Themen, Trends und Technologien für Entscheidungsträger in ... · mit dem Ministerium für...

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Digitalisierung der Industrie Kreislauf der Daten Digitalisierte Informatio- nen beschleunigen den industriellen Fortschritt – an allen Punkten entlang der Wertschöpfungskette. Big Data Wie innovative IT-Werk- zeuge und hoch qualifi- zierte Spezialisten Daten- berge für die Industrie nutzbar machen. Wettlauf um Ideen Das Prinzip der Open Innovation per Internet setzt auf den Einfallsreich- tum der Massen – auch im B2B-Bereich. Industry Journal Themen, Trends und Technologien für Entscheidungsträger in der Industrie 01 | 2014 | siemens.de/industry

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Änderungen vorbehaltenArtikel-Nr.: E20001-A210-S100Dispostelle 06330Gedruckt in Deutschland© Siemens AG 2014

Siemens AGSektor IndustryCommunicationsWerner-von-Siemens-Str. 5091052 Erlangen DEUTSCHLAND

Die Informationen in diesem Magazin enthalten lediglich allgemeine Beschreibungen bzw. Leistungsmerkmale, welche im konkreten Anwendungsfall nicht immer in der beschriebenen Form zutreffen bzw. welche sich durch Weiterentwicklung der Produkte ändern können. Die gewünschten Leistungsmerkmale sind nur dann verbindlich, wenn sie bei Vertragsschluss ausdrücklich vereinbart werden.

Alle Erzeugnisbezeichnungen können Marken oder Erzeugnisnamen der Siemens AG oder anderer, zuliefernder Unternehmen sein, deren Benutzung durch Dritte für deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann.

Digitalisierung der Industrie

Kreislauf der DatenDigitalisierte Informatio-nen beschleunigen den industriellen Fortschritt – an allen Punkten entlang der Wertschöpfungs kette.

Big DataWie innovative IT-Werk-zeuge und hoch qualifi-zierte Spezialisten Daten-berge für die Industrie nutzbar machen.

Wettlauf um IdeenDas Prinzip der Open Innovation per Inter net setzt auf den Einfallsreich-tum der Massen – auch im B2B-Bereich.

Industry Journal Themen, Trends und Technologien für Entscheidungsträger in der Industrie

01 | 2014 | siemens.de/industry

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Industry Journal | 01 | 201402

Siegfried Russwurm, CEO Siemens Industry

Editorial

Es entsteht eine völlig neue Art der Produktion in kom­plexen Netzwerken.«

»

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

schätzungsweise sechs Zettabyte Daten wird die Menschheit in diesem Jahr produzieren. Das sind sechs Billionen Gigabyte oder, in Byte, eine Sechs mit 21 Nullen. Experten prognos tizieren, dass sich das Daten­aufkommen alle zwei Jahre weiter verdoppelt. Und die Zahl der drahtlos kommunizierenden Endgeräte wird sich im Jahr 2020 innerhalb von nur acht Jahren auf fünf Milliarden verfünffacht haben.

Ein großer Teil dieses Zuwachses entfällt auf die zunehmende Digi­talisierung der Industrie: Maschinen und Werkstücke werden immer häu­figer mit Sensoren bestückt und kommunizieren miteinander. Hinzu kommen Daten aus Marktforschung und Marketing, aus Social­Media­Kanälen und Wettbewerbs analysen, von Kunden undZulieferern. All das fließt bei Unternehmen zusammen und wird in Echtzeit ausgewertet – im Bemühen, daraus Maßnahmen zur Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit abzuleiten.

Genau das gelingt der Industrie Woche um Woche besser: Sowohl in der Prozess­ als auch in der

Fertigungs industrie wachsen die Produktions schritte entlang der Wertschöpfungs kette zusammen – verbunden durch Softwarelösungen und immer leistungsfähigere Hard­ware. So entspricht heute die Rechenleistung eines Smartphones der eines Großrechners um die Jahr­tausendwende. Aus den einst line­aren und sequenziellen Prozessen entwickeln sich völlig neue Arten der Produktion in komplexen Netzwerken.

Vor Jahrzehnten war der Wertschöp­fungsanteil von Software an einem fertigen Produkt noch zu vernach­lässigen. Heute macht er vielfach bereits den Großteil seines Werts aus – mit zunehmender Tendenz.

Diese Ausgabe des »Industry Journal« widmet sich der Digitalisierung der Industrie und vermittelt einen Eindruck davon, was dieser Trend in der Praxis bedeutet.

Ich wünsche Ihnen eine gewinn­bringende Lektüre, sei es unserer Printausgabe oder der neuen App. Ihr Siegfried Russwurm

03Industry Journal | 01 | 2014

Digitalisierung der Industrie10 Der digitale Kreislauf

Mehr Effizienz dank Daten: Moderne IT hält Einzug an allen Punkten der Wertschöpfungskette – von der Produktentwicklung über den Service bis zur Logistik. Der Datenfluss treibt den Fortschritt.

18 Hightech-Förderung für Mittelstand Mit 1,2 Milliarden Euro fördert das EU­Programm »Factories of the Future« den Einsatz neuester T echnologien in kleinen und mittleren Unternehmen. 80 Projekte laufen schon.

20 Aus Big Data wird Smart Data Mit innovativen IT­Werkzeugen und Spezialisten für Datenanalysen wollen Unternehmen aus wachsenden Datenbergen Informationen machen und Maßnahmen ableiten.

24 Weltsprache der Produktion In der Fabrik der Zukunft kommunizieren Anlagen, Produkte und Maschinen direkt miteinander. Die reibungslose Verständigung erfordert internatio­nale Datenstandards.

26 Der Mensch – nicht ganz perfekt Experten für »Human Factor Engineering« suchen nach möglichen Quellen für menschliche Fehler – und reduzieren diese mit psychologischen Erkennt­nissen und IT­Unterstützung.

32 Vom Diener zum Kollegen In der Industrie arbeiten mobile Industrie roboter Seite an Seite mit Menschen. Das Potenzial für Produktivitätsverbesserungen ist groß.

38 Vorbildliche Produktionsstätten Das hochmoderne Elektronikwerk Amberg und die Siemens Electronic Works Chengdu in China sind hochmoderne digitalisierte Fertigungsanlagen mit Vorzeigecharakter.

42 Daten werden Informationen Mit Data­Driven Services hilft Siemens seinen Industriekunden, ihre Produktivität zu steigern. Die Basis dafür liefert die Auswertung von Produktions daten – und ermöglicht zum Beispiel einen geringeren Energieverbrauch.

Industry Journal | 01 | 201404

Märkte

Innovation

Im Fokus

Management

02 Editorial

06 Big Picture

08 Spotlights

82 Zum Weiterlesen

84 Impressum

54 Martina Gerken Die Kieler Professorin für Inte­ grierte Systeme und Photonik revolutioniert die Messtechnik.

66 Matternet Das US­Unternehmen ist Vorreiter

in der Drohnentechnologie und entwickelt völlig neue Logistik­systeme.

44 Präzisionsspiegel XXL Das deutsche Unternehmen OptoTech hat ein Spezialgerät entwickelt, um riesige Spiegel für Weltraumteleskope zu produzieren.

48 Mit nachwachsenden Rohstoffen auf Expansionskurs Der finnische Papier­ und Verpackungskonzern Stora Enso setzt auf neue Geschäftsfelder und konsequente Globalisierung.

50 Länderreport Niederlande Das Partnerland der Hannover Messe 2014 hat weniger Einwohner als viele Metropolen, ist aber sechstgrößte Volkswirtschaft der Eurozone.

72 Wettlauf um fremde Ideen Immer mehr Unternehmen setzen auf Open Innovation und suchen nach Unterstützung in der anonymen Masse – mit guten Ergebnissen.

76 »Eine richtig schnelle Maschine« Volker Lindenstruth, Professor für Hochleistungsrechner­Architektur, baut den energieeffizienten Supercomputer »Green Cube«.

80 Luftnummer Der neue Werkstoff Aerographit ist fast so leicht wie Luft, extrem stabil und dennoch elastisch. Das eröffnet viele potenzielle Einsatzgebiete.

58 Strategien für Auswärtsspiele Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, wie multinationale Unternehmen in Schwellenländern mehr Erfolg haben können.

62 »Respekt ist wichtiger als Harmonie.« Interview mit dem Stardirigenten Christian Gansch über Orchester und Unternehmen – und was die Wirtschaft von Musikern lernen kann.

Inhalt

05Industry Journal | 01 | 2014

Luxus in Rekordzeit

Mit einer Länge von über 180 Metern ist die Azzam die derzeit größte private Motoryacht der Welt. 2013 wurde das Schiff mit 94.000 PS und einer Spitzen­geschwindigkeit von mehr als 30 Knoten (56 Stundenkilometer) von der Bremer Lürssen Werft an den Eigner übergeben. Die technische Entwicklung dauerte nur ein Jahr, gefolgt von einer dreijährigen Bauphase – für eine Yacht dieser Komplexität ein Rekord.

Bei individuell gefertigten Luxusyachten dieser Größenordnung vergehen von der ersten Idee bis zur Auslieferung in der Regel sechs bis sieben Jahre. Durch integriertes Arbeiten – vom Design bis zur Schulung der Crew – gelingt es Lürssen, die Dauer für Engineering, Produktion und Inbetriebnahme deutlich zu verkürzen, die Effizienz und die Qualität zu steigern und somit die Kunden­zufriedenheit zu erhöhen.

Dafür nutzt die deutsche Traditionswerft PLM Software von Siemens, nämlich die CAD/CAM­Software NX und die PLM­Plattform Teamcenter. Lürssen plant, damit künftig die Zusammenarbeit mit Zulieferern weiter zu optimieren und 3D­Modelle auch auf mobilen Endgeräten zugänglich zu machen – nicht nur für Werftmitarbeiter, sondern auch für den Schiffsbetrieb.

Big Picture

Industry Journal | 01 | 201406

07Industry Journal | 01 | 2014

Spotlights

Jedes Jahr zeichnet Siemens seine zwölf innovativsten Erfinder aus. Zu den »Erfindern des Jahres« zählt 2013 etwa Alexander Fleischanderl (4. v. r.) von Siemens VAI Metals Technologies in Linz (Österreich): Der Chemiker hat ein Verfahren entwickelt, das bei der Stahlerzeugung schädliche Emissionen bei der Herstellung von hochofenfähigem Sinter um mehr als 90 Prozent reduziert. »Umweltfreundli­che Lösungen voranzutreiben ist mein berufliches Steckenpferd«, sagt Fleisch­anderl, der zahlreiche Patente hält.

Geehrt wurde auch Elena Reggio aus dem italienischen Genua. Die Computerwissen schaftlerin hat ein Programm zur Optimierung der

Produktionsplanung geschrieben. Dieses Programm wird in den Auto­matisierungssystemen von Siemens eingesetzt. »Es ist nicht an eine bestimmte Produktionsart gebunden, sondern kann überall verwendet werden, wo Maschinen etwas herstellen«, sagt Reggio.

Der Deutsche René Graf (6. v. r.) erhielt die Auszeichnung für ein Pro­gramm, mit dem energiesparende Multicore­Prozessoren künftig auch für zeitkritische Aufgaben in der Auto­matisierung genutzt werden können. »Wir haben eine Pilotanlage mit mei­nem Verfahren in Betrieb genommen und können beweisen, dass es funk­tioniert«, sagt der Physiker.

Ausgezeichnete Erfinder

Virtuelle Inbetriebnahme

Um Produktionsanlagen in Betrieb zu nehmen, müssen ihre Funktionen vorher umfangreich getestet werden. Eine Simulationsumgebung, in der sich das Anlageverhalten mit vereinfach­ten Prozessmodellen virtuell abbilden lässt, spart dabei Zeit und Kosten. Unterstützt von Siemens und dem Soft­warepartner M + W testet der Chemie­konzern BASF die so genannte virtuelle Inbetriebnahme erstmals in einem Pilotprojekt am Standort Ludwigshafen. Eines der zentralen Ziele lautet, die Zeiten für reale Inbetriebnahmen signi­fikant zu verkürzen. »Mit der virtuellen Inbetriebnahme erhoffen wir uns einen frühen Start­up der Anlage, um so Pro­duktivität und Return­on­Investment zu steigern«, sagt Michael Krauß, Automatisierungsexperte bei BASF. »Dazu müssen wir bereits während des Engineerings eine hohe Qualität der Automatisierung erreichen.« Mit Simit, Comos und Simatic PCS 7 bietet Siemens ein komplettes Portfolio für Anlagenplanung, Leitsystem­Enginee­ring und Simulation in der Prozess­industrie und damit eine ideale Basis für integriertes Engineering.

Im Rahmen eines Trainingsvertrags mit dem Ministerium für Industrie und Bildung des indischen Bundes­staats Gujarat wird Siemens univer­sitäre Ausbilder schulen. An fünf Ausbildungszentren renommierter Universitäten des Landes werden die Ausbilder ihr Wissen über Industrie­maschinen und ­software an ange­

Ausbildung für indische Ingenieure

hende Ingenieure für die Branchen Automobilbau, Industrieautomatisie­rung, Luftfahrt und Schiffbau weiter­geben. Außerdem liefert Siemens das Trainingsequipment für die Einrich­tungen. Mit einem Anteil von rund 20 Prozent an den indischen Exporten zählt Gujarat zu den Treibern des indi­schen Wirtschaftswachstums.

Die aktuelle Version des Simulation Framework Simit bietet neue Funktionen.

Ausbildungszentren erhalten jetzt Zugang zu Software und Automatisierungslösungen.

Vorstandsmitglied und CTO Klaus Helmrich (vorne Mitte) ehrt die Erfinder des Jahres.

Industry Journal | 01 | 201408

Europäische Nachwuchsingenieure möchten am liebsten bei Siemens arbeiten: Beim Arbeitgeber­Ranking der Personalberatung Universum Glo­bal landete der deutsche Technologie­konzern 2013 auf Platz eins – vor welt­weit beliebten Marken wie BMW, IBM, Google oder Microsoft. Universum hatte mehr als 100.000 Studenten aus zehn europäischen Ländern nach ihren Wunscharbeitgebern befragt.

Mit Top­Unternehmen wie Siemens verbinden angehende Ingenieure

Top-Arbeitgeber für Ingenieure

vor allem Attribute wie innovatives und progressives Arbeitsumfeld, gute Aufstiegs­ und Weiterbildungsmög­lichkeiten, internationale Ausrichtung sowie Stabilität und Sicherheit. »Das Ranking zeigt, dass Europas hoch­qualifizierte Nachwuchskräfte bei großen internationalen Unterneh­men mit bekannten Marken arbeiten wollen«, sagt João Araujo, Global Marketing Manager bei Universum. Auch beim weltweiten Universum­Ranking landete Siemens 2013 erneut unter den Top 10.

Sportliche Entwicklungszeiten Campagnolo zählt zu den weltweit führenden Herstellern hochwertiger Fahrradkomponenten wie Schalt­gruppen, Bremsen oder Laufräder. Um seine Entwicklungs­ und Produk­tionsvorlaufzeiten zu reduzieren, hat das Unternehmen seinen gesamten Produktentwicklungsprozess digitali­siert und die Markteinführungszeiten für neue Produkte so um ein ganzes Jahr verkürzt.

Zum Einsatz kommen dabei die Softwarelösungen NX und Team­center von Siemens. Mit der PLM Software Teamcenter hat sich das exportstarke Unternehmen beispielsweise für die stetig zuneh­menden Volumina an Projektdaten samt der dazugehörigen Ände­rungen gerüstet. Sämtliche Daten einschließlich der Genehmigungs­workflows werden jetzt elektronisch verwaltet und sind für alle beteilig­ten Mitarbeiter standortübergreifend jederzeit zugänglich. Am Ende des Entwicklungsprozesses werden sie der Produktion als PDF­Datei über­geben. »Mit Teamcenter haben sich die Arbeitszeiten für kurzfris­tige Änderungen und Korrekturen halbiert«, sagt Stefano Garbin, Leiter Computing Technology bei Campag­nolo am Stammsitz Vicenza.

Junge Ingenieure schätzen das innovative Arbeitsumfeld bei Siemens.

Induktionsöfen bestehen aus einem Schmelztiegel mit umlaufender Spule.

Qualitätsstahl aus Indien Rund ein Fünftel der indischen Stahlproduktion ist so genann­ter Elektrostahl und stammt aus Induktionsöfen. Mit solchen Öfen lassen sich auch kleinere Stahl werke wirtschaftlich betreiben. Diese Stahlwerke verarbeiten vor allem Eisenschrott und Eisenschwamm. Der Nachteil: Wegen der schwan­kenden Qualität der Ausgangsstoffe enthält dieser Stahl hohe Anteile an Phosphor, was ihn spröde macht. In Hochöfen hingegen wird der Phosphor durch Kalk gebunden und über die Schlacke abgeführt – eine

Methode, die in Induktionsöfen nicht funktioniert.

Siemens hat nun ein Verfahren für Induktionsöfen entwickelt, bei dem in einem weiteren Bearbeitungs­schritt eine Entphosphorung erfolgt. Eine erste Anlage wird 2014 bei dem indischen Stahlproduzenten Vandana Global in Betrieb gehen. Mit dem neuen Verfahren können Indiens Stahlkocher verschärfte gesetzliche Qualitätsvorgaben einhalten und sich den Markt für höherwertigen Stahl erschließen.

09Industry Journal | 01 | 2014

Forschung und Entwicklung, Produktent­wicklung, Produktionsplanung und Enginee­ring, Produktionsausführung und Services – alles wächst zusammen. Weltweit und in großer Geschwindigkeit. Möglich machen das große Fortschritte in Industriesoftware und industrieller IT.

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

Der digitale Kreislauf

Industry Journal | 01 | 201410

Erst ist es nur ein kleiner Punkt auf der Landkarte, dann das Luftbild einer Fabrik in den USA – und Sekunden später steht man mitten in der Pro­duktion: Mit der Siemens­Software IntoSite können Manager jede ange­bundene Fertigungsstätte weltweit ansteuern und sich die Prozesse im Detail ansehen – virtuell. Fabriken, Maschinen und Mitarbeiter sind Teile eines dreidimensionalen digitalen Modells der Produktionsstätte. Ein Mausklick liefert dem Besucher dieser virtuellen Welt beispielsweise Infor­mationen über einzelne Maschinen oder Fertigungspläne. Er kann sich sogar eine Simulation einzelner Pro­duktionsschritte ansehen und Avatare bei ihren Handgriffen beobachten.

IntoSite beruht auf der weit verbrei­teten Google­Earth­Technologie, mit der Internet­Nutzer virtuelle Reisen um den Globus unternehmen. Die Software liefert nicht nur ein Bild aus der laufenden Produktion – mit ihr können Ingenieure auch Fabriken inspizieren, die noch gar nicht exis­tieren. Mitarbeiter aus unterschied­lichen Abteilungen und an weit auseinander liegenden Standorten bekommen mit ihrer Hilfe Zugriff auf einen gemeinsamen Bestand von Daten, beispielsweise Pläne oder Berichte.

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Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

Daten sind heute der wichtigste Treibstoff für den

industriellen Fortschritt. Wenn die einzelnen Schritte des

Produktentwicklungs- und Produktionsprozesses dank

moderner Software und IT zunehmend miteinander ver-

schmelzen, steigen Produktqualität und Entwicklungs-

geschwin digkeit. Und damit steigt auch die Effizienz der

Unternehmen – an allen Punkten der Wertschöpfungskette.

In der Industrie verschmelzen die virtuelle und die reale Welt immer stärker.

11Industry Journal | 01 | 2014

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

Vorbeugen statt reparieren Antriebssysteme spielen in allen Industriebranchen eine zentrale Rolle.Unvorhergesehene Stillstandszeiten dieser Systeme bringen häufig diegesamte Produktion ins Stocken und können sehr kostspielig sein. Umsowichtiger ist es, hier drohende Schäden frühzeitig zu identifizieren, umpräventiv einzugreifen – aber auch, um Service­ und Wartungsintervalle zuoptimieren.

Dies ermöglicht das Service­Angebot Drive Train Condition Monitoring vonSiemens. Hierbei werden von Motoren und Getrieben Parameter erfasstund analysiert, die Hinweise auf mögliche Schäden liefern können – etwaSchwingungen, Temperatur und Messgrößen wie Drehzahl und Dreh­moment. Das Angebot reicht von der lokalen Überwachung einzelner Komponenten bis zur kontinuierlichen Online­Überwachung des ganzen Antriebsstrangs. Für Motoren zum Beispiel erfolgt die kontinuierliche Überwachung per Fernzugriff auf eine Motor Condition Monitoring Box, die direkt am Motor sitzt. Die Box versendet bei Überschreitung festgeleg­ter Toleranzwerte automatisch Warnmeldungen an das Siemens Experten Center. Dort werden dann detaillierte Analysen durchgeführt und Hand­lungsempfehlungen abgeleitet. Für komplexere Anforderungen bietet Siemens individuell konfigurierbare Hardware­ und Dienstleistungspakete. Diese werden, je nach Anforderung, entweder für einzelne kritische Motoren und Getriebe oder den gesamten mechanischen Antriebsstrang ausgelegt.

Schwingungsüberwachung ist die sicherste Methode zur Früherkennung mechanischer Schäden – oft schon Monate im Voraus. Beim Drive Train Condition Monitoring werden ent­sprechende Daten für alle mechanischen Komponenten des Antriebsstrangs erfasst und mit Parametern wie Vibration oder Temperatur an das Siemens Experten Center zur Auswertung gesendet.

siemens.de/dtcm

Davon will zum Beispiel der US­Autohersteller Ford profitieren, der IntoSite in seinem Werk in Wayne (Michigan) testet. »Im Rahmen des Ford­Produktionssystems versuchen wir ständig, die weltweite Standardi­sierung zu verbessern«, sagt John Fleming, Executive Vice President für Globale Produktion von Ford. Ohne einen intensiven Datenaus­tausch unter den vielen Standorten des Unternehmens ist das aber nur schwer möglich – und genau an diesem Punkt soll IntoSite für mehr Effizienz sorgen.

IntoSite ist Teil der Siemens­Software Tecnomatix, mit der Unternehmen komplette Werke virtuell im Computer nachbilden können – bis hinunter zu den ein­zelnen Robotern und Maschinen. So wissen sie schon während der Produktentwicklung, welchen Durchsatz eine neue Fabrik haben oder wie viel Energie sie für die Her­stellung der Produkte verbrauchen wird. Das Programm liefert sogar die Steuerungsprogramme für die Roboter und kann mit Hilfe von Simulationen die Fertigung für einen maximalen Durchsatz oder einen minimalen Energieverbrauch opti­mieren.

Mit Hilfe moderner Industrie software wie Tecnomatix bringen Unternehmen heute bessere Produkte in kürzerer Zeit auf den Markt. Und sie können ihre Produk tionsprozesse fortlaufend optimieren – überlebenswichtig angesichts des harten globalen Wettbewerbs und einer zunehmen­den Knappheit von Ressourcen.

Virtuelle Anlagen

So bekommt die reale Produktions­welt immer häufiger ein Pendant aus Nullen und Einsen – die virtuelle Fabrik. Hier lassen sich die Abläufe an den Produktionslinien bis ins Detail simulieren und optimieren. Das sorgt nicht nur für eine ver­besserte Produktionsentwicklung, sondern auch für eine effiziente Optimierung des laufenden Betriebs. Physische und virtuelle Fabrik existieren nebeneinander und befruchten sich gegenseitig: Die

Vibration Drehzahl DrehmomentTemperatur

Secure Remote Connection

Industry Journal | 01 | 2014 12

der vielen Ausstattungsvarianten gibt es heute Billionen von Fahr­zeugvarianten, weswegen inzwi­schen praktisch keine zwei gleichen Autos mehr vom Band laufen. »Trotzdem müssen alle Zulieferteile zur richtigen Zeit und in der richti­gen Reihenfolge am Band verfügbar sein«, sagt Schmitz. »Diese gewaltige logistische Herausforderung ist ohne zunehmende Digitalisierung über ganze Wertschöpfungsketten hinweg nicht zu bewältigen.«

Die Kapazität aller beteiligten Unter­nehmen müsse kontinuierlich auf die Bedürfnisse des Markts abge­stimmt werden. Darum verschmelzen inzwischen auch einst getrennte Ebenen in den Unternehmen immer mehr: Daten fließen in Echtzeit vom Enterprise Resource Planning (ERP)­System (»Top Floor«) über die Produktionssteuerung bis hinunter in die Fertigung (»Shop Floor«) – und umgekehrt. So hat das Management stets volle Transparenz, etwa über die Auslastung der Fabriken und die Produktqualität.

Grenzen verschwimmen

Aus diesen Daten lassen sich etwa Rückschlüsse auf Produktivität, Pro­zesse und Qualität in unterschied­lichsten Bereichen der bestehenden oder geplanten Wertschöpfungsnetz­werke ziehen – vom Produktdesign über Prozesse in der Fertigung bis hin zu Einkaufsstrategien, Verbes­serung der Arbeitssicherheit oder für eine optimierte Logistik für die Produkte. Was früher relativ klar abgrenzbar war, verschwimmt heute dank der Möglichkeiten industrieller Hard­ und Software zu einer hoch komplexen Einheit.

Moderne Industriesoftware revolutio­niert derzeit aber nicht nur die Ferti­gungsprozesse in der Automobilindu­strie. »Die Digitalisierung hat in allen Wirtschaftszweigen und Branchen Eingang gefunden – sowohl auf der Produkt­ als auch auf der Prozess­ebene«, sagt Michael Böhmer vom schweizerischen Wirtschafts­forschungsinstitut Prognos. »In den meisten Industriebranchen ist die Digitalisierungsdynamik sehr hoch.«

»

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

reale Fertigung wird produktiver, energiesparender und menschen­freundlicher.

In ihr virtuelles Abbild fließen wiederum die Erfahrungen aus der Realität ein, mit denen das Modell immer weiter verfeinert werden kann. Digitale Szenarien liefern den Unternehmen Informationen über alternative Fertigungsabläufe und mögliche Modifikationen an ihren Produktionslinien.

Der digitale Zwilling ist nur ein Beispiel für den Trend zur fortschrei­tenden Virtualisierung der Indust­rie: Quer durch alle Branchen und entlang der gesamten Wertschöp­fungskette ist derzeit eine Revolution im Gang, die auf IT und moderner Industrie software beruht. Kaum ein größeres Unternehmen und keine Branche kann sich ihr entziehen. Denn von der Marktforschung und der Finanzierung über das Produkt­ und Produktionsdesign bis hin zu Logistik und Vertrieb sind alle Teile der Wertschöpfungskette davon betroffen.

Und dank der technischen Mög­lichkeiten entstehen völlig neue Geschäftsmodelle, mit denen die Hersteller auch nach dem Verkauf ihrer Produkte ihren Kunden noch einen Zusatznutzen anbieten können – solche Data­Driven Services erwei­tern die Wertschöpfungskette.

Netzwerke beherrschen

»Die Digitalisierung ist die einzige Möglichkeit, die komplexen Prozesse in der Industrie überhaupt noch zu planen und zu optimieren«, sagt Klaus Schmitz, Partner und Industrie­Experte bei der Unterneh­mensberatung Arthur D. Little. »Die Automobilindustrie ist dafür ein gutes Beispiel: Sie ist nicht nur einem starken Wettbewerb und hohem Kos­tendruck ausgesetzt – wegen ihrer geringen Herstellungstiefe müssen die Automobilhersteller auch ein weit verzweigtes Netzwerk aus Zulieferern beherrschen.«

Hinzu kommt der Trend zu immer individuelleren Produkten: Wegen

40Prozent

Bis zu

sinken Dauer und Kosten der Produktionsplanung durch Einsatz der Siemens­Softwarelösung Tecnomatix.

13Industry Journal | 01 | 2014

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

stärken. »In allen Industrienationen ist die Digitalisierung derzeit ein großes Thema, weil die Unternehmen mit effektiveren Prozessen schnel­ler auf Veränderungen der Märkte reagieren und auch ihre Energie­effizienz verbessern können«, sagt Stefanie Naujoks, Analystin bei Pierre Audoin Consultants (PAC), einem international führenden Marktforschungs­ und Beratungs­unternehmen für IT und Software.

Auch das erfolgsverwöhnte China überarbeitet gerade sein Wirtschafts­modell: Die Unternehmen setzen immer stärker auf hochwertige Innovationen und Produktqualität auf höchstem Niveau. Dafür inves­tieren sie derzeit massiv in moderne Industriesoftware und Automati­sierungslösungen. »Auch in anderen Schwellenländern bietet sich die Digitalisierung der Produktion an«, so IT­Expertin Naujoks. »Dort werden viele Fabriken komplett neu gebaut, so dass man sie gleich mit der neuesten Technologie aus­statten und dadurch extrem effizient gestalten kann.«

Software verbindet

Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt das Zusammenspiel der Siemens­Produkte NX für das Produkt­design und Tecnomatix für die Fertigungsplanung: Mit NX können Ingenieure ein neues Produkt entwer­fen, berechnen und sogar im Detail sein künftiges Verhalten simulieren. Dadurch wird der Bau vieler Proto­typen überflüssig, die meisten Tests finden virtuell statt. Diese digitalen Produktdaten fließen in die Ferti­gungssimulationen von Tecnomatix ein, so dass ein Unternehmen schon im Voraus weiß, wie es seine Fer­tigungslinien möglichst optimal gestalten kann. Der Datenfluss ist aber keine Einbahnstraße: Kommt es in der simulierten Produktion zu Problemen, können die Designer das Produkt so verändern, dass es sich leichter her­stellen lässt. Die Kosten und die Dauer der Produktions planung lassen sich so um bis zu 40 Prozent verringern.

Als verbindendes Element zwischen der Produkt­ und der Produktions­

Zu den Treibern dieser Entwicklung gehören neue Produktionsprozesse und eine unternehmensübergrei­fende Zusammenarbeit. Das hat messbare Auswirkungen auf die Wirt­schaftsleistung: »Aufgrund der Digi­talisierung stieg zwischen den Jahren 1998 und 2010 die Bruttowertschöp­fung des verarbeitenden Gewerbes zum Beispiel in Deutschland pro Jahr um zusätzliche 0,5 Prozentpunkte«, so Böhmer. »Das ist rund ein Drittel des gesamten Zuwachses in diesem Bereich.«

Wirtschaftspolitik und IT

Eine Studie im Auftrag der britischen Regierung sieht in moderner IT beispielsweise einen Schlüsselfak­tor für die Zukunft der heimischen Industrie: Simulationen und virtuelle Realitäten würden dazu beitragen, komplexe Produkte und Prozesse zu beherrschen und zu optimieren.

Ähnliches gilt in den USA, wo Präsident Obama bereits 2011 die »Advanced Manufacturing Partner­ship« (AMP) als Schulterschluss von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ins Leben rief. Im September vergan­genen Jahres legte die US­Regierung nach, versprach weitere Fördergelder in Milliardenhöhe und erweiterte mit dem »Advanced Manufacturing Partnership Steering Committee 2.0« seinen Beraterstab. 2.0 – die Bezeich­nung ist Programm: Ein großer Teil der Diskussionen, Vorschläge und Maßnahmen wird sich um die Digitali­sierung der Industrie drehen.

Allein die prominente Zusammenset­zung des Lenkungsausschusses zeigt die Bedeutung, die dem Programm zugemessen wird: Unter Leitung von Andrew Liveris, President und CEO von Dow Chemical, sowie von Rafael Reif, President des Massachusetts Institute of Technology (MIT), beraten insgesamt 19 hoch rangige Experten den US­Präsidenten, darunter Eric Spiegel, President und CEO von Siemens USA.

Ziel der US­Regierung ist es, den industriellen Sektor der Vereinigten Staaten mit neuen Produkten und modernen Produktionsmethoden zu

»

Drei Fragen an ...

... Anton S. Huber, CEO Division Industry Automation, Industry Sektor, Siemens AG.

Industrie 4.0 und Digitalisierung der Industrie – lassen sich diese Begriffe synonym verwenden?Nein, die Digitalisierung der industri­ellen Wertschöpfungsprozesse ist in weiten Bereichen bereits Realität – und entwickelt sich stürmisch weiter. Sie ist jedoch eine unverzichtbare Voraus­setzung für die Realisierung der Vision Industrie 4.0, die dezentrale, autarke und selbstoptimierende Produktions­prozesse ermöglichen soll.

Fachleute erwarten von Industrie 4.0 erhebliche Produktivitätssteige-rungen. Aber ist es angesichts dieses langen Zeithorizonts sinnvoll, sich schon heute mit ihr zu beschäftigen? Das ist nicht nur sinnvoll, sondern abso­lut notwendig, um die eigene Wettbe­werbsfähigkeit zu sichern. So genannte Early Adopters demonstrieren bereits, welche großen Produktivitätsvorteile sich bei konsequentem Einsatz mit den derzeit existierenden technischen Mög­lichkeiten erzielen lassen. Bei Investi­tionen auf Industrie 4.0 zu warten, wäre ein verhängnisvoller Fehler.

Wo sehen Sie die größte Heraus-forderung bei der Umsetzung der Vision von Industrie 4.0?Der hohe wirtschaftliche Wert von Produktionseinrichtungen und die tech­nische Fragmentierung der installierten Industriesoftware bremsen den Fort­schritt. Die installierte Basis lässt sich deshalb nicht schnell und umfänglich ersetzen. Die Datensicherheit, aber auch die funktionelle Sicherheit im Einsatz stellen weitere Barrieren dar.

Industry Journal | 01 | 2014 14

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

Auf der Hannover Messe 2014, der weltweit wichtigsten Industriemesse, stellt Siemens anhand des Modells einer Produktionsstraße für die Montage von Fahrzeugtüren exemplarisch seine Lösungskompetenz im Bereich der Automobilproduktion dar. Die innovative Lösung ist komplett roboterbasiert: Per Laser wird die Karosse ver­messen, die Montage der Scharniere und das Einsetzen der Türen erfolgen voll automatisiert. Die Siemens­Fördertechniklösung ermöglicht sogar die Montage der Türen für bis zu vier verschiedene Fahrzeugmodelle auf einer einzigen Produktionslinie.

Die gesamte Anlage wird von der neuen fehlersicheren High­End­CPU Simatic S7­1518F gesteuert. Die Vernet­zung basiert dabei komplett auf Profinet – von der Steu­erung über die neuen Multitouch Industrie­PCs bis hin zu den Sinamics Frequenzumrichtern. Letztere kommen ohne Bremswiderstand aus und speisen beim Bremsen frei werdende Energie zurück ins Netz – und sparen damit bis zu 40 Prozent Energie. Sämtliche Komponen­ten wurden mit einer einzigen Engineering­Umgebung projektiert und programmiert – dem TIA Portal.

Ausblick auf die Zukunft der IndustrieDie Produktionsstraße gibt einen konkreten Ausblick auf Industrie 4.0 – eine Fertigung, die durchgängig auf Digi ­ talisierung und Integration setzt und die Probleme selbst­ständig löst. Eine Fertigung, in der intelligente Produkte alle Informationen über jeden einzelnen Produktions­schritt bereithalten – bis zur eigenständigen Organisation und Aussteuerung der Fertigungsaus stattung.

Das Messe­Modell des Vertical Subsegment Automotive zeigt zwei Welten: zum einen die Anlage selbst, die mit dem heutigen Stand der Technik produziert. Zum anderen wird auf den Monitoren über dem Modell dargestellt, wie die Kommunikation in einem sich selbst organisierenden Produktionssystem in der Zukunft aussehen kann.

Heute schon Realität: Mit seinem ganzheitlichen Port­folio für die Fertigungsautomatisierung sorgt Siemens bereits heute für die nahtlose Integration sämtlicher Phasen des Produktentwicklungs­ und Produktionspro­zesses – vom Produktdesign über die Produktionspla­nung, das Produktions­Engineering und die Produktion selbst bis hin zu den passenden Services.

Anhand des Modells einer Produktionsstraße in der Autoindustrie zeigt Siemens auf der Hannover Messe 2014, wie eine Fertigung der Zukunft funktioniert: Mit den Robotern wird eine Türmontage nach heutigem Stand der Technik demonstriert. Die Monitore über dem Modell veranschaulichen, wie die Kommunikation in einem sich zukünftig selbst organisierenden Produktionssystem aussehen kann.

15Industry Journal | 01 | 2014

In den Märkten der Zukunft wer-den nur die schnellen und fle-xiblen Unternehmen überleben. Voraussetzung dafür ist eine kon-sequente Digitalisierung, erklärt Wolfgang Heuring, Leiter der Siemens-Konzernforschung.

Der Einsatz von IT in der Produk-tion ist nicht neu. Warum ist die Digitalisierung neuerdings ein so beherrschendes Thema?Die Kunden verlangen immer indi­viduellere Produkte. Die Vielfalt der Varianten, beispielsweise bei Autos, ist geradezu gigantisch. Und das gilt auch für andere Bereiche wie beispielsweise die personalisierte Medizin. Gleichzeitig müssen Pro­dukte immer schneller auf den Markt kommen. Nur mit einer modernen IT können die Unternehmen diese Bedürfnisse der Kunden befriedigen.

Hätte man das nicht vor zehn Jahren auch schon sagen können?Rechenleistung ist heute so billig, dass wir völlig neue Möglichkeiten haben. Ein Smartphone leistet inzwischen etwa dasselbe wie ein Großrechner vor zehn Jahren. Zudem haben wir jetzt auch in der Industrie schnelle Netze wie Ethernet. Und wir sind heute in der Lage, riesige Datenmengen zu speichern und zu analysieren. Digitalisierung intelligent zu nutzen ist ein zentraler Hebel, um die Produktivität zu steigern.

Was bedeutet Digitalisierung kon-kret in den Unternehmen?Es wird praktisch neben der realen Welt einen digitalen Zwilling geben – etwa beim Produktdesign oder bei der

Produktionsplanung. So lassen sich beispielsweise neue Produkte schnell und in hoher Qualität im Rechner simulieren. Denken Sie an den Mars Rover Curiosity: Dessen Landung haben wir digital unter Mars­Bedin­gungen im Computer erprobt. Wir konnten ja nicht testweise zum Mars fliegen.

Und was heißt das für die Fertigung selbst?Wir müssen uns vom sequentiellen Prozessdenken verabschieden: Die Übergänge werden fließender, die Wechselwirkungen dank innovativer IT stärker. Bis zu einem gewissen Grad können Werkstücke sich selbst durch den Produktionsprozess navi­gieren. Bei der Fertigung fallen auch sehr viele Daten an, die wenig genutzt werden – noch. Das wird sich ändern. Wenn ich die Konstruktions­ daten einer Maschine online habe, kann ich mit zusätzlichen Daten aus dem Betrieb den Herstellungs­prozess der nächsten Generation optimieren, aber auch den laufen­den Betrieb. Oder wir können den Ressourcen verbrauch deutlich redu­zieren. Richtig interessant werden solche Ansätze, wenn wir alle Stufen der Wertschöpfungskette digital miteinander verbinden – also Pro­duktdesign, Produktionsplanung und ­engineering, Fertigung und Services – und einen geschlossenen Datenkreislauf schaffen, bei dem alle Beteiligten voneinander lernen.

Wie stark ist Siemens in diesem Bereich?Wir besitzen großes Know­how und führende Produkte in den Bereichen

Design, Simulation und Automati­sierung. In unserer Konzernforschung arbeiten rund 150 Spezialisten allein an Datenanalytik. Etwa genauso viele beschäftigen sich mit Automati­sierungstechnologien der Zukunft. Und das sind nur zwei unserer Kernthemen.

Ihre Wettbewerber argumentieren ähnlich.Zweifellos gibt es viele hervorra­gende Unternehmen für industrielle Software. Tatsache ist aber, dass kein anderes Unternehmen zugleich eine derart profunde und übergreifende Kenntnis von den Branchen seiner Kunden besitzt. Außerdem decken wir bei unseren Kunden alle wesentlichen Teile im Lebenszyklus der Produkte, Lösungen und Services durchgängig und ganzheitlich integriert ab.

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

Digitalisierung intelligent nutzen.«»

Wolfgang Heuring

Industry Journal | 01 | 2014 16

Digitalisierung der Industrie | Der digitale Kreislauf

Digitalisierung ist die einzige Möglichkeit, die komplexen Prozesse in der Industrie überhaupt noch zu planen und zu optimieren.«Klaus Schmitz, Arthur D. Little

»

und Anlagen informiert. Dadurch können sie flexibel reagieren, wenn Aufträge storniert werden, ein Zulie­ferer Probleme hat oder wenn es zu Störungen in der Fertigung kommt.

Die digitale Transformation der Wert­schöpfungskette endet aber nicht an den Werkstoren der Produktionsbe­triebe oder Zulieferer: Immer mehr Unternehmen lassen ihre Kunden bei­spielsweise beim Produktdesign mit­reden. Durch Crowdsourcing im Inter­net versorgen sie sich mit neuen Ideen und bekommen dadurch ein besseres Gespür für Trends (siehe Seite 72).

Bessere Services

Selbst mit der Fertigstellung eines Produkts reißt der digitale Kontakt zum Unternehmen nicht ab: Über das Internet liefern Maschinen und Anlagen Informationen über ihren Zustand an den Hersteller. Mit diesen Data­Driven Services lassen sich zum Beispiel mögliche Ausfälle vorhersa­gen und die Versorgung mit Ersatz­teilen und Wartungsarbeiten voraus­schauend planen.

Auch die Entwickler profitieren von den Rückmeldungen des Markts, um neue Produktgenerationen zu optimieren. So fließen die Daten vom Design durch die Fertigung bis zu den Kunden – und von dort wie­der zurück. Der digitale Kreislauf ist geschlossen.

welt dient die Siemens­Software Teamcenter. Diese Lösung kann alle Daten aufnehmen, die jemals im Zusammenhang mit dem Produkt entstehen – beispielsweise Excel­Tabellen aus der Marktfor­schung, CAD­Konstruktionszeich­nungen oder die Rückmeldung von Kunden. Teamcenter enthält die komplette Biografie des Pro­ dukts und schlägt so eine Brücke zwischen Bereichen, die zuvor wie IT­Inseln getrennt voneinander existierten.

Produktion automatisieren

Bis zu 30 Prozent Zeitersparnis bei der Automatisierung lassen sich auch bei der Automatisierung der Ferti­gungslinie erreichen. Hier geht es darum, Steuerungen individuell zu programmieren, elektrische Antriebe anzusteuern und benutzerfreund­ liche Schnittstellen für Menschen (Human Machine Interface, HMI) zu schaffen.

Dafür bietet Siemens das TIA Portal an: Über eine einheitliche Enginee­ring­Plattform können die Ingenieure die Produktion planen, in Betrieb nehmen, bedienen und weiter ausbauen. Wie virtuelle Legosteine können sie dabei die einzelnen Komponenten auf dem Computer­bildschirm miteinander verbinden und so Schritt für Schritt die auto­matisierte Produktion aufbauen.

»In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Größe der Steuerungssoft­ware etwa alle vier Jahre verdop­pelt«, sagt Heinz Eisenbeiss, Marke­tingleiter von Industrial Automation Systems bei Siemens. »Darum waren neue Programmier methoden nötig – sonst hätte sich auch die Zeit für die Programmierung alle vier Jahre ver­doppelt. Dieses Problem löst das TIA Portal, weil sich alle Werkzeuge für die Programmierung der Maschinen in einer einzigen Entwicklungsumge­bung befinden.«

Siemens hat das Potenzial digitaler Lösungen früh erkannt und darum massiv in deren Entwicklung inves­tiert. Rund 50 Prozent des konzern­weiten Entwicklungsbudgets entfal­len mittlerweile auf Software. Zum Siemens­Portfolio gehören neben NX, Tecnomatix und Teamcenter auch die Software Comos für die Planung und Automatisierung in der Prozessindustrie sowie Simatic IT, eine der weltweit führenden MES­Lösungen. Diese Manufacturing Execution Systems steuern die Pro­duktion; sie verwalten die Materia­lien, stoßen Prozesse an und über­wachen alle Arbeitsabläufe in der Fabrik.

Und sie verschmelzen zunehmend mit den ERP­Programmen. So sind alle Ebenen eines Unternehmens stets über den aktuellen Auftragsbestand sowie den Zustand der Maschinen

17Industry Journal | 01 | 2014

Digitalisierung der Industrie | Hightech-Förderung

420 Milliarden US­Dollar – so viel haben Möbelhersteller weltweit im Jahr 2012 umgesetzt. Das ist rund doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor. Nur wenige Branchen konnten zuletzt derart vom zunehmenden Wohlstand profitieren. Zu den Nutznießern zählen vor allem die starken Möbel­Exportnationen China, die USA, Italien, Deutschland, Indien, Japan, Frankreich, Polen und Vietnam. Experten rechnen mit einem weite­ren Marktwachstum von knapp vier Prozent bis 2016.

Doch mit zunehmendem Wachstum und wirtschaftlicher Attraktivität verschärft sich der Wettbewerb. Auch Möbelhersteller müssen immer

schneller, günstiger und flexibler produzieren. Das erfordert hoch­moderne Produktionsanlagen – die vielfach vom süddeutschen Unternehmen Homag stammen, dem weltgrößten Hersteller von Maschinen für die Möbelindustrie. Homag ist aber nicht nur der größte Möbel­Maschinenbauer, sondern auch einer der innovativsten. Das Unternehmen entwickelt unter ande­rem vollautomatische Fertigungs­systeme, mit denen Möbelhersteller Regale, Schränke und Tische exakt und entsprechend individuellen Kun­denwünschen produzieren können.

Alle Maschinen sind dabei miteinan­der vernetzt. Das System weiß stets,

welches Möbelteil gerade gesägt oder gefräst wird und zu welcher Maschine es als Nächstes transportiert werden muss. Dadurch können Möbelfabriken fast so individuell fertigen wie ein Tischler und nahezu so günstig anbie­ten wie ein Großserien produzent.

Durchgängig vernetzte Fabriken, bei denen alle Abläufe zentral über­wacht und automatisch gesteuert werden, gibt es derzeit nur wenige. Doch nach einer Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC plant allein in Deutschland rund die Hälfte der produzierenden Unterneh­men, eine so genannte Smart Factory einzuführen. Sie versprechen sich davon vor allem Qualitätssteigerun­

Hightech für den MittelstandUm die neuesten Technologien einsetzen zu können, fehlen kleinen und mittleren Unter-

nehmen häufig die Mittel. Das EU-Programm »Factories of the Future« will das ändern

und stellt dafür 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. 80 Projekte laufen bereits. Viele davon

beschäftigen sich mit der Digitalisierung der Fertigung.

Mit industrieller Hard­ und Software von der Idee zum Produkt. Die EU unterstützt kleine und mittlere Unter­nehmen dabei mit einem Förderpro­gramm.

Industry Journal | 01 | 201418

70 Milliarden Euro für Innovation

Digitalisierung der Industrie | Hightech-Förderung

gen, sagten 52 Prozent der befragten Unternehmen, gefolgt von mehr Flexibilität (43 Prozent) und höherer Produktivität (38 Prozent).

EU fördert Digitalisierung

Unternehmen, die ihre Wettbewerbs­fähigkeit durch eine stärkere Digi­talisierung der Produktion steigern wollen, will die EU helfen: Anfang 2014 hat die zweite Phase des Förder­programms »Factories of the Future« (FoF) begonnen. Dadurch sollen vor allem kleine und mittlere Fertigungs­unternehmen wettbewerbsfähiger werden. Für FoF, das Teil des Inno­vationsprogramms »Horizont 2020« ist (siehe Kasten), stehen bis 2020 rund 1,2 Milliarden Euro zur Ver fügung.

Derzeit laufen bereits rund 80 »Hori­zont 2020«­Pro jekte – viele davon beschäftigen sich mit dem Einsatz von Informations­ und Kommuni­kationstechnologien, ohne die eine individuelle Massenfertigung (»Mass Customization«) nicht möglich ist. Betroffen von dem Trend zu persona­lisierten Produkten sind alle Phasen des Produktionsprozesses.

Lösungen hierfür will etwa das FoF­Projekt »Engineering Apps for Advanced Manufacturing Engineering« (Apps4AME) finden. Neben der Fraun­hofer­Gesellschaft, dem Softwarehaus SAP und Siemens sind daran Firmen und Forschungsinstitute aus Griechen­land, Italien, Portugal und Rumänien beteiligt. Bis 2015 wollen die insge­samt zwölf Partner neue Methoden und Software entwickeln, mit denen Fertigungssysteme entwickelt, optimiert und gesteuert werden können.

Apps für die Fertigung

Die Teilnehmer an Apps4AME verfol­gen einen ganzheitlichen Ansatz: Mit digitalen Tools und Systemen wollen sie Produktdesign, Prozessentwick­lung, Fabrikplanung, Fertigungsvor­bereitung und Fertigungssteuerung nahtlos miteinander verzahnen. Die geplanten Apps können bei neuen wie bei bestehenden Ferti­gungssystemen eingesetzt werden.

Pilotprojekte sind in je einem Werk der Automobilindustrie, des Maschi­nenbaus und der Lebensmittelindus­trie geplant.

Je rascher sich die Kundenwünsche verändern und je kürzer die Lebens­zyklen der Produkte werden, desto schneller veralten auch die hierfür nötigen Produktionsanlagen. Umso wichtiger ist es, dass die Anlage durch den Austausch einzelner Module regelmäßig, günstig und schnell modernisiert werden kann. Nach dem »Plug & Produce«­Ansatz können die neuen Geräte ohne großen Installationsaufwand ins Fertigungssystem eingefügt werden (siehe Seite 24). Ein weiteres FoF­Projekt ist »Skillpro«. Hier wird geprüft, wie in komplexen Ferti­gungssystemen einzelne Kompo­nenten schnell ergänzt, entfernt, modifiziert oder miteinander vernetzt werden können.

Notwendig sind dafür beispiels­weise einheitliche Schnittstellen, eine passende Datenarchitektur und Software, mit denen die Fähigkeiten und Leistungsmerkmale der neuen Geräte und ihr Zusammenspiel mit dem gesamten System erfasst wer­den können. Einfacher Datenaustausch

Dabei genügt es nicht, alle Funkti­onen zu vernetzen: Bei mehreren Werken ist auch ein umfassender Datenaustausch erforderlich. Vor­arbeiten hierzu will das FoF­Projekt »Flexinet« leisten. Beteiligt sind dar­an mehrere IT­Unternehmen und drei Industriebetriebe: der italienische Hausgeräteproduzent Indesit, der spanische Getränkeabfüller Custom Drinks sowie der deutsche Pumpen­spezialist KSB.

Noch weiter als »Flexinet« geht das Projekt »Manucloud«, das auf der Idee des Cloud Computing basiert. Hier wollen die Wissenschaftler Fabri­ken mehrerer Unternehmen zu einem Produktionsverbund vernetzen. So können Unternehmen kooperieren und gemeinsam teure Maschinen und Anlagen nutzen. Dies wäre vor allem für kleinere Industriebetriebe interes­

sant, die sich flexible Ferti gungssys­teme oft nicht leisten können.

Das Internet eignet sich auch gut dazu, Kundenwünsche in Entwick­lung und Produktion einzubeziehen: Am Bildschirm können die Nutzer über Form, Farbe und Beschaffenheit neuer Produkte entscheiden. Gleich zwei FoF­Projekte wollen ein derarti­ges Konzept für personalisiertes Pro­duktdesign nutzen: »E­Custom« und »Easy­IMP«. Die Fabrik der Zukunft beginnt dann in den Wohnungen der Kunden.

Horizont 2020 ist das kost­spieligste Vorhaben zur För­derung von Forschung und Innovation, das die EU jemals initiiert hat. Das Programm läuft von 2014 bis 2020 und hat ein Budget von rund 70 Milliarden Euro.

Es ruht auf drei Säulen: Mit 24 Milliarden Euro soll exzel­lente Wissenschaft gefördert werden. Rund 30 Milliarden Euro stellt Brüssel für die gro­ßen Herausforderungen der Zukunft bereit: Klimawandel, erneuerbare Energien, Ernäh­rung und die Bewältigung des demographischen Wandels. Die dritte Säule ist die Förderung von Innovation in der Industrie: 17 Milliarden Euro sind vorge­sehen für Informations­ und Kommunikationstechnologien, neue Werkstoffe, Nanotech­nologien, fortgeschrittene Fertigungssysteme (»Factories of the Future«) und andere Querschnittstechnologien.

Gefördert werden vor allem kleine und mittlere Unterneh­men. Die EU verspricht weniger Bürokratie und eine schnellere Mittelvergabe als bei Vorgän­gerprogrammen.

19Industry Journal | 01 | 2014

Aus Big Data wird Smart DataIn der Industrie entstehen ständig riesige Datenmengen, mit denen die Unter-

nehmen Produkte und Produktionsprozesse optimieren können. Wer mit Big Data

einen Wettbewerbsvorteil erzielen will, braucht spezielle IT-Werkzeuge – und hoch

qualifizierte Experten.

Digitalisierung der Industrie | Smart Data

Moderne Produktions­anlagen generieren immer mehr Daten, nicht zuletzt aufgrund des zunehmenden Ein­satzes von Sensoren. Diese Daten zu erfassen und zu speichern, ist das geringere Problem. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, aus den Bits und Bytes sinnvolle Informationen und Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung abzuleiten.

Industry Journal | 01 | 201420

Die komplexeste Maschine der Welt versteckt sich in einem rund 27 Kilo­meter langen Ringtunnel, der unter­irdisch zwischen dem Genfer See und dem Juragebirge verläuft. Hier, am europäischen Kernforschungszen­trum CERN, haben Wissenschaftler den größten Teilchenbeschleuniger aller Zeiten gebaut. Ihr »Large Had­ron Collider« (LHC) soll beispielswei­se klären, warum Elementarteilchen wie das Elektron oder das Proton überhaupt eine Masse haben (siehe Industry Journal 1/2013, »Der Ort für die ganz großen Fragen«).

Um das herauszufinden, lassen die CERN­Wissenschaftler Protonen und ihre Antiteilchen mit nahezu Lichtge­schwindigkeit durch den LHC rasen und kollidieren. Die Trümmer aus diesen Zusammenstößen hinterlassen in unterirdischen Detektoren Spuren, die von Hochleistungscomputern in aller Welt ausgewertet werden.

Hinter dem LHC steckt ein beispiel­loser Aufwand: In den Röhren für die Protonen und ihre Antiteilchen herrscht ein fast perfektes Vakuum – der Luftdruck entspricht in etwa dem atmosphärischen Druck auf dem Mond. Und bitterkalt ist es im LHC auch: Rund 10.000 supraleitende Magnete halten die Teilchen auf ihrer Bahn – sie werden mit flüssigem Helium auf minus 271 Grad Celsius heruntergekühlt. Selbst im Univer­sum ist es wärmer.

Dass der drei Milliarden Euro teure Teilchenbeschleuniger seit Jahren reibungslos funktioniert und bahn­brechende Forschungsergebnisse geliefert hat, verdankt er auch Technik von Siemens: Am CERN sind rund 600 Siemens­Steuerungen im Einsatz, die nicht nur die Kühlung der Magnete überwachen, sondern auch für die Kontrolle von Sensoren und die Automatisierung der Experimente verantwortlich sind.

Dabei fallen massenweise Daten an: »Der LHC ist eines der größten Systeme, die jemals von Siemens automatisiert wurden«, sagt Mikhail Roshchin von Siemens Corporate Technology (CT). »Pro Tag erzeugt die Anlage mehr als 100 Gigabytes an Daten.« Sie stam­

men von Sensoren in den Detektoren, im Sicherheitssystem und im Leit­stand, aber auch aus den Logfiles, die beispielsweise Fehlermeldungen des Systems aufzeichnen.

Der Datenberg enthält wertvolle Informationen, die ebenfalls mit Hilfe von Siemens­Technologie gewonnen werden: Mit Hilfe der Data Analytics Software von Siemens können die CERN­Wissenschaftler zum Beispiel der Ursache von Problemen auf die Spur kommen. »Das Programm kann große Datenmengen analysieren und daraus Modelle über die Abläufe in der Anlage erstellen«, erklärt Roshchin. »Dieses Wissen können wir dann für Echtzeit­Analysen nutzen: Wenn ein Problem auftaucht, liefert uns das Modell sofort eine mögliche Erklärung.«

So können die Techniker beispiels­weise in kurzer Zeit einen defekten Sensor austauschen, statt ein ganzes System auszubauen und nach dem Fehler zu suchen. In Zukunft sollen sogar bevorstehende Ausfälle vor­hersagbar sein, wenn in den Daten verräterische Muster auftauchen. »Die Data Analytics Software hat bewiesen, was für ein erstaunliches Potenzial für die Analyse von Daten in ihr steckt«, sagt Manuel Gonzalez Berges, der beim CERN für die SCADA­Systeme (Supervisory Control and Data Acquisition) verantwortlich ist.

Datenmenge wächst rasant

Big Data – weltweit arbeiten Unter­nehmen und Forschungseinrich­tungen daran, aus den wachsenden Datenbergen wertvolle Informationen zu gewinnen. An Rohstoff mangelt es nicht: Allein 2012 produzierte die Menschheit 2,8 Zettabyte neue Daten. Und bereits 2020 sollen es 40 Zetta­byte sein – das entspricht schätzungs­weise der 57­fachen Menge der Sand­körner an allen Stränden der Welt.

Die Daten stammen einerseits von der drastisch steigenden Zahl an Sensoren, aber auch von Menschen, die beispielsweise E­Mails, Blog­Ein­träge oder Tweets verfassen. Manche von ihnen sind strukturiert wie Ein­träge in klassischen Datenbanken –

»

Digitalisierung der Industrie | Smart Data

Volumen der jährlich generierten digitalen Datenmenge weltweit (in Zettabyte)

Quelle: IDC, EMC, Statista; 2014

2012

2,8

2015

8,6

2020

40,0

21Industry Journal | 01 | 2014

entdecken und daraus dann Behand­lungsempfehlungen ableiten.

Für Siemens sind die Erfassung und die Verarbeitung von Daten extrem wichtig. Die Ausgangsposition dafür ist gut, denn das Unternehmen sitzt an vielen wichtigen Datenquellen, etwa von Turbinen, Automatisierungssys­temen, Computertomographen und Gebäudeleitsystemen. »Viele dieser Daten werden in unseren Produkten ausgewertet und für die Steuerung genutzt. Und wir haben das Know­how der jeweiligen Domänen und können mehr aus den Daten machen«, sagt Siegfried Russwurm, CEO von Siemens Industry. Zum Beispiel mit der Remote Services Platform von Siemens: An diese sind bereits 300.000 Systeme angeschlossen, darunter Maschinen, Züge und Computer tomographen. Ziel ist es, diese Systeme zu überwachen und eine höhere Verfügbarkeit zu ermöglichen.

Von Big Data zu Smart Data

Für einen Hightech­Standort wie Deutschland spielt Big­Data­Expertise eine Schlüsselrolle, insbe­sondere für den Weg zur Industrie 4.0. Daher gehört Siemens zu den Gründungspartnern der Forschungs­plattform Smart Data Innovation Lab (SDIL), die Anfang 2014 am Karls­ruher Institut für Technologie (KIT) den Betrieb aufgenommen hat. Dort wollen Industrie und Wissenschaft Spitzenforschung auf dem Gebiet Big Data betreiben und ihre Ergebnisse an die Wirtschaft weitergeben.

Am SDIL beteiligen sich Unterneh­men und Organisationen wie Bayer, Bosch, Microsoft Deutschland, SAP, die Software AG, das Deutsche For­schungszentrum für Künstliche Intel­ligenz (DFKI), die Fraunhofer­Gesell­schaft und das Forschungszentrum Jülich. »Mit SDIL werden das KIT und seine Industriepartner aus Big Data auch Smart Data machen«, sagt KIT­Präsident Holger Hanselka.

Ein Schwerpunkt des SDIL liegt auf der Förderung von kleinen Unternehmen, die neue Lösungen

und Dienstleistungen im Umfeld von Big Data anbieten können. »Das Smart Data Innovation Lab senkt die Einstiegshürden für Unternehmen, was die Verfügbarkeit von Daten, Inf­rastruktur und Know­how betrifft«, sagt Russwurm. »Wir erwarten, dass dadurch der Nutzen von Smart Data auch für diejenigen Bereiche der Wirtschaft deutlich greifbar wird, die bislang eher zurückhaltend waren.«

Die Projekte konzentrieren sich in der ersten Phase auf vier Forschungs­felder: Industrie 4.0, Energiewende, Smart Cities und personalisierte Medizin. Dafür erhalten die Wissen­schaftler Zugriff auf reale Daten aus Industrieprozessen, die Siemens zur Verfügung stellt. Mit ihrer Hilfe sollen neue Werkzeuge und Methoden zur Datenanalyse entwickelt werden, die dann den Teilnehmern des SDIL zur Verfügung gestellt werden.

Davon können etwa mittelständische Maschinenbauer profitieren. Durch Big Data können sie ihren Kunden zum Beispiel eine vorausschauende Wartung als Service anbieten und mögliche Ausfälle von Komponenten vorhersagen. »Wenn man weiß, wann ein bestimmtes Teil ausfallen wird, kann man es rechtzeitig austau­schen – weder zu spät noch zu früh«, sagt Rüdiger Eberlein, Big­Data­Experte beim Beratungs­ und IT­Dienstleis­tungsunternehmen Capgemini. »Das vermeidet Stillstandszeiten und über­flüssige Wartungskosten.«

Engpass an Spezialisten

Während es an Datenfutter keinen Mangel gibt, sieht er aber einen Eng­pass bei den nötigen Experten. Sie verbinden im Idealfall IT­Know­how mit einem grundlegenden Verständ­nis von Geschäftsmodellen. Denn so genannte Data Scientists müssen vor allem Datenanalysen ganzheitlich mit Geschäftsprozessen der Unter­nehmen in Zusammenhang bringen können. »Data Scientists gehören zu den derzeit gesuchtesten Experten im IT­Bereich«, sagt Eberlein. Und nicht jedes Unternehmen besitzt für Bewer­ber ein Renommee wie das CERN.

Digitalisierung der Industrie | Smart Data

72Prozentder Unternehmen weltweit interessieren sich für Soft­ware zur Datenvisualisie­rung. Doch nur 19 Prozent haben eine solche bereits im Einsatz.

Quelle: SAS Institute, 2013 Big Data Survey

man weiß immer genau, was ein Eintrag bedeutet. Andere sind unstrukturiert – wie die riesigen Text­mengen, die täglich in den sozialen Medien entstehen und deren Inhalte erst interpretiert werden müssen.

Big­Data­Werkzeuge können mit bei­den Arten von Daten umgehen und Zusammenhänge aufdecken. Die Data Analytics Software ist beispielsweise in der Lage, zwischen den Textmel­dungen des Automatisierungssystems und den Messwerten von Sensoren Korrelationen zu finden und so Hin­weise auf die Ursache von Problemen zu liefern.

Aktive Big-Data-Forschung

Siemens ist in der Forschung im Bereich Big Data sehr aktiv. Denn bei den Kunden fallen täglich gewaltige Datenmengen an, die nur zu einem geringen Teil genutzt werden. Erste Projekte deuten bereits an, welches Potenzial in der neuen Analyse­methode steckt: 8.000 Gasturbinen in aller Welt liefern online Daten über ihren Zustand an ein Rechenzentrum von Siemens, in dem verdächtige Mus­ter erkannt und bevorstehende Aus­fälle angezeigt werden. In der Medizin können Big­Data­Algorithmen die Zusammenhänge zwischen den Daten von bildgebenden Diagnosegeräten wie Magnet resonanztomographen (MRT) und den Befunden von Ärzten

Industry Journal | 01 | 2014 22

Quelle: SAS Institute, »2013 Big Data Survey«; Online­Befragung von 339 Unternehmen aus IT­Fokusgruppen weltweit.

Beim Thema Big Data sollten Unternehmen möglichst viel von den Erfahrungen in anderen Bereichen lernen, empfiehlt Stefan Rüping, der beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) für das Geschäfts-feld Big Data Analytics zuständig ist.

Was ist wirklich neu an Big Data? Einerseits sind die Datenmengen stark gewachsen. Ande­rerseits gab es auch bei den Analysemöglichkeiten einen Technologiesprung: Produktion und Verkauf lassen sich heute mit Hilfe von Big Data viel genauer steuern. Stich­worte sind automatische Textanalysen, das Speichern und Rechnen auf verteilten Computern sowie die Daten­haltung und ­analyse im Hauptspeicher des Rechners. Vieles davon war schon früher mit kleinen Datenmengen möglich, funktioniert inzwischen aber auch im Bereich der Tera­ und Petabytes.

Wie sollten Unternehmen an Big-Data-Projekte herangehen? Zunächst sollten sie eigene Kompetenz aufbauen, denn nur dann können sie die richtigen Fragen stellen. Es macht beispielsweise oft keinen Sinn, einfach die gesamte Flut von Sensordaten zu speichern und auszuwer­ten. Interessant könnten Daten vielmehr sein, wenn etwas nicht richtig läuft – genau das muss man mit Hilfe von Algorithmen herausfiltern. Sonst türmen sich Datenberge von mehreren Terabytes pro Stunde auf. Allerdings gibt es

Über den Teller­rand blicken«

noch wenige Standardlösungen für Big Data. Darum sollten Unternehmen über den Tellerrand hinausblicken und nach Lösungen suchen, die sich schon anderswo bewährt haben.

Was wird uns Big Data in Zukunft bringen? In vielen Bereichen stehen wir noch ganz am Anfang, um aus Daten Wissen zu erzeugen. Wir arbeiten bei­spielsweise an neuen Qualitätsanalysen für die Auto­mobilindustrie, in die nicht nur Daten aus der Erprobung einfließen sollen, sondern auch von Werkstätten und aus Diskussionsforen im Internet. So kann ein Hersteller die Ursache von Problemen schneller finden. Big Data wird uns aber auch in Zusammenhang mit Industrie 4.0 beschäftigen: Jede Maschine und jedes Produkt produ­ziert eine große Datenmenge, die für eine effiziente und kostengünstige Produktion ausgewertet werden muss. Noch komplexer wird es, wenn wir ganze Logistikketten steuern wollen, für die neben Produktionsdaten etwa auch Verkehrs­ und Wetterinformationen wichtig sind.

»

So weit sind Unternehmen mit einer Big-Data-Strategie

Stefan Rüping, Fraunhofer­Institut für Intelli­gente Analyse­ und Informationssysteme

Digitalisierung der Industrie | Smart Data

12 % Im Einsatz/in der Implementierung Nicht bekannt 9 %

5 % Testphase

11 % Konkrete Planung Nicht vorgesehen 23 %

39 % In Überlegung

23Industry Journal | 01 | 2014

Auf den ersten Blick wirkt die Produk­tionshalle im ostwestfälischen Lemgo wenig spektakulär: Hier durchlaufen kleine Kunststoff kugeln verschiedene Bearbeitungssta tionen, an denen sie dosiert, in Flaschen gefüllt und die Fla­schen mit einem Deckel verschlossen werden. Eigentlich keine große Sache. Das Besondere an der Modellfabrik des Anwendungszentrums Industrial Auto­mation (IOSB­INA) vom Fraunhofer­ Institut ist jedoch, dass sie sich ganz leicht umrüsten ließe auf die Erforder­nisse der kommenden Industrie 4.0.

»Wenn wir in unserer Fertigungsstraße eine Maschine austauschen möchten, dauert das nur wenige Minuten. Dann kann die Produktion sofort weiter­gehen«, sagt Jürgen Jasperneite, Profes­sor für industrielle Informationstechnik an der Hochschule Ostwestfalen­Lippe und Leiter des IOSB­INA. »In herkömm­lichen Anlagen dauert das je nach Kom­plexität der Maschine mehrere Stunden

oder Tage.« Denn dort muss ein Techni­ker die neue Komponente erst manuell mit ihrer Umgebung verknüpfen und die Steuerung der Fertigungslinie anpassen.

Vergleichbar ist das mit den Anfängen der PC­Arbeit vor einigen Jahrzehnten: »Damals bekam man für eine neue Komponente eine Diskette mit Treibern, und oft traten nach ihrer Installation noch Konflikte mit anderen Komponen­ten des Computers auf, die der Nutzer von Hand beheben musste«, sagt Jasperneite.

Plug and Produce

Seit es USB gibt, ist die Welt einfacher geworden: Oft genügt es, das neue Gerät an den Computer anzuschließen. »Plug and Play« heißt die Komfortver­besserung, von »Plug and Produce« sprechen Industrie­4.0­Experten, wenn es um den reibungslosen Umbau von Maschinen und Anlagen wie in Lemgo

geht. Wie beim PC sollen sich neue Kom­ponenten in Zukunft selbst mit ihrer Umgebung verbinden und sich in die bestehende Steuerung integrieren.

Erforderlich sind dafür allerdings neue Standards. Denn nur wenn Komponen­ten verschiedener Hersteller die gleiche Sprache sprechen, können sie selbst­tätig miteinander kommunizieren. Bei einer Umfrage des IT­Branchenverbands Bitkom, des Verbands Deutscher Maschi­nen­ und Anlagenbau (VDMA) sowie des Zentralverbands Elektrotechnik­ und Elektronikindustrie (ZVEI) nannten mehr als die Hälfte der knapp 300 befragten Unternehmen die Datenstandardisie­rung als größte Herausforderung von Industrie 4.0 – noch vor der Prozess­ und Arbeitsorganisation. »Daher beschäftigen sich weltweit viele Gre­mien mit diesem Thema, zum Beispiel bei der International Electrotechnical Commission (IEC) und der International Organization for Standardization (ISO)«,

Weltsprache der ProduktionMaschinen reden mit Maschinen, Produkte kommunizieren mit der Fertigungsanlage:

So sieht die Vision von Industrie 4.0 aus. Eine wesentliche Voraussetzung sind interna-

tionale Datenstandards. Deren Entwicklung läuft auf Hochtouren.

Digitalisierung der Industrie | Datenstandards

Komponenten verschiedener Hersteller müssen die gleiche Sprache sprechen.

Industry Journal | 01 | 201424

sagt Roland Heidel, Leiter der Abteilung Standards and Regulations von Siemens Industry.

Dabei geht es wesentlich darum, zunächst Maschinen und ihre Eigenschaften zu klassifizieren und zu beschreiben – eindeutig und hersteller übergreifend. »Jede Maschi­ne würde dann einen Datensatz mit sich führen, der alle ihre rele­vanten Eigenschaften und Dienste beschreibt«, sagt Heidel. »Man könn­te ihn mit einem weltweit gültigen Formular vergleichen, das Auskunft über die Maschine und ihre Fähigkei­ten gibt«.

Maschinen verhandeln

Mit Hilfe solch elektronischer Formulare können sich Maschinen in Zukunft nicht nur autonom vernetzen, sondern auch verbindliche Vereinbarungen mitein­ander treffen: Wenn zum Beispiel ein soeben geformter Kotflügel als Nächstes mit Bohrlöchern versehen werden muss, könnte die Presse in ihrer Umgebung nach einer verfügbaren Maschine mit den passenden Bohrern suchen.

Dabei spielt neben dem digitalen For­mular mit der Maschinenbeschreibung auch das Kommunikationsprotokoll OPC UA (Object Linking and Embedding for Process Control Unified Architecture) eine Schlüsselrolle: »OPC UA kann für die spontane Vernetzung der Maschinen und die Präsentation ihrer Eigenschaften in ihrer Umgebung genutzt werden«, sagt Jasperneite. »Zudem lassen sich damit auch Informationen aus der Fer­tigung direkt an Produktionsplanungs­ und ERP­Systeme weiterleiten.«

Bewährte Standards

Glücklicherweise behalten viele aktuelle Standards ihre Gültigkeit. »Die Grund­lage der Kommunikation zwischen den Maschinen wird Echtzeit­Ethernet wie Profinet sein«, sagt Jasperneite. »Damit kann gleichzeitig das bewährte Internet­Protokoll (IP) genutzt werden, das seinerseits ein mögliches Transport­medium für OPC UA ist.«

Auch für die Kommunikation der intel­ligenten Produkte mit den Maschinen sind viele Bausteine bereits vorhan­

den. Für ihre Verbindung mit den Fertigungs anlagen bieten sich neben RFID (Radio­Frequency Identification) auch andere drahtlose Standards wie WLAN, Bluetooth oder NFC (Near Field Communication) an.

Ähnlich wie die Maschinen müssen auch die Produkte eine Beschreibung mit sich führen. In ihrem digitalen Pro­duktgedächtnis ist etwa verzeichnet,

wie sie von den Maschinen bearbeitet werden sollen. »Dafür könnte man in Zukunft zum Beispiel die Ergebnisse aus dem Projekt SemProM nutzen«, sagt Jasperneite. SemProM (Semantic Pro­duct Memory) wurde unter der Leitung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz von einem Kon­sortium aus Siemens, SAP, BMW, Deut­scher Post und weiteren Unternehmen entwickelt.

Dieter Wegener ist Vice President Advanced Technologies & Standards von Siemens Industry. Er plädiert für offene Standards, um den unterschiedlichsten Anforderungen gerecht zu werden.

Warum sind Standards für Industrie 4.0 so wichtig?Sie sind eine elementare Voraussetzung für den Erfolg von Industrie 4.0. In ferner Zukunft sollen beispielsweise die Rohlinge den Maschinen sagen, wie sie bearbeitet

werden wollen. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Maschinen unterschiedlicher Hersteller die gleiche Sprache sprechen. Zur Vision von Industrie 4.0 gehört aber auch, dass sich die Produktion künftig ohne detaillierte Planung selbst organisiert und flexibel an neue Anforderungen angepasst werden kann. Dazu müssen die Maschinen untereinander stärker kommunizieren und auf der Basis eines Stan­dards ihre Eigenschaften beschreiben.

Setzt Siemens bei Industrie 4.0 auf offene oder auf proprietäre Standards?Wir befürworten schon heute offene Standards wie Profibus und Profinet. Und das wird auch bei Industrie 4.0 so bleiben – denn die meisten unserer Kunden setzen für ihre Produktion Maschinen und Anlagen verschiedener Hersteller ein. Darum ist die Durchsetzung proprietärer Standards nicht realistisch. Aus diesem Grund engagiert sich Siemens in zahlreichen Gremien, zum Beispiel bei OPC UA, bei der IEC und der ISO. Es wäre aber falsch zu glauben, dass wir in Zukunft einen einzigen oder nur ganz wenige Standards in der Industrie haben werden. Dafür sind die Anforderungen in den verschiedenen Branchen einfach zu unterschiedlich.

Welche Unternehmen werden in Zukunft die Standards setzen?Mit dem Thema beschäftigen sich Industrieunternehmen auf der ganzen Welt. Mit verbindlichen Datenstandards wäre der gesamten Branche geholfen. Europa ist in dem Bereich sicherlich bereits gut aufgestellt. Wer aber am Ende die Standards setzen wird, lässt sich heute noch nicht verlässlich vorhersagen.

Wir werden viele verschiedene Standards haben.«

»

Dieter Wegener

Digitalisierung der Industrie | Datenstandards

25Industry Journal | 01 | 2014

Der Mensch – nicht ganz perfektIndustrielle Anlagen und Prozesse werden immer perfekter. Der Mensch

bleibt unverändert: fehlerhaft, aber unverzichtbar. Deshalb wird er durch

Human Factor Engineering bei seiner Arbeit unterstützt – mit Hilfe der

Psychologie, aber auch mit Datenanalysen, reduzierten Informationen und

der virtuellen Simulation von Arbeitseinsätzen.

Digitalisierung der Industrie | Human Factor Engineering

Industry Journal | 01 | 201426

28. Januar 1986, Merritt Island (Florida, USA): Um 11:38 Uhr Ortszeit startet vom Kennedy Space Center die US­Raumfähre Challenger ins Weltall. 73 Sekunden später bricht sie in 15 Kilometern Höhe auseinan­der. Alle sieben Astronauten sterben. Grund für den Absturz ist das Versa­gen eines oder mehrerer Dichtungs­ringe der Feststoffrakete.

Es ist die Geschichte eines der schwersten Unglücke der interna­tionalen Raumfahrt. Es ist auch die Geschichte technischer Unzuläng­lichkeiten. Es ist vor allem aber die Geschichte menschlicher Fehler: Bereits am Abend vor dem Start hatte Roger Boisjoly, ein Ingenieur des Raketenherstellers Morton Thiokol, eindringlich von einem Start abge­raten. Aufgrund der Nachtkälte in Florida fürchtete er um die Dichtig­keit der so genannten O­Ringe.

Nach hastig anberaumten Telefon­konferenzen zwischen den Projekt­beteiligten entschlossen sich die Verantwortlichen dennoch zum Start. Schließlich war die Raumfähre Disco­very ein Jahr zuvor bei vergleichbaren Temperaturen erfolgreich ins All geflo­gen. Und in der Expertenrunde kur­sierten plötzlich Zahlen, wonach nur bei einer von 100.000 Missionen ein fataler Abbruch auftrete. Dies gab den Verantwortlichen Sicherheit. Für eine wissen schaftliche Haltbarkeit dieser These hätten allerdings eine Million Starts ausgewertet werden müssen – aber danach hatte niemand gefragt.

Der Physik­Nobelpreisträger Richard Feynman war Mitglied der später ein­gesetzten Kommission zur Untersu­chung des Unglücks. Aus seiner Sicht wäre der Unfall vermeidbar gewesen. Wenn die Handbücher des Raketen­

herstellers beachtet worden wären, wenn man die Warnungen der Inge­nieure und Mitarbeiter ernst genom­men hätte, wenn nach früheren Mis­sionen die Abnutzungserscheinungen an Dichtungsringen besser analysiert worden wären, wenn Routinetests nicht vorzeitig abgebrochen worden wären. Für Feynman war nicht die Technik die wesentliche Absturzursa­che – es war der Mensch.

Menschliche Fehler

Das tragische Unglück steht stellver­tretend für das, was in der Fertigung täglich hundertfach vorkommt: teure Fehler durch menschliches Fehlverhalten. Vor etwa 50 Jahren galt technisches Versagen zu knapp 90 Prozent als Ursache aller Unfälle und Störfälle, der Mensch hatte nur in einem von zehn Fällen Schuld.

Dank immer perfekterer Technologie hat sich das Verhältnis umgedreht: »Schätzungen gehen davon aus, dass zum Beispiel ungeplante Anlagenab­schaltungen zu 40 Prozent auf Fehler in den Anlagen, zu 20 Prozent auf das Nichteinhalten vorgeschriebe­ner Prozesse und zu 40 Prozent auf menschliches Versagen zurückzufüh­ren sind«, sagt Florian Güldner, Ana­lyst der ARC Advisory Group, eines international führenden Technologie­forschungs­und Beratungsunterneh­mens für Industrie und Infrastruktur (siehe Interview Seite 30).

Katastrophen, Vor­ und Zwischen­fälle, Mängel und Fehler – dies sind die Kategorien, in denen Experten für »Human Factor Engineering« (HFE) denken, wenn etwas schief­geht. In den vergangenen Jahren ist HFE zunehmend in den Fokus der Prozess­, aber auch der Ferti­

»

Vom Kennedy Space Center im US­Staat Florida (oben) startete 1986 die Raumfähre Challenger – und zerbarst. Schuld war weniger die Technik der Rakete oder des Kontrollraums (unten), sondern der Mensch.

Digitalisierung der Industrie | Human Factor Engineering

27Industry Journal | 01 | 2014

Die Anlagenmanagement­Softwarelösung Comos unterstützt alle notwendigen Abläufe in der Prozessindustrie – wie hier bei einem Pharmaunternehmen.

Digitalisierung der Industrie | Human Factor Engineering

gungsindustrie gerückt – um auf wissenschaftlicher Basis Methoden zu entwickeln, menschliche Fehler zu vermeiden. Denn unter dem Strich bedeuten solche Vorkommnisse im günstigsten Fall Maschinenstillstän­de und Produktivitätseinbußen, im schlimmsten Fall den Verlust von Menschenleben, Reputation, gravie­rende Umweltschäden, milliarden­schwere Regressforderungen.

Je komplexer die Prozesse und Anlagen in der Fertigung werden, je mehr IT und Software die Produktion beherrschen, desto schwerer fällt es Menschen, die Gesamtsituation zu überblicken und situativ richtig zu handeln. Viele Unternehmen gehen mit diesem Dilemma unsachgemäß um – indem sie die Risiken ausblen­den und das »Prinzip Hoffnung« walten lassen. Sie hegen vielfach die unbewusste Überzeugung, gegen menschliche Fehler beim Anlagenbe­trieb nur wenig tun zu können. Die Technik, ja, die können sie perfektio­nieren, den Menschen aber nicht.

Überforderung reduzieren

Doch sie können ihn besser unter­stützen. Thomas Stoffer ist Professor für experimentelle Kognitionspsycho­logie an der Ludwig­Maximilians­Uni­versität München und HFE­Experte. Er hat herausgefunden, dass Men­schen vor allem dann Fehler machen, wenn ihre »naturgegebenen Begren­zungen der sensorischen, attentio­nalen, motorischen und kognitiven Leistungsfähigkeiten« überschritten sind. Einfacher gesagt: wenn sie überfordert sind. Für Stresssituati­onen gilt das umso mehr. Speziell dann neigt der Mensch dazu, nur noch zu reagieren. Doch gerade in Krisensituationen ist aktives, voraus­schauendes Handeln gefragt.

Vielfach habe Überforderung mit den zunehmenden Multitasking­An forderungen zu tun und mit der Informationsflut, welche die indivi­duelle Kapazität des Gedächtnisses überschreite, so Stoffer. Viele Fehler ließen sich indes bereits durch das Optimieren eines Arbeitsplatzes ver­meiden. Oder durch das Filtern und Reduzieren von Informationen. Sinn­

Leistungsstarke 3D VisualisierungDie integrierte Softwarelösung Comos für ganzheitliches Anlagen­management ermöglicht einen lückenlosen Informationsfluss aller relevanten Daten über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage. Alle anlagenrelevanten Daten stehen stets aktuell, zentral und standortübergreifend zur Verfügung und schaffen so die Voraussetzung für ein effektives Anlagenmanagement.

Die Lösung zur 3D-Visualisierung heißt Comos Walkinside und bietet für den Anlagenbetrieb, die Wartung und die Instand-haltung sowie für Trainingsmaßnahmen vor der Inbetrieb- nahme zahlreiche Vorteile.

• Jederzeitrealistische3D-VisualisierungselbstgrößterDaten-volumina.

• HöhereEntscheidungs-undBetriebssicherheitfüralle Beteiligten.

• OptimierungderWartungs-undInstandhaltungsabläufedurchintuitiven, menügesteuerten Zugang zu allen wichtigen Informa­tionen.

• VirtuellesTrainingimIst-ZustandderArbeitsumgebung.• Simulation/SchulungvonEreignissenundAbläufen,einzelnoder

in Teams.• HöhereRentabilitätdurchMinimierungvonAusfallzeitenund

Maximierung der Anlagenverfügbarkeit.

Industry Journal | 01 | 201428

voll seien auch technische Geräte, die das Gedächtnis nicht überfordern, weil sie sich intuitiv bedienen lassen und kontrastreichere Displays haben. Die Fehlerwahrscheinlichkeit sei außerdem von Persönlichkeitsmerk­malen wie Motivation und Emotiona­lität abhängig.

HFE­Experten unterteilen die mensch­lichen Faktoren, die zu Sicherheits­problemen führen können, in drei Bereiche: fehlerhafte Organisation, fehlerhafte Managemententschei­ d ungen und operative Fehler von Mitarbeitern. Nur wenn alle Ursachen für menschliche Fehler bekannt sind und berücksichtigt werden, können diese auch vermieden werden. Das Spektrum reicht vom Organisations­aufbau über sinnvolle Prozesse und die

Personal auswahl bis hin zu Arbeitsmit­teln, Schulungen und Trainings.

Vor allem besonders sicherheitssen­sible Branchen wie Luft­ und Raum­fahrt, Chemie­, Pharma­ und Atom­ industrie haben die Bedeutung von HFE erkannt und verfolgen das The­ma systematisch. In der Öl industrie kommt es weltweit beispielsweise im Durchschnitt alle 20 Jahre zu einer Großkatastrophe – die Sensibilität für Fehlerquellen jeglicher Art ist deshalb hier stark ausgeprägt.

Nach Erkenntnissen der ARC Advisory Group setzen diese Branchen inzwi­schen verstärkt auf Lösungen, die das Potenzial der Industrie 4.0 mit all ihren Vernetzungen nutzen. Denn sinnvoll sind nur integrierte Ansätze.

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Comos Walkinside ermöglicht den virtuellen Rundgang durch ein reales Abbild einer Anlage und erleichtert so deren Betrieb und Instandhaltung. Schulungen können im virtuellen Modell durchgeführt werden, so dass sich das Sicherheitsrisiko reduziert.

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Ursachen für ungeplante Anlagenabschaltungen(in Prozent geschätzt)

20

40

40

Nichteinhalten vorgeschriebener Prozesse

Fehler in den Anlagen

Menschliches Versagen

29Industry Journal | 01 | 2014

Digitalisierung der Industrie | Human Factor Engineering

Florian Güldner, Senior Analyst der ARC Advisory Group, im Gespräch über den betriebswirt-schaftlichen Nutzen von Sicher-heitsmaßnahmen, integrierten Sicherheitskonzepten und über das Vier-Augen-Prinzip.

Warum gewinnen Kennzahlen zur Prozess- und Arbeitssicherheit in der Prozessindustrie derzeit so stark an Bedeutung?Betrachtet man die Gesamtkosten, die Unternehmen aus Unfällen, Vorfällen, Mängeln in der technischen Zuver­lässigkeit und der Betriebs sicherheit entstehen, liegt es nahe, das Augen­merk auf solche Themen zu lenken. In vielen Unternehmen erreichen die so entstehenden Kosten einen Anteil von

Risiken werden unter­bewertet.«

bis zu drei Prozent vom Umsatz, was je nach Industrie 15 bis 20 Prozent des Gewinns ausmachen kann.

In welchem Verhältnis stehen Aufwand und Nutzen bei solchen Maßnahmen?Das Problem ist die exakte Messung. Großkatastrophen etwa treten nicht einmal pro Monat auf, sondern eher einmal pro Jahrzehnt. Die Kosten lassen sich schlecht quantifizieren, da statistische Grundlagen fehlen. Aber allgemein beeinflussen Anlagen­verfügbarkeit und Prozesssicherheit das Finanzergebnis jedes Unterneh­mens maßgeblich. Untersuchungen zeigen, dass die durchschnittlichen finanziellen Auswirkungen schwerer Industrie unfälle erheblich unter­bewertet werden. Durch Wartung, Technik und eine entsprechende Sicherheitskultur lässt sich das Risiko deutlich und kosteneffizient verringern. Allerdings greifen hier nur integrierte Ansätze, die Tech­nik, Routinen, Anlagenbetrieb und menschliches Verhalten einbeziehen.

Wo liegen die Ursachen für Sicherheits- und Verfügbarkeits-defizite?Die Quelle der meisten Sicherheits­ und Betriebssicherheitsprobleme ist zweifellos der Mensch. Deshalb müssen wirksame Maßnahmen zur Betriebs­ und Prozesssicherheit neben dem Anlagenmanagement und den Aspekten Gesundheit, Arbeitsschutz und Umwelt auch Fra­gen der Zuverlässigkeit des mensch­lichen Handelns und der Prozessaus­führung integrieren. Wesentliche Voraussetzungen dafür sind aktuelle Anlageninformationen als Basis für operative Entscheidungen, die Wahl

der richtigen Instandhaltungsmaß­nahmen oder Trainings. Das alles ist natürlich nutzlos, wenn der Anlagen­betreiber gestresst, überarbeitet und übermüdet ist.

Das klingt aufwendig. Können Sie auch Beispiele für simple Ad-hoc-Maßnahmen nennen?Allein die Aufteilung der Verant­wortung auf zwei Personen und die doppelte Prüfung von Entscheidun­gen sorgen nachweisbar für einen signifikanten Rückgang menschlich bedingter Fehler.

Welche Rolle spielen in diesem Kontext die Digitalisierung und die Integration der Fertigung?Im industriellen Umfeld geht es zunehmend darum, sich durch ver­netzte Sensoren ein korrektes und aktuelles Bild von einer Anlage zu verschaffen. Auf Basis dieser Infor­mationen können Entscheidungen getroffen werden. Ist der Input falsch, sind auch die Rückschlüsse daraus falsch. Heute sind aber bedeutend mehr Informationen aus einer Anlage verfügbar, als ein Ope­rator verarbeiten kann. Die sinnvolle Reduktion ist oft die eigentliche Her­ausforderung.

Aber selbst bei perfekten Rahmen-bedingungen sind Extremsitua-tionen nicht ausgeschlossen.Hier hilft nur das Prozess­ und Ver­haltenstraining der Mitarbeiter. Trai­nierte Mitarbeiter treffen in Notfällen und unter Stress öfter die richtigen Entscheidungen. Dabei ist wichtig, dass ein Training so lebensnah wie möglich stattfindet. Also mit einer simulierten Anlage, die der realen 1:1 entspricht.

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Florian Güldner

Industry Journal | 01 | 201430

Digitalisierung der Industrie | Human Factor Engineering

Anlage in Betrieb geht, können Schu­lungen realistisch, aber unter sicheren Umgebungsbedingungen durchgeführt werden«, sagt Jan Rougoor, Head of Product Management Comos. »Daher nutzen zum Beispiel Kunden aus dem Öl­ und Gasbereich Comos Walkinside für Trainingsmaßnahmen: Selbst wenn sich eine große Ölförderanlage wie eine Offshore­Plattform noch im Bau befindet, kann die zukünftige Bedien­mannschaft die Anlage schon kennen­lernen.«

Zum Comos­Angebot gehört auch die Simulation von Störfällen. Doch auch für die normale Betriebsphase bietet Comos Vorteile – etwa für Instandhal­tungsmaßnahmen, die sich via Comos Walkinside realistisch simulieren und exakt planen lassen. Rougoor: »Auf­wendigere Wartungseinsätze können minutiös geplant und anschlie ßend effektiv umgesetzt werden. Das erhöht die Sicherheit und spart Kosten, Zeit und Nerven.« Und kann im Extremfall Menschenleben retten.

Und nachhaltige Erfolge benötigen einen langen Atem sowie eine gelebte Sicherheitskultur.

Aus Fehlern kann man lernen. Eine systematische unternehmensinterne Analyse erfordert fünf Schritte: Daten­erfassung zu Unfällen oder Störungen, Datenanalyse, Ableitung von Maßnah­men, Kontrolle der Wirksamkeit dieser Maßnahmen und Dokumentation.

Daten früh erfassen

In ihrem Whitepaper »Good Asset Information Management Practices Improve Reliability and Reduce Ope­rational and Safety Risks« kommen Valentijn de Leeuw und Florian Güldner von der ARC Advisory Group zu dem Schluss, dass eine erfolgver­sprechende Sicherheitskultur sogar noch früher beginnen muss: Daten sollten nicht nur bei Unfällen erfasst werden, sondern laufend. Eine konsis­tente und globale Datendrehscheibe, die allen an der Entwicklung und dem Betrieb einer Anlage Beteiligten zur Verfügung steht, sei ein wesentlicher Hebel für eine erhöhte Sicherheit und Verfügbarkeit der immer komplexeren Anlagen in der Prozessindustrie.

Eine Lösung für eine solche Datenbasis bietet Siemens der Prozessindustrie mit seiner Softwarelösung Comos (siehe Kasten Seite 28). Die Industrie­software wurde für die Planung und das Management für den gesamten Lebenszyklus einer Prozessanlage ent­wickelt. Inzwischen haben die Siemens­Entwickler Comos um die 3D­Visuali­sierungssoftware Walkinside ergänzt. Diese ermöglicht es, beliebig komplexe Anlagen bereits vor ihrer Inbetriebnah­me präzise virtuell darzustellen.

Der Anwender bewegt sich am Com­puter mit einem Avatar realitätsnah durch die Anlage. »Schon bevor eine

Die sinnvolle Reduktion von Informationen ist die eigentliche Herausforderung.«Florian Güldner, ARC Advisory Group

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31Industry Journal | 01 | 2014

Ungefährlich und einfach zu bedienen: Industrieroboter der nächsten Generation erfordern in der Zusammenarbeit mit Men­schen weder abgegrenzte Schutzbereiche noch langjährige Programmiererfahrung.

Digitalisierung der Industrie | Industrieroboter

Vom Diener zum KollegenIndustrieroboter können immer mehr, sind einfacher zu bedienen und

brauchen keine Schutzzonen. In der Industrie 4.0 arbeiten sie Seite an

Seite mit dem Menschen. Das Potenzial für Produktivitätsverbesserungen

ist groß – wie erste Praxisbeispiele beweisen.

Industry Journal | 01 | 201432

Dafür war der Roboter eigentlich nicht gedacht: Louise, eine junge Inge­nieurstudentin, programmiert den orangefarbenen mechanischen Arm, so dass er eine Cola­Dose greifen, schütteln und öffnen kann. Als ihr Freund nach Hause kommt und sich, kaum grüßend, sofort in seine E­Mails vertieft, naht der Zeitpunkt der Rache: Mit einem Klick auf dem Tablet­PC setzt Louise den Roboter in Gang. Der bestraft den Stoffel mit einer Limona­denfontäne.

Das Video war im vergangenen Jahr ein Hit auf Facebook – eine Kampagne der europäischen Forschungsinitiative SMErobotics. Sie soll junge Leute auf die nächste Revolution in der Arbeits­welt einstimmen: eine neue Partner­schaft von Mensch und Maschine. Die Botschaft: Der Roboter von morgen ist zugänglich, interaktiv, einfach zu bedienen und gehört in den Alltag – natürlich nicht bei Beziehungskrisen, sondern dort, wo der Nutzen am größten ist: in der Industrie.

Bisher kamen Roboter dort nur in abgegrenzten Schutzbereichen und in der Regel hinter Sicherheitsglas oder ­gittern zum Einsatz. In der kognitiven Fabrik von morgen ist das anders. Da nimmt ein Arbeiter den Kollegen Roboter am Arm und zeigt ihm neue Handgriffe – ganz ohne herkömm­liche Programmierung. Der Apparat lernt, meldet Fehler und stoppt, wenn ihm ein Mensch in die Quere kommt. Besonders hilfreich ist das, wenn der Roboter Arbeiten übernimmt, die eintönig, anstrengend und gefährlich sind: Heben. Tragen. Schneiden. Oder am besten gleich ganze Jobs wie den eines Kanalreinigers oder Packers, die in den USA das Prädikat »3D« tragen – »dirty, dangerous, dull« (schmutzig, gefährlich, öde).

Zukunftsmusik? Die ersten Team­ roboter sind schon im Einsatz. In den USA macht derzeit »Baxter« Schlag­zeilen, ein interaktiver Roboter mit einem gesichtsähnlichen Monitor. Er schließt die Augen, wenn er nichts zu tun hat, zieht die Augenbrauen hoch, wenn jemand unerwartet seinen Arbeitsbereich betritt, und schaut ver­wirrt, wenn er neuen Input braucht. Vor allem aber ist er ungefährlich und einfach zu bedienen.

Sein Erfinder ist Rodney Brooks, ehe­maliger Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). 2008 gründete Brooks die Firma Rethink Robotics. Baxter ist deren erstes Pro­dukt und seit etwas mehr als einem Jahr auf dem Markt, für 22.000 US­Dollar. Die Zielgruppe ist nicht die klassische Fertigungsindustrie mit großen Anlagen, sondern der Mittel­stand: »In den USA gibt es rund 300.000 Industriefirmen mit jeweils weniger als 500 Beschäftigten. Die sind oft hoch spezialisiert und pro­duzieren kleine Serien«, sagt Brooks. »Das ist unser Markt.«

Kameras an den Gelenken

Die Technik ist noch nicht ganz aus­gereift. Doch immerhin packt Baxter zum Beispiel bei der Spritzgussfirma Rodon in Hatfield (Pennsylvania) bereits Kisten ein. Dank Sonarsen­soren und winziger Kameras an den Gelenken wird der Roboter automa­tisch langsamer oder stoppt, wenn ihm ein Mensch zu nahe kommt. Doch wenn ihn keiner stört, packt Baxter rund um die Uhr. Die Kolle­gen hätten sich gut an den mecha­nischen Kollegen gewöhnt, sagt Rodons Vice President Lowell Allen. »Am besten finden sie, dass er den Mund hält.«

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Der Roboter wird den Menschen in einem ganz anderen Ausmaß als heute unter- stützen.«Florian Geiger, Leiter der Abtei-lung Planung und Steuerung beim Fraunhofer-Institut für Werkzeugma-schinen und Umformtechnik (IWU)

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Digitalisierung der Industrie | Industrieroboter

33Industry Journal | 01 | 2014

die Arbeitsteilung zwischen mensch­licher und künstlicher Intelligenz. »Der Roboter wird den Menschen nicht ablösen, aber ihn in einem ganz anderen Ausmaß als heute unterstüt­zen«, sagt Florian Geiger, Leiter der Abteilung Planung und Steuerung beim Fraunhofer­Institut für Werk­zeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Augsburg.

Mobile Bearbeitung

Dabei stellt die Kollaboration von Mensch und Roboter nur eine Facette möglicher Innovationen dar. Die Kuka AG in Augsburg konstruiert derzeit eine neue Generation mobiler Robotersys­teme, gedacht für den flexiblen Einsatz bei übergroßen und sperrigen Bauteilen wie Rotorblättern. Die Idee: In Zukunft muss nicht mehr das Produkt durch die Fertigung bewegt werden, sondern die mobilen Bearbeitungsmaschinen bewe­gen sich rund um das Produkt.

Das Fraunhofer­Institut für Arbeits­wirtschaft und Organisation (IAO) entwickelt seit September 2013 zusam­men mit elf europäischen Partnern den »Robo­Mate«, einen Helfer zum Tragen schwerer Lasten. Im Fachjargon als Exoskelett bezeichnet, soll er wie eine Art Rüstung für menschliche Arbeiter sein, die Bewegungsabläufe unterstützt und so das Knochengerüst der Arbeiter entlastet und schützt.

Der Bedarf für eine solche Lösung ist gewaltig: Rund 44 Millionen Beschäf­tigte in der Europäischen Union (EU) leiden an arbeitsbedingten Muskel­ und Skeletterkrankungen, schätzt die Work Foundation Alliance im briti­schen Lancaster. Arbeiter leiden unter Schmerzen und werden in ihrer Arbeit beeinträchtigt. Die Folgekosten liegen bei 240 Milliarden Euro jährlich.

Auch auf anderen Gebieten, wie etwa in der Mobilität, kommen Roboter zum

Alles unter KontrolleEr hat sechs Räder, ist geländegängig und bewegt Schubkarren ebenso wie Reinigungsgeräte: der Forbot A4 der Roboterwerk GmbH aus Chieming­Hart bei Traunstein. Für seine Koordi­nation sorgt Software von Siemens: Die Informationen und Impulse, die der Forbot A4 über Sensoren und

Scanner erhält, werden über eine Steuerung koordiniert, die per TIA Portal programmiert ist. Mehrere Software­Module sind dort unter einer einheitlichen Benutzerober­fläche zusammengefasst, darunter Steuerungen des Typs Simatic S7­1200 und Simatic S7­1500.

Die Kosten von Baxters Einsatz liegen bei rund drei US­Dollar pro Stunde. Der Fernsehsender CBS feierte Baxter bereits als Wunderwaffe, um Jobs aus China zurück in die USA zu holen. Das Argument: Durch intelligente Roboter kann die Produktivität erheb­lich steigen. Und wo menschliche Arbeitskräfte knapp werden, können sie diese ersetzen.

Roboter wie Baxter gehören zur Industrie 4.0 – der Vision einer hochflexiblen und automatisierten Fertigung. Die Digitalisierung des Pro­duktentwicklungs­ und Produktions­prozesses verspricht hohe Effizienz­gewinne, auch beim Energie einsatz. Maschinen und Produkte, so die Vision, sind mit Sensoren ausgestat­tet und vernetzt; sie kommunizieren drahtlos und in Echtzeit.

Die Automatisierung erreicht dadurch eine neue Dimension – und mit ihr

Digitalisierung der Industrie | Industrieroboter

Ferngesteuert und geländegängig: Der Forbot A4 fährt mit Software von Siemens.

Industry Journal | 01 | 201434

Einsatz. So hat Siemens im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts DALi (Devices for Assisted Living) einen Hightech­Rollator mit hochauflösenden 3D­Kameras und Seitenkameras erfun­den, der auch Hinweisschilder vor­lesen kann. Der so genannte C­Walker ist ideal für ältere Menschen, damit diese sich in unübersichtlichen öffent­lichen Räumen wie Flughäfen oder Einkaufszentren zurechtfinden.

Grundlage für die Navigation ist der Kinect­Sensor, von Microsoft einst für die Spielkonsole Xbox entwickelt – ein mobiles System, das die Umwelt räumlich in Echtzeit erfasst. Die Technik eignet sich prinzipiell auch zur Anwen­dung in der Industrie: Sie könnte in tragbare Panel­PCs integriert werden und Betriebsfremde, etwa Service­techniker, durch unübersichtliche Produktionsstrecken leiten. Sie könnte aber auch Teil des Orientierungs­systems von mobilen Robotern werden.

Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) haben ein 3D­Robotergesicht entworfen, das per Mimik und Sprache kommuniziert, hier mit Takaaki Kuratate vom Lehrstuhl für Kognitive Systeme an der TUM.

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Wie die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter konkret ausse­hen kann, hat ein 24­köpfiges For­scherteam der Technischen Universi­tät München in dem Projekt CoTeSys mit einer hybriden Montagezelle getestet: Der Roboter übernimmt bei­spielsweise körperlich anstrengende oder eintönige wiederkehrende Auf­gaben wie das Eindrehen von Schrau­ben. Menschen kommen immer dann zum Einsatz, wenn es um sensitive und feinmotorische Aufgaben geht, etwa die Reparatur von Kabeln.

Informationen in Echtzeit

Was sich so einfach anhört, setzt eine hochkomplexe Programmie­rung und Steuerung des Apparats voraus: Er muss nicht nur seine Auf­gabe, die Arbeitsteilung mit einem Gegenüber und seine Umgebung kennen, sondern auch Informationen in Echtzeit verarbeiten. Das beginnt

Digitalisierung der Industrie | Industrieroboter

80Prozentder weltweit mehr als 2.000 im Einsatz befindlichen Roboterarme des dänischen Unternehmens Universal Robots arbeiten ohne jegliche Sicherheitszone.

35Industry Journal | 01 | 2014

zum Beispiel einen großen roten E­Stopp­Knopf. Sicher ist sicher.

Auch Universal Robots im dänischen Odense produziert Roboter, vor denen Menschen nicht mehr geschützt werden müssen: Metallarme mit sechs Achsen, deren Arbeitsradius bis zu 1,3 Metern beträgt und die bis zu zehn Kilo tragen können. Bei unplanmäßiger Berührung stoppen die Maschinen sofort. Programmiert werden sie über einen Touchscreen. Die Firma gewann mit dem Konzept im Oktober 2013 den renommierten »Game Changer Award« des Bran­chentreffs RoboBusiness im Silicon Valley (Kalifornien).

Weltweit sind bislang bereits mehr als 2.000 der flexiblen Roboterarme

im Einsatz. 80 Prozent von ihnen arbeiten nach Unternehmensangaben ohne jegliche Sicherheitszone. Einer von ihnen ist seit August bei Volks­wagen (VW) in Salzgitter im Einsatz: Er steckt Glühstiftkerzen in Zylinder­bohrungen. Diesen Produktionsschritt musste selbst in einer so hochtech­nologischen Fertigung wie der von Volkswagen bislang ein Mitarbeiter in stark gebückter Haltung erledigen. Jetzt kann der sich aufs Abkleben des Zylinderkopfs konzentrieren und dabei aufrecht stehen. »Der Roboter wird zum Produktionsassistenten und kann als solcher den Mitarbeiter von ergonomisch ungünstigen Arbei­ten befreien«, sagt VW­Projektleiter Jürgen Häfner.

Lange Vorbereitungszeit

Das Beispiel zeigt allerdings auch, mit wie viel Aufwand die Umstellung auf die neue Zeit verbunden sein kann: Bis der Roboterarm bei VW die erste Glühstiftkerze einstecken konnte, ver­gingen zwei Jahre – zu lang für viele Unternehmen. Sie setzen ihre Hoff­nungen eher auf Forschungsprojekte wie SMErobotics – eine auf vier Jahre angelegte Initiative der EU, die Ein­richtungs­ und Betriebsaufwand von Industrierobotern drastisch reduzieren soll und dabei Unternehmen pragma­tisch einbezieht.

Martin Hägele vom Fraunhofer­Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) koordiniert das Projekt. »Intelligente Robotersysteme folgen nicht stur einem einmal ein­gegebenen Programm«, sagt er. »Sie können vom Werker selbst auf neue Aufgaben angesetzt werden, ohne dass ein externer Systemintegrator bemüht werden muss.« Ein europäi­scher Baxter, sozusagen.

Perspektivisch wird sich zudem die althergebrachte Rollenver­teilung ändern, bei welcher der Mensch befiehlt und der Roboter gehorcht. Denn am größten sind die

Die mehrstufige DARPA Robotics Challenge (DRC) in Homestead (Florida) ist ein spannendes Turnier, das die Entwicklung humanoider Roboter entschei­dend vorantreiben könnte. Ausgeschrieben hat es das US­Verteidigungsministe rium. Zu den »DRC Trials« im Dezember 2013 traten 16 Teams aus der gan­ zen Welt an. Die Roboter mussten unterschiedlichste Aufgaben erfül­len, etwa eine Leiter hochklettern, ein Loch in eine Wand schneiden oder einen Feuer wehrschlauch anschließen.

Rund die Hälfte der Teams nutzte den Prototypen Atlas, den die Firma Boston Dynamics aus Massachusetts zur Verfügung

gestellt hatte. Andere setzten auf Eigenentwicklungen. Sieger wurde ein Start­up aus Tokio, die Plätze zwei und drei belegten Teams des Florida Institute for Human and Machine Cognition sowie der Carnegie Mellon Univer­sity in Pittsburgh (Pennsylvania).

Insgesamt haben sich acht Teams für die nächste Runde qualifiziert. Sie erhalten Zuschüsse von bis zu einer Million Dollar, um ihre Roboter weiterzuentwickeln. Beim Finale im ersten Halbjahr 2015 winkt ein Preis von zwei Millionen Dollar. Langfristig ist es das Ziel, Roboter beispielsweise zur Hilfe in Katastrophengebieten oder bei der Demontage von Atomkraft­werken einzusetzen.

Zwei Millionen Dollar Preisgeld

Digitalisierung der Industrie | Industrieroboter

bei fehlendem Nachschub, geht über Informationen zu Werkstücken, die gerade auf dem Fließband liegen, bis zu Analysen, wie sich sein Team­kollege verhält.

In der Sprache der Wissenschaftler klingt das so: »Das System muss mit dem wahrscheinlichsten nächsten Schritt beginnen, um ein antizipato­risches Verhalten zu erreichen, das für effiziente Kooperation wichtig ist.« Soll heißen: Aus der Fülle der Informationen muss der Roboter eine Entscheidung generieren – noch bevor er absolut sicher ist. Denn das würde zu lange dauern. Es wird bei diesem System also Fehler und Miss­verständnisse geben. Wie bei Men­schen auch. Wichtig ist, dass diese nicht eskalieren. Baxter besitzt daher

Industry Journal | 01 | 201436

Produktivitätsge winne, wenn beide voneinander lernen. Das ergab ein Versuch am MIT zum so genannten Human­robot cross­training. Erst stell­ten die Menschen Schrauben bereit, dann drehten die Roboter sie ein. Anschließend wurden die Aufgaben getauscht. Indem sich Mensch und Maschine jeweils gegenseitig beob­achteten, stellten sie sich aufeinander ein und wurden effizienter: Die Warte­zeiten verkürzten sich um 40 Prozent.

Roboter für Google

Solche Aussichten interessieren auch den auf Effizienz getrimmten US­Internetgiganten Google. In aller Stille, doch in rasantem Tempo hat der Konzern ein kleines Roboterimpe­rium zusammengekauft: acht Akqui­sitionen in sechs Monaten. Darunter Firmen wie Bot & Dolly oder Industrial Perception, die auf Kamera­ oder Greiftechnik für Roboter spezialisiert sind. Zuletzt kam im Dezember 2013 die Firma Boston Dynamics in Waltham (Massa chusetts) dazu. Sie entwickelt seit Jahren mobile Roboter für das US­Verteidigungsministerium. Einige sehen aus wie gigantische Spinnen ohne Kopf, andere wie Gestalten aus dem Actionfilm »Iron Man«.

Was Google mit dem Sammelsurium anfangen will, weiß das Unternehmen angeblich selbst noch nicht so genau. Wie wichtig aber das Projekt ist, zeigt allein die Tatsache, dass es Googles Staringenieur Andy Rubin leitet, der zum Beispiel die inzwischen welt­weit führende Smartphone­Software Android entwickelt hat. Die US­Zeitung »New York Times« spekuliert, der Kon­zern, der mit selbstfahrenden Autos und einem Zustellservice für Waren­häuser experimentiert, wolle einen komplett automatisierten Paketservice entwickeln. Rubin selbst spricht nur nebulös von chancenreichen Anwen­dungen in Logistik und Industrie und vergleicht das Projekt mit einer Reise zum Mond. »Wir brauchen genug Schubkraft – und zehn Jahre Zeit.«

Noch länger wird es dauern, bis die Vision der Industrie 4.0 den Produk tionsalltag bestimmt – bis in den Fabrikhallen die reale und die virtuelle Welt komplett verzahnt sind, Mensch und Maschine flexibel und effizient kooperieren und Wert ­ schöpfungsketten perfekt ineinander­ greifen.

Ist schon das Internet der Dinge durch unterschiedliche draht lose Kommunikationstechnologien gehemmt (siehe Seite 24), so sind gemeinsame Standards in der Robotik noch nicht einmal absehbar. »Jeder Hersteller hat seine eigene Steue­rungstechnik, die Komponenten sind nicht austauschbar, und auch die Sprachprogrammierung ist unterschiedlich«, sagt Fraunhofer­

Experte Geiger. Trotzdem gilt unter Experten als ausgemacht, dass in der hybriden ressourcen sparenden Arbeitsteilung von Mensch und Roboter die Zukunft der Produktion liegt.

Es spricht für sich, dass sich neuer­dings an der Börse auf die Zukunft der digitalisierten Industrie wetten lässt: Im vergangenen Herbst wurde an der Technologiebörse Nasdaq ein neuer Aktienindex aufgelegt, der »Robo­Stox Global Robotics and Automation Index«. Er umfasst 77 Unternehmen, darunter Siemens. Wie passend: Zum ersten Mal in der Geschichte der Nasdaq läu tete am Tag eins des neuen Aktienindexes nicht ein Mensch die Schlussglocke, sondern ein Roboterarm.

Digitalisierung der Industrie | Industrieroboter

Industrieroboter sind im Zuge der Automatisierung ein wachsender Markt. Und das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Weltweit sind gegenwärtig rund 1,5 Millionen Industrieroboter im Einsatz, schätzt die Internationale Robotik­Vereinigung IFR in Frankfurt am Main. Nach ihren Berechnungen werden in den kommenden drei Jahren jeweils sechs Prozent mehr Roboter verkauft. Das sei eine konservative Schätzung, betont Andreas Bauer, Chairman der Industrial Robot Suppliers Group der IFR. »Zusätzliches Potenzial gibt es durch atemberaubende innovative Entwicklungen, die Türen für ganz neue Anwendungen öffnen – etwa im Bereich der Kooperation zwischen Mensch und Roboter.«

Wachstumsmarkt Robotik

37Industry Journal | 01 | 2014

Mensch und Maschine – ein bewährtes Team

Obwohl der Auto­matisierungsgrad beim Elektronik­werk Amberg extrem hoch ist, bleibt für die 1.100 Mitarbeiter viel zu tun – wie hier für Johannes Zenger, Systembetreuer im Bereich Prüftechno­logie.

Digitalisierung der Industrie | Digital Enterprise Platform

Industry Journal | 01 | 201438

»Ohne den Menschen wird Industrie niemals funktionieren«, prognos­tiziert Karl­Heinz Büttner. Seit fünf Jahren leitet er das Elektronikwerk Amberg (EWA) und ist zudem Vice President Manufacturing Industry Automation Systems. In der Siemens­Fertigung werden auf 10.000 Quad­ratmetern speicherprogrammierbare Steuerungen hergestellt. Tag und Nacht. Zu 75 Prozent von Robotern und Maschinen; rund 1.100 Mitar­beiter sorgen für den reibungslosen Betrieb der Anlagen. Zwar wird der Grad der Automati sierung in den kommenden Jahren weiter steigen. Doch ganz wird die hochautomati­sierte Fertigung nicht auf des Men­schen Hand und Hirn verzichten können. »Für die innovative Ent­wicklung von Produkten, die Ferti­gungsplanung und beim Umgang mit unerwarteten Vor kommnissen im Arbeitsalltag ist der Mensch auch in Zukunft unersetzlich«, so Büttner.

Doch nicht nur der Mensch ist unent­behrlich. Qualität und Effizienz einer hochautomatisierten Fertigung wie in Amberg sind auch ohne Hightech­Maschinen undenkbar. Deutlich wird das bei der Fehleranfälligkeit von Mensch und Maschine. Heute weist das EWA eine Produktionsqualität von zwölf dpm (defects per million) auf. Das heißt: Bei einer Million Fehlermög­lichkeiten treten durchschnittlich zwölf Fehler auf. »Ein sehr guter Mitarbeiter alleine erreicht dagegen etwa 500 dpm«, erklärt Büttner (siehe Seite 26).

»Das harmonische und effiziente Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine ist daher entscheidend.«

Jede Sekunde ein Produkt

In Amberg ist diese Symbiose seit 1989 bis zur Perfektion gereift. Zwölf dpm bedeuten eine Qualität von 99,9988 Prozent. Doch nicht nur die Qualität, sondern auch der Durchsatz an Produkten ist beein­druckend. Pro Jahr verlassen zwölf Millionen Simatic­Produkte das EWA. Bei rund 230 Arbeitstagen heißt das: Jede Sekunde wird ein Gerät fertig­gestellt. Maschinen sind für die Pro­duktion verantwortlich, Mitarbeiter programmieren, steuern und über­wachen diese Prozesse. Dabei helfen Software­Lösungen unter dem Motto »Simatic steuert Simatic«. Darüber hinaus ist es das Manufacturing Execution System von Siemens, Simatic IT, das die Fertigung der Siemens­Steuerungen anleitet.

Konkret heißt das: Vor jedem Arbeits­schritt identifizieren Scanner das zu fertigende Produkt über einen indi­viduellen Barcode. Sie melden Stück­zahlen, erzeugen Zeitstempel und kommunizieren die Anforderungen. Direkt aus der Entwicklungsabteilung erhält Simatic IT über die Vernetzung mit den PLM­Programmen NX und Teamcenter die Bestückungspläne der Produkte. In der Fabrik kommu­niziert dann das Produkt mit seinen Fertigungsmaschinen und gibt

Mit beeindruckend niedriger Fehlerquote und hohem

Durchsatz weisen zwei Fabriken von Siemens den Weg

in die Zukunft der Industrie. Mit Produkten der »Digital

Enterprise Platform«, die das Unternehmen auch seinen

Kunden anbietet, sind zwei Fabriken mit Vorzeige-

charakter entstanden. Doch auch in diesen digitalen

Unternehmen spielt der Mensch eine wichtige Rolle.

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Karl­Heinz Büttner, Werksleiter Elektronikwerk Amberg und Vice President Manufacturing Industry Automation Systems

Digitalisierung der Industrie | Digital Enterprise Platform

Der Mensch ist auch in Zukunft unersetz-lich.«Karl-Heinz Büttner

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39Industry Journal | 01 | 2014

reale und die virtuelle Produktions­welt enger miteinander verzahnt.

Schon 2030 könnte es so weit sein, dass Produkte, Bauteile und Maschi­nen derart miteinander kommuni­zieren, dass sie ihre Fertigung nicht nur selbst steuern, sondern auch optimieren können. Produkte mit individuellen Anforderungen könn­ten dann mit einer Geschwindigkeit, Qualität und Kosteneffizienz gefer­tigt werden, als wären sie Fließband­ware. Cyberphysikalische Systeme (CPS), so die Experten, könnten die Grundlage sein, um diese selbstorga­nisierte und ­optimierte Produktion zu ermöglichen.

Dazu muss sich aber auch in Amberg noch einiges tun. »Wir müssen unsere Prozesse dezentralisieren«, erklärt Büttner. So werden auf den 19 Montagelinien im EWA jeweils verschiedene Produkte hergestellt. In Zukunft soll jede Linie in der Lage sein, sämtliche Simatic­Produkte zu fertigen. Ein neuer Auftrag würde sich dann automatisch eine freie Fer­tigungslinie suchen. »Heute ist das aber noch eine Vision«, sagt Büttner.

Energieverbrauch reduziert

Auch beim Energiemanagement ist das Elektronikwerk Amberg bereits sehr fortschrittlich. Eine Studie zum Energieverbrauch hat ergeben: Zwei Drittel entfallen auf die Öfen, in denen die Baugruppen gelötet werden, sowie auf Lüftung und Beleuchtung der Fabrikhalle. Die Folge sind erste Optimierungsideen. In mehreren Öfen konnten die Stickstoffverluste redu­ziert werden; eine neue Regel für das Ein­ und Ausschalten der Anlagen ver­ringert den Energieverbrauch.

Dieses Ziel hat auch ein 2014 gestar­tetes Pilotprojekt. Die Montagelinie ML S7­1200 wurde mit einer flexib­len Steuerung sowie Messsystemen für Strom und Druckluft ausgerüstet. Der Energieverbrauch einzelner Maschinenabschnitte kann nun exakt bestimmt werden. Sobald einzelne Teile der Anlage nicht in Betrieb sind, werden sie automatisch abgeschaltet, um Strom zu sparen. So startet die Maschine selbstständig zu Schicht­

Anforderungen und seinen Status in Echtzeit weiter. Täglich entstehen etwa 50 Millionen Prozessinformatio­nen, die in Simatic IT eingespeist wer­den. Die Software definiert alle Fer­tigungsregeln und ­prozesse. Damit wird die Produktion von Anfang bis Ende virtuell erfasst und gesteuert.

Nur so kann das EWA präzise arbeiten wie ein Schweizer Uhrwerk. Fließ­bänder führen die Leiterplatte in eine Schablonendruckmaschine. Hier wird das Werkstück mit bleifreier Lötpaste bedruckt, Bestückungsautomaten bringen die gewünschten Bauteile, so genannte Surface­Mounted Devices auf (SMD, deutsch: oberflächen­montiertes Bauelement). Im Lötofen werden sie dann bei 265 Grad Celsius gelötet.

1.000 Produktvarianten

Jährlich werden mehr als zwei Milli­arden Bauelemente wie Kondensa­toren, Widerstände oder Relais auf­gelötet. Simatic IT sorgt dafür, dass auf jeder Leiterplatte nur diejenigen Bauteile aufgebracht werden, die der Kunde wünscht. Kameras und eine Röntgenanlage untersuchen anschlie­ßend die Qualität dieser Verbindun­gen. Beanstanden sie die Produkte, greift der Mensch ein und kontrolliert die Steuerungen händisch. Erst dann kann die Simatic­Steuerung in ein Gehäuse montiert werden. Am Ende der 80 Meter langen Fertigungslinie wird sie automatisch verpackt und an das Lieferzentrum in Nürnberg weitergegeben. Von hier erreichen rund 1.000 Produktvarianten mehr als 60.000 Kunden weltweit.

Vernetzung zwischen Forschung und Fertigung, Kommunikation zwischen Produkt und Maschine, hochauto­matisiert und menschenüberwacht zugleich – das Elektronikwerk Amberg ist das Vorzeigewerk von Siemens, ein digitales Unterneh­men, das auf der »Digital Enterprise Platform« von Siemens entstanden ist. Was im EWA Alltag ist, könnte in einigen Jahren auch in anderen Fabriken zum Standard werden. Wis­senschaftler und Manager haben die Vision der Industrie 4.0 erarbeitet. Ihre Annahme: In Zukunft werden die

Digitalisierung der Industrie | Digital Enterprise Platform

75

50

Euro

Prozent

Millionen

116.000

beträgt der Automati­sierungsgrad des Elektronik­werks Amberg.

Prozessinformationen werden im EWA täglich in Simatic IT eingespeist.

Energiekostenersparnis pro Jahr verdankt Siemens Electronic Works Chengdu (China) seiner modernen Gebäudetechnik.

Industry Journal | 01 | 201440

An den insgesamt 19 Montagelinien des Elektronikwerks Amberg (EWA) bleibenMenschen wie die SMD­Bedienerin Sabrina Scherl (oben) auch in Zukunft unverzichtbar.Seit Februar 2013 ist im chinesischen Chengdu eine weitgehende Kopie des EWA in Betrieb. Das Werk beschäftigt rund 350 Mitarbeiter, darunter den Einrichter Cheng Xue Qiang (unten).

Digitalisierung der Industrie | Digital Enterprise Platform

beginn, um sich bei Betriebspausen sofort in den Energiesparmodus zu schalten. »Zukünftig sollen alle Maschinen über eine standardisierte Schnittstelle so gesteuert werden können«, erklärt Norbert Eckl, Leiter der Werksplanung des EWA.

Die Erfassung der Energiedaten, so Eckl, wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen, ebenso wie das Start­Stopp­Management. Auch sei es denkbar, dass Maschinen zukünftig eigenständig entscheiden, wann sie hochfahren, in den Stand­by­Betrieb wechseln oder sich ganz ausschalten (siehe Seite 42).

Kopie für asiatischen Markt

Anderer Kontinent, gleiches Bild: Seit Februar 2013 sind in der chinesischen Großstadt Chengdu die Siemens Electronic Works Chengdu (SEWC) in Betrieb. Das Werk ist weit­gehend eine Kopie des EWA. Auch hier werden Simatic­Steuerungen produziert. »Wir wollen da sein, wo der Kunde ist«, erklärt Jochen Berger, Projektkoordinator für Industry Auto­mation Systems im EWA. Deshalb geriet China in den Fokus. Das Reich der Mitte ist der weltweit größte Markt für Automatisierungstechnik und hinter dem europäischen Markt der zweitgrößte für programmierbare Steuerungen.

Die Software­Tools sind in Chengdu die gleichen wie in Amberg, die Produktionsabläufe auch. Selbst die Optik in Chengdu erinnert an das EWA. Noch befindet sich das SEWC allerdings im Aufbau. Und der Grad der Automatisierung liegt noch unter Ambergs 75 Prozent. Auch die Band­breite der Produkte ist noch nicht ver­gleichbar, denn in Chengdu wird bis­lang vor allem die Steuerung Simatic S7­200 gefertigt.

In Sachen Energieeffizienz steht das SEWC dem Elektronikwerk Amberg aber in nichts nach. Jüngst erhielt das Werk die LEED­Zertifizierung in Gold (Leadership in Energy & Environmental Design). Verglichen mit ähnlichen Gebäuden spart die Siemens­Fabrik jährlich rund 2.500 Tonnen Wasser, 820 Tonnen CO2

und

geschätzte 116.000 Euro an Energie­kosten – dank intelligenter Gebäude­technik. Damit ist das Siemens­Werk die erste Firma in Chengdu, die diese Auszeichnung bekommen hat.

Das SEWC beschäftigt etwa 350 Mitarbeiter, davon die Hälfte in der Produktion, die andere Hälfte in dazu notwendigen Supportfunktionen. »Wir befinden uns noch mitten im Aufbau«, sagt Andreas Bukenberger, der technische Leiter des SEWC.

»Wir bauen hier weiter Kompetenzen auf und schulen unsere neuen Mitar­beiter. Der Plan ist, neue Produkte in den Markt einzuführen, unser Marke­ting zu intensivieren und Kontakte zu Lieferanten, Behörden und Kunden auf­ und auszubauen.« Und was in Amberg bezüglich der Mitarbeiter gilt, das trifft auch mehr als 7.000 Kilometer östlich zu: Automatisierte Maschinen sind die Zukunft der Fertigung. Aber ohne den Menschen sind sie nutzlos.

41Industry Journal | 01 | 2014

Digitalisierung der Industrie | Data-Driven Services

In der Vergangenheit galt es lange Zeit als ungeschriebenes Gesetz , dass es für Unternehmen westlicher Industrienatio­nen günstiger sei, in Niedriglohnländern zu produzieren als in der Heimat. Die zunehmende Automatisierung und der Einsatz indus trieller Hard­ und Software führen seit einigen Jahren zu einer Renaissance der Industrie an traditionel­len Standorten wie Großbritannien oder den USA (siehe »Industry Journal« Aus­gabe 01/2013).

Deutschland hingegen hatte auch in Zeiten der Glorifizierung der Dienst­leistungsgesellschaft stets weiter auf seinen Standort gesetzt. Schließlich gab es hinreichend Beweise, dass sich auch in einem Hochlohnland wettbe­werbsfähig produzieren lässt. Ein posi­tives Beispiel ist das Elektronikwerk Amberg (EWA) von Siemens.

Hier produziert das Unternehmen die weltweit führende Steuerung Simatic S7 sowie Human­Machine­Interface­Produkte Simatic HMI für Industrie automatisierungslösungen

(siehe Seite 38). Das funktioniert seit mehr als 25 Jahren, weil stets auf modernste Produktionstechnologie sowie kostensparende und effiziente Prozesse geachtet wurde.

Dazu zählt heute mehr denn je der sparsame Einsatz von Energie und Ressourcen. Daher hat das EWA nach einer Potenzialanalyse (»Energy Health Check«) bereits im Jahr 2012 das von Siemens neu entwickelte Energie­datenmanagementsystem Energy Analytics im Rahmen eines Pilot­projekts installiert (siehe Kasten Seite 43). Die Lösung zur Energieerfassung und Verbrauchsauswertung stellt die Energieflüsse der Infrastruktur detail­liert dar, etwa von einzelnen Hallen, Fertigungslinien oder Produktions­komponenten.

Das Pilotprojekt hat sich als voller Erfolg erwiesen, weswegen Siemens das skalierbare Energie­datenmanagement seit Ende 2013 auch externen Kunden als Managed Service anbietet. Seit Einführung

von Energy Analytics hat das EWA hundert tausende Kilowattstunden Strom gespart und zum Beispiel seinen Stickstoffverbrauch beim Betrieb der Lötöfen um 100.000 Liter pro Jahr gesenkt.

Das Potenzial zeigt sich in Amberg beispielsweise auch beim Umgang mit planmäßigen Maschinenstillstand­zeiten: In der Vergangenheit blieben die Maschinen häufig einfach ange­schaltet – aus Bequemlichkeit oder aus Furcht, dass sie bei Wiederaufnah­me der Produktion nicht rechtzeitig verfügbar sein könnten.

Seitdem Energy Analytics transparent belegt, was dieses Verhalten kostet, hat sich der Umgang mit solchen Ruhezeiten geändert: »So haben wir im EWA an den zehn produktionsfrei­en Tagen in der Weihnachtszeit im Ver­gleich zum Vorjahr rund 200.000 Kilo­wattstunden Strom gespart«, sagt Jost Bendel, Segmentleiter bei Siemens Industry für den Bereich Energy & Environmental Services. »Beim Thema

Daten werden InformationenUnter dem Begriff Data-Driven Services bietet Siemens Dienstleistungen an, um die

Produktivität durch Auswertung von Produktionsdaten und daraus abgeleitete Opti-

mierungsmaßnahmen zu erhöhen. Zum Beispiel das Energiedatenmanagementsystem

Energy Analytics.

Industry Journal | 01 | 201442

Digitalisierung der Industrie | Data-Driven Services

Energieeffizienz geht es im Wesentli­chen darum, Kosten einzusparen. Die fundierte Analyse von Energiedaten bietet die Grundlage für die Umset­zung entsprechender Maßnahmen«, sagt Bendel. »Durch das Modell einer monatlichen Servicegebühr sowie ein stufenweises Investment in eine skalier bare Lösung bleibt das Investi­tionsrisiko für unsere Kunden mini­mal«, so der Energieeffizienz­Experte.

„Wir wollten mit Energy Analytics ein einfaches und intelligentes Tool ent­wickeln, das in wenigen Schritten ins­talliert und mit geringem Zeitaufwand nutzbar ist«, sagt Florian Schleinkofer, im Business Process Management

von Siemens für Energy Analytics verantwortlich. »Das System kann den Einsatz sämt licher Energieformen wie Strom, Wärme, Gas, Wasser oder Druckluft prüfen und in aussage­kräftigen Berichten zusammenfassen. Die Analysen unserer Experten liefern Unternehmen genau die Informa­tionen, die sie zur Reduzierung ihrer Energiekosten benötigen.«

Dafür wird in der Anlage ein passge­naues Erfassungssystem für die rele­vanten Energie­ und Produktionswerte installiert – entweder durch Anschluss der bestehenden Zählerinfrastruk ­ tur der Industrie anlage oder durch Erwei terung mit geeigneter Hardware.

Diese Daten überträgt eine Software (App) von Energy Analytics über eine gesicherte Verbindung in das Energy Operation Center von Siemens. Dort analysieren die Energie­Experten die Daten und stellen die Aufbereitung in aussagekräftigen Berichten sicher.

Kunden können über ein Web portal auf alle Berichte und Analysen zugreifen und sie als Grundlage für konkrete Maß ­ nahmen nutzen. »Die jeweils passen­den Energy­Analytics­Pakete schaffen Transparenz über Kosten und Verbrauch der gesamten Produktion oder einzelner Maschinen«, sagt Schleinkofer. »Damit rechnet sich dieser Service auch für kleinere Unternehmen.«

Dirk Hoke, CEO Division Customer Services, Industry Sektor, Siemens AG, im Inter-view zu Data-Driven Services.

Was verbirgt sich hinter Data-Driven Services, dem neuen Serviceangebot von Siemens?Bei allen unseren Data­Driven Services geht es darum, für Indus­triekunden konkrete und pass­genaue Lösungen auf der Basis kontinuierlich erfasster und analy­sierter Daten aus der Produktion zu entwickeln. So helfen Data­Driven Services, Komplexität abzubauen und die Anlagen effizienz oder die Energieeffizienz nachweislich zu steigern.

Wie funktioniert das?Nehmen wir das Beispiel Energie­management. Stellen Sie sich vor, Ihre private Stromrechnung ist plötzlich ungewöhnlich hoch. Als Ursache haben Sie den PC Ihres spielfreudigen Sohnes im Verdacht, der neuerdings mit seiner High­End­Grafikkarte Tag und Nacht läuft – auch wenn niemand spielt. Beweisen können Sie das aber nicht. Im Industrieumfeld lässt sich mit Energy Analytics der Verbrauch jeder Maschine zu jeder Zeit und in jedem Betriebs­zustand messen und transparent darstellen. Damit helfen wir unse­ren Kunden, ihre Energiedaten systematisch zu erfassen, auszu­werten und auf dieser Basis Spar­potenziale zu identifizieren und zu realisieren.

Rechnet sich dieser Aufwand?Durch die Vermeidung von überhöhtem Energieverbrauch auf Maschinenebene, die Identi­fikation von unnötigen Verbräu­chen in Nichtproduktionszeiten sowie durch entsprechende Ver­haltensänderung der Mitarbeiter ergibt sich ein Einspar potenzial in Höhe von fünf bis zehn Prozent der jährlichen Energiekosten – selbst in hochautomatisierten Werken.

siemens.de/industryservices

Bis zu zehn Prozent Ein­sparpotenzial«

»Energy Analytics von SiemensDas Energiedatenmanagementsystem gibt es in vier Paketen: Bronze, Silver, Gold und Platinum. Entscheidend ist bei der Auswahl, ob es um eine schnelle, einfache und damit ver­gleichsweise günstige Lösung geht oder ob ein schnell und einfach umzu­ setzendes, umfangreiches und hoch­entwickeltes Energiedatenmanage­ment benötigt wird.

Das Bronze­Paket ist der kostengünstige Einstieg in ein Energiedatenmanage­mentsystem mit grundlegenden Aus­ sagen zum Energieverbrauch. Weiter­gehende Analysen zur Steigerung der Energieeffizienz werden im Silver­Paket – auch in Form von Dashboards – im Kundenportal zur Verfügung gestellt. Sollten auf der Grundlagen von Ana­lysen der Energiedaten durch die Siemens­Experten sowie aussagekräf­tiger KPI weitere kostensparende Maß­nahmen definiert werden, ist das Gold­Paket die passende Lösung. Falls das Energiedatenmanagement zudem nach ISO 50001 zertifiziert werden soll, bietet das Platinum­Paket – neben wei­teren Funktionen – auch die erforderli­chen Analysen auf Maschinenebene.

siemens.de/energyanalytics

Dirk Hoke

43Industry Journal | 01 | 2014

Präzisionsspiegel XXL

Rund 150 Millionen Kilometer ist die Sonne von der Erde entfernt, für Menschen eine unüberwindliche Distanz. Licht benötigt für diese Strecke allerdings nur 8,3 Minuten. Für Wissenschaftler liegt die Sonne deshalb quasi vor der Haustür, sie ist keineswegs der Endpunkt geplanter Forschungsreisen. Die Branche hat ehrgeizigere Ziele: 13 Milliarden Lichtjahre – das ist fast zurück bis zum Urknall – könnte der Blick auf ferne Galaxien und längst verglühte Sterne künftig reichen.

Möglich machen soll das eine neue Generation von Großteleskopen. Die Herausforderung für die Wissenschaft liegt derzeit in der zuverlässigen Ver­ sorgung mit den für die Teleskope nötigen extrem präzisen und beson­ders großen Spiegeln in hoher Stück­zahl. Allein der Hauptspiegel eines solchen Teleskops braucht rund 800 hexagonale Spiegelelemente mit einem Durchmesser von rund 1,5 Metern und einer Stärke von nur 50 Millimetern. Um das schwache Licht aus dem All aufnehmen und

Für einen schärferen Blick ins All benötigen astronomische Forschungsorgani -

sa tio nen weltweit eine neue Generation großer Hochleistungsteleskope. Zur

Fertigung der dafür erforderlichen extrem präzisen Großspiegel hat ein hessisches

Unternehmen eine 86 Tonnen schwere Spezialmaschine entworfen.

bündeln zu können, muss jedes Ele­ment bis auf wenige Nanometer prä­zise gearbeitet sein.

An der Lösung dieses Problems wird im bayerischen Teisnach intensiv gearbeitet. Nach drei Jahren Vorbe­reitung hat hier auf dem Technologie Campus der Hochschule Deggendorf die modernste und größte Präzisions­optikmaschine der Welt im vergange­nen Jahr den Testbetrieb aufgenom­men. Die UPG 2000 CNC ermöglicht höchste Präzision beim Schleifen,

Die äußerst präzise arbeitende UPG 2000 CNC von OptoTech wurde mit Software für die digitale Produktent­wicklung entworfen.

Märkte | OptoTech

Industry Journal | 01 | 201444

»

Märkte | OptoTech

Läppen und Polieren von Astro­Optik – alles in einer einzigen Maschine. Konstruiert und gebaut hat sie die OptoTech Optikmaschinen GmbH, Weltmarktführer für Optikmaschinen, angefangen von Supermikrooptik über Mikro­ und Makrooptik bis hin zu Plan­ und Brillenoptik.

Drei Verfahrenstechniken

»Wir haben die Universalmaschine speziell für die Herstellung von Spiegeln mit Durchmessern von bis zu zwei Metern und für andere große optische Bauteile entwickelt«, sagt Jochen Franz, Konstruktionsleiter bei OptoTech im hessischen Wettenberg. »Die Integration der drei Verfahrens­techniken erlaubt die Komplettbear­beitung anspruchsvoller Optiken auf höchstem Niveau.« Ziel der Tests in Teisnach ist eine Fertigungsgenauig­keit von 30 Nanometern – das ent­spricht ungefähr dem Tausendstel des Durchmessers eines feinen mensch lichen Haars.

An der UPG 2000 CNC selbst ist dagegen alles groß: Ihr Gewicht von 86 Tonnen, der 40 Tonnen schwere Granitblock, auf dem sie ruht, die Spiegel, die sie fertigt, ebenso wie die Herausforderung, die ihre Konstruk tion darstellte. Bei einem solchen Projekt darf man sich keine Fehler erlauben – weder aufwen­dige Prototypen, die nicht richtig funktionieren, noch Pro zesse, die im laufenden Betrieb beim Kunden haken, und schon gar nicht unpräzise gefertigte Spiegel. Trotz der erforder­lichen Pionierarbeit hat Weltmarkt­führer OptoTech die UPG 2000 CNC in Zusammenarbeit mit Siemens in einem Zeitraum von nur 1,5 Jahren entwickelt. Entsprechend viel S iemens­Industriesoftware, ­Steu­erungs­ und ­Automatisierungs­technik steckt in der Kombimaschine.

Schneller mit Software

Um die Entwicklungszeit so kurz zu halten und die hohe Nachfrage des Marktes für Astrooptik zeitnah bedie­nen zu können, setzten die OptoTech­Experten auf eine innovative indus­trielle Software zur Vernetzung der virtuellen und der realen Fertigungs­

welt: Bei der Entstehung des Kolosses kam die PLM Software NX 7.5 von Siemens als integrierte Softwaresuite zur Produktentwicklung und ­ferti­gung zum Einsatz (siehe Kasten Seite 46).

»Diese Software für die digitale Pro­duktentwicklung verheiratet die vir­tuelle mit der realen Welt. Sie ermög­licht neben der Produktentwicklung, 3D­Modellierung und Dokumentation auch multidisziplinäre Berechnun­gen«, sagt Peter Scheller, Marketing Director NX bei Siemens. »Mit NX und der integrierten Entwicklungs­umgebung lassen sich nicht nur bessere Produkte produzieren. Die schnellere Entwicklung, Konstruktion und Fertigung verkürzen auch die Zeit bis zur Markteinführung deutlich.«

Virtuelle 3D-Konstruktion

Bei der Entwicklung der Multifunk­tionsmaschine haben die Konstruk­teure von OptoTech zunächst eine virtuelle 3D­Konstruktion erstellt. Dank der auf die digitale Produktent­wicklung ausgerichteten Software zeigte sich schon in diesem Stadium deutlich, ob die verwendeten Ele­mente und die Gesamtkonstruktion funktionieren, da alle tatsächlichen Gegebenheiten wie die Maschinen­Mathematiken, die Eigenschaften der verwendeten Steuerung Sinumerik 840D sl und des Siemens­Antriebs vom Typ Sinamics in größtmögli­cher Realitätsnähe über NX in die Konstruktion einfließen. Die so entstandene virtuelle Maschine ana­lysierte, simulierte und optimierte danach ein Team aus dem Siemens­Mechatronik­Support.

Teure physikalische Prototypen gehören durch den virtuellen Kon­struktionsprozess ebenso der Ver­gangenheit an wie die zeitraubende parallele elementmethodische Berechnung. Die ist sonst erforder­lich, um zu prüfen, ob eine Konstruk­tion in der Realität statisch funktio­niert. Scheller: »Über das CAM­Modul für die Fertigungssimulation ließ sich bei OptoTech sogar die Fertigungs­bahn der Spiegel simulieren. Das vir­tuelle Maschinenprogramm bewegt die digital konstru ierte Maschine

13MilliardenLichtjahre – das ist fast zurück bis zum Urknall – könnte der Blick auf ferne Galaxien und längst ver­glühte Sterne bald reichen.

45Industry Journal | 01 | 2014

3D­Modelle von komplexen Maschinen oder umfangreiche, multidisziplinäre Berechnungen helfen, Entwicklungszeiten erheblich zu verkürzen.

Mit NX und der integrierten Entwicklungsumgebung verkürzt sich auch die Zeit bis zur Markteinführung deutlich.«Peter Scheller, Marketing Director NX bei Siemens Deutschland

»

Märkte | OptoTech

PLM Software zur Produkt­entwicklung Siemens zählt mit neun Millionen lizenzierten Anwendern weltweit zu den führenden Anbietern von Product Lifecycle Management (PLM) Software und zugehörigen Dienstleistungen. Mit der NX­Softwaresuite stellt das Unterneh­men eine Lösung für eine flexible, effiziente, schnelle und qualitativ hochwertige Produktentwicklung und ­fertigung zur Verfügung. In NX sind Computer Aided Design, Manu­facturing und Engineering (CAD/CAM/CAE) integriert.

Die Vorteile dieser Kombination zeigen sich in der 3D­Modellierung und Dokumentation ebenso wie bei der multidisziplinären Berechnung struktureller, beweglicher, thermi­scher, fließender und multiphysi­kalischer Abläufe. »Dabei bindet heute keine andere Lösung multi­disziplinäre Berechnungen so eng in den Entwicklungsprozess mit ein wie NX«, sagt Peter Scheller, Mar­keting Director NX. »Konkurrenz los ist außerdem die Menge der leis­tungsstarken Anwendungen für die Teilefertigung.«

Industry Journal | 01 | 201446

realitätsgetreu. Damit ist zu einem frühen Zeitpunkt quasi eine virtuelle Inbetriebnahme möglich.«

Und auch nach der I nbetriebnahme zeigen sich die Vorteile der NX­gestützten Entwicklung: »Die füh­rende Plattform für Product Lifecycle Management (PLM) heißt heute Teamcenter. Keine andere Lösung ist so tief in diese Plattform integriert wie NX«, sagt Scheller. »Alle Daten aus der Konstruktionsphase, der Abnahme, aber auch späterer Wartungen können gespeichert werden und stehen jeder­zeit zur Verfügung. Das ist bei War­tungen oder Schwierigkeiten mit einer Maschine ein enormer Vorteil.«

Gerade bei komplexen und innova­tiven Lösungen wie der UPG 2000 CNC zeigen sich die Pluspunkte einer Entwicklung, die alle Möglichkeiten moderner Industriesoftware nutzt. Für die OptoTech­Experten war klar, dass sie die geforderte Fertigungs­qualität nur mit einer völlig neuen, komplexen Kombimaschine erreichen würden. »Beim Umspannen von einer auf die andere Maschine gehen stets Zeit und Genauigkeit verloren. Das galt es zu vermeiden«, sagt OptoTech­Gründer und Geschäftsfüh­rer Roland Mandler. »Deshalb haben wir in unsere Sinumerik­gesteuerten Ultrapräzisions­Schleif­ und ­Polier­maschine alle notwendigen Bearbei­tungsschritte integriert.«

Vorteil durch Integration

Dass OptoTech auch bei der Antriebs­technologie auf Siemens setzt, ist für Robert Neuhauser, CEO der Business Unit Motion Control, auch im Integra­ted­Drive­Systems­Ansatz von Siemens begründet: »Bei einem komplexen Projekt wie diesem bieten integrierte Antriebstechnolo gien erhebliche Vorteile.«

Mit Integrated Drive Systems setzt Siemens dabei auf eine dreifache Integration: Über die horizontale Inte­gration des Antriebsstrangs werden das reibungslose Zusammenspiel und die optimale Dimensionierung aller Teilkomponenten vom Umrich­ter über Motor und Kupplungen bis zum Getriebe gesichert (siehe Kasten

rechts). »Vertikal sind diese Systeme durch die Welt der Totally Integrated Automation bis in die Steuerungs­ebene hinein optimal engineert, konfiguriert und vernetzt«, sagt Neuhauser. Nicht zuletzt beinhalten Integrated Drive Systems eine inte­grierte Betreuung des Kunden über den gesamten Lebenszyklus einer Maschine hinweg – von der Simula­tion einer Maschine über das Engi­neering bis zum Service im laufenden Betrieb.

Modularer Aufbau

OptoTech hat diese gebündelte Leis­tung bei der Auswahl des Entwick­lungspartners überzeugt: »Die lang­jährige gute Zusammenarbeit hat hier ebenso eine Rolle gespielt wie die Entwicklungsunterstützung durch Spezialisten des Mechatronik­Sup­ports«, sagt OptoTech­Konstruktions­leiter Jochen Franz. »Entscheidend waren jedoch technische Faktoren: Kein anderer Steuerungsanbieter hat eine ähnlich offen skalierbare und modular aufgebaute Premium­CNC wie Siemens. Mit der Sinumerik 840D sl können wir beispielsweise die Zahl der Achsen steuerungs­seitig ganz einfach anpassen und die notwendigen Achsinterpolationen beliebig erstellen.« Ebenso schnell und unkompliziert funktioniere die Anpassung der kundenspezifischen Benutzeroberfläche. Als weiteren Vorteil wertet Franz die Möglichkeit, per Fernwartung auf die Siemens CNC zuzugreifen. Dadurch kann Opto­Tech seine Kunden weltweit jederzeit schnell unterstützen.

Das Ergebnis der Entwicklungspartner­schaft befindet sich inzwischen im Besitz der IFasO GmbH (Integrierte Fer tigung aspärischer Optik). Opto­Tech hat diese Gesellschaft zusammen mit der Hochschule Deggendorf zur Vermarktung der neuen Maschine gegründet. Denn der Markt dafür dürfte weltweit wachsen. Aus den Raumfahrtnationen China, Russland und Indien liegen bereits Anfragen vor. Und OptoTech­Geschäftsführer Mandler ist sicher, dass die UPG 2000 CNC auch in anderen Branchen wie beispielsweise der Halbleiterlitho­grafie auf Interesse stößt.

Integrated Drive Systems Integrated Drive Systems ist die Siemens­Antwort auf immer komplexere Herausforderungen in der Automatisierungs­ und Antriebstechnik: Reibungslos interagierende Antriebskom­ponenten sind in die Automati­sierung integriert und mit Soft­ware und Dienstleistungen über alle Phasen des Lebenszyklus einer Maschine verbunden.

»Mit dem Ansatz der dreifachen Integration bieten wir unseren Kunden einen Mehrwert und stärken unsere führende Rolle in der Antriebstechnik«, sagt Robert Neuhauser, CEO der Business Unit Motion Control. »Wir verfolgen diesen Ansatz sowohl bei kleineren als auch bei hochkomplexen Anwendun­gen und für alle Branchen, die Antriebslösungen benötigen«.

Für ein optimal integriertes Zusammenspiel bietet Siemens alle Frequenzumrichter, Moto­ren, Kupplungen und Getriebe als Standard­ oder Individual­lösung aus einer Hand (horizon­tale Integration). Vertikal lassen sich die Antriebe vom Field Level bis zum Manufacturing Execution System (MES) dank Totally Integrated Automation (TIA) nahtlos in die Automa­tionsumgebung integrieren. Integrierte Software und Servi­ces sorgen über den gesamten Lebenszyklus einer Maschine für stabilere Leistung und erhöhte Investitionssicherheit (Lebenszyklus­Integration).

Märkte | OptoTech

47Industry Journal | 01 | 2014

Im Herzen von Helsinki beginnt in diesem Jahr der Bau der »Wood City«. Bis Ende 2016 entstehen im Stadt­viertel Jätkäsaari ein Bürogebäude, ein Hotel und zwei Appartement­Blocks. Mit ihren achtstöckigen Bau­werken ist die Wood City das größte hölzerne Wohnquartier in Finnland und ein Meilenstein in Sachen Holz­konstruktion.

Das komplett aus nachwachsenden Rohstoffen erstellte Viertel bietet nicht nur die ökologischen, raumkli­matischen und energetischen Vor­teile von Holzhäusern. Die Gebäude verfügen auch über modernste Haus technik. Und der Bau benötigt aufgrund einer Art Stecksystem aus Holzbauteilen auch bis zu 70 Prozent weniger Zeit als andere Bauweisen.

Entwickelt wurde das Projekt von SRV, Finnlands größtem Unterneh­men für Bauprojekt­Management, und Stora Enso, dem zweitgrößten Papierproduzenten der Welt.

Nun ist Städtebau nicht gerade eine klassische Disziplin für ein Unterneh­men der Papier­ und Zellstoff industrie. Doch die Digitalisierung und die weltweit veränderte Mediennutzung sorgen seit Jahren für eine sinkende Nachfrage nach klassischen Papierpro­dukten wie Druck­ und Kopierpapier. Überkapazitäten und Werksschließun­gen sind branchenweit die Folge.

In der finnischen Zentrale von Stora Enso hat man bereits 2006 die Zei­chen der Zeit erkannt und beschlos­sen, auf die Marktentwicklung durch

das Erschließen neuer Geschäfts­felder zu reagieren – wozu auch Produkte wie innovative Holzbauteile gehören. Heute gliedert sich das Geschäft von Stora Enso mit einem Gesamtumsatz von mehr als zehn Milliarden Euro und 28.000 Mitar­beitern in 35 Ländern in die vier Divi sionen Printing & Reading, Bio­materials, Building & Living und Renewable Packaging.

Neues Geschäftsmodell

Dies zeigt, welchen Weg der eins­tige Papierriese geht: hin zu einem nachfrageorientierten Unternehmen, das mit nachwachsenden Rohstoffen aktuelle und künftige Wachstums­märkte im Blick hat. »Die Papiernach­frage sinkt allein in Europa jährlich

Die zunehmende Digitalisierung hat auch Schattenseiten. Etwa für einen Papier-

her steller, dem die Absatzmärkte einbrechen. Der finnische Papier- und Verpackungs-

konzern Stora Enso hat darauf rechtzeitig reagiert: Er setzt erfolgreich auf neue

Geschäftsfelder und konsequente Globalisierung.

Märkte | Stora Enso

Mit nachwachsenden Roh­stoffen auf Expansionskurs

Der finnische Papier­riese Stora Enso hat sein Geschäfts­modell umgestellt und fertigt aus Holz mittlerweile auch Fertigbauelemente für Häuser. Denn das klassische Papiergeschäft ist rückläufig.

Industry Journal | 01 | 201448

um fünf Prozent und wird auch in den kommenden Jahren weiter zurückgehen«, sagt Heinz Felder, Head of Group Investments & Capex bei Stora Enso. »Wir haben uns daher entschlossen, unser Geschäftsmodell neu zu formulieren und den Fokus auf Geschäftsfelder zu legen, die Wachstumschancen bieten.«

Die wesentlichen Herausforderungen sieht Felder dabei in der Aufgabe, neue Geschäfte in Wachstumsmärkten wie Verpackungen, Biomaterialien und Baustoffe zu entwickeln. »Für den Erfolg sind Produktinnovationen, Inno­vationsgeschwindigkeit und interkul­turelle Fähigkeiten für das Geschäft in Märkten wie Asien und Lateinamerika entscheidend«, sagt Felder.

Der Erfolg gibt ihm recht: Hat das Unternehmen im Jahr 2002 noch zwei Drittel seines Umsatzes mit Papier gemacht, so lag dessen Anteil 2013 nur noch bei 41 Prozent. Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil des Verpackungsgeschäfts kontinu­ierlich – mit weiter steigender Ten­denz. »Während das Papiergeschäft schrumpft, steigt die Nachfrage nach erneuerbaren Verpackungen signi­fikant – in Europa jährlich um zwei Prozent und weltweit noch deutlich stärker«, sagt Felder.

Steigende Nachfrage

Zum einen seien für den zuneh­menden Online­Versand stabile und gleichzeitig immer leichtere Verpa­ckungen gefragt, wie sie Stora Enso mit innovativen Sandwichkonstruk­tionen und optimiertem Fasereinsatz entwickelt hat. Zum anderen gebe es wegen des Wachstums der Welt­bevölkerung auch im Lebensmittel­bereich eine steigende Nachfrage nach leichtgewichtigen und hoch­wertigen Verpackungen.

Schon heute produziert Stora Enso ein Drittel aller weltweit produzierten Getränkekartons. Seine führende Position im Bereich der Lebensmit­telverpackungen will das Unterneh­men künftig zum Beispiel auch mit

Innovationen wie einer zuckerrohr­basierten Polyethylenbeschichtung für Verpackungskartons halten.

Den Ansatz, aus Vorhandenem mehr zu machen, verfolgt Stora Enso auch im Bereich Biomaterialien. Ein Schwerpunkt dabei ist das Material Lignin, besser bekannt als Harz. Bei der Papierproduktion ist es ein Abfall­produkt und wird überwiegend als Heizbrennstoff verwendet. In verar­beiteter Form kann es aber beispiels­weise auch sehr gut für die Herstel­lung von Produkten wie Klebstoffen oder Lacken eingesetzt werden. Um dieses Potenzial zu nutzen, investiert Stora Enso derzeit 32 Millionen Euro in den Aufbau einer finnischen Bio­raffinerie. Das Projekt besitzt weltweit Modellcharakter.

»Dies ist der erste Schritt in ein wei­teres neues Geschäftsfeld«, sagt Felder. »Künftig wollen wir Lignin an Kunden verkaufen. Es ermöglicht Unternehmen der Spezialchemie­ und Hightech­Material­Branche, fossile Rohstoffe durch erneuerbare Alter­nativen zu ersetzen.« Zum Einsatz könne Lignin beispielsweise auch in der Bau­ oder Automobilindustrie kommen – als ökologische Alternative für Phenole in Holzwerkstoffen und für Polyole in Dämmschäumen.

Bei der Entwicklung solcher Inno­vationen nutzt Stora Enso auch die Ideen seiner Geschäftspartner. »Für neue Geschäftsideen brauchen wir den Input unserer Lieferanten«, sagt Felder. So erleichtere die enge Partnerschaft mit Siemens die Ent­wicklung innovativer Holzmodulbau­produkte oder Biomaterialien und den Eintritt in neue Märkte (siehe Kasten). »Die intelligente Elektro­ und Auto­matisierungstechnik von Siemens kann uns zudem helfen, Energiekos­ten zu reduzieren und die Wartung zu erleichtern«, sagt Felder. Da das Unternehmen derzeit schnell in Lateinamerika und Asien expandiere, sei es wichtig, Partner zu haben, die auch in diesen Märkten einen Vor­Ort­Service bieten – selbst in Ländern wie Pakistan oder Uruguay.

Industrie­ lösungen für Stora Enso»Wood 2012« ist das jüngst abge­schlossene Projekt, bei dem Stora Enso von Siemens unterstützt wurde. Dabei erhielt die strategisch bedeutsame Fab­rik im schwedischen Skoghall, die das Material für einen Großteil der Tetra­pak­Produktion von Stora Enso liefert, einen neuen so genannten Holzplatz.

Für diese Anlage, die aus Holzstäm­men verarbeitungsfähige Holzchips herstellt, hat Siemens die komplette Elektrifizierung und Automatisierung sowie Gebäudetechnik, Engineering und Services geliefert. Das von einem übergreifenden Siemens­Team in 13 Monaten realisierte Projekt umfasste zahlreiche Produkte und Dienstleistun­gen wie Sinamics­Antriebe, Sivacon­Schaltanlagen und ein auf Profinet basierendes Prozessleitsystem des Typs Simatic PCS 7.

»Durch die enge Zusammenarbeit bis hin zum C­Level können wir Stora Enso bei der Umsetzung ihrer zukunftswei­senden Strategie ›Rethink‹ und den damit verbundenen Forschungs­ und Entwicklungsprojekten unterstützen«, sagt Engelbert Schrapp, Corporate Account Manager für Stora Enso. »Ein Beispiel hierfür ist das innovative Holzbausystem CLT (Cross­laminated Timber) des Kunden. In Kombination mit intelligenten Siemens­Lösungen für Gebäude kann dies zu neuen Mar­ketingstrategien wie einem ›Smart CLT‹ entwickelt werden.«

In der Zentrale von Stora Enso in Helsinki schätzt man die enge Zusam­menarbeit, die »weit über die tradi­tionelle Anbieter­Kunden­Beziehung hinausgeht«, wie Jouko Karvinen, CEO Stora Enso, erklärt. »Aus der Vielfalt von Gedanken und Erfahrungen ent­stehen neue Werte, Ideen und Markt­chancen.«

Märkte | Stora Enso

49Industry Journal | 01 | 2014

Klein, aber fein

Vier von fünf Niederländern leben in Städten. Amsterdam ist mit knapp 800.000 Ein­wohnern die größte davon und mit ihren vielen Grachten eine Touristenattraktion.

Märkte | Niederlande

Industry Journal | 01 | 201450

Gerade einmal 17 Millionen Men­schen leben in den Niederlanden – weniger als in einer Metro polregion wie Delhi, Shanghai oder Los Ange­les. So spielen die Volkswirtschaft des Benelux­Staates und seine Unter­nehmen meist auch keine zentrale Rolle, wenn sich Experten mit der Weltwirtschaft befassen.

Dabei brauchen sich die Niederlande mit ihrem großen Dienstleistungs­ und Handelssektor, einer starken Landwirtschaft und einer innovativen Industrie nicht zu verstecken: Durch seine Lage und Historie hat sich das Land mit den großen Frachthäfen und dem Flughafen Schiphol zu einer Distributionsdrehscheibe Europas entwickelt. Es ist die sechstgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone. Und dank ergiebiger Erdgasvorkommen, vor allem in der Nordsee, gehört es zu den zehn größten Erdgasförder­nationen der Welt.

Fit für den Wettbewerb

Die Niederlande zählen zudem zu den Ländern mit den größten Wett­bewerbschancen: Im Global Competi­tiveness Report 2012/2013 des World Economic Forum belegen die Nieder­lande Rang 5 – nach der Schweiz, Singapur, Finnland und Schweden. Der Innovationsindikator des Bundes­verbands Deutsche Industrie (BDI) und der Deutsche Telekom Stiftung

listet das Land weltweit sogar auf Rang 4. In den Niederlanden, oft fälschlich als »Holland« bezeichnet (die ehemalige Grafschaft ist ledig­lich ein Teil der Niederlande), leben 81 Prozent der Einwohner in Städten; mit rund 400 Einwohnern pro Qua­dratkilometer zählt die parlamentari­sche Monarchie zu den am dichtesten besiedelten Flächenstaaten der Welt.

Verkehr und Logistik

Die Wirtschaft ist geprägt von einem starken Dienstleistungssektor, der knapp drei Viertel der Erwerbstätigen beschäftigt. Sie arbeiten vor allem in den Bereichen Finanzdienstleis­tungen sowie Verkehr und Logistik. Der Seehafen Rotterdam ist nach Shanghai und Singapur der dritt­größte der Welt und der größte Europas. Hier wurden im Jahr 2012 rund 442 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Der Amsterdamer Flughafen Schiphol ist mit mehr als 50 Millionen Passagieren jährlich der viertgrößte in Europa. 2012 wurden hier knapp 1,5 Millionen Tonnen Luftfracht abgefertigt.

Obwohl mit einer Fläche von knapp 42.000 Quadratkilometern ver­gleichsweise klein, sind die Nieder­lande nach den USA der zweitgrößte Exporteur für Agrarerzeugnisse wie Getreide, Gemüse, Früchte und Schnittblumen. Dabei arbeiten nur

Wären die Niederlande eine Stadt, würden sie nicht

einmal zu den zehn größten Metropolen der Welt

gehören. Dennoch ist das exportorientierte Partnerland

der Hannover Messe 2014 die sechstgrößte Volkswirt-

schaft der Eurozone. Seine Industrie genießt weltweit

einen guten Ruf. Die aktuellen volkswirtschaftlichen

Rahmen bedingungen sind indes schwierig.

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Märkte | Niederlande

Niederlande in ZahlenLandesfläche: 41.500 Quadratkilometer

Bevölkerung:16,8 Mio. (2012)

Arbeitslosenquote:5,7 % im Jahr 2013, 7,5 % im Jahr 2014 (geschätzt)

Staatsverschuldung 2012:71,3 % (in Relation zum BIP, netto)

BIP 2013 gesamt:603 Mrd. Euro

BIP 2012 je Einwohner:35.800 Euro

Anteil Wirtschaftssektoren am BIP 2012 (geschätzt):Dienstleistungen: 72,6 %Industrie: 24,9 %Land­ und Forstwirtschaft: 2,5 %

Entwicklung Industriesektor 2012 (geschätzt): ­ 2,5 %

Handel 2012: Einfuhr: 389,9 Mrd. US­DollarAusfuhr: 431,4 Mrd. US­Dollar

Quellen: CIA, CPB, Deutsch­Niederländische Handelskammer, Germany Trade & Invest, IMF, Statista, World Bank

51Industry Journal | 01 | 2014

gesellschaft veranstaltet mit der Hannover Messe jährlich die größte und bedeutendste Industriemesse der Welt. Nicht zuletzt deswegen sind die Niederlande in diesem Jahr das Partnerland. »Dank der gerin­gen Größe, der dichten Besiedlung sowie einer innovativen und zugleich pragmatischen Wirtschaft können niederländische Unternehmen schnell expandieren und ihre tech­nischen Neuerungen ins Ausland exportieren«, ergänzt Ineke Dezentjé Hamming­Bluemink, Vorsitzende des niederländischen Technologiever­bands FME­CWM.

Innovativer Mittelstand

Geprägt durch hoch spezialisierte mittelständische Unternehmen, ist der Maschinen­ und Anlagenbau der am schnellsten wachsende Industrie­zweig der Niederlande. Der Umsatz stieg 2013 in diesem Bereich um rund acht Prozent. Die Niederlande sind

zudem stark in den Bereichen erneu­erbare Energien und Energieeffizienz sowie in der Offshore­Windenergie.

Aufgrund des kleinen Binnenmarktes ist der Export der kräftigste Motor für die niederländische Konjunktur. Positive Wachstumsperspektiven bie­ten vor allem der Maschinenbau und die Elektrotechnik. Bis 2020 sollen die Exporte der niederländischen Maschinenbau­Branche jährlich um 4,5 Prozent zulegen.

Doch die niederländische Wirtschaft plagen auch Sorgen: Das staatliche Planungsamt Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (CPB) ver­anschlagt den BIP­Rückgang für das Jahr 2013 auf 1,0 Prozent gegenüber 2012. Eine strenge Sparpolitik, eine handfeste Immobilienkrise, ein für 2014 prognostiziertes Wirtschafts­wachstum von maximal 0,5 Prozent – deutlich weniger als der EU­Durch­schnitt von 0,9 Prozent – bieten auch

Märkte | Niederlande

zwei Prozent aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft. Möglich macht das eine hochtechnologische Bewirt­schaftung der landwirtschaftlichen Flächen.

Starke Industrie

Eine wichtige volkswirtschaftliche Rolle spielt auch die Industrie: Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt knapp ein Viertel der gesam­ten Wertschöpfung. Hier dominieren neben der Brennstoffverarbeitung die chemische Industrie, die Nahrungs­ und Genussmittelindustrie sowie die Metall­ und Elektronikindustrie.

»Die Niederlande sind ein Innova­tionsgarant im Maschinen­ und Anla­genbau sowie in der Energietechnik, extrem stark im globalen Export und einer der wichtigsten Handelspart­ner für die deutsche Industrie«, sagt Jochen Köckler, Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG. Die Messe­

Industry Journal | 01 | 201452

für dieses Jahr schwierige volkswirt­schaftliche Rahmenbedingungen. 2013 befanden sich die Niederlande zum dritten Mal in Folge in einer Phase der Rezession. 2014 dürfte das Land diesen Negativtrend allerdings durchbrechen.

Staatliches Sparpaket

Die Ursachen für die angespannte Lage liegen neben der starken Abhän­gigkeit der Exportnation von der glo­balen Wirtschaft im zurückhaltenden Konsum, in der hohen Arbeitslosigkeit und der sinkenden Kaufkraft, aber auch in Steuererhöhungen und einem umfassenden Sparpaket von bislang zwölf Milliarden Euro, das sogar noch enger geschnürt werden soll. »Der klassische Wohlfahrtsstaat verwan­delt sich langsam, aber sicher in eine Beteiligungsgesellschaft«, in der jeder Verantwortung für sich selbst und seine Familie übernehmen müsse, verteidigte der neue König

Willem­Alexander diese Marschroute in seiner Thronrede Mitte 2013.

Den Hang zum Sparen bekommen auch ausländische Unternehmen zu spüren: »Eine schwächelnde Welt­wirtschaft, mit der die Niederlande als Exportland stark verflochten sind, in Kombination mit einem historisch niedrigen Verbrauchervertrauen sorgte dafür, dass sich viele Kunden mit Investitionen stark zurückhielten«, sagt Ab van der Touw, Vorstandsvorsit­zender von Siemens in den Niederlan­den. »Die Zahl der Auftragseingänge blieb in den meisten Sektoren und Bereichen in der ersten Hälfte unse­res Geschäftsjahrs 2013 (endete am 30.9.2013; Anm. d. Red.) hinter den Erwartungen zurück«. Allerdings: »Im dritten Quartal wurde dieser Trend durchbrochen. Zusammen mit einigen positiven gesellschaftlichen Tenden­zen und Marktentwicklungen gibt uns dies Vertrauen für die kommenden Geschäftsjahre«, sagt van der Touw.

Siemens in den Niederlanden Die ersten Produkte lieferte Siemens mit 16 Telegrafen­Systemen für das National Telegraph Office bereits im Jahr 1852 in die Niederlande. 1879 eröffnete der Konzern seine erste Repräsentanz in Den Haag. Rund 50 Jahre später wurde Siemens Nederland N.V. gegründet.

Heute macht Siemens in den Niederlanden mit rund 2.950 Mit­arbeitern einen Umsatz von rund 1,05 Milliarden Euro.

Aktuell arbeitet Siemens im Rah­men des Wettbewerbs ESCBO (Electric Sports Car Build­Off) mit vier Hochschulen und drei Lösungsanbietern an einem Elektro­Sportwagen. Vom chinesi­schen Kranhersteller ZPMC erhielt Siemens Cranes in den Niederlan­den einen Auftrag im Wert von zehn Millionen Euro für die Liefe­rung elektrotechnischer Anlagen für 22 ferngesteuerte Container­krane, die Teil des Ausbaus des Containerhafens in Singapur sein werden.

Zu den weiteren Projekten unter Beteiligung von Siemens zäh­len die Automatisierung eines drucklosen Wellen beckens für das Maritime Research Institute Netherlands, internationale For­schungsprojekte der Universität Maastricht und eine Biomasse­Raffinerie zur Herstellung von Biomethanol aus Holz.

Darüber hinaus bestehen langjäh­rige Partnerschaften zu Industrie­unternehmen, Energieversorgern, Krankenhäusern und anderen pri­vaten und staatlichen Einrichtun­gen wie städtischen Straßenbahn­unternehmen und den Betreibern der Stadtbahnzüge der niederlän­dischen Eisenbahnen.

siemens.com/netherlands

Märkte | Niederlande

Die Niederlande werden von rund 3.000 Kilometern Deich geschützt. Bei dem Projekt UrbanFlood haben Siemens und andere Partner ein Früh­warnsystem gegen Deichbrüche ent­wickelt. Messwerte vom Versuchsdeich werden online auf Multitouch­Tische übermittelt (links).

Kaum ein Produkt steht weltweit so für die Niederlande wie Käse (rechts). Neben der Lebensmittel­industrie zählen auch Maschinen ­bau, Chemie sowie Metall­ und Elektroindustrie zu den exportstarken Branchen.

53Industry Journal | 01 | 2014

Einfach umschaltenMit Oberflächen, die auf Befehl ihre Eigenschaften verändern, will

Martina Gerken, Professorin für Integrierte Systeme und Photonik an der

Kieler Christian-Albrechts-Universität, die Messtechnik revolutionieren.

Ziel ihres Teams aus Ingenieuren, Chemikern, Physikern und Biologen

sind neuartige mobile Sensoren, nutzbar für zahlreiche Branchen.

Martina Gerken leitet das

Forschungsprojekt PhotoSmart. Im Hintergrund der

Reinraum der Tech­nischen Fakultät

der Universität Kiel, wo die Nano­technologin Chips

mit schaltbaren Oberflächen

entwickeln will.

Menschen im Fokus | Martina Gerken

Industry Journal | 01 | 201454

Einen Wassertropfen ein winziges Stück zu bewegen, klingt nach einer überschaubaren Aufgabe, kann aber auch eine gewaltige Herausforderung sein. Martina Gerken, Professorin für Integrierte Systeme und Photonik an der Kieler Christian­Albrechts­Univer­sität, möchte den Tropfen Wasser auf eine völlig neuartige Weise bewegen. Er soll über eine intelligente Ober­fläche fließen, die ihre Eigenschaften abschnittsweise mittels Licht verän­dert. In der Messtechnik würde dies ganz neue Analysemöglichkeiten eröffnen.

»PhotoSmart« heißt das zunächst auf fünf Jahre angelegte Projekt unter Gerkens Leitung, das mit 1,5 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Forschungsrats ERC gefördert wird. Die Grundüberlegung der Expertin für Nanotechnologie, optische Technologien und inte­grierte Systeme besteht darin, dass beispielsweise blaues Licht dafür sorgt, dass sich das Oberflächenma­terial wasserabweisend (hydrophob) verhält; bei UV­Licht nimmt die Benetzung derselben Oberfläche in Sekundenbruchteilen zu (hydrophil). Indem man diese beiden Eigen­schaften über Lichtanreize an­ und abschaltet, müsste es möglich sein, kleinste Wassertropfen – und später auch andere Flüssigkeiten – kontrol­liert zu bewegen.

Oberflächen, deren Eigenschaf­ten sich derart umschalten lassen, könnten zur Herstellung rekonfigu­rierbarer Mikrofluidik­Chips genutzt werden. Das wäre eine völlig neue

Art der Anwendung. Als Labor­auf­dem­Chip (Lab on Chip) erobern Mikrofluidik­Chips seit einigen Jahren die Forschungslabore. Sie vereinen mehrere chemische Laboranalysen auf wenigen Quadratzentimetern, was Probenmaterial, Zeit und Kos­ten spart. Eingesetzt werden die Mini­Labore bisher vor allem in der Wissen schaft, zum Beispiel zur Analyse von Zellproben in der Biomedizin.

Mobile Messungen

Für industrielle Anwendungen könn­ten Mikrofluidik­Chips überall dort interessant werden, wo es auf schnel­le, dezentrale Messungen ankommt, die direkt vor Ort ohne besondere Fachkenntnis oder große, teure Mess­geräte ausgewertet werden sollen. Auch für die Untersuchung von flüssi­gen Proben an schwer zugänglichen Orten – beispielsweise im Weltall oder in der Tiefsee – wäre der Einsatz im Rahmen von Robotermissionen denkbar.

In der Mikrofluidik dreht sich alles um kleinste Flüssigkeitsmengen unterhalb der Mikroliter­Schwelle. Bei diesen Tröpfchen dominieren Kapil­larkräfte und Oberflächenladungen über die Schwerkraft. Viele Mikroflu­idik­Chips nutzen die Kapillarwirkung als Antriebskraft, um Kleinstmengen flüssiger Proben kontrolliert über den Chip fließen zu lassen. Die Chips wer­den dazu mit einem System hauch­feiner Mikrokanäle versehen. Die Flüssigkeiten fließen in diese Kanäle und lassen sich dabei gezielt in ver­schiedene Bestandteile zerlegen,

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Menschen im Fokus | Martina Gerken

Martina GerkenDie Nanotechnologin hat an der Universität Karlsruhe Elek­trotechnik studiert und an der Stanford University (Kalifornien, USA) promoviert. In ihrer jun­gen Karriere wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet und konnte für verschiedene For­schungsprojekte Fördergelder in Millionenhöhe einwerben. Im Jahr 2008 erhielt sie die Pro­fessur für Integrierte Systeme und Photonik an der Techni­schen Fakultät der Universität Kiel.

Entscheidend ist allein das Wie.«Martina Gerken

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55Industry Journal | 01 | 2014

mischen oder auf ihre Inhaltsstoffe analysieren (siehe Kasten Seite 57).

Hergestellt werden die heute übli­chen Mikrofluidik­Chips meist aus Glas. Bei ihnen werden die Kapillaren je nach Messziel zunächst eingraviert und dann teilweise zusätzlich mit wasserabweisenden Oberflächen beschichtet. Ist der Chip erst einmal fertig konfiguriert, lässt er sich später nicht mehr anpassen.

Flexibles Mini-Labor

Dieses aufwendige Herstellungs­verfahren und die begrenzte Fle­xibilität des Chips möchte Martina Gerken mit ihrem interdisziplinären Forscherteam aus Ingenieuren, Chemikern, Physikern und Biologen ändern: Über eine integrierte Licht­quelle auf dem Chip will sie dazu eine nanostrukturierte Oberfläche so in hydrophile und hydrophobe Abschnitte programmieren, dass eine kontrollierte Tropfenbewegung auch ohne Mikroka näle möglich ist. »Wie viele Milli­ oder Mikrometer

weit spielt aus wissenschaftlicher Sicht keine Rolle«, sagt Gerken. »Entscheidend ist allein das Wie.« Gelingen die Versuche mit Wasser, wollen die Wissenschaftler später versuchen, Biomoleküle gezielt so an­ und abzuschalten, dass sie bei­spielsweise auf bestimmte Inhalts­stoffe in Blut oder Urin bindend oder abstoßend wirken.

Wissenschaftlich betritt das Team mit PhotoSmart Neuland: »Unsere Projektziele gehen weit über den aktuellen Stand der Technik hinaus«, sagt die Forschungsleiterin. Das Umschalten von Materialeigenschaf­ten durch eine integrierte Lichtquelle hat noch niemand zuvor versucht. Erste erfolgreiche Experimente mit schaltbaren Oberflächen in anderen Forschungseinrichtungen benötigten sperrige Versuchsanordnungen und externe Lichtquellen.

Statt eines großen externen Lasers sollen bei PhotoSmart hingegen hauchdünne OLEDs (organische Leuchtdioden) auf dem Chip in

einer Schicht aus Azobenzol­Mole­külen abschnittsweise die jeweils gewünschten Wasser­Eigenschaften aktivieren. »Um auf dieser Basis s päter mobile Sensoren zu bauen, muss die Lichtquelle auf dem Chip sicheres Schalten auch bei sehr gerin­ger Leistungsaufnahme gewährleis­ten«, sagt Gerken.

Viele Einsatzmöglichkeiten

Theoretisch gibt es sehr viele unter­schiedliche Einsatzmöglichkeiten. Martina Gerken interessiert vor allem die Entwicklung rekonfigurier­barer, multifunktionaler Biosensoren. Neben Materialien, die unterschied­lich auf Wasser reagieren, will sie im Rahmen des PhotoSmart­Projektes deshalb auch mit Oberflächen expe­rimentieren, die je nach Lichtanreiz bindend oder nicht bindend auf bestimmte biologische Substanzen wirken. Mit solchen Sensoren könn­ten sich eines Tages zum Beispiel medizinisch relevante Werte einfach und kostengünstig zuhause messen und analysieren lassen. Das aller­

In der Mikrofluidik werden winzige Tropfen (links) auf speziellen Chips analysiert. Die Mini­Labore könnten künftig zum Beispiel für Analysen flüssiger Proben im Rahmen von Robotermissionen genutzt werden, etwa im Weltall (oben rechts) oder in der Tiefsee (unten rechts).

Menschen im Fokus | Martina Gerken

Industry Journal | 01 | 201456

dings dürfte wohl noch mindestens zehn Jahre dauern.

Für optische Technologien begeis­tert sich Gerken schon seit den ersten Tagen ihres Studiums in Karlsruhe: »Als Studentin hat mich die Solarenergie fasziniert. So bin ich zur Optik gekommen. Und da ist man dann auch schon gleich bei den Nanotechnologien.« Dabei interessiert die vierfache Mutter die wissenschaftliche Herausforde­rung mindestens ebenso wie der praktische Wert ihrer Arbeit: »Ich möchte schon sehen, dass meine For­schungsergebnisse eines Tages einen konkreten Nutzen stiften und keine Forschungshirngespinste bleiben«, sagt sie.

Denkbar ist für sie, dafür aus einem erfolgreichen Forschungsprojekt ein eigenes Unternehmen zu entwickeln. Wie so etwas geht, hat sie während ihrer Promotion an der Stanford Uni­versity erlebt. Anders als an vielen europäischen Universitäten mit naturwissenschaftlicher Prägung

sind an US­Eliteuniversitäten Unter­nehmensausgründungen und ent­sprechende Lehrveranstaltungen längst keine Besonderheit mehr.

An der Universität Kiel begleitet die Elektroingenieurin gerade ein Team von Nachwuchswissenschaftlern auf dem Weg ins Unternehmertum – als Mentorin. Die Arbeitsgruppe hat unter ihrer Anleitung eine mobile Messtechnologie entwickelt, um die Wirkung von Medikamenten auf menschliche Zellen auch ohne radio­aktive Marker sichtbar zu machen. Derzeit wird das handliche Messgerät zur Marktreife entwickelt, die Aus­gründung eines Start­ups soll noch im Jahr 2014 erfolgen.

Gerken lässt die jungen Wissenschaft­ler ihrer Fakultät ohne Bedauern zie­hen. Schließlich hat sie selbst genug Projekte auf dem Tisch und mehrere Anträge für weitere Forschungsvor­haben gestellt, die in Gründungen münden könnten. Es ist kaum anzu­nehmen, dass sie in Zukunft lediglich einen Tropfen Wasser bewegen wird.

Menschen im Fokus | Martina Gerken

Trennen, mischen, messenDie Mikrofluidik beschäftigt sich mit dem Verhalten von winzigen Flüssigkeitsmengen und Gasen auf kleinstem Raum – etwa in der Prozesstechnik, Sensortechnik, Biotechnologie oder Medizintech­nik. Viele der angewendeten Verfahren zum Trennen, Mischen oder Messen nutzen die Kapillarkraft, andere basieren auf Druck, Zentrifugalkraft, Elektrokinetik oder akustischen Schockwellen als Antriebskraft. Zur Anwendung kommen solche Techniken derzeit vor allem in den Forschungslaboren der chemischen und pharma­zeutischen Industrie oder in der Medizintechnik. Hier wurden in den vergangenen Jahren bereits vermehrt mikrofluidische Chips eingesetzt, die auf wenigen Quadratzentimetern alle Elemente einer analytischen Methode enthalten.

4.700Förderanträgegingen 2013 beim Euro­päischen Forschungsrat ERC ein. PhotoSmart ist eines von 536 Vorhaben, die sich für ein ERC Starting Grant quali­fiziert haben. Die Kieler Forscher erhalten 1,5 Millio­nen Euro aus diesem Förder­topf.

57Industry Journal | 01 | 2014

Strategien für Auswärtsspiele»Playing to Win in Emerging Markets« heißt eine neue Studie der Boston

Consulting Group. Die Strategieberatung hat westliche Top-Manager zu

ihren Zielen und Aktivitäten in Schwellenländern befragt. Ergebnis: Fast

alle wollen auf den wichtigen Wachstumsmärkten vorne mitspielen. Doch

die lokale Konkurrenz schätzen sie als sehr stark ein.

Management | Erfolg in Schwellenländern

Industry Journal | 01 | 201458

»Unternehmen, die wachsen wollen, müssen einfach dort sein, wo das Wachstum stattfindet«, sagt Rick Goings, CEO der Tupperware Brands Corporation. Der US­Manager beschreibt damit in einem Satz die Bedeutung der Schwellenländer für Global Player. Dort wächst die Wirt­schaft. Der Anteil der aufstrebenden Länder an der globalen Wirtschafts­leistung ist seit der Jahrtausend­wende von 20 auf 38 Prozent gewachsen, ihr Anteil am Weltwaren­handel im selben Zeitraum von knapp 25 auf 37 Prozent gestiegen.

Zwar geht der Internationale Wäh­rungsfonds davon aus, dass sich die Wachstumsdynamik in vielen Schwellenländern in den kommen­den Jahren etwas abkühlt. Dennoch wird etwa für China im Jahr 2014 eine Zunahme des Bruttoinlandspro­dukts (BIP) von 7,3 bis 8,2 Prozent prognostiziert. Auch das BIP der übrigen BRIC­Staaten – also Brasilien, Russland und Indien – wird deutlich zulegen, ebenso die Wirtschafts­leistung weiterer Länder in Südost­asien, Südamerika und Osteuropa. »Die Wachstumsstory der Emerging Markets ist noch lange nicht vorbei«, schreibt das britische Wirtschafts­magazin »The Economist«.

Lokalhelden oft im Vorteil

Eine Einschätzung, die viele interna­tionale Top­Manager teilen. An der Wachstumsstory wollen sie gerne teilhaben: 78 Prozent der multinatio­nalen Konzerne rechnen damit, ihre Marktanteile in den Schwellenlän­dern zu erhöhen, lautet ein zentrales Ergebnis der Studie »Playing to Win in Emerging Markets«. Die interna­tionale Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) hat weltweit mehr als 150 Führungskräfte multi­nationaler Unternehmen zu ihren

Globalisierungsplänen befragt. Und dabei deutlichen Handlungsbedarf aufgedeckt: Nur 13 Prozent der befragten Top­Manager glauben, bei ihrer Expansionsstrategie einen Wett­bewerbsvorteil gegenüber lokalen Unternehmen zu besitzen.

Lücken in der Umsetzung

Die Studienergebnisse offenbaren also eine tiefe Kluft zwischen den Ambitionen international agierender Unternehmen bei der Positionierung in den Schwellenländern und den dafür erforderlichen Fähigkeiten. So sollten die Befragten zum einen die Bedeutung von 13 Erfolgsfaktoren für das Engagement in Schwellen­ländern bewerten, zum anderen ihre eigene Leistung in diesen Kategorien. Ergebnis: Zu den wichtigsten Erfolgs­kriterien zählten kompetente lokale Führungskräfte, Unterstützung durch das Top­Management, Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern sowie Marktkenntnis und Kundennähe. Doch ausgerechnet in diesen Kate­gorien räumte die Mehrheit auch die größten Lücken zwischen Anspruch und Umsetzung ein.

Vor allem das Rekrutieren und Binden qualifizierter Mitarbeiter stellt multi­nationale Konzerne vor Pro bleme: »Die richtigen Persönlichkeiten mit der richtigen Kombination aus Ein­stellung, Begabung, Fähigkeiten, Erfahrung und kulturellem Fit zu finden, die in den nächsten zehn Jahren zweistelliges Wachstum vor­antreiben«, sei schwierig und somit der größte Stolperstein bei der Ver­wirklichung von Expansionsplänen in Schwellenländern, sagt beispiels­weise ein Studienteilnehmer aus der Konsumgüterindustrie.

Beim Wettbewerb um die besten Köpfe haben multinationale Konzerne immer

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Management | Erfolg in Schwellenländern

28Prozentihres Umsatzes erwirt­schaften multinationale Konzerne durchschnittlich in den Schwellenländern.

59Industry Journal | 01 | 2014

häufiger das Nachsehen gegenüber lokalen Unternehmen: Zwar können die Global Player bei der Personal­rekrutierung mit der Attraktivität ihrer Markennamen punkten. Aber sie müs­sen auch damit rechnen, dass geeig­nete Kandidaten mit einem kurzen Gastspiel lediglich ihren Lebenslauf aufwerten wollen – und das Unter­nehmen bald wieder für eine höher dotierte Stelle verlassen.

Karrierechancen bieten

Die hohe Fluktuation lokaler Mana­ger sei gerade in Schwellenmärkten ein enormes Problem, unterstreicht David Rygl. Der Professor leitet das Institut für Unternehmensführung und Internationalisierung an der School of International Business and Entrepreneurship der Steinbeis­Hochschule Berlin. Bei vielen Unter­nehmen vermisst er eine mittel­ und langfristig angelegte Personalent­wicklung für Fach­ und Führungs­kräfte in Schwellenländern: »Wer nur auf monetäre Anreize setzt, fördert letztlich eine Söldnermentalität. Es geht aber vielmehr um das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen.«

Viele Nachwuchs­Manager aus Schwellenländern sehen Karriere­chancen eher bei lokalen Arbeit­gebern als bei Global Playern. Liegt die Unternehmenszentrale weit ent­fernt in den USA oder Westeuropa,

befürchten lokale Führungskräfte oft eine gläserne Decke, die ihnen den Aufstieg in die Top­Etagen verwehrt. Ein Blick in die Fortune­500­Liste der weltgrößten Unternehmen scheint diese Sorge zu bestätigen: Der Anteil ausländischer CEOs, die nicht aus dem Ursprungsland des jeweiligen Unternehmens kommen, liegt bei 14 Prozent. Nach wie vor sind Mana­ger aus Schwellenländern in den Ent­scheidungsgremien multinationaler Konzerne also unterrepräsentiert.

Auch bei den Organisations­ und Führungsstrukturen der multinatio­nalen Konzerne offenbart die BCG­Studie eine Diskrepanz: Die befragten Unternehmen erwirtschaften zwar durchschnittlich 28 Prozent ihrer Erträge in Schwellenländern und pla­nen, diesen Anteil weiter zu steigern. Doch in der Regel werden die Akti­vitäten in den Schwellenländern in fernen Konzernzentralen geplant und gesteuert – was der Kundennähe und Flexibilität vor Ort schadet.

Hintergrund: Die Organisationsstruk­turen der meisten international agie­renden Unternehmen haben sich in einer Ära vor der Globalisierung ent­wickelt. Für die Internationalisierung wurden sie zwar angepasst, aber nicht grundlegend verändert. Wie die BCG­Studie zeigt, besteht erheb­licher Nachholbedarf beim Umbau der Führungsstrukturen. Letztlich geht es darum, in einem Spannungs­

feld aus zentraler Führung und dezentralen Handlungsspielräumen zu navigieren, wie Internationalisie­rungsexperte David Rygl erläutert. Entscheidend sei die Kommunikation an der Schnittstelle zwischen den Ländergesellschaften und der Kon­zernzentrale.

Netzwerke aufbauen

Kompetenzen der lokalen Mitarbeiter können nur dann in die Entschei­dungsprozesse einfließen, wenn deren Ideen und Initiativen im Top­Management Gehör finden. Andern­falls leidet die Motivation, Vorgaben der Zentrale zu erfüllen. »Ein reiner Top­down­Ansatz führt bei der Markt­entwicklung in Schwellenländern langfristig nicht zum Erfolg«, sagt Rygl. Immer wieder stellt er fest, dass Unternehmen bei der Erschließung neuer Märkte zu ungeduldig sind. Gerade in Schwellenländern sei für die entsandten Unternehmensver­treter der Aufbau von Netzwerken mit unterschiedlichsten Akteuren ein wesentliches Element für den Geschäftserfolg. »Dafür braucht man jedoch Zeit und die Bereitschaft der entsandten Mitarbeiter, ein fundier­tes Verständnis des jeweiligen Mark­tes zu entwickeln.«

Wer diese Erfolgsfaktoren ignoriert, begünstigt lokale Konkurrenten. Sie können im Wettbewerb gegen Global Player – beispielsweise aus Nordame­

Wer nur auf monetäre Anreize setzt, fördert eine Söldner-mentalität. Es geht vielmehr um das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten.«

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Management | Erfolg in Schwellenländern

David Rygl, Professor an der School of International Business and Entrepreneurship, Steinbeis-Hochschule Berlin

Industry Journal | 01 | 201460

rika oder Westeuropa – nämlich eine Reihe von Vorteilen ausspielen, allen voran ihre Marktkenntnis und Kun­dennähe. Sie besitzen zudem starke Beziehungen zu wichtigen Entschei­dungsträgern vor Ort und kennen sich exzellent mit den jeweiligen nationa­len Regulierungsvorschriften aus.

Insbesondere im glokalen Segment (glokal = Kunstwort aus global und lokal) ist die Konkurrenz stark: Hier erwarten die Kunden in den Schwel­lenländern heute Qualität, die zwar globalen Standards und Marken entspricht, aber zugleich auch lokale Preise. Von diesem Trend sind vor allem Unternehmen der Konsumgüter­

und Nahrungsmittelindustrie betrof­fen, die in den Schwellenländern Fuß fassen wollen.

Noch weitgehend ungetrübt durch lokale Konkurrenz sind dagegen die Perspektiven für Anbieter von High­tech­Investitionsgütern: In diesem Segment bleiben die Schwellenlän­der mittelfristig auf Importe ange­wiesen, um ihre Industrialisierung weiter voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund gibt das Wirtschafts­wachstum dieser Länder den Bran­chen Maschinen­ und Anlagenbau sowie Elektrotechnik aus den hoch industrialisierten Volkswirtschaften Rückenwind.

78Prozentder befragten Global Player wollen ihren Marktanteil in den Schwellenländern aus­bauen.

Auf Innovations­führerschaft setzen«

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Mit Innovationskraft und kurzen Entwicklungszeiten können sich westliche Industrie unternehmen erfolg-reich in Schwellenländern positionieren, sagt Stefan Heng, Senior Economist bei Deutsche Bank Research.Die deutsche Elektroindustrie zählt zu den Schwer-punkten des Analysten. Der Anteil der Schwellenlän-der an den deutschen Elektroexporten hat sich seit dem Jahr 2000 nahezu verdreifacht – aus diesem Er-folg lassen sich Strategien für Global Player ableiten.

Wie kann die westliche Elektroindustrie von der Nachfrage in Schwellenländern profitieren?Ein wichtiges Thema ist die durchgehende Automatisie­rung der Produktion durch die Integration von Informa­tions­ und Kommunikationstechnologie und die Vernet­zung von Produktionsprozessen, die so genannte Industrie 4.0. In Schwellenländern werden neue Produktionsanlagen oft als komplette Neugründung auf dem neuesten Stand der Technik gebaut. Dieses Anforderungsprofil und die Kompetenzen deutscher Anbieter in der Automatisierung passen exzellent zusammen. Die enge Verzahnung der Schlüsselbranchen Maschinenbau und Elektrotechnik

erweist sich als enormer Wettbewerbsvorteil. Sie schafft Synergien und fördert die Innovationsfähigkeit.

Welche Segmente eröffnen weitere Chancen in den Schwellenländern?Angesichts steigender Preise für Primärenergie werden ver­stärkt Lösungen und Verfahren zur Verbesserung der Ener­gieeffizienz gefragt sein. Deutsche Unternehmen haben hier mit intelligenter Energietechnik, Stichwort Smart Grid, als Vorreiter eine gute Ausgangsposition.

Hightech-Produkte sind keine Schnäppchen. Haben hochpreisige Güter weiterhin Chancen in den Schwellenländern?Ja, und zwar sehr gute. Denn für die Fortsetzung ihres Wachstumskurses sind viele Schwellenländer auf den Import von qualitativ hochwertiger Technologie angewiesen. Um ihre Position zu behaupten, müssen Elektrotechnik­ Unternehmen weiterhin auf ihre Stärken bei der Innovationsführerschaft setzen. Wichtige Zielgrößen hierbei sind die Qualität des Engineerings und die Time­to­Market, also kurze Markteinführungszeiten.

Stefan Heng, Deutsche Bank Research

Management | Erfolg in Schwellenländern

61Industry Journal | 01 | 2014

Respekt ist wichtiger als Harmonie.«

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Management | Dirigieren im Management

Ein CEO (der Dirigent), mehrere Führungkräfte (Konzertmeister, Vor­spieler) und knapp 100 Mitarbeiter: Ein großes Orchester ist ähnlich strukturiert wie ein Unternehmen. Nur mit dem sprichwörtlichen Zusammenspiel aller Beteiligten klappt es bei ihm häufig sehr viel besser als in der Wirt­schaft.

Industry Journal | 01 | 201462

Herr Gansch, Sie sind ausgebil-deter Orchestermusiker und als Dirigent international erfolgreich. Warum werden ausgerechnet Sie von so vielen Managern aus der Industrie zu Fragen erfolgreicher Führung konsultiert?Ich war bereits mit 17 Jahren Kon­zertmeister beim Wiener Kammeror­chester und damit Führungskraft von Menschen, die vom Alter her meine Eltern hätten sein können. Technisch war ich damals schon ein sehr guter, preisgekrönter Geiger – aber als Füh­rungskraft noch völlig unerfahren. Ich hatte eigentlich nur die Wahl, zu scheitern oder mir selbst gegen­über schonungslos klarzumachen, was Führen wirklich bedeutet. Die Ergebnisse dieser Überlegungen und meine Erfahrungen als junge Füh­rungskraft bei den Münchner Philhar­monikern und später als Produzent bei der Deutschen Grammophon fließen heute, viele Jahre später, in meine Workshops und Vorträge ein.

Lässt sich eine Führungsposition im Orchester überhaupt mit der in einem Unternehmen vergleichen?Durchaus, aber anders, als man viel­leicht denken würde: Als Musiker hatte ich zunächst viele Klischees von der Wirtschaft im Kopf. So wie viele Menschen uns Musiker für empfindsame, nach Selbstverwirk­lichung strebende Künstlerseelen halten, habe ich früher geglaubt,

Musiker gelten als gefühlsbetonte Individualisten.

Dabei organisieren gerade sie ihre Zusammenarbeit

oft bemerkenswert pragmatisch und liefern auf den

Punkt Höchstleistungen. Der international renommierte

Dirigent und Managementberater Christian Gansch

erklärt im Interview mit dem »Industry Journal«, was

Unternehmen von Spitzenorchestern lernen können.

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Management | Dirigieren im Management

in der Wirtschaft arbeiten lauter pragmatische, rational gepolte Menschen, die auf Basis ihrer Ratio­nalität gemeinsam Erfolge schaffen. Ich habe aber bald festgestellt, dass es genau umgekehrt ist: Die ver­meintlich so emotionalen Künstler sind es, die ganz pragmatisch den Schulterschluss finden und nach nur drei Proben plus Generalprobe eine gemeinsame Lösung für ein anspruchsvolles Konzert mit Live­Übertragung in 30 Länder drauf­haben. Die vermeintlich rationalen Manager hingegen verteidigen oft eifersüchtig ihre Pfründe und kochen ihre persönlichen Süppchen. Vielen Managern fällt es schwer, über den Tellerrand ihrer eigenen Abteilung hinauszublicken und das gemeinsa­me Gesamtziel im Auge zu behalten.

Wollen Sie damit sagen, dass aus-gerechnet hochtalentierte Musi-ker sich bereitwillig der Gruppe unterordnen und auf ihre künstle-rische Freiheit verzichten?Diese Frage verdeutlicht bereits ein grundlegendes Missverständnis: Wir verwechseln Freiheit oft mit Selbst­verwirklichungsneurosen. Was heißt denn Freiheit bei einem Orchester? Doch bestimmt nicht, dass 100 Leute gleichzeitig ein Stück einfach so spie­len, wie ihnen gerade der Sinn steht. Das Publikum erwartet ein Konzert mit einer klaren Botschaft und nicht 100 Privatversionen gleichzeitig.

Christian Gansch, Weltklasse­Dirigent, Ex­Musikproduzent und Managementberater

Das Publi kum erwartet eine klare Botschaft und keine 100 Privat-versionen.«Christian Gansch

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63Industry Journal | 01 | 2014

konzern. Auch da müssen schließlich lauter verschiedene Spezialisten auf den Punkt ein gemeinsames Ergebnis abliefern.

Können Sie das konkretisieren?Nehmen sie etwa eine große, inter­nationale Marketingkampagne. Hier müssen Produktdetails, Vertrieb und Preis ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Die Kunden begeistern sich schließlich nicht für verschiedene Einzelleistungen. Entweder gefällt ihnen das Gesamtresultat oder sie kaufen bei der Konkurrenz. Jeder einzelne Mitarbeiter sollte sich also für ein gelungenes Gesamtergebnis verantwortlich fühlen und begrei­fen, dass er sich dazu mit seinen Kollegen abstimmen muss – im Orchester genauso wie im Unterneh­men. Anderenfalls nutzt selbst die brillanteste Einzelleistung nieman­dem.

Wie kommt man denn vom Ich- zum Wir-Gefühl – zum sprichwört-lich gut eingespielten Ensemble?Manche Unternehmen versuchen es mit zwanghaftem, schlimmstenfalls sogar verordnetem Harmoniestre­ben. Häufig dominiert in der Wirt­schaft der Verhaltenskodex, sich jederzeit offen, freundlich, team­fähig und sympathisch geben zu müssen. So sind wir Menschen aber in der Regel nicht. Dieser Anspruch

überfordert uns. Und bei Missstim­migkeiten wird dann auch noch die moralische Keule geschwungen, nach dem Motto: »So dürfen wir hier aber nicht miteinander umgehen.« Diesen Ansatz halte ich für grund­legend falsch.

Also Peitsche statt Zuckerbrot?So möchte ich das nun auch nicht sagen. Aber diese derzeit moder­ne Kultur des »Wir haben uns alle lieb« lehne ich zutiefst ab. In einem Orchester arbeiten viele Menschen aus verschiedenen Generationen und Nationen auf engstem Raum und oft unter hohem Zeitdruck zusammen – und haben dabei auch noch jeden Abend Publikum. Da sind Spannungen an der Tagesordnung. Diese dürfen nicht nur offen gezeigt werden, sie müssen es sogar. Sonst explodiert der Kessel irgendwann.

Was empfehlen Sie dann Führungskräften – Tacheles statt Teambuilding?Teambuilding ist natürlich wichtig. Aber von diesen losgelösten Ver­anstaltungen, wo man einmal im Jahr zusammen Kanu fährt oder auf den Berg steigt, halte ich wenig. So etwas würden Sie bei einem Weltklasse­Orchester auch kaum finden. Das Teambuilding erfolgt dort während der Arbeit – und das sehr erfolgreich.

Wie definieren Sie dann den Begriff Freiheit im musikalischen und wirtschaftlichen Kontext?Die Freiheit, in einem erstklassigen Orchester zu spielen oder bei einem tollen Unternehmen zu arbeiten, bedeutet für mich, dort Teil einer großartigen Entwicklung zu sein und das Gefühl zu haben: Ja, ich trage dazu etwas bei. Freiheit bedeutet aber hingegen gerade nicht, mitten­drin aufzustehen und zu sagen: Ich bin ja so gut, ich hab die Sinfonie heute in der halben Zeit geschafft. Wer sich im Job primär selbst ver­wirklichen will, der ist in einem exzellenten Orchester genauso fehl am Platz wie in einem gut geführten Unternehmen.

Viele Unternehmen fordern, dass ihre Mitarbeiter sich und ihre Ideen stärker einbringen sollen. Ist das gar nicht so gemeint oder einfach nur der falsche Ansatz?Natürlich basiert der Erfolg jedes guten Teams auf einem Wechselspiel von Kräften und Kompetenzen, die jeder einbringen sollte. Aber noch­mal: Mit einem falsch verstandenen Freiheitsbegriff kann ich überhaupt nichts anfangen. Wenn Sie mit mehr Personen als nur mit sich selbst zusammenarbeiten, geht es vor allem um gemeinsame Verantwor­tung. Das gilt für ein Konzert genau­so wie für ein Projekt in einem Groß­

Management | Dirigieren im Management

Ein gelungenes Konzert ist das Ergebnis eines permanenten Abstimmungsprozesses von mehr als 100 Mitarbeitern und zahlreichen Führungskräften – mit klaren hierarchischen Strukturen: Ähnlich wie in einem Unternehmen sind die Instrumentengruppen in Abteilungen organisiert, darunter die Streicher, aufgeteilt in erste und zweite Violinen, Bratschen, Celli und Kontrabässe, die Holz­ und Blechbläser und die Schlagwerker.

Innerhalb der Abteilungen gibt es jeweils eine oder mehrere Führungskräfte. Die ranghöchste ist der Kon­

zertmeister, der das Spiel der ersten Violinen koordiniert. Es folgen der stellvertretende Konzertmeister und die Vorspieler. In den anderen Gruppen gibt es ebenfalls Musiker mit Leitungsfunktionen. Die Führungskräfte müssen Technik und Spielweise ihrer Abteilungen intern und extern aufeinander abstimmen.

Der Dirigent ist als Leiter des Orchesters maßgeblich für die Interpretation des Stücks verantwortlich. Er entscheidet zum Beispiel, an welchen Stellen er einzelne Musiker fordert oder ihnen Zurückhaltung auferlegt.

Führungskräfte eines Orchesters

Industry Journal | 01 | 201464

Wie gehen Sie dort mit internen Spannungen um?Wenn man auf persönlicher Ebene Unterschiede und Antipathien schulter zuckend akzeptiert, kann man auf fachlicher Ebene trotzdem respektvoll, verantwortungsbewusst und erfolgreich miteinander arbeiten. Respekt ist wichtiger als Harmonie. Mindestens genauso wichtig ist aber der Faktor Zeit – und da wird es in der Praxis schon schwieriger. Im Orchester erwartet niemand, dass der neue junge Geiger, der technisch fast schon perfekt ist, auch den Teamgedanken einfach so mitbringt. Als Neuer werden Sie daher intensiv gecoacht. Vielleicht bekommen Sie sogar manchmal mehr Feedback, als Sie ertragen können. Aber man lässt Ihnen die nötige Zeit, um sich per­sönlich zu entwickeln, und begleitet sie dabei.

Inwiefern erleben Sie das bei Ihrer Beratung von Unternehmen anders? In der Wirtschaft erlebe ich oft eine extrem kontraproduktive Erwar­tungshaltung: Die neuen Kollegen sollen sich wie durch Zauberhand integrieren, irgendwie. Aber kein Mensch tut systematisch etwas dafür.

Im Personalmanagement gelten derzeit Diversity und die Durch-mischung von Teams als probates Mittel für unternehmerische Höchstleistungen. Wie sehen Sie das?Der Ansatz ist schon ganz richtig. Beispiel heterogene Altersstrukturen: In einem Spitzenorchester, das Nach­wuchs auf Weltklasse­Niveau rekru­tiert, setzen die hochmotivierten Jungen wahnsinnig viel Energie frei. Die Älteren werden von ihnen gefordert und müssen zum Ausgleich ihre in vielen Arbeitsjahren erlangte Erfahrung einbringen. Sie können sich also nicht bequem zurücklehnen und auf ihren Lorbeeren ausruhen. Die Mischung aus hochmotivierten jungen Mitarbeitern und erfahrenen älteren entwickelt in Top­Orchestern

eine große Dynamik. Vorausgesetzt, die Motivation der Jungen wird nicht als Bedrohung empfunden und deswegen untergraben. Genau das erlebt man leider regelmäßig in schlechteren Orchestern, ebenso wie in schlecht geführten Teams von Unternehmen: Hier werden die Jungen eher ausgebremst, weil die älteren Kollegen ihnen täglich bei­bringen wollen, wie man auch mit sehr viel weniger Mühe durchkommt. Erfahrung ist gut, solange sie nicht in gleichgültige Routine umschlägt.

Was benötigen herausragende Dirigenten und Manager gleicher-maßen?Erfahrung und Können sind Grund­voraussetzungen – die aber auch viele durchschnittliche Dirigenten oder Führungskräfte besitzen. Was die Besten vom Mittelmaß unter­scheidet, ist vor allem eine Vision, die sie auch kommunizieren können. Der Dirigent gibt dem Orchester die große, gemeinsame Linie vor, die er vorab erarbeitet hat. So wie der CEO für das Unternehmen. Und als gute Führungskraft wird er ständig bemüht sein, allen Musikern des Ensembles seine Vorstellungen zu vermitteln. Ein Weltklasse­Dirigent wird niemals denken: »Ach, warum soll ich mir die Mühe machen, auch noch der dritten Flöte mein Konzept zu erklären? Die hört man ja sowieso kaum.« Wenn nur handverlesene Insider wissen, welche Vision den Strategien zugrunde liegt, darf man sich über mangelnde Motivation nicht wundern.

Wie wichtig sind Persönlichkeit und Charisma?Charisma ist hilfreich, auch wenn nicht alle großen Dirigenten dem Bild vom charismatischen Künstler mit wallender Mähne entsprechen. Unverzichtbar ist aber Authentizität: Ein Selbstdarsteller ohne Substanz wird von einem Spitzenteam im Handumdrehen entlarvt und hat dann für immer verloren – ohne eine zweite Chance zu bekommen.

Christian GanschDer Österreicher Gansch hat Geige und Klavier an der Univer­sität für Musik und darstellende Kunst in Wien studiert. Von 1981 bis 1990 war er Führungs­kraft bei den Münchner Philhar­monikern. Danach wechselte er in die Musikindustrie und pro­duzierte mehr als 190 CDs mit Künstlern wie Claudio Abbado, Lang Lang, Anna Netrebko, den Wiener Philharmonikern oder der Metropolitan Opera New York und hat vier Grammy Awards erhalten.

Parallel zu seinen Engage­ments als Dirigent coacht er Führungskräfte aus der Wirt­schaft, schreibt Management­Bücher und ist ein international gefragter Redner. Christian Gansch leitet das Münchner Management­Beratungsunter­nehmen »Gansch und Partner – sinfonisches consulting«. Zu seinen Kunden zählen Konzerne wie BASF, BMW, Microsoft, Nestlé und Siemens.

Management | Dirigieren im Management

65Industry Journal | 01 | 2014

Derzeit nur eine Vision, doch vielleicht schon bald Realität: Drohnen liefern Medikamente in abgelegene Dörfer, etwa in Afrika. Hier befänden sich solarbetriebene Ladestationen (unten rechts), an denen die Drohnen selbstständig ihre Akkus austau­schen.

Unternehmen im Fokus | Matternet

Industry Journal | 01 | 201466

Unbemannte Kuriere der LüfteDas US-Unternehmen Matternet will den Transport

revolutionieren: Eine Flotte von autonomen Drohnen

soll Medikamente in afrikanische Dörfer bringen –

oder Päckchen in Los Angeles ausliefern. Nachdem

auch Unternehmen wie Amazon an ähnlichen Pro-

jekten arbeiten, kommt Fahrt in die Planungen, die vor

wenigen Jahren noch pure Fiktion waren.

»

Unternehmen im Fokus | Matternet

In einem abgelegenen Dorf in Nigeria liegt ein zweijähriges Mädchen fiebernd in einer Hütte und ringt um sein Leben. Eine Infektion, die dringend mit Antibiotika behandelt werden muss. Doch die Sonne ist bereits untergegangen, und das nächste Krankenhaus liegt mehr als 25 Kilometer entfernt. Und ein Auto gibt es im ganzen Dorf nicht – aber eine Lösung: Die Mutter des Kindes ruft im Krankenhaus an und erklärt die Lage.

Sofort bepackt dort eine Kranken­schwester einen kleinen Flug roboter mit Medikamenten und gibt die Koor­dinaten des Dorfes ein. Eine halbe Stunde später kommt die Drohne bei der Mutter an. Auf dem Weg hat das Fluggerät an Ladestationen selbst­ständig zwei Zwischenstopps einge­legt, um seinen Akku auszutauschen.

»Das Kind bekommt sein Antibio­tikum, noch über Nacht lässt das Fieber nach, am Morgen ist es außer Lebensgefahr«, sagt Andreas Raptopoulos, Gründer und CEO des Unternehmens Matternet in Palo Alto (Kalifornien, USA). Noch sei so etwas Fiktion, aber Matternet arbeitet an ihrer Realisierung.

67Industry Journal | 01 | 2014

hat, in dem die Drohnen fliegen und bestimmte Gewichte transportieren sollen, kann man das mit entsprechen­dem Geld innerhalb weniger Monate modellhaft realisieren«, sagt Professor Albert Claudi, Leiter des Fachgebiets elektrische Anlagen und Hochspan­nungstechnik an der Universität Kassel und Spezialist für unbemannte Flug­modelle.

Um das System autonom und verläss­lich zu machen und um ein größeres Netzwerk aufzubauen, müssen jedoch noch viele Hürden überwunden wer­den: Das Gewicht, die Flugzeit, die Bat­terie, Sicherheit und Zuverlässigkeit, flugregulatorische Details – es gibt noch viel zu tun. Grundsätzlich sei das alles aber vorstellbar, sagt Claudi. Vor allem, weil sich die Drohnentechnik gerade extrem schnell weiterentwickle.

»Vor drei bis vier Jahren waren wir froh, wenn wir mit einer Fern­steuerung auf dem Hof standen, sich das Ding einigermaßen stabil in der Luft hielt und wir die Universi­tät über die Kameras aus 50 Metern

Auch in dicht besiedelten US­Metropolen wie Los Angeles oder New York will Matternet seine Technologie einsetzen – für kommerzielle

Transportdienste. Diese »High Dollar Applications« sollen den Netzausbau in ärmeren Regionen der Welt finanzieren.

Es ist eine hehre Vision, die Matternet zeichnet. Fast eine Milliarde Menschen sind in Afrika zumindest zeitweise vom Straßennetz abgeschnitten – vor allem während der Regenzeit. Die Isolation kann dann leicht zum Verhängnis werden – bei medizinischen Notfällen ebenso wie bei Naturkatastrophen oder Lebensmittelknappheit.

Ende der Isolation

Matternet will genau diese Isolation beenden. In Afrika ist die Infrastruktur für Mobilfunknetze und Internet inzwi­schen selbst in vielen abgeschiedenen, ländlichen Regionen überraschend gut ausgebaut. Zu diesem Netzwerk für Informationen will Raptopoulos nun ein weiteres für Waren aufbauen – eine Art analoges Internet.

Dafür entwickelt Matternet drei zen­trale Bausteine: zum einen die Gras­hüpfer, wie das Unternehmen seine Fluggeräte nennt. Diese Drohnen können Lasten von zwei Kilogramm und mehr transportieren. Außerdem ein Netzwerk an Ladestationen, wo die

Drohnen selbstständig andocken, in einer Dichte von zehn Kilometern – so hoch ist die aktuelle Reichweite der Drohnen mit einer einzigen Akkuladung. Und schließlich ein GPS­basiertes Steuerungs system, das die Transportroboter koordiniert.

Die Drohnen sollen an den Dockingsta­tionen selbstständig frisch geladene Batterien aufnehmen und ihren ver­brauchten Akku zum Aufladen abge­ben können. Überhaupt soll alles ein­mal völlig selbstständig funktionieren: 40 Stundenkilometer schnell und 120 Meter hoch werden die Drohnen laut Matternet fliegen. Menschen braucht es dabei kaum, denn einmal aktiviert, arbeitet das System völlig autonom. »Die Schönheit dieser Tech­nologie ist ihre Unabhängigkeit«, sagt Andreas Raptopoulos, der davon träumt, eines Tages ganze Länder mit einem Netz an Dockingstationen für die Grashüpfer zu überziehen. Das könnte Logistikketten weltweit revolutionieren.

Doch wie realistisch ist diese Vision?»Wenn man einen definierten Korridor

Unternehmen im Fokus | Matternet

Industry Journal | 01 | 201468

Höhe sahen. Wir waren da völlig aus dem Häuschen«, sagt Claudi. »Wenn damals jemand gesagt hätte, dass es zwei Jahre später Drohnen im Laden für wenige Hundert Euro zu kaufen gibt und Hobbyfotografen sie routi­niert für Luftbilder einsetzen, hätte das kaum jemand geglaubt.«

Die Entwicklungssprünge seien wesentlich dem Fortschritt in der mobilen Kommunikationstechnik zu verdanken. »Die Gyrosensoren etwa, die Lageregler, sind extrem leicht geworden, weil sie für den Smart­phone­Markt rasch weiterentwickelt wurden«, sagt Claudi. »Wir stehen hier an einer Technologieschwelle, wo vieles, was möglich erscheint, auch schnell möglich wird.«

Darauf setzt Andreas Raptopoulos. Matternet hat Drohnen von mehreren Herstellern getestet und verfolgt die Entwicklungen bei Batterietechnolo­gien genau. Der Luftfahrtingenieur Raptopoulos will sich aber nicht auf einzelne Zulieferer festlegen, um sich alle Optionen und technischen Fort­schritt offenzuhalten. Parallel arbeitet Matternet an der Entwicklung einer eigenen Technologie.

Erfolgreiche Feldversuche

Bereits Ende 2012 wagte Matternet in Haiti und der Dominikanischen Repu­blik erste Feldversuche: Drei Drohnen wurden – teils autonom, teils fernge­steuert – auf mehrere Missionen in städtische und ländliche Gegenden geschickt. So transportierte ein Flug­gerät in 120 Metern Höhe erfolgreich medizinische Hilfsgüter von einem Ende der haitianischen Stadt Port­au­Prince ans andere Ende, hinweg über Zeltstädte, die dort zwei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 noch immer Tausenden von Menschen Unterkunft geben. »Einiges hat da schon gut funktioniert, ande­res müssen wir noch optimieren. Die autonome Navigation und der auto­matische Austausch der Batterien zum Beispiel müssen noch deutlich verbes­sert werden«, sagt Raptopoulos.

Dass vieles noch nicht rundläuft, ist wenig erstaunlich – schließlich ist Matternet kaum drei Jahre alt. 2011

»

Drohnen in der IndustrieSie können fliegen und dabei filmen – besonders wegen dieser Eigenschaften nutzt man Drohnen schon seit Jahren in verschiedenen Industriezweigen. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Inspektion. Vor allem Windkraft­ und Photovoltaikanlagen werden mittlerweile fast routine­artig alle paar Monate von Drohnen kontrolliert: Sind die Rotoren einer Windturbine beschädigt? Wie sehr hat die Witterung die Oberfläche von Photovoltaikpanels aufgeraut? Sie können beispielsweise aber auch den Zustand der Dächer von Industrieanlagen kontrollieren.

Mittlerweile werden auch Drohnen mit Kameras und Infrarotsensoren eingesetzt, um Öl­ und Gasfelder aus der Luft aufzuspüren. Seit der Katastrophe im japanischen Fuku­shima werden Drohnen mit Geiger­zählern entwickelt, um das Strah­lungsniveau in den Reaktorruinen gefahrlos zu messen. Und Schweizer Forscher haben im Herbst 2013 auf einer Fachtagung für Robotik in Tokio gezeigt, wie sich Flugdrohnen zukünftig beim Bau von Brücken einsetzen lassen könnten.

studierte Raptopoulos noch an der Singularity University im Silicon Valley (Kalifornien, USA), einer hoch angese­henen privaten Bildungseinrichtung für technologische Querdenker und Entrepreneure. Deren Ziel ist kein geringeres, als Führungskräfte aus­zubilden und zu befähigen, sich den großen Herausforderungen der Menschheit mit technologischen Inno­vationen zu stellen. In einem der Kurse entwickelte der gebürtige Grieche die Matternet­Idee – gemeinsam mit der Juristin und Weltbank­Beraterin Paola Santana, der Politologin und Historike­rin Darlene Damm und dem Physiker Dimitar Pachov.

Mediale Aufmerksamkeit

Das Unternehmen ist heute eines der bekanntesten Spin­offs der Singularity University. Denn seine Vision brachte Matternet viel Aufmerksamkeit: Die Fernsehsender »CNN« und »BBC« berichteten, die »Washington Post« schrieb genauso über die Flugpioniere wie der britische »The Guardian.« Und CEO Raptopoulos sprach mehrmals bei TED­Konferenzen, einer der weltweit größten Plattformen für zukunftsträch­tige Ideen.

Doch der Teufel steckt auch hier im Detail – beispielsweise in den schwe­ren Batterien. Denn die Reichweite einer Drohne hängt maßgeblich von ihrem Gewicht ab. »Wenn man noch zwei Kilogramm oder mehr transportieren will, reduziert sich die Reichweite enorm«, sagt Andreas Mitschele­Thiel, Professor für Inte­grierte Kommunikationssysteme an der Technischen Universität Illmenau. Er forscht unter anderem an unbe­mannten Luftfahrzeugen für Komm­munikationszwecke – so genannten UAV (»Unmanned Aerial Vehicle«).

»Außerdem dürfte es in Afrika eine besondere Herausforderung sein, die Batterietemperatur in den Griff zu bekommen. Schon hierzulande werden die Dinger ziemlich heiß, im Hochsommer muss man aufpassen, dass die Batterie beim Fliegen nicht in Brand gerät«, sagt der Wissenschaftler.

Überhaupt ist das Wetter eine der größten Herausforderungen. »Ein

Unternehmen im Fokus | Matternet

69Industry Journal | 01 | 2014

Drohnen als Paket­botenIm Dezember 2013 hat Amazon angekündigt, das Potenzial der Tech­nologie auszuloten. In Zukunft wolle man binnen 30 Minuten Ware mit einem Octocopter ausliefern – ein Fluggerät mit acht Rotorblät­tern und acht Motoren. Amazon rechnet damit, diese Zustelloption in vier bis fünf Jahren anbieten zu können – sofern die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA ihre Gesetze entsprechend ändert. Prime Air soll der neue Service dann heißen.

Auch DHL, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Post, hat eine Paket­drohne entwickelt. Bei einem Probe­flug im Dezember 2013 wurden Medikamente von einer Apotheke in Bonn über den Rhein in die Zentrale des Konzerns transportiert. Inzwi­schen denkt auch der weltgrößte Paketdienst UPS über den Einsatz fliegender Transportroboter nach.

Jedes Jahr sterben 500 von ihnen. Hin­zu kommt die von ihnen verursachte Umweltbelastung. Mithilfe unserer Drohnen könnten wir die Situation etwas entschärfen«, sagt Raptopoulos.

Aber aktuell geht es erstmal darum, sich nicht zu verzetteln und ein funk­tionierendes Referenzprojekt zu prä­sentieren. Das erste kleine Netzwerk aus Drohnen und Ladestationen könnte in dem kleinen Staat Lesotho entstehen, wo Matternet in einer Feld­studie mit seinen Grashüpfern Sets für HIV­Tests transportieren will.

Die Kosten für ein Netzwerk aus 50 Ladestationen und 150 Fluggeräten, das 47 Kliniken und sechs Labore in 138 Quadratkilometern Fläche errei­chen kann, dürften weniger als eine Million US­Dollar betragen.

Kommerzieller Transport

Auch der kommerzielle Betrieb in Städten soll so bald wie möglich starten. In den USA sind die ersten Anwendungen für Ende 2015 geplant. Bis dahin wird die US­Luftfahrtbehörde FAA neue, erleichternde Regelungen für unbemannte Flugobjekte erlassen haben.

Zumindest bei der kommerziellen Anwendung bekommt Matternet jetzt schon Konkurrenz: Auch der Versand­riese Amazon und das deutsche Logistikunternehmen DHL arbeiten an Technologien, Pakete mit Drohnen zuzustellen (siehe Kasten).

Der Luft­ und Raumfahrttechniker Philipp Schnetter freut sich darüber: »Das beschleunigt den Prozess, die richtigen gesetzlichen Rahmenbedin­gungen zu finden.« Denn noch sind autonome, unbemannte Flugsysteme in vielen Ländern verboten. Inzwischen dürfen Multi kop ter zum Beispiel in Deutschland vieler orts zwar fliegen, müssen dann aber stets in Sichtweite eines Piloten mit Fernsteuerung bleiben. Unabhängige Liefersys teme sind unter diesen Umständen nicht möglich.

laues Lüftchen macht den Fluggeräten keine Probleme. Aber gegen einen Sturm anzukommen oder durch einen heftigen Monsunregen zu fliegen, das schaffen die Multikopter nicht«, sagt der Ingenieur Philipp Schnetter, der am Institut für Luft­ und Raumfahrt­systeme der Technischen Universität Braunschweig die Arbeitsgruppe für unbemannte Flugsysteme leitet.

Problem Flugsicherheit

Auch Schnetter hält die Vision von Matternet für realistisch – wenn auch für sehr anspruchsvoll und aufwändig. So dürfte die Flugsicherheit in der Praxis ein Problem darstellen, selbst im vergleichsweise leeren afrikanischen Luftraum. Werden die Drohnen zum Beispiel Stromleitungen, Gebäude, Häuser erkennen? »Wenn man feste Flugstraßen einrichtet, müssten diese frei von Hindernissen bleiben«, sagt Schnetter.

Man könne beispielsweise auch opti­sche Verfahren an Bord anwenden, damit die Multi kopter Hindernissen selbstständig ausweichen. »Da gibt es schon relativ zuverlässige Bilderken­nungsalgorithmen für Kameras. Aber damit würden die Multikopter schwe­rer, und das reduziert die Reichweite«, sagt Schnetter.

Bislang finanziert sich Matternet vor allem über Risikokapital. Das aber wird auf Dauer nicht genügen. Daher will das Unternehmen in Zukunft auch mit kommerziellen Transportdiensten Geld verdienen – vor allem in Metropolen wie Los Angeles oder New York. Eine zwei Kilogramm schwere Last zehn Kilometer weit zu transportieren, soll dann nur 24 US­Cent kosten. Mit dem Gewinn aus diesen so genannten »High Dollar Applications« soll das Netz in ärmeren Regionen ausgebaut werden.

Dabei könnte Matternet in vielen Städ­ten sozusagen im Vorbeifliegen eine Reihe weiterer Probleme lösen. »Im brasilianischen São Paulo gibt es zum Beispiel 200.000 Motorradkuriere.

Unternehmen im Fokus | Matternet

Industry Journal | 01 | 201470

40

2

120

2015

10

24

Kilometer

Kilogramm

Meter

Im Jahr

Kilometer

US­Cent

pro Stunde sollen die Trans­portdrohnen von Matternet eines Tages fliegen.

Ware sollen die Drohnen mindestens befördern können.

Flughöhe strebt Matternet für seine Drohnen an.

soll das erste Netzwerk in Afrika stehen – und die erste kommerzielle Anwen­dung in den USA starten.

weit sollen die Drohnen mit einer Batterieladung kommen.

soll der Transport einer zwei Kilogramm schweren Last über zehn Kilometer einmal kosten.

Unternehmen im Fokus | Matternet

71Industry Journal | 01 | 2014

Für die kleine Firma war es ein großer Schritt: Im Sommer 2011 schrieb Ocean Optics, ein US­Hersteller von Spektrometern und Sensoren in Dunedin (Florida, USA), einen Ideen­wettbewerb unter externen Experten aus – weltweit. Jeder, der sich beru­fen fühlte, konnte mitmachen. »Wir hatten keine Ahnung, was da auf uns zukommen würde«, erinnert sich der damalige Chief Technology Officer Jason Eichenholz.

Die besten zehn Vorschläge, so hatte es Ocean Optics geplant, sollten eine Belohnung erhalten, »jeweils bis zu 10.000 Dollar«, so die vorsichtige Formulierung. Doch das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Die Ideen reichten von neuartigen Spektro­metern über Techniken zur Frühent­deckung von Prostatakrebs bis hin zu Konzepten für winzige Mikrofluidik­Chips. »Die Vielzahl und Qualität der Bewerbungen hat uns förmlich

umgehauen«, sagt Eichenholz. Am Ende prämierte Ocean Optics sogar 13 Ideen – und schrieb gleich die nächste Runde des Wettbewerbs für seine Expertengemeinde aus.

Open Innovation ist Trend

Mit der Initiative gehört Ocean Optics zu den Pionieren eines Trends, der weite Teile der Industrie erfasst: Open Innovation heißt diese Form der Kol­laboration, bei der Unternehmen die eigene DNS um externen Sachver­stand erweitern. Im Unterschied zur offenen Zusammenarbeit mit ausge­wählten Zulieferern und Kunden, die schon länger zum Standardrepertoire moderner Unternehmen gehört, bezieht Open Innovation eine Viel­zahl meist gänzlich Außenstehender in Entwicklungsprozesse ein. Die Kommunikation läuft großenteils über Online­Plattformen. Der Vorteil liegt in der Vielfalt: »Je größer und

Bei dem Prinzip offener Innovation setzen Unternehmen

zunehmend auf sehr viele und ihnen oft unbekannte Men-

schen anstelle eigener Spezialisten. Es ist das Prinzip der

Open Innovation. Masse statt Klasse – das haben viele

Experten erwartet. Sie wurden eines Besseren belehrt:

Die Masse generiert überraschend viel Qualität.

Wettlauf um fremde Ideen

bunter die Crowd, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Denkansätze, auf die man selbst nie gekommen wäre«, sagt Sabine Brunswicker. Sie ist Professorin am Purdue College of Technology in West Lafayette (Indi­ana, USA) und Direktorin des For­schungszentrums für Offene Digitale Innovation.

Populär geworden ist Open Inno­vation durch erfolgreiche Aktionen von Konsumgüterherstellern. Einer der ersten war der Getränkeanbieter Mountain Dew mit seiner Aktion »Dewmo cracy«: Kunden wurden an Auswahl, Komposition und Namens­gebung neuer Drinks beteiligt. Das brachte dem Unternehmen nicht nur ein enormes Medienecho, son­dern auch praxistaugliche Ideen: Ein Energy­Drink namens Voltage ist noch heute im Handel. Frito­Lay, ein Hersteller von Kartoffelchips, fragte via Social Media nach neuen

Beim Crowd Sourcing geht es maßgeblich darum, aus einer anonymen Masse von Menschen kreative Experten herauszufinden und sie zur Unterstützung zu bewegen.

Innovation | Open Innovation

Industry Journal | 01 | 201472

»

Geschmacksnoten; die Kosmetikfirma Estée Lauder ließ über Lidschatten­töne abstimmen. Und der Kaffee­konzern Starbucks installierte sogar eine eigene Website namens »My Starbucks Idea«, um die Ideen seiner Anhänger einzubinden. Bilanz nach fünf Jahren: mehr als 150.000 Anre­gungen. »Unsere Kunden haben ein­fach wunderbare Einfälle«, schwärmt Alex Wheeler, Vice President of Global Digital Marketing bei Starbucks.

Es kann allerdings auch schiefgehen. So wurden zahlreiche Fälle bekannt, in denen technikversierte Nutzer offene Wettbewerbe manipulierten. Manchmal aus purer Lust am Unsinn, manchmal aus Verärgerung über das Unternehmen. Auch zeigte sich, dass die Vorlieben eingefleischter und engagierter Fans nicht unbedingt den Wünschen des Durchschnittskunden entsprechen: Der Nahrungsmittelkon­zern Mondelēz (ehemals Kraft Foods)

Innovation | Open Innovation

Die Vielzahl und Qualität der Bewer-bungen hat uns förm-lich umge-hauen.«Jason Eichenholz, ehemaliger Chief Technology Officer von Ocean Optics, Florida, USA, heute CEO von Open Photonics

»

zog in Australien nach nur vier Tagen den Brotaufstrich Vegemite zurück, den die Web­Community als »iSnack« verspottet hatte. Selbst Starbucks setzte von den 150.000 eingereichten Ideen lediglich 277 um – weniger als drei Prozent. Und von denen dürften einige vorher schon firmenintern existiert haben.

Bessere Resultate bei B2B

Also alles doch nur ein Marketing­Instrument? »Crowd Sourcing ist ein großartiges Instrument, um Fans stärker an die Marke zu binden. Aber für die Produktentwicklung ist der Nutzen begrenzt«, sagt Eric Hunter, Vice President Research bei der Digitalagentur Huge in New York. Schließlich handelt es sich bei den Teilnehmern nur selten um Leute, die wirklich etwas von der Materie verstehen. Das sind die Risiken, wenn Konsumgüterhersteller auf Endkun­

den hören. Im B2B­Bereich ist indes bereits die Ausgangssituation anders – besser. Die Crowd besteht in der Regel nicht aus laienhaften Endkun­den, sondern aus hochspezialisierten Experten. Sie haben Interesse daran, eine bestimmte Sache voranzubrin­gen – schon weil sie in der Szene einen Ruf zu verlieren haben. Deshalb sind die Chancen viel größer als im B2C­Bereich, verwertbare Ergebnisse zu bekommen.

Vorausgesetzt, die Organisatoren eines solchen Innovationsprozesses packen die Sache richtig an. Das freilich ist gar nicht so leicht. »Open Innovation lässt sich nicht einfach so nebenbei betreiben. Die muss man mit Geschick und Überlegung ange­hen«, sagt Jari Jussila, Forscher an der finnischen Tampere University of Technology, der sich auf Open Inno­vation in der Industrie spezialisiert hat. Geschicktes Crowd Sourcing

73Industry Journal | 01 | 2014

Innovation | Open Innovation

beginnt mit der Frage, ob zum Dialog eine eigene Community genutzt oder aufgebaut werden soll. Diesen Weg geht beispielsweise der Softwarekon­zern SAP mit seiner Plattform SCN, die sich zu einer zentralen Anlaufstelle von SAP­Nutzern entwickelt hat.

Eine Alternative ist es, externe Foren anzuzapfen, wobei inzwischen eine ganze Reihe von Dienstleistern hilft (siehe Kasten). In einer überschau­baren, gut vernetzten Branche lassen sich Profis darüber hinaus ganz alt­modisch auf Konferenzen und Bran­chentreffen anwerben. Zudem sollte man sich von vornherein darüber klar sein, was man erreichen oder wissen will: »Wer ein Problem nicht spezifi­ziert, kriegt meist nicht sehr viel Ver­wertbares«, sagt Brunswicker.

Wissenselite motivieren

Nicht einfach ist es zudem, die Netz­elite dauerhaft zu motivieren, ihre knappe Zeit und wertvolle Expertise zur Verfügung zu stellen. Hier kann B2B von B2C lernen, wo Nutzer mit kreativen Ideen zum Mitmachen motiviert werden, seien es Ran­kings oder nach dem Erlebnisprinzip gestaltete Plattformen, bei denen allein schon das Mitmachen span­nend ist. Doch es gibt einen wich­tigen Unterschied: »Im B2C­Bereich beteiligen sich viele Leute, weil sie Fans sind«, sagt Jussila. »Dieser emotionale Treiber fehlt Profis meis­tens.« Diese reize es eher, sich als Teil einer Wissenselite zu fühlen, die etwas bewegt. Wenn sie durch den Austausch mit anderen Profis selbst einen Vorteil erzielen. Wenn sie für ihren Beitrag Anerkennung erhal­ten, sei sie finanzieller oder ideeller Natur. »Aufmerksamkeit und Repu­tation sind in Online­Netzwerken eine Währung, die oft mehr zählt als Geld«, bestätigt Sabine Brunswicker.

Eine Erwartung erfüllt sich in der Regel nicht: dass die Beteiligung der Crowd eigene Ressourcen spart. Wer seinen Sachverstand einem Dritten zur Verfügung stellt, erwartet zumindest eine qualifizierte Rück­

meldung – womit viele Unternehmen bereits überfordert sind: »Viele schei­tern schon daran, Ideen gebern zeitnah und persönlich zu antworten«, heißt es in einer Studie von Linus Dahlander, Professor an der European School of Management and Technology in Berlin, und Henning Piezunka, Doktorand an der Stanford University. Über fünf Jahre hatten die Wissenschaftler die Crowd Sourcing­Bemühungen von 24.000 Firmen ausgewertet. Fazit: Das kreative Potenzial ist groß – und wird doch selten richtig genutzt.

Interne Experten gefragt

Der schwerste Teil ist die Verzahnung der Vorschläge im eigenen Haus. »Selbst wenn Sie guten Zugang zu externem Input haben, müssen Sie ihn noch in Ihre Organisation integrieren. Das ist harte Arbeit«, sagt der dänische Innovationsberater Stefan Lindegaard. Werner Klaffke, früher Innovationsma­nager eines internationalen Konzerns und heute Geschäftsführer der Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg, ergänzt: »Die Antworten der Crowd fallen häu­fig ganz anders aus, als man sie sich vorgestellt hat. Das ist aufwendig und kostet Geld, weil man zusätzlichen technischen Sachverstand zur Bewer­tung vorhalten muss.«

Und dann ist da noch die Frage des geistigen Eigentums. Für Pioniere der Open­Source­Bewegung besteht der Charme des Teilens eigentlich genau darin, dass die Weitergabe von Wissen unentgeltlich geschieht. Dass mittels Schwarmintelligenz Projekte wie Linux und Wikipedia entstanden sind, erfüllt Aktivisten der ersten Stunde noch heute mit Stolz. Doch diese Angebote sind für die Nutzer auch heute noch gratis.

Ideengeber entlohnen

Wenn ein Unternehmen hingegen eine Anregung aufgreift und damit Geld verdient, möchten viele Ideen­geber auch finanziell beteiligt wer­den. Jussila plädiert für Fairness: »Unternehmen dürfen nicht nur etwas bekommen wollen, sondern

Die Crowd­BeschafferDer Bedarf an Ideen von Experten ist so intensiv, dass sich innerhalb weniger Jahre eine ganz neue Bran­che entwickelt hat: Dienstleister unterstützen Unternehmen, die selbst keine individuelle Plattform für Open Innovation aufbauen oder eine sehr spezielle Gruppe von Fachleuten erreichen möchten.

Die nach eigenen Angaben welt weit größte Community hat NineSigma aus Cleveland: Die Firma verfügt über ein Netzwerk von mehr als zwei Millionen Ideen gebern, darunter Ingenieure, Chemiker und Klima experten. Sie behauptet von sich, Kunden wie Samsung, Goodyear, Kimberly­Clark oder Johnson Controls mit mehr als 35.000 einzigartigen Vorschlägen versorgt zu haben.

Über NineSigmas Social­Media­Plattform NineSight können Kunden offen oder anonym Aufgaben und Probleme beschreiben, Experten­gremien zusammenstellen oder Ideenwettbewerbe ausschreiben. Das im Jahr 2000 gegründete Unter nehmen hat Niederlassungen in Japan, Belgien, Australien und Südkorea und erzielte 2012 einen Umsatz von 85 Millionen Dollar, 30 Prozent mehr als im Vorjahr.

Zu NineSigmas Konkurrenten zählt das Unternehmen InnoCentive in Waltham bei Boston, dessen Com­munity mehr als 300.000 Experten umfasst, zwei Drittel davon mit Doktortiteln. Weitere Wettbewerber sind das Start­up Innovation Exchange (Toronto, Kanada) und der Rundum­Dienstleister yet2 in Needham (Massachusetts, USA), der neben Ideen auch Kapital vermittelt und Innovationsportale für Kunden managt.

Industry Journal | 01 | 201474

Innovation | Open Innovation

Siemens und die Intelligenz 2.0

Mit der Initiative »Future Influen-cers« öffnet sich Siemens für An-stöße aus der Bloggerszene und der informellen Kommunikation auf Social Media. Die Experten-Crowd setzt sich auf einer von Siemens betriebenen Online-Plattform und in kreativen Live-Sessions mit Zukunftsthemen auseinander. Das »Industry Journal« sprach mit Pro-jektmanagerin Sarah Hashish über Aufbau, Funktion und Nutzen des innovativen und bereits mehrfach preisgekrönten Projekts.

Wer gehört zu den Future Influen-cers, und wie finden Sie diese?Es sind Frauen und Männer unter 33, die sich mit ihren Beiträgen im Internet einen Namen gemacht haben und aus Sicht der Online­Community The­menautorität besitzen, etwa Rashiq Fataar aus Südafrika und Joe Peach aus London, die einflussreiche Blogs zur nachhaltigen Stadtentwicklung betreiben. Einige wurden wegen ihres Engagements auch schon von eta­blierten Medien ausgezeichnet, wie Kathryn Minshew und Param Jaggi in der Forbes­Rangliste »30 under 30«. Wir finden sie durch eine manuelle Suche im Internet und auf persönliche Empfehlung derjenigen, die schon Teil unserer Community sind.

Was motiviert diese Netzelite, sich zu beteiligen?Geld ist es jedenfalls nicht, wir zahlen keine Honorare. Es ist für alle wich­tig, dass die Community unabhängig bleibt. Für die Teilnehmer zählt, dass Siemens ihnen eine Plattform bietet, auf der sie gleichgesinnte Leute ken­

nenlernen und ihre Sichtbarkeit und damit ihre Marke stärken. Ein Anreiz ist sicher auch unsere Kooperation mit der »Harvard Business Review«, die Podiumsdiskussionen live überträgt und Resultate als White Papers veröf­fentlicht.

Worüber wird diskutiert?Wir haben zum Beispiel die nachhaltige Entwicklung urbaner Ballungsräume behandelt, die effiziente Gestaltung von Energienetzen und Wettbewerbs­vorteile durch soziales Engagement von Unternehmen. Siemens bekommt dadurch viele Impulse, gerade auf stra­tegischer Ebene. Zugleich bewirkt der Austausch, dass wir mit unseren Stand­punkten in der Szene präsent sind.

Kann Siemens den Input auch fürs operative Geschäft nutzen?Von hoher Relevanz für uns als Arbeit­geber war beispielsweise die Top­Idee der letzten Kollaboration: Unterneh­men sind für Talente attraktiver, wenn sie es ihnen ermöglichen, Botschafter für soziale Veränderungen zu werden.

Sarah Hashish, Team Lead Social Media bei Siemens

müssen auch etwas geben. Sonst funktioniert diese Form der Zusam­menarbeit nicht.«

Zumindest sollten die Regeln klar sein. Ocean Optics beispielsweise bat Teilnehmer seiner offenen Ausschrei­bung ausdrücklich, keine Vorschläge zu machen, bei denen ein Konflikt auftreten könnte: »Wir respektieren Ihr geistiges Eigentum und bitten Sie, keine Informationen einzureichen, die Sie nicht auch an anderer Stelle öffentlich machen würden.« Aller­dings war der Firma wohl selbst klar, dass dies nicht immer realistisch sein würde – jedenfalls räumte sie die Möglichkeit ein, fallweise Stillschwei­ge vereinbarungen abzuschließen.

In Phase zwei des Ideenwettbewerbs werden die Karten ohnehin neu

gemischt. Da geht es um eine konzep­tionelle Weiterentwicklung der Ideen aus der ersten Runde, als Vorstufe zur Marktreife. Entsprechend höher liegt der finanzielle Anreiz: Die Teilnehmer erhalten bis zu 100.000 Dollar.

Communitys wachsen

Trotz aller Schwierigkeiten wird der Trend zur Crowd anhalten, davon sind die Experten überzeugt. »Wir leben in einer Welt dezentraler Strukturen. Netzwerke und Communitys werden immer wichtiger«, sagt Innovations­expertin Brunswicker. Immer mehr überlagern und kreuzen sich Funktionen und Lebensbereiche: Der Universitäts­professor, der einem Unternehmen bei einer Problemlösung hilft, mag zugleich dessen Kunde sein. Fest angestellte Entwickler werden zu Dienstleistern der

Community, weil sie deren Anstöße für ihre Arbeit brauchen.

Wie gut das Prinzip funktioniert, weiß Red Hat, ein Dienstleister für Unter­nehmen, die Linux­Software einset­zen. Das Unternehmen aus Raleigh (North Carolina, USA) investiert viel Geld in den Unterhalt der Online­Plattform Fedora, um den Sachver­stand der Community zu nutzen. »Unabhängige Entwickler und Linux­Enthusiasten strömen zu Fedora, um die neuesten Features kennenzulernen und direkt mit Red­Hat­Ingenieuren zusammenzuarbeiten«, beschreibt das Unternehmen deren Funktion. »Die Beziehung nutzt allen und gewährleis­tet rasche Innovation.« Das Konzept funktioniert bereits seit zehn Jahren: Jeden Monat verzeichnet die Plattform rund zwei Millionen Besucher.

75Industry Journal | 01 | 2014

Eine richtig schnelle Maschine«

»

Volker Lindenstruth, Professor für Hochleistungsrechner-Architektur an der Univer-

sität Frankfurt am Main, baut einen Supercomputer. Der ist groß wie ein Haus und

extrem energieeffizient. Das »Industry Journal« sprach mit dem Wissenschaftler über

den »Green Cube« – und das große Interesse der Industrie an der Rechenmaschine.

Innovation | Supercomputer Green Cube

Industry Journal | 01 | 201476

Sie planen mit dem »Green Cube« einen Supercomputer, so groß wie ein Bürohaus. Wann wird dieses Riesending fertig sein und was wird es leisten?Die Anlage, die auf dem Gelände des GSI Helmholtzzentrums für Schwer­ionenforschung in Darmstadt errich­tet wird, soll Anfang 2015 fertig­gestellt sein.

Der Green Cube wird eine Rechen­geschwindigkeit von rund zehn Petaflops haben, also pro Sekunde zehntausend Billionen Rechen­schritte bewältigen. Wir bauen hier eine richtig schnelle Maschine. Und das Gebäude, in dem die IT­Anlage steht, ist gewaltig. Bei einer Höhe von 20 Metern wird es 31 Meter breit und 27 Meter tief sein. Auf sechs Stockwerken können insgesamt 768 Computerschränke, so genannte Racks, aufgestellt werden.

Im Ranking der leistungsstärks-ten Supercomputer der Welt würde der Green Cube derzeit auf Platz fünf landen. Wofür soll er einmal genutzt werden?Der Green Cube ist Teil der Facility for Antiproton and Ion Research in Europe (FAIR), einer der weltweit größten Einrichtungen für physikali­

sche Grundlagenforschung. An dem Projekt sind neben Deutschland neun weitere Länder beteiligt, darunter Frankreich, Indien und Russland. FAIR wird einen Teilchenbeschleuni­ger betreiben, mit dem Antimaterie erzeugt und erforscht werden soll.

Und dafür braucht man so viel Re-chenpower?Ja, um die Experimente vorzuberei­ten und auszuwerten, ist die Rechen­leistung eines Supercomputers erfor­derlich. Im Green Cube wird aber auch die gesamte Standard­IT des GSI untergebracht. Kosten wird der FAIR­Komplex, der bis 2018 am GSI errichtet werden soll, voraussichtlich rund 1,5 Milliarden Euro.

Bereits heute stoßen manche Datenzentren so viel Kohlendioxid aus wie eine ganze Stadt. Was tun Sie dagegen?Wir installieren keine schlüsselfer­tige Anlage, sondern entwickeln die Architektur unseres Rechners selbst. Deshalb haben wir bei der Auswahl der Komponenten freie Hand und können darauf achten, wie hoch der Stromverbrauch jeweils ist. Ein Bei­spiel hierfür sind die Grafikkarten, die zur Beschleunigung des Compu­ters eingebaut werden. Wir nehmen

nicht die schnellsten Grafikkarten, deren Leistung ohnehin selten voll ausgeschöpft werden kann, sondern verwenden Produkte, bei denen die Energieeffizienz am höchsten ist.

Besonders viel Energie kostet bei Hochleistungsrechnern aber vor allem die Kühlung. Computer verwandeln den Strom, den sie verbrauchen, fast komplett in Wärme. Die muss abgeleitet werden, damit die empfindlichen Rechner keinen Schaden nehmen. Die so genannte Power Usage Effec­tiveness (PUE) gibt an, wie hoch der Anteil des Stromverbrauchs ist, den der Rechner für seine Kühlung und Infrastruktur braucht. Bestehende Datenzentren haben eine PUE von durchschnittlich 1,6 bis 1,7. Dies heißt, dass die Kühlung 60 bis 70 Pro­zent so viel Strom benötigt wie die Computeranlage selbst. Wir streben für den Green Cube eine PUE von maximal 1,1 an. Hierbei würde der Kühl­Overhead weniger als fünf Pro­zent betragen.

Was bedeutet das für die Stromkosten?In der ersten Ausbaustufe wird der Green Cube eine Leistungsaufnahme von rund sechs Megawatt haben.

»

Der Physiker Volker Lindenstruth ist Professor für die Architektur von Hochleistungsrech­nern an der Frank­furter Goethe­Uni­versität und gilt als führender Experte für energieeffiziente Supercomputer.

Der im Außenbereich befindliche Teil der Kühlung für Linden­struths Pilotanlage »Mini Cube« (l.) ist schon gewaltig. Der »Green Cube« wird 16­mal so viele Computerschränke besitzen – und eine entsprechend größere Kühlung.

Innovation | Supercomputer Green Cube

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Bei konventionellen Datenzentren würden für die Kühlung mindestens weitere drei Megawatt benötigt. Beim Green Cube wollen wir mit höchstens 300 Kilowatt auskommen, also einem Zehntel. Dies bedeutet, dass die Stromrechnung für den Green Cube jährlich um rund drei Millionen Euro niedriger ausfällt als bei heute üblichen Kühlsystemen – abhängig von der Entwicklung der Strompreise.

Niedrigerer Stromverbrauch ver-ursacht auch geringere CO2-Emis-sionen. Lässt sich die Ersparnis quantifizieren? Eine Faustregel lautet: Bei dem heute in Deutschland eingesetzten Mix aus fossilen Wärmekraftwerken, Kern­kraftwerken und erneuerbaren Ener­gien verursacht ein Kilowatt Dauer­leistung pro Jahr CO

2­Emissionen von

rund fünf Tonnen. Bei sechs Mega­watt in der ersten Ausbaustufe kön­nen wir den CO

2­Ausstoß gegenüber

konventionellen Supercomputern um insgesamt knapp 14.000 Tonnen pro Jahr senken. Dies entspricht den Emissionen, die rund 10.000 deutsche Durchschnittshaushalte erzeugen. Im Endausbau könnte der CO

2­Ausstoß bis zu 30.000 Tonnen

niedriger ausfallen als bei herkömm­licher Kühltechnik. Das ist dann eine Ersparnis, die der CO

2­Emission einer

deutschen Stadt mit 50.000 Einwoh­nern entspricht.

Wie erreichen Sie diese Werte?Datenzentren werden heute übli­cherweise per Luft gekühlt. Wir haben uns für eine Wasserkühlung entschieden. In die Türen der Racks werden Wärmetauscher eingebaut, die die Abluft der Server auf Raum­temperatur kühlen. Das Kühlwasser, das 30 Grad warm ist, wollen wir für die Heizung der Bürogebäude und der Kantine auf dem Gelände des GSI nutzen. Leider bleibt dann immer noch Abwärme übrig, die wir nicht verwenden können.

Wie sicher sind Sie, tatsächlich Stromeinsparungen von rund 90 Prozent für die Kühlung zu erzielen?Das Kühlsystem des Green Cube wurde bereits bei dem Supercom­

Innovation | Supercomputer Green Cube

High Performance Computing in der IndustrieDie Industrie braucht zunehmend High Performance Computing (HPC). Mehr als die Hälfte der 500 schnellsten Rechner der Welt wird heute in der Wirtschaft eingesetzt, nicht in der Wissenschaft.

Die Ölindustrie benötigt Supercom­puter, um die geophysikalischen Daten auszuwerten, die bei der Suche nach neuen Öl­ und Gasfel­dern anfallen. Ohne HPC wären die gewaltigen Offshore­Vorkommen, die kilometertief unter der Meeresober­fläche ausgebeutet werden, wohl nie entdeckt worden. Die beiden leis­tungsstärksten Supercomputer, die weltweit in der Industrie eingesetzt werden, stehen in den Rechenzen­tren des britischen Ölkonzerns BP und beim französischen Mitbewerber Total.

Ein Großflugzeug wie der Airbus A380 lässt sich ebenfalls nur mit High Performance Computing simulieren. Die Rechner simulieren Aerodyna­mik, Fluglasten, Strukturmechanik,

Thermo dynamik und das elektromag­netische Verhalten von Flugzeugen.

Autohersteller verwenden Supercom­puter zur Simulation von Crashtests, Pharmaunternehmen zur Erfor­schung neuer Wirkstoffe. Hollywood­Studios setzen sie für Spezialeffekte in Spielfilmen ein und Banken sagen mit ihrer Hilfe Entwicklungen auf den Finanzmärkten voraus.

Für die meisten Unternehmen sind die ultraschnellen Computer aller­dings zu teuer. In Baden­Württem­berg wurde daher eine öffentlich­private Partnerschaft für High Performance Computing gegründet, das »Automotive Simulation Center Stuttgart«. Neben zwei staatlichen Hochschulen sind daran zwei Forschungsinstitute, die Computer­hersteller Cray und NEC sowie mehrere Unternehmen beteiligt, darunter Siemens. Mit dem Simula­tionszentrum arbeiten alle deutschen Autobauer und mehrere Zulieferer zusammen.

768 Computerschränke, verteilt auf sechs Stockwerke, soll der Hochleistungsrechner

»Green Cube« im Jahr 2015 beherbergen.

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puter Loewe­CSC eingesetzt, den meine Mitarbeiter und ich in Frank­furt am Main gebaut haben. Der Rechner mit einer Leistung von rund 300 Teraflops, also 300 Billionen Rechenschritten pro Sekunde, läuft seit Spätherbst 2010 sehr zuver­lässig. Beim Loewe­CSC mit einem Stromverbrauch von 400 Kilowatt konnten wir den Kühl­Overhead schon auf sieben Prozent senken.

Wie hoch sind die Mehrkosten für ein derartig aufwendiges Kühlsystem?Da wir für den Green Cube überwie­gend standardisierte Bauteile und Komponenten verwenden, sind die gesamten Baukosten wesentlich niedriger als bei konventionellen Rechenzentren. Die Investitionen in das Kühlsystem amortisieren sich durch den geringeren Stromver­brauch spätestens nach zwei Jahren. Beim Green Cube wird also tatsäch­lich Ökonomie mit Ökologie gepaart.

Wie finanzieren Sie den neuen Superrechner?Bauherr des Green Cube ist das GSI. Die FAIR­Kosten werden zu rund 75 Prozent von der Bundesregierung getragen. Die restlichen 25 Prozent steuern die internationalen Partner des Teilchenbeschleunigers FAIR bei. Der Green Cube selbst wird durch die Helmholtz­Gemeinschaft finanziert.

Viele Großunternehmen betrei-ben riesige Datenzentren und Supercomputer – mit gewaltigem Stromverbrauch. Wie groß ist de-ren Interesse an Ihrer Stromspar-technologie?Extrem: 2013 haben wir die Anlage rund 50 Delegationen vorgeführt. Besonders groß ist das Interesse im Automobilbau, in der Ölindustrie, der Chemie und der Luft­ und Raum­fahrt. Auch Banken und Telekom­Unternehmen möchten mit unserem Verfahren ihre Stromkosten senken.

Wie sieht es auf der wirtschaftli-chen Seite aus?Wir haben verschiedene Patente beantragt und das Unternehmen e3c gegründet, um die Technologie zu vermarkten. Mehrere Verträge sind bereits unterschriftsreif.

Innovation | Supercomputer Green Cube

Die Supercomputer­Dominatoren

Die schnellsten Computer der Welt

Der Markt für Höchstleistungsrech­ner wird von drei US­Anbietern beherrscht – Hewlett­Packard (HP), IBM und Cray. Dies zeigt die Liste der 500 schnellsten Supercomputer der Welt, die regelmäßig von US­amerika­nischen und deutschen Wissenschaft­lern zusammengestellt wird (siehe Tabelle).

HP hat 195 der Top­500­Computer gebaut. Gemeinsam mit dem briti­schen Ölkonzern BP entwickelte HP jüngst einen Höchstleistungsrechner, der zur Exploration neuer Ölfelder eingesetzt wird. Die Maschine hat eine Leistung von 2,2 Petaflops (2,2 Billiarden Rechenschritte pro Sekunde) und ist damit weltweit der schnellste Supercomputer, der in der Industrie eingesetzt wird.

Mit 166 Supercomputern liegt IBM mit einem Marktanteil von 33 Pro­zent auf Rang 2. IBM hat für ein US­Forschungslabor den »Sequoia«

gebaut, der mit der irrwitzigen Geschwindigkeit von 17,2 Billiarden Rechenschritten pro Sekunde knapp dreimal so schnell ist wie der »Green Cube«.

Verglichen mit den IT­Konzernen HP und IBM ist Cray mit seinen 900 Mitarbeitern ein Winzling. Doch das Unternehmen kann im Wettlauf um Temporekorde gut mithalten. Das Modell »Titan«, das Cray für das Oak Ridge Laboratory in den USA ent­wickelte, liegt mit 17,6 Petaflops auf Platz 2 der Top 500.

Der leistungsstärkste Supercomputer der Welt stammt allerdings nicht aus den USA, sondern aus China. Der »Tianhe­2« (»Milchstraße 2«) rechnet mit 33,9 Petaflops fast doppelt so schnell wie das beste Konkurrenzmo­dell. Die Wundermaschine wurde an der National University of Defense Technology (NUDT) in Changsa in der Provinz Hunan entwickelt.

Rang Name und Hersteller

Betreiber Land Leistung in Petaflops*

Stromver-brauch in Megawatt

1 Tianhe­2 (NUDT)

National Super Computer Center

China 33,86 17,81

2 Titan (Cray)

Oak Ridge National Laboratory

USA 17,59 8,21

3 Sequoia (IBM)

Lawrence Livermore National Laboratory

USA 17,17 7,89

4 K Computer (Fujitsu)

Riken Advanced Institute for Computational Science

Japan 10,51 12,66

5 Mira (IBM)

Argonne National Laboratory

USA 8,59 3,95

6 Piz Daint(Cray)

Centro Svizzero di Calculo Scientifico

Schweiz 6,27 2,33

7 Stampede (Dell)

Texas Advanced Computing Center

USA 5,17 4,51

8 JuQueen (IBM)

Forschungszentrum Jülich

Deutschland 5,00 2,30

9 Vulcan (IBM)

Lawrence Livermore National Laboratory

USA 4,29 1,92

10 SuperMUC (IBM)

Leibniz­Rechenzentrum München

Deutschland 2,90 3,42

* 1 Petaflops sind eine Billiarde Floating Point Operations per Second (Gleitkomma­Operationen pro Sekunde).

Quelle: Top500.org; Stand: November 2013

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Die kleinen Tabletten sind pech­schwarz, federleicht und lassen sich wie ein Schwamm zusammenpressen. Der Stoff, aus dem sie bestehen , begeistert Wissenschaftler und Ingenieure weltweit: Aerographit heißt der neue Wunderwerkstoff, der an der Technischen Universität Hamburg­ Harburg (TUHH) und der Universität Kiel entwickelt wurde. Das Material besteht zu 99,99 Prozent aus Luft und zu 0,01 Prozent aus Kohlen­stoff. Die künftigen Einsatzmöglich­keiten sind vielfältig – von Akkus für Elektroautos bis zu Messinstrumenten für Forschungssatelliten.

Aerographit ist chemisch verwandt mit Graphen, dessen Erforschung die EU mit einem Milliardenprogramm fördert (siehe »Industry Journal«

Ausgabe 2/2013). Geometrisch unter­scheiden sich die beiden Werkstoffe jedoch deutlich. »Aerographit ist eine offenporige, schwammartige Struk­tur, die dreidimensional miteinander vernetzt ist«, sagt Karl Schulte, Pro­fessor für Kunststoffe und Verbund­werkstoffe an der TUHH. Dagegen ist Graphen recht einfach strukturiert: Es bildet zweidimensionale Waben.

Aerographit besitzt vielfältige Struk­turen. In der für technische Anwen­dungen interessantesten Form setzt sich das Material aus winzigen Röhren mit einem Durchmesser von wenigen Nanometern zusammen. Jeweils vier Röhrchen ragen aus einem gemein­samen Gitterpunkt in verschiedene Richtungen hervor; sie bilden also Tetrapoden. Hunderttausende solcher

Extrem stabil und dennoch elastisch und federleicht – das ist der neue Werkstoff

Aerographit. Das vielversprechende Wundermaterial besteht fast vollständig aus Luft,

lässt sich um 95 Prozent komprimieren und könnte bald besonders dort zum Einsatz

kommen, wo es auf wenig Gewicht ankommt – etwa in der Raumfahrt, bei Elektrofahr-

zeugen, aber auch in der Medizintechnik.

Luftnummer

Strukturen stecken in einer einzi­gen Aerographit­Tablette mit einem Durchmesser von einem Zentimeter.

Zugfest und elastisch

Das komplexe Gebilde hat faszinie­rende physikalische Eigenschaften. Zum einen sind die winzig dünnen Kohlenstoffröhrchen extrem stabil. Im Verhältnis zu seiner geringen Masse besitzt Aerographit eine sehr hohe Zugfestigkeit.

Zugleich ist das Material außerordent­lich elastisch, da es weitgehend aus Luft besteht. »Aerographit lässt sich um bis zu 95 Prozent komprimieren und wieder in die ursprüngliche Form auseinanderziehen«, sagt Schultes Forscherkollege Rainer Adelung, Pro­

Innovation | Aerographit

Experimentell produzierte, mikroskopisch kleine Aerographit­Röhren.

Industry Journal | 01 | 201480

fessor für Material wissenschaften an der Universität Kiel.

Herkömmliche elastische Materialien werden beim Verformen weicher. Anders Aerographit: Es wird beim wiederholten Zusammenpressen bis zu einem bestimmten Grad fester. Überdies besitzt Aerographit eine gute elektrische Leitfähigkeit.

Innovative Einsatzfelder

Diese ungewöhnliche Kombination von Materialeigenschaften macht Aerographit für viele innovative Ein­satzfelder interessant: Es könnte bei­spielsweise zur Herstellung von Bat­terie­Elektroden verwendet werden, die hohen chemischen und mechani­schen Belastungen ausgesetzt sind. »Damit ließe sich die Lebensdauer und vielleicht auch die Kapazität von Batterien erhöhen«, sagt Schulte. Leistungsfähigere Akkus für Elektro­autos und E­Bikes würden etwa die Ausbreitung der Elektromobilität kräftig beschleunigen, wären aber auch interessant für ganz neue Tech­nologien (siehe Seite 66).

Überdies könnte Aerographit beson­ders leistungsfähige Wasserfilter für die Industrie hervorbringen. Per elektro chemischer Oxidation könnten mit Hilfe von Aerographit etwa Chemi­kalien aus Arzneimittel­Rückständen zersetzt und abgebaut werden. Das gleiche Verfahren ließe sich in der Medizin einsetzen, wo die Luft absolut frei von Keimen und anderen toxi­schen Stoffen sein muss – etwa bei Inkubatoren oder Beatmungsgeräten.

Obendrein haben die Forscher eine Anwendung in der Raumfahrt ins Auge gefasst: Sie prüfen, ob sich Aerographit als optischer Absorber für Spektrometer eignet, mit denen For­schungssatelliten bestückt werden. »Aerographit hat eine sehr hohe

Innovation | Aerographit

Lichtabsorption im Infrarotbereich. Vereinfacht gesagt: Keine kommer­ziell produzierte Farbe ist so schwarz wie dieses Material«, erklärt Schulte. Das Material könne daher besser als jedes andere die Hintergrundstrah­lung aus dem All abfangen, die sich bei Messungen störend auswirkt. Bei diesem Projekt arbeiten die nord­deutschen Wissenschaftler mit der Universität Wuppertal und der Physi­kalisch­Technischen Bundesanstalt zusammen. Diese Behörde des Bun­deswirtschaftsministeriums betreibt Grundlagenforschung auf dem Gebiet hochgenauer Messtechnik.

Komplizierte Herstellung

So verlockend die Anwendungsmög­lichkeiten von Aerographit sind, so kompliziert ist seine Herstellung. Die Vorarbeit dazu leisten derzeit Professor Rainer Adelung und sein Doktorand Armin Schuchardt: Sie ent wickeln und produzieren so genannte Templates aus Zinkoxid – quasi das Gerüst, um das herum sich später die Aerographit­Strukturen bil­den. »Man kann sich Aerographit wie ein schnell wachsendes Efeu­Geflecht vorstellen, das sich um einen Baum windet«, sagt Adelung. Wobei der Baum selbst später entfernt wird.

An der TUHH wird anschließend auf das Zinkoxid Graphit aufgebracht. Dazu wird das Zinkoxid in einem Reaktor auf eine Temperatur von 760 Grad Celsius erhitzt. Dann wer­den Wasserstoff, Argon und Toluol zugegeben. Die Mischung reagiert mit dem Zinkoxid und bildet rund um die Arme des Basismaterials Umman­telungen aus Kohlenstoff, die nur etwa 30 bis 40 Atomlagen dick sind.

Danach entweicht das Zinkoxid rest­los aus den Kohlenstoff­Röhrchen. Wie das Wachstum der Graphit­schichten im Detail zeitlich, chemisch

und thermodynamisch abläuft, wis­sen die Forscher noch nicht genau. Um den multifunktionalen Werkstoff weiter zu erforschen, haben die Wissenschaftler öffentliche Förder­gelder aus dem Flagship­Projekt »Graphen« der Europäischen Union bekommen. Ginge es nach Schulte, würden die Hamburger und Kieler Wissenschaftler ein eigenes Institut bekommen, um die Forschung enger verzahnen zu können. Denn der welt­weite Wettlauf um den leichtesten Werkstoff der Welt hat längst begon­nen.

Aerographit besitzt vielfältige Anwen­dungsmöglichkeiten – von Akkus für Elektrofahrzeuge über Spektrometer für Forschungs satelliten bis zu Filtern für die Medizintechnik.

Im Jahr 2011 präsentierten kali­fornische Wissenschaftler ein so genanntes Aerogel aus Nickel, das pro Kubikzentimeter lediglich 0,9 Milligramm wiegt. Damit eröff­neten sie den Wettlauf um die Pro­duktion des leichtesten Materials der Welt. Aerogele bestehen bis zu 99,99 Prozent aus Luft. Basis können Metalloxide, Polymere und andere Stoffe sein, die win­zige kristalline und poröse Struk­turen bilden. Ein Jahr später prä­sentierten Forscher der Universität Kiel und der TU Hamburg­Harburg das Aerographit, das mit einem Gewicht von 0,2 Milligramm pro Kubikzentimeter kaum mehr als ein Viertel des Nickel­Aerogels wiegt. Anfang 2013 stellten dann chinesische Wissenschaftler ein Karbon­Aerogel vor, das nur 0,16 Milligramm pro Kubikzenti­meter wiegt – also weniger als ein Sandkorn.

0,16Milligramm

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Zum WeiterlesenDas »Industry Journal« hat sich auf dem

Markt der Managementliteratur umge sehen

und stellt lesenswerte Bücher vor.

Märkte verstehen The Demographic Cliff: How to Survive and Prosper During the Great Deflation 2014–2019

Harry S. Dent, Jr.*Englisch, 368 Seiten, ab ca. 18 US­Dollar

Wie sich die Bevölkerung eines Landes oder einer Wirtschafts­region entwickeln wird, lässt sich heute zuverlässig berechnen. Dementsprechend liefert die Demographie zuverlässige und langfristige Prognosen für Arbeits­, Finanz­, Konsum­ oder In­vestitionsgütermärkte. In seinem neuen Buch erklärt der ameri­kanische Finanzexperte Harry S. Dent, was es für die Wirtschaft bedeutet, wenn sich in den westlichen Industrienationen in den kommenden Jahren große Teile der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden.

Tritt ein besonders geburtenstarker Jahrgang ins Erwerbsleben ein, kauft Häuser, Aktien und Autos, dann führt das zur Inflation. So war es zu beobachten mit dem Erwerbsbeginn der Babyboo­mer, geboren in den 1950er und 1960er Jahren. Inzwischen kommen die Babyboomer in die Jahre, beziehen kleinere Häuser und drosseln ihren Konsum. Ihre massenhafte Verrentung – so Dents Prognose – wird bereits ab 2014 für Deflation sorgen und die Wirtschaft in den kommenden fünf Jahren kriseln lassen. Das so genannte demographische Kliff betrifft weite Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft: Bildung und Gesundheit genauso wie Investitions­ und Geschäftsstrategien.

* Mit treffsicheren Prognosen auf Basis demographischer Modelle hat sich Harry S. Dent in den vergangenen 30 Jahren einen Namen als Finanzguru und Investmentberater gemacht.

Erfolgreich geben Geben und Nehmen.Erfolgreich sein zum Vorteil aller

Adam Grant*Deutsch, 448 Seiten, 19,99 Euro (E­Book 17,99 Euro) Englisch, 320 Seiten, ab ca. 12,00 US­Dollar (Paperback oder E­Book)

Erfolg ist das Ergebnis von harter Arbeit, Talent und Glück? Ja, stimmt. Doch es gibt noch eine vierte, oft vernachlässigte, aber äußerst entscheidende Komponente, sagt der Wirtschaftspsy­chologe und Organisationsberater Adam Grant: Erfolg hänge in hohem Maße auch davon ab, wie wir mit anderen Menschen interagieren. Bei jeder beruflichen Interaktion gelte es, eine zen­trale Entscheidung zu treffen: Versuche ich, so viel wie möglich für mich selbst herauszuholen? Oder investiere ich, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was ich konkret dafür bekommen werde?

Laut Grant lassen sich alle Menschen auf einer Skala einordnen. Diese reicht vom uneigennützigen Geber bis zum egoistischen Nehmer. Im Berufsleben helfen Nehmer anderen in erster Linie aus taktischen Gründen. Nämlich dann, wenn der individuelle Nutzen die persönlichen Kosten der Hilfe übersteigt. Geber am anderen Ende der Skala helfen hingegen auch dann, wenn der Nutzen für andere ihre persönlichen Kosten übersteigt – sofern sie überhaupt solche Kosten­Nutzen­Überlegungen anstellen. Als dritte, in Unternehmen und Organisationen besonders ver­breitete Spezies führt Grant die Tauscher ein. Ihre Beziehungen beruhen auf einem ausgewogenen Verhältnis von Geben und Nehmen.

Bis hierhin klingen Grants Thesen wenig überraschend. Erwar­tungsgemäß finden sich die Geber besonders oft auf den unteren Stufen der Karriereleiter: Statt sich um ihre berufliche Laufbahn, ihre Abschlussnoten oder Provisionen zu kümmern, helfen sie lie­ber Kollegen, Kommilitonen und Kunden. Spannend und lesens­wert macht das Buch jedoch Grants Erkenntnis, dass Geber auch an der obersten Spitze der Erfolgsskala dominieren, während Nehmer und Tauscher meist im Mittelfeld liegen.

Anhand von Studien und Beispielen aus seiner Beratungspraxis entschlüsselt der angesehene amerikanische Psychologe, welche Strategien und Entscheidungen Geber beruflich erfolgreich ma­chen – unabhängig von Talent und Begabung.

* Der US­Amerikaner Adam Grant ist Professor für Organisations­psychologie an der Wharton Business School der University of Pennsylvania und hat Organisationen und Unternehmen wie die Vereinten Nationen, das Weltwirtschaftsforum, Google und die Citigroup beraten.

Industry Journal | 01 | 201482

Besser führen Leading from the Emerging Future: From Ego-System to Eco-System Economies

Otto Scharmer*, Katrin KauferEnglisch, 312 Seiten, ab ca. 15 US­Dollar (Paperback, E­Book oder PDF­Download)

Finanzkrise, Hungersnöte, Klimawandel, schrumpfende Ressourcen und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – Bestsellerautor Otto Scharmer (»Theorie U«) sieht darin klare Signale für bevorstehende fundamentale gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche.

Für den Managementberater ist es daher höchste Zeit zum Umdenken: Weg vom Ego­System, das allein das Wohlergehen einzelner Personen, Gruppen, Unternehmen oder Länder im Blick hat, und stattdessen hin zum ganzheitlichen Öko­System. Damit bezieht er sich auf den semantischen Ursprung des Worts Ökonomie: »Öko« stammt vom griechischen Wort oikos ab. So lautete im antiken Griechenland die Bezeichnung für die ganze Haus­ und Wirtschaftsgemeinschaft, also ein Gehöft mit all sei­nen Bewohnern und Bediensteten.

Auch der Begriff Umdenken ist laut Scharmer wörtlich zu ver­stehen: Man könne Probleme nicht mit derselben Art zu denken lösen, durch die sie entstanden sind, zitiert der Management­Berater den Physiker Albert Einstein. Das Denken der meisten Entscheidungsträger sei geprägt von historischen Brüchen und Widersprüchen, beispielsweise dem Wunsch nach immer mehr Wachstum trotz schrumpfender Ressourcen oder dem Streben nach technologischem Fortschritt, vorbei an den Bedürfnissen eines Großteils der Menschheit.

Statt Probleme von heute mit Werkzeugen und Methoden von gestern anzugehen, empfiehlt Scharmer, die Vorboten zukünf­tiger Entwicklungen richtig zu deuten. Dabei hilft die von ihm entwickelte Methode des »Presencing« – eine englische Wort­schöpfung aus presence (Gegenwart) und sensing (fühlen, erfas­sen). Anhand zahlreicher Praxisbeispiele erklärt er, wie Manager und Führungskräfte mit dieser Methode Veränderungsprozesse in ihren Unternehmen, in der Gesellschaft und bei sich selbst er­folgreich anstoßen und durchführen.

* Otto Scharmer ist Dozent am Massachusetts Institute of Tech­nology (MIT) und Mitgründer des Presencing Institute. Er berät Konzerne wie Daimler und Fujitsu und die Wirtschaftsprüfungs­ und Beratungsgesellschaft PwC.

Digitale Chancen nutzen The Second Machine Age: Work, Progress, and Prosperity in a Time of Brilliant Technology

Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee* Englisch, 304 Seiten, ab ca. 17 US­Dollar

Schon heute legen fahrerlose Autos in Tests unfallfrei Meile um Meile zurück. Supercomputer schlagen in Quizshows jeden menschlichen Gegner. Digitale Technologien durchdringen immer mehr Lebensbereiche und zunehmend übertreffen sie die Fähigkeiten des Menschen. Auf Basis riesiger Datenmengen entdecken Maschinen zum Beispiel mögliche Krankheitsursachen besser als jeder Arzt oder planen Angebote und Sortimente treff­sicherer als jeder Einzelhändler.

Die Autoren Erik Brynjolfsson and Andrew McAfee vom Massa­chusetts Institute of Technology (MIT) skizzieren in ihrem jüngs­ten Buch, wie digitale Technologien zunehmend Alltags­ und Wirtschaftsleben verändern. Basierend auf ihrer langjährigen Forschungsarbeit zeigen sie Wege und Strategien auf, wie Indivi­duen, Unternehmen, Organisationen und ganze Gesellschaften die neuen Möglichkeiten am besten nutzen können, um erfolg­reich fortzubestehen.

Dazu gehört zum Beispiel ein modernisiertes Bildungswesen, das Menschen fit für die Zukunft macht. Oder neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, die enorme Rechenkapazitäten mit menschlichem Scharfsinn und Einfallsreichtum kombinieren. Aber auch Gesetze und politische Rahmenbedingungen für eine radikal veränderte Welt.

* Erik Brynjolfsson ist Forscher am National Bureau of Economic Research, Professor für Management an der MIT Sloan School of Management und Direktor des MIT Center for Digital Busi­ness, wo auch Andrew McAfee als Principal Research Scientist arbeitet.

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Autoren dieser Ausgabe Christian Buck, Kirstin von Elm, Christian Heinrich, Günter Heismann, Ulrich Kreutzer, Christine Mattauch, Mirjam Müller, Andrea Wiedemann

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Industry Journal | 01 | 201484

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Wettlauf um IdeenDas Prinzip der Open Innovation per Inter net setzt auf den Einfallsreich-tum der Massen – auch im B2B-Bereich.

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