilung

Das Modell wurde in 5 Regionen unterteilt. In jeder Regi-on wurde der Median-Wert der Corticalis-Dicke der ent-sprechenden Region zugewiesen. Die Verteilung wurdeauf das FE-Brustbein-Modell transferiert.

Validierung und Ergebnisse

Die Versuchskonstellation von Kerrigan [2] dient als Refe-renz. Das Brustbein wird an beiden Enden eingebettetund an Drehgelenken fixiert. Ein Impaktor trifft in der Mit-te der anterioren Seite auf das Brustbein. Diese Versuchewurden simuliert mit dem FE Brustbein, das vomTHUMSv3® (Total Human Model for Safety)-Modell extra-hiert wurde. Der Impaktor (12,7 mm Durchmesser) wurdeals Starkkörper simuliert mit einer Geschwindigkeit von -1,115 m/s in Z.

Das Originalmodell zeigt eine Abweichung ca. +25 % imVergleich mit den realen Versuchen. Modelle mit realer Di-ckenverteilung der Corticalis-Schicht zeigen eine guteÜbereinstimmung mit den Versuchsergebnissen (ca. 1 %Abweichung).

88

Micro-CT-Scans von Brustbeinen fur

Menschmodelle in Frontal-Crash Simulationen

Rommel David Segura, Anja Wagner, Matthias Graw,

Steffen Peldschus, Kai-Uwe Hess

Abb. 1: mCT-Scanner

Abb. 2: Reale Corticalis-Dickenverteilung

Brustbein

Abb. 3: Vergleich: Versuch vs. Originalmodell vs. verbessertes Modell

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Posterführungen 89

Ausblick

Ein realistisches Strukturverhalten des Brustbeins in Zusam-menhang mit Altersabhängigkeitsfaktoren wie der Corticalis-Dickenreduktion ermöglichen verbesserte Insassenschutzsi-mulationen mit Menschmodellen. Der nächste Schritt ist dieAnalyse von Verletzungsmechanismen im Brustbeinbereichund dessen Nachbildbarkeit beim Frontal-Crash.

Literatur

[1] Ridella, S. et al.: Age‐Related Differences in AIS 3+ Crash InjuryRisk, Types, Causation and Mechanisms, IRCOBI, 2012.

[2] Kerrigan, J. R. et al., Biomed Science Instrumentation, 2010.

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Posterführungen

Die Zahl der verunglückten und getöteten Fahrradfahrerstieg in Deutschland im Jahr 2012 im Vergleich zum Vor-jahr leicht an (+1,8 %) und folgt nicht dem Trend der allge-meinen Reduktion von Verkehrsunfalltoten [1]. Laut Ge-sundheitsberichterstattung des Bundes starben im Jahr2010 über 50 % aller getöteten Fahrradfahrer in Deutsch-land an Verletzungen des Kopfes. Studien von Fife et al.[2], Oström et al. [3] und Wood et al. [4] führen auf, dass in69 bis 86 % aller tödlichen Fahrradunfälle eine Kopfverlet-zung die direkte Todesursache war. Attewell et al. [5] zei-gen in ihrem Review auf, dass Fahrradfahrer mit Helm eingeringeres Risiko tragen, eine Kopf- oder Hirnverletzungzu erleiden. Die Werte für eine mögliche Reduktion derKopf- und Gehirnverletzungen schwanken dabei von 33bis 88 %. Die Studie von Otte et al. [6] zeigt ebenfalls auf,dass ein Fahrradhelm das Risiko für alle Kopfverletzungendeutlich senken kann.

Im vorliegenden Projekt werden aufbauend auf Realunfall-analysen typische Unfallszenarien erarbeitet und anschlie-ßend zweistufig simuliert. Ziel ist es, die Kopfverletzungs-risiken sowie den Nutzen eines aktuellen Fahrradhelms fürdiese typischen Unfallsituationen zu bestimmen.

Grundlage dieser Arbeit sind 543 prospektiv erfasste Un-fälle mit leicht- und schwerverletzten Fahrradfahrern ausden Universitätskliniken München und Münster und 117retrospektiv erfasste Unfälle mit getöteten Fahrradfahrernaus dem Institut für Rechtsmedizin München. Diese Unfäl-le werden detailliert rekonstruiert und analysiert, um ty-pische Unfallszenarien und Verletzungen zu erarbeiten.

Diese Szenarien werden zur Ermittlung der Kinematik desFahrradfahrers in einem ersten Simulationsschritt mit demMehrkörpersimulationsprogramm MADYMO simuliert.

Anschließend wird der Kopfanprall des Fahrradfahrers in ei-nem zweiten Simulationsschritt (Finite-Elemente-Methode)mithilfe eines Kopfmodells exakt nachgebildet, um Kopfver-letzungsrisiken bestimmen zu können. Mithilfe eines selbstentwickelten Fahrradhelmmodells wird anschließend diemögliche Reduktion der Kopfverletzungsrisiken ermittelt.

Durch die Simulationen in MADYMO wird die Kinematikdes Fahrradfahrers während des Unfallablaufs möglichstrealitätsnah abgebildet, insbesondere der Kopfanprall aufdie Straße oder den beteiligten Pkw. Auf Abbildung 1 istein simulierter Alleinunfall zum Zeitpunkt des Kopfan-pralls auf die Straße dargestellt.

Ausgehend von den Kopfanprallgeschwindigkeiten zumAnprallzeitpunkt werden für alle Fälle die Kopfbelastun-gen und Kopfverletzungsrisiken in Finite-Elemente-Simu-lation (FE) berechnet (siehe Abbildung 2).

Abschließend werden die Kopfverletzungsrisiken der ein-zelnen Anprallszenarien mit und ohne Helm verglichenund es werden Aussagen zum möglichen Nutzen einesFahrradhelms getroffen.

Literatur

[1] Unfallentwicklung auf deutschen Straßen 2012, StatistischesBundesamt, 2013.

90

Analyse der Schutzwirkung

von Fahrrad helmen durch Simulation

typischer Unfall szenarien

Klaus Bauer, Matthias Graw, K. Zhou, Steffen Peldschus

Abb. 1: Kopfanprall Alleinunfall seitlich (MADYMO)

Abb. 2: Kopfanprall Alleinunfall seitlich (FE-Simulation)

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[2] Fife, D.; Davis, J., Tate, L., Wells, J. K., Mohan, D., Williams, A.(1983): Fatal injuries to bicyclists: the experience of Dade County,Florida. J Trauma 23 (8), S. 745–755.

[3] Oström, M., Björnstig, U., Näslund, K., Eriksson, A. (1993): Pedal cyc-ling fatalities in northern Sweden. Int J Epidemiol 22 (3), S. 483–488.

[4] Wood, T., Milne, P. (1988): Head injuries to pedal cyclists and thepromotion of helmet use in Victoria, Australia. Accident Analysis &Prevention 20 (3), S. 177–185.

[5] Attewell, R. G., Glase, K., McFadden, M. (2001): Bicycle helmet effica-cy: a meta-analysis. Accident Analysis & Prevention 33 (3), S. 345–352.DOI: 10.1016/S0001-4575(00)00048-8.

[6] Otte, D., Facius, T., Wiese, B. (2013): Einflüsse auf das Verlet-zungsrisiko des Kopfes von Radfahrern und Nutzen von Radhelmenzur Vermeidung und Minderung von Verletzungen. Verkehrsunfallund Fahrzeugtechnik 2013 (09), S. 298–309.

Posterführungen 91

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Posterführungen92

Umsetzung der Alkohol-Wegfahrsperre

in Österreich

A. Pumberger, S. Kaulich, A. Eichhorn, K. Robatsch (Wien/A)

Abb. 3: Schwarzfahrten verhindern

Abb. 1: Risiko Alkohol – Gesteigertes Unfallrisiko durch Alkoholkonsum

Abb. 2: Schwarzfahrer

Abb. 4: Bewährungsmodell mit der Alkohol-Wegfahrsperre (AWS)

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Introduction

Road accident investigation

Road accident investigation teams carry out in-depth on-the spot investigation of all fatal road and cross-countryaccidents in Finland (since 1968).

Investigation is regulated by legislation on the investiga-tion of road and cross-country traffic accidents (24/2001)[1]. The investigation is steered and supervised by the Ro-ad Accident Investigation Delegation set up by the Minis-try of Transport and Communications. The Road AccidentInvestigation Delegation comprises representatives of e. g.several ministries. The Finnish Motor Insurers’ Centre takescare of the maintenance of road accident investigation,the use of the investigation results and the informationservice.

The road accident investigation teams

Investigation of road and cross-country accidents is per-formed by the road accident by multidisciplinary investi-gation teams (20 in Finland). The team members are – police member (chairman), – vehicle specialist member, – road specialist member, – physician member and – psychologist member.

Additional experts may be called when deemed necessa-ry. The investigation teams do not take a stand on issuesof liability or compensation.

Material of alcohol-related accidents in 2009–2013

This paper includes the fatal motor vehicle accidents inves-tigated by the road accident investigation teams where themotor vehicle driver was driving under the influence of alco-hol. The paper focuses on accidents investigated in2009−2013 where the driver’s blood alcohol content hadexceeded the drink driving limit in Finland, 0,5 ‰. The datahad been compared with accidents where the driver’s bloodalcohol content was under the drink driving limit of 0,5 ‰.

In Finland, the sample of alcohol in the breath or/and alcoholin the bloodstream is taken from the driver who has been in a

traffic accident. The information of the driver’s blood alcoholcontent is examined by breath test at site or by blood test. In-formation of breath test is collected from the pre-investigationprotocol of the police. Blood test results are collected fromstatement and death certificate or forensic test. In Finland, au-topsies are carried out for all victims of road accidents.

Definitions

Alcohol-related accident: Fatal road accident, in whichone of the parties involved had blood alcohol content of0,50 ‰ or more.

Motor vehicle accident: fatal multiple- or single-vehicle acci-dent, in which a person travelling in/on motor vehicle has died.

VALT Method 2003

Accidents are investigated and data is collected using astandardized VALT Method 2003 (revised) [4] and standardforms under legislation. Considering the VALT METHOD2003 [42], the important points are analysis of the origin ofthe accident and production of countermeasures (Risk Ac-cumulation Model, VALT). The latest VALT METHOD wascomposed in Turku University under guidance of professorEsko Keskinen. This method has been also described in theinternational conference of ESAR 2006 [5].

Right of access to information

Without prejudice to what is provided about confidentiali-ty of data, the Road Accident Investigation Team are entit-led to access the following information from the relevantauthorities, institutions or other officials: – any information on the health of the persons involved

that may be of importance for identifying the causes ofthe accident

– information from private health care and medical careproviders or from health care professionals

– any other information needed for the conduct of inves-tigations.

Financing

The operations of road accident investigation are financedwith the road safety charge collected in connection withmotor liability insurance premiums.

Posterführungen 93

ln-depth on-the-spot Road Accident

Investigation in Finland – Alcohol-related

fatal motor vehicle accidents in 2009–2013

Arja Holopainen, Kalle Parkkari

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Posterführungen

Results of fatal alcohol-related motor vehicleaccidents in 2009–2013

Fatal motor vehicle accidents

In 2009–2013, the road accident investigation teams in-vestigated a total of 1,067 fatal motor vehicle accidents ofwhich in 256 (24 %) a party involved had a blood alcoholcontent of at least 0,5 ‰.

The majority (74 %) of alcohol-related accidents were single-vehicle accidents (37 % comparison group) in 2009–2013.

Drivers blood alcohol content and previous convictionsfor driving under influence

The blood alcohol content of 81 % of drunk drivers excee-ded the limit of aggravated drunk driving of 1,2 ‰ (Figure2). Approximately 40 % of the drivers driving under the in-fluence of alcohol had previous convictions for driving un-der influence (10 % comparison group) and heavy alcoholuse was daily for many of them.

Age and sex of driver

The relative proportion of young people (under 25) in fatalalcohol-related motor vehicle accidents were considera-ble, 37 % in 2009–2013 (24 % comparison group). Most ofthe drivers driving under the influence of alcohol weremen 95 % (85 % comparison group).

Use of safety equipment

Of all drink drivers 64 % were not using a seat belt or hel-met (30 % comparison group).

Drivers’ vehicle

The majority of drivers under the influence of alcohol (82 %)were driving passenger cars during the fatal road accident(69 % comparison group). In the data 2009–2013 therewere only 2 heavy vehicle drivers who drove under influ-ence of alcohol.

Time of the accident

Fatal alcohol-related accidents were centered especiallyaround the summertime (April–September), weekendsand nights. However, typically more collisions caused bydrunk drivers occurred during the winter than is the casewith single-vehicle accidents. In 2009–2013, the majority(74 %) of alcohol-related accidents occurred during sum-mertime (55 % comparison group) and 61 % between Fri-day and Sunday (40 % comparison group).

Accident location

In fatal alcohol-related accidents, the location of accident isoften a road with a lower category than a main road class 1.69 % of investigated accidents took place on a road with a lo-wer category than a main road 1 (60 % comparison group).

Personal injuries

95 % of the people who lost their lives in alcohol-relatedaccidents travelled in the vehicle of the driver under theinfluence of alcohol.

Conclusions

Previous drink-driving offences were found from 40 % ofdrunk-drivers. Many of these drivers were using alcoholdaily and in great quantities. Typically blood alcohol con-tent in fatal accidents was high, well over 1,2 ‰.

Risk factors in alcohol-related fatal motor vehicle accidents

As mentioned in VALT Report [2] and in Katila et al. (2011)[3] in addition to the influence of alcohol, the most typical

94

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risk factors discovered by the road accident investigationteams in accidents caused by drink drivers are speeding,non-use of safety belt and general disregard for the trafficregulations. Other common risk factors with regard to hu-man actions include risks related to the driver’s state ofmind and medication, tiredness, not having a driving-li-cence, driver’s inexperience, and drunken travel compani-ons.

Improvement proposals in alcohol-related fatal motorvehicle accidents

As mentioned in VALT Report [2] the investigation teamshave emphasized in their safety improvement proposalsthe significance of alcohol ignition locks in the preventi-on of drunk driving. Traffic control-related proposals thatemphasize general improvement in the efficiency ofspeeding and drink driving control and the developmentof regional allocation are very common. Safety proposalsrelated to the traffic environment focus on the preventionof veering off the driving lane with various railings andthe removal of fixed crash barriers from the traffic envi-ronment.

According to results, alcoholism should more clearly betreated as health issue, like EU-directive emphasizes. Acci-dent investigation teams have suggested that traffic medi-cine (health appraisal centres) should be developed in Fin-land. Traffic physicists should co-operate with local hospi-tals in order to gain enough expertise. The above mentio-ned system could support physicians evaluating health is-sues related to driving when dealing with alcoholism.

References

[1] Act on the investigation of road and cross-country traffic acci-dents (No. 24/2001) and the Council of State decree (No. 740/2001),Helsinki, 2001.

[2] Alcohol-related Accidents of Motor Vehicle Drivers (2012). Fin-nish Motor Insurers' Centre, Helsinki.

[3] Katila, A., Keskinen, E., Laapotti, S., Peräaho, M. (2011): Mootto-riajoneuvoliikenteen kuolemaan johtaneet onnettomuudet alkoho-lin vaikutuksen alaisena (Fatal drunken drivers’ accidents in Finland1999–2008).

[4] VALT Method 2003 (2004). Finnish Motor Insurers' Centre, Hel-sinki.

[5] Salo, I., Parkkari, K., Sulander, K., Keskinen, E. (2006). ln-depthon-the-spot Road Accident Investigation in Finland, ProceedingsESAR, 2006. BASt.

Posterführungen 95

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Posterführungen

Einleitung

Für die Überprüfung eines Cannabiskonsums dient bei derHaaranalytik gemäß der Society of Hair Testing (SoHT) wieauch den Beurteilungskriterien bei Analysen im Rahmen derFahreignungsdiagnostik der Cannabiswirkstoff Delta-9-Te-trahydrocannabinol (THC) als Target-Substanz. Allerdings istbekannt, dass THC zum einen bei inhalativer Aufnahme vor-nehmlich durch den Nebenstromrauch ins Haar gelangt,zum anderen kann es auch bei Nichtkonsumenten zu einerexternen Kontamination durch Cannabisrauch aus der Um-gebungsluft kommen. Insofern spricht man bei einem THC-Nachweis in Haaren gerade bei niedrigeren Konzentrationenvorsichtigerweise eher nur von einem Umgang mit Canna-bis, kann aber einen Konsum nicht sicher beweisen.

Ein Nachweis eines Konsums kann durch die Detektionvon Stoffwechselprodukten erfolgen, die eine Körperpas-sage belegen. Dabei gestaltet sich der Nachweis von Del-ta-9-Tetrahydrocannabinol-9-carbonsäure (THC-COOH)aufgrund schlechter Inkorporationseigenschaften alsschwierig, da bei sehr niedrig zu erwartenden Konzentra-tionen sehr sensitive Analyseverfahren Anwendung fin-den müssen. Ist ggf. das 11-Hydroxy-delta-9-tetrahydro-cannabinol (THC-OH) eine Alternative?

Methoden zur Bestimmung von THC-COOH undTHC-OH

Die Bestimmung von THC lief mithilfe der akkreditiertenRoutinemethode zum BTM-Screening im FTC München.Bei dieser Methode wird die Haarprobe nach Entfernungäußerer Kontamination durch Petrolether im Ultraschall-bad mit Methanol extrahiert. Im Anschluss an die Extrak-tion wird ein Teil des methanolischen Extrakts unter Stick-stoffstrom eingedampft und der Rückstand rekonstituiert.Anschließend erfolgt die Messung mittels HPLC-MS². DieBestimmungsgrenze für THC liegt mit dieser Methode bei0,01 ng/mg und die Nachweisgrenze bei 0,002 ng/mg. DiePräzision des Verfahrens beträgt ± 3,0 %.

Die Bestimmung von THC-COOH kann nicht aus dem me-thanolischen Extrakt erfolgen, da sich die THC-COOHnicht mit Methanol extrahieren lässt. Zur Bestimmung derTHC-COOH wird die Haarprobe daher in Natronlauge voll-ständig hydrolysiert. Das Hydrolysat wird anschließenddurch Flüssigextraktion mit Hexan/Ethylaccetat 9:1 (v:v)aufgereinigt. Die organische Phase wird verworfen und

die wässrige Phase mittels Festphasenextraktion (SPE)aufkonzentriert. Im Anschluss an die SPE wird die Probemit Methyjodid derivatisiert. Die derivatisierte Probe wirdanschließend mittels HPLC-MS² gemessen. Die Bestim-mungsgrenze für THC-COOH liegt mit diesem Verfahrenbei 0,2 pg/mg und die Nachweisgrenze bei 0,05 pg/mg.Die Präzision dieser Methode beträgt ± 5,1 %.

Zur Bestimmung des THC-OH wurde eine neue Methodeentwickelt (Thieme et al., eingereicht zur Publikation), dadie analytische Empfindlichkeit bisher nicht ausreichte.Hierfür wird ein Teil des methanolischen Extrakts aus demBTM-Screening getrocknet und mit Picolinsäure derivati-siert. Im Anschluss erfolgt die Messung mittels HPLC-MS.Zur Erhöhung der Selektivität wurde die Messung im MS³-Modus durchgeführt. Hierfür wurde die MS²-Ionenspur541 Da → 374 Da in der Ionenfalle erneut fragmentiert.Die Nachweisgrenze liegt mit diesem Verfahren bei 0,02pg/mg und die Bestimmungsgrenze bei 0,03 pg/mg. DiePräzision des Verfahrens beträgt ± 15 %.

Vergleich der Befunde von THC, THC-COOH undTHC-OH in Realfällen

Im FTC München wurden seit dem Jahr 2012 mehrere Tau-send Haarproben auf THC und 424 dieser Proben zusätz-lich auf THC-COOH untersucht. In 302 Fällen erfolgte eineAnalyse auf THC-OH mit der neu entwickelten Methode.

Die Analyse auf THC lieferte in 78 Prozent der 424 Fälle einpositives Ergebnis im Bereich zwischen 0,01 und 18,8 ng/mg.Der Mittelwert liegt bei 0,68 ng/mg und der Median bei0,14 ng/mg.

96

Überprüfung eines Cannabiskonsums über

THC-COOH und 11-OH-THC in Haaren als Beleg

einer Körperpassage

Thomas Franz, Hans Sachs, Detlef Thieme, Gerlinde Schwarz, Frank Musshoff

Abb. 1: -MS2-Spektrum der methylierten THC-COOH

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Bei der THC-COOH-Bestimmung konnte in 70 Prozent derauf THC-COOH analysierten Fälle ein positives Analy-senergebnis im Bereich von 0,08 und 54,3 pg/mg erreichtwerden. Der Mittelwert lag bei 6,0 pg/mg und der Medianbei 3,0 pg/mg.

Die THC-OH-Bestimmung lieferte in 71 Prozent der aufTHC-OH analysierten Fälle ein positives Ergebnis im Be-reich von 0,02 bis 37,6 pg/mg, mit einem Mittelwert von1,21 und einem Median von 0,28 pg/mg.

Ein quantitativer Vergleich der Analyseergebnisse zeigte,dass die Konzentrationen zwar signifikant voneinanderabhängen. Jedoch sind die Korrelationskoeffizienten sogering, dass ein Rückschluss von der einen Konzentrationauf die andere Konzentration nicht möglich ist. Die Korre-lationskoeffizienten betragen:

Ein qualitativer Vergleich der Befunde zeigte, dass in 81Prozent (144 Fälle) der THC-positiven Fälle ein positivesErgebnis für THC-COOH vorliegt und in 87 Prozent der po-sitiven THC-Fälle für THC-OH.

Bei 40 THC-negativen Fällen, bei denen dennoch auf dieMetaboliten getestet wurde, konnte in jeweils zehn Pro-zent der Fälle THC-COOH oder THC-OH nachgewiesenwerden.

In 25 Prozent der THC-COOH-negativen Fälle (100 Fälle)konnte der Metabolit THC-OH nachgewiesen werden! In33 Prozent (8 Fälle) dieser THC-OH-positiven Fälle wurdeeine kosmetische Haarbehandlung durch Coloration oderBleichen festgestellt.

Diskussion

Es zeigte sich, dass bei einem Teil der THC-positiven Fällekeiner der Metaboliten THC-COOH oder THC-OH nachge-wiesen und somit eine Körperpassage nicht zwingend be-wiesen werden konnte. Möglicherweise waren die Pro-banden Cannabisrauch ausgesetzt, wodurch es zu einer

Posterführungen 97

Substanzen Korrelationskoeffizient

THC/THC-COOH 0,46

THC/THC-OH 0,82

THC-OH/THC-COOH 0,58

THC THC-COOH THC-OH Anzahl Prozent

Positiv Positiv Positiv 114 62,0

Positiv Positiv Negativ 2 1,1

Positiv Negativ Negativ 17 9,2

Positiv Negativ Positiv 11 6,0

Negativ Positiv Negativ 4 2,2

Negativ Positiv Positiv 4 2,2

Negativ Negativ Positiv 4 2,2

Negativ Negativ Negativ 28 15,2

Abb. 2: +MS2-Spektrum der picolinierten THC-OH

Abb. 3: +MS2-Spektrum der Ionenspur 541 > 374 Da des picoliniertenTHC-OH

Abb. 4: Vergleich der Befunde von THC, THC-COOH und THC-OH

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Posterführungen

Antragung und Einlagerung von THC an/in die Haare ge-kommen ist. Diese externe Kontamination lässt sich – wiein der Literatur bekannt – durch die gängigen Dekontami-nationsschritte nicht (vollständig) entfernen.

Andere Fälle zeigten trotz negativem THC-Befund ein posi-tives Ergebnis bei den Analysen auf die Metaboliten. Diesdeutet wiederum darauf hin, dass vielleicht gerade beinicht so häufigem Konsum THC nicht in nachweisbarenMengen in die Haare gelangt oder durch andere Faktoreneliminiert wird. Daher ist es ratsam, als Beleg für einenCannabiskonsum die Analyse auf die Metaboliten durch-zuführen, da diese besser an die Haarmatrix binden undsich ggf. gerade das THC-OH schlechter aus ihr entfernenlässt als die Muttersubstanz selbst.

Bei dem Vergleich der Ergebnisse zwischen den Metaboli-ten wird deutlich, dass eine kosmetische Haarbehandlungstarken Einfluss auf die Analyse der THC-COOH nimmt.Bei den Haarbehandlungen durch Bleichen oder Colorati-on werden die Haare mit stark alkalischen Mitteln behan-delt, wodurch es zum Auswaschen bzw. Abbau der THC-COOH kommen kann. Nach den hier erhaltenen Befundenwirkt sich der Einfluss der Haarbehandlung auf die Be-stimmung des THC-OH weniger stark aus. Somit kann ein

Konsum trotz negativem THC-COOH-Befund durch eineAnalyse auf THC-OH belegt werden.

Die THC-COOH wurde vor allem deshalb bei der Absti-nenzkontrolle nicht berücksichtigt, weil nur eine be-schränkte Zahl von Labors in Deutschland in der Lage ist,diese Tests durchzuführen und für die Probanden deutlichhöhere Kosten entstanden wären. Außerdem wären durchdie geringere Empfindlichkeit die Vorteile gegenüber derUrinkontrolle nicht mehr gegeben.

Der Nachweis von THC-OH lässt sich mit dem Extrakt des po-lytoxikologischen Screenings durchführen, sodass die Kos-ten nur um 20–30% steigen würden. Wichtiger ist aber, dasssich die Wahrscheinlichkeit, einen Konsum zu entdecken,nicht wesentlich verringert und außerdem in den positivenFällen der Konsum bewiesen wäre und nicht der Kontakt.

Es wird deshalb vorgeschlagen, den THC-Test bei der Absti-nenzkontrolle durch die Untersuchung auf THC-OH mit ei-nem cut-off von 0,05 pg/mg zu ersetzen.

Es sei darauf verwiesen, dass in den USA und neuerdingsauch in der Schweiz nicht THC als Targetsubstanz bei derHaaranalytik gilt, sondern der Konsumnachweis.

98

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Posterführungen 99

Einleitung

Bereits in der zweiten Auflage der Beurteilungskriterien(CTU-Kriterien) zur Fahreignungsdiagnostik kam es zu einerAbsenkung der Grenz- bzw. Entscheidungswerte bei derDrogenanalytik im Urin im Rahmen von Abstinenzkontrol-len. In der dritten Auflage gibt es jetzt lediglich eine Min-destanforderung an die Grenz- bzw. Entscheidungswerte[1]. Aus analytischer Sicht sind die mit chromatographi-schen Methoden zu erreichenden Bestimmungsgrenzen alsunproblematisch anzusehen. Allerdings ist infrage zu stel-len, ob gängige immunchemische Vortestverfahren eineausreichende Sensitivität und Spezifität aufweisen und alsVortestverfahren nach den aktuellen forensisch-toxikologi-schen Richtlinien [2] Verwendung finden können. Der Im-munanalysis Direct ELISA Test wurde hinsichtlich seiner An-wendbarkeit im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik (Dro-genabstinenznachweis mittels Urinanalytik) überprüft.

Methode

Native, verdünnte und aufgestockte Urinproben wurdengemäß Herstellervorgaben mittels dem Gerät TECAN free-dom evo 75/2 inklusive Hydroflex Washer und Sunrise Pla-te Reader auf Mikrotiterplatten immunchemisch auf fol-gende Arznei- bzw. Suchtstoffgruppen getestet: Amphet-amin (Amphetamin, MDMA, MDA, MDEA), Methampheta-min (Methamphetamin, MDMA, MDA, MDEA), Cannabinoi-de (THC-Carbonsäure), Kokainmetabolite (Ben-zoylecgo-nin), Opiate (Morphin, Codein, Dihydrocodein), Methadonbzw. EDDP und Benzodiazepine (Diazepam, Nordazepam,Oxazepam, Temazepam, Hydroxy-Alprazolam, Bromaze-pam, Hydroxy-Bromazepam, Lorazepam, 7-Aminoflunitra-

zepam). Die Kalibration des Immunanalysis Direct ELISATests erfolgte für jede Substanzgruppe mit jeweils dreiKonzentrationen in Doppelbestimmung. Die erhaltenenBefunde wurden mit quantitativen Ergebnissen aus chro-matographischen Analysen mittels LC-MS/MS abgegli-chen. Die Auswertung erfolgte anhand von Kreuztabellennach richtig positiv, falsch positiv, falsch negativ, richtigpositiv (Tabelle 1 und 3). Sensitivität, Spezifität, positiverprädiktiver Wert, negativer prädiktiver Wert sowie dieFalschklassifikationsrate [3, 4] wurden daraus berechnet.

Ergebnis

Zwischen 600 und 736 Proben wurden je Substanzgruppeuntersucht. Bei Verwendung der Mindestanforderung andie Bestimmungsgrenze gemäß der CTU-Kriterien wurdenbei den immunchemischen Messungen Sensitivitäten zwi-schen 94,4 und 100 % sowie Spezifitäten zwischen 64,3und 99,7 % erreicht (Tabelle 2). Unter Verwendung des je-weiligen niedrigsten Kalibrators bzw. der Bestimmungs-grenze der LC-MS/MS-Analyse konnten Sensitivitäten zwi-schen 91,5 und 100 % sowie Spezifitäten zwischen 65,3und 99,8 % berechnet werden (Tabelle 4). Die immunche-mischen Vortests auf Amphetamin und Methamphetaminreagierten zusätzlich auf MDMA, MDA und MDEA. Die Spe-zifität beim Cannabinoid-Test (82,4 bzw. 87,8 %) sowiebeim Amphetamin-Test (64,3 bzw. 65,3 %) zeigt, dass vie-le negative Proben falsch-positiv waren (Tabelle 1 und 3).

Schlussfolgerung

Die Immunanalysis Direct ELISA Kits eignen sich nur bedingtals Vortestverfahren für chemisch-toxikologische Urinanaly-

Einsatz der Immunanalysis Direct

ELISA Kits als sensitive und spezifische

immunchemische Vortestverfahren im

Rahmen der Fahreignungsdiagnostik

Stefanie Lottner-Nau, Birgit Övgüer, Hans Sachs, Matthias Graw, Frank

Be-stäti-

gungs-ana-lyse

Immunossay

Cannabinoide AmphetaminMethampheta-

minKokain Opiate Methadon

Benzo-diazepine

+ – + – + – + – + – + – + –

+ 153 9 65 0 48 0 58 1 34 4 34 0 92 2

– 101 473 196 353 25 581 34 537 10 555 9 562 2 570

Tabelle 1: Zusammenfassung der Kreuztabellen im Urin – CTU-Beurteilungskriterien.

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sen im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik unter Berück-sichtigung der Vorgaben der akutalisierten Richtlinien [1].Zwar liegt die Sensitivität bei allen Substanzgruppen in ei-nem Rahmen von 90 bis 100 %, allerdings ist die Spezifitätdes Cannabinoid-Tests mit 82,4 % und des Amphetamin-Tests mit 64,3 % für den Einsatz in der Fahreignungsdiag-nostik zu niedrig. Erhöht man jetzt den Cut-Off-Wert beimCannabioid- sowie Amphetamin-Test, verbessert sich dieSpezifität nur wenig und die Sensitivität verschlechtert sich.Arbeits- wie kostentechnisch bringen die Immunanalysis Di-rect ELISA Kits von daher keine Erleichterung.

Literatur[1] Schubert, W., Dittmann, V., Brenner-Hartmann, J. (2013): Urteils-bildung in der Fahreignungsbegutachtung: Beurteilungskriterien.Kirschbaum Verlag Bonn.

[2] Paul, L. D., Musshoff, F., Aebi, B. et al. Richtlinie der GTFCh zurQualitätssicherung bei forensisch-toxikologischen Untersuchun-gen. Toxichem Krimtech 2009; 76 (3),142–76.

[3] Patton, D. D.: Introduction to clinical decision-making. SeminNucl Med 2010; 40(5), 319–26.

[4] Weiß, C. (2013): Basiswissen Medizinische Statistik. Springer-Verlag Berlin Heidelberg.

Posterführungen100

Be-stäti-

gungs-ana-lyse

Immunossay

Cannabinoide AmphetaminMethampheta-

minKokain Opiate Methadon

Benzo-diazepine

+ – + – + – + – + – + – + –

+ 193 18 75 0 63 0 71 2 40 2 36 1 93 3

– 64 461 187 352 11 580 21 536 4 554 7 561 1 569

Tabelle 3: Zusammenfassung der Kreuztabellen im Urin – niedrigster Kalibrator bzw. Bestimmungsgrenze

Canna-binoide

Amphe-tamin

Metham-phetamin

Kokain Opiate MethadonBenzo-

diazepine

Entscheidungsgrenze [ng/ml]

10 50 50 30 25 50 50

Cut-Off-Wert[ng/ml]

5 3 3 15 10 25 5

Sensivität [%] 94,4 100 100 98,3 97,1 100 97,9

Spezifität [%] 82,4 64,3 95,9 94,1 98,2 98,4 99,7

Pos. Präd. Wert[%]

60,2 24,9 65,8 63,0 77,3 79,1 97,9

Neg. Präd. Wert[%]

98,1 100 100 99,8 99,8 98,4 99,7

Falschklassifika-tionsrate [%]

15,0 31,9 3,8 5,6 1,8 1,5 0,6

Tabelle 2: Zusammenfassung der Ergebnisse im Urin, berechnet mit der Mindestanforderung an die Bestimmungsgrenze entsprechend denCTU-Kriterien für die Fahreignungsdiagnostik (3. Auflage 2013)

Canna-binoide

Amphe-tamin

Metham-phetamin

Kokain Opiate MethadonBenzo-

diazepine

Entscheidungsgrenze [ng/ml]

5 25 25 15 15 25 25

Cut-Off-Wert[ng/ml]

5 3 3 15 10 25 5

Sensivität [%] 91,5 100 100 97,3 95,2 97,3 96,9

Spezifität [%] 87,8 65,3 98,1 96,2 99,3 98,8 99,8

Pos. Präd. Wert[%]

75,1 28,6 85,1 77,2 90,9 83,7 98,9

Neg. Präd. Wert[%]

96,2 100 100 99,6 99,6 98,8 99,5

Falschklassifika-tionsrate [%]

11,1 30,5 1,7 3,7 1,0 1,3 0,6

Tabelle 4: Zusammenfassung der Ergebnisse im Urin, ausgehend von dem jeweiligen niedrigsten Kalibrator bzw. Bestimmungsgrenze beider LC-MS/MS-Bestätigungsanalyse

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Posterführungen 101

Einleitung

Jede physikalische, chemische und mechanische Verände-rung der natürlichen Haare, wie Dauerwelle, Glätten, Fär-ben, Bleichen, übermäßiges Waschen, intensive Belastungmit UV-Strahlung und ungewöhnliche Exposition gegen-über Sonnenlicht, kann das Haar potenziell schädigen. Eini-ge Studien haben versucht, den Einfluss von kosmetischerBehandlung auf die im Haar gelagerten Drogenwirkstoffeanhand von in-vitro. oder in-vivo-Studien zu untersuchen.

Alle oben zitierten experimentellen Ansätze haben entwe-der nicht authentische Haare untersucht oder die unter-suchte Anzahl von authentischen positiven Haarprobenwar statistisch nicht signifikant.

Ziele

1. Die Überprüfung der Aussagekraft von Untersuchungs-ergebnissen von Drogen- und Ethylglucuronid-Analysenin kosmetisch behandelten Haaren für forensische Zwe-cke (z. B. für MPU oder Sorgerecht) in einem größeren,

2. Ist Urin eine alternative Untersuchungsmatrix für kos-metisch behandelte Haare?

Vorgehensweise

– Die Positivrate aller Drogen, die bei der FragestellungMedizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) rele-vant sind, in nicht behandelten Haarproben wurde mit

Aussagekraft von Drogen- und

Ethylglucuronid-Untersuchungsergebnissen

in kosmetisch behandelten Haarproben

Ronald Agius, Kathrin Graute, Fabian Peters, Thomas Nadulski,

Hans-Gerhard Kahl, Bertin Dufaux

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Posterführungen102

der Positivrate kosmetisch behandelter Haarprobenverglichen und auf signifikante Differenzen getestet (p= 0.05 und 0.01). Es wurden nur die Drogenklassen be-rücksichtigt, für die mindestens 10 positive Haarprobenvorlagen.

– Zudem wurde für die positiven Proben nach konzentra-tionsabhängigen Unterschieden zwischen den nichtbehandelten und den kosmetisch behandelten Haar-proben gesucht.

– Der prozentuale Anteil positiver Ergebnisse aller MPU-Proben von kosmetisch behandelten Haarproben wurdemit dem prozentualen Anteil positiver Drogenergeb-nisse im Urin verglichen und auf Signifikanz getestet(p = 0.05 und 0.01).

– Die eingesetzten Methoden sind für den Bereich derFahreignungsdiagnostik für forensische Zwecke vali-diert und akkreditiert.

Ergebnisse

1. Es wurde kein signifikanter Unterschied der Positivratefür Drogen und EtG zwischen kosmetisch behandeltenund nicht behandelten Haaren festgestellt.

2. Es konnte kein konzentrationsabhängiger Unterschiedzwischen den Positivraten nicht behandelter und kosme-tisch behandelter Haarproben nachgewiesen werden.

3. Die Konzentrationsverteilung zwischen dem 1. und 99.Perzentil für Drogen in kosmetisch behandelten Haarenwar signifikant niedriger als in nicht behandelten Haa-ren. Für Ethylglucuronid dagegen wurde kein signifi-kanter Unterschied nachgewiesen.

4. Es wurden doppelt so viele kosmetisch behandelteHaarproben positiv auf EtG getestet wie Urinproben.Umgekehrt war die Zahl der positiven Cannabinoid-Be-funde im Haar nur halb so hoch wie im Urin. Für alle an-deren Drogen konnte kein signifikanter Unterschiednachgewiesen werden.

Zusammenfassung

1. Auch wenn es weiterer Untersuchungen bedarf, ist diesein erster Versuch, die Auswirkungen einer kosmeti-schen Behandlung auf die Positivrate für Drogen undEtG in einem größeren Kollektiv von authentischenHaarproben zu untersuchen.

2. Die Studie zeigt, dass kosmetisch behandelte Haarpro-ben nicht zwangsläufig unbrauchbar für den positivenNachweis von Drogen- und/oder Alkoholkonsum sind.

3. Darüber hinaus zeigt sich, dass insbesondere für Alko-holabstinenzprogramme im Rahmen der MPU die Be-stimmung von EtG im Haar eine bessere Alternative zuUrinkontrollprogrammen darstellt, auch wenn es sichum kosmetisch behandeltes Haar handelt.

4. Somit stellt Haar die einzige Matrix für den langfristigenretrospektiven Nachweis von Drogen- und/oder Alko-hol-Konsum auch nach kosmetischer Behandlung dar.

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Posterführungen 103

Einleitung

– In den letzten 25 Jahren dokumentierenzahlreiche Publikationen die Anwendungvon Immunoassays für Drogentests imHaar (s. 26 Literaturquellen in Lit. 1).

– Vorteile eines Immunoassay-Screeningssind im Vergleich zur Flüssigkeitschro-matographie-Tandem-Massenspektro-metrie (LCMS/MS) die einfache, schnelleund günstige Analyse sowie die doppel-te Sicherheit durch Bestätigung positiverErgebnisse mit chromatographischenVerfahren.

– Ein Immunoassay-Drogenscreening zzgl.oder inkl. Bestätigung positiver Befundemit einer chromatographischen Methode(GS-MS oder LC-MS bzw. Tandem-MS) istdas generelle Vorgehen bei forensischenAnalysen weltweit. Auch in Deutschlandwird bei der Untersuchung von Drogen imBlut im Sinne von § 24a StVG und § 315cund § 316 StGBdie Untersuchung von Dro-gen in zwei Stufen mit zwei verschiedenenVerfahren empfohlen.

– Europäische und internationalen Richt-linien2-8 erlauben die Anwendung vonImmunoassays für Drogenuntersuchun-gen sowohl im Urin als auch im Haar.

– Seit 20099 wurden die Grenzwerte für Drogenuntersu-chungen für die Fahreignungsdiagnostik drastisch re-duziert.

– Es wurde bereits gezeigt, dass für Drogenuntersuchun-gen im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik ELISA-Teste generell besser geeignet sind als CEDIA-Teste10, 11.

– Die GTFCh verlangt in ihren Anforderungen an die Vali-dierung von Immunoassays, dass „in mindestens 90 %... von mindestens 10 authentischen Proben, mit Kon-zentration des Zielanalyten im Bereich der erforderli-chen Bestimmungsgrenze des Bestätigungsverfahrens,… ein positives immunchemisches Ergebnis vorliegenmuss…“12 Dies bedeutet eine maximale falsch-negativeRate von 10 %. Für die Validation von den chromatogra-phischen Methoden werden allerdings keine authenti-schen, sondern dotierte Haarproben zugelassen. Ferner

ist die Messunsicherheit an der Bestimmungsgrenzeper Definition (DIN 32645) 33 %, bzw. an der Nachweis-grenze 50 % für die bei einem Konfidenzintervall von 99 %.Aufgrund dieser Vorgaben haben wir die von uns einge-setzten Immunoassays erneut validiert und deren An-wendbarkeit für den Abstinenznachweis im Rahmen derMPU experimentell überprüft13-17.

Screening auf legale und illegale Drogen

im Haar und Urin im Rahmen der

Abstinenzüberprüfung mittels ELISA

Ronald Agius, Kathrin Graute, Fabian Peters, Thomas Nadulski,

Hans-Gerhard Kahl, Bertin Dufaux

Abb. 2: ROC-Kurve für die LUCIO®-Direct-ELISA THC-Kit anhand von 166 authentischenHaarproben; Youden Index: (+); OMR= Overall Misclassification rate.

Abb. 1: Aufbau einer ROC-Kurve und Interpretation der AUC.

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Analytische Vorgehensweise

– Nach einem Screening mit ELISA wurden alle positivenund eine signifikante Anzahl von negativen Proben mitGas-Chromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS)oder Flüssigkeits-Chromatographie-Tandem-Massen-spektrometrie (LC-MS/MS) untersucht.

– Ca. 100 authentische Proben pro Drogenklassemit Dro-gen-Konzentrationen an den MPU-Grenzwerten ausinsgesamt 9.254 authentischen Haar- und 33.262 au-thentischen Urinproben wurden ausgewählt und einesignifikante Anzahl von negativen Proben analysiert.

– Alle eingesetzten Verfahren sind seit 2005 nach DIN ENISO 15189 und seit 2009 nach DIN EN ISO/IEC 17025 fürforensische Zwecke validiert und akkreditiert.

– Anhand von ROC-Analysen (receiving operating characte-ristics) wurde die Zahl falsch-positiver und falsch-negati-ver Proben ermittelt und die daraus resultierende Sensiti-vität und Spezifität für jeden ELISA-Test berechnet.

– Zusätzlich wurde mithilfe der Flächen unter den ROC-Kurven (area under the curve, AUC) als objektiver Para-meter die Leistung der ELISA-Tests für Haarproben mitder von Urinproben verglichen.

Ergebnisse

Wie aus der Abbildung 3 hervorgeht, konnten mit den 7ELISA Test-Kits alle 20 Einzelsubstanzen (mit Ausnahmevon MDE im Urin und Haar sowie Alprazolam und Loraze-pam im Haar) in authentischen Urin- und Haarproben mitKonzentrationen im Bereich der geforderten MPU-Grenz-werte (Cut-off, Tabelle 1) erfolgreich nachgewiesen wer-den, mit einer falsch-negativ-Rate kleiner als 10 %. Damitwurden die Anforderungen der GTFCh-Richtlinien12 erfüllt.Anzumerken ist, dass in keiner der 33.262 UrinprobenMDE gemessen wurde. Alprazolam und Lorazepam wur-den in authentischen Haarproben nicht nachgewiesen.Somit konnten diese Substanzen nicht getestet werden.

Zusammenfassung

1. Die Flächen unter der ROC-Kurve (AUC) für Drogen in au-thentischen Haar- und Urinproben zeigen vergleichbargute bis sehr gute Leistungen der ELISA-Tests für beideMatrices unter Beachtung der in den Beurteilungskrite-rien9 festgelegten Mindestanforderungen an die Ent-scheidungsgrenzen für die Fahreignungsbegutachtung.

2. Es ist möglich, mit 2 verschiedenen Analysetechniken(ELISAs und chromatographische Verfahren) mit hoherQualität forensische Proben zu untersuchen.

3. Mit dem ELISA-Test positiver Screening-Ergebnisseund der chromatographischen Bestätigung (GC-MS

Posterführungen104

Abb. 3: Einige ELISA-Validationsdatenfür die MPU-relevanten Drogenim Urin und Haar; N = Zahl der authentischenProben, PN = falsch positiv, PP = richtig positiv , NN = richtignegativ, NP = falsch negativ.

Abb. 4: Vergleich von AUC für Drogen im Haar mit AUC für Drogenim Urin.

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oder LC-MS/MS) wurde im Haar eine signifikant höherepositiv-Rate bei MPU-Fällen für Methamphetamine,Ecstasy, Kokain, Benzoylecgonin, 6-MAM, Codein, Di-hydrocodein als im Urin gefunden13, 15-19.

Literatur

1. R. Agius, T. Nadulski. Utility of ELISA screening for the monitoringof abstinence from illegal and legal drugs in hair and urine. DrugTest. Anal. 2014, 6, 101–09.

2. Society of Hair Testing. Recommendations for hair testing in forensic ca-ses. Forensic Sci. Int. 2004, 145, 83. Available at: http://www.soht. -org/pdf/Consensus_on_Hair_Analysis.pdf [13 March 2014].

3. AS/NZS 4308:2008 – Procedures for specimen collection and thedetection and quantitation of drugs of abuse in urine, 2008.

4. Agius, R., Kintz, P.: Guidelines for European workplace drug andalcohol testing in hair. Drug Test. Anal. 2010, 2, 367.

5. Cooper, G. A., Kronstrand, R., Kintz, P.: Society of Hair Testing gui-delines for drug testing in hair. Forensic Sci. Int. 2012, 218, 20.

6. EWDTS. European laboratory guidelines for legally defensibleworkplace drug testing – 1. Urine Drug Testing. Available at:http://www.ewdts.org/data/uploads/documents/ewdtsguideli-nes.pdf [13 March 2014].

7. SAMSHA. Mandatory guidelines for federal workplace drug testing pro-grammes. Available at: http://workplace.samhsa.gov/drugtesting/le-vel_1_pages/mandatory_guidelines5_1_10.html [7 December 2012].

8. SCDAT. Guidelines for drugs of abuse testing; Version Scdat02_2011-08-21 En. Available at: http://www.phytopharm.dkf.unibe.ch/richtlini-en%2002_2011_08_21_en.pdf [13 August 2012].

9. a) Schubert, W., Mattern, R. in Beurteilungskriterien: Urteilsbil-dung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik.Kirschbaum Verlag Bonn, 2009, S. 178.

b) Schubert, W., Dittmann, V., Brenner-Hartmann, J.: Urteilsbildungin der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, heraus-gegeben von der DGVP und der DGVM, 3. Auflage 2013, S. 272.

10. Kirschbaum KM1, Musshoff, F., Wilbert, A., Röhrich, J., Madea, B.:Direct ELISA kits as a sensitive and selective screening method for abs-tinence control in urine. Forensic Sci Int. 2011 Apr 15; 207 (1–3), 66–9.

11. Agius, R.; Nadulski, T.; Kahl, H.-G.; Dufaux, B.: Comparison of LU-CIO®-Direct-ELISA with CEDIA immunoassay for ´zero tolerance´drug screening in urine as required by the German re-licensing gui-delines. Drug Test Anal. 2013 Jun; 5 (6), 390-9. doi: 10.1002/dta.1455. Epub 2013 Jan 24.

12. Peters, F. T., Hartung, M., Herbold, M., Schmitt, G., Daldrup, T.,Mußhoff, F.: Anhang B Zu den Richtlinien der GTFCh zur Qualitätssi-cherung bei Forensisch-Toxikologischen Untersuchungen, Anforde-rungen an die Validierung von Analysemethoden. Toxichem. Krim-tech. 2009, 76, 185.

13. Agius, R., Nadulski, T., Kahl, H.G., Dufaux, B.: Significantly in-creased detection rate of drugs of abuse in urine following the intro-duction of new German driving license re-granting guidelines. Fo-rensic Sci. Int. 2012, 215, 32.

14. Agius, R., Nadulski, T., Moore, C.: Validation of LUCIO-direct-ELI-SA kits for the detection of drugs of abuse in urine: Application tothe new German driving-licence re-granting guidelines. Forensic Sci.Int. 2012, 215, 38.

15. Agius, R., Nadulski, T., Kahl, H.G., Dufaux, B.: Comparing a ‘ZeroTolerance’ strategy with a conventional drug screening strategy inurine and hair (Poster presentation). Presented at the InternationalForum for Drug and Alcohol Testing (IFDAT) Conference in Barcelona,Spain, 12–14 April 2010.

16. Agius, R., Nadulski, T., Kahl, H.G., Dufaux, B.: Das Drogen-Screeningin Urin- und Haarproben im Rahmen der MPU Untersuchungsergebnissenach Anwendung der neuen Grenzwerte (Posterpräsentation), DGVPund DGVM Annual Symposium, 1–2 Oktober 2010, Tübingen, Germany.

17. Agius, R., Nadulski, T., Kahl, H.G., Dufaux, B.: Significant increaseddetection rate of drugs of abuse in urine following the introduction ofnew German driving-licence re-granting guidelines (Oral presentati-on). 48th Annual Meeting of the International Association of ForensicToxicologists (TIAFT) in Bonn, Germany 29 August–2 September 2010.

18. Dufaux, B., Agius, R., Nadulski, T., Kahl, H.G.: Comparison of uri-ne and hair testing for drugs of abuse in the control of abstinence indriving-licence re-granting. Drug Test. Anal. 2012, 4, 415.

19. Nadulski, T., Kahl, H.-G., Agius, R., Meric, D. H., B. Dufaux: Ergeb-nisse chemisch-toxikologischer Untersuchungen (CTU) von Urin-und Haarproben im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik (MPU) vorund nach Anwendung der 2. Auflage der Beurteilungskriterien, Blut-alkohol Vol. 50/2013, 45–57.

Posterführungen 105

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Posterführungen106

Ziele

Junge gesunde schlafentzogene Probanden nehmen dieSchläfrigkeit im Wachhaltetest (MWT) nicht immer wahr;dies konnten wir in einer früheren Studie zeigen [1]. In derneuen Studie haben wir nun die subjektiv wahrgenomme-ne Schläfrigkeit nicht nur im MWT, sondern auch in einemFahrsimulator untersucht.

Methoden

Vierundzwanzig gesunde Probanden (20–26-jährig) wurdenim MWT (40 Minuten) und im Fahrsimulator (60 Minuten)untersucht, jeweils vor und nach Schlafentzug. Die Proban-den wurden instruiert, die Wahrnehmung der ersten Anzei-chen von Schläfrigkeit oder Müdigkeit mit einmaligemKnopfdruck zu signalisieren und solange wie möglich wachzu bleiben. Für eine optimale Ausführung der Testaufgabewurden sie zusätzlich belohnt. Als „Schlaffragment“ wurdeeine mindestens 3 Sekunden dauernde Theta-Dominanz imEEG bei gleichzeitig geschlossenen Augen definiert.

Ergebnisse

Im MWT nach (aber nie vor) Schlafentzug sind sieben Pro-banden (29 %) eingeschlafen, bevor sie ihre Schläfrigkeitsignalisiert haben (p < 0.004). Die Einschlaflatenz diesersieben war mit < 6 min. sehr kurz. Im Fahrsimulator hinge-gen wurde die Schläfrigkeit immer vor dem Einschlafensignalisiert (vor und nach Schlafentzug). Infolgedessen

schliefen im MWT nach Schlafentzug signifikant mehr Pro-banden ein, ohne ihre Schläfrigkeit zuvor signalisiert zuhaben, als im Fahrsimulator (p < 0.004). Die mittlereSchlaflatenz im Fahrsimulator war auch um einiges längerals diejenige im MWT. Vor Schlafentzug konnten keine Un-terschiede festgestellt werden.

Diskussion

Die früheren Studienresultate [1] konnten in dieser Studiefür den MWT bestätigt werden. Wir fanden neu aber einenUnterschied der subjektiven Wahrnehmung der Schläfrig-keit in Abhängigkeit von der Testsituation, wobei dieWahrnehmung im Fahrsimulator viel besser war als imMWT. Möglicherweise ist der situationsabhängige Unter-schied in dieser, rein introspektiven Wahrnehmung derSchläfrigkeit folgenderweise zu erklären: (1) Im Fahrsimu-lator gibt es einen ständigen Informationsaustausch zwi-schen der eigenen Fahrleistung und der subjektivenWahrnehmung, welcher im MWT so nicht vorhanden ist.(2) Die kürzere Einschlaflatenz im MWT im Vergleich zumFahrsimulator spricht für eine stärkere Schläfrigkeit odereine raschere Zunahme der Schläfrigkeit im MWT, welchedie subjektive Wahrnehmung stärker beeinträchtigt.

Literatur

[1] Herrmann, U. S., Hess, C. W., Guggisberg, A. G., Roth, C., Gugger,M., Mathis, J.: Sleepiness is not always perceived before falling asleepin healthy, sleep-deprived subjects. Sleep Med 11 (8), 747–751, 2010.

Unterschiedliche subjektive Wahrnehmung

der Schläfrigkeit im Fahrsimulator im

Vergleich zum Wachhaltetest

David Schreier, Corinne Roth, Johannes Mathis

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Posterführungen 107

Seit über 30 Jahren sind Alkohol-Interlocks im Einsatz. Siebieten heute eine Technik, die sich bewährt hat, und kom-men neben USA, Kanada und Australien vor allem inEuropa immer mehr zum Einsatz. Schweden, Finnland,Niederlande, Frankreich und Belgien haben bereits staat-liche Trunkenheitsfahrerprogramme eingeführt, inDeutschland wird darüber intensiv diskutiert.

Trotz des heute bereits hohen technischen Stands zeich-nen sich derzeit neue Trends und damit verbundene An-forderungen ab. Dazu gehören Zusatzgeräte wie eine Ka-mera oder Module zur mobilen Datenübertragung, sowiedie Frage nach der Datensicherheit der personenbezoge-nen Ereignisdaten der Alkohol-Wegfahrsperren.

Bei der Benutzung von alkoholsensitiven Wegfahrsperrenwerden Ereignisdaten aufgezeichnet, die ausgelesen, aufeine Datenbank übertragen und dort analysiert werdenkönnen. Nur mit einem solchen Datenmanagementsys-tem kann ein staatliches Interlock-Programm durchge-führt werden.

In Programmen mit Trunkenheitsfahrern spielen diese Da-ten eine große Rolle für den Erhalt der Fahrerlaubnis. Des-halb werden neben den Anforderungen an die Eigenschaf-ten der Alkohol-Interlocks (2. Ausgabe der EN 50436-1:2014)1 auch Fragen zur Sicherheit und dem Schutz derpersonenbezogenen Ereignisdaten zunehmend disku-tiert. Eine entsprechende Europäische Norm (EN 50436-6)2 mit deutlich verschärften Anforderungen an die Daten-sicherheit von Alkohol-Interlocks ist darum kurz vor derendgültigen Verabschiedung.

In einigen Staaten in den USA und in Australien werden zubestimmten Ereignissen Fotos und/oder bei bestimmtenAuffälligkeiten eine zeitnahe Benachrichtigung der Be-hörde gefordert. Diese Funktionen werden i. d. R. durch

zusätzliche Module, einer Kamera und/oder einem GPRS-Modul, bereitgestellt, die mit der Steuereinheit der Alko-hol-Wegfahrsperre verbunden werden. Entsprechend derneuen Europäischen Norm EN 50436-1:2014 müssen die-se Zusatzgeräte des Alkohol-Interlocks auch im Rahmender Zulassung geprüft werden.

Der Einsatz von Zusatzgeräten in Trunkenheitsfahrerpro-grammen hängt von den Programmzielen ab. Bieten dieZusatzgeräte einen Mehrwert für das jeweilige Pro-gramm? Sind die zusätzlichen Kosten für den Einsatz ei-ner Kamera oder eines GPRS-Moduls zweckmäßig? Liegtder Schwerpunkt in dem jeweiligen Trunkenheitsfahrer-programm vielleicht eher auf der Identifikation des Fah-rers durch eine Kamera oder ist es doch wichtiger, jeder-zeit in beinahe Echtzeit auf Daten zugreifen und schnellhandeln zu können?

Zurzeit befindet sich die Technik von Alkohol-Interlocks inder Entwicklung zu einem umfassenderen System. Dieseröffnet neue Möglichkeiten, die aber auch zusätzlicheFragen aufwerfen.

Da Zuverlässigkeit der Alkohol-Interlocks und ihrer Zu-satzgeräte, Datensicherheit und Datenschutz eine immerwichtigere Rolle spielen, sollten Alkohol-Interlocks, die inTrunkenheitsfahrerprogrammen zum Einsatz kommen,den Anforderungen der Europäischen Normen EN 50436-1und EN 50436-6 entsprechen.

Alkohol-Interlocks:

neue technische Trends

Bettina Velten

1 EN 50436-1: Alkohol-Interlocks – Prüfverfahren und Anforderun-gen an das Betriebsverhalten – Teil 1: Geräte für Programme mitTrunkenheitsfahrern, Januar 2014.

2 EN 50436-6: Alkohol-Interlocks – Prüfverfahren und Anforderun-gen an das Betriebsverhalten – Teil 6: Datensicherheit, EntwurfApril 2013.

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Posterführungen

1 Ausgangspunkt

– Abnahme motorischer, sensorischer und kognitiver Fä-higkeiten, Unsicherheit und Ängstlichkeit beim Autfahren

– Der Wunsch, lange am Straßenverkehr teilzunehmen(speziell ländliche Regionen)

– Demografischer Wandel: 2030 ist jeder dritte Verkehrs-teilnehmer 60+

– Aufrechterhaltung der Fahreignung älterer Personen istTeil des EU- wie auch des Österreichischen VSP 2011-2010

2 Lösungsweg – Leistungschecks?

3 Modell

4 Ablauf

1. Selbsteinschätzung/Selbstwahrnehmung – spieleri-sches Erarbeiten in der Gruppe

2. Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Entscheidungs-kompetenz fördern – Moderator bringt Beispiele ausseiner Fahrpraxis

3. Kompensationsstrategien erarbeiten und festigen – Er-fahrungsaustausch und Diskussionen in der Gruppe

4. Gefahrensituationen einschätzen lernen – Videoanaly-se und Diskussion in der Gruppe

5. Ressourcen nutzen und stärken – Kompetenzfragebogenausfullen und persönliche Umsetzungsstrategie festlegen

5 Rahmenbedingungen

Moderator nach Peer-Prinzip ausgewählt

Gruppen von 6–12 Teilnehmern pro Workshop. Dauer: ca.3–4 Stunden

6 Umsetzungsphase

Pilotphase

– Seit Anfang 2012 haben in Österreich rund 5.000 Senio-rInnen an 400 Workshops teilgenommen.

– Evaluierung des Workshops wurde aus Mitteln des Ver-kehrssicherheitsfonds gefördert.

Umsetzungsphase 1 (ab 2014)

– Workshops werden aus den Verkehrssicherheitsfondsder Bundesländer finanziert.

Umsetzungsphase 2 (Zukunft)

– Senioren zahlen fur ihre Teilnahme selbst.

Ergebnisse

– 90 % der TeilnehmerInnen bewerten den Workshop ins-gesamt als sehr gut.

– 80 % der TeilnehmerInnen sind davon uberzeugt, dasssie die Übungen und Inhalte in den Alltag sinnvoll inte-grieren können.

Vision

– Wir wollen uns auch in der Zukunft den demografi-schen Herausforderungen stellen.

– Wir sehen lebenslanges Lernen als wesentlich an.– Wir wollen eine breite Beteiligung der Zielgruppen 65+

an der bewusst.sicher.werkstatt.– Bis zum Jahr 2020 haben 50 % der AutofahrerInnen 65+

einen Workshop besucht.

108

bewusst.sicher.werkstatt –

Verkehrskompetenz für SeniorInnen

Sabine Kaulich

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Hintergrund

Immer wieder wird die Diskussion um Reliabilität, Validi-tät, und Objektivität der Medizinisch-PsychologischenUntersuchung neu entfacht. Seitens der Politik1 und derAnwaltschaft2 wird oftmals bemängelt, dass die Fahreig-nungsbegutachtung fur den Begutachteten zu wenigtransparent sei. Insbesondere sei es schwer, die Empfeh-lung des Gutachtens zu uberprufen und ggf. mit juristi-schen Mitteln anzugreifen. Auf dem Verkehrsgerichtstagin Goslar3 wurden 2010 die verschiedenen Standpunktekontrovers diskutiert. Der Forderung der Anwaltschaft,die Transparenz der MPU durch Einfuhrung einer routine-mäßigen Bild- oder Tonaufnahme zu dokumentieren,schloss sich auch das Verkehrsministerium an. Gegen die-se Forderung wurde in Goslar 2010 von verwaltungsrecht-licher und vonseiten der Gutachter eine Reihe von Argu-menten vorgebracht, sowohl hinsichtlich möglicher da-raus resultierender Nachteile fur das diagnostische Set-ting als auch zu Durchfuhrungs- und Kostenaspekten.

Angesichts dieser widerstreitenden Auffassungen be-steht die Notwendigkeit einer grundlichen Auseinander-setzung mit den möglichen Auswirkungen von Mitschnit-ten auf den diagnostischen Prozess, auf die Qualität undauf das Ergebnis der Begutachtung. Die Notwendigkeitder wissenschaftlichen Überprufung wurde ebenfalls aufdem 52. Deutschen Verkehrsgerichtstag erkannt.5

Bei dieser Sachlage lag es nahe, die Auswirkungen von Au-diomitschnitten auf den diagnostischen Prozess, die Quali-

Posterführungen 109

Verbessert eine Audioaufnahme des Explorati-

onsgesprächs die Fahreignungsbegutachtung?

Malgorzata Zöhner

tät und das Ergebnis der Begutachtung in einer empiri-schen Evaluationsstudie zu untersuchen.

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Posterführungen

Der Chi1 ergab keine signifikanten Unterschiede bezuglichder Proportion von positiven und negativen Gutachten proBedingung.

Fazit

Es ließ sich nicht bestätigen, dass eine Audiodokumenta-tion des psychologischen Explorationsgesprächs den di-agnostischen Prozess, die Qualität oder das Ergebnis derBegutachtung verbessert.

Es liegt die Vermutung nahe, dass die Qualität der Gut-achten in erster Linie von den Kompetenzen des jeweili-gen Gutachters abhängt.

Welche Bedeutung der Audiodokumentation im Rahmen derFahreignungsbegutachtung zugemessen werden soll, muss –anders als im Strafverfahren – mehr in Bezug auf die Gewähr-leistung einer hohen Dokumentationsqualität und wenigervor dem Hintergrund der Beweissicherung betrachtet werden.

Dennoch soll der Gedächtnis-, der Garantie- und der Bin-dungsfunktion der Dokumentation im Rahmen der Fahreig-nungsbegutachtung ein großer Stellenwert beigemessenwerden.

Das Ergebnis der Medizinisch-Psychologischen Untersu-chung muss sich aus den Ergebnissen der durchgefuhrtenUntersuchungen sowie aus den während der Exploration ge-wonnenen Daten ergeben und rekonstruieren lassen. So kannim Falle einer Auseinandersetzung uber die vermeintlichenMängel des Gutachtens im Sinne der Verletzung des Werkver-trags auf der Basis einer schlussigen Dokumentation uber dieQualität bzw. den Inhalt der Exploration entschieden werden.

Literatur

1 Vgl. http://www.spiegel.de/auto/aktuell/bundesverkehrsminis-ter-peter-ramsauer-will-idiotentest-reformieren-a-8244n.html (letz-ter Abruf: 6.7.2014).

2 Hillmann, F.-R. (2003): Zweifel an der Fahreignung MPU – Nach-weisfragen – Rechtsprobleme (Verhältnismäßigkeit/Rechtsnatur).Referat zum 4:1.. Verkehrsgerichtstag, 0ldenburg. Online unter:http://www.hillmannpartner.de/fileadmin/user_upload/pdf/vero-effentlichungen/zweifel.pdf (letzter Abruf: 6.7.2014).

3 Empfehlungen AK VI: „Idiotentest auf dem Prufstand“, 48. Ver-kehrsgerichtstag Goslar 2010, S. 225–257. In: Tagungsband zum 48.Deutschen Verkehrsgerichtstag 2010. Goslar. Luchterhand.

4 http://www.handelsblatt.com/auto/nachrichten/medizinisch-psychologische-untersuchungen-spekulation-um-videoaufzeich-nung-von-idiotentests/645:1.902.html (letzter Abruf: 6.7.2014).

5 Der V Arbeitskreis beschäftigte sich mit dem Thema „Fahreignungund MPU“. Ausfuhrlich hierzu siehe: Tagungsband zum 52. Deut-schen Verkehrsgerichtstag 2010. Goslar. Luchterhand.

Material

MPU-Gutachten– 303 Gutachten– Ausschließlich Alkoholfragestellungen– Gutachtenlänge: M = 18,34 Seiten, SD = 2,55– Explorationsdauer: M =5 2 Min., SD = 17 Min.– Gutachten erstellt von 15 Gutachter/-innen in 20 akkre-

ditierten Begutachtungsstellen fur Fahreignung derDEKRA Automobil GmbH.

– Erfahrung der Gutachter als Verkehrspsychologe: M =10,5, SD = 12,5

– Alter der zu Begutachtenden: M = 41,41, SD = 12,5

Fragebögen

– Fragebogen fur Gutachter zu ihrer persönlichen Ein-schätzung bezuglich des Begutachtungsergebnissesbei jeder Begutachtung nach der Aktensichtung undVOR der Exploration

– Das Befinden der zu Begutachtenden wurde durch 12standardisierte Fragen operationalisiert. Der Fragebo-gen wurde bei den Bedingungen im Anschluss an dieExploration ausgefullt.

Um die Reliabilität der in der Gutachtenanalyse bewerte-ten Qualitätsmerkmale zu messen, wurde bei einer Zu-fallsstichprobe von 30 Gutachten ein weiterer Beurteilerhinzugezogen. Die Beurteilerubereinstimmung wurde mitdem Kappa-Koeffizienten bestimmt:

Der T-Test ergab KEINE signifikanten Unterschiede zwi-schen den beiden Experimentalgruppen in Bezug auf dieLänge des Gutachtens (p-Wert = 0,U2, Signifikanzniveaup < = 0,05) und die Anzahl der wörtlichen Zitate (p-Wert =0,994, Signifikanzniveau p < = 0,05).

Die Nachvollziehbarkeit, Integration der Befunde, Aus -fuhr lich keit der in der Exploration erhobenen Daten, dieEinhaltung der Beurteilungskriterien, die Verständlichkeitund die Formulierung wurden bei einer Stichprobe von158 Gutachten (Audiobedingung 42,7 %, Kontrollbedin-gung 56,3 %) auf einer Schulnotenskala bewertet. Eskonnten KEINE signifikanten Unterschiede in Bezug aufdiese Qualitätskriterien gefunden werden.

Die Explorationsdauer in der Experimentalgruppe war sig-nifikant kürzer als in der Kontrollgruppe (p-Wert= 0,0281,Signifikanzniveau p < = 0,05).

Das Befinden der zu Begutachtenden aus der Bedingung„Exploration mit Audiomitschnitt“ unterschied sich nichtsignifikant von dem Befinden der zu Begutachtenden, dieeine Exploration ohne Mitschnitt hatten.

110

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An dem Workshop nahmen mehrheitlich Psychologen undVorbereiter/Therapeuten teil.

Einführend in die Thematik schilderte Wagner eine dasThema des Workshops betreffende Änderung des DSM-IVzum DSM-5. Derzeit greifen die Beurteilungskriterien aufdie aktuelle Version des DSM-IV zurück und folglichdrängt sich die Frage auf, ob bei der Vorbereitung dernächsten Auflage Struktur und Inhalt des DSM-5 Berück-sichtigung finden sollten. In den Begutachtungs-Leitlinienzur Kraftfahreignung wird lediglich auf ICD-10 abgestellt.

Vom Abhängigkeitssyndrom über Missbrauchzur Substanzgebrauchsstörung

Eine bedeutsame Weiterentwicklung im DSM-5 besteht darin,dass die kategoriale Unterscheidung von Abhängigkeit undMissbrauch zugunsten eines Kontinuums aufgegeben wird.Das vorherige Konzept basierte auf dem Abhängigkeitssyn-drom, welches ein Verhaltensmuster mit eingeschränkteroder fehlender Kontrolle beschreibt. Hiervon abgegrenzt wur-den Folgen des Konsums, die als Missbrauch in die Kategori-sierung eingingen. Unter anderem zeigte sich, dass zwar dieAlkoholabhängigkeit stabil erfasst werden konnte, sich dieReliabilität der Kategorie Missbrauch jedoch als unbefriedi-gend erwies. Weiterhin wurde die Diagnose Missbrauch meistaufgrund des alleinigen Merkmals „Wiederholter Konsums inSituationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer kör-perlichen Gefährdung kommen kann“, gestellt.

Neuere Studien zu Merkmalen von Missbrauch und Ab-hängigkeit mithilfe von Faktorenanalysen ergaben, dassentweder nur ein Faktor gefunden wurde oder beide Fak-toren hoch mit einander korrelierten. Eine aktuelle Arbeitmit Daten aus vier Ländern, in denen Patienten in Notfal-lambulanzen untersucht wurden, konnte zeigen, dassMissbrauch und Abhängigkeit ein unidimensionales Kon-tinuum darstellen. Studien aus dem Bereich von Drogen-missbrauch und -abhängigkeit kommen zu ähnlichen Er-gebnissen. Auf Basis empirischer Befunde wurde für dasDSM-5 vorgeschlagen, die Merkmale von Abhängigkeitund Missbrauch in eine einzige Störung zu überführen,die als Substanzgebrauchsstörung bezeichnet wird. Dafürwurden unterschiedliche Ausprägungsgrade festgelegt.Das Kontinuum setzt sich demnach aus folgenden 11 Kri-terien zusammen:

1. Wiederholter Konsum, der zu einem Versagen bei derErfüllung wichtiger Ver-pflichtungen bei der Arbeit, inder Schule oder zu Hause führt.

2. Wiederholter Konsum in Situationen, in denen es auf-grund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdungkommen kann.

3. Wiederholter Konsum trotz ständiger oder wiederhol-ter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme.

4. Toleranzentwicklung gekennzeichnet durch Dosisstei-gerung oder verminderte Wirkung.

5. Entzugssymptome oder deren Vermeidung durch Sub-stanzkonsum.

Workshops 111

Weiterentwicklung der Beurteilungskriterien:

Schädlicher Gebrauch von Alkohol; Fahreignung

Rainer Mattern, Andreas Patermann, Thomas Wagner

Workshops

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Workshops

6. Konsum länger oder in größeren Mengen als geplant(Kontrollverlust).

7. Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche derKontrolle.

8. Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum derSubstanz sowie Erholen von der Wirkung.

9. Aufgabe oder Reduzierung von Aktivitäten zugunstendes Substanzkonsums.

10. Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis von körperli-chen oder psychischen Problemen.

11. Craving (starkes Verlangen oder Drang) zum Substanz-konsum.

Bei Auftreten von 2 Merkmalen innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums gilt die Substanzgebrauchsstörung als erfüllt. Eswerden nun insgesamt 11 Kriterien für die Substanzge-brauchsstörung benannt, wobei bereits bei zwei zutreffen-den Merkmalen eine Behandlungsindikation als gegeben an-gesehen wird. Neu in die Kriterienliste aufgenommen wurdedas sogenannte craving (Suchtdruck, zwanghaftes Verlan-gen nach Konsum), welches in bildgebenden Studien mehr-fach nachgewiesen werden konnte und mit einer Aktivierungin spezifischen Hirnarealen des Belohnungssystems einher-geht. Der Gesetzeskonflikt („legal problems“) spielt im Un-terschied zum DSM-IV beim DSM-5 keine Rolle mehr.

In der Diskussion fanden lediglich zwei Teilnehmer esbesser bzw. hilfreich, auf ein Kontinuum abzustellen. Derüberwiegende Teil des Auditoriums sprach sich gegen ei-ne Integration des DSM-5 in das System der Beurteilungs-kriterien aus. Dies auch vor dem Hintergrund, dass diedem DSM-5 zugrunde liegende Datenbasis vor allem aufPatienten mit Leidensdruck in Notfallambulanzen zurück-geht, bei denen Gesetzesverstöße häufig nur als Rander-scheinung vorlagen und das Kriterium „legal problems“über die zuvor erhobenen Kriterien hinaus keine Zusatzin-formation für die Diagnose lieferte. Während in den Erhe-bungssettings in Notfallambulanzen die Entscheidungüber eine Behandlungsnotwendigkeit zielführend gewe-sen sein dürfte, liegt im Fahrerlaubnisrecht der diagnosti-sche Zweck vor allem bei der Frage der Legalbewährungs-prognose, sodass das frühere Fehlverhalten ein wesentli-cher Prädiktor für künftiges Verhalten als Kraftfahrzeug-führer darstellt und nicht ausgeblendet werden sollte. Beider Fahreignungsbegutachtung ist daher auch eher mitDissimulationstendenzen zu rechnen, sodass geradeauch die objektiven Aktenmerkmale für die Beurteilungder Problemausprägung wichtig erscheinen. Bei der Ab-klärung einer akuten Behandlungsnotwendigkeit dürftenhingegen verstärkt Aggravationstendenzen (Symptom-überakzentuierung aufgrund des Leidensdrucks) wirksamwerden. Datenbasis und diagnostische Zielstellung desDSM-5 sind daher nur eingeschränkt auf forensische Zwe-cke übertragbar, zumal die DSM-Kriterien zum Verände-rungsprozess keine Aussagen treffen. Angesprochen wur-de das Verhältnis von DSM zu ICD und die Frage, ob derDSM-5 den Stand der Wissenschaft abbilde. Verbreitetwar die Ansicht, dass das DSM-5 anderen Zwecken als der

Fahreignungsfeststellung dient und die Beurteilungskri-terien deshalb durch die Veröffentlichung dieses Diagno-sesystems nicht infrage gestellt werden.

Ein Teilnehmer meinte, heutige Jugendliche hätten eineandere Alkoholgewöhnung, weshalb er vorhandene Da-ten etwa zur Rückfallwahrscheinlichkeit für nicht mehr re-präsentativ und erneuerungsbedürftig hielt.

In einer Abstimmung sprachen sich viele dafür aus, die Ent-wicklung des DSM zu beobachten; niemand meinte, dassdas DSM jetzt schon in die Struktur der Beurteilungskrite-rien eingearbeitet werden müsste, und nur einer meinte,dass es nicht lohnend sei, sich hiermit zu befassen.

Validität von Variablen zur Prognose der Legal-bewährung

Im Zuge der Diskussion darüber kamen drei Fragen auf,denen man nachgehen sollte: • Lassen sich die Legalbewährungsquoten bei Nutzung ei-

nes EtG-Programms weiter erhöhen? Worin besteht derprognostisch relevante „benefit“ solcher Programme?

• Ist das Variablengeflecht, das wir nutzen, überhaupthinreichend umfassend und gibt es neue Ansätze fürdie Legalbewährungsprognose?

• Sind Variablen wie Höhe der BAK, Anzahl der Trunken-heitsfahrten, Tatzeitpunkt usw. ausreichend oder soll-ten weitere Variablen der Verkehrsdelinquenz zur Beur-teilung der Problemausprägung, insbesondere zur Un-terscheidung von A2 und A3, berücksichtigt und ggf. wiegewichtet werden?

Mattern regte im Hinblick auf die Forderung, Gutachten nachwissenschaftlichen Grundlagen zu erstatten (Anlage 4a, 15FEV), an, bei Prognosen im Einzelfall und bei Beantwortungder Fragen der Verwaltung, was zu erwarten sei, im Gutach-ten und der Zusammenfassung deutlich zu machen, mit wel-cher Verlässlichkeit die jeweiligen Aussagen getroffen seien.Er erinnerte an die Empfehlung des Arbeitskreises III des Ver-kehrsgerichtstags 2012, dass ein Gutachten auch dann qua-lifiziert sein kann, wenn der Sachverständige nicht ent-scheidbare Fälle auch ausdrücklich so einstuft.

Rechtsprechung zum Alkoholmissbrauch undzum Trennvermögen

Zum Abschluss der Veranstaltung gab Patermann einenÜberblick zum gegenwärtigen Stand der Verwaltungs-rechtsprechung bei „Alkoholmissbrauch“ („Führen vonFahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigenderAlkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrenntwerden“). Dabei erläuterte und kommentierte er vor allemdie Entscheidungen und Entscheidungsgründe desBVerwG (Az.: 3 B 71.12) und des VGH BaWÜ von 01/2014(Az.: 10 S 1748/13) und stellte die Verbindlichkeit der nunanzuwendenden Rechtslage bei der Anordnung von Fahr-eignungsbegutachtungen klar.

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Gegenstand der Diskussionen waren ein Schreiben desBMVI (5.8.14) und eine E-Mail der BASt (30.7.14) zur An-wendung der CTU-Kriterien.

Haaranalysen

Die mit E-Mail der BASt vom 30. Juli 2014 beschriebeneÜbergangsfrist u. a. für die Anerkennung von Haaranaly-sen, die nach den Regelungen der Hypothese CTU der BK2. Auflage durchgeführt wurden, bezieht sich lt. HerrnBuchardt vom BMVI auf bereits begonnene Programme (s.auch Verkehrsblatt Heft 3, 2014, S. 132). Ziel sei die Ge-währleistung umfänglichen Vertrauensschutzes für Be-troffene, die vor dem 1. Mai 2014 Erkundigungen einge-holt und Informationen zum damaligen Stand erhaltenhätten. Nach Einschätzung der Teilnehmer könnte also z.B. eine Vereinbarung zur Entnahme von 4 x 3 cm Haar fürdie EtG-Kontrolle fortgesetzt werden. Wenn die Betroffe-nen zwischenzeitlich nicht informiert wurden, müsstenauch colorierte Haare für EtG weiter akzeptiert werden.Aufträge von Betroffenen, jetzt einmalig 12 cm untersu-chen zu lassen, seien ebenfalls betroffen. Herr Hofstätter(Reg. v. Oberbayern) ergänzt, dass in den Fällen, wo derBürger von Behörden in der Vergangenheit anders bera-ten worden sei, dieser sich darauf auch verlassen könnenmüsse. Prof. Mußhoff schlägt vor, in solchen Fällen 2 x 6 cmsegmentiert zu untersuchen, sodass ein verlässlicher Be-leg für die aktuellen sechs Monate vorliege und die An-nahme des Konsumverzichts für den weiter entferntenZeitraum trotzdem noch hinreichend plausibel sei.

Durchführung von Abstinenzkontrollen

Vor dem Hintergrund der mit Schreiben des BMVI vom Au-gust 2014 erfolgten Klarstellung zur Durchführung vonDrogen- und Alkoholabstinenzkontrollen und deren Probe-nentnahme darf bei den in Anlage 4a FeV genannten Ärz-ten ohne weitere Prüfung davon ausgegangen werden,dass sie die erforderliche Qualifikation für die Durchfüh-rung von Abstinenzkontrollen nach dem Stand von Wissen-schaft und Technik haben. Dies gilt bis zum Beweis des Ge-genteils, wenn z. B. die Bescheinigungen nicht den Anfor-derungen genügen oder Durchführungsfehler offenkundigwerden. Für die in der Anlage 4a FeV gelisteten Gruppen isteine Fortbildung wie das neu geschaffene Curriculum derDGVM sinnvoll, aber nicht verpflichtend. Davon unberührtbleibt die Ärztliche Berufspflicht zur Fortbildung nach Re-gelung der jeweils zuständigen Ärztekammern. Im Gegen-satz zu den dort gelisteten Gruppen können ggf. auch an-dere Ärzte oder Stellen Abstinenzkontrollen durchführen,müssten dann jedoch die Bedingungen der CTU 2 (2) erfül-len, d. h. auch an einschlägigen Fortbildungen wie z. B.dem Curriculum der DGVM teilgenommen haben und überein System der Qualitätssicherung verfügen. Dies wäredann bei Vorlage von Belegen gegenüber den BfF darzule-gen bzw. von den BfF zu prüfen.

Neutralität der entnehmenden Stelle

Die im Kontraindikator in der CTU 2 Indikator 3 genanntevertragliche Bindung mit Stellen, die behandeln, bedarfnach Einschätzung des BMVI einer Prüfung in jedem Ein-zelfall, um einen Interessenskonflikt ausschließen zukönnen. Dies könnte durch personelle oder institutionelleTrennung gewährleistet werden.

Workshops 113

Erfahrungen mit der 3. Auflage der

Beurteilungskriterien – Alkohol und Drogen

Rainer Mattern, Thomas Wagner, Frank Mußhoff

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Workshops

In jüngerer Zeit wird vermehrt die Frage diskutiert, ob die inverschiedenen Staaten praktizierten Pflichtuntersuchungenzur Fahreignung älterer Fahrer angemessen sind. In derFachliteratur wird häufig darauf hingewiesen, dass die Wirk-samkeit, Nützlichkeit und Effektivität dieser Programmeentweder häufig fraglich ist oder angemessene Evaluatio-nen dieser Programme fehlen. Der Workshop ist diesen Fra-gen nachgegangen, indem er den internationalen Erkennt-nis- und Diskussionsstand zusammengefasst und Schluss-folgerungen hinsichtlich zukünftiger Praxis gezogen hat.

W. Fastenmeier begann zunächst mit einer Einführung inden Themenbereich „Ältere Kraftfahrzeugführer“, insbe-sondere zur Frage des Unfallrisikos älterer Fahrer, ihrer De-fizite und ihrer Kompensationsmöglichkeiten. Insgesamtstellen die älteren Autofahrer keine besondere Risikogrup-pe dar. Der größte Teil der Senioren kann die altersbeding-ten sensorischen, kognitiven und motorischen Defizitedurch Fahrerfahrung und defensiven Fahrstil kompensie-ren. Das Lebensalter eines Autofahrers allein rechtfertigtkeine Zweifel an dessen Fahreignung. In den 1990er-Jahrensind in einer Reihe von Ländern altersbezogene Pflichtun-tersuchungen von Autofahrern eingeführt worden. Dazuwurden kurz die Regelungen vorgestellt, die internationalfür ältere Fahrer gelten. Mittlerweile liegen aus verschie-denen Ländern Ergebnisse von Evaluationsstudien vor, dieden Nutzen solcher Überprüfungen bewertet haben. Eben-so sind inzwischen zusammenfassende Bewertungen die-ses empirischen Materials veröffentlicht worden. Einhelli-ges Resultat dieser Arbeiten: Eine auf das Lebensalter al-lein bezogene Überprüfung verbessert die Verkehrssicher-heit nicht, unabhängig von der Art der eingesetzten Prüf-methoden. Altersbezogene Screenings ergeben vielmehrnegative Effekte für die Senioren, inbesondere durch denWechsel auf wesentlich gefährlichere Arten der Verkehrs-beteiligung (zu Fuß gehen, Fahrrad fahren). Auch die indiesen Screenings eingesetzten Methoden/Prädiktoren(also z. B. körperliche Untersuchung, Sehtest, „kognitiver“Test) erweisen sich als untauglich, da keine Zusammen-hänge zwischen der Messung dieser individuellen Parame-ter und der tatsächlichen Fahreignung bzw. eines zukünfti-gen Unfallrisikos herzustellen sind.

Das Konzept der Präsentation von C. Weimann-Schmitzsah zunächst den Hinweis auf eine mögliche Fahrkompe-tenz trotz altersbedingter Beeinträchtigungen bis ins ho-

he Alter vor. Dann wurde der Hausarzt als „Verkehrssi-cherheits-Botschafter“ sowie das überregionale Fortbil-dungskonzept für niedergelassene Ärzte mit dem Ziel derErhaltung der Mobilität und der Sensibilisierung für be-stehende Einschränkungen vorgestellt. Es folgte eine Zu-sammenfassung der alterstypischen Einbußen der Sin-nesleistungen (hier speziell des Sehvermögens) und derKompensationsmöglichkeiten für einige Einschränkun-gen. Schließlich wurde das Unfallrisiko bei verschiedenenalterstypischen Erkrankungen, basierend auf Erkennntis-sen des EU-Projekts IMMORTAL thematisiert. Es folgte einkurzer Exkurs zur alterstypischen Medikation und ab-schließend ein Statement zu den Vorteilen freiwilliger Fit-ness-Checks und den Möglichkeiten ihrer Realisierung.

H. Gstalter ging dann insbesondere der Frage nach, wel-che Aussagegüte die jeweils verwendeten Prädiktoren inden altersbezogenen Pflichtuntersuchungen besitzen undwarum eine Prognose der Verkehrsgefährdung ältererFahrer im Sinne zukünftiger Unfallbeteiligung aus theore-tischen, empirischen und rechnerischen Gründen nichtmöglich ist und warum ein Altersscreening eine Fülle„falsch-positiver“ Ergebnisse produzieren muss. Selbstbei einem Screening mit unrealistisch guten Testeigen-schaften würde man nur in seltenen Ausnahmefällen rich-tig prognostizieren. Zusammenfassend bleibt festzuhal-ten, dass keine Auswahlprozedur vorliegt oder auch nurdenkbar ist, die die Selektion von älteren Fahrern mit derVerhinderung von zukünftigen Unfällen begründen kann.Ein Versprechen der Gefahrenabwehr für die Allgemein-heit durch Auffinden und Ausscheiden unsicherer ältererFahrer mittels altersbezogener Überprüfungen der Fahr-kompetenz kann also nicht gehalten werden.

Eine Reihe der genannten Punkte wurde in der Diskussionvon einigen Teilnehmern, die in der Begutachtungspraxistätig sind, aufgrund persönlicher Erfahrungen mit älterenKlienten infrage gestellt. Dabei zeigte sich wieder einmaldeutlich, dass zwischen einer Einzelfallkasuistik und wis-senschaftlich-statistisch begründeten Aussagen nach wievor eine Schere besteht. Deshalb wäre es notwendig, eingemeinsames Grundverständnis für wissenschaftlichesVorgehen zu finden. Der überwiegende Teil der zahlreichenWS-Teilnehmer gab indes an, eine Fülle neuer Erkenntissefür die weitergehende Beschäftigung mit dem Themen-kreis „Ältere Kraftfahrzeugführer“ gewonnen zu haben.

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Ältere Kraftfahrzeugführer

Wolfgang Fastenmeier, Herbert Gstalter, Christiane Weimann-Schmitz

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Von den ersten veröffentlichten Ideen zu verkehrspsycho-logischen Interventionen (Forderung nach Therapie fürverkehrsauffällige Kraftfahrer, Winkler, 1963) bis hin zurmöglichen Implementierung eines „anerkannten Fahreig-nungsberaters“ (BASt1, 2014 in Vorbereitung) in gesetzli-che Regelwerke blicken wir auf einen Zeitraum von mehrals 50 Jahren zurück.

Dabei nahmen Maßnahmen, die schließlich in Gesetze undVerordnungen übernommen wurden, regelmäßig den Wegvon einer Begründungsphase zu einer Erprobungsphase,bis sie in einer Modellphase dauerhaft zur Anwendung ka-men, um schließlich durch gesetzliche Einbindung als Pro-gramm anerkannt zu werden (Programmphase).

Das beste (und das bestevaluierte) Beispiel hierzu stellendie §-70-FeV2-Kurse zur Wiederherstellung der Kraftfahr-eignung für alkoholauffällige Kraftfahrer dar. Nach einerersten Erprobung seit 1971 in Leer wurden seit 1977/78die Modelle IFT3, IRaK4 und Leer implementiert und von1978–86 der erfolgreichen WirksamkeitsuntersuchungALKOEVA (Winkler, Jakobshagen & Nickel, 1988) unterzo-gen. Deren Fortführung belegte 1990 ebenfalls die Lang-zeitwirkung der Kurse (Winkler, Nickel & Jakobshagen,1990). Mit der Einführung der Fahrerlaubnis-Verordnungwurde diese Kursart zum 1.1.1999 als § 70-Kurs zur Wie-derherstellung der Kraftfahreignung gesetzlich geregelt.Die Träger mussten sich akkreditieren lassen und werdenheute von der BASt begutachtet. Im Verlauf wurden vonden Trägern weitere Kursprogramme entwickelt. Bis zumJahr 2011 sind alle heute bestehenden §-70-Programmeeiner erfolgreichen (Re-)Evaluation unterzogen worden.

Die Studie „Eva-MPU“ (Hilger et al., 2012) belegt mit ei-ner 92-prozentigen Legalbewährungsquote die hohePrognosesicherheit der Fahreignungsdiagnostik, sowohlder Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU)als auch der §-70-Kurse zur Wiederherstellung der Kraft-fahreignung bei alkoholauffälligen Fahrern (n = 1.600)Dies bedeutet: Die Teilnahme an einem anerkannten §-70-Kurs kann bei einem Klientel mit noch bestehenden Zwei-feln an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen dieRückfallwahrscheinlichkeit auf das Niveau der als geeig-net Begutachteten senken. Der in der Benennung der §-70-Kurse formulierte Anspruch wird erfüllt. Außerdem er-weisen sich beide Gruppen (MPU und § 70) in der Unter-suchung als nicht gefährlicher als die Kontrollgruppe ein-malig ordnungswidrig aufgefallener Kraftfahrer (0,5-Pro-millegrenze), deren Rückfallquote ebenfalls bei 8,2 % lag(n = 3.200).

Für alle gesetzlich geregelten verkehrspsychologischenInterventionen bezeichnen die Vorgaben in StVG5 und FeVklare Standards sowohl für den Zugang von Betroffenenzu den Programmen als auch für die Programme selbst,für die Qualifikationen des eingesetzten Personals sowieggf. auch für die Qualitätssicherung (vgl. §§ 70, 36, 71FeV; § 4 StVG).

Auch die diagnostische Maßnahme der MPU ist mit derVeröffentlichung der „Beurteilungskriterien“ von Auflagezu Auflage (3. Auflage DGVP & DGVM, 2013) zunehmendtrennschärfer und auch transparenter geworden. Für dieSachverständigen existiert ein klarer Kanon von Hypothe-sen, Kriterien und Indikatoren, die eine gut durchschau-bare, belastbare Orientierung für ihre Arbeit darstellen.Die Begutachtungsstellen für Fahreignung werden jähr-lich hinsichtlich der Erfüllung aller Anforderungen von derBASt begutachtet.

Anders verhält es sich bei verkehrspsychologischen Inter-ventionen im ungeregelten Bereich, also in der sinnvollenBeratung vor einer MPU sowie in der resultierenden Be-handlung auffälliger Kraftfahrer. Hier besteht „neben ei-ner Vielzahl von seriösen und kompetenten verkehrspsy-chologischen Angeboten zur Beratung/Vorbereitung aufdie MPU (…) auf dem Markt auch ein Überangebot an un-seriösen und/oder inkompetenten Angeboten“ (BASt,2014 in Vorbereitung).

Personen, die eine MPU vor sich haben, benötigen im Vor-feld auf jeden Fall qualifizierte Informationen zur MPU,sehr häufig einstellungs- und verhaltensändernde Inter-ventionen und oft auch Belege zu Substanzfreiheit (Teil-nahme an einem den Anforderungen entsprechendenAbstinenzkontrollprogramm), um anhand der „Beurtei-lungskriterien“ eine positive Verkehrsverhaltensprogno-se erhalten zu können.

Der Schlüssel zum Erfolg eines auffälligen Kraftfahrersliegt zum Ersten in einer qualifizierten Fahreignungsbera-tung. Er benötigt eine spezielle Diagnostik auf Basis der

Workshops 115

Leitlinien verkehrspsychologischer

Interventionen

Birgit Kollbach, Paul Brieler, Udo Kranich

1 Bundesanstalt für Straßenwesen.

2 Fahrerlaubnis-Verordnung, Verordnung über die Zulassung von Per-sonen zum Straßenverkehr.

3 Benannt nach dem entwickelnden „Institut für Therapieforschung“.

4 Individualpsychologische Rehabilitation alkoholauffälliger Kraft-fahrer.

5 Straßenverkehrsgesetz.

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Workshops

„Beurteilungskriterien“, um Wege aufgezeigt zu bekom-men, wie er seine Fahreignung wiederherstellen kann.Zum Zweiten sollte sich eine qualitätsgesicherte Interven-tion anschließen, mit welcher der Betroffene diese Wegebegleitet gehen kann. In diesem Bereich existiert derzeitwenig Orientierung.

Dass es bislang keine Standards für die seriöse, verhaltens -ändernde Intervention im ungeregelten Bereich gibt, zeigtsich auch in den „Beurteilungskriterien“ Diese äußern sichin der dritten Auflage an verschiedenen Stellen zu unter-stützenden, vorbereitenden verkehrspsychologischenoder ggf. anderen fachlich angemessenen Maßnahmen.So ist beispielsweise zum Kriterium A 2.5. (Notwendigkeitkonsequenten Alkoholverzichts) zu lesen: „Sofern derKlient eine unterstützende psychologische Maßnahme be-nötigt hat, um zu einer Verhaltens- und Einstellungsände-rung zu gelangen, war diese dem Problem angemessenund erfolgreich.“ In den folgenden Indikatoren werden dieBegriffe Therapie, therapeutische Intervention, einzel-oder gruppentherapeutische Maßnahme, ambulanteGruppenmaßnahme, unterstützende psychologische Maß-nahme sowie einstellungs- und verhaltensändernde Maß-nahme undefiniert nebeneinandergestellt. Möglicherwei-se spiegelt sich in der Vielzahl der genannten unbestimm-ten Begriffe die Vielfalt der am Markt existierenden „Vor-bereitungen auf die MPU“/verkehrspsychologischen In-terventionen wider. Unklar bleibt ebenfalls, welche Anfor-derungen an die Qualifikation der genannten „fachlichqualifizierten“ oder „behandelnden Psychologen“ oder aneine „Beratungsstelle“ zu stellen sind.

Leitlinien werden hier zukünftig fachlich begründete Ori-entierungshilfe bieten und dazu beitragen, Qualität so-wohl in der verkehrspsychologischen Intervention alsauch in der Begutachtung zu sichern, sodass auch derVerbraucher geschützt wird. Zielsetzung des Buches istdie umfassende Darstellung des derzeitigen Beratungs-,Schulungs- und Therapieangebots für auffällige Kraftfah-rer im deutschsprachigen Raum. Die Leitlinien werden ei-ne fachlich begründete Orientierungshilfe bieten für alle,die in dem Bereich tätig sind oder werden wollen. Ver-kehrspsychologen, Gutachter, Verwaltungsbehörden,Rechtsbeistände und andere Interessierte sollen sich hierbelastbar über den aktuellen Stand zu Theorie und Praxisverkehrspsychologischer Interventionen informieren kön-nen. Bei diesem Buchprojekt handelt es sich um eine brei-te Zusammenarbeit von etwa 20 Verkehrspsychologen

aus dem weiten Kreis der großen Träger von §-70-FeV-Kur-sen, Einzelpraxen, Wissenschaft und verkehrspsychologi-schen Sachverständigen. Herausgeber sind Dr. Paul Brie-ler (IFS6), Prof. Dr. Konrad Reschke (Universität Leipzig),Prof. Dr. Wolfgang Schubert (BIRVp7) und Dipl.-Psych.Jörg-Michael Sohn (Verkehrspsychologische Praxis).

Im Workshop 7 des gemeinsamen Symposiums von DGVPund DGVM wurde zuerst die Frage diskutiert, wem ein sol-cher Leitfaden fehlen könnte und warum. Das Auditoriumstützte im Wesentlichen die Argumente der Workshoplei-ter, dass ein solches Buch gerade auch im ungeregeltenBereich verkehrspsychologischer Interventionen einenwichtigen Beitrag zur Kompatibilität von verkehrspsycho-logischen Interventionen und den „Beurteilungskriterien“leisten kann. Insbesondere falls zukünftig „anerkannteFahreignungsberater“ weiterführende Maßnahmen emp-fehlen sollen, dann wird ein definiertes Maßnahmespek-trum benötigt werden, beispielsweise um zu entscheiden,welche Maßnahmen auf eventuelle Listen für Betroffeneaufgenommen werden können.

Des Weiteren wurden im Workshop 7 Kompetenzen darge-stellt und diskutiert, die es für eine seriöse, verhaltensän-dernde MPU-Vorbereitung braucht. Diese wurden als viel-fältig und anspruchsvoll eingeschätzt. Aus den benötig-ten Kompetenzen sind dann Anforderungen an die Qualifi-kation der Ausübenden abzuleiten. In einem weiterenSchritt ist dann zu überlegen, welche Institutionen hierzuausbilden sollten.

Zurzeit bieten viele verschiedene Gruppen vorbereitendeMaßnahmen auf die MPU an, darunter psychologischePsychotherapeuten, Diplom-, Master-, Bachelor-Psycho-logen, Fachpsychologen für Verkehrspsychologie, Ver-kehrspsychologen, die im geregelten Bereich arbeiten,aber auch Heilpraktiker, Psychologische Berater, Fachbe-rater Kraftfahrereignung, Fahrlehrer, Ärzte, Rechtsanwäl-te, ehemalige Mitarbeiter von Fahrerlaubnisbehörden,selbsternannte Helfer und Heiler, trockene Alkoholiker so-wie ehemalige MPU-Teilnehmer. Beispielsweise kannman derzeit bei einer Heilpraktikerschule nach einemzweitägigen Crash-Kurs mit 20 Unterrichtsstunden dasZertifikat „MPU-Berater“ erhalten, welches zudem denStempel einer AZWV8-zertifizierten Maßnahme trägt.

Das Auditorium des Workshops 7 schloss sich der Argu-mentation an, dass eine in der seriösen MPU-Vorbereitung

116

6 Institut für Schulungsmaßnahmen, Hamburg.

7 Bonner Institut für Rechts- und Verkehrspsychologie

8 Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung

9 Diese Forderung kann entweder durch eine Tätigkeit als verkehrspsychologischer Sachverständiger oder durch die Hospitation von 20 Be-gutachtungsfällen, bei maximal zwei Hospitationen pro Tag, erfüllt werden.

10 Diese Forderung kann erfüllt werden durch a) eine mindestens dreijährige Begutachtung von Kraftfahrern an einer Begutachtungsstellefür Fahreignung oder eine mindestens dreijährige Durchführung von besonderen Aufbauseminaren oder von Kursen zur Wiederherstel-lung der Kraftfahreignung, oder b) durch eine mindestens fünfjährige freiberufliche verkehrspsychologische Tätigkeit, deren Nachweisdurch Bestätigungen von Behörden oder Begutachtungsstellen für Fahreignung oder durch die Dokumentation von zehn Therapiemaß-nahmen für verkehrsauffällige Kraftfahrer, die mit einer positiven Begutachtung abgeschlossen wurden, erbracht werden kann, oder c)durch eine mindestens dreijährige freiberufliche verkehrspsychologische Tätigkeit nach vorherigem Erwerb einer Qualifikation als klini-scher Psychologe oder Psychotherapeut nach dem Stand der Wissenschaft.

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tätige Person über diagnostische Kompetenzen sowohl zurICD-10, DSM V als auch insbesondere über differenzierte di-agnostische Kompetenzen zu den Beurteilungskriterienverfügen soll. Dazu kommen Kenntnisse und Erfahrungenin der Begutachtung von Kraftfahrern, beraterische Kompe-tenz und Kompetenz in Rechts- und Verfahrensfragen. Des-halb wurde angeregt, eine psychologische Hochschulaus-bildung als Eingangsqualifikation für verkehrspsychologi-sche Interventionen zu fordern und ggf. bedarfsgerecht an-dere Berufsgruppen bei der Intervention einzubeziehen.

Im geregelten Bereich der Interventionen (§§ 70, 71, 36FeV, § 4a StVG) stellt der Hochschulabschluss Diplomoder Master in Psychologie lediglich die Eingangsqualifi-kation dar. Darüber hinaus wird 1.) eine verkehrspsycho-logische Ausbildung an einer Universität oder gleichge-stellten Hochschule oder Stelle, die sich mit der Begut-achtung oder Wiederherstellung der Kraftfahreignung be-fasst, oder eine fachpsychologische Qualifikation nachdem Stand der Wissenschaft gefordert. 2.) werden bei §-70-FeV-Kursleitern Erfahrungen in der Untersuchung und Be-gutachtung der Eignung von Kraftfahrern9 gefordert undbei §-4a-StVG-Seminarleitern Verkehrspsychologie wer-den langjährige Erfahrungen in der Verkehrspsychologie10

gefordert. 3.) benötigt der §-70-FeV-Kursleiter eine um-fängliche Ausbildung als Kursleiter in den jeweiligenKursprogrammen. 4.) ist abschließend die persönliche Zu-verlässigkeit nachzuweisen.

Das Auditorium des Workshops 7 sah es mit großer Mehr-heit als eine Notwendigkeit an, dass sich die Anforderungenan die Qualifikation des „anerkannten Fahreignungsbera-ters“ analog an die Anforderungen im geregelten Bereichanlehnen sollen. Diese Sichtweise wurde auch in einerschriftlichen Befragung bekräftigt. Hier wurde durch die Teil-nehmer an dieser insbesondere dafür plädiert, für die Inter-vention im nicht geregelten Bereich gesetzliche Regelungenzu treffen, hohe Standards für die Qualifikation der Durch-führenden festzulegen und den Blick darauf zu richten, eineEinstellungs- und Verhaltensänderung beim Klienten anzu-zielen und nicht lediglich auf eine bloße „MPU-Vorberei-tung“ zu orientieren. Solche Festlegungen müssten für allein diesem Feld Tätige eine hohe Verbindlichkeit haben. Diessollte dann auch für die Anerkennung bzw. Nichtanerken-nung dieser Maßnahmen durch die Gutachter gelten.

Diskutiert wurde daraufhin die Frage, welche Kompeten-zen und Qualifikationen Personen aufweisen sollten, dieeine seriöse MPU-Vorbereitung anbieten, welche von den„anerkannten Fahreignungsberatern“ empfohlen werdenkönnen. Dabei wurde grundsätzlich infrage gestellt, ob„fachlich Hilfestellende“ überhaupt hinter der Qualifikati-on von psychologischen Sachverständigen oder von §-70-FeV-Kursleitern zurück bleiben sollten. Neben der Fragenach der Qualifikation des in diesem Bereich tätigen Per-sonals kann auch die Frage nach der Struktur und Güte vonMaßnahmen gestellt werden, die betroffenen Kraftfahrernempfohlen werden können, und dass es sich dabei um ver-kehrspsychologische Interventionen handeln sollte.

Das Autorenteam des Buchprojekts wird hierzu einerseitsdie bestehenden Leitlinien im geregelten Bereich referie-ren und andererseits Leitlinien auch zum ungeregeltenBereich entwickeln. Rekurrierend auf wissenschaftlicheErkenntnisse soll die kritische und erfahrungsgestützteDiskussion in der Praxis unterstützt und angeregt werden.Das derzeit weite Feld der verkehrspsychologischen Inter-ventionen soll somit besser definiert und transparentergestaltet werden.

Literatur

Bundesanstalt für Straßenwesen (2014): Schlussbericht zum BASt-Projekt ‚Zur Qualität in MPU-Beratung und -Vorbereitung‘. In Vorbe-reitung.

Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie & Deutsche Gesell-schaft für Verkehrsmedizin (Hg.) (2013): Beurteilungskriterien, 3.Aufl. Kirschbaum Verlag, Bonn.

Hilger, N., Ziegler, H., Rudinger, G., DeVol, D., Jansen, J., Laub, G.,Müller, K., Schubert, W. (2012): EVA-MPU, zur Legalbewährung alko-holauffälliger Kraftfahrer nach einer medizinisch-psychologischenFahreignungsbegutachtung (MPU). Zeitschrift für Verkerhrssicher-heit, Sonderdruck.

Winkler, W., Jacobshagen, W., Nickel, W.-R. (1988): Wirksamkeit vonKursen für wiederholt auffällige Kraftfahrer (ALKOEVA). Berichte derBundesanstalt für Straßenwesen, Heft 64. Bergisch Gladbach: Bun-desanstalt für Straßenwesen.

Winkler, W., Nickel, W.-R., Jacobshagen, W. (1990): Langzeitbewäh-rung von Kursen für wiederholt alkoholauffällige Kraftfahrer. Unter-suchungen nach 60 Monaten Bewährungszeit. Blutalkohol, 27, S.154–174.

Workshops 117

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Autorenverzeichnis 119

A

PD Dr. Adamec, JiriLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinBiomechanik /Unfallforschung /AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Dr. rer. nat. Agius, RonaldLabor Krone, Abteilung fur Forensische und Klinische To-xikologieSiemensstr. 40, 32105 Bad [email protected]

Dipl.-Ing. Ahlgrimm, KaiDEKRA GmbHAnalytische GutachtenHusarenlager 14, 76187 [email protected]

Ajdacic-Gross, VladetaPsychiatrische Universitätsklinik ZürichLenggstrasse 31, 8032 Zürich, [email protected]

Ayni, Khatera Ludwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut für RechtsmedizinNussbaumstrasse 26, 80336 Mü[email protected]

B

Prof. Dr. phil. Banse, Rainer Universität BonnInstitut fur Psychologie, Sozial- und RechtspsychologieKaiser-Karl-Ring 9, 53111 [email protected]

Dr. med. Bartsch, ChristineUniversität Zurich, Institut fur RechtsmedizinWinterthurerstrasse 190 / 52, 8057 Zurich, [email protected]

Bauer, KlausLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur Rechtsmedizin

Biomechanik/Unfallforschung/AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Prof. Dr.-Ing. Bäumler, HansHochschule MunchenFakultät FahrzeugtechnikSchafeite 12, 92274 [email protected]

Dr. rer. nat. Brehmer, CorneliaUniversität Zurich, Institut fur VerkehrsmedizinWinterthurerstrasse 190/52, 8057 Zurich. [email protected]

Dipl.-Psych. Brenner-Hartmann, JurgenTÜV SÜD Life Service GmbHBegutachtungsstelle fur FahreignungHirschstraße 22, 89073 [email protected]

Dr. Brieler, PaulIFS Institut fur Schulungsmaßnahmen GmbHBaumeisterstraße 11, 20099 [email protected]

D

Prof. Dr. med. Dr. jur. Dettmeyer, ReinhardUniversitätsklinikum Gießen und Marburg GmbHInstitut fur RechtsmedizinFrankfurter Straße 58, 35392 Gieß[email protected]

Prof. Dr. med. Dittmann, VolkerUniversität Basel, Institut fur Rechtsmedizinc/o Deutsche Gesellschaft fur Verkehrsmedizin e. V.(DGVM)Pestalozzistraße 22, 4056 Basel, [email protected]

Dipl.-Ing. Donner, EckartAUDI AG85045 [email protected]

Autorenverzeichnis

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Dipl. Psych. Duntsch, KatjaTÜV Technische Überwachung Hessen GmbHBahnhofstraße 4, 30159 [email protected]

Prof. Dr. med. Dufaux, BertinLabor Krone, Medizinal-Untersuchungsstelle im Regierungsbezirk DetmoldSiemensstr. 40, 32105 Bad [email protected]

E

apl. Prof. Dr. rer. nat. habil. Echterhoff, Wilfried Bergische Universität WuppertalVorsitzender der Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland e. V. (VOD)PsychologieGaußstraße 20, 42097 [email protected]

Dr. med. Ernstberger, AntonioUniversitätsklinikum Regensburg, Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie93053 [email protected]

F

Prof. Dr. phil. Fastenmeier, WolfgangPsychologische Hochschule BerlinPsychologie des VerkehrswesensAm Köllnischen Park 2, 10179 [email protected]

Franz, ThomasFTC GmbH, Forensisch Toxikologisches CentrumMünchenBayerstraße 53, 80335 Mü[email protected]

Focken, MariaStaatsanwaltschaft HamburgKaiser-Wilhelm-Straße 100, 20355 [email protected]

M. Sc. Fuchs, ThereseLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinBiomechanik/Unfallforschung/AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

G

Gaus, SebastianCharité – Universitätsmedizin BerlinKlinik fur Psychiatrie und PsychotherapieCharitéplatz 1, 10117 [email protected]

Dr. med. Gauthier, SaskiaUniversität Zürich, Institut für RechtsmedizinForensische Medizin & BildgebungWinterthurerstrasse 190/52, 8057 Zürich, [email protected]

Prof. Dr. med. Graw, MatthiasLudwig-Maximilians-Universität MunchenVorstand des Instituts fur RechtsmedizinNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Dr. rer. nat. Gstalter HerbertMensch-Verkehr-UmweltInstitut fur angewandte PsychologieHochkönigstraße 6, 81825 [email protected]

Graute, KathrinLabor Krone, Abteilung fur Forensische und Klinische ToxikologieSiemensstr. 40, 32105 Bad [email protected]

H

Prof. Dr. med. Haffner, Hans-TheodorUniversitätsklinikum HeidelbergInstitut für Rechtsmedizin und VerkehrsmedizinVoßstr. 2, Geb. 4040, 69115 [email protected]

Hell, Wolfram Ludwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinBiomechanik/Unfallforschung /AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Mag. Herle, MargitSCHUHFRIED GmbHTest & Training Consultant Traffic PsychologyHyrtlstraße 45, 2340 Mödling, (A)[email protected]

120 Autorenverzeichnis

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MdL Herrmann, JoachimBayerischer Staatsminister des Innern fur Bau und VerkehrBayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und VerkehrOdeonsplatz 3, 80539 Mü[email protected]

Hess, Kai-UweLudwig-Maximilians-Universität MünchenFaculty of Mineralogy, Petrology und GeochemistryTheresienstraße 41, 80333 Mü[email protected]

M.A. (Psych.) Holopainen, ArjaFinnish Motor Insurers‘ CentreRoad Safety UnitBulevardi 28, 00120 Helsinki (FI)[email protected]

Holzmann, ChristopherLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinNußbaumstr. 26, 80336 [email protected]

J

Jänsch, M.TÜV Technische Überwachung Hessen GmbHLife ServiceBahnhofstraße 4, 30159 [email protected]

K

Kahl, Hans-GerhardLabor KroneAbteilung fur Forensische und Klinische Toxikologie Siemensstr. 40, 32105 Bad Salzuflen

Dipl. Ing. Kaulich, SabineKFV ProzessentwicklungSchleiergasse 18, 1100 Wien (A)[email protected]

Dr. phil. Keller, Martin Kliniken Valens, Rehazentrum ValensCH-7317 [email protected]

Kellerer, PeterPolizei HamburgBruno-Georges-Platz 1, 22297 [email protected]

Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. Kollbach, BirgitLeiterin MPD | DEKRA Akademie GmbH BerlinMedizinisch- Psychologischer Dienst (MPD)Ehrenbergstr. 11-14, 10245 [email protected]

Koppehele-Gossel, Judith Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität BonnInstitut fur PsychologieRegina-Pacis-Weg 3, 53113 Bonn

Prof. Dr. rer. nat. Krämer, ThomasUniversität Zurich, Institut fur RechtsmedizinWinterthurerstrasse 190/52, 8057 Zurich (CH)

Dr. Kranich, UdoDEKRA – Automobil GmbHTorgauerstraße 23504347 [email protected]

Dr. med. Kraus, Sybille Ludwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

L

Dipl. Biol. Lochner, StefanieInstitut für Rechtsmedizin der Universität MünchenNußbaumstr. 26, 80336 Mü[email protected]

Lottner-Nau, StefanieLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur Rechtsmedizin, ToxikologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

M

Prof. Dr. med. Mattern, RainerRechtsmedizin und VerkehrsmedizinOdenwaldstraße 23, 69226 [email protected]

Prof. Dr. med. Mathis, JohannesUniversitätsspital BernDKNS, Neurologische KlinikSchlaf-Wach-Epilepsie-ZentrumInselspital, BHH B-113, 3010 Bern (CH)[email protected]

121Autorenverzeichnis

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Prof. Dr. rer. nat. Musshoff, FrankFTC GmbHForensisch Toxikologisches Centrum (FTC) MünchenBayerstr. 53, 80335 Mü[email protected]

N

Dr. rer. nat. Nadulski, ThomasLabor KroneAbteilung fur Forensische und Klinische Toxikologie

Dipl.-Psych. Nickel, Wolf-RudigerICADTSMannheimstraße 19, 38112 [email protected]

O

Otte, D.Unfallforschung der Medizinischen Hochschule HannoverTÜV Technische Überwachung Hessen GmbHLife ServiceBahnhofstraße 4, 30159 Hannover

Övgüer, BirgitLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur Rechtsmedizin ToxikologieNußbaumstraße 2680336 [email protected]

P

Prof. Dr. med. Pape, Hans-ChristophRWTH Universität, Klinik fur UnfallchirurgiePauwelsstraße 30, 52074 [email protected]

Parkkari, KalleFinnish Motor Insurer’s CentreInvestigation of Traffic AccidentsTraffic Safety Committee of Insurance CompaniesBulevardi 28, 00120 Helsinki (FI)[email protected]

Patermann, AndreasVerwaltungsgericht BerlinKirchstraße 7, 10557 [email protected]

Dr. rer. nat. Paul, LianeLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur Rechtsmedizin ToxikologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Prof. Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Ing. Peldschus, SteffenLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinBiomechanik/Unfallforschung/AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Peters, FabianLabor KroneAbteilung fur Forensische und Klinische ToxikologieSiemensstr. 40, 32105 Bad Salzuflen

Dr. med. Pfeifer, RomanRWTH Universität, Klinik fur UnfallchirurgiePauwelsstraße 30, 52074 [email protected]

RiBGH Pfister, Wolfgang BundesgerichtshofHerrenstraße 45a, 76133 [email protected]

Dipl.-Psych. Pund, BerndTÜV Hessen-Life Service, BfF HannoverBahnhofstraße 4, 30159 [email protected]

Prof. Dr. med. Puschel, KlausUniversitätsklinikum Hamburg-EppendorfInstitut fur RechtsmedizinButenfeld 34, 22529 [email protected]

R

Dipl. Ing. (FH) Rasch, MichaelInstitut für Rechtsmedizin der Universität MünchenNußbaumstr. 26, 80336 Mü[email protected]

MSc Raza, SannaKFV – Kuratorium für VerkehrssicherheitKommunikation & MarketingSchleiergasse 18, 1100 Wien (A)[email protected]

122 Autorenverzeichnis

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Prof. Dr. Dr. h. c. Reiser, MaximilianDekan der Medizinischen Fakultät der LMULudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

PD Dr. med. Reisch, ThomasUniversität Zurich, Institut fur RechtsmedizinWinterthurerstrasse 190/52, 8057 Zurich (CH)[email protected]

Dipl.-Ing. Remfrey, James Director Technology Intelligence, Dept. CTIContinental Division Chassis & Safety, Systems & Tech-nologyGuerickestraße 7, 60488 Frankfurt am [email protected]

Prof. Dr. med. Riße, ManfredInstitut für RechtsmedizinUniversitätsklinikum Gießen und Marburg GmbHFrankfurter Straße 58, 35392 Gieß[email protected]

Univ.-Prof. Dr. Risser, RalfFACTUM OHGDanhausergasse 6/4, 1040 Wien (A)[email protected]

Rommel, David SeguraInstitut fur RechtsmedizinLudwig-Maximilans-Universität MunchenNußbaumstraße 26, 80336 Mü[email protected]

Röcker, TobiasInstitut für RechtsmedizinUniversitätsklinikum Gießen und Marburg GmbHFrankfurter Straße 58, 35392 Gießen

Dr. sc. nat. Roth, CorinneUniversitätsspital Bern, DKNS, Neurologische KlinikSchlaf-Wach-Epilepsie-ZentrumInselspital, BHH B-113, 3010 Bern (CH)[email protected]

S

Dr. rer. nat. Sachs, HansFTC GmbHForensisch Toxikologisches Centrum MünchenBayerstraße 53, 80335 Mü[email protected]

Dr. med. Schick, SylviaInstitut für Rechtsmedizin der Universität München Rechtsmedizinische Epidemiologie Schick, MPH Nußbaumstr. 26 , 80336 Mü[email protected]

Schreier, DavidWissenschaftlicher AssistenzarztUniversitätsspital BernDKNS, Neurologische KlinikSchlaf-Wach-Epilepsie-ZentrumInselspital, BHH B-113, 3010 Bern (CH)[email protected]

Prof. Dr. rer. nat. Schubert, Wolfgang Präsident der Deutschen Gesellschaft furVerkehrspsychologie e. V. (DGVP)Ferdinand-Schultze-Straße 65, 13055 [email protected]

Mag. Schützhofer, Bettinasicher unterwegs – VerkehrspsychologischeUntersuchungen GmbHSchottenfeldgasse 28/8, 1070 Wien (A)[email protected]

Schwarz, GerlindeFTC GmbHForensisch Toxikologisches Centrum MünchenBayerstraße 53, 80335 München

Segura, Rommel DavidLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Dr. med. Stadler, KathrinInstitut für RechtsmedizinLudwig-Maximilians-Universität, MünchenNußbaumstr. 26, 80336 Mü[email protected]

T

Dr. med.Thayssen, Gunther Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfMartinistraße 52, 20246 [email protected]

Dr. med. Thieme, DetlefInstitut für Dopinganalytik und SportbiochemieDresdner Str. 12, 01731 [email protected]

123Autorenverzeichnis

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Autorenverzeichnis

PD Dr. med. Thierauf-Emberger, AnnetteUniversitätsklinikum FreiburgInstitut fur RechtsmedizinAlbertstraße 9, 79104 [email protected]

Prof. Dr. rer. nat. Trautman, ToralfHTW DresdenFriedrich-List-Platz 1, 01069 [email protected]

V

Betriebswirtin Velten, Bettina Product Management InterlockDräger Safety AG & Co. KGaARevalstrasse 1, 23560 Lü[email protected]

W

Dipl.-Biol. Wagner, AnjaLudwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinBiomechanik/Unfallforschung/AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Dr. rer. nat. Wagner, Thomas Mitglied des Vorstands der DGVPc/o DEKRA e. V. DresdenLeiter Begutachtungsstelle fur FahreignungKöhlerstraße 18, 01239 [email protected]

Dipl.-Psych. Weber, StefanieFachpsychologin für Verkehrspsychologie (BDP) AARU Verkehrsunfallforschung | Universitätsklinikum Re-gensburg | Klinik und Poliklinik für UnfallchirurgieJosef-Engert-Straße 13, 93053 [email protected]

Dr. med. Weimann-Schmitz, Christianepima-mpu GmbHKönigstraße 2, 70173 [email protected]

Ehou, Ketuo Ludwig-Maximilians-Universität MunchenInstitut fur RechtsmedizinBiomechanik/Unfallforschung/AnthropologieNußbaumstraße 26, 80336 [email protected]

Z

Zöhner, Malgorzata Friedrich-Wilhelms-Universtität BonnInstitut fur Psychologie, Sozial- und RechtspsychologieKaiser-Karl-Ring 9, 53111 Bonn

124

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U2 210mm U3 210mmRücken 8,5mm

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DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR VERKEHRSPSYCHOLOGIE E.V. (DGVP)

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11. Gemeinsames Symposium der DGVP und DGVM am 25. und 26. September 2015 in St. Gallen (Schweiz)

Sehr geehrte Teilnehmer des 10. Gemeinsamen Symposiums von DGVM und DGVP in München 2014,

wir freuen uns, Ihnen hiermit wieder den Tagungsband zum vergangenen Gemeinsamen Symposium vonDGVM und DGVP überreichen zu können.

Auch in München wurde viel diskutiert und gemeinsam erarbeitet. Im Fokus stand mit der Unfallrekonstruktionund Prävention ein Thema, das Mediziner, Psychologen und Ingenieure übergreifend verbindet. Demzufolgekonnten wir auch etliche neue Teilnehmer in München begrüßen.

Durch die Zusammenarbeit beider Fachgesellschaften ist es also gelungen, auch die technische Seite stärkereinzubinden und den hohen Stellenwert von Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie in der Verkehrssicher-heitsarbeit zu unterstreichen.

Unser Dank dafür gilt nicht nur dem Organisationsteam und dem Tagungspräsidenten in München, HerrnProf. Dr. Mathias Graw, sondern auch Ihnen, den Teilnehmern, ohne deren rege Beteiligung der intensiveAustausch zwischen allen Seiten so nicht möglich wäre.

Wie jedes Jahr dürfen wir Sie mit Versendung des Tagungsbands der vergangenen Veranstaltung gleichzeitigzum nachfolgenden 11. Gemeinsamen Symposium einladen. Dieses findet statt am 25. und 26. September2015 in St. Gallen (Schweiz), in Verbindung mit den 9. St. Galler-Tagen und weiteren Kooperationspartnernaus Schweiz, Deutschland und Österreich. Tagungspräsident ist Dr. Martin Keller.

Thema der diesjährigen Veranstaltung wird sein Fahren und Gehirn – im Kontext des demographischenWandels. Näheres finden Sie unter www.verkehr-symposium.de.

Die Veranstaltung wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Fortbildung anerkannt.

Wir freuen uns auf ein weiteres spannendes Symposium mit Ideen und Anregungen für die gemeinsameArbeit und hoffen, Sie in St. Gallen wiederzusehen.

Wolfgang Schubert Volker DittmannPräsident der DGVP Präsident der DGVM

Nähere Informationen finden Sie auf der hinteren Umschlaginnenseite.

11. Gemeinsames Symposium

© Martin Keller

25.–26. September 2015 St. Gallen/Schweiz

Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP) und Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e. V. (DGVM)zugleich

Fahren und Gehirn – im Kontext des demographischen Wandels

9. St. Galler-Tage

www.verkehr-symposium.de

in Kooperation mit:Sektion Verkehrsmedizin der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM)Schweizerische Vereinigung für Verkehrspsychologie (VfV)Fachsektion Verkehrspsychologie des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP)Sektion Verkehrspsychologie des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP)Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu)

Tagungsband-Muenchen-Umschlag-Korrektur-neu_Tagungsband Fit to Drive 28.04.15 11:36 Seite 2

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KIRSCHBAUM VERLAG BONNSchriftenreiheFahreignung

HerausgeberMatthias GrawVolker DittmannWolfgang Schubert

Interdisziplinäre Unfallrekonstruktion und Prävention

Tagungsband10. Gemeinsames Symposium der DGVM und DGVP am 5. und 6. September 2014 in MünchenDeutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e. V. (DGVM) undDeutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP)

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