Theorien der Moralentwicklung - LMU Mü · PDF filePsychological Theorie of Woman`s...

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Ebenschwanger, Kühn, Eisenschmid Referat Moralentwicklung 18.01.2011 Vertiefungsseminar Entwicklungspsychologie WS 2010/2011

Theorien der Moralentwicklung – Teil 1 (Ebenschwanger)

Was ist Moral?

Gesamtheit der Regeln, die zur Realisierung der Werte beiträgt. Diese Regeln dienen dazu, Menschen, die vom Handeln anderer betroffen sind, zu schützen.

Theorien des moralischen Urteils:

Jean Piaget:

Heteronome Moral → Übergangsphase →

Kinder unter 7 Jahre

An von Autoritäten aufgestellten Geboten orientiert

Entscheidend bei der Bewertung des Verhalten sind Handlungsfolgen

Autonome Moral

Kinder unter 7 Jahre

Regeln sind ein veränderbares Produkt sozialer Interaktion

entscheidend bei der Bewertung des Verhaltens sind Handlungsmotive

Kritik: Nicht Häufigkeit, sondern Qualität der Peer-Beziehungen entscheidend; Piaget unterschätzt Fertigkeit jüngerer Kinder: Rolle der Handlungsabsicht wird schon früher verstanden Lawrence Kohlberg: Präkonventionelles Niveau (ab etwa 10 Jahre) Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam Stufe 2: Orientierung an Kosten-Nutzen und Reziprozität Konventionelles Niveau (ab etwa 14 Jahre) Stufe 3: Orientierung an wechselseitigen zwischenmenschlichen Erwartungen, Beziehungen und zwischenmenschlicher Übereinstimmung („gutes Mädchen, lieber Junge“) Stufe 4: Orientierung am sozialen System und am Gewissen („Recht und Ordnung“)

Postkonventionelles/Prinzipientreues Niveau Stufe 5: Orientierung am sozialen Vertrag oder an individuellen Rechten (Stufe 6: Orientierung an universellen ethischen Prinzipien) Kritik: Westliche Auffassung von Moral; Keine eindeutige Diskontinuität von Veränderungen im moralischen Denken; Rein männliche Stichprobe → Carol Gilligan: männliche und weibliche Moral (keine empirische Bestätigung)

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Ebenschwanger, Kühn, Eisenschmid Referat Moralentwicklung 18.01.2011 Vertiefungsseminar Entwicklungspsychologie WS 2010/2011

Die Entwicklung von moralischen Gefühlen

Martin Hoffman: - Affektiver Teil von Empathie (Mitempfindung) als zentrale Komponente der moralischen Entwicklung => Handlungsmotivation - Eine moralische Person hat ein Motiv, im Handeln auf andere Rücksicht zu nehmen und eine Disposition, bestimmte moralische Gefühle zu empfinden - Moralische Gefühle: Empathie, Sympathie, Stolz, Zufriedenheit, Bewunderung, Ärger, Wut, Scham, Schuld, Empörung, Verachtung

Das moralische Selbst

- wenn sich moralische Gefühle zu verlässlichen, verinnerlichten Motiven für moralisches Handeln ausgebildet haben - versucht Konsistenz zwischen moralischen Überzeugungen und Handlungen herzustellen - Funktion: Norm- und wertorientiertes Handeln auch bei Schwierigkeiten und Belastungen aufrechterhalten - Entwicklung in 2 Etappen: 1. Handlungen haben negative Auswirkungen auf andere, die empathisch nachvollzogen werden können; 2. Es finden Beurteilungen durch andere statt, die Folgen für die Selbstbewertung haben

Studie: Moralentwicklung im Erwachsenenalter

- 2 Forschungsfragen: Verändert sich das kindliche Moralverständnis im Laufe des Lebens? Ist das kindliche Moralverständnis zeitgebunden? - Hypothesen: Alterseffekt, Periodeneffekt, Generationeneffekt (Imprinting/sensitive Phase) - Methode: Kohortenvergleich mit drei Gruppen à 100 Versuchspersonen: 20- bis 30-, 40- bis 50- und 65- bis 75-jährige Probanden, 25 Vignetten mit verschiedenen Normen → begründete Stellungnahmen - Ergebnisse: 1. Veränderung des Moralverständnis im Lebensverlauf (hohe Meinungsstabilität und keine Anpassung der ältesten Probanden an den Zeitgeist) => Kein Alters- oder Periodeneffekt, aber Generationenffekt mit Adoleszenz als „kritischer“ Phase 2. Wandel in der Begründung der Moral: Vorgegebene, religiöse Legitimierung von Moral -> Vertragstheoretische Legitimierung von Moral 3. Wandel in der Geltung von Regeln: Ausnahmslose Verbindlichkeit der ältesten Probanden → Bereitschaft der Jüngsten zu legitimierbaren Ausnahmen - Zusammenfassung: Während der Adoleszenz Reflexion zuvor erworbener Wertvorstellungen und Festhalten an den dabei gewonnenen Wertbindungen trotz Zeitgeistveränderungen; Über die Generationen hinweg: Frühere Gesinnungsethik mit strikter Regelorientierung → säkularisierte Verantwortungsethik mit flexibler Prinzipienmoral

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Moralentwicklung I –Teil 2 (Kühn)  

Internalisierung von Normen und Einflussfaktoren auf moralisches Handeln Internalisierung von moralischen Normen 

‐ Konditionierung o Intrinsische Belohnung: Verhalten wird zum konditionierten Reiz für positive Gefühle o Entzug extrinsischer Belohnung ‐> Unterlassung normwidrigen Verhaltens, allerdings 

erschwerte Umsetzung, wegen intrinsischem Anreiz der Normabweichungen und da Entzug der extrinsischen Belohnung oft schwer (z.B.: Aufmerksamkeit) 

o Bestrafung ‐> Ausgleich/Verhinderung intrinsischer und extrinsischer Belohnungen; problematisch, da Normen nicht aufgrund von Einsicht befolgt werden 

‐ Identifikation und Beobachtung o Identifikation und Übernahme von Merkmalen und Forderungen bestimmter Personen 

aufgrund von Macht (durch Sozialstatus, Sanktionsgewalt, Beliebtheit, Gewährung von Sicherheit und Liebe etc.) und sozialer Identität (z.B.: durch erlebte Zugehörigkeit zu einer Gruppe) 

o Jedes moralische Verhalten ist grundsätzlich durch Beobachtung erlernbar o Mit steigendem Alter: Vergleich der Beobachtungen mit Selbstbild, wenn keine 

Übereinstimmung ‐> keine Übernahme der Verhaltensweise ‐ Familiäre Sozialisation                                                                                                                                      

=erste Instanz moralischer Sozialisation,                                                                                                     ‐ drei Erziehungsstile( nach Hoffmann&Saltzstein, 1967): 

o Machtausübender Erziehungsstil:                                                                                          direkte, auch gewaltsame Durchsetzung von Forderungen                                                                   ‐> eher hinderlich für Internalisierung, weil keine Freiwilligkeit                                                                             ‐> Prädiktor für antisoziale Verhaltensprobleme und Delinquenz 

o Induktiver Erziehungsstil:                                                                                                   argumentativ, Spielraum für eigene Entscheidungen                                                                        ‐> fördert Internalisierung, da Beachtung der Norm freiwillig erfolgt                                       ‐> Humanistisch flexible Moral (Unterscheidung zwischen genereller Gültigkeit und 

        Anwendung einer Norm in bestimmten Situationen) o Erziehung durch Liebesentzug:                                                                                               

Eltern zeigen demonstrative Enttäuschung und weisen Kontakt ab                                        ‐> Wirkung ist abhängig von Kontaktbedürfnis des Kindes und Möglichkeiten der      Wiedergewinnung der Zuwendung der Eltern (z.B.: durch falsche Reue‐>keine Wirkung)                          ‐> fördert ängstlich‐rigide Moral, Angst vor eigenen Bedürfnissen, Verantwortung und Kritik 

‐ Einfluss von Peergruppen erwiesen für o Sexualnormen o Einstellung zu Alkohol und Drogen o Delinquentes Verhalten o Abhängig von Verhältnis zu Eltern 

Einflussfaktoren auf moralisches Handeln Beispiel Kultur: westlich individualistische vs. östlich kollektivistische Kultur                                                              ‐>Vergleich von europäischen und asiatischen Kindern anhand des Freundschaftsdilemmas                    

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(Wahl: Versprechen gegenüber Freund einlösen und ihn besuchen oder interessantere Einladung eines neuen Mitschülers annehmen)                                                                                          Unterschiede: 

‐ Gründe für Entscheidung für neues Kind  o Asiatische Kinder: altruistische Verpflichtung (neues Kind einbinden) o Europäische Kinder: hedonistische, egoistische Gründe (neues Kind interessanter) 

‐ Bewertung der Versprechensverpflichtung                                                                                                              ‐> von europäischen Kindern wesentlich öfter als Grund für Handeln genannt als von asiatischen  (Versprechen/Verträge haben in westlichen Kulturen sehr viel Bedeutung) 

‐ Konsistenz zwischen moralischem Urteil und praktischer Entscheidung o Asiatische Kinder zeigen auch mit 4/5 Jahren schon Konsistenz o Europäische Kinder urteilen mit 4/5 Jahren zwar nach moralischen Normen, handeln aber 

eher hedonistisch ‐ Schuldgefühle 

o Asiatische Kinder fühlen sich immer schuldig, unabhängig von Entscheidung o Europäische Kinder fühlen sich nur schuldig, wenn sie ihr Versprechen nicht einhalten 

Gemeinsamkeiten in Adoleszenz:  ‐ Jugendliche aus beiden Kulturen zeigen Konsistenz zwischen moralischem Urteil und praktischer 

Entscheidung ‐ Für die Mehrheit in beiden Kulturen hat die Verpflichtung gegenüber dem Freund bzw. die 

Einhaltung eines Versprechens mehr Bedeutung  Moralvorstellungen nähern sich im Laufe der Entwicklung an  

Studie: Entwicklung des kindlichen Moralverständnisses, G. Nunner‐Winkler     Moralisches Wissen =  

1. Lernprozess Moralische Motivation = 2. Lernprozess 

Operationalisierung 

Normkenntnis  Norm‐begründung 

Emotions‐zuschreibung 

Emotionsbegründung 

Ergebnisse  Normalerweise schon sehr früh vorhanden  (4 Jahre),  z.B.: „Man stiehlt nicht“ 

‐Sanktions‐orientierung ‐Opfer‐orientierung ‐Bewertung ‐Regelgeltung  

Nur 20‐40% der 4‐5jährigen erwarten, dass sich Übeltäter schlecht fühlt 

‐negative Emotionen: v.a. moralische Begründungen ‐positive Emotionen: „hat getan was er wollte“ 

Interpretation  Normverständnis: ‐Intrinsisch(Bestreben das Rechte zu tun, weil es das Rechte ist) ‐Situationsspezifisch differenziert ‐Verständnis der gerechtfertigten Ausnahmen 

Moralische Motivation: ‐Intrinsisch ‐Formal(moralische Handlung durch      Anerkennung des Gesetzes motiviert) ‐Metabedürfnis; moralische Motivation als Filter für Impulse 

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 Gibt es eine weibliche und männliche Moral? – Teil 3 (Eisenschmid) 

 Carol Gilligans These: Es gibt zwei Moralen‐eine weibliche und eine männliche. 

  In a Different Voice. Psychological Theorie of Woman`s Development, Cambridge: Harvard University 1982  

Weibliche Fürsorgemoral  Männliche Gerechtigkeitsmoral • Bei Frauen steht die Beziehung und  

das Gefühl für Verantwortung im Vordergrund. 

• Flexibilität • Die Position des Betroffenen  wird 

eingenommen und die Situation von mehr als einem Standpunkt betrachtet. 

• Männern berücksichtigen eher abstrakte Rechte und Pflichten. 

• Rigide Orientierung an Gerechtigkeit und Fairness. 

• Im Vordergrund steht das Selbst des Individuums.  

Gilligan sieht beide Moralen strukturell als gleichwertig an.  

• Gilligan schrieb den Frauen mehr Flexibilität zu, diese These leitete sie aus der Befragung an Frauen ab, die vor einem möglichen Schwangerschaftsabbruch standen.   

Fazit  • Gilligans Thesen konnten nicht bestätigt werden.                      Moral ist nicht 

geschlechtsspezifisch. • Flexibilität ist nicht typisch weiblich, Betroffenheit entscheidet über die Urteilsbildung. Nunner‐

Winkler et al. zeigten, dass Männer mehrere Aspekte der Wehrdienstverweigerung und Frauen eines Schwangerschaftsabbruchs berücksichtigten. 

• Frauen schneiden in Kohlbergs Skala nicht schlechter ab (Stadium 3) als Männer (Stadium 4).  

Kritik • Gilligans These ist schlecht überprüfbar und die Stichprobe nicht repräsentativ. •  Gilligan ignoriert andere Faktoren, die moralische Entscheidungen stärker beeinflussen können 

als die Geschlechtszugehörigkeit (z.B. Sozialschicht, Religionszugehörigkeit). • Nunner‐Winkler: Fürsorgemoral ist eine Rollenmoral, die an gruppen ‐ und kulturspezifische 

Normierungen geknüpft ist.  

Moral fördern‐moralische Normen vermitteln • Klare Regeln und Vereinbarungen spielen eine wichtige Rolle, sie geben den Kindern Sicherheit. • Begründung von Regeln ist wirksamer als reine Regelvermittlung /Belohnung und Strafe. • Kinder sollen Regeln und Normen erfahren, die durchschaubar und verhandelbar sind, sie 

sollen lernen Normen und Werte zu hinterfragen. • Demokratische Teilnahme an der Gestaltung des sozialen Miteinanders.  Familie • Der autoritative Erziehungsstil ist am förderlichsten. • Eltern geben klare Regeln vor, Interessen und Wünsche der Kinder werden ernst genommen 

und es werden Kompromisse eingegangen ‐ Kinder erleben sich als selbstwirksam.  

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Ebenschwanger, Kühn, Eisenschmid Referat Moralentwicklung 18.01.2011 Vertiefungsseminar Entwicklungspsychologie WS 2010/2011

• Machtausübendes Verhalten, eine feindselige Grundeinstellung gegenüber den Kindern und Strafe durch Liebesentzug verhindern eher die Internalisierung von Normen oder führen zu ängstlich ‐ rigider Moral.  

 Kindergärten & Schulen Moralische Dilemma‐Diskussion  

Die Diskussion moralischer Dilemmas dient der Förderung moralischer und demokratischer Grundfähigkeiten.   

Faustlos   Faustlos ist ein strukturiertes und wissenschaftlich evaluiertes Gewaltpräventionsprogramm für 

Schulen und Kindergärten. Das Programm fördert gezielt soziale und emotionale Kompetenzen.   

Studie: Faustlos ‐ Gewaltprävention in der Grundschule   Bowi, U., Ott, G. & Tress, W. (2008). Faustlos ‐ Gewaltprävention in der Grundschule. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 57, 509‐520.  Grundannahme des Programms ist, dass aggressives Verhalten im Wesentlichen aus einem Mangel an sozialen Fähigkeiten resultiert, so dass eine angemessene Konfliktlösung nicht möglich ist.  

  Im Vordergrund steht die Förderung der Empathiefähigkeit, eine Verbesserung der Impulskontrolle       sowie angemessener Umgang mit Ärger und Wut.    

 Methodisches Vorgehen: Evaluationsstudie mit 4 Messzeitpunkten • Experimentalgruppe: 13 Düsseldorfer Grundschulklassen mit insgesamt 266 Schülerinnen und Schüler 

im Alter von 5,4 bis 10,3 Jahren und ihre Klassenlehrer.     Programm 3 Jahre lang durchgeführt 

• Kontrollgruppe: Grundschule mit drei parallelen Eingangsklassen                    nahm nicht am Programm teil 

   Erhebungsverfahren 

• Erfassungsbogen für aggressives Verhalten in konkreten Situationen. (EAS, Petermann u. Petermann, 2000) 

• Fragebogen zur Erfassung von Empathie. (FEAS, Meindl, 1998)     Ergebnisse   • Bei Schülerinnen und Schülern mit hohen Aggressionskennwerten zeigten sich nach 

Durchführung des Programms ein deutlicher Rückgang an Aggression und ein Anstieg in der Empathiefähigkeit.  

• Die Klassenlehrerinnen berichteten:  – Deutlich weniger Unterrichtszeit ging für Konfliktregelung verloren.  – Konfliktsituationen ließen sich einfacher regeln und die Schülerinnen und Schüler 

wurden selbständiger in der Konfliktregelung.