Teutonische Überlegenheitsphantasien

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Page 1: Teutonische Überlegenheitsphantasien

Seite 10 RotFuchs / Juni 2013

Der deutsche Größenwahn ist wieder da

Teutonische Überlegenheitsphantasien

Das Boot ist voll“, heißt ein Buch des Schweizer Schriftstellers Alfred-Adolf

Hasler, das von Flüchtlingsschicksalen im Jahre 1942 erzählt. Dieses Titels bemächtigten sich die bürgerlichen Par-teien der BRD Anfang der 90er Jahre, um eine rassistische Debatte über angebli-che Scheinasylanten anzuzetteln. Die Sprache erinnerte stark an die Termi-nologie der Nazis und machte vor aller Welt deutlich, daß Rassismus keineswegs nur an deut-schen Stammtischen zu Hause ist.Schon damals habe ich m i r G e d a n k e n d a r -über gemacht, wie diese schreckliche Rhetorik, dieser dumpfe Haß und diese widerlichen teuto-nischen Überlegenheits-phantasien den Alptraum des Zweiten Weltkrieges und den Sturz des Hitler- Faschismus überleben konnten. Mehr als das: Der Vormarsch des germa-nischen Herrenmenschen-Dünkels bis in die Spitzen der BRD ist unverkennbar.Nach 1945 entstanden auf deutschem Boden zwei konträre Staaten. Im Westen wurde die Entnazifizierung bald abge-brochen und ebenso schnell vergessen. Die braunen „Eliten“ stiegen wieder in hohe und höchste Ämter auf. Eine wirkli-che Abrechnung mit dem Ungeist der Ver-gangenheit erfolgte nur vereinzelt. Statt dessen erlebte man einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg des deutschen Imperialismus, der durch Marshallplan-spritzen und den Fleiß der Arbeitenden zustande kam. Der berechtigte Stolz auf Geleistetes und die immer noch sehr lebendigen bösen Geister der Vergangenheit bil-deten ein höchst unerfreuliches Kon-glomerat. Wofür sollte man sich noch schämen, wenn der Wohlstand nicht weniger unverkennbar war, während der Gestapomann von gestern nun im noblen Mercedes zum BND nach Pullach rollte?Der Zuzug von Gastarbeitern, die in den unbeliebtesten und am schlechtesten bezahlten Berufen beschäftigt wurden, welche von Deutschen eher gemieden wurden, verstärkte noch das Gefühl ver-meintlicher Überlegenheit. Es zeigte sich, daß der alte Gedanke, die Welt solle am deutschen Wesen genesen, in der BRD fortlebte. Politik und Medien verstärk-ten diese Sicht. Egal, was immer auch anderswo geleistet wurde – deutsche Produkte waren stets die wertvollsten, deutsche Qualitätskontrollen die genaue-sten, deutsche Städte die saubersten und deutsche Arbeiter die fleißigsten. Wurde

über ein Land berichtet, das einst von den Panzerketten der Nazi-Wehrmacht überrollt worden war und im Osten lag, geschah das meist mit einem Unterton hochmütiger Herablassung und gönner-haften Mitleids. Ach ja, die Russen sind eben so – oder – die Polen packen es ohne-hin nicht.Selbst in der DDR konnten nationali-

stische Gefühle nicht bei allen Bürgern ausgeräumt werden. Zwar wurde die Entnazifizierung gründlich und gewis-senhaft betrieben, was zur Entfernung aktiver Faschisten von allen Schalthe-beln der Macht führte. Aber Kontakte zu allen anderen Völkern auf gleicher Grundlage herzustellen war unter den Bedingungen des Kalten Krieges und vor allem auch auf Grund des Mangels an westlicher Valuta nur ungenügend möglich. Bei Begegnungen mit Delegatio-nen, die Schulen oder Betriebe besuch-ten, kam die Spontaneität oft zu kurz. Die Berliner Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Sommer 1973 vermit-telten indes einen Eindruck davon, wie Völkerfreundschaft unter sozialistischen Bedingungen gedeihen kann. Alltägliches Zusammensein mit Bürgern befreun-deter Länder, die in der DDR als Ver-tragsarbeiter tätig waren, hinterließ im Unterschied zu eher protokollarisch ver-laufenden offiziellen Begegnungen tiefe Spuren. Obwohl nicht wenige Bürger der DDR vor allem gegenüber Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte und deren Land Gefühle echter Freundschaft ent-wickelten, fehlte es nicht an jenen, bei denen Überlegenheitsdünkel auch hier eine Rolle spielte.Offenbar hatte die DDR in den 40 Jahren ihrer Existenz einfach nicht genügend Zeit und auch nicht das nötige friedliche Umfeld, um den Ungeist der Vergangen-heit bereits auf Dauer aus allen Köpfen zu verbannen. Nach der Konterrevolution und dem Anschluß der DDR an die BRD fielen

bei den vom Siegestaumel berauschten Machthabern alle Hemmungen. Nicht nur im Bierlokal, sondern auch in den luxuriösen Herrenzimmern der Bosse und ihrer Politiker wurden nun haßer-füllte „Überfremdungs“-Parolen erson-nen und ins Feld geführt. Diese Ideologie wurde vom Westen auch in den annek-tierten Osten getragen. Die Folge davon

waren die Schrecken von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Offe-ner Rassismus – beson-ders gegen Türken und Vietnamesen – sowie ein wiederbelebter Sozial-Darwinismus gegen „faule Arbeitslose“ wurden in aller Öffentlichkeit zele-briert. Leute wie Sarrazin und Buschkowsky stiegen zu Superstars auf. Auch im Verhältnis der Deut-schen aus Ost und West fand die „Selektion“ in Gestalt unterschiedlicher Löhne und Renten ihre Fortsetzung. Da bedürfen die nun wieder von Deut-

schen in Kriegen gemordeten Menschen kaum eines Wortes der Erwähnung. Bei all dem heißt die Devise einmal mehr: Teile und herrsche! Wer von Wut auf Ausländer und sozial Ausgegrenzte zerfressen ist, rüttelt nicht an den Fun-damenten der Macht im eigenen Land. So bot die Eurokrise Gelegenheit, ein neues Schreckgespenst zu kreieren: die „grie-chischen Versager“. Und einmal mehr konnte man sich fleißíger, klüger und reicher als andere dünken. Die Krise ist doch deren und nicht unser Ding!Heute werden wir von Leuten regiert, die ihre Herrenmenschenallüren im Umgang mit anderen Völkern ganz offen pflegen. Sie erinnern an böse Geister der Vergan-genheit – und das nicht nur im Umgang mit Griechen oder Zyprioten. Machen wir uns nichts vor: Die fortschreitende Faschisierung trägt auch das Gesicht des alten und neuen Chauvinismus. Dünkel, Dünkel über alles!Doch wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen. Die vom Kapital ausgebeu-teten, bombardierten, denunzierten und massakrierten Menschen überall auf der Welt sind – im übertragenen Sinne – unsere Landsleute, nicht aber die Herrenmenschen in Nadelstreifen. Ihr Deutsch ist nicht unsere Sprache.So gilt es, der großdeutschen Arroganz des Kapitals und seiner Politiker mit einer schon 1848 durch Marx und Engels geschmiedeten Waffe entgegenzutreten, die in manchen Arsenalen leider ver-staubt ist und durch andere sogar gänz-lich entsorgt wurde: dem proletarischen Internationalismus. Ulrich Guhl

Karikatur: Klaus Stuttmann