Text2 Ritual

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Rituale sind gemäß dem vorliegenden Text ein wichtiger Ankerpunkt im Verlauf des menschlichen Lebens. Die zitierten Ethnologen, Arnold van Gennep (+1957), Autor des Buches "Rites of Passage" (1960/ bzw. 1908) und der darauf aufbauende Victor Turner, (+1983) trieben mit ihren Theorien der Übergangsriten (Gennep) sowie der Theorie des Sozialen Dramas, die eingebettet in der umfassenderen Theorie des Rituals ist (Turner), die Performance Studies voran. Untersucht man Rituale, ihren Sinn, i.e. Funktion, ihre jeweils spezifischen Ausführungs- weisen sowie Ort und Zeit, so stellt man einige qualitative Übereinstimmungen zwischen menschlichem und animalischem rituellen Verhalten fest : das Ritual ist von seiner ursprünglichen Funktion befreit, wird übertrieben und simplizifiert dargestellt, Bewegungsmuster sind oft zu Posen erstarrt, Betonung bestimmter Körperpartien (beim Menschen : Akzentuierung durch Uniformen, Masken) und v.a. sind Rhythmus und der repetitive Charakter wesentlich. Es gibt kein "erstes Mal" bei Ritualen : sie verkörpern Ideen - drücken Gedanken nicht aus. Man ist immer "in" einem Ritual drinnen, ansonst ist man bloßer Beobachter bzw. zahlendes Publikum und wohnt einer Performance, z.B. einer Theateraufführung bei. Die Abgrenzungen zwischen Ritual und kultureller Veranstaltung sind überlappend. Als Pole eines Kontinuums zwischen Wirksamkeit (efficacy) des Rituals und dem Unterhaltungswert (entertainment) einer performativen Aufführung interpretiert, zeigt sich die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen ästhetischem und sozialem Drama. Turner prägte den Begriff der Liminalität und davon abgeleitet den Begriff "liminoid" : ersteres bezeichnet einen Schwellenzustand, der eine permanente Veränderung zur Folge hat. Als Beispiel werden Initiationsriten angeführt. Es handelt sich hierbei um Transformationen, oftmals begleitet von Trance-zuständen, die Zeit-und Ort außer kraft setzten. Jeglicher Verpflichtung des Alltags enthoben, bildet sich in einer Anti- Struktur eine "communitas", die im Idealfall spontan entsteht und ein direktes Ich-Du Gefühl im Kollektiv entstehen lässt, eine Erfahrung einer rituellen Gemeinsamkeit, die auf existentieller Ebene verwurzelt ist. Liminoid hingegen ist gekennzeichnet durch temporärer Veränderung, einer Transportation, wie es im Prozess einer Initiierung auch die "Manager" dieses Ritus erleben. Kunstaufführungen sind liminoid, die Darsteller erfahren sich immer temporär in einer anderen Rolle. Rituale sind sowohl religiöser als auch säkularer Natur. Besonders auf politischer Ebene finden sie starke Verwendung. Man denke nur an die Inszenierungen bei parteipolitischen Reden, von monarchischen Zeremonien ganz zu schweigen. Es soll dabei das Gemeinschaftsgefühl, die Zugehörigkeit zu einem "Spirit" (einer Partei) evoziert wird. Erreicht wird dies, indem man das Publikum auf einer nicht-rationalen Ebene anspricht. Back to the roots - sang schon Bob Marley - und die Suche nach dem Ursprung des Menschseins treibt besonders in Krisenzeiten ihre esoterischen Blüten. Rituale, gerne interpretiert als archaischer Rest in uns allen, und intensiv beobachtet bei "ursprünglichen" Völkern (tribals), sollen uns Zugang zu unserem ureigensten Selbst ermöglichen. Wenn Menschen sich in den industrialisierten, liberal-kapitalistischen Länder betrogen fühlen, - weil man Geld doch nicht essen kann - dann wendet man sich gerne östlichen, ganzheitlichen Traditionen zu. Seit dem Kolonialismus sind "exotische" Anleihen immer wieder in Mode gekommen, sei es durch die Wunderkammern (Barock), im 19.Jhd (z.B. Gauguin), bis hin zu den 60-er Jahren (Ashramaufenthalte, jedem Beatle sein Guru...)- bis dato : an jeder Ecke eine Yogaschule bzw. asiatische Sportart. Die bei diesen östlichen Sportarten praktizierten Rituale (Verneigung, Betreten des Dojos, Bewegungsfluss dgl.) ermöglichen es den Praktizierenden (Bodhisattva) aus den Beschränkungen des Alltags zu entfliehen (?). Als Neuling ist man zunächst (vgl. Text "Initiationsritus" ) einmal "NICHTS", bzw. mit Turner ausgedrückt : "betwixt and between": offen für Veränderung und demütig : "in the midst of a journey from one social self to another" (66) Ritual (p.52 - 88) Text2 , ViCe 18.11. 2013, Dagmar Eberhardt

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  • Rituale sind gem dem vorliegenden Text ein wichtiger Ankerpunkt im Verlauf des menschlichen Lebens. Die zitierten Ethnologen, Arnold van Gennep (+1957), Autor des Buches "Rites of Passage" (1960/ bzw. 1908) und der darauf aufbauende Victor Turner, (+1983) trieben mit ihren Theorien der bergangsriten (Gennep) sowie der Theorie des Sozialen Dramas, die eingebettet in der umfassenderen Theorie des Rituals ist (Turner), die Performance Studies voran.Untersucht man Rituale, ihren Sinn, i.e. Funktion, ihre jeweils spezifischen Ausfhrungs-weisen sowie Ort und Zeit, so stellt man einige qualitative bereinstimmungen zwischen menschlichem und animalischem rituellen Verhalten fest : das Ritual ist von seiner ursprnglichen Funktion befreit, wird bertrieben und simplizifiert dargestellt, Bewegungsmuster sind oft zu Posen erstarrt, Betonung bestimmter Krperpartien (beim Menschen : Akzentuierung durch Uniformen, Masken) und v.a. sind Rhythmus und der repetitive Charakter wesentlich. ! Es gibt kein "erstes Mal" bei Ritualen : sie verkrpern Ideen - drcken Gedanken nicht aus. Man ist immer "in" einem Ritual drinnen, ansonst ist man bloer Beobachter bzw. zahlendes Publikum und wohnt einer Performance, z.B. einer Theaterauffhrung bei. Die Abgrenzungen zwischen Ritual und kultureller Veranstaltung sind berlappend. Als Pole eines Kontinuums zwischen Wirksamkeit (efficacy) des Rituals und dem Unterhaltungswert (entertainment) einer performativen Auffhrung interpretiert, zeigt sich die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen sthetischem und sozialem Drama. ! Turner prgte den Begriff der Liminalitt und davon abgeleitet den Begriff "liminoid" : ersteres bezeichnet einen Schwellenzustand, der eine permanente Vernderung zur Folge hat. Als Beispiel werden Initiationsriten angefhrt. Es handelt sich hierbei um Transformationen, oftmals begleitet von Trance-zustnden, die Zeit-und Ort auer kraft setzten. Jeglicher Verpflichtung des Alltags enthoben, bildet sich in einer Anti-Struktur eine "communitas", die im Idealfall spontan entsteht und ein direktes Ich-Du Gefhl im Kollektiv entstehen lsst, eine Erfahrung einer rituellen Gemeinsamkeit, die auf existentieller Ebene verwurzelt ist.Liminoid hingegen ist gekennzeichnet durch temporrer Vernderung, einer Transportation, wie es im Prozess einer Initiierung auch die "Manager" dieses Ritus erleben. Kunstauffhrungen sind liminoid, die Darsteller erfahren sich immer temporr in einer anderen Rolle.Rituale sind sowohl religiser als auch skularer Natur. Besonders auf politischer Ebene finden sie starke Verwendung. Man denke nur an die Inszenierungen bei parteipolitischen Reden, von monarchischen Zeremonien ganz zu schweigen. Es soll dabei das Gemeinschaftsgefhl, die Zugehrigkeit zu einem "Spirit" (einer Partei) evoziert wird. Erreicht wird dies, indem man das Publikum auf einer nicht-rationalen Ebene anspricht.! Back to the roots - sang schon Bob Marley - und die Suche nach dem Ursprung des Menschseins treibt besonders in Krisenzeiten ihre esoterischen Blten. Rituale, gerne interpretiert als archaischer Rest in uns allen, und intensiv beobachtet bei "ursprnglichen" Vlkern (tribals), sollen uns Zugang zu unserem ureigensten Selbst ermglichen. Wenn Menschen sich in den industrialisierten, liberal-kapitalistischen Lnder betrogen fhlen, -weil man Geld doch nicht essen kann - dann wendet man sich gerne stlichen, ganzheitlichen Traditionen zu. Seit dem Kolonialismus sind "exotische" Anleihen immer wieder in Mode gekommen, sei es durch die Wunderkammern (Barock), im 19.Jhd (z.B. Gauguin), bis hin zu den 60-er Jahren (Ashramaufenthalte, jedem Beatle sein Guru...)- bis dato : an jeder Ecke eine Yogaschule bzw. asiatische Sportart. Die bei diesen stlichen Sportarten praktizierten Rituale (Verneigung, Betreten des Dojos, Bewegungsfluss dgl.) ermglichen es den Praktizierenden (Bodhisattva) aus den Beschrnkungen des Alltags zu entfliehen (?). Als Neuling ist man zunchst (vgl. Text "Initiationsritus" ) einmal "NICHTS", bzw. mit Turner ausgedrckt : "betwixt and between": offen fr Vernderung und demtig : "in the midst of a journey from one social self to another" (66)

    Ritual (p.52 - 88) Text2 , ViCe! 18.11. 2013, Dagmar Eberhardt