Temperatureinfluss auf Immunoassays

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b Immunoassays sind biochemische Schnelltests auf Basis der spezifischen Antigen-Antikörper-Bindung. Hoch- affine Antikörper weisen Analyten in nanomolaren Konzentrationen nach. Die Tests werden routinemäßig in der medizinischen Diagnostik eingesetzt, etwa als Schwangerschaftstests oder zum Nachweis von Tumormarkern, in der biochemischen Forschung, in Lebensmittel- und Umweltanalytik. Sie dienen vor allem dazu, täglich Hunderte von Proben schnell und kostengünstig zu analysieren. Der direkte heterogene kompetiti- ve Immunoassay vom Typ ELISA (en- zyme-linked immunosorbent assay) besteht aus mehreren aufeinander- folgenden Schritten (Abbildung 1): Alle 96 Kavitäten einer Mikrotiter- platte werden mit einem Anti-Maus- Antikörper beschichtet, der im da- rauffolgenden Schritt die analytspe- zifischen Antikörper bindet. Es folgt ein Kompetitionsschritt. Dabei kon- kurriert der Analyt aus der Probe mit einem hinzugefügten enzym- markierten Analogon um die Bin- dungsstellen des analytspezifischen Antikörpers. Im anschließenden Entwicklungsschritt setzt das En- zym Meerrettich-Peroxidase (POD) Moleküle einer hinzugefügten Sub- stratlösung um. Die entstandenen Produkte sind über ihre Extinktion oder Fluoreszenz detektierbar. Die Signalintensität ist umgekehrt pro- portional zur Analytkonzentration. Die Temperatur beeinflusst die Leistungsfähigkeit eines Immuno- assays. Normalerweise werden die einzelnen Inkubationsschritte bei Umgebungstemperatur ausgeführt. 1) Um den Einfluss von Temperatur- schwankungen auf die charakteris- tischen Merkmale eines Immuno- assays wie Signalintensität und Nachweisgrenze zu untersuchen, wurden direkte kompetitive En- zym-Immunoassays durchgeführt, und zwar für Koffein und Carba- mazepin bei verschiedenen Tempe- raturen ober- und unterhalb der Raumtemperatur. Dabei ging es nicht nur um den Temperaturein- fluss auf alle Schritte gleichzeitig, sondern auch um den Einfluss auf jeden einzelnen Inkubationsschritt. Analyten: anthropogene Marker b Die in unserer Studie eingesetz- ten Substanzen Carbamazepin und Koffein sind Beispiele für nieder- molekulare Analyte. Der Wirkstoff Carbamazepin, ein Dibenzazepin, ist ein Wirkstoff gegen Epilepsie und gelangt über Ausscheidungen in das Abwassersystem, wo er Kon- zentrationen von 1 bis 5 μg·L –1 er- reicht. Kläranlagen bauen Carba- mazepin kaum ab, daher gilt die Substanz als Indikator für die Rei- nigungsleistung von Klärwerken. 2) Geringere Konzentrationen von Rudolf J. Schneider, Julia Grandke Für Immunoassays ist die Temperatur ein wichtiger Parameter, denn sie beeinflusst Empfindlichkeit und Präzision des Tests. Niedrigere Temperaturen erhöhen die Nachweisempfindlichkeit, während bei Raumtemperatur das Messsignal am wenigsten schwankt. Temperatureinfluss auf Immunoassays BAnalytikV Abb. 1. Schematischer Ablauf eines Immunoassays. Nachrichten aus der Chemie| 60 | November 2012 | www.gdch.de/nachrichten 1112

Transcript of Temperatureinfluss auf Immunoassays

b Immunoassays sind biochemische Schnelltests auf Basis der spezifischen Antigen-Antikörper-Bindung. Hoch-affine Antikörper weisen Analyten in nanomolaren Konzentrationen nach. Die Tests werden routinemäßig in der medizinischen Diagnostik eingesetzt, etwa als Schwangerschaftstests oder zum Nachweis von Tumormarkern, in der biochemischen Forschung, in Lebensmittel- und Umweltanalytik. Sie dienen vor allem dazu, täglich Hunderte von Proben schnell und kostengünstig zu analysieren.

Der direkte heterogene kompetiti-ve Immunoassay vom Typ ELISA (en-zyme-linked immunosorbent assay) besteht aus mehreren aufeinander-

folgenden Schritten (Abbildung 1): Alle 96 Kavitäten einer Mikrotiter-platte werden mit einem Anti-Maus-Antikörper beschichtet, der im da-rauffolgenden Schritt die analytspe-zifischen Antikörper bindet. Es folgt ein Kompetitionsschritt. Dabei kon-kurriert der Analyt aus der Probe mit einem hinzugefügten enzym-markierten Analogon um die Bin-dungsstellen des analytspezifischen Antikörpers. Im anschließenden Entwicklungsschritt setzt das En-zym Meerrettich-Peroxidase (POD) Moleküle einer hinzugefügten Sub-stratlösung um. Die entstandenen Produkte sind über ihre Extinktion oder Fluoreszenz detektierbar. Die

Signalintensität ist umgekehrt pro-portional zur Analytkonzentration.

Die Temperatur beeinflusst die Leistungsfähigkeit eines Immuno-assays. Normalerweise werden die einzelnen Inkubationsschritte bei Umgebungstemperatur ausgeführt.1) Um den Einfluss von Temperatur-schwankungen auf die charakteris-tischen Merkmale eines Immuno-assays wie Signalintensität und Nachweisgrenze zu untersuchen, wurden direkte kompetitive En-zym-Immunoassays durchgeführt, und zwar für Koffein und Carba-mazepin bei verschiedenen Tempe-raturen ober- und unterhalb der Raumtemperatur. Dabei ging es nicht nur um den Temperaturein-fluss auf alle Schritte gleichzeitig, sondern auch um den Einfluss auf jeden einzelnen Inkubationsschritt.

Analyten: anthropogene Marker

b Die in unserer Studie eingesetz-ten Substanzen Carbamazepin und Koffein sind Beispiele für nieder-molekulare Analyte. Der Wirkstoff Carbamazepin, ein Dibenzazepin, ist ein Wirkstoff gegen Epilepsie und gelangt über Ausscheidungen in das Abwassersystem, wo er Kon-zentrationen von 1 bis 5 µg·L–1 er-reicht. Kläranlagen bauen Carba-mazepin kaum ab, daher gilt die Substanz als Indikator für die Rei-nigungsleistung von Klärwerken.2) Geringere Konzentrationen von

Rudolf J. Schneider, Julia Grandke

Für Immunoassays ist die Temperatur ein wichtiger Parameter, denn sie beeinflusst Empfindlichkeit

und Präzision des Tests. Niedrigere Temperaturen erhöhen die Nachweisempfindlichkeit, während bei

Raumtemperatur das Messsignal am wenigsten schwankt.

Temperatureinfluss auf Immunoassays

BAnalytikV

Abb. 1. Schematischer Ablauf eines Immunoassays.

Nachrichten aus der Chemie| 60 | November 2012 | www.gdch.de/nachrichten

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Carbamazepin sind im gesamten Wasserkreislauf nachweisbar.3)

Koffein gehört zur Stoffklasse der Xanthine und dient gelegentlich als anthropogener Marker für den Ein-trag ungeklärter Abwässer in Gewäs-ser. Zudem lässt sich der Koffeinge-halt von Getränken und neuerdings Kosmetika mit Immunoassays ein-fach und schnell bestimmen.4)

Sensitivität von Immunoassays

b Für viele analytische Fragen ist hohe Empfindlichkeit erstrebens-wert. Ein Maß für den Vergleich der Sensitivität von Assays ist in der Immunanalytik der Testmittel-punkt der sigmoidalen Kalibrier-kurve, er entspricht der mittleren inhibitorischen Konzentration IC50.

Zunächst wurde der Einfluss der Temperatur auf alle Inkubations-schritte gleichzeitig untersucht. Bei geringeren Temperaturen verbesserte sich die Sensitivität um Faktor drei für Carbamazepin und Faktor sieben für Koffein. Drei Wiederholexperi-mente zeigten die gute Reproduzier-barkeit der Ergebnisse (Variation von Platte zu Platte). Die maximalen Sig-nalintensitätsunterschiede betrugen 7 %, wohingegen sich die Testmittel-punkte nicht signifikant änderten.

Um den temperatursensitiven Schritt zu identifizieren, wurde da-nach jeder Inkubationsschritt ein-zeln untersucht. Dabei änderten sich sowohl während der Inkubati-

on mit dem Anti-Maus-Antikörper als auch mit dem analytspezifi-schen Antikörper die Signalintensi-tät und die Sensitivität nicht signi-fikant. Aufgrund der temperaturab-hängigen Aktivität von Enzymen ist anzunehmen, dass die Signalin-tensität im Substratentwicklungs-schritt beeinflusst wird. Für das untersuchte Fluoreszenzsubstrat nahm die Intensität bei höheren Temperaturen geringfügig zu, wäh-rend sich dies für das chromogene Substrat nicht bestätigte.

Die Temperatur hatte während des Kompetitionsschritts den größ-ten Einfluss auf die Assaysensitivi-tät. Für Carbamazepin variierten die Testmittelpunkte von 36 ng·L–1 bei 4 °C über 108 ng·L–1 bei 21 °C zu 378 ng·L–1 bei 37 °C Inkubati-onstemperatur (Abbildung 2). Für Koffein waren die Ergebnisse ähn-lich: Hier änderten sich die Test-mittelpunkte von 34 ng·L–1 über 128 ng·L–1 zu 492 ng·L–1. Um die Sensitivität von Immunoassays auszunutzen, können diese auch durchgehend bei niedrigeren Tem-peraturen durchgeführt werden.

Signalhomogenität

b Auf einer Mikrotiterplatte treten Temperaturunterschiede zwischen den inneren und äußeren Kavitäten auf (Randeffekt). Um die Tempera-turabhängigkeit dieses Effekts zu untersuchen, wurde der jeweilige

Immunoassay für eine feste Kon-zentration, aber bei fünf verschie-denen Temperaturen durchgeführt. Je kleiner der Variationskoeffizient aller Signale einer Platte, desto ge-ringer ist der Randeffekt und desto höher ist die Homogenität über ei-ne Platte. Der geringste Variations-koeffizient mit 2,0 % trat bei 21 °C auf (Abbildung 3). Eine wesentlich breitere Verteilung der Signalinten-sitäten und damit die höchste rela-tive Standardabweichung von 6,5 %, war bei 4 °C zu beobachten. Deshalb empfehlen wir die Durch-führung von Immunoassays bei Raumtemperatur.

Rudolf J. Schneider leitet den Fachbereich Im-

munanalytik an der BAM Bundesanstalt für

Materialforschung und -prüfung, Berlin. Er ist

promovierter Chemiker und Privatdozent an

der TU Berlin. [email protected]

Julia Grandke ist Doktorandin im Fachbereich

Immunanalytik der BAM und untersucht den

Einfluss verschiedener Faktoren auf die Genau-

igkeit und Präzision von Immunoassays. Sie

studierte Biochemie an der Universität Jena.

Literatur

1) J. Grandke, U. Resch-Genger, W. Bremser,

L.-A. Garbe, R. J. Schneider, Anal. Me-

thods 2012, 4, 901–905.

2) A. Bahlmann, J. J. Carvalho, M. G. Weller,

U. Panne, R. J. Schneider, Chemosphere,

2012, 89, 1278–1286.

3) A. Bahlmann, M. G. Weller, U. Panne, R. J.

Schneider, Anal. Bioanal. Chem. 2009,

395, 1809–1820.

4) J. J. Carvalho, M. G. Weller, U. Panne, R. J.

Schneider, Anal. Bioanal. Chem. 2009,

396, 2617–2628.

Abb. 2. Verschiebung der Kalibrierkurven zu geringeren Testmittelpunkten bei

sinkender Temperatur während des Kompetitionsschrittes.

4 12 21 28 37

Temperatur [°C]

1,1

1,0

0,9

0,8

0,7

Nor

mie

rte

Sign

alin

tens

ität CV: 6,5 % CV: 3,7 % CV: 2,0 % CV: 2,8 % CV: 5,4 %

Abb. 3. Box-Plot der Variationskoeffizienten bei unterschiedlichen

Temperaturen für den Koffein-Immunoassay.

1 10 100 1000 10000

100

80

60

40

20

0

4 °C21 °C37 °C

Carbamazepin-Konzentration [ng/L]

Inte

nsitä

t [%

]

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