Thema: Interbalance · 2014. 5. 12. · Es ist Übergangszeit und nicht nur das Wetter ändert sich...

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Zeitschrift von BALANCE | Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren | Ausgabe Nr. 58 | 1/2014, Jahrgang 17 Thema: Gemeinsame Räume – sozialraumorientiertes Arbeiten Wohnen: Wie Wünsche verhandelt werden Interbalance: Balancer-Polittalk – Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ), Norbert Hofer (FPÖ) und Marcus Franz (Team Stronach) stehen Rede und Antwort

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Zeitschrift von BALANCE | Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren | Ausgabe Nr. 58 | 1/2014, Jahrgang 17

Thema: Gemeinsame Räume – sozialraum orientiertes Arbeiten

Wohnen: Wie Wünsche

verhandelt werden

Interbalance: Balancer-Polittalk –

Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ), Norbert Hofer (FPÖ)

und Marcus Franz (Team Stronach) stehen

Rede und Antwort

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EditorialVon Helga Hiebl

Es ist Übergangszeit und nicht nur das Wetter ändert sich oft über-raschend, auch bei BALANCE sind wir mitten in Veränderung, weniger überraschend dafür aber lange und gut geplant. BALANCE hat nämlich gerade eine wichtige Veranstaltung mit dem Titel „Change Wohnen“ organisiert, die Ende April stattgefunden hat. Dabei ging es um eine Verbesserung unserer Dienstleistungen und darum, wie BALANCE sich als Organisation verändern will, damit die Unterstützungen besser pas-sen. Die Ideen und Themen dazu kamen direkt von den NutzerInnen unserer Angebote. (S. 4)

Für den Übergang vom Leben in einer betreuten Wohngemein-schaft zum selbstständigen Wohnen in der eigenen Wohnung bietet BALANCE teilbetreute Trainingswohnungen an. Die Plätze sind begehrt und rar, dennoch erfolgt die Vergabe nicht nach einem starren Schema, sondern unter Einbezug und mit Mitsprache der AnwärterInnen. Andrej Rubarth schildert so einen hochspannenden Prozess und die Schwierig-keiten, dabei zu einer für alle Beteiligten fairen Entscheidung zu kom-men. (S. 14)

Viele Übergänge im Sinne von Bewegung im Grätzl machen derzeit auch einige Tagesstruktur-TeilnehmerInnen am Standort SoHo. Sie er-kunden die unmittelbare Umgebung nach Kriterien der Barrierefreiheit und untersuchen den Sozialraum nach Chancen und Möglichkeiten für neue Lebensperspektiven. Brigitte Balic macht uns mit der Idee des Sozialraums vertraut und erklärt, wie sich eine aktive Nutzung des Sozi-alraums auswirken kann. (S. 20)

Was die BehindertensprecherInnen der Parteien in den nächsten Jahren alles verändern möchten, erfahren Sie in einem ersten Teil von VertreterInnen der SPÖ, FPÖ und dem Team Stronach. Im nächsten Heft folgt dann Teil 2 mit den ParteivertreterInnen von ÖVP, Grünen und Neos. (S. 18)

Und schließlich können wir Frauen uns sehr geschmeichelt fühlen, denn unser männlicher Redaktionskollege Christian Zuckerstätter hat in seinem Kommentar unter dem Titel „Die Krone der Schöpfung“ gera-dezu ein Loblied auf die Fähigkeiten von Frauen angestimmt.

Ob aber männliche oder weibliche Kronen der Schöpfung, wir wünschen allen unseren LeserInnen einen wundervollen Frühsommer und entspannte und interessante Momente mit dieser Ausgabe des Balancers.

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Inhalt

BALANCER 58, 1/2014 Editorial2

Vorgestellt03 Roland Pistora

BALANCE Wohnen04 Change >> Wohnen 2014

BALANCE Intern05 Kommentar der Obfrau

06 Thema Gemeinsame Räume

BALANCE Pinnwand09 Unter Verdacht Ausstellung [dia’lo:k] Prägnant x 7 Freizeit im Wohnhaus Maxing

BALANCE Kunst10 Menschgeige

BALANCE Wohnen12 Wie Wünsche verhandelt werden

Tagessstruktur16 Filz ist nicht verfilzt

18 Interbalance Balancer-Polittalk: Marcus Franz

Norbert Hofer Ulrike Königsberger-Ludwig

22 Kommentar Die Krone der Schöpfung

23 Veranstaltungen Impressum

Das Cover dieser Ausgabe zeigt ein Werk von Bettina Onderka, 1962 geboren, seit 2013 bei bild.Balance in Wien. Bevorzugte Techniken: zeichnen, malen, drucken, Frottage auf Papier, auch unter Verwendung von Schablonen: „In bild.Balance hab ich das Richtige für mich gefunden.“

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1 Ein guter Arbeitstag beginnt mit … am Radl nach BernBöckh-Soho oder zur Zentrale, mit einem Kaffee und den Menschen, die ich dort treffe.

2 Was lässt dich Berge versetzen? …

Dorthin zu gehen, wo die Berge stehen und es ge-meinsam zu probieren.

3 Was hält dich in deinem Leben in

Balance? … Neues probieren, Bewährtes fortführen und beides hinterfragen

4 Was/wer imponiert dir am mei-

sten? … Menschen, die ihre Grenzen erweitern

5 Welche Barrieren hast du in dei-

nem Leben schon beseitigt? … Einen Oberschenkeltrümmer-bruch plus Folgen und hie und da eine Denkbarriere

6 Das Schönste an den drei Wohn-

Standorten Bernstein, Böckh und

Sonnenhof ist … die dort leben-den und arbeitenden Men-schen, in all ihrer Verschie-denheit. Und alle drei WGs liegen am Wasser! (lacht)

7 An meinem Job mag ich am mei-

sten … tun zu dürfen was ich, glaube ich, gut kann und mir Freude bereitet.

8 Rollentausch: Wenn du Bewohner

bei BALANCE wärst, was sollte ein/e

WohnbereichsleiterIn unbedingt kön-

nen bzw. welche Eigenschaften sollte

er/sie haben? … Zuhören und mit mir lachen.

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46 Jahre alt, BALANCE-

Wohnbereichsleiter

Wohnverbund Bernstein,

Wohn gemeinschaft Böckh,

Wohnverbund Sonnenhof, seit

1993 bei BALANCE, anfangs als

Betreuer in der WG Böckh, seit

2009 Wohnbereichsleiter

Roland Pistora

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33 BALANCER 58, 01/2014 Vorgestellt

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Neues VorstandsmitgliedBei der letzten Vorstandssitzung des Vereins BALANCE – Leben ohne Barrieren am 24. März 2014 wurde MMag. Martin Kopper in den BALANCE Vorstand kooptiert. Martin Kopper ist promovier-ter Jurist und hat ein abgeschlossenes Geschichts-studium. Als Bewohner der BALANCE WG Böckh und Redaktionsmitglied des Balancers wird er mit seiner Stimme im Vorstand in Zukunft die Geschi-cke des Vereins mit seiner Perspektive bereichern. Herzlich willkommen!

Martin Kopper: rechts im Bild

BALANCER 58, 1/2014 4 Wohnen

? 5Change >> Wohnen 2014

Zusammenarbeit für Veränderung, von Andrej Rubarth

Am 24. April 2014 veranstaltete BALANCE einen Workshop-Tag. Teilgenommen haben NutzerInnen und MitarbeiterInnen von BALANCE. Vier Arbeitsgruppen mit NutzerInnen und MitarbeiterInnen haben diesen Workshop seit November 2013 vorbereitet. Die Stimmung war gut, die Ergebnisse machten Lust auf den Workshop. Die Anmeldung war Ende März abgeschlossen. 100 Personen haben teilgenommen. Über die Ergebnisse und wie die Workshops gelaufen sind, berichten wir dann in der nächsten Ausgabe!

Was haben wir beim Workshop getan?Beim Workshop wurde über folgende Fragen diskutiert:Was ist den NutzerInnen von BALANCE-Leistun-gen wichtig?Was kann BALANCE besser oder anders machen für passende Unterstützung?Was sind gute Ideen für passende Unterstüt-zung?

Das Wichtigste dabei war:Die BALANCE-Leistungen sollen die NutzerInnen dabei unterstützen, ihre Vorstellungen vom eige-nen Leben zu verfolgen.

Die NutzerInnen und BALANCE können das nicht alleine schaffen. Darum nahmen auch andere Personen teil, mit anderen wichtigen Sichtweisen. Das waren Angehörige, SelbstvertreterInnen, Personen vom Fonds Soziales Wien, von der Sachwalterschaft, der Wiener Politik und anderen Anbietern von Dienstleistungen. So konnten gute Ideen geboren werden.

Der Workshop hatte fünf Themen:

01. Ich als Person in der Wohngemeinschaft. NutzerInnen meinen: Ich will wichtig sein und mehr gesehen werden in der WG.

02. Mit Anderen sein. NutzerInnen meinen: Ich treffe zu wenig andere Leute.

03. Erleben und Erfahrungen machen. Nutze-rInnen meinen: Ich will mehr Möglichkeiten, auch einmal etwas zu erleben und neue Erfah-rungen zu machen.

04. Meine Gesundheit und alle Hilfsmittel, die ich brauche. NutzerInnen meinen: ÄrztInnen sollen sich mehr Zeit nehmen für mich und ich brauche Geld für Hilfsmittel und Therapien.

05. Mein Leben heute und in Zukunft. NutzerIn-nen meinen: Heute ist schon alles schwierig. Was kann ich in der Zukunft wollen?

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Kommentar der Obfrau

Nicht einmal ein Bewerbungsgespräch

MinRat Mag. Rotraut Kopper

Im Vergleich zum Vorjahr waren Ende Februar wieder mehr Menschen mit Behinderungen arbeitslos. Die Arbeitslo-sigkeit in dieser Personengruppe steigt und bleibt auf einem erschreckend hohen Niveau. Sobald die Behinderung erwähnt wird, schaffen es viele nicht einmal zu einem Vorstellungs gespräch und das trotz teilweise hoher, selbstverständlich passender Qualifikation und überdurchschnittlicher Leis-tungsbereitschaft. Dabei berichten UnternehmerInnen, die bereits Menschen mit Behinderungen in ihren Betrieben be-schäftigen, laut Umfragen durchwegs von guten bis sehr gu-ten Erfahrungen. Und dennoch: Nur 20 % der privaten Unter-nehmen in Österreich erfüllen, laut Erhebung des Bundes sozialamtes, die Beschäftigungspflicht, ja selbst die Ministe-rien, die ja Vorbildwirkung haben sollten, kommen der ge-setzlich vorgeschriebenen Einstellungspflicht nicht nach.

Maßnahmen, wie zum Beispiel die Lockerung des Kündi-gungsschutzes, der ja immer wieder von ArbeitgeberInnen als Hinderungsgrund für die Beschäftigung von behinderten ArbeitnehmerInnen vorgebracht wurde, hatten bisher keiner-lei Wirkung. Der erhoffte Effekt blieb aus.

Dass Menschen mit Behinderungen zu Spitzenleistun-gen fähig sind, zeigten uns kürzlich eindrucksvoll die Teilneh-merInnen der Paralympics Winterspiele. Die Vorurteile in den Köpfen vieler DienstgeberInnen hingegen bleiben anschei-nend unverrückbar fest an alten und überholten Vorstellun-gen von Behinderung kleben. Denn obwohl bei Behinderun-gen schwereren Grades durch Assistenz am Arbeitsplatz für den Dienstgeber keinerlei Nachteile mehr entstehen, gibt es wenige Firmenchefs, die einer behinderten Arbeitssuchen-den eine Chance geben würde.

Sogar die Wirtschaftskammer meldete sich vor kurzem zu diesem Problem und propagiert Anreize wie Lohnzuschüs-se, lehnt aber eine höhere Ausgleichstaxe vehement ab. Das

ist schwer nachvollziehbar, verschiebt es doch das bestehen-de Problem nur in Richtung finanzieller Vollversorgung durch den Staat. Die VertreterInnen der Wirtschaftskammer sitzen nämlich immer noch dem verheerenden Irrtum auf, dass Menschen mit Behinderungen automatisch weniger leis-tungsfähig wären als andere. Warum sollte man aber von ei-ner Angestellten im Rollstuhl oder einer gehörlosen Reini-gungskraft weniger Leistung erhalten?

Es führt anscheinend kein Weg daran vorbei, sich dafür einzusetzen, dass die Ausgleichstaxe von derzeit € 350,–/Jahr gegen alle Widerstände massiv erhöht wird, um die Men-schen zum Umdenken zu bewegen. Vernünftige Argumente reichen da leider nicht mehr aus, viele Betriebe umgehen nach wie vor die gesetzlichen Bestimmungen und missbrau-chen die Ausgleichstaxe, um sich ganz einfach freizukaufen. Für UnternehmerInnen muss es daher ein wesentlicher be-triebswirtschaftlicher Faktor werden, behinderte Menschen einzustellen. Wenn die Höhe zum Beispiel in etwa einem kol-lektivvertraglichen Gehalt entspräche, würde sich die Situati-on möglicherweise schnell ändern.

Und einmal ganz abgesehen vom Geld bleibt immer noch die Frage: Wollen und können wir als Gesellschaft, die unentwegt von Integration und Inklusion redet, auf Dauer wirklich auf die Talente und Fähigkeiten unserer behinderten MitbürgerInnen verzichten? Ist es klug, sie von jeglicher Teil-habe auszuschließen und sie weiterhin einer reinen „Sozial-versorgungspolitik“ auszusetzen?

Schade, dass Ressentiments offensichtlich immer nur über das Mittel Geld korrigierbar sind. Und eine wichtige Tat-sache bleibt: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist in Österreich seit 26. Oktober 2008 in Kraft. Wir haben einen Vertrag unterzeichnet und sind somit eine Verpflichtung ein-gegangen, die, so bald als möglich, umzusetzen ist!

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Gemeinsame

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Gemeinsame Räume Sozialraum, Sozialraumbegehung, Sozialraumer-kundung, Sozialraumanalyse, sozialräumliches Denken, sozialraumorientiertes Arbeiten sind Be-griffe, mit denen sich einige Organisationen der Behindertenhilfe in letzter Zeit vermehrt ausein-andersetzen. Vor allem dann, wenn Organisatio-nen es als ihren Auftrag sehen, die NutzerInnen ihrer Angebote zu unterstützen, sodass diese ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben als BürgerIn gestalten können.

Als Mitarbeiterin einer Organisation, deren Auftrag genauso wie oben beschrieben wird, beschäftigt auch mich das Thema Sozialraum.

Sozialraum – Was ist das?Im Internet-Nachschlagwerk Wikipedia steht unter Sozialraum in der Sozialarbeit: Sozialraum ist die örtliche, regionale und institutionelle Struktur eines Ortes, an dem Personen agieren und interagieren.

Das klingt erst einmal sehr kompliziert. Für mich bedeutet das, mein Sozialraum ist dort, wo ich lebe, arbeite, mich bewege, aufhalte und wo ich etwas alleine oder mit anderen tun kann. Es kann auch bedeuten, da wo ich dabei sein, wo ich mitreden kann, wo ich in meinen Stärken wahrge-nommen werde, wo ich mitten im Leben, wo ich KundIn oder Mitglied bin.

Meine Möglichkeiten entdeckenWas macht meinen Sozialraum aus? Wo sind Orte, an denen ich mich wohlfühlen kann? An welchen Plätzen halte ich mich nicht so gerne auf? Wo sind Stätten, an denen ich Kontakte knüpfen kann? Wo bin ich KundIn? Mit welchen Menschen tausche ich mich gerne aus? Was ist mir wichtig und welche Möglichkeiten habe ich überhaupt? Diese Fragen haben mich beschäftigt, nachdem ich begonnen hatte, mich mit dem The-ma Sozialraumerkundung auseinanderzusetzen.

Mit diesen Fragen im Kopf war ich dann unterwegs, um meinen Sozialraum in meinem Grätzl zu erkunden. Wege, die ich früher schon viele Male zurückgelegt hatte, einfach nur um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, erschienen mir plötzlich verändert. Dieses bewusste Wahrneh-men der Umgebung und der Menschen hat dazu beigetragen, dass ich Orten und Menschen

begegnet bin, die mir vorher nicht aufgefallen sind. Ich konnte neue Lokale entdecken, Geschäfte und Plätze, bin mit Menschen ins Gespräch ge-kommen, indem ich ihnen Fragen gestellt habe wie z. B.: „Wo gibt es ein Lokal, wo man vegetari-sches Essen bekommt?“

Meine Sozialraumerkundung hat bewirkt, dass ich mein Grätzl besser kennen gelernt habe und dass ich mich selbst besser kennen lernen konnte, einfach indem ich mich mit Fragen ausei-nandergesetzt habe wie: Was ist mir selbst wich-tig? Welche Möglichkeiten habe ich hier und was davon kann ich umsetzen?

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Räume

Durch richtige Unterstützung kann sich vieles ändernInklusion = personenzentriertes Arbeiten + sozialraum orientiertes Arbeiten. So steht es beschrieben in den Unterlagen für den Lehrgang „Personenzentriertes und sozialräum-liches Arbeiten in Organisationen“. Das europäi-sche Netzwerk „New paths to inclusion“ – was so viel bedeutet wie „Neue Wege zu Inklusion“ – hat diese Unterlagen zur Verfügung gestellt. Das Netzwerk besteht aus 20 Partnerorganisationen – darunter auch BALANCE – aus unterschiedlichen Ländern, die gemeinsam daran arbeiten, Verän-

derung in Richtung Inklusion zu bewirken. Corne-lia Renoldner, Bereichsleitung Beschäftigung bei BALANCE, hat bereits in der letzten Ausgabe des Balancer über Inklusion geschrieben.

Was ändert sich also konkret, wenn ich mei-nen Sozialraum aktiv nutze? Anhand von den folgenden zwei Beispielen kann man gut erken-nen, dass trotz äußerlich ähnlich scheinender Umstände, sich große Unterschiede im Erleben von Lebensqualität und Selbstbestimmung auf-tun.

Zwei Geschichten – zwei PerspektivenFrau B. ist übersiedelt. Sie lebt jetzt am Rande der Stadt. Das tut sie, weil es ihr wichtig ist, nahe der Natur zu leben, aber auch weil es ihr die Möglich-keit bietet, neue Kontakte zu finden. Lange hat sie sich Gedanken gemacht, viel hat sie erkundet, um den perfekten Ort für sich zu finden, an dem sie leben möchte. Beim Erkunden ihres Sozialraumes konnte sie auch unerwartete Möglichkeiten ent-decken, ihre Freizeit zu verbringen.

Frau B. hat einen Arbeitsplatz gefunden, wo sie Anerkennung erhält und sich nach ihren Vor-stellungen engagieren kann. Sie weiß meistens, was sie will und braucht. Für die meisten Dinge des Alltags ist sie nicht auf andere angewiesen. Braucht sie einmal Unterstützung oder will mit jemandem reden, ist das kein Problem. Sie ist gut vernetzt – Frau B. kennt viele Menschen.

Für Frau B. und ihr Umfeld ist es selbstver-ständlich, dass sie weiß und kundtut, was sie will. Sie ist zufrieden mit ihrer selbstgeschaffenen Lebenswelt. Wenn sie etwas verändern möchte, tut sie das. Sie fühlt sich als Bürgerin und wird auch als solche anerkannt.

Frau M. ist übersiedelt. Sie lebt jetzt am Ran-de der Stadt. Das tut sie, weil hier ein WG-Platz frei wurde, der genau für Frau M. passt.

Und „eigentlich ist es ja ganz schön, so nahe der Natur zu sein“, sagen alle, die es gut meinen mit M. Alle, die es gut meinen mit M., haben sich viele Gedanken gemacht. Wo wird Frau M. am besten betreut? Wo kann sie sich sicher fühlen? In ihrer Freizeit kann sie in ein Café ganz in der Nähe ihres Wohnortes gehen – wenn sie von ihrem Besuchsdienst begleitet wird.

BALANCER 58, 1/2014 7Thema

Von Brigitte Balic

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Ein Tagesstrukturplatz wurde auch für sie gefunden, nicht weit von ihrem Wohnplatz. Anerkennung bekommt sie dort – von bezahlten MitarbeiterInnen. Frau M. weiß meist was sie will – wenn sie gefragt wird. Frau M. braucht für die meisten Dinge des Alltags Unterstützung. Dafür gibt es Profis. Sie ist nicht gut vernetzt – kennt nicht viele Men-schen, die nicht bezahlt werden, um mit ihr Zeit zu verbrin-gen oder sie zu unterstützen.

Für Frau M. ist es selbstverständlich, dass sie kundtut, was sie will – aber nur wenn sie gefragt wird. Wenn sie ge-fragt wird, was sie will, fällt ihr manchmal ein, dass sie nicht immer zufrieden ist mit ihrer aktuellen Lebenswelt.

Ob sie etwas verändern will? Ja, will sie – aber was genau und wie kann das gehen? Ein anderes Leben wäre für Frau M. vielleicht möglich, …

… wenn es Menschen gäbe, die mit Frau M. herausfinden wollten, was ihr selbst wichtig ist und wenn diese Men-schen hörten, was sie davon erzählt, wie sie selbst leben und wie sie ihren Tag verbringen möchte.

… wenn es Menschen gäbe, die Frau M. unterstützten, ihre eigenen Stärken zu erkennen.

… wenn Frau M. gut vernetzt wäre – wenn sie Kontakte auch zu Menschen hätte, die nicht bezahlt werden, um gemeinsame Interessen zu teilen.

… wenn es Menschen gäbe, die Frau M. dabei unterstützten, ihren Sozialraum selbst zu erkunden und sie entdeckte dabei, dass es mehr gibt als nur dieses eine Café, um ihre Freizeit zu gestalten.

… wenn es Menschen gäbe, die Frau M. dabei unterstützten, dass sie an Aktivitäten teilhaben kann, die außerhalb der Organisation stattfinden und nicht von dieser organisiert werden.

Frau M. hätte so die Chance, ihre Lebenswelt ein Stück mehr selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten und zu verändern.

Eine aktive Nutzung des Sozialraumes ist für Menschen mit Behinderung ein wichtiges Instrument, um aus Isolati-on und den von der Gesellschaft geschaffenen Ghettos her-auszukommen. Daher ist sozialraumorientiertes Arbeiten in der Begleitung von Menschen mit Behinderung so wichtig und sollte darüber hinaus ein zentrales Anliegen aller Orga-nisationen sein, die Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung anbieten.

Editorial / Vor den Vorhang8 BALANCER 58, 1/2014 8 Thema

Freizeit im Wohnhaus MaxingFotos: Johannes Rautzenberg Die BewohnerInnen des Wohnhau-ses Maxing genießen die ersten warmen Sonnenstrahlen und ver-treiben sich die Zeit mit Ballspielen im Freien und wenn das Wetter umschlägt, dann bleiben sie ein-fach gemütlich daheim zum Brot backen. Da freuen sich dann alle auf das knusprig frische Gebäck!

Pinnwand.

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BALANCER 58, 1/2014 9Pinnwand

Nikolaus Brader kocht gerne und gut, er ist derzeit Teilnehmer in einer Tagesstruktur und würde später gerne als Koch oder Redakteur arbeiten.

Unter VerdachtVon Nikolaus Brader Bewohner Wohngemeinschaft Boltenstern

Ich interessiere mich sehr für Autos und Motorräder. Leider bekam ich vor zwei Jahren Schwierigkeiten wegen eines verschwundenen Mopeds. Ich war mit einem Freund ein-kaufen und wir sahen vor dem Geschäft ein Moped stehen, welches wir uns genau ansahen. Als ich aus dem Geschäft wieder herauskam, war das Moped verschwunden. Der Besitzer des Mopeds beschuldigte uns, dass wir mit dem Moped gefahren und dieses gestohlen hätten. Ich musste sogar mit meiner Bezugsbetreuerin zur Polizei gehen und eine Aussage ma-chen. Einige Tage später wur-de das Moped gefunden – ich weiß bis heute nicht, wer mit dem Moped gefahren ist – ich jedenfalls nicht!

Ausstellung [dia’lo:k]Im Februar und März zeigte das Jesuitenfoyer unter dem Titel [dia’lo:k] die Ergebnisse eines spannenden und interessanten künstlerischen Dialogs zwischen Christoph Speich und einigen bild.Balance-KünstlerInnen aus dem Atelier Wien. Als Highlight führte der Künstler Speich im März dann bei einem Extratermin höchstpersönlich durch die Ausstellung.

Prägnant x 7Unter dem Titel „Prägnant x 7“ fand an drei Tagen im März eine sehr sehenswerte Ausstellung der sieben im bild.Balance- Atelier Maria Ponsee arbeitenden KünstlerInnen statt. Ein toller Querschnitt von aktuellen und hochwertigen Kunst-werken erwartete die BesucherInnen. Die optimal kombi-nierten und gehängten Bilder wurden perfekt zur Geltung gebracht durch die sehr ansprechenden Ausstellungsräume des Kulturhauses „alter Pfarrhof“ in St. Andrä-Wördern und boten dem Publikum ein besonders „prägnantes“ Kunst-erlebnis.

Foto: bild.Balance

Fotos: Johannes RautzenbergFoto: bild.Balance

Foto: Nikolaus Brader/privat

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„Menschgeige“

Montage: Sonja Browne Performance: tanzmontage.Balance

(Christian Polster, Inge Kaindlstorfer, Andrea Holubetz, Sabine Ortolf, Milos Ibrahim, Sonja Browne, Barbara Trollmann)

Bühnenbild: bild.Balance LichtdesignundTechnik: Andreas Zemann Kostüm: Sonja Browne Produktion: Sonja Browne

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Durch die Jahrhunderte schimmert die Musik des Venezianers Vivaldi in das zeitgenössische Herz des inklusiven Tanzensembles tanzmontage. Balance: Sie staubt, stinkt, duftet und strahlt in barocken Erdfarben bis in das Jahr 2014.

Wir erkennen eigene Strategien der Kompo-sition wieder: Reduktion einer Fülle des – aus der Improvisation gepflückten – Materials auf das Wesentliche, Assoziationen zu den Ausdruckswei-sen der Natur; Erschaffen längerer Sequenzen im Baukastenprinzip.

tanzmontage.Balance, in Reifröcke ge-zwängt, gibt wieder, was aus dem Kanon des prete rosso für sie im Repertoire eigener Emotio-nen zu erkennen ist. Kein biografisches Werk über den Komponisten Vivaldi, sondern eine Resonanz auf seine Musik in unserer zeitgenössischen Diversität. Eine Etüde zur Harmonischen Inspirati-on („L’estro Armonico“): Wenn für Vivaldi die Her-ausforderung seines Schaffens darin bestand,

die perfidia, das heißt, die in seiner Zeit übliche Tendenz zu struktureller, formaler oder rhythmi-scher Monotonie, zu vermeiden und mit unge-wöhnlichen, extravaganten („La Stravaganza“) Elementen zu unterwandern, so besteht für das inklusive Tanzensemble tanzmontage.Balance die sich selbst gestellte Aufgabe darin, die Diskussion darüber, was Tanz/Performance ist, und wer TänzerInnen/Performer sind, durch unsere (nicht)behinderten Geister und Körper zu beleben.

In einer Konferenzschaltung der Künste nimmt tanzmontage.Balance Kontakt zur Künst-lergruppe bild.Balance (featuring Christoph Speich) auf, um im Schaffensprozess gegenseitig Assoziationsmöglichkeiten und Analogien zu Vivaldis Werk anzubieten. In diesem Sinne wirken die zwei Künste Bild und Tanz zusammen, um statt des Intellekts des Rezipienten dessen intuitive, dessen assoziative Betrachtungsweise einzuladen.

Montage: Sonja Browne Performance: tanzmontage.Balance

(Christian Polster, Inge Kaindlstorfer, Andrea Holubetz, Sabine Ortolf, Milos Ibrahim, Sonja Browne, Barbara Trollmann)

Bühnenbild: bild.Balance LichtdesignundTechnik: Andreas Zemann Kostüm: Sonja Browne Produktion: Sonja Browne

Eine Performance des inklusiven Ensembles tanzmontage.Balance27. Juni 2014, Theater Brett

11Kunst BALANCER 58, 1/2014

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BALANCER 58, 1/2014

Das Tuscheln und Raunen begann schon bald. In der Wohn-gemeinschaft Böckh war eine Garconniere frei geworden.

Eine von fünf. So etwas passiert alle fünf Jahre einmal. Bis-her geschah bei solchen Gelegenheiten das Übliche. Die

Einrichtungsleitung setzte sich mit dem Team der Sozialbe-treuerInnen zusammen und beriet, für wen diese Wohnung die beste Fördermöglichkeit wäre. Die bisherige Erfahrung

war auch, dass aus dem Förderplan ein Daueraufenthalt wurde, weil nach ein bis zwei Jahren niemand mehr aus der

attraktiven Einzelwohnung ausziehen will. Es kann auch niemand so leicht ausziehen, denn um danach mit hohem

Unterstützungsbedarf in einer eigenen Mietwohnung leben zu können, dafür reicht oft das Pflegegeld nicht.

Wohnen12

Wie Wünsche verhandelt

werdenVon Andrej Rubarth

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Perspektivwechsel: Gemeinsam entscheiden

BALANCE wechselte mit den BewohnerInnen die Perspektive. Eine sogenannte Trainingswohnung sollte nicht mehr etwas sein, was zur Förderung der Selbständigkeit zugeteilt wird.Die Einzelwohnung wurde als Möglichkeit verstanden, Vor-stellungen vom Leben umzusetzen. Ein Versuch mit unge-wissem Ausgang war gestartet. Schaffen es die interessier-

ten BewohnerInnen, gemeinsam abzuwägen, wie diese Wohnung möglichst fair genutzt werden kann?

Die BewohnerInnen der WG hatten schon Erfahrung in Dis-kussion und Beratung. Wer mitreden will, kann zum Beispiel an der inklusiven Teambesprechung teilnehmen. Die findet einmal im Monat statt. Dort beraten die BetreuerInnen ge-

meinsam mit den BewohnerInnen, was im WG-Leben beach-tet werden soll, welche Probleme gelöst werden müssen und ob die Unterstützung passt. Es gibt auch die „Plauderei“, das

ehemalige BewohnerInnenforum. Hier kommt mensch zu-sammen. Übers Plaudern kommt man auf Themen, die ge-

meinsam beredet werden sollen. Es werden Ideen festgehal-ten, Schritte überlegt. Die BewohnerInnen verschaffen sich

zum Beispiel auch einen Jahresüberblick, was 2014 in der WG passieren soll, was ihnen Spaß macht, was zu ihrem

gemeinsamen Leben gehören soll.

BALANCER 58, 1/2014 Wohnen 13

Wer hat die Macht?Es ist ein Unterschied, ob ich in der WG mit 13 Personen in

einem Zimmer mit 18 m2 lebe und mir das Bad mit vier ande-ren Personen teile, oder ob es eine Wohnung mit fast 40 m2

ist, mit eigenem Bad und kleiner Küche.Deshalb breitete sich bald schon Unruhe unter den Bewoh-nerInnen aus. Die ersten wurden aktiv, andere zogen Fäden im Hintergrund. BezugsbegleiterInnen wurden ausgefragt. BewohnerInnen deponierten hinter den Kulissen ihr starkes Interesse. Andere, die nicht so gut kommunizieren konnten, waren zwar neugierig, aber sie sahen sich wohl eher chan-cenlos. Es war nicht klar, wer den Zuschlag bekommen wür-

de: Wer am längsten hier wohnt? Wer als Ziel eine eigene Mietwohnung hat? Wer die Küche auch wirklich nutzen will?

Geht es nach dem Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen? Muss jemand möglichst selbständig sein, um die

ebenfalls vollbetreute Wohnung nutzen zu können?

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BALANCER 58, 1/2014 Wohnen14

Interessen verhandelnSayeste bremste sich dann selbst ein. Sie hatte die Sorge, dass ihre Fa-milie vielleicht nicht einverstanden sein könnte, daher wollte sie noch

warten.Roland wollte schon seit Jahren so eine Wohnung ausprobieren. Er ver-sprach sich mehr Ruhe und Platz. Na, und ein eigenes Bad ist einfach

komfortabel. Für ihn war es wichtig, dass er von den BetreuerInnen des Teams begleitet wird, weil er die so gut kennt und die genau wissen,

was er wie braucht.Für Roman stand fest, dass er nicht ewig in Vollbetreuung leben will

und dass er irgendwann in eine eigene Wohnung will. Für ihn wäre die „24“ eine gute Vorbereitungsmöglichkeit. Johannes wollte einmal eine eigene Wohnung mit Teilbetreuung ausprobieren. Er hatte sich schon

über den Wohnverbund Bernstein informiert. Aber er konnte sich noch nicht ganz entschließen. Er hatte es noch nicht so eilig. Und so wurden die Interessen abgewogen und eine Variante ausgehandelt, die für alle

passt.

Plaudernd zum Kern der Sache vordringen

Und so wurde auch erst einmal über die Wohnung geplaudert. Wer wollte, beteiligte sich. JedeR BewohnerIn hatte die gleiche Ausgangs-position. Jede und jeder konnte sagen, was aus eigener Sicht wichtig

an der Wohnung ist. Und welche Bedeutung diese Möglichkeit für das eigene Leben hätte.

Und so gab es dann fünf BewohnerInnen, die Interesse daran hatten, in die Wohnung zu ziehen. Von außen betrachtet stellte sich die Frage:

Wie können sich fünf Personen einigen, wenn doch nur eine Wohnung zur Verfügung steht? Alle fünf InteressentInnen blieben dabei und

wollten weiter reden.

Es gab drei große Ideen zur Wohnung 24:01

Als eine Vorbereitung für die eigene Wohnung mit viel Selbständigkeit

02 als Dauernutzung

03als eine Chance für mehrere Personen, das Leben in einer Wohnung

auszuprobieren.

Schnell stellte sich heraus, dass Johann vor allem einen Tapetenwechsel wollte. Seit vielen Jahren wohnte er in einem relativ kleinen Zimmer in

der WG. So wurde überlegt, dass sich die Wohnungsbesiedelung mit einem Zimmerwechsel für Johann verbinden ließe. Danach gab es dann

ein Treffen der vier verbleibenden InteressentInnen gemeinsam mit der Leitung in der leeren Wohnung 24, wo darüber gesprochen wurde,

wie die Unterstützung für jede InteressentIn ungefähr aussehen würde in der „24“. Es wurde in die Zukunft geschaut. Die Frage an die

BewohnerInnen war: Wie stellt ihr euch die nächsten ein bis drei Jahre vor?

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Editorial / Vor den Vorhang BALANCER 58, 1/2014 Wohnen 15

Der gemeinsame WegDie ausverhandelte Lösung lautete dann: Roman zieht in die Wohnung 24 ein und verpflichtet sich, spätestens nach drei Jahren wieder auszu-ziehen. Bis dahin will er es schaffen, in einer eigenen Wohnung zu sein,

oder er zieht in die WG zurück, um einem/einer MitbewohnerIn die Möglichkeit der „24“ zu geben. Wenn er bis 2016 auszieht, dann können

Sayeste und Roland sich ausmachen, wer von ihnen einzieht und wer noch weiter wartet. Das passt für beide.

Roland sagt, dass dieser Weg der Entscheidung sehr gut war. Es war interessant, die Sichtweisen der anderen MitbewohnerInnen zu erfah-ren. Offen zu reden bedeutete auch, Akzeptanz zu finden. Das Wich-

tigste ist für ihn, dass er weiter die Chance hat, zu übersiedeln, weil diese Wohnung mit den vertrauten Unterstützungspersonen

wirklich da ist. Deshalb war er einverstanden zu warten. Das ist kein Problem für ihn.

Johannes trägt noch den Plan mit der Bernsteinstraße in seinem Kopf und seinem Herzen herum. Das reift noch.

Johann ist auch sehr zufrieden. Er wohnt jetzt in dem größeren Zim-mer, aus welchem Roman ausgezogen ist. BetreuerInnen hatten somit den Auftrag, zwei Übersiedelungen zu unterstützen. Ein beträchtlicher Aufwand, der im laufenden Alltag untergebracht werden musste. Aber wenn alle in der WG miteinander planen und gut informiert sind, dann

geht das.

Ein Blick in die ZukunftRoman lebt nun seit August 2013 in der Wohnung. Über ein halbes Jahr

ist nun vergangen. Er fühlt sich sehr wohl. Er bekommt weniger von diesem ganzen WG-Betrieb mit, was er sehr genießt. Für ihn ist es ruhi-ger geworden und das braucht er für sich. Roman hat Kontakt mit dem Fonds Soziales Wien aufgenommen. Er will herausfinden, ob er Persön-

liche Assistenz in einer eigenen Wohnung bekommen kann und wie viel Geld er dafür brauchen wird. Die Antwort war sehr überraschend. Solange er in einer vollbetreuten WG lebt, kann ein Antrag auf Persön-

liche Assistenz nicht bewilligt werden.Das bedeutet, er müsste vorerst ohne passende Unterstützung in eine Wohnung ziehen und dort warten und hoffen, bis der Antrag bewilligt wird, bis das Geld da ist und bis er dann AssistentInnen suchen kann. Das ist schwer vorstellbar, da Roman täglich sehr viel Unterstützung

benötigt.Er ist jetzt ein bisschen ratlos. Aber er will mit den BetreuerInnen, der

Sozialarbeiterin von BALANCE und der Fachstelle Wohnen nach Wegen aus diesem Dilemma suchen. Er bleibt bei seiner Vorstellung vom Le-

ben, er will hinaus aus der Vollbetreuung und selbst entscheiden, wer ihn unterstützt und wie. Damit kann er sich sein Leben unabhängiger einrichten, kann seinen Tagesablauf bestimmen und muss sich nicht ständig damit herumplagen, in die Tagesstruktur fahren zu müssen, die er nicht braucht und die er auch nicht will. Er hat, so wie es aus-

sieht, noch einen langen Weg vor sich. Aber er hat ja auch noch Zeit bis August 2016.

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InderTextilgruppewirddasNaturmaterialWollezuneuemLebenerweckt.ImmerwiederentstehtNeuesausFilz–dasistspannenderalsesklingtundspottetderalthergebrachtenRedewendung.VonChristianZuckerstätter

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Die Textilgruppe am Fuchsenfeld beherbergt acht KlientInnen, die von zwei BetreuerInnen unterstützt werden. Die Gruppe ist sehr stabil und weist eine äußerst geringe Fluktuation auf. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass sowohl die Betreuerin als auch der Betreuer die Gruppe schon seit vielen Jahren begleiten. Dementsprechend sind auch die Wartezeiten auf einen Platz im Textil-Atelier sehr, sehr lang! Jede und jeder in der Gruppe fühlt sich sehr wohl und will bleiben! So ist auch meine Assoziation bei kurzen Besuchen immer wieder aufs Neue: die Textilgruppe ist eine Oase der Ruhe und des Friedens … Das klingt schon sehr nach schwärmerischem Werbetext, aber genauso ist es in der Textil-gruppe wirklich! Es werden dort Tätigkeiten, Techniken, Materialien und Bearbei-terInnen auf kreative Weise miteinander verwoben.

So, jetzt aber zur konkreten Tätigkeit der Textilgruppe: Zum Einsatz kommen in der Textilgruppe ausschließlich in den verschiedensten Farben eingefärbte Naturmaterialien, wie vor allem Wolle, daraus hergestellter Filz, Seide und Seidenstoffe, Walkstoffe sowie Leder.

Damit verbunden ein paar Worte zu den Arbeitstechniken:

Wolle–Filz: In der Anfangszeit wurde die Wolle noch „nass gefilzt“, mittlerweile wird aber das nachhaltigere und formhaltigere „Strickfilzen“ bevorzugt. Dabei wird die Wolle vor dem Filzen mittels herkömmlicher Stricktechniken in Form gebracht.

Leder: Daraus werden derzeit ausschließlich Ledertaschen angefertigt. Die Le-dertaschen werden in zwei Größen produziert und ohne Ausnahme handgenäht.

Walkstoffe: Sie werden vorwiegend als Rückseiten von Filzpölstern oder für ge-filzte, freie Motive verwendet.

Aus den genannten Materialien werden von der Textilgruppe unter ande-rem folgende Produkte hergestellt: Pölster, Hüte, Kappen, Schals, Hütten-patschen, Filzblumen und die schon erwähnten Ledertaschen …

Darüber hinaus hat die Textilgruppe die Kapazität, Auftragsarbeiten anzu-nehmen. So ist es jederzeit möglich, dass „schon morgen“ ein neuer Auftrag in Arbeit ist. Ausgeführt werden die Aufträge entsprechend den Wünschen der AuftraggeberInnen. Voraussetzung ist allerdings, dass nur eine geringe

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Stückzahl verlangt wird, damit die KlientInnen der Textilgruppe nicht in Stress kommen!

Zum Ausspannen macht die gesamte Gruppe im Schnitt zwei große Aus-flüge im Jahr. Der eine davon führt sie zu einer Firma in der Buckligen Welt, wo Walkstoffe – die an ihrem Herstellungsort zu besichtigen immer wieder ein Erlebnis ist – hergestellt werden. Die Textilgruppe nutzt dann diese Gelegenheit auch gleich zum Einkauf dieses „Rohstoffs“. Im Rahmen des zweiten Ausfluges holt sich die Gruppe Inspiration, wie etwa beim Besuch des Weltmuseums oder im Haus des Meeres.

Eine Besonderheit der Textilgruppe ist auch, dass großteils Winter- und Weihnachtsprodukte hergestellt werden. Das liegt in erster Linie am verwende-ten Material, eben der Wolle. Allerdings ist den Mitgliedern der Textilgruppe im restlichen Jahr alles andere als fad. Für den „Weihnachtsmarkt“ ist man nahezu das ganze Jahr über am Werk! Zu den Artikeln der Textilgruppe ist generell noch zu sagen: die handgefertigten Waren können – bedingt durch den hohen Pro-duktionsaufwand – in keiner großen Stückzahl hergestellt werden. Das bedingt wiederum, dass sie hochpreisiger sind. Ein Umstand, den die sozial intelligenten BALANCE-KundInnen aber durchwegs verstehen!

Beim Werken in der Textilgruppe sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Sowohl mittels kreativer Ideen als auch durch neue Kombinationsmöglichkeiten von Techniken, Materialien und anderen Elementen werden immer wieder neue Produkte geschaffen oder bestehende Produkte weiterentwickelt. Die Arbeitsat-mosphäre in der Gruppe kann generell als sehr ruhig und besonnen bezeichnet werden, die optimale Spielwiese für „phantasievolle Selbstverwirklichung“.

Mitunter wird sogar das „Fach“ der Gruppe, also das textile Arbeiten, verlas-sen, wie zwei Klienten der Gruppe, Christian Gaube und Christoph Schuh, ein-drucksvoll zeigen: sie sind begeisterte Musiker, Christoph Schuh an der Geige und Christian Gaube als Sänger, und so wurden sie zu den Namensgebern der hauseigenen Fuchsenfelder Band „Gaube und Schuh“, bei der sowohl KlientIn-nen anderer Gruppen wie auch BetreuerInnen mitwirken. Diese Musikgruppe hat mittlerweile schon eine beträchtliche Zahl an Auftritten hinter sich, sowohl bei internen Events als auch extern bei größeren Veranstaltungen. Die Bandmit-glieder haben dabei immer sehr viel Spaß, sowohl bei der Vorbereitung als auch bei den Auftritten und das nicht nur wegen der extrem positiven Resonanz des Publikums! „Gaube & Schuh“ ist ein in jeder Hinsicht erfolgreiches Projekt und im weitesten Sinn ein „Kind“ der Textilgruppe!

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Balancer-PolittalkUlrike Königsberger-Ludwig (SPÖ), Ing. Norbert Hofer (FPÖ) und Dr. Marcus Franz (Team Stronach) stehen Rede und Antwort.

In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen aus Platzgründen vorerst nur eine VertreterIn einer Regierungspartei (SPÖ) und zwei VertreterInnen von Oppositionsparteien vor. In der nächsten Ausgabe folgen dann wieder eine VertreterIn einer Regie-rungspartei (ÖVP) und ebenfalls zwei OppositionspolitikerInnen (GRÜNE und Neos). Interview: Martin Kopper, Jürgen Plank.

Marcus FranzSeit2013Klubobfrau-StellvertreterdesParlamentsklubsTeamStronach.GesundheitssprecherundArzt.

www.parlament.gv.at/WWER/PAD_83141/

Norbert HoferSeitdemJahr2006imNationalrat.SeitOktober2013dritterNationalrats-präsident.

www.parlament.gv.at/WWER/PAD_35521/

Ulrike Königsberger-LudwigIchbinseit20.Dezember2002Abgeordne-tezumNationalratundseitMai2000KulturstadträtininmeinerHeimatge-meindeAmstetten.

www.parlament.gv.at/WWER/PAD_14841/

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Stellen Sie sich bitte kurz vor! Wieso sind Sie BehindertensprecherIn geworden und wie war der Weg dorthin?

Ulrike Königsberger-Ludwig: Ich bin seit 20. Dezember 2002 Abgeordnete zum Nationalrat und seit Mai 2000 Kulturstadträtin in meiner Heimatgemeinde Amstetten. In dieser Funktion habe ich eine Reihe von kulturellen Projekten FÜR und MIT Menschen mit Behinderungen initiiert und umgesetzt und habe somit erkannt, welche Lebensfreude, Kraft und Stärken Menschen mit Behinde-rungen in sich tragen. Als Abgeordnete und zuerst Ersatzmitglied im Sozialaus-schuss habe ich dann erkannt, mit welchen Barrieren (baulichen, aber auch in den Köpfen) Menschen mit Behinderungen zu kämpfen haben. Daraus ent-stand ein reges Interesse, an Verbesserungen mitzuarbeiten und als die Funkti-on der Behindertensprecherin im Nationalratsklub frei wurde, habe ich diese sehr gerne und mit großer Freude angenommen.

Norbert Hofer: Ich bin im Jahr 2003 beim Flugsport verunglückt. Die Prognose lautete zunächst „kompletter Querschnitt“ wurde dann aber auf „Querschnitt inkomplett“ korrigiert. Als Betroffener und in der Funktion des Behindertenspre­chers vertrete ich meine Fraktion seit dem Jahr 2006 im Nationalrat. Seit Oktober 2013 bin ich außerdem dritter Nationalratspräsident.

Marcus Franz: Ich bin 51 Jahre alt, Internist und nun auch Politiker. Als Ge-sundheitssprecher und Arzt erscheint es mir logisch, den Bereich der Behin-derten mitzubetreuen. Wir im Team Stronach sehen das aber auch als ei-nen integrativ zu denkenden Bereich, für den die Sozialsprecherin und die Umweltsprecherin genauso zuständig sind. Letztendlich kann ja nur dann eine wirkliche Teilhabe von Behinderten entstehen, wenn sich alle politi-schen Segmente dafür einsetzen. Behinderung soll ja kein Ausschlussgrund für irgendetwas sein, ebenso wenig sollen sich nur spezielle Personen um diesen Bereich kümmern. Das geht alle an.

Was sind die besonderen Herausforderungen der Arbeit als BehindertensprecherIn?

U K-L: Die Herausforderungen sind vielfältig, da sie jeden Lebensbereich eines Menschen berühren – Bildung, Arbeit, Freizeit, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben usw. Eine besondere Herausforderung sehe ich im Bereich der Behinder-tenpolitik vor allem in der Überzeugungsarbeit, die es noch zu leisten gilt. Im-mer noch haben viele Menschen (zu) wenige Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung und sehen eher die Schwächen als die Stärken. Man traut Menschen mit Behinderungen zu wenig zu und will ihnen „helfen“. Ich sehe es daher als eine meiner Aufgaben, ein inklusives Gesellschaftsbild zu verbreiten und durch Aufklärung und Information Vorurteile abzubauen, die leider immer noch in unserer Gesellschaft verankert sind.

N H: Die große Herausforderung liegt in der Überzeugungsarbeit. Derzeit kämpfe ich vor allem für eine Inflationsanpassung des Pflegegeldes. In einigen Wochen wird auch mein neues Buch erscheinen, das sich mit behinderten und pflegebe­dürftigen Menschen in Österreich und deren berechtigten Anliegen beschäftigt.

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M F: Wie schon gesagt, ist unser Ansatz ein ganzheitlicher, wir wollen da keine Eingrenzung oder eine so genannte positive Diskriminierung betrei-ben. Die Sprecher für Behinderte sind bei uns in allen Sparten zu Hause. Natürlich muss man sich aber mit besonderen Fragen auseinandersetzen, etwa: Sind öffentliche Verkehrsmittel ausreichend behindertengerecht, sind die Gehsteigkanten in den Städten überall so, dass Rollstuhlfahrer gut hinüberkommen, sind die Ampelphasen auf Schutzwegen für Leute mit Gehbehinderungen lang genug, gibt es genug Lifte im öffentlichen Bereich und in den Wohnhäusern usw. Das wird bei uns immer wieder diskutiert.

Warum hinkt Österreich bei der Umsetzung der UN-Konvention für Behinderte nach?

U K-L: Die Zuständigkeiten in der Behindertenpolitik sind zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Das führt oft dazu, dass der Bund in bestimmten Bereichen (z. B. persönliche Assistenz abseits des Arbeitsplatzes) keine Kompetenz hat, um auf die Länder einzuwirken und sie zur Umsetzung der UN-Konvention an-zuhalten. Ein Ziel muss daher sein, im Bereich der Behindertenpolitik mehr Bundeskompetenz zu erhalten. Auf Bundesebene bin ich davon überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind, die UN-Konvention umzusetzen, der NAP (Nationale Aktionsplan) wurde als Strategie für die Umsetzung von 2012–2020 gemeinsam mit Behindertenorganisationen erarbeitet. Nun ist der NAP fertig und bildet eine gute Grundlage für die weitere Arbeit. Zur Umsetzung wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in der Betroffene mitarbeiten und ich bin si-cher, dass wir Schritt für Schritt die Ziele umsetzen werden. Es ist naheliegend, dass zur Zeit der Staatenprüfung 2013 noch nicht alle Maßnahmen umgesetzt werden konnten, ich bin aber auch überzeugt, dass der Staatenbericht ernstge-nommen wird und dieser im Zusammenwirken mit dem NAP wesentlich dazu beitragen wird, die UN-Konvention umzusetzen.

N H: Österreich hat hier seine Hausaufgaben nicht gemacht und es ist schwer verständlich, warum man einerseits ein Abkommen unterzeichnet und dann nicht zu seinem Wort steht.

M F: Nicht nur Wien, sondern auch Österreich ist anders. Wir sind in man-chen – oder eigentlich in vielen – Bereichen absolut nicht die „Insel der Seli-gen“. Da gibt es viel Nachholbedarf und man darf nicht lockerlassen, das einzufordern. Ein Problem ist sicher die Kompetenzzersplitterung: Gesund-heitssystem und Sozialsystem sind völlig getrennte Bereiche, da entsteht viel Unfug und vieles geht verloren.

Wie schätzen Sie das aktuelle Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik ein?

U K-L: Ich werde daran mitarbeiten, dass möglichst alles, was im Regierungs-programm verankert ist, auch umgesetzt wird. Als zentrales Anliegen sehe ich den Ausbau der persönlichen Assistenz für alle Lebensbereiche. Dies muss bun-deseinheitlich harmonisiert werden. Aber auch die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist ein wichtiges Anliegen, dessen Umsetzung ich forcieren werde. Ebenso ist der Bereich Bildung von großer Bedeutung, aber auch die Verbesserung für

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Menschen mit Behinderungen in Beschäftigungstherapien und der Abbau von Barrieren, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Die persönliche Grundla-ge für meine Arbeit im Bereich der Behindertenpolitik bildet der NAP und na-türlich auch der persönliche Kontakt mit Behindertenorganisationen, da sie für mich wichtige „Ratgeber“ sind.

N H: Diese Frage kann ich leider nicht seriös beantworten. Ich zweifle außerdem daran, dass diese Bundesregierung eine ganze Legislaturperiode hält. Die Span­nungen zwischen den Koalitionsparteien, aber auch innerhalb von SPÖ und ÖVP sind mehr als spürbar.

M F: Nicht besser und nicht schlechter als die vielen Programme davor: sehr viel Blabla, wenig Konkretes.

Was wäre im Wahlprogramm Ihrer Partei besser gewesen als im aktuellen Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik?

U K-L: Das ist schwer zu vergleichen. Das Wahlprogramm hat ja die Aufgabe, die Wähler möglichst knapp über die Haltung der Partei zu möglichst allen rele-vanten Themen zu informieren. Im Bereich der Behindertenpolitik hat sich die SPÖ vor allem an den NAP gehalten, der auch als Grundlage für das Wahlpro-gramm diente.

N H: Konkret die Inflationsanpassung beim Pflegegeld und eine jährliche Valori­sierung, ein Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz sowie eine generelle Ab­schaffung des Angehörigenregresses durch ein Verfassungsgesetz.

M F: Wir sehen Behindertenpolitik als integrativen Bereich, der in allen Sparten Berücksichtigung finden muss. Das kann man unserer Meinung nach nicht herauslösen. Wir denken das immer mit. Daher finden wir unse-re Politik insgesamt besser, für Behinderte und für alle anderen auch.

Was würden Sie sich als BehindertensprecherIn für die Zukunft der Behindertenpolitik in Österreich wünschen?

U K-L: Mehr Selbstverständlichkeit und Bewusstsein bei diesem Thema und manches Mal auch einen höheren Stellenwert.

N H: Echte Inklusion im Bildungsbereich, keine Abkehr von den Geldleistungen (derzeit wird über einen teilweisen Ersatz des Pflegegeldes durch Sachleistungen diskutiert), mehr Chancen am Arbeitsplatz durch eine Reform des Ausgleichs­taxensystems, Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz und Streichung des An­gehörigenregresses in ganz Österreich.

M F: Dass unser integrativer Ansatz die anderen Parteien positiv beeinflusst.

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Schon seit langem habe ich das große Bedürfnis, mich zu diesem mir sehr wichtigen Thema zu äußern und bin sehr dankbar, dass ich von der Redaktion die Möglichkeit erhalte, dies im Rahmen der Zeitschrift Balancer zu tun! Das Thema, um es gleich beim Namen zu nennen, ist – im weitesten Sinn – Folgendes: die maßgebliche Rolle der Frau in der Gesell-schaft. Es hat vielerlei Gründe, dass ich zu diesem Thema komme. Der erste und ursprüngliche Grund: in meinem „frü-heren Leben“ vor dem Herzstillstand führte ich ein kleines Grafikbüro, das im Laufe einiger Jahre zu einem stattlichen Mittelbetrieb heranwuchs, den wir schließlich von Grafikbüro in Werbeagentur umtauften.

Maßgeblich beteiligt am großen Erfolg, den wir hatten, war das gesamte, wunderbare Team, das – und jetzt kommt’s – nach Geschlechtern so aufgeteilt war: von neun Angestell-ten waren acht Frauen! Und das kam nicht von ungefähr. Im Laufe der Jahre beobachtete ich, dass die Frauen in meinem Team viele Vorteile in sich vereinten: sie agierten intelligenter, kreativer, sozialer und flexibler, um nur die für den Betrieb allerwichtigsten zu nennen. Die Männer im Betrieb – der eine Angestellte und die Freelancer, die gelegentlich für uns tätig waren – hatten insofern auch fast alle eine starke „feminine Seite“.

Dabei waren es wahrlich nicht nur typisch „weibliche“ Tätigkeiten, in denen meine Mitarbeiterinnen glänzten! So ist es ein wunderbares Bild, das ich immer mit Genuss vor mei-nem inneren Auge sehen werde, wie drei von ihnen im Zuge der Aufbauarbeiten vor einem großen Fest der NÖ Landesre-gierung im Burggarten der Schallaburg mit Feuereifer und größtem Enthusiasmus unermüdlich von einem Platz zum nächsten eilten, um die Hüften den Ledergurt und im Halfter den Bohrschrauber! Und es waren keine Kleinigkeiten oder einfache Kulissen, an denen sie maßgeblich mitarbeiteten.

So errichteten wir etwa ein – selbstverständlich wunderschö-nes – 50er-Jahre-Café, das während des Festes dann auch tat-sächlich in Betrieb ging.

Jetzt wieder zurück in die Gegenwart: Meine Beob-achtung der Vielseitigkeit und manchmal sogar Überlegen-heit der Frau – nennen wir sie ruhig beim Namen – mache ich auch im „neuen Leben“ immer wieder, wo ich auch hinkom-me. Zum Beispiel auch bei BALANCE. Als Erläuterung möchte ich eine kurze, tatsächlich erlebte Szene beschreiben, selbst-verständlich ohne Details, geschweige denn Namen zu nen-nen. Ich war gerade mit der Vorbereitung einer Veranstaltung beschäftigt, kam plötzlich an einen Punkt, wo ich nicht weiter konnte und suchte Rat, den ich mir bei uns im Haus zu be-kommen erhoffte. Zuerst fragte ich einen Betreuer, der mir auf meine Frage ausführlich und hingebungsvoll erzählte, was alles warum nicht geht. Ich begann gerade regelrecht zu verzweifeln, als seine Kollegin sich zu uns gesellte, das Wort ergriff und mir in wenigen Sätzen erklärte: „Jo, des mochst so und so und so ... und dazu brauchst des und des und des ... und so funktioniert des!“ Ich war sprachlos! In aller Kürze hat-te ich genau erfahren, was ich wissen wollte. Selig zog ich von dannen und später bei der Umsetzung habe ich jeden ihrer Ratschläge genauestens befolgt und damit mein Ziel optimal erreicht. Alles klar?

Mein Erklärungsversuch: Männer versuchen häufiger mit allen Mitteln so genau wie möglich zu sein und alles zu durchdenken, übertreiben es dabei aber leider manchmal und verlieren dadurch das Gefühl für das Gesamte und für einfa-che Lösungen zugunsten einer grenzenlosen Kompliziertheit! (Selbstverständlich beobachte ich das auch bei mir selbst.) Darum bitte, Ihr lieben Männer, schaut Euch etwas von den Frauen ab! Ihr könnt viiiel von ihnen lernen, wirklich!

Die Krone der Schöpfung

Die BetreuerInnen bei BALANCE und die BesucherInnen von BALANCE-Veranstaltungen verbindet eines: sie sind großteils weiblich! Auf der Suche nach einer Antwort, warum das so ist ...

Von Christian Zuckerstätter

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Impressum

Medieninhaber,Herausgeber,Verleger: Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren, 1130 Wien, Hochheimgasse 1, T 01/8048733-8105, F DW 8050E-Mail:[email protected]: www.balance.atChefredaktion: Mag. Helga HieblRedaktion: David Galko, Iris Kopera, MMag. Martin Kopper, Mag. Jürgen Plank, Cornelia Renoldner, Mag. Andrej Rubarth, Andreas Tettinger und Christian ZuckerstätterVersand: Tagesstruktur-Standort FuchsenfeldGrafischeGestaltung: Frau OberRedaktionsadresse: Zeitschrift Balancer, Hochheimgasse 1, 1130 Wien, T 01/ 804 87 33-8105, E-Mail: [email protected]: 1/4-jährlichErscheinungsort: WienOffenlegungnach§25Mediengesetz: Eigentümer: BALANCE, gemeinnütziger, überparteilicher, nicht-konfessioneller Verein.Vorstand:Obfrau: MinRat. Mag. Rotraut Kopper, Stv.: Marianne Kühtreiber, SD Edeltraut Frank-Häusler, Schriftführer: Dr. Karl Katary, Stv.: Irmtraut Vaclavik, Kassierin: Gertrud Bartsch, Stv.: DI SR Harald HaschkeWeitere Vorstandsmitglieder: Rosa Kögler, Dipl.-Vw. Herbert Kopper, Leo Neudhart, Susanne Pisek, Dir. OSR Rudolf WögererGeschäftsführung:Marion Ondricek, Mona SchuchBlattlinie: Der „Balancer“ berichtet als Fach- und Vereinszeitschrift über die Aktivitäten von BALANCE, bekennt sich zu dessen Leitbild und thematisiert besonders relevante Themen und Ereignisse, die Menschen mit Behinderungen betreffen. Der „Balancer“ folgt inhaltlich dem Bekenntnis des Art. 7 der Bundesverfassung, nach welchem es ein Grundrecht aller Menschen ist, gleichberechtigt und ohne Diskriminierung zu leben. Als Grundvoraussetzung für Integration werden Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der BALANCE-KlientInnen und Integrationsbedürfnisse und -bemühungen unterstützt. Gemäß diesem Anspruch setzt sich das Redaktionsteam des „Balancers“ zu gleichen Teilen aus KlientInnen und MitarbeiterInnen zusammen.

Veranstaltungen:

„Noteingang“ Auftritt tanzmontage.BalanceWann: Donnerstag,22.Mai.15:00

Wo: SkyDomeHilfswerkKünstlerfest

Schottenfeldgasse29

1070Wien

DM-FrauenlaufWann: Sonntag,25.Mai.ab09:00

Wo: Mit14BALANCE-LäuferInnenundWalkerInnen

Prater/Stadion

Auftritt tanzmontage.BalanceWann: 13.Juni2014

Wo: AmtshausMariahilf

Amerlingstrasse11

1060Wien

„Menschgeige“ Auftritt tanzmontage.BalanceWann: Freitag,27.Juni2014.19:00

Wo: TheaterBrett

Münzwardeingasse2

1060Wien

Sommerfest Maria PonseeWann: Freitag,8.August2014.Ab18:00

Wo: TagesstätteMaPo

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Verein BALANCE – Leben ohne BarrierenHochheimgasse 1, A-1130 WienRaiffeisen Landesbank NÖ-Wien AGKonto-Nr. 07 479 868 BLZ 32000

Nr. 58, 01/2014, Jahrgang 17Verlagspostamt 1130 WienErscheinungsort Wien

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