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38 THEMEN 1/2012 Gerhard Eggert und Andrea Fischer Gefährliche Nachbarschaft Durch Glas induzierte Metallkorrosion an Museums-Exponaten – Das GIMME-Projekt Augenfällig, aber bisher meist übersehen: Manche Metallobjekte zeigen nur da Korrosion, wo sie in Nachbarschaft zu ›krankem‹ Glas stehen. Bisher konnte diese Korrosionsform an Emaille auf Kupfer, Silber- oder Messingmontierungen von Gläsern, Glasperlen und -kugeln in Kontakt zu Drähten, drahtarmierten Glasfiguren, gefassten Glasgemmen und in Glas gerahmten Daguerreo- typien beobachtet werden. Im neuen GIMME-Projekt wird nun versucht, das Phänomen systema- tisch zu erforschen. Die Glaskorrosion und ihre Folgen Die Identifikation von Korrosionsprodukten auf Kulturgut reicht zurück bis zum Beginn der moder- nen Naturwissenschaften im ausgehenden 18. Jahr- hundert. Verblüffenderweise lassen sich trotzdem auch heute noch bisher unbekannte Verbindungen und Schadensphänomene finden. Auslöser für die Forschung an kombinierten Glas/Metallobjekten an der Stuttgarter Kunstakademie waren die Be- obachtungen an einem chinesischen Theaterhut (Abb. 1). An einer Kupferspirale traten nur da grüne Korrosionsprodukte auf, wo sie eine korro- dierende Glasperle berührte (Abb. 2). Offensicht- lich kann Glaskorrosion also Metallkorrosion indu- zieren. Historische Gläser mit hohem Anteil an Netz- werkwandlern sind empfindlich gegen Feuchtig- keit. Bis zu einem pH-Wert von 9 herrscht der 1 Korrosionserscheinungen an diesem chinesischen Theaterhut (ca. 1900, Völkerkundemuseum vPST Heidelberg) waren Auslöser für umfangreiche Forschungen. 2 An der mit roten Seidenfäden bespannten Kupferspirale des Theaterhuts zeigte sich durch Kontakt mit einer Glasperle ent- standene Korrosion. Foto: Astrid Wollmann Foto: Astrid Wollmann 1 2

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Gerhard Eggert und Andrea Fischer

Gefährliche NachbarschaftDurch Glas induzierte Metallkorrosion an Museums-Exponaten – Das GIMME-Projekt

Augenfällig, aber bisher meist übersehen: Manche Metallobjekte zeigen nur da Korrosion, wo sie in Nachbarschaft zu ›krankem‹ Glas stehen. Bisher konnte diese Korrosionsform an Emaille auf Kupfer, Silber- oder Messingmontierungen von Gläsern, Glasperlen und -kugeln in Kontakt zu Drähten, drahtarmierten Glasfiguren, gefassten Glasgemmen und in Glas gerahmten Daguerreo-typien beobachtet werden. Im neuen GIMME-Projekt wird nun versucht, das Phänomen systema-tisch zu erforschen.

Die Glaskorrosion und ihre FolgenDie Identifikation von Korrosionsprodukten auf

Kulturgut reicht zurück bis zum Beginn der moder-

nen Naturwissenschaften im ausgehenden 18. Jahr-

hundert. Verblüffenderweise lassen sich trotzdem

auch heute noch bisher unbekannte Verbindungen

und Schadensphänomene finden. Auslöser für die

Forschung an kombinierten Glas/Metallobjekten

an der Stuttgarter Kunstakademie waren die Be-

obachtungen an einem chinesischen Theaterhut

(Abb. 1). An einer Kupferspirale traten nur da

grüne Korrosionsprodukte auf, wo sie eine korro-

dierende Glasperle berührte (Abb. 2). Offensicht-

lich kann Glaskorrosion also Metallkorrosion indu-

zieren.

Historische Gläser mit hohem Anteil an Netz-

werkwandlern sind empfindlich gegen Feuchtig-

keit. Bis zu einem pH-Wert von 9 herrscht der

1Korrosionserscheinungen an diesem chinesischen Theaterhut (ca. 1900, Völkerkundemuseum vPST Heidelberg) waren Auslöser für umfangreiche Forschungen.

2An der mit roten Seidenfäden bespannten Kupferspirale des Theaterhuts zeigte sich durch Kontakt mit einer Glasperle ent-standene Korrosion.

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Ionenaustausch von an negativen Trennstellen des

Silikatnetzwerks gebundenen Alkaliionen, z. B. Na-

trium, vor:

(1) ≡SiO-Na+ + H2O → ≡SiOH + Na+ + OH-

Die alkalischen Oberflächenfilme auf korrodieren-

dem Glas stehen mit Kohlendioxid und ggf. ande-

ren sauren Gasen aus der Luft im Gleichgewicht:

(2) 2Na+ + 2OH- + CO2 → 2Na+ + 2CO32- + H2O.

Bei der Kontaktkorrosion von Glas/Metall handelt

es sich demnach um Metallkorrosion in Gegen-

wart alkalischer Alkalicarbonat-Lösungen.

Natriumkupfercarbonate Vor 2006 gab es nur wenige Erwähnungen von

entsprechenden Korrosionsprodukten. Dabei han-

delte es sich um Natriumkupfercarbonate (Eggert

2010), z. B. Chalkonatronit, Na2[Cu(CO3)2] ∙ 3H2O.

Dies wurde erstmals 1955 als Korrosionsprodukt

auf ägyptischen Bronzen aus sodahaltigem Wüs-

tenboden nachgewiesen. Inzwischen weiß man,

dass es auch bei traditionellen Restaurierungsme-

thoden (Chloridauswaschung in Natriumsesquicar-

bonatlösungen gegen Bronzekrankheit, Elektroly-

se in Natronlauge) als Neubildung auftreten kann.

Diese Genese scheidet jedoch bei zwei unter-

suchten kunsthandwerklichen Objekten aus. Bei

einem emaillierten Metallpokal (tazza) des 15. Jahr-

hunderts mit alkalireicher, kalkarmer Emaille

(3,5 % CaO) und einem mit Kupferdraht armierten

Glasfigürchen (Soda-Kali-Bleiglas, Venedig 18. Jh.?)

mit gebrochenem Arm kann das Natrium nur aus

dem Glas stammen, sie wurden nie restaurato-

risch mit natriumhaltigen Lösungen behandelt.

Chalkonatronit kann im Labor durch Zugabe einer

Kupferlösung zu einem Carbonat/Hydrogencarbo-

nat-Puffer (= Sesquicarbonat, pH 10,3) hergestellt

3Detail einer Schwarzwaldschäppel (verm. spätes 19. Jh. aus St. Georgen) des Landesmuseums Württemberg (VK 13221b). Grüne Korrosion am Bouillondraht.

4Detail einer Christbaumkugel mit Drahtverzierung (Lauscha?). Sieben Jahre nach der Reinigung war an Stellen, an denen die Drähte die Kugel berührten wieder Korrosion zu beobachten.

5Detail der Korrosion am Messin-grahmen einer mit Glas gerahmten Daguerreotypie aus Privatbesitz (ca. 1860–70).

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werden. Um das basische Natriumkupfercarbonat,

Na3[Cu2(CO3)3(OH)] ∙ 4H2O herzustellen, reicht

überraschenderweise schon die Zugabe einer rei-

nen Natronlösung (pH 8,3). Als Korrosionsprodukt

wurde diese Verbindung nur einmal auf dem

Schutzglas einer Daguerreotypie erwähnt. Mögli-

cherweise stand das Glas in Kontakt mit einem

Messingrahmen.

KupferformiateBei eigenen Untersuchungen der durch Glas indu-

zierten Metallkorrosion (Eggert et al. 2008, 2010,

2011) wurden bisher immer Formiate, die Salze

der Ameisensäure, nachgewiesen.

Natrium-Kupfer-Formiat-Acetat (Socoformacit,

NaCu(HCOO)1+X(CH3COO)2–X) auf Bronzen (ohne

Kontakt zu Glas) wurde 2002 von Trentelman et al.

als erst im Museum aufgetretenes Korrosionspro-

dukt beschrieben. Emissionen aus Holz, das Amei-

sen- und Essigsäure estergebunden in den Hemicel-

lulosen enthält, könnten die Quelle der Anionen sein.

Wir konnten diese Verbindung erstmals auf ei-

nem barocken hölzernen Spielkasten mit Emaille

auf Silber und dem in einem Holzschrank aufbe-

wahrten chinesischen Theaterhut nachweisen

(Eggert et al. 2008). Das Natrium kann hier nur aus

der Glaskorrosion stammen. Inzwischen gelangen

weitere Identifikationen von Socoformacit auf Li-

mousiner Emaille, Schwarzwald-Schäppeln mit

Glasperlen (Abb. 3), einer Christbaumkugel mit

Metalldrahtverzierung (Abb. 4), dem Messingrah-

men einer Daguerreotypie (Abb. 5) und einem ge-

fassten Glascabochon auf dem Buchdeckel

(13. Jh.) des Quedlinburger Otto-Adelheid-Evange-

liars (Eggert et al. 2010). Besonders eindrucksvoll

waren die Ausblühungen von Socoformacit aus den

Brüchen eines drahtarmierten Armes einer Hand-

stein-Glasfigur des 16. Jahrhunderts. (Abb. 6 und 7)

Als bei Bronze-Patinierungsexperimenten mit

Ameisensäure und Ammoniak mit bloßem Auge

sichtbare Kristalle von basischem Kupferformiat

auftraten, konnte dessen Formel, Cu2(OH)3HCOO,

und die Kristallstruktur aufgeklärt werden. Daraus

ergaben sich Daten für die Röntgenbeugungsana-

lyse (XRD), die die Identifizierung dieses Kupfertri-

hydroxidformiats (Eggert et al. 2011) an einigen

bereits analysierten Objekten erlaubten.Diese

Messungen waren bislang nämlich nicht auswert-

bar, da es noch keine »Karteikarte« in der Refe-

renzdatenbank gab: im Kontaktbereich einer sil-

bermontierten Glasflöte, einer barocken silberge-

fassten Rubinglasdose (Abb. 8) und einem email-

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6Bei einer drahtarmierten Glasfigur auf einem Handstein des späten 16. Jahrhunderts im KHM Wien (KK 4144) zeigte der Bruch im Arm Ausblühungen. Die Sammlung wurde lange in Holzschränken aufbewahrt.

7Detail aus Abb. 6, Arm mit Soco-formacit-Ausblühungen.

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(3) 2H2CO + NaOH → CH3OH + NaHCOO

Eine weitere, besonders früher relevante Quelle

könnte das bei der Werkstoffkorrosion bisher ver-

nachlässigte Kohlenmonoxid darstellen. In Räu-

men mit Feuerung (Holz- oder Kohleöfen, Tabak-

rauch etc.) finden sich bis zu 40 ppm CO. Das sind

rund zwei Größenordnungen mehr als die Emission

von Ameisensäure in Eichenschränken. Kohlen-

monoxid bildet zwar mit Wasser keine Ameisen-

säure, in alkalischem Milieu reagiert es jedoch bei

der modernen Synthese von Natriumformiat unter

hohem Druck und Temperatur mit Natronlauge:

(4) NaOH + CO → NaHCOO

Vielleicht können sich über lange Zeiträume daher

Formiate auch bei niedrigen Konzentrationen und

Raumtemperatur bilden. Entsprechende Demons-

trationsversuche mit Modellgläsern des Fraunho-

fer-Instituts für Silikatforschung (ISC, Außenstelle

Bronnbach) im Materialkundlichen Labor des

Deutschen Bergbau-Museums Bochum sind im

Rahmen des GIMME-Projekts vorgesehen.

Eine weitere Erklärung für Formiat an Silber

könnte auch die frühere Verwendung von Amei-

lierten Kupferbeschlag (Abb. 9). Inzwischen

konnte diese Verbindung auch an zwei Fassungen

von Glassteinen des Hildesheimer St. Godehard-

schreins (Abb. 10) gefunden werden. Sie wird nur

bei einem basischen pH-Wert über 8 gebildet, wie

er als Folge der Glaskorrosion auftreten kann.

Warum Formiate?Das häufige Auftreten von Formiaten kann nicht

nur durch Holz, sondern auch direkt durch Formal-

dehyd bedingt sein. Dies kann aus vielerlei Quel-

len (z. B. Spanplatten, Bauschäume, Teppichbö-

den) in die Innenraumluft gelangen. Formaldehyd,

H2CO, kann ohne die sonst notwendige Oxidation

zu Ameisensäure im basischen Milieu direkt zu

Formiaten reagieren (Cannizzaro-Reaktion):

§ Eggert, G. 2010. Corroding glass, corroding metals: survey of joint metal/glass corrosion products on historic objects, Corrosion Engi-neering, Science and Technology 45(5), 414–419.

§ Eggert, G., Wollmann, A., Schwahn, B., Hustedt-Martens, E., Barbier, B. und Euler, H. 2008.When glass and metal corrode together. In: J. Bridgland (Ed.), 15th ICOM-CC Triennial Con-ference New Delhi, Preprints Vol. 1, 211–216. New Delhi: Allied Publishers.

§ Eggert, G., Bührer, A., Barbier, B. und Euler, H. 2010. When glass and metal corrode together, II: A Black Forest Schäppel and further occu-rences of socoformacite. In: H. Roemich (Ed.), Glass and Ceramics Conservation 2010, 174–180. Corning (NY): Corning Museum of Glass.

§ Eggert, G., Haseloff, S., Euler, H., und Barbier, B. 2011. When glass and metal corrode togeth-er, III: The formation of dicoppertrihydroxyfor-mate. In: J. Bridgland (Ed.), 16th ICOM-CC Triennial Conference Lisbon. Preprints CD.

§ Kutzke, H., Heym, S. und Schönemann, A. 2009. Die Verwendung der seltenen Bleiverbindung Natriumbleihydroxidcarbonat, NaPb2(OH)(CO3)2, als Pigment auf einem Eisengitter in der Pfarr-kirche St. Martin, Oberwesel (Rheinland). metalla Sonderheft 2, 252–253.

§ Stambolov, T., Bleck, R.-D. und Eichelmann, N. 1988. Korrosion und Konservierung von Kunst- und Kulturgut aus Metall II. Restaurierung und Museumstechnik 9. Weimar: Museum für Ur- und Frühgeschichte.

§ von Kerssenbrock-Krosigk. D. 2001. Rubinglas des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhun-derts. Mainz: von Zabern.

§ Zinnkann, H. 2004. Email – 12.–17. Jahrhundert. Frankfurt: Museum für Angewandte Kunst.

Weiterführende Literatur

8Deckel einer Silberdose mit facet-tierter, ›glaskranker‹ Rubinglasein-lage (Grünes Gewölbe IV169; v. Kerssenbrock-Krosigk 2001, Nr. 371), die bereits im Inventar von 1725 als »schadhafft« beschrieben wurde. Grüne Korrosion im Kon-taktbereich zum kupferhaltigen, vergoldeten Silber.

9Türkise (Socoformacit) und grüne (bas. Kupferformiat) Korrosion an der Grenze zwischen dunklem Emaille und Kupfer auf dem Mat-thäus-Beschlag im MAK Frankfurt (Inv.-Nr. 6341, Limoges, Anfang 14. Jh.; Zinnkann 2004, Nr. 14).

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sensäure-haltigen Tauchbädern zur Silberreinigung

sein. So führen Stambolov et al. (1988: 43) ein Re-

zept mit Thioharnstoff, Netzmittel und Ameisen-

säure an. Aus Spalten zwischen Glas und Metall

kann die Ameisensäure schlecht abdampfen und

daher länger einwirken. Hier können ggf. die Res-

taurierungsdokumentationen weitere Hinweise

geben.

Welche Verbindungen können noch auftreten?Außer Natrium können historische Gläser auch an-

dere Netzwerkwandler wie Kalium, Calcium und

Magnesium enthalten. Diese können ebenfalls im

Laufe der Glaskorrosion durch Ionenaustausch als

Kationen aus dem Netzwerk freigesetzt werden.

Schließlich enthält die Luft auch andere saure Ga-

se wie die »klassischen« Luftschadstoffe Schwe-

fel- bzw. Stickoxid, die zu den entsprechenden An-

ionen Sulfat bzw. Nitrat führen können. So sind

aus der atmosphärischen Korrosion historischer

Gläser auch Verbindungen mit anderen Ionen be-

kannt, z. B. Gips, CaSO4 ∙ 2H2O, und Syngenit,

K2Ca(SO4)2 ∙ H2O. Eine entsprechende Vielfalt (Ta-

belle 1) kann man auch bei der Kontaktkorrosion

mit Kupferlegierungen erwarten. So ergaben Mes-

sungen mit energiedispersiver Röntgenspektroko-

pie im Rasterelektronenmikroskop (SEM-EDX),

dass das kristalline, aber bisher unbekannte Korro-

sionsprodukt an der Montierung aus vergoldetem

Silber des Kupferrubinpokals (Abb. 11 und 12) des

Grünen Gewölbes Kalium enthält. Solche Rubin-

gläser werden tatsächlich mit Pottasche (Kalium-

carbonat) statt Soda als Flussmittel hergestellt

(siehe Tabelle 1).

Und natürlich muss sich die Glas-induzierte Me-

tallkorrosion nicht auf Kupferlegierungen be-

schränken. Von den klassischen sieben Metallen

der Antike und des Mittelalters wird man zwar bei

den recht edlen Metallen Gold, Silber und Queck-

silber keine besonderen Korrosionsprodukte er-

warten. Und Eisen und Zinn korrodieren an der

Luft sowohl in neutraler als auch in alkalischer Um-

gebung zu stabilen Oxiden und Hydroxiden. Bleibt

noch Blei: Das bildet in Sodalösungen höheren Ge-

halts nicht – wie zu erwarten – basisches Bleikar-

bonat (Bleiweiß, Pb3(OH)2(CO3)2), sondern die nat-

riumhaltige Verbindung NaPb2(OH)(CO3)2, wie in

einem Demonstrationsversuch gezeigt werden

konnte. Dieses basische Natriumbleicarbonat wur-

de übrigens bereits als Pigment nachgewiesen

(Kutzke et al. 2009). Wahrscheinlich stammt es

aus dem fehlgeleiteten Versuch eines Chemikers,

Bleiweiß durch Fällung eines löslichen Bleisalzes

mit Sodalösung herzustellen. Als Korrosionspro-

dukt könnte es etwa in Spalten verbleiter Glas-

fenster oder an mittels geschmolzenem Blei her-

gestellten Glasspiegeln oder -kugeln auftreten.

Entsprechende Proben sollen daher im GIMME-

Projekt untersucht werden. Neben den bisher

hauptsächlich verwendeten Röntgenbeugungs-

messungen (XRD) an Pulverproben, die nur für

bekannte Verbindungen Identifizierungen liefern

können, soll nun auch verstärkt die SEM-EDX

zur semiquantitativen Erfassung der schwereren

Elemente und die Raman-Mikroskopie zur Identifi-

zierung von Anionen eingesetzt werden.

PräventionStrategien zur Vermeidung von Glas- und Metall-

korrosion müssen an den Ursachen der Korrosion

ansetzen. Erkannte Schadstoffquellen, die z. B. Al-

dehyde oder organische Säuren abgeben, sind

nach Möglichkeit zu entfernen, wenn sie nicht Teil

des Objektes sind. Bei empfindlichen Gläsern und

Metallen stellt insbesondere die Aufbewahrung in

Vitrinen oder Schränken aus Holz eine große Ge-

fahr dar.

Quelle Agenzien Kationen Anionen

Kupferlegierung Cu2+ (Cu+)

GlasNa+ K+

(Ca2+) (Mg2+)OH- (O2-)

Holz, Klebstoff, Tauchbäder …

H2CO, HCOOHCH3COOH

(H+)HCOO-

CH3COO-

LuftO2, H2O, CO2

SO2, NOx

CO

CO32-

(SO42-) (NO3

-)HCOO-?

( ) = Bisher (noch) nicht nachgewiesen

Tab. 1

10Grünes basisches Kupferformiat und weißes Calciumformiat als Korrosionsprodukt auf einer silber-gefassten Glasgemme des St. Godehardschreins in Hildesheim.

Tabelle 1Mögliche Ionen und ihre Quellen in Glas/Kupferkorrosionsprodukten.

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Ist der Kontakt zwischen Glas und Metall nur lo-

se, wie bei den Glasperlen auf Drähten, kann zum

Schutz eine Trennschicht aufgebracht werden.

Paraloid® B72 hat sich auf beiden Materialien be-

währt. Der Glas- und Metallkorrosion kann auch

durch trockenere Umgebungsbedingungen entge-

gengewirkt werden. Wegen der Gefahr der Krake-

lee-Bildung in den durch Glasabbau entstandenen

Gelschichten sollten allerdings 35 % rel. Luft-

feuchtigkeit nicht unterschritten werden. In Mo-

dellversuchen soll im GIMME-Projekt geprüft wer-

den, ob die Anwesenheit bestimmter Korrosions-

produkte die Weiterkorrosion noch beschleunigt.

Dann wäre es ratsam, die Ausblühungen mög-

lichst sofort zu entfernen.

Das GIMME-ProjektDie Korrosionsforschung an historischen Objekten

ist Voraussetzung für eine gezielte Prävention.

Korrosionsprodukte stellen in gewissem Sinne ein

Dosimeter für Langzeit-Aufbewahrungsbedingun-

gen dar und sind daher für die Konservierungsfor-

schung von großem Wert. Bisher konnten nur ein-

zelne Fälle Glas induzierter Metallkorrosion doku-

mentiert werden. Im GIMME-Projekt sollen daher

ganze Sammlungen systematisch durchmustert

und ggf. beprobt werden, um einen besseren Ein-

druck von der Verbreitung des Phänomens zu be-

kommen. Durch Analysen sollen die auftretenden

Verbindungen und Schadstoffquellen sowie deren

weitere Auswirkungen auf das Objekt erfasst wer-

den. Unser Ziel ist es, Konservierungs- und Aufbe-

wahrungsstrategien zu entwickeln, damit Schäden

durch Glas-induzierte Metallkorrosion in Zukunft

vermieden werden können.

Das GIMME-Projekt startet am 1. April 2012 und

wird von der Friede Springer Stiftung gefördert.

Die Beteiligung von Restauratoren durch Hinwei-

se auf betroffene Objekte, Beobachtungen und

Proben in den von ihnen betreuten Sammlungen

ist dabei essentiell und uns hochwillkommen:

Bitte helfen Sie uns!

DanksagungDie Röntgenbeugungsmessungen und die Kristall-

strukturanalyse verdanken wir Harald Euler und

Bruno Barbier (Mineralogie Bonn), Stefanie Ha-

seloff (Anorganische Chemie Freiburg) züchtete

den Einkristall. Anna Schönemann (Akademie

Stuttgart) führte uns in die Raman-Mikroskopie

ein. Zahlreiche Kollegen und Studierende hielten

für uns die Augen nach Probenmaterial offen. Oh-

ne all ihre Hinweise wäre die Erforschung seltener

Korrosionsprodukte und Schadensphänomene

nicht möglich.

Das Projekt wird gefördert von der

Dangerous VicinityGlass-induced Metal Corrosion on Museum Exhibits – The GIMME Project

Many historic glasses are unstable due to their fluxing-agent content. Alkaline surface films

formed by humidity may attack neighbouring copper alloys (including silver) as was discov-

ered only recently. So far, two different copper formates have been identified as corrosion

products in Stuttgart. The GIMME research project will investigate how common this phe-

nomenon is and what other compounds occur. Successful preventive conservation requires

the identification of the sources of the pollutants. Is it always formic acid emitted by wood?

Keywords: Formic acid, formaldehyde, glass corrosion, copper formate, preventive conser-

vation, socoformacite.

Abstract

Zu den Autoren

Andrea Fischer

studierte nach Abitur, Tischler-

lehre und Vorpraktikum Restau-

rierung in Stuttgart. In ihrem Dip-

lom 1994 befasste sie sich mit

»Resten von organischen Mate-

rialien an Bodenfunden aus Me-

tall«. Seitdem leitet sie die Res-

taurierungswerkstatt für archäo-

logische, ethnologische und

kunsthandwerkliche Objekte der

Akademie. Ab Frühjahr 2012

wird sie die Forschungsarbeiten

im GIMME-Projekt übernehmen.

Kontakt: Andrea Fischer, Staatliche Akademie der Bil-denden Künste, Am Weißen-hof 1, 70191 Stuttgart, [email protected]

Gerhard Eggert

forscht über Herstellung, Korro-

sion und Konservierung anorga-

nischer Artefakte.

Der promovierte Chemiker leite-

te von 1985-1998 die Restaurie-

rungsabteilung des Rheinischen

Landesmuseums Bonn. Seitdem

lehrt er als Professor für Restau-

rierung in Stuttgart und leitet den

Studiengang »Konservierung

und Restaurierung von archäolo-

gischen, ethnologischen und

kunsthandwerklichen Objekten«.

Kontakt: Prof. Dr. Gerhard Eg-gert, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Am Wei-ßenhof 1, 70191 Stuttgart, [email protected]

11Gerippter Kupferrubinkelch mit geschnittenem Schaft des Grünen Gewölbes (IV 227; siehe v. Kerssen-brock-Krosigk 2001, Nr. 65).

12Detail aus Abb. 11, Korrosion an der Silbermontur des geschnit tenen Schafts.

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