Tödliche Rast - · PDF fileeuronatur Sonderdruck Vogeljagd 2005 Sonderdruck Vogeljagd...

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euronatur Sonderdruck Vogeljagd 2005 Sonderdruck Vogeljagd 2005 euronatur 8 9 Serie Vogeljagd - Montenegro Serie Vogeljagd - Montenegro Tödliche Rast Jagd auf Zugvögel in Montenegro Die Bura, der eisige Fallwind, bringt die Kälte bis ans Meer. Er kommt aus den Dinarischen Bergen, die sich direkt hinter dem schmalen Küstenstreifen Montenegros bis auf über 1.700 Meter erheben. Bereits ab November kann sich bei Kälteeinbrüchen die einsame Bergwelt in eine lebensfeindliche Eiswüste verwandeln. Dann sind die Feuchtgebiete am Skutari-See, im Bojana-Delta und die wenigen Buchten entlang der Küste besonders wichtig für spät ziehende Vögel. Tausende Krickenten, Pfeifenten, Kiebitze und Heidelerchen benötigen die Flachwasser- zonen, feuchten Wiesen, Lagunen und Röhrichte, um sich für den Weiterzug und die nächste Brutsaison zu stärken. Die Vögel verschwinden trotz idealer Lebensräume Mitte der 90er Jahre tummelten sich noch über 200.000 Vögel am Skutari-See, nahe der Grenze zu Albanien. Im Januar 2005 wurden im gleichen Gebiet nur noch 35.000 Wasservögel gezählt. Gemeinsam mit dem montenegrinischen Zentrum für Vogelmonitoring und den Naturhisto- rischen Museen in Belgrad und Podgorica hat Euronatur die Gründe für den Vogelschwund unter die Lupe genommen. Dabei zeigte sich, dass ausreichend große intakte Lebensräume vorhanden sind, dort aber ein verheerend ho- her Jagddruck herrscht. Kein Wunder, denn das montenegrinische Jagdrecht erlaubt eine sie- benmonatige Jagdsaison auf Enten, Tauben und Wachteln von Mitte August bis Mitte März. Darunter fallen weltweit bedrohte Arten, wie die Moorente. Diese für unverantwortliche Jäger paradiesischen Zustände locken jedes Jahr zahlreiche italienische Jagdtouristen ins Land. Und auch außerhalb der Jagdsaison wird weiter gejagt. Fehlende Kontrollen und weit verbreitete illegale Jagdpraktiken tun ihr Übriges. Eine durch den Aderlass an der Adria besonders betroffene Art ist die Knäkente: ein typischer Langstreckenzieher, der den Winter in den nördlichen Tropen Afrikas verbringt. Nachdem auf dem Frühjahrszug immer weniger Knäkenten durch Montenegro kamen, wurde vor einigen Jahren das Jagdgesetz geändert. Aber anstatt die Jagd einzuschränken, damit sich die Popu- lationen erholen können, verlängerte man die Jagdzeit noch um zwei Wochen bis Mitte März! Die Auswirkungen sind heute europaweit zu spüren. So ist nach den Erhebungen von BirdLife International die Zahl der Knäkenten-Brutpaare in folgenden Ländern rückläufig: in Deutschland, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen, Ukraine, Weißrussland, den Baltischen Staaten, Finnland und Schweden. Wenn es so weitergeht, werden die Knäkenten also bald gar nicht mehr durch Montenegro kommen. Die großen Schwärme, die früher über die Adriaküste nach Nordosten gezogen sind, leben schon heute nur noch in den Erzählungen der Jäger. Tod am Strand Trotzdem saßen im vergangenen Frühjahr wieder bis zu 50 Jäger in den Verstecken am neun Kilometer langen Strand „Velika Plaza“ im Bojana-Delta und warteten auf die Heimkehrer aus Afrika, um diese mit Plastikenten als Lockvögel, Klangattrappen und Bleischrot zu begrüßen. Nicht nur der direkte Abschuss ist dabei tödlich für die Enten. Allein durch fehlende Rastgele- genheiten und Nahrungsmangel kommen zahlreiche Tiere auf dem Weiterzug ums Leben und der Bruterfolg derer, die durchkommen, wird gefährdet. „Wild Beauty“ – Montenegros wunderbare Landschaften Die untragbaren Zustände in Montenegro sind auch Nachwirkungen des Krieges und Embargos. Wo früher zahlreiche Deutsche ihren Urlaub verbrachten, blieb viele Jahre nur noch die schnelle Mark durch die Jagdgäste aus Italien. Doch heute gefährdet die Vogeljagd das Image des Landes und damit seine wichtigste Einnahmequelle: den Tourismus. Euronatur macht deshalb immer wieder auf die negativen Auswirkungen der Vogeljagd aufmerksam, so auch im Rahmen der Mitarbeit am „Masterplan für Tourismus“ der Deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG). Das reiche Naturerbe und das Meer sind das wichtigste Kapital für Montenegro, um langfristig Tourismuseinnahmen zu erzielen und Investoren ins Land zu holen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Werbeslogan Montenegros „wild beauty“, der den Naturreichtum des Landes in den Vordergrund stellt. Die Verantwortlichen müssen endlich verstehen, dass die einmalige Landschaft als Kulisse nicht ausreicht, sondern dass auch die Tierwelt ein Teil des Tourismusangebotes sein muss. Modellprojekt Saline Ulcinj Deshalb engagieren wir uns für die Einrichtung sicherer Großschutzgebiete. Ein erster konkreter Baustein hierzu ist die Saline von Ulcinj am Bojana-Delta. Auf 15 Quadratkilometern Fläche kämpft Euronatur seit dem Frühjahr 2004 gemeinsam mit den Betreibern der Saline gegen Wilderer. Durch den von Euronatur geförderten Wachdienst konnte das Jagdverbot auf dem Salinengelände jetzt durchgesetzt werden – mit ersten positiven Konsequenzen: Im Januar 2005 zählten wir 16.000 Wasservögel in der Saline, darunter erstmals seit Jahren wieder 400 Spieß- und 800 Pfeifenten. Auch der Brutvogelbestand erholt sich: Über 100 Brutpaare Brach- schwalben, Stelzenläufer und Zwergseeschwalben, ein Knäkenten-Paar und ein Brandgans-Paar brüteten im Sommer 2005 erfolgreich. Sogar Krauskopfpelikane werden nun öfters gesichtet: 94 dieser imposanten Vögel hielten sich im Oktober 2005 in der Saline auf. Ein Großteil kam eigens aus Griechenland und Albanien, um die zahlreichen Fische in den abgelassenen Becken der Saline zu ergattern. Montenegro ist die kleinere der beiden Teil- republiken der Staatenunion „Serbien und Montenegro“ und liegt an der Adriaküste zwi- schen Kroatien im Norden und Albanien im Süden. Im Frühjahr 2006 sollen die 620.000 Montenegriner in einem Referendum über einen unabhängigen Staat Montenegro ent- scheiden. Schon heute sind die Teilrepubliken sehr eigenständig, mit eigenem Parlament und eigener Gesetzgebung. In Montenegro ist der Euro seit 2002 die offizielle Landeswährung; vorher war es die Deutsche Mark. Die großen Schwärme, die früher über die Adriaküste nach Nordosten zogen, leben nur noch in den Erzählungen der Jäger Blick über den Skutari-See in Richtung Albanien: nur einer von vielen wunderbaren Naturschätzen in Montenegro. Auch viele Brutvögel werden Opfer der Schießwut: Ange- schossener Rotschenkel. Um den von Euronatur finanzierten Beobachtungsturm in der Saline Ulcinj sammeln sich Pelikane. Jagdgesetz mangelhaft In erster Linie müssen jetzt dringend die Jagdzei- ten verkürzt und der Abschuss international im Rückgang befindlicher Arten verboten werden. Deshalb haben Euronatur und das montenegri- nische Zentrum für Vogelmonitoring konkrete Vorschläge für die Neufassung des Jagdgesetzes ausgearbeitet und an das zuständige Ministe- rium geschickt. Euronatur fordert außerdem ein Jagdverbot für den gesamten montenegri- nischen Küstenstreifen. Denn die angestrebte Saisonverlängerung mit Touristen aus Deutsch- land und den Niederlanden verträgt sich nicht mit einem Strand voller Vogeljäger. Nur wenn es uns gelingt, in den nächsten Jahren den Schutz unserer europäischen Wasservögel am Mittel- meer zu verbessern, werden sich die Bestände von Moorente, Knäkente, Rotschenkel, Bekas- sine und vielen anderen Arten in Mitteleuropa wieder erholen. Dann wird Montenegro auch im Frühjahr und Herbst wieder ein herrliches Reiseland sein. Dr. Martin Schneider-Jacoby Bild: M. Schneider-Jacoby Bild: D. Saveljic Bild: B. Rubinic Seltene Zugvögel wie dieser Prachttaucher fallen der illegalen Jagd zum Opfer. Bild: D. Saveljic Einer der Wächter in der Saline Ulcinj mit Ausrüstung von Euronatur. Bild: M. Schneider-Jacoby

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8 9Serie Vogeljagd - Montenegro Serie Vogeljagd - Montenegro

Tödliche RastJagd auf Zugvögel in Montenegro

Die Bura, der eisige Fallwind, bringt die Kälte bis ans Meer. Er kommt aus den Dinarischen Bergen, die sich direkt hinter dem schmalen Küstenstreifen Montenegros bis auf über 1.700 Meter erheben. Bereits ab November kann sich bei Kälteeinbrüchen die einsame Bergwelt in eine lebensfeindliche Eiswüste verwandeln. Dann sind die Feuchtgebiete am Skutari-See, im Bojana-Delta und die wenigen Buchten entlang der Küste besonders wichtig für spät ziehende Vögel. Tausende Krickenten, Pfeifenten, Kiebitze und Heidelerchen benötigen die Flachwasser-zonen, feuchten Wiesen, Lagunen und Röhrichte, um sich für den Weiterzug und die nächste Brutsaison zu stärken.

Die Vögel verschwinden trotz idealer Lebensräume Mitte der 90er Jahre tummelten sich noch über 200.000 Vögel am Skutari-See, nahe der Grenze zu Albanien. Im Januar 2005 wurden im gleichen Gebiet nur noch 35.000 Wasservögel gezählt. Gemeinsam mit dem montenegrinischen Zentrum für Vogelmonitoring und den Naturhisto-

rischen Museen in Belgrad und Podgorica hat Euronatur die Gründe für den Vogelschwund unter die Lupe genommen. Dabei zeigte sich, dass ausreichend große intakte Lebensräume vorhanden sind, dort aber ein verheerend ho-her Jagddruck herrscht. Kein Wunder, denn das montenegrinische Jagdrecht erlaubt eine sie-

benmonatige Jagdsaison auf Enten, Tauben und Wachteln von Mitte August bis Mitte März. Darunter fallen weltweit bedrohte Arten, wie die Moorente. Diese für unverantwortliche Jäger paradiesischen Zustände locken jedes Jahr zahlreiche italienische Jagdtouristen ins Land. Und auch außerhalb der Jagdsaison wird weiter gejagt. Fehlende Kontrollen und weit verbreitete illegale Jagdpraktiken tun ihr Übriges.

Eine durch den Aderlass an der Adria besonders betroffene Art ist die Knäkente: ein typischer Langstreckenzieher, der den Winter in den nördlichen Tropen Afrikas verbringt. Nachdem auf dem Frühjahrszug immer weniger Knäkenten durch Montenegro kamen, wurde vor einigen Jahren das Jagdgesetz geändert. Aber anstatt die Jagd einzuschränken, damit sich die Popu-lationen erholen können, verlängerte man die Jagdzeit noch um zwei Wochen bis Mitte März! Die Auswirkungen sind heute europaweit zu spüren. So ist nach den Erhebungen von BirdLife International die Zahl der Knäkenten-Brutpaare in folgenden Ländern rückläufig: in Deutschland, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen, Ukraine, Weißrussland, den Baltischen Staaten, Finnland und Schweden. Wenn es so weitergeht, werden die Knäkenten also bald gar nicht mehr durch Montenegro kommen. Die großen Schwärme, die früher über die Adriaküste nach Nordosten gezogen sind, leben schon heute nur noch in den Erzählungen der Jäger.

Tod am StrandTrotzdem saßen im vergangenen Frühjahr wieder bis zu 50 Jäger in den Verstecken am neun Kilometer langen Strand „Velika Plaza“ im Bojana-Delta und warteten auf die Heimkehrer aus Afrika, um diese mit Plastikenten als Lockvögel, Klangattrappen und Bleischrot zu begrüßen. Nicht nur der direkte Abschuss ist dabei tödlich für die Enten. Allein durch fehlende Rastgele-genheiten und Nahrungsmangel kommen zahlreiche Tiere auf dem Weiterzug ums Leben und der Bruterfolg derer, die durchkommen, wird gefährdet.

„Wild Beauty“ – Montenegros wunderbare LandschaftenDie untragbaren Zustände in Montenegro sind auch Nachwirkungen des Krieges und Embargos. Wo früher zahlreiche Deutsche ihren Urlaub verbrachten, blieb viele Jahre nur noch die schnelle Mark durch die Jagdgäste aus Italien. Doch heute gefährdet die Vogeljagd das Image des Landes und damit seine wichtigste Einnahmequelle: den Tourismus. Euronatur macht deshalb immer wieder auf die negativen Auswirkungen der Vogeljagd aufmerksam, so auch im Rahmen der Mitarbeit am „Masterplan für Tourismus“ der Deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG). Das reiche Naturerbe und das Meer sind das wichtigste Kapital für Montenegro, um langfristig Tourismuseinnahmen zu erzielen und Investoren ins Land zu holen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Werbeslogan Montenegros „wild beauty“, der den Naturreichtum des Landes in den Vordergrund stellt. Die Verantwortlichen müssen endlich verstehen, dass die einmalige Landschaft als Kulisse nicht ausreicht, sondern dass auch die Tierwelt ein Teil des Tourismusangebotes sein muss.

Modellprojekt Saline UlcinjDeshalb engagieren wir uns für die Einrichtung sicherer Großschutzgebiete. Ein erster konkreter Baustein hierzu ist die Saline von Ulcinj am Bojana-Delta. Auf 15 Quadratkilometern Fläche kämpft Euronatur seit dem Frühjahr 2004 gemeinsam mit den Betreibern der Saline gegen Wilderer. Durch den von Euronatur geförderten Wachdienst konnte das Jagdverbot auf dem Salinengelände jetzt durchgesetzt werden – mit ersten positiven Konsequenzen: Im Januar 2005 zählten wir 16.000 Wasservögel in der Saline, darunter erstmals seit Jahren wieder 400 Spieß- und 800 Pfeifenten. Auch der Brutvogelbestand erholt sich: Über 100 Brutpaare Brach-schwalben, Stelzenläufer und Zwergseeschwalben, ein Knäkenten-Paar und ein Brandgans-Paar brüteten im Sommer 2005 erfolgreich. Sogar Krauskopfpelikane werden nun öfters gesichtet: 94 dieser imposanten Vögel hielten sich im Oktober 2005 in der Saline auf. Ein Großteil kam eigens aus Griechenland und Albanien, um die zahlreichen Fische in den abgelassenen Becken der Saline zu ergattern.

Montenegro ist die kleinere der beiden Teil-republiken der Staatenunion „Serbien und Montenegro“ und liegt an der Adriaküste zwi-schen Kroatien im Norden und Albanien im Süden. Im Frühjahr 2006 sollen die 620.000 Montenegriner in einem Referendum über einen unabhängigen Staat Montenegro ent-scheiden. Schon heute sind die Teilrepubliken sehr eigenständig, mit eigenem Parlament und eigener Gesetzgebung. In Montenegro ist der Euro seit 2002 die offizielle Landeswährung; vorher war es die Deutsche Mark.

Die großen Schwärme, die früher über die Adriaküste nach Nordosten zogen, leben nur noch in den Erzählungen der Jäger

Blick über den Skutari-See in Richtung Albanien: nur einer von vielen wunderbaren Naturschätzen in Montenegro.

Auch viele Brutvögel werden Opfer der Schießwut: Ange-schossener Rotschenkel.

Um den von Euronatur finanzierten Beobachtungsturm in der Saline Ulcinj sammeln sich Pelikane.

Jagdgesetz mangelhaftIn erster Linie müssen jetzt dringend die Jagdzei-ten verkürzt und der Abschuss international im Rückgang befindlicher Arten verboten werden. Deshalb haben Euronatur und das montenegri-nische Zentrum für Vogelmonitoring konkrete Vorschläge für die Neufassung des Jagdgesetzes ausgearbeitet und an das zuständige Ministe-rium geschickt. Euronatur fordert außerdem ein Jagdverbot für den gesamten montenegri-nischen Küstenstreifen. Denn die angestrebte Saisonverlängerung mit Touristen aus Deutsch-land und den Niederlanden verträgt sich nicht mit einem Strand voller Vogeljäger. Nur wenn es uns gelingt, in den nächsten Jahren den Schutz unserer europäischen Wasservögel am Mittel-meer zu verbessern, werden sich die Bestände von Moorente, Knäkente, Rotschenkel, Bekas-sine und vielen anderen Arten in Mitteleuropa wieder erholen. Dann wird Montenegro auch im Frühjahr und Herbst wieder ein herrliches Reiseland sein.

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