Tatort Gesundheitswesen: Entscheidungsfindung zum Thema ... · (Tracheostoma, Gastrostoma,...

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14.09.2017 2. Ethiktag SR RWS Tatort Gesundheitswesen: Entscheidungsfindung zum Thema Reanimation Die Sicht der Operateure“ Dr. med. Pascal A. Schai, LA Ortho/Chir LUKS Wolhusen Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin Dialog Ethik ZH

Transcript of Tatort Gesundheitswesen: Entscheidungsfindung zum Thema ... · (Tracheostoma, Gastrostoma,...

14.09.2017 2. Ethiktag SR RWS

Tatort Gesundheitswesen: Entscheidungsfindung zum Thema Reanimation

„Die Sicht der Operateure“

Dr. med. Pascal A. Schai, LA Ortho/Chir LUKS Wolhusen Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin Dialog Ethik ZH

14.09.2017 2. Ethiktag SR RWS

Leitlinie Reanimationsentscheide:

Umsetzung gesetzliche Bestimmungen (KESG 2013)

Entscheidungs-Sicherheit für Behandlungsteam

Ethische Abwägungen rechtzeitig treffen

Medizinisch sinnvolle Reanimationsmassnahmen

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Entscheid zur Reanimation Eine Reanimation muss medizinisch und ethisch sinnvoll sein. Folgende Kriterien sind wesentlich: Die Reanimation muss (fachlich beurteilt) relevante Erfolgsaussichten haben. Es soll ein Gesundheitszustand wieder erreichbar sein, welcher mehr als nur Leiden und den baldigen/unmittelbar bevorstehenden Tod beinhaltet. Es soll die Aussicht auf das Wieder- erlangen einer verbalen oder nicht- verbalen Kommunikation des Patienten mit seiner Umwelt bestehen.

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Anmerkung: Ein Entscheid für eine Reanimation (R offen) kann bei niedrigem Risiko für das Auftreten einer Reanimations- situation ohne Patientengespräch getroffen werden. Der Patient hat keinen prinzipiellen Anspruch auf eine Reanimation, wenn diese medizinisch und/oder ethisch nicht sinnvoll ist. Bei erneuter Hospitalisation muss der frühere Reanimationsentscheid neu evaluiert werden.

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Es entspricht dem mutmasslichen Willen des urteilsunfähigen Patienten, dass auf eine Reanimation verzichtet werden kann.

Eine Reanimation wird medizinisch und/oder ethisch als nicht sinnvoll beurteilt.

Es liegt eine Patientenverfügung vor, in welcher sich der Patient gegen eine Reanimation ausgesprochen hat.

Es ist in der Patientenverfügung oder Patientenvollmacht eine bestimmte Person bezeichnet, welche die Entscheidung anstelle des Patienten übernehmen soll - und diese Person spricht sich gegen eine Reanimation aus.

Angehörige/Bezugspersonen können glaubhaft bezeugen, dass sich der Patient – als er noch urteilsfähig war – gegen eine Reanimation ausgesprochen hat oder entspr. eingestellt war.

Entscheid gegen eine Reanimation

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Entscheid gegen eine Reanimation Auf eine Reanimation muss in folgenden Situationen verzichtet werden: Der urteilsfähige Patient hat sich bei der aktuellen Hospitalisation mündlich oder schriftlich gegen eine Reanimation ausgesprochen. Es besteht das prinzipielle Recht eines Patienten, eine medizinische Handlung (u.a. Reanimation) abzulehnen.

Bei terminaler Erkrankung liegt es im Ermessen des Behandlungsteams darüber zu befinden, inwieweit ein negativer Reanimationsentscheid mit dem urteilsfähigen Patienten bzw. der Stellvertretung des urteilsunfähigen Patienten thematisiert werden soll. (Anmerkung: Bei diesen Gesprächen soll der Patient auf Möglichkeiten / Grenzen von Reanimation hingewiesen werden)

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Medizin-ethische Richtlinien und Empfehlungen

Reanimationsentscheidungen Vom Senat der SAMW am 27. November 2008 genehmigt. Die deutsche Fassung ist die Stammversion. Per 1. Januar 2013 erfolgte eine Anpassung an das Erwachsenenschutzrecht.

«Spitalpatienten sind in der allgemeinen Informationsbroschüre, die das Spital abgibt, darüber zu informieren, dass bei einem unerwarteten Herzkreislaufstillstand grundsätzlich Reanimationsmassnahmen eingeleitet werden, es sei denn es wurde vorher etwas anderes vereinbart. Sie müssen zudem darüber informiert werden, dass sie mit dem zuständigen Arzt das Gespräch suchen sollen, falls sie damit nicht einverstanden sind.»

«Der Entscheid «Rea-Nein» (oder «DNAR») bedeutet ausschliesslich, dass im Falle eines dokumentierten Herzkreislaufstillstandes elektro-mechanische kardiopulmonale Reanimationsversuche zu unterlassen sind. Zwischenstufen mit eingeschränkten Reanimationsmassnahmen sind auf Grund der genannten Definition abzulehnen.»

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«DNAR-Embleme irgendwelcher Art (Bsp. Tätowierung, Hautstempel, Halsketten-Anhänger etc.) haben nicht die Rechtskraft einer Patientenverfügung (fehlende Schriftlichkeit, Datum, Unterschrift) sondern sind als starker Hinweis auf das Vorliegen einer solchen zu verstehen. Die Reanimationsequipe muss deshalb, wenn sie ein DNAR-Emblem antrifft, unverzüglich die Suche nach der Patientenverfügung veranlassen.»

Medizin-ethische Richtlinien und Empfehlungen

Reanimationsentscheidungen (Forts.)

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Stellungnahme des Kantonalen Ethik-Forums Kanton St.Gallen zum Stempel NO-CPR

Kommerzieller Stempel, Aufdruck "NO-CPR" (Fr. 141.-; Stempelfarbe Fr. 12.-) Hinweis "bevor Sie den Stempel benutzen, benötigen Sie eine aktuelle, handschriftlich unterschriebene Patientenverfügung, um Ihren Willen rechtlich verbindlich zum Ausdruck zu bringen«

«… Stempelaufdruck ohne schriftliche PV aus ethischer Perspektive faktisch gleichbedeutend … wie eine schriftliche PV.»

«Liegt ein Stempelaufdruck "NO-CPR" ohne schriftliche PV vor, dann soll nicht mehr reanimiert werden, ausser es liegen spezielle Gründe vor, die an dem Willen der betreffenden Person zweifeln. Diese Gründe dürfen aber nicht allgemeiner Art sein!»

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Dokumentierter Wunsch/Wille des Patienten

oder seiner StV zur Reanimation:

Nein Ja

Vero

rd

nu

ng

Rea geschlossen*

Rea offen

Ja

Rean

imati

on

ist

med

izin

isch

-eth

isch

sin

nvo

ll

Rea geschlossen

Dissens Nein

Gespräch

mit

Pat./StV

Konsens erreicht

Dissens weiterhin

Information, dass Rea aus med.

Gründen in der gegeben Situation

nicht gefordert werden kann.

Option: Verlegung

Kinder- und Erwachsenenschutz- behörde am Herkunftsort des Patienten involvieren

Kaderarzt mit dokumentierter

Begründung und Bezug auf

SAMW-Guidelines

Algorithmus bei divergierenden REA-Ansichten (LUKS):

* Allenfalls spezielle

Aufklärung/Reevaluation

vor Operation/Anästhesie

Fortbestehender Dissens:

SAMW-Richtlinien Reanimations-

Entscheidungen 2.8. Konfliksituationen

http://www.samw.ch/de/Ethik....

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Ethische Konflikte während der Anaesthesie „Do not Resuscitate“-Verfügungen im Operationssaal Mohr M. Anaesthesist 1997; 46:267-274 Palliative Operationen zur Schmerztherapie, Leidenslinderung, Verbesserung der Lebensqualität, zur Erleichterung der Pflege (Tracheostoma, Gastrostoma, Portocavaler Shunt, Anus praeter, Stabilisation Pathologische Fraktur, ZVK-Einlage, ...) ASA-Liste zu berücksichtigender Massnahmen (Bluttransfusionen, Intubation, Thoraxkompression, offene Herzmassage, Defibrillation, PM-Stimulation, Invasives Monitoring, Postop. Nachbeatmung, Vasoaktive Medik. ......) DNR-Verfügung eines Patienten potentiell im Konflikt - mit ethischer Verpflichtung des Arztes (above all do no harm) - mit Entscheidungsfreiheit (Autonomie) des Arztes

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Ethische Konflikte während der Anaesthesie „Do not Resuscitate“-Verfügungen im Operationssaal Mohr M. Anaesthesist 1997; 46:267-274

(Forts.) Umgang mit DNR-Verfügungen während operativen Eingriffen: (Qualif. Mohr) (Qualif. Schai)

Uneingeschränktes Festhalten an DNR-Verfügung: Volle Aufklärung; Massnahmen ?; „wenig praktikabel“ Kritischere OP-Indikationsstellung problematisch

Festsetzung akzeptierter Massnahmen trotz DNR: Komplexe Abgrenzung Anaesthesie- „problematisch“ Verfahren vs. Rea-Massnahmen dito Perioperative Aussetzung DNR-Verfügung (24-72h): Automatisch ohne Rücksprache „konfliktiv“ (Autonomie) Nach Information des Patienten möglich

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Should do-not resuscitate orders be suspended for surgical cases? Waisel D, Jackson S, Fine P. Current opinion in Anaesthesiology 2003; 16(2):209-213 Policies should be designed and implemented at the level of the healthcare institution Sufficiently flexible to permit the tailoring of the perioperative DNR order to the autonomous choice of the patient Existing DNR orders are to be reevaluated, delineate responsibilities for reconsidering the DNR order, state available options

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Ethical guidelines for the anesthesia care of patients with DNR orders or other directives that limit treatment American Society of Anesthesiologists Oct 16, 2013 The status of these directives should be clarified or modified based on the preferences of the patient

(Options) - Full attempt at resuscitation - Limited attempt at resusc. with regard to specific procedures - Limited attempt at resusc. defined with regard to the patient‘s goals and values Time-limited or event-limited postoperative / postprocedure trial of therapy

Concurrence by the primary physician, the surgeon, and the anesthiologist desirable

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DNR Orders in the Perioperative Period – A Comparison of the Perspectives of Anesthesiologists, Internists, and Surgeons Clemency MV, Thompson NJ. Anesth Analg 1994; 78:651-658 Descript. study, Questionnaire 600 internists(I)/ 600 Surgeons(S) compared to earlier survey 420 anesthesiologists(A):

Anesthesiologists more likely to have provided anesthesia.... Assumption of DNR suspension in perioperative period: A 60%, S 37%, I 34% (p<0.01) All groups more likely to require DNR suspension for elective than for palliative cases All groups: Physician responsibility for defining DNR status shared by A/S/I, and not prescribed by hospital policy Perception of DNR order in periop. period varies considerably among specialties In general: Responses of S are between I and A Intermediate posture of surgeons, frequent requirement for DNR suspension for elective procedures

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High Mortality in Surgical Patients With Do-Not-Resuscitate Orders. Analysis of 8526 Patients Kazaure H, Roman S, Sosa JA. Arch Surg 2011; 146(8):922-928 Retrospect. cohort study, 120 hospitals, American College of Surgeons Quality Improvement Program 2005-2008; DNR-Patienten vs. Procedure-matched Patienten:

Length of stay: +36% p<0.001 Complications: 31% vs. 26.4% p<0.001 Mortality: 23% vs. 8.4% p<0.001 63% of DNR patients underwent non-emergent procedures They sustained a 16.6% mortality rate DNR status: independent predictor of mortality (odds ratio 2.2; 95% conf.interval 1.8-2.8) ASA 3-5, age >65y, preop.sepsis : independent risk factors associated with mortality in DNR patients

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Statements on advance directives by patients: „Do Not Resuscitate“ in the operating room American College of Surgeons (Committee on Ethics) Published Jan 3, 2014

Policy of „required reconsideration“ of the existing DNR orders (..discuss intra/periop. risks, ..patient‘s treatment goals, approach for potentially life-threatening problems)

Suspend the DNR order during surgery and periop. period, retaining the original DNR order, or modifying the DNR order

Discuss the situation with the patient's designated surrogate The surgeon must use his or her best judgment as to what the patient would wish

Continue his or her leadership role in the following areas: - documenting / conveying the patient's AD and DNR Status - finding an alternate team member

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Hospitalisation bei Verdacht auf US-Venenthrombose rechts bei CVI, PAVK Nosokomiale Infektion (Serr. Marcescens) bei Kathetersepsis / pulm. Infekt bei schwerer chron. thromboembol. pulmonaler Hypertonie, COPD II, orale AK Schwere Sepsis mit Multiorganversagen bei ausgedehntem Protheseninfekt der linksseitigen Hüftarthroplastik inkl. osteomyelit. Acetabulumhinterwand-Fraktur

08.12.2014 Huftprothesenausbau, ausgiebige Lavasept-Lavage/Débridement,

Implantation zement./verschraubte Hakendachschale bzw. zementierten Schaft 08.12.–19.12.2014 Orotracheale Intubation / mechanische Ventilation sowie Kreislaufunterstu tzung mit Vasopressoren (Extubation / † 19.12.2014)

Exemplarischer Fallbeschrieb: W.R., m, 82j

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Persönliche Anmerkungen zur «Sicht der Operateure»: Patienten: Zumeist vage medizin. Vorstellungen Operateur: Ambivalenz bezügl. therapeutischen Massnahmen bzw. Haltungen DNR-Fixierung: Bindet Handlungsfreiheit (für Patient & Arzt) Empfehlung: „Demutshaltung“ Bez. Persönlichem Geschick In der eigenen Tätigkeit ....

«Jede Religion ist falsch, die in ihrem Glauben nicht einen Gott als Grund aller Dinge verehrt.»

Blaise Pascal, französischer Mathematiker, Physiker und Philosoph, * 19.06.1623, † 19.08.1662