Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER ... · tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu...

4
Seite 1 Tagungsbericht 11.02.2016 Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER DIGITALISIERUNG IN DER TEXTIL- UND MODEINDUSTRIE Digitale Produkte und Prozesse prägen auch die deutsche Textil- und Modeindustrie. Der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie und das Forschungskuratorium Textil initiieren deswegen eine Veranstal- tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu bringen. Die Auftaktveranstaltung fand am 11. Februar 2016 in den Design Offices Berlin statt und wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt. Insgesamt haben 50 Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Forschung an dieser ersten Netzwerkveranstaltung teilgenommen. Digitale Transformation ist Chefsache Ingeborg Neumann, Präsidentin des Gesamtverbandes textil+mode, verwies auf die strategische Bedeutung des Themas für die Unternehmensentwicklung. Für die Beklei- dungsindustrie sind Wearables wichtige Teile des künfti- gen Angebots. Mode lebt vom Anfassen und Wohlfühlen: Wir fühlen den Stoff unserer Kleidung. In Zukunft wird der Stoff auch uns fühlen und Funktionsträger zur Messung aller möglichen „Big Data“ werden. Digitale Showrooms werden selbstverständlich neben die heutigen Produkt- präsentationen treten. Außerdem ist Individualisierung ein Trend, der die Modeindustrie vorantreibt: kleine Losgrößen können durch Digitalisierung und Automatisierung der gesamten Wertschöpfungskette über den Vertrieb bis zum Kunden wirtschaftlich hergestellt werden. Losgröße 1 - ein wichtiges Stichwort für die Smarte Textilfabrik der Zukunft. „Die digitale Transformation ist Chefsache“, betonte Ingeborg Neumann. Hierfür sind drei Kriterien entscheidend: Geschwindigkeit, Ideenreichtum und unkon- ventionelle Lösungen. Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Die Digitalisierung führt die deutsche Textil- und Modeindustrie mit anderen großen Branchen wie IT und Maschinenbau zusammen. Bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle können Start-ups eine große Hilfe sein. Industrie 4.0 - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Iris Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bun- deswirtschaftsminister und Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, betonte, dass die Digitalisierung hin zur Industrie 4.0 eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft müssen sie gemeinsam angehen. Nicht alle Fragen können schon vor dem Prozess beantwortet werden. Chancen und Risiken sind vielmehr „auf dem Weg zu klären“. Und die Branche sollte jetzt Veränderungsprozesse gestalten, be- vor andere es tun. Auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben. Wichtig ist in großen wie in kleinen Unternehmen zudem die Qualifizierung der Mitarbeitenden: Die Gesellschaft braucht auch Aufgaben für Menschen ohne Abitur.

Transcript of Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER ... · tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu...

Page 1: Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER ... · tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu bringen. Die Auftaktveranstaltung fand am 11. Februar 2016 in den Design Offices Berlin

Seite 1Tagungsbericht 11.02.2016

Tagungsbericht 11. Februar 2016

POTENTIALE DER DIGITALISIERUNG

IN DER TEXTIL- UND MODEINDUSTRIE

Digitale Produkte und Prozesse prägen auch die deutsche Textil- und Modeindustrie. Der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie und das Forschungskuratorium Textil initiieren deswegen eine Veranstal-tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu bringen. Die Auftaktveranstaltung fand am 11. Februar 2016 in den Design Offices Berlin statt und wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt. Insgesamt haben 50 Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Forschung an dieser ersten Netzwerkveranstaltung teilgenommen.

Digitale Transformation ist Chefsache

Ingeborg Neumann, Präsidentin des Gesamtverbandes textil+mode, verwies auf die strategische Bedeutung des Themas für die Unternehmensentwicklung. Für die Beklei-dungsindustrie sind Wearables wichtige Teile des künfti-gen Angebots. Mode lebt vom Anfassen und Wohlfühlen: Wir fühlen den Stoff unserer Kleidung. In Zukunft wird der Stoff auch uns fühlen und Funktionsträger zur Messung aller möglichen „Big Data“ werden. Digitale Showrooms werden selbstverständlich neben die heutigen Produkt-präsentationen treten. Außerdem ist Individualisierung ein Trend, der die Modeindustrie vorantreibt: kleine Losgrößen können durch Digitalisierung und Automatisierung der gesamten Wertschöpfungskette über den Vertrieb bis zum Kunden wirtschaftlich hergestellt werden. Losgröße 1 - ein wichtiges Stichwort für die Smarte Textilfabrik der Zukunft. „Die digitale Transformation ist Chefsache“, betonte Ingeborg Neumann. Hierfür sind drei Kriterien entscheidend: Geschwindigkeit, Ideenreichtum und unkon-ventionelle Lösungen. Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Die Digitalisierung führt die deutsche Textil- und Modeindustrie mit anderen großen Branchen wie IT und Maschinenbau zusammen. Bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle können Start-ups eine große Hilfe sein.

Industrie 4.0 - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Iris Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bun-deswirtschaftsminister und Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, betonte, dass die Digitalisierung hin zur Industrie 4.0 eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft müssen sie gemeinsam angehen. Nicht alle Fragen können schon vor dem Prozess beantwortet werden. Chancen und Risiken sind vielmehr „auf dem Weg zu klären“. Und die Branche sollte jetzt Veränderungsprozesse gestalten, be-vor andere es tun. Auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben. Wichtig ist in großen wie in kleinen Unternehmen zudem die Qualifizierung der Mitarbeitenden: Die Gesellschaft braucht auch Aufgaben für Menschen ohne Abitur.

Page 2: Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER ... · tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu bringen. Die Auftaktveranstaltung fand am 11. Februar 2016 in den Design Offices Berlin

Seite 2Tagungsbericht 11.02.2016

Digitalisierung beginnt im Kopf

Christoph Krause, Leiter des Kompetenzzentrums für Gestaltung, Fertigung und Kommunikation in Koblenz, zeig-te in einem bildreichen Vortrag, dass die Digitalisierung im Kopf beginnt. Kreativität erfordert das Denken in un-gewohnten Bahnen. Dies kann trainiert werden. Unternehmen sollten kreative Prozesse institutionalisieren, um innovativ zu bleiben.

v.l.n.r.: Christoph Krause und Thomas Kirchner teilen die Leidenschaft für Industrie 4.0 und ungewöhnliche Ideen, die sich daraus ergeben

Blick in die Praxis

Christine Schneider von Südwesttextil zeigte, dass textile Techniken wie das Weben schon seit jeher mit Nullen und Einsen (Kette und Schuss) arbeiten – getreu dem Motto: „Wer hat‘s erfunden?“ Am Beispiel einer modernen Webmaschine ist die digitale Produktion schon verwirklicht. Andreas Schneider, GermanFashion (GCS Consulting GmbH), berichtete von bestehenden internationalen Standards, wie eBIZ, die in der Branche noch zu wenig ge-nutzt werden. Solche Standards sind wegen der erforderlichen Schnittstellen unumgänglich. Markus Reichwein von Oerlikon Textile zeigte, dass seine Maschinen bereits für die Smarte Fabrik bereit sind. Es fehlt allerdings noch an der Bereitschaft vieler Unternehmen, die eigenen Daten zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung zu stellen, weil Eigentums- und Nutzungsrechte ungeklärt sind. Ein entsprechender Rechtsrahmen ist politisch zu schaffen.

Blick über den Tellerrand

Thomas Kirchner zeigte anschaulich, warum sich der Blick über den Tellerrand lohnt. Seine Firma ProGlove Work-around entwickelte einen Handschuh mit integriertem Barcode-Scanner. Er ermöglicht Fabrikarbeitern das Scan-nen der Werkstücke, ohne ein zusätzliches Gerät in der Hand. Beide Hände sind frei für die Arbeit am Produkt und ermöglichen eine effizientere sowie ergonomisch verbesserte Arbeitsweise. BMW hat diese digitalen Handschuhe inzwischen in seine Produktionsabläufe übernommen.

Berit Greinke vom Design Research Lab zeigte Beispiele für in Kleidung integrierte Chips und Elektronik, die pers-pektivisch die Funktionen heute noch separater Geräte integrieren können. Sie gab kreative Impulse für zukünftige textile Produkte, deren Entwicklungen oft durch den Blick über den Tellerrand möglich werden.

Blick in die Forschung

Fundierte theoretische Grundlagen für die deutsche Textil- und Modeindustrie 4.0 erarbeiten die Textilforschungs-institute. Prof. Dr. Meike Tilebein, Leiterin des Zentrums für Management Research der Deutschen Institute für Tex-

Page 3: Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER ... · tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu bringen. Die Auftaktveranstaltung fand am 11. Februar 2016 in den Design Offices Berlin

Seite 3Tagungsbericht 11.02.2016

til- und Faserforschung Denkendorf, machte den Auftakt beim Blick in die Forschung. Sie benannte Branchenbei-spiele mit Potentialen dieser neuen industriellen Entwick-lung in den Bereichen individualisierte, kundenspezifische Produkte, dynamische Geschäfts- und Engineering-Pro-zesse für flexible Produktion, rentable Produktion von Losgröße 1 in der Smart Factory, demographie-sensible Arbeitsgestaltung und Work-Life-Balance, Ressourcen-produktivität und -effizienz, neue Formen von Wertschöp-fung und neuartige Geschäftsmodelle.

Sten Döhler vom Sächsischen Textilforschungsinstitut stellte das Forschungsprojekt futureTEX vor: Mit dem For-schungsvorhaben Smart Factory wird das Ziel verfolgt, die spezifischen Anforderungen ausgewählter Anwendun-gen von Industrie 4.0 in der Textilindustrie anhand von repräsentativen Fallbeispielen herauszuarbeiten.

Prof. Dr. Yves-Simon Gloy vom Institut für Textiltechnik (ITA) an der RWTH Aachen erläuterte die Möglichkeiten der Digitalisierung in der gesamten textilen Wertschöp-fungskette. Auch in künftigen digitalen Prozessen sind qualifizierte und engagierte Mitarbeiter entscheidend für den Erfolg des Geschäftsmodells. Zur Gestaltung von so-ziotechnischen Systemen für eine älter werdende Beleg-schaft, insbesondere beim Umgang mit innovativen und vernetzten Produktionsschritten, wurde dafür das Projekt „SozioTex“ am ITA aufgesetzt.

Umsetzung des digitalen Wandels

Mit der Digitalisierung industrieller Prozesse beschäftigen sich alle Branchen. Zur branchenübergreifenden Koordi-nation wurde die Plattform Industrie 4.0 eingerichtet, die Janina Henning vorstellte. Dort sollen ambitionierte, aber auch realisierbare Handlungsempfehlungen für alle Akteu-rinnen und Akteure erarbeitet werden, einschließlich der Initiierung geeigneter Standards. Außerdem soll eine ein-heitliche, am Bedarf der Anwenderinnen und Anwender orientierte Forschungsagenda entwickelt werden. Die Un-ternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie sind eingeladen, sich hieran zu beteiligen.

Prof. Dr. Meike Tilebein moderierte auch das abschließende Podiumsgespräch zur Umsetzung des digitalen Wan-dels. Ernst Stöckl-Pukall vom Referat Digitalisierung im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, betonte die Bedeutung des Themas für alle Industrien und eine Verankerung in der Koalitionsvereinbarung der Regierungspar-teien. Mit der Plattform INDUSTRIE 4.0 beteiligt sich die Bundesregierung an der Gestaltung des digitalen Wandels. Dirk Binding vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag wies auf die hohe Bedeutung der Rechtssicherheit von Daten hin: Hier ist ein europäischer Rechtsrahmen noch zu schaffen. Er verwies auch auf die Notwendigkeit schneller Netze, um die entstehenden Datenmengen transportieren zu können: „Industrie 4.0 ist mit 50 Megabit

Page 4: Tagungsbericht 11. Februar 2016 POTENTIALE DER ... · tungsreihe, um textil+mode 4.0 voran zu bringen. Die Auftaktveranstaltung fand am 11. Februar 2016 in den Design Offices Berlin

Seite 4Tagungsbericht 11.02.2016

je Sekunde nicht zu machen.“ Christine Karin Schmidt vom Fachverband Textilmaschinen im Verband der deut-schen Maschinen- und Anlagenbauer, sieht die Notwendigkeit von Investitionen der Branche. Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer des Forschungskuratoriums Textil, betonte die Bedeutung der Netzwerkbildung. „Nur in enger Verknüpfung mit IT, Maschinenbau und angrenzenden Branchen können wir die Potenziale des Internets der Dinge für unsere Industrie ausnutzen. Industrie 4.0 wird für jedes Unternehmen der Branche anders aussehen.“

Reger Austausch der Positionen während der Podiumsdiskussion und in den Pausen der Veranstaltung.

Nächste Veranstaltung: 5. April 2016 in Frankfurt

Die Veranstaltung wurde vom Publikum außerordentlich positiv bewertet und unter dem Hashtag #textilmo-de40 in den sozialen Medien intensiv gepostet. Eine eigene Bildmarke weist auf alle Veranstaltungen der Reihe textil+mode 4.0 hin.

Die nächste Veranstaltung „Industrie 4.0 in der Textil- und Modeproduktion“ findet am 5. April 2016 in Frankfurt statt und wird gemeinsam von textil+mode, dem VDMA Textilmaschinenbau sowie Bekleidungs- und Ledertech-nik, dem Forschungskuratorium Textil und einigen seiner Mitgliedsinstitute organisiert. Ziel der Veranstaltung ist es, auf den Schwerpunkt Produktion im Kontext der Digitalisierung einzugehen und die Potentiale anhand einiger Beispiele darzustellen.

Impressum: Herausgeber: Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, Reinhardtstr. 12-14, 10117 Berlin, [email protected]; Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Hartmut Spiesecke; Texte: Mareike Giebeler, Dr. Klaus Jansen, Dr. Hartmut Spiesecke; Fotos und Gestaltung: Ulrike Markert; Sämtliche Rechte bei Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie