Tiberius 2011

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2011 AUSBLICK KAPITALMARKT

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Im Jahr 2005 gründeten Markus Mezger und Christoph Eibl die Tiberius Asset Management AG in Zug, Schweiz. Ihr Ziel war und ist es, aktives Management von Rohstofffutures in Form von Publikumsfonds anzubieten. Dies ist ihnen gelungen. Heute sind in der Tiberius Gruppe mehr als 15 Rohstoff- und Rentenfonds mit einem Gesamtvolumen von über 2,5 Mrd. USD beheimatet.

Zur Tiberius Gruppe gehört die in Stuttgart ansässige Tiberius Services AG (TIS), welche für das Research und die Modell-Entwicklung verantwortlich ist. In den vergangenen Jahren hat die TIS eine beachtliche Arbeit in der Entwicklung von Bewertungsmodellen im Rohstoff- als auch Rentensektor geleistet. Mit dem Fixed Income Bereich wird das Rohstoffthema durch Dr. Bernd Früh erweitert. Markus Mezger leitet das Stuttgarter Team und fungiert als CIO für die Rohstoff-Produkte in der Tiberius Gruppe.

In Genf hat die Tiberius Capital Services S.à.r.l. (TCS), als Tochter der Tiberius Asset Management AG, ihren Sitz. Ihr Aufgabenbereich liegt in der internationalen Vermarktung der Publikumsfonds. Das Genfer Büro wird geleitet durch Nicolas Maduz.

Unsere in 2010 eröffnete Londoner Niederlassung, die Tiberius Metals Trading AG (TMT), nimmt sich dem Thema physische Metalle, darunter auch Seltene Erden, an und wird von Richard Parry geleitet.

Die Tiberius Asset Management AG in Zug fungiert als Investment Manager für die Rohstoffflaggschifffonds, u.a. den Commodity Alpha OP, dem ersten Produkt des Hauses

Tiberius. In Zug findet das operative Rohstoffgeschäft statt: der weltweite Handel an den bedeutendsten Rohstoffbörsen der Welt. Neben dem Handel obliegt dem Zuger Standort auch die Verantwortung für die Administration, Marketing/Sales sowie Compliance. In Zug zeichnet Christoph Eibl verantwortlich.

Mit der Tochtergesellschaft Magma Capital AG wird das Rohstoffthema durch einen Global Macro Ansatz erweitert. Das Unternehmen befindet sich ebenfalls am Zuger Standort und wird von Hans Günnewigk verantwortet.

Das Investmenthaus Tiberius versteht sich als innovativer Anbieter von intelligenten und Mehrwert generierenden Fonds rund um das Themengebiet Rohstoffe. Generell kennzeichnend für die Produkte sind Transparenz, Qualität und einem den Zeichen der Zeit entsprechenden Investmentansatz. Das Rohstoffthema wird ergänzt durch ein fundamentales Fixed Income Research und Fondsmanagement, das vornehmlich im Spezialfondsbereich aber auch mit Publikumsfonds vertreten ist.

Auch im Jahr 2011 wollen wir Ihnen als Partner in Ihren Fragen zu den Finanzmärkten zur Seite stehen. Neben diesem Kapitalmarktausblick werden Sie weiterhin, wie gewohnt, unsere monatlichen Markt- und Fondsberichte erhalten.

Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Unsere Kontaktdaten finden Sie am Ende dieser Publikation.

Herzlichst, Ihr Tiberius Team

DIE TIBERIUS GRUPPE

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Die Tiberius Gruppe 3

Inhaltsverzeichnis 4

Prognosen 7 Makro-Prognosen 7

Rohstoff-Prognosen 10

Konjunktur-Perspektiven 2011 14

Konjunkturperspektiven USA 14

Der Deleveraging-Trend setzt sich 2011 fort 14

Die Wirtschaftshilfen verpuffen 15

Die Geldpolitik ist weitgehend machtlos 17

Die chinesische Kreditblase 21

Die ausserbilanziellen Verpflichtungen der Provinzregierungen 21

Die Immobilienblase 23

Aktienmarkt-Perspektiven 2011 29

Konjunkturstärke nicht länger ein Kaufsignal für Aktien 29

Monetäre Bewertung 31

Risiken 32

Rentenmarkt-Perspektiven 2011 34

Wie ist QE2 einzuschätzen? 34

US-Immobilien- und Arbeitsmarkt als Wachstums- und Inflationsbremse 37

Inflationsperspektiven 40

Leitzinspolitik 44

Bewertung des Rentenmarkts 45

Europäische Schuldenkrise 48

INHALTSVERZEICHNIS

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Währungsmarkt-Perspektiven 2011 52

Außenwirtschaftssalden für Währungsprognose 2011 nicht entscheidend 52

Nominale und reale Zinsunterschiede liefern 2011 keine nennenswerte Impulse 53

Staatsschuldenquoten sprechen vor allem gegen den Japanischen Yen 55

Kampf um Marktanteile bei den Währungsreserven bleibt auch 2011 das zentrale Thema 58

Unterschiedliche Interessenslagen der großen Währungsräume 59

Der Angriff auf den Euro-Stabilitätspakt und die Lehren daraus 60

Rohstoffmarkt-Perspektiven 2011 65

Konjunkturzyklik stützt Rohstoffpreise auch in 2011 65

Relativ attraktive fundamentale Ausgangssituation 67

Die Roll-Renditen werden sich in 2011 weiter verbessern 69

Rohstoffe sind als Inflationsversicherung relativ günstig 71

Geopolitische Risiken 73

Spekulative Marktteilnehmer sind optimistisch gestimmt 74

Vielversprechende Charttechnik für 2011 75

Regulierung bleibt auch in 2011 ein Risikofaktor 76

Einzelmärkte: Rohstoffperspektiven 2011 79

Energiesektor 79

WTI Rohöl: Neutral 79

Benzin: Neutral 82

Heizöl: Neutral 85

Erdgas: Leicht untergewichten 86

Industriemetalle 89

Aluminium: Untergewichten 95

Kupfer: Übergewichten 97

Nickel: Neutral 100

Zink: Leicht untergewichten 102

Blei: Neutral 103

Zinn: Übergewichten 104

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Edelmetalle 106

Gold: Neutral 107

Silber: Leicht untergewichten 109

Platin: Leicht untergewichten 111

Palladium: Leicht übergewichten 113

Getreide und Ölsaaten 114

Weizen: Leicht untergewichten 114

Sojabohnen: Leicht übergewichten 117

Mais: Leicht übergewichten 119

Softs 123

Baumwolle: Untergewichten 123

Kaffee: Leicht übergewichten 125

Kakao: Leicht untergewichten 128

Zucker: Leicht untergewichten 130

Rohstoffe und deren Produzenten 133

Hybride 133

Gold – Goldminen 135

Metalle – Metallproduzenten 139

Öl – Ölproduzenten 141

Erdgas – Erdgasproduzenten 143

Investmentprodukte 147

Kontakt 148

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Makro-Prognosen

Wir hatten im Kapitalmarktausblick 2010 die These vertreten, dass die Rückführung privater Schulden (Deleveraging) das zentrale Thema an den Kapitalmärkten in 2010 sein wird. Daraus hatten wir abgeleitet, dass der Konjunkturaufschwung in den USA die hochgesteckten Erwartungen im Laufe des Jahres 2011 enttäuschen werde, da das Kreditwachstum und die Zuwachsraten des privaten Konsums nicht mehr an die Werte vorheriger Hochkonjunkturen heranreichen könnten. Das Jahr 2010 hatten wir analog zum Jahr 2004 als Übergangsjahr eingestuft. Während 2004 eine Brücke zwischen der Konjunkturwende in 2003 und den Boomjahren 2005-2007 baute, hatten wir für 2010 erwartet, dass dieses Jahr der Auftakt zu einer deutlich negativeren Wirtschaftsentwicklung in den Jahren 2011ff werde.

Diese Einschätzung hat sich für unsere Aktienmarktprognosen als zu pessimistisch erwiesen. Wir hatten den S&P 500 zum Jahresende 2010 bei 1.080 Punkten gesehen. Zum Redaktionsschluss dieses Kapitalmarktausblicks (03.12.2010) notiert der amerikanische Leitindex bei 1.225 Punkten. Beim deutschen DAX 30 war die Divergenz zwischen Prognose (5.600 Punkte) und aktuellem Stand (6.948 Punkte) noch ausgeprägter. Dies lag jedoch ebenso wie die Punktlandung beim Nikkei 225 (Prognose 10.200 Punkte, aktueller Stand 10.178 Punkte) an einem unerwartet starken japanischen Yen, der den deutschen Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffte und die japanischen Exportwerte belastete.

Sehr gut hatten wir hingegen die Zinsentwicklung abgeschätzt. Angesichts des übergeordneten Deleveraging-Trends hatten wir keine Belebung der Inflationsraten und damit auch keine Optionen für einen Ausstieg aus der äußerst expansiven Geldpolitik gesehen. Eine Leitzinserhöhung in den USA, Euroland oder Japan blieb 2010 tatsächlich aus. Bei den Renditen zehnjähriger Bundesanleihen hatten wir einen Rückgang von 3,14% auf 2,50% vorausgesagt. Damit lagen wir in der Tendenz goldrichtig. Im Verlaufe des Jahres 2010 notierte die Rendite im Tief sogar nur noch bei rund 2,1%. Der aktuelle Wert liegt bei ca. 2,8%.

Bei der Entwicklung des Euro-Wechselkurses zum US-Dollar und zum japanischen Yen lagen wir hingegen daneben. Wir hatten die Staatsschuldenkrise in den Euro-Peripherieländern (PIGS-Staaten) und die unkoordinierte Verteidigungsstrategie der europäischen Regierungen in dieser Form nicht für möglich gehalten. Der Euro verlor gegenüber dem US-Dollar leicht von 1,43 USD auf 1,34 USD je Euro und gegenüber dem japanischen Yen stark (von 130 Yen auf 111 Yen je Euro) an Wert. Wir hatten gegenüber beiden Währungen einen leichten Anstieg der europäischen Einheitswährung prognostiziert.

Bei den Rohstoffen hingegen landeten wir mit unserer Prognose von 300 Punkten beim Dow Jones UBS Rohstoffindex Total Return (DJUBS) praktisch einen Volltreffer, auch wenn es in der ersten Jahreshälfte nicht danach ausgesehen hatte, weil die Rohstoffe unerwartet in Sippenhaft mit dem schwachen Euro genommen wurden.

PROGNOSEN 2011 Autor: Markus Mezger

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Wir hatten in mehreren Marktkommentaren im Frühjahr 2010 betont, dass die Fundamentaldaten und die Kapitalflüsse eine Rallye der Rohstoffpreise rechtfertigen, die dann schlussendlich in den letzten 5 Monaten des Jahres 2010 den DJUBS-Index minimal über das Kursziel hinausführten.

Das Jahr 2011 verspricht auf den ersten Blick eine freundliche Tendenz an den Kapitalmärkten. Die Konjunktur zeigt sich in den wichtigsten Weltwirtschaftsregionen robust, die Wirtschaftspolitik in den großen Währungsräumen US-Dollar, Euro und Yen bleibt akkommodierend. Auf den zweiten Blick sind allerdings enorme Risiken zu erkennen. Am gravierendsten ist unserer Ansicht nach eine mögliche Verschärfung des Iran-Konflikts, der gemäß unserer Einschätzung das Potenzial besitzt, sich zu einem globalen Konflikt zwischen den Weltmächten USA, Russland und China auszuweiten. Auch eine militärische Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südkorea könnte die gute Stimmung an den Märkten kippen. Ebenfalls extrem negative Auswirkungen auf die Aktien- und Industrierohstoffmärkte hätte ein Platzen der chinesischen Immobilienblase. Wir haben diesem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet. Und schließlich könnte auch ein unerwartet starker Preisanstieg wichtiger Rohstoffe, z.B. Rohöl oder Kupfer, die Weltkonjunktur belasten, zumal einzelne Regierungen in Schwellenländern sich zu restriktiven geldpolitischen Maßnahmen gezwungen sehen, um die Inflation im Griff zu halten.

Versucht man den Eintritt dieser Risiken zeitlich einzugrenzen, gilt für alle das Motto:

Dementsprechend ist unser Basisszenario, dass sich die Aktienmärkte zwischen dem Erfolgsszenario der Jahre 2005-2007 und dem Baisseszenario Japans in den Jahren 1994-1996 bewegen werden. Die Boomjahre 2005-2007 können sich unserer Ansicht nach kaum wiederholen, da die privaten und öffentlichen Haushalte in den etablierten Volkswirtschaften immer noch mit den Folgen der geplatzten Immobilien- und Wertpapierblasen kämpfen. Umgekehrt scheinen uns die Aktienmärkte durch die reichliche Liquidität und die unattraktiven Anlagealternativen einigermaßen nach unten abgesichert, falls sich keiner der oben genannten Risikofaktoren verwirklichen sollte. Wir erwarten beim S&P 500 und beim DAX 30 einen leichten Rückgang auf 1.140 bzw. 6.600 Punkte. Beim Nikkei 225 rechnen wir aufgrund unseres Währungsbildes mit leichten Kursgewinnen bis auf ein Niveau von 10.800 Indexpunkten.

Bei den Rohstoffen erwarten wir auf breiter Front Kursgewinne. Ein Teil der Industrierohstoffe hat seinen Lagerüberhang abgebaut und wird sich nächstes Jahr im Defizit befinden. Die Frühindikatoren indizieren weiterhin ein robustes Wachstum im verarbeitenden Gewerbe in den nächsten 6-12 Monaten. Wir sehen bei einzelnen Industrierohstoffen ein substanzielles Kurspotenzial mit Renditen im mittleren zweistelligen Prozentbereich.

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Zudem erwarten wir eine sukzessive Verbesserung der Roll-Renditen im Energie- und Metallsektor. Aber auch die Agrarrohstoffe scheinen hinsichtlich der Fundamentaldaten attraktiv. Die Knappheit dürfte sich insbesondere bei den Getreiden im nächsten Jahr nicht auflösen. In der Summe gehen wir vor dem Hintergrund positiver Flow-Daten von einem Kursanstieg des DJUBS Rohstoffindex Total Return um rund 15% auf 350 Punkte aus.

Bei den Zinsen erwarten wir mehr oder weniger ein unverändertes Szenario im Vergleich zum letzten Kapitalmarktausblick. Es ist kaum anzunehmen, dass das im Rahmen der zweiten quantitativen Lockerung emittierte Zentralbankgeld über den Vermögenskreislauf hinausgelangt und den Weg in die Realwirtschaft findet, da die Transmission geldpolitischer Impulse in den USA, aber auch in Europa weiterhin als gestört anzusehen ist. Eine signifikante Belebung des privaten Konsums in den USA ist angesichts der Kreditrückführungen und des schwachen Immobilienmarkts äußerst unwahrscheinlich. In diesem Umfeld dürften die Inflationsraten auf niedrigem Niveau verharren. Wir sehen damit in keinem der drei großen

Währungsräume Anlass für eine Anhebung der Leitzinsen. Bei den Zehnjahres-Renditen deutscher Bundesanleihen erwarten wir abermals einen leichten Rückgang auf 2,4%. Ihr amerikanisches Pendant wird am Jahresende 2011 unserer Meinung nach eine Rendite von 2,3% aufweisen. Ein Unsicherheitsfaktor besteht im nächsten Jahr darin, inwieweit auch von deutschen Bundesanleihen und US Treasuries eine Prämie für Bonitätsrisiken gefordert werden wird.

Die Währungen stehen wohl erneut vor einem turbulenten Jahr. In der ersten Jahreshälfte 2011 wird sich der Euro einem abermaligen Stabilitätstest stellen müssen. Ungeachtet der vielfältigen Konstruktionsfehler der europäischen Einheitswährung glauben wir, dass er diesen Test bestehen wird, da die wirtschaftlichen Voraussetzungen der gesamten Eurozone besser sind als in den anderen großen Währungsräumen US-Dollar und Yen. Die japanische Währung könnte zur Schwäche neigen, wenn die Geldpolitik aufgrund fehlender Wachstumsimpulse im Inland zu einer expansiveren Ausrichtung gedrängt wird. Wir kalkulieren mit einem Wechselkurs von 140 Yen

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je Euro und 96 Yen je Dollar zum Jahresende 2011. Insgesamt dürfte sich jedoch keine der genannten Währungen auf einem der vorderen Plätze wiederfinden. Der Anlagetrend zu höherverzinslichen Schwellenländerwährungen wird sich unserer Meinung nach in 2011 noch einmal fortsetzen.

Rohstoff-Prognosen

Die historischen Empfehlungen des Jahres 2010 für die Einzelrohstoffe haben wir wie folgt ausgewertet. Zunächst wurde jede verbale Empfehlung in eine Note zwischen +2 und -2 übersetzt und anschließend die tatsächliche in 2010 erzielte, relative Performance des Rohstoffs gegenüber dem DJUBS Commodity Index in 5 Kategorien ebenfalls von +2 bis -2 eingeteilt.

Den Energiebereich haben wir in 2010 sehr gut eingeschätzt. Exakt richtig war die Prognose einer starken Underperformance bei Erdgas, einer leichten Underperformance bei Rohöl und einer neutralen Entwicklung bei Benzin. Lediglich bei Heizöl, das mit einer relativen Rendite von rund -4% noch in die neutrale Kategorie fiel, waren wir etwas zu pessimistisch. Für 2011 haben sich die Perspektiven der Energierohstoffe allgemein verbessert. Bei Rohöl und

Rohölprodukten scheint ein Großteil der nicht berichteten Lager auf See (floating storage) mittlerweile abgebaut. Das von uns vermutete Marktdefizit sollte 2011 den verbliebenen Überhang bei den offiziell berichteten Lagerbeständen in den OECD-Staaten angreifen, was zu einer Verbesserung der Terminkurve mit einer Gesamtrendite von knapp 15% führen sollte. Da wir für den DJUBS-Rohstoffindex eine ähnliche Rendite erwarten, kommen wir zu einem neutralen Votum für Rohöl. Bei den Crack Spreads der Produkte Heizöl und Benzin sind keine so markanten Entwicklungen zu erkennen, dass sie ein von Rohöl abweichendes Votum rechtfertigen. Bei Erdgas sind die Preisperspektiven immer noch eingetrübt. Das Angebot hat bisher noch nicht mit Produktionseinschränkungen auf den Verfall der

Terminpreise in den letzten Jahren reagiert. Auch 2011 wird es einen Marktüberschuss mit negativen Roll-Renditen geben, die kaum eine Gesamtrendite über der Null-Prozent-Marke erlauben dürften. Viel Negatives ist aber im Kalender 2011 schon eingepreist. Dies führt uns noch zu einer leichten Untergewichtung.

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Die Industriemetalle haben wir in ihrer relativen Entwicklung innerhalb des Sektors und zum Vergleichsindex weitgehend richtig beurteilt. Eine negative relative Performance war bei Blei, Aluminium und Zink zu beobachten. Für die zwei letztgenannten hatten wir eine Untergewichtungsempfehlung ausgesprochen. Blei hatten wir etwas zu positiv, Nickel zu negativ eingeschätzt. Mit Kupfer und Zinn hatten wir 2010 korrekterweise zwei der drei relativen Gewinner im Sektor für eine (leichte) Übergewichtung empfohlen. Für 2011 hat sich an der relativen Rangskala bei den Basismetallen praktisch nichts geändert. An der Spitze stehen weiterhin Kupfer und Zinn, die 2011 ein Marktdefizit ausweisen dürften und deren Terminkurven relativ attraktiv im Vergleich zu den anderen Rohstoffen im Index sind. Eine neutrale Performance sollte Blei schaffen, während wir bei Zink und Nickel aufgrund der erwarteten Marktüberschüsse eine leichte Untergewichtung empfehlen. Bei Aluminium raten wir nach wie vor zu einer starken Untergewichtung.

Bei den Edelmetallen waren wir insgesamt zu negativ gestimmt. Palladium und Silber schafften 2010 eine Outperformance von rund 60% und auch Gold und Platin lieferten eine, allerdings deutlich bescheidenere, Überrendite. Bei Palladium hatten wir diesen Höhenflug vorausgesagt, während wir Gold und Silber nur eine indexkonforme Entwicklung zugetraut hatten. Auch in diesem Bereich sehen wir 2011 keine großen Änderungen zu diesem Jahr. Palladium, das als einziges Edelmetall ein Marktdefizit vorweisen dürfte, bleibt an der Spitze im Sektor. Aufgrund des exponierten Preisniveaus reicht es aber nur noch zu einer leichten Übergewichtung. Silber hatte Gold in 2010 markant outperformed. Das Gold-Silber-

Ratio ist in der Konsequenz schnell auf 48 gefallen. Wir sehen ein derartiges Niveau als nicht gerechtfertigt an und rechnen in 2011 mit einer Korrektur, weswegen wir Gold neutral gewichten und Silber leicht untergewichten. Platin hat 2011 aus unserer Sicht keine Chance auf ein Marktdefizit und wird deswegen analog

Bei den Getreiden und Ölsaaten haben wir Weizen und Mais richtig beurteilt. Weizen wurde korrekterweise neutral eingestuft. Mais generierte eine Outperformance von rund 10%, schaffte es jedoch damit nicht ganz in die Top-Performer-Kategorie, in die wir Mais gruppiert hatten. Zu negativ hatten wir Sojabohnen eingestuft, für die wir 2010 eine leichte Underperformance vorhergesagt hatten. Tatsächlich verzeichneten Sojabohnen die beste Entwicklung im Sektor. Für 2011 überzeugen die Fundamentaldaten von Mais und Sojabohnen, die keine spürbare Erholung des US-Stocks to Use Ratios vermelden sollten. Wir rechnen bei beiden Rohstoffen mit positiven Roll-Renditen und einer leichten Outperformance. Der Weizenmarkt dürfte in den USA 2011 zwar ein Defizit aufweisen. Aufgrund der vorangegangenen Überschussjahre existieren aber noch so hohe Lagerbestände, dass dieses Defizit leicht aufgefangen werden sollte. Wir rechnen mit einer leicht negativen relativen Wertentwicklung.

Die Soft Commodities zählten 2010 zu den volatilsten Rohstoffmärkten. Die Entwicklung des Zuckerpreises glich einer Achterbahnfahrt. Zu Jahresbeginn setzte er zunächst die Preissteigerungen aus 2009 fort, brach dann extrem ein und erholte sich anschließend, um das Jahr insgesamt neutral abzuschließen. Dies

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entsprach unserer Prognose. Im 2. Halbjahr 2011 dürfte es bei Zucker angesichts des im historischen Vergleich weit überdurchschnittlichen Preisniveaus zu einer Normalisierung der Produktionsvolumina kommen, weswegen wir Zucker für das Gesamtjahr als leichten Underperformer einstufen.

Ebenfalls exakt richtig lagen wir bei Kaffee, der 2010 <endlich> das starke Jahr aufwies, das gemäß seiner Fundamentaldaten vorherzusehen war. Im Prinzip hat sich für 2011 wenig geändert. Der einzige Unterschied könnte sein, dass es aufgrund der hervorragenden Performance in 2010 im kommenden Jahr nur noch zu einer leichten Überrendite reicht.

Baumwolle hingegen überraschte uns in diesem Jahr. Im Jahr 2009 gehörte dieser Rohstoff bei Preisen um 40 US-Cents je Pfund noch zu unserer Favoriten, da der erwartete starke Rückgang der US-Lagerbestände unserer Ansicht nach Preispotenzial bis maximal 100 US-Cents je Pfund

dort befinden sich die großen Wendepunkte der letzten Jahrzehnte - eröffnete. Da Baumwolle zum Jahresende 2009 bereits bei 75 US-Cents je Pfund notierte, sahen wir nur noch limitiertes Aufwärtspotenzial und hatten Baumwolle dementsprechend als neutral eingestuft. Die schnelle Aufwärtsbewegung auf über 150 US-Cents je Pfund im Herbst 2010, wodurch Baumwolle zu den Top-Performern des Jahres gehört, hatten wir unter der Annahme normaler Anbaubedingungen in dieser Form nicht für möglich gehalten. In 2011 dürfte sich das aktuelle Preisniveau nicht halten lassen, da die Produktion beim größten globalen Exporteur, den USA, aufgrund einer Ausweitung der Anbauflächen deutlich gesteigert werden dürfte. Die Lagerbestände sollten sich in einem

derartigen Umfeld erholen und die positiven Roll-Renditen könnten verschwinden. Wir empfehlen eine starke Untergewichtung.

Bei Kakao folgte dem Preissqueeze der Kakaonotierungen in London im Sommer 2010 eine stark unterdurchschnittliche Performance, die den mäßigen globalen Fundamentaldaten entsprach. Wir hatten Kakao eine leicht unterdurchschnittliche relative Performance prognostiziert. In 2011 wird sich daran aus unserer Sicht nicht viel ändern.

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Der Deleveraging-Trend setzt sich 2011 fort

In unserem letzten Kapitalmarktausblick hatten wir die Prognose abgegeben, dass das reale und nominale US-Wirtschaftswachstum im Jahr 2010 enttäuschen werde. Als Begründung hatten wir angeführt, dass trotz einer expansiv ausgerichteten Fiskal- und Geldpolitik das Kreditwachstum in diesem Zyklus nur schwerlich stimuliert werden könne, da die Kreditschöpfung während der vorangegangenen Boomphase 2004-2007 weit über dem historischen Durchschnitt lag. Eine Bereinigung der Situation sei nur durch ein langwieriges Deleveraging der privaten Haushalte und ein Gesundschrumpfen des überdimensionierten Finanzsektors möglich. Dementsprechend hatten wir vorausgesehen, dass die Kerninflationsraten Richtung Null tendieren und die Notenbanken in den USA, aber

auch in Europa und Japan nicht in die Lage versetzt werden, einen Zinsstraffungszyklus zu beginnen.

Im Kern können und müssen wir in diesem Kapitalmarktausblick dieselbe These für 2011 noch einmal vorbringen. Das Grundvertrauen des US-Konsumenten, das während der konjunkturellen Hochphasen der Jahre 1995-2000 und 2004-2007 ein zentraler Stützpfeiler des überdurchschnittlichen Wachstums war, scheint nachhaltig erschüttert. Die private Kreditschöpfung bleibt von zwei Seiten gehemmt. Auf der einen Seite sind die Aufräumarbeiten bei den Kreditportfolien im Finanzsektor noch nicht abgeschlossen, so dass trotz hoher monetärer Anreize und einer vergleichsweise steilen Zinsstrukturkurve die Kreditvergabe bei den Banken immer noch stockt. Auf der anderen Seite sind die privaten Haushalte nach wie vor mit der Konsolidierung ihrer Finanzen beschäftigt, nachdem sie vor der

Konsumentenkredite in % des persönlichen Einkommens

Quelle: National Bureau of Economic Research, Tiberius

KONJUNKTUR-PERSPEKTIVEN 2011 KONJUNKTUR-PERSPEKTIVEN USA Autor: Markus Mezger

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Krise des Jahres 2008 in der Illusion, es seien an den Vermögensmärkten permanent Kapitalgewinne möglich, eine zu hohe Konsum- und eine zu tiefe Sparneigung an den Tag gelegt hatten. Die Mahnung vieler Volkswirte, eine private Sparquote zwischen 0% und 5% sei für eine entwickelte Volkswirtschaft unangemessen tief, da sie zwar kurzfristig einen Mehrkonsum ermögliche, dafür aber langfristig die Wachstumsaussichten belaste, verhallte jahrelang ungehört. Im Jahr 2010 hat sich unter dem Eindruck einer um die 9,5% verharrenden Arbeitslosenquote nun die private Sparquote endlich über der Marke von 6% etabliert.

Aus unserer Sicht sprechen viele der für den privaten Konsum maßgeblichen Faktoren die reale Einkommensentwicklung, die Entwicklung des Immobilienmarktes, der im Vergleich zum historischen Durchschnitt immer noch überdurchschnittliche Schuldenstand in Relation zu den Einkommensgrößen und nicht zuletzt der schleppende Arbeitsmarkt für eine Fortsetzung des Deleveraging-Trends in 2011.

Die Wirtschaftshilfen verpuffen

Die US-Fiskalpolitik will sich mit der Erkenntnis nicht abfinden, dass sich die Folgen eines jahrzehntelangen Überkonsums und einer geplatzten Immobilienblase nicht in wenigen Quartalen beseitigen lassen. Bereits im Frühjahr 2009 wurde ein über 800 Mrd. USD schweres Konjunkturprogramm der American Recovery and Investment Act aufgelegt. Kernpunkt dieses Programms war der US-Immobilienmarkt. Für den Erwerb von Immobilien konnten US-Bürger Steuergutschriften von 7.500 US-Dollar erhalten. Gleichzeitig sollten das Home Affordability Modification Program (HAMP) und das Home Affordable Refinance Program (HARP)

überschuldeten Immobilienbesitzern eine Erleichterung des Schuldendienstes bzw. eine Umschuldung zu verbesserten Konditionen ermöglichen.

Diese Programme, die überwiegend im zweiten Quartal 2010 ausgelaufen sind, verschafften dem US-Immobilienmarkt nur eine temporäre Verschnaufpause und zögerten die notwendige Marktbereinigung hinaus. Nach dem Auslaufen der steuerlichen Kaufanreize brachen die Verkäufe von privaten US-Immobilien stark ein, die Baubeginne und die Neubauverkäufe fielen von extrem tiefen Niveaus weiter zurück. Viele US-Bürger scheinen angesichts der Malaise am Immobilienmarkt den Glauben an die Superiorität des eigenen Wirtschaftssystems verloren zu haben. Zum Einen liegt dies daran, dass wohl weit weniger als die ursprünglich von der Regierung projizierten drei bis vier Millionen US-Haushalte in den Genuss der Schuldenerleichterungen gekommen sind. Zum Anderen fuhren die US-Banken nach dem Auslaufen der Programme unbeirrt mit den Zwangsverwertungen von US-Immobilien fort, wobei die massenweise Unterzeichnung von Zwangsverwertungsmaßnahmen wohl auch mit ungelernten Hilfskräften bewältigt wurde (Rob-Signing). Aus unserer Sicht dürfte der private Immobilienmarkt in 2011 seinen Boden finden. Die Erholung dürfte trotz der stützenden Geldpolitik jedoch eher der Form eines L als der eines V gleichen. Eine ausführlichere Darstellung des amerikanischen Immobilienmarkts findet sich im Kapitel Rentenperspektiven.

In der Zukunft ist der Spielraum für Defizit finanzierte Fiskalprogramme gleich von zwei Seiten eingeengt. Einerseits haben die Demokraten nach den Kongresswahlen Anfang November 2010 im Repräsentantenhaus die

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Mehrheit verloren. Die Republikaner können nun jede Gesetzesinitiative von Präsident Obama blockieren. Und von dieser Möglichkeit werden sie auch zunehmend Gebrauch machen. Der Wahlerfolg der Republikaner beruht aus unserer Sicht auch auf einem Stimmungsumschwung in

Wirtschaftswachstum ließe sich per staatlichem Knopfdruck erzeugen, ist Ernüchterung eingekehrt. Es ist eine unserer Grundüberzeugungen, dass staatliche Ausgabenprogramme eher Wachstum kosten als bringen, da sie profitablere und effizientere privatwirtschaftliche Initiativen zurückdrängen.

Auf der anderen Seite dürften die Finanzmärkte die USA nicht mehr viel länger mit Samthandschuhen anfassen. Nachdem die

staatlichen Überschüsse der Clinton-Ära von George W. Bush junior unter dem Eindruck des 11. September 2001 in kürzester Zeit in Defizite, die mit Werten zwischen -2% und -4% die Dimension der republikanischen Präsidenten Reagan und Bush senior erreichten, umgewandelt wurden, hat sich die Haushaltslage mit dem Amtsantritt Obamas noch einmal verschärft. Dessen Regierung fährt bereits ein Haushaltsdefizit zwischen -8% und -10% des BSP, ein Bereich, der bei einigen europäischen Staaten bereits als untragbar gilt. Der Schuldenstand der öffentlichen Hand ist dadurch auf einen Wert von über 90% emporgeschnellt. Während einzelne europäische Regierungen ihre Haushalte bereits unter großem Druck der Finanzmärkte konsolidieren müssen, ist die US-Regierung bisher noch ungeschoren davongekommen. Da der US-Haushalt jedoch zu knapp 40% durch das Ausland finanziert wird,

Konsumentenvertrauen und Immobilienmarkt in den USA

Quelle: Bloomberg

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könnte ein plötzlicher Vertrauensverlust der großen Auslandsgläubiger dramatische Folgen haben. Eine Finanzierung der Staatsdefizite wäre dann nämlich nur noch durch die Notenbank möglich.

Die Geldpolitik ist weitgehend machtlos

Im Jahr 1936 veröffentlichte John Maynard Keynes unter dem Eindruck der

General Theory of Employment, Interest and

Szenarien, der Liquiditätsfalle, ist die Geldpolitik machtlos. Demnach halten die Wirtschaftsakteure bei einem sehr tiefen Zinsniveau zusätzliches Geld, das ihnen von der Notenbank aufgedrängt wird, in Form von Bargeld, anstatt es in Krediten auszureichen, da sie bei einem auf mittlere Sicht unausweichlichen

Zinsanstieg Kursverluste auf ihr Kreditportfolio hinnehmen müssten. Diese absolute Liqiuiditätspräferenz führt dazu, dass das von der Zentralbank neu geschaffene Geld nicht über den kurzfristigen Vermögenskreislauf hinauskommt und damit realen Investitionsvorhaben nicht zur Verfügung steht.

Bis Mitte der neunziger Jahre galt dieses Keynes-Szenario als theoretischer Spezialfall, der für die Praxis der Notenbanken nicht von Belang sei. Dann gelang es der japanischen Geldpolitik trotz eines Leitzinses von Null und einer expansiven Geldmengenpolitik nicht, das Wirtschaftswachstum nach dem Platzen der japanischen Immobilienblase wiederzubeleben. Die Inflationsraten blieben über mehrere Jahre im negativen Bereich. Das Ausland war in dieser Situation nicht um Ratschläge verlegen. So fühlte sich der heutige US-Notenbankpräsident Ben Bernanke im Mai 2003 bemüßigt, der

Budgetsaldo der US-Regierung in % des BSP

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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japanischen Notenbank ein aggressiveres Vorgehen gegen die vorherrschende Deflation vorzuschlagen.1 Sie solle staatliche Ausgabenprogramme durch eine massive Ausdehnung der Käufe von japanischen Staatsanleihen monetisieren, um kurzfristig eine deutlich über der Nulllinie liegende Inflationsrate zu realisieren. Die japanische Notenbank betrieb im Frühjahr 2003 zwar kurzzeitig eine starke Ausweitung der Zentralbankgeldmenge, hatte jedoch mittelfristig nicht den Mut, ein geldpolitisches Experiment mit ungewissem Ausgang zu wagen, so dass Bernanke erst jetzt im eigenen Land die Wirksamkeit seiner damaligen Vorschläge testen kann.

1 http://www.federalreserve.gov/boarddocs/ speeches/2003/20030531/default.htm

Nach diesen Vorbemerkungen erscheint es wenig erstaunlich, dass der direkte Aufkauf von US-Staatsanleihen der Kernpunkt der US-Noten-bankpolitik ist. Die Zentralbank hatte Anfang November 2010 bekannt gegeben, dass sie in einer zweiten Runde der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing 2) bis zum 3. Quartal 2011 zusätzliche 600 Mrd. USD durch den direkten Kauf von Staatsanleihen in Umlauf bringen will. Zuvor hatte die US-Notenbank bereits als eine erste Reaktion auf die Finanzkrise die Zentralbankgeldmenge zwischen Herbst 2008 und Herbst 2009 um mehr als 1.000 Mrd. USD angehoben. Die Wirkung dieser Maßnahme verpuffte aber in 2010, da die Geschäftsbanken, an die das Geld ausgereicht wurde, diese Mittel

Entwicklung diverser US-Geldmengenaggregate indiziert auf 100

Quelle: Bloomberg

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ganz im Sinne von Keynes nicht in Bankkredite umgesetzt haben. Stattdessen wurde ein Großteil des zusätzlichen Geldes als Überschussreserve bei der Zentralbank gehalten.

Wir hatten in unserem letzten Kapitalmarktausblick ausführlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, diese geldpolitischen Transmissionsstörungen zu beseitigen. Dies ist auch in unserem diesjährigen Rentenausblick ein Kernthema. Den direkten Weg der Notenbank an die Kapitalmärkte unter Umgehung des Bankensektors halten wir unter diesen Umständen als folgerichtig. Jedoch ist auch in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass das frische Zentralbankgeld nicht realen Investitionen zur Verfügung steht, da die Verkäufer von US-Staatsanleihen in der Regel ebenfalls Finanzinstitutionen sind, deren Anlagemöglichkeiten vorwiegend auf die klassischen Vermögensmärkte beschränkt sind. Die Folge ist langfristig eine Asset Inflation bei vielen Vermögensklassen, aber nicht die von der Notenbank angestrebte Belebung der Inflationsraten. Um die Inflationsraten direkt zu beeinflussen, müsste die Notenbank direkt Rohstoffe und Sachgüter kaufen. Ein Weg, der von Notenbanken bisher allenfalls bei Gold beschritten wurde. Direkte Goldkäufe würden die Inflationserwartungen noch weiter nach oben treiben. Das Dilemma ist jedoch, dass die Differenz zwischen der antizipierten und der tatsächlichen Inflation schon heute grotesk hoch ist. Am besten lässt sich diese Aussage an der Performancedifferenz zwischen (knappen) Industriemetallen und (reichlich vorhandenen) Edelmetallen festmachen. Viele Anleger kaufen Gold und Silber, um sich gegen das von der Notenbank aufgebaute Inflationspotenzial abzusichern, und vernachlässigen gleichzeitig die Industrierohstoffe, deren Preisanstieg angesichts

der schwächelnden Verbraucher eine notwendige Voraussetzung für diese Entwicklung wäre.

Wir glauben auch noch aus einem zweiten Grund, dass die Wirksamkeit der US-Geldpolitik eingeschränkt ist. Japan hatte Ende der neunziger Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends die Erfahrung gemacht, dass im Inland geschaffenes Geld im Rahmen der Carry-Trades ins Ausland exportiert wurde, was den damaligen Börsenboom in den USA und Europa maßgeblich befeuerte. Seit der Tiefzinspolitik der Jahre 2002-2004 ist der US-Dollar selbst zur Carry-Trade-Währung verkommen. Zur Stärke tendiert die US-Währung vor allem im Krisenfall, wenn die aufgebauschten Dollar-Kredite kurzfristig zurückgeführt werden müssen. Die aktuelle Politik der US-Notenbank liefert aber genügend Anreize, den Carry-Trade erneut in großem Stil zu betreiben. Die Kapitalabflüsse aus den USA treiben in den Zuflussländern jedoch die Inflationsraten nach oben. Der ursprüngliche Zweck der US-Geldpolitik wird verfehlt, wenn die expansiven Maßnahmen im Inland in Schwellenländern wie China eine restriktivere Politik auslösen (vgl. Konjunkturperspektiven China). Gleichzeitig bleiben die konvertiblen Währungen der Länder, die einen Zinsvorteil gegenüber dem US-Dollar besitzen oder sich zu restriktiveren Maßnahmen gezwungen sehen, unter Aufwertungsdruck (vgl. Währungsperspektiven).

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Fazit

Wir wiederholen in diesem Kapitalmarktausblick unsere Prognose vom letzten Jahr, dass den USA japanische Verhältnisse drohen. Das Vertrauen und die Zukunftsgläubigkeit des US-Verbrauchers sind durch die anhaltende Krise am US-Immobilienmarkt erschüttert. Die Fiskalpolitik hat ihr Pulver weitgehend verschossen. Ihr zukünftiger Spielraum ist durch die politischen Verhältnisse im Land eingeschränkt. Die Geldpolitik hat zwar eine aggressiv expansive Richtung eingeschlagen. Ihre Maßnahmen verpuffen aber wahrscheinlich in steigenden Preisen an den Vermögensmärkten und in Kapitalexporten. Dennoch werden die USA nicht lange den Weg Japans gehen. Der japanische Staat war vor allem bei japanischen Gläubigern verschuldet. Die USA hängt in weit größerem Maße von ausländischen Gläubigern ab. Ein plötzlicher Stimmungswandel an den Finanzmärkten könnte eine Risikoprämie für US-Staatsanleihen und/oder eine Dollar-Krise bewirken. Wir glauben jedoch nicht, dass dies bereits 2011 in einer extremen Form der Fall sein wird.

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Die ausserbilanziellen Verpflichtungen der Provinzregierungen

In unserem letztjährigen Kapitalmarktausblick haben wir die Strukturen der chinesischen Wirtschaft hinsichtlich Export, Import und Konsum näher aufgezeigt. Im aktuellen Kapitalmarktausblick soll der Fokus auf die aus unserer Sicht grösste Gefahr gelenkt werden: die Kreditblase.

Die chinesische Zentralregierung sah sich im Frühjahr 2009 gezwungen, mit einem für chinesische Verhältnisse gigantischen Konjunkturpaket die volkswirtschaftliche Nachfrage aufrechtzuerhalten. Grund dafür war die globale Finanzkrise von 2008/09, im Zuge derer die chinesischen Exporte einer der grössten Eckpfeiler der chinesischen Wirtschaftsleistung massiv einbrachen.

Das von der Zentralregierung verordnete Wirtschaftsprogramm war nur ein Teil der gezielten Wirtschaftsförderung. Auf der Stufe der einzelnen Provinzen (wir verwenden den Begriff

ounterhalb der Zentralregierung) überboten sich die Lokalregierungen mit Wachstumsprogrammen, was nicht sonderlich überrascht, wenn man sich die politischen Umstände vor Augen führt. Die Zentralregierung hat den Provinzen zu verstehen gegeben, dass die Volkswirtschaft aggregiert mindestens 8% wachsen müsse in 2009. In Anbetracht dessen ist es durchaus verständlich, dass kein Regionalpolitiker in der Hauptstadt dadurch auffallen will, dass er nur 6% oder 7% Wachstum nach Peking berichtet. Die Vermutung liegt nahe, dass diesem Risiko bewusst dadurch ausgewichen wird, in dem man die lokale

Wirtschaft eher zu stark ankurbelt und dafür 10% oder 12% Wachstum melden darf. Die Konjunkturmassnahmen der Provinzregierungen unterscheiden sich entscheidend in der Form ihrer Finanzierung von jenen der Zentralregierung. Während die Zentralregierung sich ordnungsgemäss am Kapitalmarkt finanzieren kann, bleibt den Provinzregierungen diese Möglichkeit per Gesetz verwehrt. Als Finanzierungsquelle bedienen sich die Provinzregierungen sogenannten ausserbilanziellen Investitionsmethoden. In der Literatur findet man verschiedene offizielle Bezeichnungen dafür. Die verbreitesten Bezeich-nungen sind UDIC (Urban Development Invest-ment Corporation) und LIC (Local Government Investment Company).

Die Funktionsweise eines LIC ist analog jener der SPVs (Special Purpose Vehicle) der Investmentbanken in der Zeit vor der Finanzkrise. Um bei der Finanzierung den Kapitalmarkt zu umgehen, gründet die Behörde eine LIC und kapitalisiert sie idealerweise mit Grundstücken. Diese Kapitalbasis hebelt die LIC dann durch Kredite vom Bankensektor. Leider gibt es auch unzählige Beispiele, bei denen die LICs gar nicht kapitalisiert wurden, sondern lediglich aufgrund der Staatsgarantie Kredite aufnehmen konnten.

Die chinesischen Banken werden obwohl teilweise oder sogar gänzlich privatisiert und börsengelistet sehr stark von der (Zentral-) Regierung und der Zentralbank kontrolliert und dirigiert. Die Banken vergeben gerne Kredite an diese LICs, da diese eine implizierte Staatsgarantie geniessen. Mittlerweile gibt es in China mehr als 8.500 solcher LICs. Über die Hälfte davon sind seit Beginn der globalen Finanzkrise im Herbst 2008 entstanden. Leider

DIE CHINESISCHE KREDITBLASE Autor: Roman Zulauf

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gibt es keine offiziellen Angaben über den aggregierten Schuldenstand der LICs. Gemäss vorsichtigen Schätzungen von China-Experte Victor Shih1 betragen die ausstehenden Schulden der LICs per Ende 2009 gesamthaft etwa RMB 11 Billionen. Das entspricht 34% des BIP, 29% aller ausstehenden Bankkredite, 167% aller konsolidierten Regierungseinnahmen und 351% der Regierungseinnahmen auf lokaler Ebene. Und das beruht auf konservativen Schätzungen.

Zudem muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass praktisch alle Provinzregierungen seit den späten 1990er jährlich Budgetdefizite ausweisen. Da die Regierungseinnahmen auf lokaler Ebene vorwiegend für die Gehälter von Beamten und den Unterhalt von ausgemusterten Soldaten aufgewendet wird, bleibt nur ein kleiner Teil der Einnahmen für den Schuldendienst. Wenn nun die ausstehenden Schulden der LICs 3,5 mal höher sind als die Einnahmen der Provinzregierungen, so kann man sich unschwer vorstellen, dass es nur einen kleinen, störenden Faktor braucht, damit die Provinzregierungen in Liquiditätsengpässe kommen und die Zentralregierung einspringen muss.

Aktuell weisst die Volksrepublik eine offizielle Staatsverschuldung von 24% des BIP aus. Aufgrund der undurchsichtigen Berechnungsmethoden bleibt uns an dieser Stelle nur eine vage Schätzung für den Ernstfall. Auch in China wird auf die Hochkonjunktur eine

1 Victor Shih ist Professor für Politikwissenschaften an der Northwestern University in Chicago und Verfasser

Big rock-candy mounchinesischen LICs.

Rezession folgen. Sobald diese beginnt, sei es durch einen erneuten Einbruch der Exporte aufgrund einer Konjunkturabschwächung in den USA, sei es durch das Platzen der heimischen Immobilienblase als Konsequenz des eingeleiteten Zinserhöhungszyklus (mehr dazu im folgenden Abschnitt), dürften die latenten Probleme der Provinzregierungen eine sehr grosse Tragweite annehmen. Wir gehen davon aus, dass sich dann die offizielle Staatsverschuldung Chinas mindestens um 50% erhöhen dürfte, wenn der notleidende Teil der ausserbilanziellen Verpflichtungen durch die Zentralregierung gedeckt werden muss2. Das wird sich dann entsprechend auf die Bonität der Zentralregierung auswirken und nicht spurlos an den globalen Finanzmärkten vorbeigehen.

2 Aktuell beträgt der offizielle Schuldenstand der Zentralregierung RMB 7,7 Billionen. Wenn man konservativ davon ausgeht, dass von den RMB 11 Billionen Schulden der LICs 50% ausfallen werden und durch die Zentralregierung gedeckt werden müssen, dann erhöht sich deren Schuldenstand auf RMB 13,2 Billionen, was einen Anstieg von 71% bedeutet. Die Schulden der Zentralregierung werden sich dann von 24% auf 40% des gegenwärtigen BIP erhöhen.

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Die Immobilienblase

Mit den LICs als Finanzierungsquelle war es den Behörden vereinfacht worden, Wirtschaftswachstum zu erzeugen. So wurden die Bruttoanlageinvestitionen in Form von Immobilien, Infrastruktur und industriellen Kapazitäten zur wichtigsten Stütze der volkswirtschaftlichen Leistung Chinas seit Beginn der grossen Rezession. Wir haben bereits im letztjährigen Kapitalmarktausblick dargelegt, wie die Investitionen in den Häusermarkt und das Angebot von Bodenfläche seit 2004 sprunghaft gestiegen sind. Wo eine Kreditblase ist, da ist eine Immobilienblase nicht fern. Die Immobilienblase in China hat unserer Ansicht nach zwei Ursachen. Erstens, die Anbindung des Yuan an den USD und zweitens, das staatlich verordnete Wirtschaftswachstum als Reaktion auf die globale Finanzkrise. Um die Anbindung ihrer Währung an den USD aufrechtzuerhalten, muss China dauernd USD gegen Yuan kaufen, was eine ausserordentlich hohe Liquiditätszufuhr im eigenen Wirtschaftssystem bedeutet. Zudem rächen sich nun die Versäumnisse in der Landwirtschaft über die letzten zwei Jahrzehnte. Im Zuge der Industrialisierung wurden die bäuerlichen Arbeitskräfte in die verarbeitende Industrie zugeführt. Dadurch wuchs die Nachfrage aus den Industriegebieten nach Agrargütern stärker als die landwirtschaftliche Produktivität. Das Resultat dieser relativen Verknappung sind die hohen Preise für Lebensmittel in den letzten Jahren. Sogar Regierungsbeamte geben unverblümt zu, dass die offizielle Inflationsrate von 4,4% nicht der Realität entspricht. Somit hängt die Inflationsrate Chinas stark vom herangezogenen Index ab. Am unteren Ende der Bandbreite wäre wie erwähnt der CPI mit ca. 4,4%. Im mittleren Segment befinden sich der PPI mit ca. 5-6%. Und am

oberen Ende bewegen sich die Arbeitsstückkosten, Nahrungsmittel- und Immobilienpreise mit gegenwärtig zweistelligen Zuwachsraten. Demgegenüber steht die tiefe Nominalverzinsung von aktuell 2,5% auf ein Jahr. Wenn man nun von einer inoffiziellen Inflationsrate von 10% ausgeht, dann bedeutet das für den chinesischen Sparer eine negative Realverzinsung von um die 7,5%. Dieses Zinsumfeld, ursächlich ausgelöst durch die Bindung der Währung an den USD, ist ein Grund dafür weshalb viele Chinesen bis tief in den Mittelstand hinein ihre Sparguthaben bei den Banken minimiert und ihr Geld in Immobilien investiert haben. Auf diese Art haben sie über die vergangenen Jahre durch den Preisanstieg im Häusermarkt mehr Wertsteigerung auf ihr Vermögen generiert als wenn sie es bei der Bank als Einlage mit einer negativen Realverzinsung hätten liegen lassen. Im Unterschied zu Japan Ende der 1980er und den USA Mitte der 2000er Jahre ist die gegenwärtige Immobilienblase in China nicht primär durch gehebelte Spekulation gekennzeichnet, sondern vielmehr eine Konsequenz der negativen Realverzinsung. Zwar ist der Leverage im Häusermarkt mit einer erforderlichen Eigenkapitalunterlegung beim Immobilienkauf von 40% relativ gering im Vergleich zu vergangenen Immobilienblasen in anderen Ländern.

Aber das hohe Ausmass an vorhandener Liquidität im System ist im historischen Vergleich beispiellos. Mittlerweile beträgt die Geldmenge M2 180% des BIP, was um ein Vielfaches höher ist als während den damaligen Kreditblasen in Japan, Südkorea und den USA. Eine weitere Folge dieser Kreditschöpfung aufgrund der staatlich verordneten Massnahmen zur Erzeugung von Wirtschaftswachstum sind die massiven Überkapazitäten, welche nicht nur im Bereich

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Wohnliegenschaften, sondern auch bei den gewerblichen Liegenschaften, industriellen Kapazitäten und Infrastruktur aufgebaut wurden.

So wurde beispielsweise in Ordos in der inneren Mongolei, mit Kangbashi ein ganz neuer Stadtteil errichtet. Kangbashi wurde für eine Bevölkerung vergleichbar mit der Grösse von San Diego gebaut. Im ursprünglichen Stadtteil Dongsheng residieren die 1,5 Millionen Einwohnen Ordos. Bis jetzt konnten praktisch keine Umzüge von Dongsheng nach Kangbashi beobachtet werden.

Somit ist Kangbashi zu einer äusserst modernen Geisterstadt verkommen mit vielen schönen und relativ teuren Gebäuden, die gänzlich unbewohnt sind. Auf den neuen und gut präparierten Strassen findet so gut wie kein Autoverkehr statt.

Es gibt leider unzählige solche Beispiele aus China. Und trotzdem finden solche

Liegenschaften oft einen Käufer. Zwar nicht zur Selbstnutzung sondern eben als Kapitalanlage. Wir nehmen Kenntnis von Meldungen aus China von über 64 Millionen unbewohnten Wohnungen, welche Wohnraum für 200 Millionen Menschen bieten. Zwar sind solche Meldungen mit Vorsicht zu geniessen aber immerhin zeigen sie die mögliche Tragweite dieser Blase an. Vielfach werden solche Fakten dadurch gekontert, dass dieser Wohnraum dringend notwendig sei, weil grosse Teile der ländlichen Bevölkerung im Zuge der

Urbanisierung in die Städte strömen. Das ist grundsätzlich richtig. Jedoch kann sich die Mehrheit dieser zugewanderten Leute gar nicht leisten in diesen relativ teuren Neubauten zu wohnen. Das Verhältnis von mittelteuren und teuren Wohnungen zu den günstigen Wohnung ist leider nicht gerade vorteilhaft für die unteren Schichten.

Geldmenge M2 in % des BIP

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Prozentualer Anteil am Transaktionsvolumen nach Wohnungsfläche

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

Durchschnittlicher Verkaufspreis pro Quadratmeter in RMB

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Basierend auf unseren vorhandenen Daten beträgt der durchschnittliche Verkaufspreis einer 70 qm grossen Wohnung ca. RMB 160.0003 (ca. $24.000). Das Abnorme des Häuserbooms in China ist nämlich, dass obwohl das vorhandene Angebot von Wohnraum die Nutzungskapazitäten um ein Vielfaches übersteigt, die Regierung ihrerseits wieder Projekte lancieren musste für den Bau von Billigwohnungen für die Mehrheit der Zuwanderer. Die spekulative Bautätigkeit führt somit klar an der real vorhandenen Nachfrage vorbei. Die quantitativen Erfordernisse für das Platzen dieser Blase sind damit durchaus gegeben.

Möglichkeiten der Regierung

Die Geschichte lehrt uns, dass es unmöglich ist eine Immobilienblase (wie auch andere Blasen von Anlagegegenständen) durch gezielte Steuerung auf sanfte Art und Weise zu bändigen. Wir gehen deshalb auch in diesem Fall davon aus, dass das Platzen dieser Blase einen schmerzhaften Bereinigungsprozess auslösen wird, der sich impulsiv auf das chinesische Bankensystem, die Finanzen der Provinzregierungen und somit auf die Kreditwürdigkeit der Zentralregierung auswirken wird, da diese durch ihre impliziten Garantien schlussendlich als Feuerwehr einspringen werden muss.

Es scheint als haben die Behörden in Peking das Problem erkannt und haben begonnen entsprechende Massnahmen einzuleiten um gewisse Exzesse einzuschränken. So wurden beispielsweise die Banken schon mehrfach zu restriktiveren Kreditvergaben angehalten. Auch der Satz für die Einlagen der Banken bei der

3 Angaben beziehen sich auf Shanghai

Zentralbank wurde bereits mehrfach angehoben. Ebenfalls erhöht wurden die erforderlichen Anzahlungsraten für Zweit- und Drittwohnungen. Kürzlich wurde sogar der Leitzins leicht erhöht, was unserer Ansicht nach der interessanteste Punkt ist.

Die chinesische Immobilienblase ist die direkte Folge der negativen Realverzinsung. Der Regierung stehen insgesamt drei grundsätzliche Werkzeuge zur Verfügung um die heimische Inflation zu bändigen: Währungs-, Fiskal- und Geldpolitik. Da eine hohe Anzahl von kleineren und mittleren chinesischen Exportunternehmen bereits sehr geringe Gewinnmargen aufweisen, würde eine substantielle Aufwertung des Renmimbi zum USD für viele Exportfirmen in China das Ende bedeuten. In diesem Sinne wehrte sich auch der chinesische Premierminister Wen Jiabao in ungewohnt deutlicher Weise öffentlich gegen den Druck der USA zur Währungsaufwertung. Um den Yuan zumindest marginal nominal aufzuwerten gegenüber dem USD und somit den aussenpolitischen Druck abzumildern hat China in der Vergangenheit am Devisenmarkt interveniert und die Währungen ihrer grössten Exportkonkurrenten gestützt. Darunter gehören der Yen, Euro und einige südostasiatische Währungen. Somit konnte der reale Wechselkurs sogar abgewertet werden, während aus politischer Kulanz der nominale Devisenkurs zum USD leicht aufgewertet wurde. Wir gehen nicht davon aus, dass China in absehbarer Zeit den nominalen Wechselkurs signifikant aufwertet, womit die Währungspolitik als Mittel zur heimischen Inflationsbekämpfung und der damit verbundenen Immobilienblase ausscheidet.

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Ebenfalls unwahrscheinlich erscheint uns eine härtere Fiskalpolitik als Massnahme zur Inflationsbewältigung. Eine solche Verschärfung würde unzählige Arbeitsplätze im Baugewerbe in relativ kurzer Zeit vernichten. Somit bleibt als letztes Werkzeug noch die Geldpolitik. In der Tat hat die Regierung bereits mit Zinserhöhungen begonnen. Dieser Zinserhöhungszyklus wird ein wertvoller Indikator sein um das zeitliche Ende der Kredit- und Immobilienblase abzuschätzen.

Im historischen Vergleich platzen solche Blasen erst, sobald die Zinsstrukturkurve genügend flach oder sogar invers ist.

Wenn wir nun die aktuelle Situation in China mit Japan Ender der 1980er und USA Mitte der 2000er vergleichen, so wird es wahrscheinlich noch eine Weile dauern bis die Bewegung der Zinsstruktur abgeschlossen ist. Wir können uns durchaus vorstellen, dass die Finanzmärkte die ersten paar Zinserhöhungen zunächst mit einer

gewissen Nervosität aufnehmen. Mit der Zeit wird sich dann aber der Glaube breit machen, dass diese Zinserhöhungen gut und notwendig seien. Die zeitliche Dimension dieses Prozesses ist sehr schwierig abzuschätzen. Jedoch wären wir überrascht, wenn die Blase das Jahr 2012 auch noch überleben würde.

Zinsstrukturkurven

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Fazit

Unserer Ansicht nach ist die Kreditblase in China vergleichbar mit anderen Exzessen in der Vergangenheit. Deshalb gehen wir davon aus, dass sich hier das klassische Muster des Boom-Bust-Zyklus wiederholen wird. Die ausserbilanziellen Verpflichtungen der Provinzregierungen und die latenten Kreditabschreibungen im Bankensektor werden die Finanzmärkte überraschen. Aus diesem Grunde glauben wir, dass die Bonität der Zentralregierung derzeit vom Markt viel zu günstig bewertet wird und das entsprechende Anpassungspotential erheblich ist. Zudem wurden über die letzten Jahre gigantische Überkapazitäten im Bereich der Infrastruktur und Immobilien aufgebaut. Volkswirtschaftlich bedeuten Überkapazitäten stets deflationären Druck. Aus dieser Perspektive lässt sich leider nicht gänzlich ausschliessen, dass China ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte wie Japan nach dem Platzen der Blase.

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Konjunkturstärke nicht länger ein Kaufsignal für Aktien

Im Timing von Rohstoffen ließen sich in den letzten Jahrzehnten systematische Überrenditen erzielen, wenn die Investitionsquote am Niveau der Frühindikatoren ausgerichtet wurde, wie wir dies bei unserem Tiberius-Frühindikator umgesetzt haben. Dasselbe Modell bringt im

Timing der internationalen Aktienmärkte keine oder nur mäßige Überrenditen. Offensichtlich sind die Aktienmärkte hinsichtlich der Konjunkturzyklik ein so guter Frühindikator, dass Konjunkturumfragen, wie z.B. die Einkaufsmanagerserien, hier keinen Mehrwert für das Timing von Aktien liefern. Die stärksten zyklischen Kaufsignale für Aktien liegen vor, wenn die Frühindikatoren sechs Monate zuvor ein bestimmtes Niveau noch nicht überschritten hatten. In diesem frühen Stadium des

Aufwärtszyklus sind bei Aktien die größten Gewinne möglich. Wäre man nur in diesen Phasen mit einer Haltedauer von einem Jahr investiert, so hätte mit vergleichsweise wenig Risiko (Volatilität 2,5%) eine jährliche Rendite von knapp 6% realisiert werden können. Nach diesem Modell wäre ein Aktieninvestment noch bis zum Sommer 2011 angezeigt, da die letzte Kaufposition Ende Juni 2010 eröffnet wurde. Ein

halbes Jahr zuvor waren die Frühindikatoren gerade tief genug, um genügend Aufwärtspotenzial für ein Aktieninvestment zu indizieren.

Dieselbe Botschaft vermitteln die Unterkomponenten des Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in den USA. Zieht man das Verhältnis der im Index vorlaufenden Komponente Auftragseingänge zur nachlaufenden Komponente Lagerveränderung

Antizyklisches Frühindikator-Modell

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

AKTIENMARKT-PERSPEKTIVEN 2011 Autoren: Markus Mezger, Björn Weigelt

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als Maßstab für den Investitionsgrad bei Aktien heran, dann wäre im Verlauf der letzten 45 Jahre ebenfalls eine jährliche Überrendite zum S&P 500 von etwas mehr als 5% möglich gewesen. Momentan zeigt dieses Ratio die wenig attraktive Kombination aus verhaltenen Auftragseingängen bei gleichzeitigem Lageraufbau an. Mit anderen Worten: Der Konjunktur in den USA fehlen frische Nachfrageimpulse, viele Unternehmen produzieren auf Halde. Das Modell rät aktuell

bereits zu einem reduzierten Investitionsgrad von 80%. Auch wenn in den USA aufgrund lokaler Faktoren (vgl. Kapitel Konjunkturperspektiven USA) die konjunkturelle Lage im Vergleich zu Europa und Asien zu negativ gezeichnet wird, so ist auch in den beiden zuletzt genannten Regionen eine Lücke zwischen den weit vorausgeeilten Stimmungsindikatoren und der tatsächlichen Industrieproduktion zu

beobachten. In jedem Fall scheint es schwer vorstellbar, dass von dem bereits realisierten Niveau die Auftragseingänge im Vergleich zu den nachgelagerten Komponenten noch einmal so stark anziehen, dass neue zyklische Kaufsignale für Aktien generiert werden. Die Situation ist aus unserer Sicht vergleichbar mit den Jahren 2005ff, als das adjustierte Ratio von Auftragseingangs- und Lagerkomponente zwischen 80% und 100% pendelte.

Ein drittes Warnsignal, dass sich die Aktienrallye der letzten 18 Monate dem Ende zu neigt, kommt von den Wachstumsraten der berichteten Gewinne der S&P 500 Unternehmen. Zuletzt erreichte das Gewinnwachstum Werte um 40%. Auch wenn dies teilweise auf Basiseffekte zurückzuführen ist, verdichtet sich der Eindruck, dass die guten Nachrichten bereits eingepreist sind. Das beste Szenario für den

Aktienmodell auf Basis von Auftragseingängen und Lagerbestand

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Aktienmarkt wäre eine Wiederholung der Jahre 2004-2007, als die Wachstumsraten oberhalb der 10%-Marke verharrten. Für eine derartige Entwicklung spricht jedoch heute wenig, da der damalige Boom von den weltweiten Immobilienmarktblasen getragen wurde. Heute kämpfen die Regierungen in den USA und in Europa mit deren Folgelasten. Ein binnenwirtschaftliches Wachstumsthema, das die Gewinndynamik auf hohem Niveau halten kann, ist weder in den USA noch in Europa zu erkennen.

Monetäre Bewertung

Wenn sich durch die Konjunkturzyklik auf der einen Seite keine Long-Signale mehr herleiten lassen, so sichert die Fortdauer der expansiven Geldpolitiken in den USA, Europa und Japan die Märkte noch nach unten ab. Wie wir in den Kapiteln Konjunkturperspektiven und

Rentenperspektiven ausführen, dürfte auch die zweite Runde des Quantitative Easing vorwiegend in den Vermögensmärkten hängen bleiben. Wir sehen durch den Händewechsel bei Staatsanleihen alle Anlageklassen gleichermaßen von zusätzlichem Zentralbankgeld profitieren. Die Carry-Trades zu den zinsstarken Währungen dürften die expansive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank 2011 in die ganze Welt tragen. Teilweise führt diese importierte Inflation in einzelnen Schwellenländern zu restriktiven Gegenmaßnahmen, die aber den

expansionären Ausgangsimpuls nicht vollständig neutralisieren.

Da auch an den größten und liquidesten Staatsanleihenmärkten zunehmend Bonitätszweifel aufkommen, sind lediglich Geldmarktanlagen risikoarme Alternativen. Diese könnten durch eine unerwartete Inflation

Gewinnwachstum der im S&P 500 enthaltenen Unternehmen

Quelle: Datastream, Magma Capital AG

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entwertet werden. Im Kapitel Rentenperspektiven begründen wir, warum wir nach wie vor keine Belebung der Inflationsraten sehen. Aber auch wenn die Inflationsraten auf ihrem derzeitig tiefen Niveau bleiben, sind die Realzinsen am kurzen Ende negativ. Eine Anhebung der Leitzinsen ist auch in 2011 für einen der großen Währungsräume wenig wahrscheinlich. Aktien werden bei diesem fortdauernden Anlagenotstand wohl keine nachhaltige Baisse durchleben.

Risiken

Die Risiken für diesen selbstgefälligen Ausblick sind in 2011 hoch. Das mit Abstand größte Risiko ist unserer Meinung nach das Platzen der chinesischen Immobilienblase. Dieses Thema haben wir im Kapitel Konjunkturperspektiven China ausführlich elaboriert. Wir glauben, dass die chinesische Immobilienblase ihre finale Phase noch nicht erreicht hat. Insofern dürfte dies eher ein Thema der Jahre 2012ff sein. Die Problematik besteht darin, dass die tektonischen Erschütterungen im Falle eines früheren Eintreffens in allen Vermögensmärkten so massiv sein werden, dass sie jeden anderen Faktor überstimmen. Extrem negativ betroffen wären Rohstoffe und Aktien, deren Gewinndynamik auf dem Wachstum der Schwellenländer basiert. Das Jahr 2008 mag als Vorbild dienen, könnte aber noch zu kurz gegriffen sein, da die Weltwirtschaft mit den Schwellenländern zwischenzeitlich ihren letzten Wachstumsmotor einbüßen würde.

Das zweite große Risiko, das die Aktienwelt nachhaltig erschüttern könnte, ist eine plötzliche Verschärfung geopolitischer Konflikte. In unserem Kapitel Rohstoffprognosen wagen wir die These, dass die Wikileaks-Veröffentlichungen nur ein kleiner Mosaikstein der im Hintergrund

ablaufenden Angriffspläne gegen den Iran sind. Sollte sich dies als zutreffend erweisen, steht die Welt am Vorabend eines Konflikts der globalen Großmächte USA und Russland.

Der dritte Punkt, der die Aktien 2011 sehr negativ betreffen könnte, sind Turbulenzen bei den Leitwährungen. Wie wir im Kapitel Währungsperspektiven erläutern, gehen wir davon aus, dass der Euro 2011 einem erneuten Härtetest der Märkte unterzogen wird. Unabhängig von den Chancen, diese Prüfung zu bestehen, werden die Begleiterscheinungen an den Aktienmärkten zu spüren sein. Einen Vorgeschmack bekamen die Anleger im November 2010, als der europäische Bankensektor aufgrund der potenziellen Verluste bei europäischen Anleihen erneut unter Stress geriet. Auch wenn die europäische Schuldenkrise bisher weitgehend von den Aktienmärkten isoliert ablief, ist ein plötzliches Überspringen des Finanzierungsstress auf andere Anlagesegmente wie im April/Mai 2010 schnell möglich.

Der vierte Risikofaktor, starke Preissteigerungen bei Industrierohstoffen, ist momentan noch nicht virulent, da die Rohstoffmärkte der Entwicklung an den Aktienmärkten immer noch hinterherhinken. Wenn aber unsere Prognosen stimmen, werden einzelne wichtige Industrierohstoffe, z.B. Rohöl und Kupfer, nächstes Jahr auch bei mäßigem weltwirtschaftlichem Wachstum ein Angebotsdefizit aufweisen. Angesichts der vorherrschenden monetären Bedingungen könnten die Preise dann schnell nach oben überschießen. Wir erwarten für 2011 einen Preisanstieg des DJUBS-Rohstoffindex um 17%. In einigen Branchen könnte dies zu Lasten der Margen von Aktiengesellschaften gehen.

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Fazit

Der amerikanische Aktienmarkt ist unserer Ansicht nach zwischen zwei Szenarien gefangen. Auf der einen Seite gibt es bei den makroökonomischen Rahmenbedingungen (vgl. Konjunkturperspektiven) einige Parallelen zu Japan, das in den neunziger Jahren trotz expansiver Geld-und Fiskalpolitik die Folgelasten der geplatzten Immobilienblase in Form unterdurchschnittlichen realen Wachstums spürte. Der Nikkei ging in dieser Phase unter großen Schwankungen seitwärts. Das optimistische Szenario wäre andererseits eine Wiederholung der Haussejahre 2005-2007. Dies ist wenig wahrscheinlich, da die Triebfeder der damaligen Bewegung, der Immobilienboom, sich in vielen Ländern ins Gegenteil verkehrt hat.

Wir glauben, dass der amerikanische Aktienmarkt de facto einen dritten Weg zwischen beiden Szenarien einschlagen wird. Auf Jahressicht erwarten wir einen leichten Rückgang des S&P 500 auf 1.140 Punkte. Der deutsche Aktienmarkt DAX 30 dürfte analog auf 6.600 Punkte verlieren. Lediglich dem Nikkei trauen wir auf der Basis unserer Währungsmeinung einen kleinen Kursanstieg auf 10.800 Punkte zu. Angesichts der niedrigen impliziten Volatilitäten an den Optionsmärkten sind wir strategisch long Puts, um die großen Risiken (s.o.) dieser Prognose abzusichern.

Vergleich historischer Aktien-Crashs Japan und USA mit aktueller Situation

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Seit Sommer 2009 befindet sich die Weltwirtschaft wieder im Aufschwung. Gleichzeitig sinken in den westlichen Industrieländern jedoch die Kerninflationsraten, so dass der Rentenmarkt seit eineinhalb Jahren von diesen beiden Faktoren gegenläufig beeinflusst wird. Zwei zusätzliche Aspekte führten 2010 jeweils zu einer kräftigen Kursrallye bei Staatsanleihen bester Bonität. Zum einen löste die europäische Schuldenkrise im Mai eine Flucht in Qualität aus und zum anderen ließen im August aufkommende Spekulationen über einen erneuten Rückfall der US-Volkswirtschaft in die Rezession die Nachfrage nach Staatsanleihen stark steigen. Im Zuge dessen sank der deutsche 10-Jahreszins auf ein neues historisches Tief von nur 2,09%. Bis Ende November kletterte er dann wieder deutlich über 2,6%.

In Reaktion auf eine nachlassende Wachstumsdynamik und die Schwäche am Arbeits- und Immobilienmarkt entschloss sich die US-Notenbank im Herbst zu einer zweiten Runde der monetären Lockerung, des sogenannten Quantitative Easing (QE2), indem sie Offenmarktkäufe von US-Treasuries im Volumen von 600 Mrd. US-Dollar bis Sommer 2011 in Aussicht stellte. Darüber hinaus sollen fällig werdende Mittel aus ihrem bereits bestehenden Wertpapierbestand ebenfalls zum Kauf von Treasuries herangezogen werden, so dass noch ungefähr 300 Mrd. US-Dollar hinzukommen. In unserem Konjunkturteil wurde bereits der Frage nachgegangen, ob QE2 die schwächelnde US-Konjunktur beleben kann. Hier soll diese Frage noch einmal aufgegriffen werden, mit besonderem Augenmerk auf mögliche Inflationsgefahren und insbesondere die Auswirkungen auf den Rentenmarkt.

Wie ist QE2 einzuschätzen?

In seiner vielbeachteten Rede vom November 2002 vor dem National Economists Club zeigte sich der damals noch nicht amtierende heutige Fed-Präsident Ben Bernanke sehr zuversichtlich, dass die US-Notenbank hinreichend Mittel hätte, um einer eventuell drohenden Deflation gegebenenfalls erfolgreich begegnen zu können. Neben einer auf längere Zeit verpflichtend festgelegten Nullzinspolitik, einer Kooperation mit den Fiskalbehörden, einem Kauf ausländischer Staatsanleihen zur Schwächung des US-Dollars sowie Renditeobergrenzen für langlaufende Staatsanleihen, führte er eine aggressive Offenmarktpolitik als Möglichkeit an. Genau diese soll nach der Entscheidung im Offenmarktausschuss Anfang November nun zum zweiten Mal angewandt werden. Die Notwendigkeit dafür zeigt, dass die Fed vom Verlauf des bisherigen US-Konjunkturaufschwungs enttäuscht ist und die Wirksamkeit der bislang praktizierten unkonventionellen Geldpolitik offensichtlich überschätzt hat.

Die Auswirkungen dieser extrem expansiven Geldpolitik sind in der Tat schwer abzuschätzen, denn für eine in diesem Ausmaß betriebene Politik gibt es keine wirkliche historische Vorlage. Bernanke selbst formulierte 2002 in seiner Rede:

r territory. traditional methods may complicate the policy-making process and introduce uncertainty in the

Bedenklich ist aber neben den angesprochenen Unwägbarkeiten der ansonsten offensichtlich als gegeben angesehenen Wirksamkeit dieser Politik, dass sie Risiken beinhaltet, die unter Umständen nicht mehr

RENTENMARKT-PERSPEKTIVEN 2011 Autor: Dr. Bernd Früh RENTENMARKT-PERSPEKTIVEN 2011 Autor: Dr. Bernd Früh

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kontrollierbar sind wie beispielsweise einen grundsätzlichen Vertrauensverlust in die geldpolitischen Autoritäten oder eine massive Kapitalfehlallokation und eine erneute Vermögensblasenbildung an den internationalen Finanzmärkten mit allen ihren negativen Folgen.

nicht ohne Grund für die Finanzkrise mitverantwortlich gemacht und er kam ja noch ohne die Politik des Quantitative Easing aus. Bernanke sah sich dann auch genötigt, die Entscheidung für die zweite Runde der aggressiven Offenmarktpolitik QE2 in einem am Folgetag erschienenen Artikel in der Washington Post zu rechtfertigen.

Der Erfolg von QE2 und mögliche inflationäre Folgewirkungen hängen davon ab, inwieweit der Transmissionsmechanismus von der Zentralbankgeldmenge M0 zu realwirtschaftlichen Aktivitäten funktioniert.

Aufgrund der eher enttäuschenden Wirkung von QE1 besteht aber der Verdacht, dass gerade hier strukturelle Probleme bestehen und dass die Schwierigkeiten der US-Volkswirtschaft eben nicht monetärer Natur sind und daher letztlich auch nicht geldpolitisch lösbar sind. So halten die Geschäftsbanken in Folge von QE1 Überschussreserven von über 1000 Mrd. US-Dollar bei der Notenbank. Auch sitzen die großen Unternehmen inzwischen auf gewaltigen Kassenbeständen. Offensichtlich besteht aufgrund der strukturellen Verschuldungsproblematik in der US-Volkswirtschaft sowie fehlender Opportunitäten angesichts der Überkapazitäten in der Realwirtschaft nicht genügend Anlass, diese Überschussliquidität abzubauen.

Eine steigende Zentralbankgeldmenge muss nicht zwingend zu einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums führen. Wenn der

USA: Geldmultiplikator M2/M0

Quelle: Bloomberg

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Geldmultiplikator und die Geldumlaufgeschwindigkeit in Kombination prozentual stärker fallen, sinkt es sogar. Und beide Größen fallen tatsächlich seit Beginn von QE1, ein klares Zeichen für den Hang zur Liquiditätshaltung bei den Wirtschaftsakteuren und damit für die begrenzte Wirksamkeit expansiver geldpolitischer Maßnahmen bei den derzeitigen makroökonomischen Bedingungen. So stieg die Zentralbankgeldmenge M0 seit Anfang 2008 im Zuge von QE1 um ca. 1200 Mrd. US-Dollar und die Geldmenge M2 ebenfalls um ca. 1200 Mrd. US-Dollar oder 15%. Legt man dasselbe absolute Größenverhältnis nun für QE2 zu Grunde, so würde eine Zunahme von M0 um 600 Mrd. US-Dollar einen Anstieg von M2 ebenfalls 600 Mrd. US-Dollar oder dann ca. 7% zur Folge haben. Der prozentuale Anstieg von M2 hängt vom Wachstumsverhältnis zwischen M0 und M2 ab, also dem Geldmultiplikator, der jedoch nicht stabil ist und im Zuge von QE1

regelrecht einbrach (siehe Chart: USA Geldmultiplikator). Möglicherweise sinkt der Geldmultiplikator bei QE2 weiter.

Auch die Geldumlaufgeschwindigkeit, die multipliziert mit der Geldmenge das nominale BIP ergibt und damit anzeigt, in welchem Maße sich die vorhandene Geldmenge in Wirtschaftswachstum übersetzt, ist mit Beginn der Finanzkrise deutlich gesunken (siehe Chart unten). Dieser Rückgang ist gewissermaßen ein Ausdruck dafür, dass das im Finanzsystem befindliche Geld in abnehmendem Maße für das Wirtschaftswachstum wirksam wird, sondern stärker im finanzwirtschaftlichen Kreislauf hängen bleibt. Der Chart seit 1960 suggeriert, dass der derzeitige Wert eher am unteren Ende seiner historischen Spanne ist. Dies ist aber nicht der Fall, denn 1932 war die Geldumlaufgeschwindigkeit in den USA

USA: M2 Geldumlaufgeschwindigkeit

Quelle: Bloomberg

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beispielsweise bei nur 1,17 und der Durchschnitt seit 1900 liegt bei 1,67, also ungefähr dem derzeitigen Niveau. Daher kann man sich angesichts der strukturellen Probleme der US-Volkswirtschaft einen weiteren Rückgang in den nächsten Jahren vorstellen. Ein Argument für dieses Szenario ist das Beispiel Japan, wo die Geldumlaufgeschwindigkeit seit Ausbruch der dortigen Finanzkrise 1990 von 0,9 auf heute nunmehr 0,6 gefallen ist. Gerade Japan führt uns deutlich vor Augen, dass auch sehr expansive Geld- und fiskalpolitische Maßnahmen unter Umständen nicht in der Lage sind, eine durch Überschuldung des Privatsektors und durch Überangebote auf den realen Gütermärkten geprägte Volkswirtschaft wieder nachhaltig auf Trab zu bringen. Wenn ein ansehnlicher Teil der Marktakteure, ob Unternehmen oder Privathaushalte, nach einer sehr bedrohlichen Krise mit der Reparatur ihrer Bilanz, also der langatmigen Rückführung ihrer Schulden beschäftigt ist, können Liquiditätsspritzen eben verpuffen, ohne eine große Wirkung auf die konjunkturelle Wachstumsdynamik zu entfalten. Die Entwicklung des Geldmultiplikators und der Geldumlaufgeschwindigkeit in den USA seit Ausbruch der Krise und dem Einsatz von QE1 deuten dort auf eine derartige Situation hin und legen den Verdacht nahe, dass auch QE2 letztlich wenig für die Realwirtschaft bringen wird.

Dem fragwürdigen Erfolgspotential dieser Politik stehen auf der anderen Seite auch Negativeffekte gegenüber. So könnten steigende Rohstoffpreise, insbesondere im Energie- und Lebensmittelsektor einen Kaufkraftentzug bei den Konsumenten bedeuten. Und sollte tatsächlich kurzfristig eine neue Bereitschaft zu Krediten hervorgerufen werden, könnte dies die bestehenden Überschuldungsprobleme zukünftig

noch vergrößern. Ein weiteres Problem ist inzwischen, dass sowohl die Finanzmärkte als auch die US-Volkswirtschaft in noch stärkere Abhängigkeit von der extrem expansiven Geldpolitik geraten sind.

Ein hauptsächlich durch monetäre Impulse motivierter Kursanstieg in den Risiko-Assetklassen beinhaltet ein signifikantes Rückschlagspotential und könnte dadurch den Keim zukünftiger Instabilität in sich tragen. Hinzu kommt das Risiko einer erneuten Kapitalfehlallokation in großem Stil. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie überhaupt eine Exit-Strategie noch aussehen könnte. Schon Greenspan tat sich sehr schwer, den Leitzins nach der Phase der damals als sehr extrem empfundenen Niedrigzinspolitik ab 2004 wieder anzuheben und tat dies in kleinen und jeweils vorher vorsichtig angekündigten Schritten. Aber Greenspan agierte in dieser Phase vor dem Hintergrund eines Immobilienbooms, optimistischer Verbraucher und eines kräftigen Wirtschaftswachstums. Davon ist die US-Volkswirtschaft derzeit weit entfernt und die Fed ist nun in der Position, dass schon die Ankündigung kleiner Änderungen ihrer Politik, vor allem wenn diese restriktiv sein sollten, starke Verwerfungen an den Finanzmärkten auslösen können.

US-Immobilien- und Arbeitsmarkt als Wachstums- und Inflationsbremse

Die Immobilienkrise war der Auslöser der allgemeinen Finanzkrise und der Rezession. Insofern können die Verhältnisse am Immobilienmarkt ein Schlaglicht auf die konjunkturelle Situation und die Wachstums- und Inflationsperspektiven insgesamt werfen. Im

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Falle einer signifikanten Erholung würde dies auf die gesamte Volkswirtschaft ausstrahlen. Davon kann aber nicht die Rede sein.

So stagnieren die Baubeginne oder der NAHB-Wohnungsmarktindex auf sehr niedrigem Niveau. Auch günstige Hypothekenzinsen haben bislang keine Belebung gebracht. Immerhin bestehen seit geraumer Zeit Stabilisierungstendenzen.

Die Häuserpreise sind 2010 nicht mehr weiter gefallen sondern leicht nach oben gedriftet. Auch ist das Angebot an neu gebauten Häusern inzwischen stark gesunken, da in der Krise immer weniger Häuser fertig gestellt wurden. Trotzdem liegt das Problem unverändert im generellen Überangebot an Wohnimmobilien nach dem Ende der Boomphase, was in der Krise dann durch anhaltende Zwangsversteigerungen noch verstärkt wurde. So liegt die Zahl der zum

Verkauf stehenden alten Häuser mit 3,5 Millionen nach wie vor fast doppelt so hoch wie in den zwanzig Jahren vor 2006, was sich auch in der durchschnittlichen Verkaufsdauer zeigt. Hier wurde vor Monaten sogar der höchste Wert von 2008 übertroffen. Angesichts des bestehenden Überangebots alter Häuser ist es unwahrscheinlich, dass in größerem Umfang wieder neu gebaut wird, auch wenn sich der Markt für Neubauten zunehmend entspannt.

Nennenswerte Wachstumsimpulse für die Konjunktur sind daher vom privaten Immobilienmarkt nicht zu erwarten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Mietwohnimmobilien. Hier ist die Leerstandsquote mit über 10% außerordentlich hoch (siehe Chart). Daraus lassen sich weder Anreize zum Bau von Mietwohnimmobilien noch steigende Mieten ableiten. Insgesamt ist der Häusermarkt als

USA: Mietleerstandsquote in %

Quelle: Bloomberg

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Ergebnis der geplatzten Immobilienblase durch Überkapazitäten gekennzeichnet, die wohl nur in einem langwierigen Prozess abgebaut werden können. Als Wachstumstreiber scheidet der Immobilienmarkt daher aus und die negativen Aspekte für Hausbesitzer und im Falle von Überschuldung auch für deren Kreditgeber bleiben bis auf weiteres bestehen.

Ein weiteres ernstes Problem für die US-Volkswirtschaft ist der schwache Arbeitsmarkt, der zwar ein allenfalls gleichlaufender wenn nicht nachlaufender Indikator für die Konjunktur ist, der aber für den mit ungefähr 70% der US-Nachfrage sehr wichtigen privaten Verbrauch von entscheidender Bedeutung ist. Hier ist folgendes Phänomen bemerkenswert: während in den 70er- und 80er-Jahren nach Ende einer Rezession die Konjunkturerholung sofort auf den Arbeitsmarkt übersprang und dort zu einem Beschäftigungsanstieg führte, ist dies seit den

90er-Jahren anders. So wirkte sich der Konjunkturaufschwung nach den Rezessionen 1990 und 2001 erst fünf Quartale nach seinem Beginn spürbar auf die Beschäftigung aus, und dann im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor auf eher bescheidene Weise. Eine Erklärung dafür ist, dass die Unternehmen seit den 80er-Jahren aufgrund ihrer geringeren Eigenkapitalausstattung nach einer Rezession vorsichtiger agieren und wesentlich zurückhaltender mit Neueinstellungen sind als früher. Auch könnte die stärkere Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland eine Rolle spielen. Für diesen verzögerten und geringeren Beschäftigungszuwachs wurde der Begriff

ür den aktuellen Konjunkturaufschwung seit Sommer 2009 voll berechtigt ist. So schnellte die Arbeitslosenrate im Zuge der Krise bis auf über 10% nach oben und ging seitdem nur geringfügig wieder zurück. Etwas deutlicher wird dies noch

USA: Anteil der angestellten Beschäftigten in % der Bevölkerung

Quelle: Bloomberg

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beim Anteil der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung, der in den letzten Monaten wieder fast auf den Tiefpunkt von 2009 zurückgefallen ist und sich auf dem niedrigsten Niveau seit fast dreißig Jahren befindet (siehe Chart)! Heute ist zudem der Anteil der berufstätigen Frauen größer als vor dreißig Jahren. Eine neue Erfahrung für die USA ist der in der Krise enorm gestiegene Anteil an Langzeitarbeitslosen, deren Einstellungschancen bei andauernder Arbeitslosigkeit schwinden. Von Ende 2007 bis Ende 2009 gingen ungefähr 11,5 Mio. Vollzeit-Arbeitsplätze verloren. Nachdem bis Mai 2010 immerhin wieder 2,5 Mio. hinzukamen, wurden bis letzten Oktober erneut über eine Million wieder abgegeben. Das Wirtschaftswachstum ist einfach zu schwach, um einen nachhaltigen und hinreichenden Aufbau an Arbeitsplätzen zu gewährleisten. Ein weiterer Grund dürfte auch in der generellen Zurückhaltung der Unternehmen nach der sehr schweren Krise liegen. Entsprechend wird Kasse vorgehalten und nur zögerlich neu eingestellt. Die bestehenden Überkapazitäten tragen ebenfalls zu einer abwartenden Haltung bei. An diesen Umständen wird sich unserer Ansicht nach so schnell nichts ändern, so dass wir auf längere Sicht von einer hohen Arbeitslosigkeit ausgehen. Die Tatsache, dass die letzte Rezession einschneidender und krisenhafter war als die zwei vorhergegangenen, könnte nun auch eine noch schwerfälligere Erholung am Arbeitsmarkt als in den zwei Fällen zuvor nach sich ziehen. Entsprechend dürfte auch die Konsumneigung tendenziell gehemmt bleiben.

Insgesamt gehen wir von einem fortgesetzten Aufschwung aus, der aber trotz der erneuten monetären Impulse unterdurchschnittlich bleibt und nur allmählich mit einer langsamen

Verbesserung der Situation auf dem Immobilien- und Arbeitsmarkt verbunden sein dürfte.

Inflationsperspektiven

Wenn zwei für die Konsumentenpreisentwicklung so zentrale Bereiche wie der Wohnimmobilienmarkt und der Arbeitsmarkt in ernsten und anhaltenden Schwierigkeiten stecken wie in den USA, ist schwer vorstellbar, dass die Inflation ansteigen sollte, eher im Gegenteil.

Trotzdem herrscht bei vielen Marktbeobachtern eine grundlegende Inflationsfurcht vor. Als Gründe werden neben dem Konjunkturaufschwung vor allem die extrem expansive Geldpolitik sowie die ausufernde Staatsverschuldung angeführt, die zumindest mittelfristig einen Inflationsschub auslösen sollten, verbunden möglicherweise mit einem grundsätzlichen Vertrauensverlust in die Werthaltigkeit des nicht goldgedeckten Geldes. Ausdruck dieser Denkrichtung ist der Goldpreis, der seit 2001 mit der einsetzenden Niedrigzinspolitik unter Greenspan enorm angestiegen ist. Dieser Anstieg hat sich wegen der unkonventionellen monetären Lockerungspolitik unter Bernanke noch beschleunigt.

Die steigenden Geldmengen wirken in der Tat perspektivisch inflationär. Die für die Finanzmärkte entscheidende Frage ist aber, ob und in welchem Maße der Geldmengenzuwachs die Realwirtschaft erreicht und dort zur Inflation führt, oder ob diese Liquiditätsspritzen letztlich überwiegend oder sogar ausschließlich im finanzwirtschaftlichen Kreislauf hängen bleiben und dort lediglich eine Inflation bei den

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Vermögenswerten hervorrufen. Die Erfahrung der letzten Jahre ist, dass immer größere geld- und fiskalpolitische Anstrengungen unternommen werden müssen, um die durch strukturelle Verschuldungsprobleme belastete Wirtschaft anzukurbeln und dass deren inflationäre Effekte nur in begrenztem Maße auf der Konsumentenpreisebene wirksam werden. So sinken die Kerninflationsraten in den westlichen Industrieländern im Trend seit Jahren, während es bei den Assetklassen Aktien, Immobilien und Rohstoffe zu Vermögensblasen kam. Sollte es diesmal anders sein, nur weil die US-Notenbank angesichts eines bei null Prozent

liegenden Leitzinses zum Mittel einer unkonventionellen Politik wie der monetären Lockerung greift oder greifen muss?

Aus der obigen Analyse des Geldmultiplikators und der Geldumlaufgeschwindigkeit in den USA leiten wir ab, dass der

Transmissionsmechanismus von Geldpolitik zur Realwirtschaft signifikant beeinträchtigt ist. Aus den monetären Aspekten lassen sich daher nur sehr bedingt Inflationsgefahren für die realen Gütermärkte ableiten. Dort hat sich nämlich das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage in den letzten Jahren aufgrund der Verschuldungssituation auf der Nachfrageseite in Richtung geringerer Nachfrage verschoben, so dass dort zunehmend deflationäre Tendenzen im Preisfindungsprozess die Oberhand gewinnen. Dies zeigt sich im tatsächlichen Verlauf der US-Kerninflationsrate (siehe Chart), die im letzten Oktober auf den niedrigsten Wert seit

Datenerhebung 1958 sank. Mit zuletzt nur noch 0,6% ist die 0%-Marke nicht mehr weit entfernt. Bedenklich sind insbesondere die jüngsten Daten des Kerninflationsindex, der von Juli bis Oktober quasi unverändert blieb. Setzt sich diese Entwicklung fort, fällt die Kerninflationsrate auf null Prozent. Sowieso ist inzwischen ein derart

USA: Kerninflationsrate in %

Quelle: Bloomberg

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niedriges Niveau erreicht, dass ein weiteres Absinken der Kerninflation das Thema Deflation auf die Tagesordnung der Finanzmärkte bringen dürfte.

Wird die US-Kerninflation nun weiter fallen und wenn ja wie tief? Aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und dem aktuellen makroökonomischen Umfeld lassen sich keine eindeutigen Aussagen ableiten. Immerhin befindet sich die USA in einem Konjunkturaufschwung und das Rezessionsende liegt nun schon eineinhalb Jahre zurück.

Seit den 70er-Jahren erreichte die Kerninflationsrate ihren zyklischen Tiefpunkt durchschnittlich 21 Monate nach Rezessionsende. In der derzeitigen Konjunkturerholung läge dieser Zeitpunkt im ersten Quartal 2011. Aus der Produktionslücke (output gap), der Differenz zwischen potentieller und tatsächlicher Produktion, die im

zeitverzögerten Zusammenhang mit der Kerninflation steht (siehe Chart oben) ergeben sich unterschiedliche Schlussfolgerungen. Einerseits lag die Kerninflationsrate in den letzten zwanzig Jahren nur dann signifikant über ihrem Vorjahreswert, wenn positive Werte bei der Produktionslücke zu verzeichnen waren. Davon sind wir mit aktuell sehr negativen Werten deutlich unter dem Tiefpunkt von 2003 weit entfernt. Von daher ist ein Anstieg der Kerninflationsrate auf Jahressicht eher unwahrscheinlich. Andererseits steigen die Werte der Produktionslücke seit einigen

Quartalen an, was zumindest für einen geringeren Rückgang der Kerninflationsrate in zwölf Monaten spricht.

Ein normales Szenario auf Sicht eines Jahres wäre aufgrund dieser Überlegungen, dass die Kerninflationsrate noch etwas sinkt, um sich dann auf dem dann niedrigeren Niveau

USA: Produktionslücke und Kerninflation in %

Quelle: Bloomberg

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einzupendeln oder geringfügig zu steigen. Dies ist auch unser Hauptszenario. So erwarten wir, dass die US-Kerninflation weiter nach unten driftet und sich dann auf sehr niedrigem Niveau bei ungefähr null Prozent erst einmal stabilisiert.

Die Risiken der Inflationsentwicklung sind aber laut unserer Einschätzung klar in Richtung nach unten. Zu groß ist die Jobmisere und zu groß ist der Preisdruck bei Wohnimmobilien und den dazugehörigen Mieten nach unten. Man kann einfach nicht ausschließen, dass sich die bestehenden deflationären Preistendenzen verstärken. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die konjunkturellen Auftriebskräfte erlahmen sollten.

Der Euro-Raum weist etwas höhere Inflationsraten aus als die USA. Die Teuerungsrate liegt auf knapp unter 2% und damit im Zielbereich der EZB. Allerdings dürfte

sie aufgrund statistischer Basispreise im Energie- und Lebensmittelbereich in den kommenden Monaten wieder absinken. Aber die Kerninflation liegt mit ungefähr 1% deutlich unter diesen 2% und damit im Bereich des vor 2010 tiefsten Niveaus vom Jahr 2000 (siehe Chart). Die großen wirtschaftlichen Probleme der überschuldeten Peripherieländer, die aufgrund angestrengter Sparbemühungen teilweise in der Rezession sind, wirken stark deflationär. Auch der Wachstumsmotor Deutschland verzeichnet trotz der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt einen sehr geringen Preisauftrieb. Insgesamt rechnen wir mit einer entspannten Inflationsentwicklung, wobei sich die Kerninflation wieder leicht nach unten orientieren dürfte.

Euro-Raum: Inflationsraten in %

Quelle: Bloomberg

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Leitzinspolitik

Im Frühjahr 2010 wurde über eine Exit-Strategie der US-Notenbank diskutiert. Tatsächlich kündigte die Fed im März 2010 das Ende des Quantitative Easing an und erste Spekulationen über mögliche erste Zinserhöhungen zu einem späteren Zeitpunkt machten die Runde. Nur einige Monate später hat sich diese Sichtweise vollkommen gewandelt und die Fed sah sich aufgrund der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und wohl auch angesichts der damaligen Schwächephase an den Aktienmärkten genötigt, die Politik des Quantitative Easing abermals aufzunehmen.

Der schon mit der ersten Ankündigung von QE2 einsetzende und seitdem fortgesetzte Kursanstieg der Risiko-Assetklassen verdeutlicht, wie abhängig die Finanzmärkte inzwischen von der Droge billiges Geld sind. Der Fed wird es daher schwer fallen, von dieser Politik wieder abzurücken, da signifikante Kurseinbrüche an den Aktienmärkten vor dem Hintergrund der fragilen Verfassung der US-Volkswirtschaft schnell die reale Konjunktur rückkoppelnd belasten können.

Hier spielt auch die Erfahrung von 1937 eine Rolle. Damals hatte die Fed nach einer mehrjährigen Konjunkturerholung 1936 beginnend die Mindestreservesätze für Sichteinlagen von Banken angehoben, weil sie den hohen Bestand der bei der Zentralbank gehaltenen Überschussreserven im möglichen Fall einer massiven Kreditausweitung als Risiko für die Preisstabilität betrachtete. Diese hohen Überschussreserven wurden jedoch von den Geschäftsbanken als Sicherheitspuffer nach den traumatischen Erlebnissen der Großen Depression angesehen, so dass diese mit einer

restriktiveren Kreditvergabe reagierten. Da gleichzeitig auch Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergriffen wurden, geriet die USA 1937 erneut in eine Rezession, die ebenfalls von einer Deflation begleitet war. Diese historische Erfahrung wird die Fed in ihren Erwägungen hinsichtlich einer Exit-Strategie einfließen lassen und im Zweifelsfall eher später als früher agieren.

Angesichts einer Kerninflation von deutlich unter 1% und einer hohen Arbeitslosigkeit besteht sowieso kein Anlass, über eine restriktivere Geldpolitik nachzudenken. Viel eher könnte unseres Erachtens der Fall eintreten, dass aus Sicht der Fed ein QE3, also eine nächste Stufe der monetären Lockerung notwendig ist. Insgesamt gehen wir für 2011 davon aus, dass die unkonventionelle Geldpolitik beibehalten wird und der Leitzins bei quasi 0% verharrt.

Auch für den Euro-Raum erwarten wir einen unveränderten Leitzins. Die großen wirtschaftlichen Probleme der Peripherieländer und die geringe Kerninflation lassen unseres Erachtens 2011 keinen Raum für Zinserhöhungen. Umgekehrt ist auch eine Zinssenkung sehr unwahrscheinlich, da sich der Euro-Raum insgesamt in einem Wirtschaftsaufschwung befindet und eine Schwächung des Euros von dieser Seite wohl kaum erwünscht ist, nachdem die europäische Einheitswährung seit geraumer Zeit an den Finanzmärkten sogar grundsätzlich in Frage gestellt wird.

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Bewertung des Rentenmarkts

Unser Bewertungsmodell für den US-Bondmarkt gibt einen fairen Wert für den Zinssatz 10-jähriger Treasuries an. Es gehen als erklärende Variable lediglich der Frühindikator, die Gesamt- und Kerninflationsrate sowie der Geldmarktzins der USA ein. Entscheidender Gedanke ist, dass die an die Inflationserwartung gekoppelte Inflationsrisikoprämie für 10-jährige Treasuries durch die Inflationserfahrung des jeweils letzten Konjunkturzyklus erklärt wird. Unser FairValue-Modell reicht bis 1958 zurück und umfasst damit unterschiedlichste Phasen von Zinstrends und Zinsniveaus. Für seinen langen Zeithorizont von über 50 Jahren hat die Differenz des fairen Werts zum historischen 10J-Zins eine sehr niedrige Standardabweichung von nur 62 Basispunkten.

Im kürzeren Rückblick seit 1999 zeigt sich ein ähnlicher Verlauf des 10J-Zins und seines fairen

Werts (siehe Chart). Beide liegen aktuell eng beieinander, so dass nach unserem Modell weder eine Über- noch eine Unterbewertung des US-Bondmarkts festzustellen ist. Es lohnt sich, den Kursverlauf des fairen Werts seit Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 nachzuzeichnen. Mit Beginn der Krise sank der faire Wert von 4,8% auf 2,7% im März 2009. Hier wurde das absolute Konjunkturtief in den USA erreicht und mit der einsetzenden Konjunkturerholung kletterte der faire Wert wieder bis auf 3,4% im März 2010. Interessanterweise war dies genau die Zeitspanne, die zwischen der Kaufankündigung der Fed von Treasuries im Volumen von 300 Mrd. US-Dollar im Zuge von QE1 und dem propagierten Ende dieser Politik des Quantitative Easing lag. Der Zinsanstieg in dieser Phase dürfte aber weniger mit den Käufen der Fed zu tun haben, sondern vielmehr mit dem Konjunkturaufschwung. Seit März 2010 sinkt der

USA: 10J-Zins und fairer Wert in %

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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faire Wert nun wieder und scheint sein bisheriges Tief vom März 2009 anzusteuern. Es gibt mehrere Ursachen für diesen Rückgang. Erstens geht unter anderem die Jahresveränderung des US-Frühindikators in das Modell mit ein und diese hatte im März 2010 mit fast 12% ihren Hochpunkt erreicht und fällt seitdem. Die nachlassende Wachstumsdynamik der US-Konjunktur schlägt sich hier nieder. Zweitens sank die Kerninflationsrate. Und drittens blieben die Geldmarktzinsen unten, was sich im Modell erst noch mit Zeitverzug auswirkt. Der Einfluss dieser drei Faktoren wird sich nach unserer Einschätzung in den ersten Monaten 2011 nicht ändern. So erwarten wir einen weiteren Rückgang des Frühindikators zu seinem Vorjahreswert von aktuell 6% auf ungefähr 3% im Jahresverlauf 2011, ein weiteres Absinken der Kerninflation und unverändert niedrige Geldmarktzinsen.

Im Ergebnis für den fairen Wert ist unsere Prognose, dass dieser in der ersten Jahreshälfte 2011 unter das Tief von März 2009 in den Bereich zwischen 2,0% und 2,5% sinkt, um dann erst einmal in eine Seitwärtsbewegung überzugehen. Aus diesem Szenario leiten wir unsere Erwartung für den 10J-Zins ab, der sich am fairen Wert orientieren dürfte. So rechnen wir aus heutiger Sicht mit einem wieder freundlichen Umfeld für Treasuries, in dem der 10J-Zins das lokale Zinstief vom Oktober 2010 bei ungefähr 2,3% zumindest testet und eventuell dann auch etwas unterschreitet. Sollten die Aktienmärkte im Jahresverlauf 2011 signifikant einbrechen, wäre auch ein stärkerer Zinsrutsch bei Treasuries denkbar. Die Auswirkungen der angekündigten Treasury-Käufe der Fed auf den 10J-Zins wurden in Untersuchungen mit einem Zinsrückgang von ungefähr 70 Basispunkten quantifiziert. Diesen Käufen stehen aber auch

Verkäufe von privater Seite sowie Neuemissionen der US-Fiskalbehörden gegenüber, so dass der US-Bondmarkt trotz diesen manipulierenden Aktivitäten der Fed sein Gleichgewicht suchen wird und daher aus unserer Sicht derartige Quantifizierungen sehr fragwürdig sind.

Der deutsche 10J-Zins wird sich an seinem US-Pendant orientieren, ist aber unserer Meinung nach schwerer zu prognostizieren. Dies liegt an den Umständen der europäischen Schuldenkrise, die das Thema Bonitäten von Euro-Mitgliedsländern und die Frage der Mithaftung Deutschlands für Schulden anderer Euro-Staaten auf die Tagesordnung der Finanzmärkte brachte. Hier herrscht Ungewissheit.

Für den deutschen 10J-Zins verwenden wir ein Bewertungsmodell, das sich aus dem fairen Wert des 10J-Zins am US-Bondmarkt als dem internationalen wegweisenden Rentenmarkt, und der Dreimonats-Zinsdifferenz zur USA ableitet. Dieses Modell reicht nur bis 1999 zurück, um die Strukturbrüche in Deutschland durch die Wiedervereinigung und später durch die europäische Währungsunion weg zu lassen. Unser Modell war bislang verlässlich und hat besonders in den Jahren 2004 und 2005 sehr gut funktioniert. Damals machte der von Greenspan geprägte Begriff Conundrum die Runde, der das Unverständnis vieler Marktteilnehmer über anhaltend tiefe und sogar noch sinkende 10J-Zinsen trotz einer anziehenden Konjunktur und ersten Zinsschritten nach oben zum Ausdruck brachte. Unser Modell zeigte dagegen in dieser Phase völlig korrekt einen fallenden fairen Wert des deutschen 10J-Zins an (siehe Chart).

2010 war dieses Bewertungsmodell jedoch irreführend, nicht was die Richtung des 10J-Zins

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betraf, aber sein Niveau. Sowohl der faire Wert für den amerikanischen wie auch der für den deutschen 10J-Zins sanken nach einem lokalen Hochpunkt ab März 2010. Aber während der amerikanische 10J-Zins erst danach seinen fairen Wert signifikant unterschritt, geschah dies beim deutschen 10J-Zins bereits im Herbst 2009. Und ab Mai 2010 fiel der deutsche 10J-Zins sehr weit über das Normalmaß hinaus in den Bereich von drei bis vier Standardabweichungen unter seinen fairen Wert.

Der Grund für diese eklatante Abweichung liegt offensichtlich in der mit den Finanzproblemen Griechenlands im Herbst 2009 aufgekommenen und im Frühjahr 2010 dann dramatisch verschärften europäischen Schuldenkrise, die einen außerordentlichen Bonitätsbonus Deutschlands brachte. Dies ist letztlich als Strukturbruch anzusehen, der von unserem Bewertungsmodell nicht erfasst wird. Es ist

schwierig, diesen unterstellten Bonitätsbonus Deutschlands zu quantifizieren. Man könnte dies eventuell durch den nach Größe der Volkswirtschaft gewichteten Staatsanleihen-Zinsspread der Peripherieländer Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien über Bundesanleihen tun und so das Bewertungsmodell modifizieren. In der Tat verbessert sich dadurch das Modell, denn ein so modifizierter fairer Wert bildet den starken Zinsrückgang 2010 auf ein neues historisches Tief recht gut ab (siehe Chart). Dafür lag der

Tiefpunkt des modifizierten fairen Werts im März 2009 deutlich unter dem nicht modifizierten und damit auch unter dem tatsächlichen 10J-Zins. Bis zum Herbst 2009 ist das ursprüngliche Bewertungsmodell besser und danach das modifizierte. Dies zeigt, dass Bundesanleihen tatsächlich seit gut einem Jahr ein Bonitätsbonus zugestanden wird.

Deutschland: 10J-Zins, ursprünglicher und modifizierter Wert in %

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Problematisch ist aber, dass dieser Bonus für die bessere deutsche Kreditwürdigkeit im Zeitablauf wohl nicht stabil ist, vor allem weil sich die Marktbeurteilung in der Frage nach der Mithaftung Deutschlands für die Schulden anderer Euro-Mitgliedsstaaten wandelt, aber auch weil das Thema europäische Schuldenkrise wieder in den Hintergrund rücken kann oder weil aus ganz anderen Gründen generell eine andere Bewertung von Bonitätsunterschieden an den Zinsmärkten vorgenommen wird. Diese Bewertungsänderungen lassen sich kaum greifen, so dass der unterstellte Bonitätsvorteil deutscher Bundesanleihen nur mit großer Vorsicht quantifiziert werden sollte.

Wir selbst sind in dieser Frage 2010 einer Fehleinschätzung unterlegen. Als im Mai in Notsitzungen die Hilfsmaßnahmen für Griechenland sowie der gewaltige 750 Mrd. Euro umfassende Rettungsschirm beschlossen wurden, war dies für uns ein wohl unumkehrbarer Schritt in die Mithaftung Deutschlands und wir hätten eine negative Reaktion bei Bundesanleihen erwartet. Aber schon nach kurzer Zeit trat das Gegenteil ein und Bundesanleihen waren mehr gefragt als zuvor. Eher umgekehrt war es dann im November, als sich Irland zur Inanspruchnahme des EU-Rettungsfonds durchrang. Diesmal kam es nicht zu einer Flucht in Qualität, sondern Bundesanleihen verloren ebenfalls, obwohl sich die Spreads der Staatsanleihen der Peripherieländer massiv ausweiteten.

Dieses Beispiel einer unterschiedlichen Reaktion und Marktbewertung an den Zinsmärkten zeigt, wie schwer es ist, vor dem Hintergrund der europäischen Schuldenkrise mit ihren unwägbaren und womöglich dramatischen Folgen gerade auf die Staatsanleihenmärkte

einen fairen Wert für den Zinssatz einer 10-jährigen Bundesanleihe zu taxieren. Das ursprüngliche Bewertungsmodell weist im November einen fairen Wert von 3,22% aus, das modifizierte einen von 2,31%, eine Diskrepanz von ca. 90 Basispunkten. Beide Modelle sind zu hinterfragen, das eine, weil der zweifellos eine Rolle spielende Bonitätsbonus Deutschlands nicht erfasst wird, das andere, weil dieser Bonus eine unterschiedliche und unklare Bewertung am Markt erfährt.

Letztlich hängen diese Bewertungsaspekte vom weiteren Verlauf der europäischen Schuldenkrise und den politischen Reaktionen und Regelungen ab.

Europäische Schuldenkrise

Die im Herbst 2009 aufgebrochene Krise der griechischen Staatsfinanzen hat sich im ersten Halbjahr 2010 zu einer europäischen Schuldenkrise ausgeweitet, in deren Verlauf der Euro zeitweise stark verlor und grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Auch die Finanzierungsfähigkeit der anderen sogenannten Peripherieländer Irland, Portugal, Spanien und Italien wurde prinzipiell in Zweifel gezogen.

Im Zuge dieser Krise hat sich Europa als inkohärentes und entscheidungsschwaches Politikgebilde erwiesen. So war ein katastrophales Krisenmanagement zu verzeichnen und es gelang nicht, die europäische Gemeinschaftswährung durch geeignete politische Entscheidungen aus der Schusslinie zu bringen. Unter dem Druck der Finanzmärkte kam es im Mai zu kurzfristigen Entscheidungen, die Hilfsmaßnahmen für Griechenland sowie die Gründung eines milliardenschweren Rettungsfonds bedeuteten. Dies beinhaltete

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auch die im Grunde vertragswidrige Missachtung der no-bailout-Klausel, was Fragen zur generellen Gültigkeit zukünftiger EU-Verträge aufwirft. Die EZB unterstützte diese Hilfsmaßnahmen flankierend, indem sie die Forderung nach einem Mindest-Rating bei als Sicherheit hinterlegten griechischen Staatsanleihen aussetzte und begann, Staatsanleihen der hochverschuldeten Krisenländer zu kaufen. Im Spätherbst rang sich dann Irland zur Inanspruchnahmen des Rettungsfonds durch, nachdem die Krise erneut hochgekocht war, und die europäischen Politiker verabschiedeten ein Rettungspaket für Irland. Über einen dauerhaften Krisenmechanismus gibt es einen deutsch-französischen Vorschlag, der noch nicht beschlossen ist.

Dieses Krisenmanagement zeigt die generellen Unzulänglichkeiten und Unklarheiten der Entscheidungsprozesse der politischen Einheiten bzw. Organisationen EU, Euro-Raum und EZB auf. Zweifel sind berechtigt, ob es zu einer tragfähigen und zukünftig krisenfesten Lösung kommt. Zu schwach und uneinig scheint die politische Führung, zu viele Fragen sind offen.

Wie sollen oder können die ernsten wirtschaftlichen Probleme von nicht wettbewerbsfähigen und überschuldeten Euro-Mitgliedsländern, denen das Mittel einer Währungsabwertung fehlt, gelöst werden? Könnte die geplante Haushaltskonsolidierung diese Länder hinsichtlich ihrer politischen Stabilität überfordern? Kommen die krisengeschüttelten Länder aus ihrer Schuldenspirale heraus? Oder ist die Insolvenz eines Euro-Mitgliedslands realistisch, und was passiert in einem solchen Fall? Soll es ein geordnetes Insolvenzverfahren für Euro-Staaten geben und wie sieht das dann aus? Wie sind die Haftungsfragen zu sehen? Werden private

Gläubiger beteiligt und wenn ja in welchem Maße? Wie wird die Mithaftung zwischen den Gläubigerländern des Euro-Raums und anderen Gläubigern aufgeteilt, und in welcher Rangfolge?

Eine Fülle weiterer Fragen könnte gestellt werden. Auch lassen sich verschiedene Szenarien bis hin zum Auseinanderbrechen der Währungsunion ausmalen. Die Situation ist unklar und verfahren. Bei all den offenkundigen politischen Unzulänglichkeiten und auch angesichts der eindeutigen Überschuldung einzelner Euro-Mitgliedsländer sollte aber nicht vergessen werden, dass die Verschuldungssituation im Euro-Raum insgesamt wesentlich weniger prekär ist als beispielsweise in Großbritannien oder den USA (siehe Chart)! Und diese beiden angelsächsischen Länder haben im Vergleich zum Euro-Raum eine geringere Sparquote, eine negative Leistungsbilanz und sind zudem in stärkerem Maße abhängig von der in einem langatmigen Konsolidierungsprozess stehenden Finanzindustrie. Hinzu kommt, dass die EZB sowohl beim Leitzins als auch bei der monetären Lockerung zumindest bislang eine solidere Politik als die angelsächsischen Notenbanken betreibt. Gerade im internationalen Kontext sollten die Schuldenprobleme des Euro-Raums etwas ausgewogener und weniger dramatisch gesehen werden.

Ein weiterer Punkt sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Im Euro-Raum werden nun bereits seit einiger Zeit ambitionierte Anstrengungen zur Konsolidierung der Staatshaushalte unternommen. Anderen Ländern außerhalb des Euro-Raums steht ein solcher Prozess wohl erst noch bevor. Außerdem wurden seitens der Gläubigerländer nur Kreditgarantien gegeben. Geld fließt bislang

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nicht. Und wenn direkte Kredite an die Krisenländer gegeben werden, könnten sich diese auch als gutes Geschäft erweisen. Ein Haftungsfall ist bisher nicht eingetreten. Zwar ist ungewiss, ob beispielsweise Griechenland oder Irland ihre gewaltigen Schulden im Lauf der Zeit abtragen oder zumindest reduzieren können, aber es ist ein Szenario denkbar, bei dem dies gelingt.

Unseres Erachtens ist der Wille zur politischen Einheit im konsensorientierten Europa trotz aller nationalen Befindlichkeiten so stark, dass diese

Krise letztlich ohne ein Auseinanderbrechen der Einheitswährung beigelegt wird. Dies ist unser Hauptszenario. Wie lang dieser Prozess währt, welche Kompromissformel in Haftungs- und Finanzierungsfragen schließlich gefunden wird, ist dabei unklar. Der Euro-Raum könnte dann auch gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Das Risiko ist aber, insbesondere im Fall einer tatsächlichen Staatspleite innerhalb des Euro-Raums, dass politische Fliehkräfte die Oberhand gewinnen und entsprechende politische Prozesse eigendynamisch aus dem Ruder laufen.

In der Frage, in welchem Maße die europäische Schuldenkrise von Vorteil für die Kreditwürdigkeit von Bundesanleihen ist, sind wir angesichts der Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der möglichen Mithaftung Deutschlands für die Schulden anderer Euro-Staaten unsicher. Wir halten einen

Bonitätsbonus Deutschlands für gerechtfertigt, sehen diesen aber schwer abzuschätzenden Schwankungen unterworfen. Die in Deutschland vorgesehene grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse sowie die positive Entwicklung der deutschen Konjunktur tragen zumindest zu einer positiven Bewertung von Bundesanleihen unter Bonitätsaspekten bei.

Verschuldungssituation USA, Großbritannien und Euro-Raum in den letzten Jahren

Quelle: bis 2009 Bloomberg, ab 2010 Tiberius

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Fazit

Insgesamt sehen wir im Zinsanstieg am Rentenmarkt seit Anfang September nicht die große Zinswende und gehen aus fundamentalen Gründen von einem wieder freundlichen Umfeld für Staatsanleihen 2011 aus. Die Gründe sind unverändert niedrige Leitzinsen, deflationäre Preistendenzen sowie ein zwar fortgesetzter aber insgesamt unterdurchschnittlicher Wirtschaftsaufschwung, der in den USA wegen der strukturellen Schwäche am Immobilien- und Arbeitsmarkt und im Euro-Raum wegen den großen Sparanstrengungen in den Peripherieländern gehemmt bleibt. Die in den USA angewandte Politik der monetären Lockerung dürfte unseres Erachtens abermals nur eine begrenzte positive Wirkung auf das reale Wirtschaftswachstum haben.

Für den fairen Wert des Zinssatzes 10-jähriger Treasuries unseres Bewertungsmodells erwarten wir einen Rückgang in der ersten Jahreshälfte 2011 unter das Tief vom März 2009 in den Bereich zwischen 2,0% und 2,5% und anschließend eine Seitwärtsbewegung. Daran wird sich wohl auch der tatsächliche 10J-Zins orientieren, der zumindest das lokale Zinstief vom Oktober 2010 bei ungefähr 2,3% testen und eventuell unterschreiten dürfte. In einer ausgeprägten Schwächephase an den Aktienmärkten ist auch ein stärkerer Zinsrutsch bei Treasuries denkbar. Der Zinssatz 10-jähriger Bundesanleihen dürfte in der Grundbewegung den Vorgaben vom US-Bondmarkt folgen. Dabei halten wir es für unwahrscheinlich, dass der Zinssatz 10-jähriger Bundesanleihen signifikant über dem 10-jähriger Treasuries notiert, da Bundesanleihen eigentlich eine höhere Qualität als Treasuries zuerkannt werden sollte. Die Bewertung der Kreditwürdigkeit Deutschlands

könnte aber deutlichen und schwer abzuschätzenden Schwankungen aufgrund der europäischen Schuldenkrise ausgesetzt sein.

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Die Bewertung von Währungen ist in den letzten Jahrzehnten immer komplexer geworden. In den Zeiten des ersten und zweiten Goldstandards (1870-1914 und 1919-1931) ergaben sich währungsbeeinflussende, grenzüberschreitende Kapitalflüsse praktisch nur als Folge der internationalen Handelsbilanzen. Mit dem Zusammenbruch des Systems der festen Wechselkurse von Bretton Woods und dem Siegeszug der Computertechnologie, die Milliardentransaktionen in Sekundenschnelle ermöglicht, hat sich das Gewicht der Währungskursvariablen auf Kapitalflüsse, die vom internationalen Warenhandel unabhängig sind, verschoben.

Das auf Bretton Woods folgende System variabler Wechselkurse ist nie klar definiert worden. Zwar hat der US-Dollar als Repräsentant der damaligen wirtschaftlichen und militärischen Dominanz der USA die Führungsrolle geerbt, Unklar sind jedoch die Rechte und Pflichten, die sich daraus ergeben. Inwiefern muss die US-Geldpolitik den Aufbau und die Entwicklung von Währungsreserven ins Kalkül ziehen und wie weit darf sie sich auf hausgemachte Problemfelder fokussieren? Wer trägt die Anpassungslasten für Handelsungleichgewichte, die Defizit- oder die Überschussländer? Wie kann der Übergang von einem unipolaren System nach dem Ende des Kalten Krieges zu einem multipolaren Währungssystem gelingen?

Diese Fragen wurden von den USA in früheren Euer

Probbeantwortet. Heute hat sich die Diskussion gewandelt. Erstmalig nahm eine Wirtschaftskrise nicht in den Schwellenländern, sondern direkt in den USA ihren Ausgang. Das amerikanische Wirtschaftsmodell, die Verschuldungsorgie in

den westlichen Industriestaaten und die wirtschaftspolitischen Reaktionen darauf werden heute wesentlich kritischer beäugt als noch vor

der Form des letzten Jahrzehnts nicht geben. Gleichzeitig ist mit dem Euro ein Konkurrent aufgetaucht, der zwar eine der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt repräsentiert, aber dessen Währungsverbund gleichzeitig eine Vielzahl von Schwächen aufweist.

Außenwirtschaftssalden für Währungsprognose 2011 nicht entscheidend

Das Jahr 2010 hat erneut die Frage aufgeworfen, welches denn die entscheidenden fundamentalen Faktoren in der Währungsanalyse sind. Relativ eindeutig lässt sich auf der Basis der vergangenen Jahrzehnte sagen, dass die Betrachtung der außenwirtschaftlichen Salden kaum eine vernünftige Prognose ermöglicht. Zwar stehen außenwirtschaftlichen Defiziten gemäß dem Postulat einer stets ausgeglichenen Zahlungsbilanz immer ein entsprechender Zuwachs der Auslandsverschuldung (und vice versa) gegenüber, jedoch kann dieser Effekt durch die Neigung des Auslands, Währungsreserven aufzubauen, überkompensiert werden. Gerade dies war bei den USA der Fall. Die Defizite in der US-Leistungsbilanz sind zwar seit Mitte der neunziger Jahre stetig auf zwischenzeitlich 7% des BIP angestiegen, was allerdings in der Summe bisher nur einen relativ geringen Wertverfall des US-Dollars bewirkt hat, da ausländische Notenbanken bereitwillig die daraus resultierenden Verbindlichkeiten als Währungsreserven gehortet haben.

WÄHRUNGSMARKT-PERSPEKTIVEN 2011 Autor: Markus Mezger

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Offensichtlich sind die strukturellen Defizite in der US-Außenbilanz problemlos finanzierbar, solange die USA die Leitreservewährung stellen und der Bedarf an Währungsreserven aufstrebender Volkswirtschaften noch hoch ist. Wir wollen weiter unten erörtern, inwieweit wir diese Voraussetzung auch in 2011 gegeben sehen.

Nominale und reale Zinsunterschiede liefern 2011 keine nennenswerte Impulse

Anhand der Leistungsbilanzsalden lässt sich auch die Achterbahnfahrt während der

erklären. Vielmehr scheint in dieser Zeit die ReaRolle gespielt zu haben. Mitte der achtziger Jahre betrug der Zinsvorteil von US-Dollar

Geldmarktanlagen gegenüber der Deutschen Mark rund 6% und gegenüber dem Japanischen Yen knapp 8%. Bis Mitte 1985 wertete der Greenback gegenüber beiden Konkurrenzwährungen kräftig auf. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre verfielen Zinsvorteil und Außenwert des US-Dollar im Gleichschritt bevor von Mitte der neunziger Jahre bis zum neuen Jahrtausend der Technologieboom der US-Währung erneut einen Zinsvorteil und Kursgewinne bescherte.

Dennoch ließ sich mit Wechselkursprognosen, basierend auf der vorausgegangenen Änderung des Zinsabstands kaum Geld verdienen. Dies lag zum Einen daran, dass die US-Leitzinserhöhungen der Jahre 2004-2006 und der daraus resultierende Zinsvorteil des US-Dollars komplett vom Markt ignoriert wurden. Zum Anderen gehen die Inflationsentwicklungen, der

US-Leistungsbilanz und US-Dollar-Index

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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zentrale Parameter der Kaufkraftparitätentheorie, nicht in die Nominalzinsbetrachtung ein. Doch auch die Realzinsentwicklungen zeichnen kein grundsätzlich anderes Bild. Die realen Geldmarktrenditen zeigen in den drei großen Währungsräumen seit Mitte der neunziger Jahre einen klaren Abwärtstrend. Keine der großen Währungen mag sich angesichts der Verschuldungsexzesse der letzten Jahre einen Realzins oberhalb der Nullprozent-Schwelle leisten.

Möglicherweise bedarf es sogar über längere Zeit negativer Realzinsen, um die Schuldenlast etwas mehr von den Schultern der Schuldner auf die Gläubiger zu verlagern. Die negativen Realzinsen in den USA in den Jahren 2002 bis 2005, als die Leitzinsen trotz anziehender Inflationsraten nicht <genügend> angehoben wurden, ist exemplarisch für ein derartiges Vorgehen. Diese

Politik setzt aber eine Stabilisierung der Inflationsraten im positiven Bereich voraus.

Wie wir in unserem Kapitel Rentenmarktperspektiven ausführen, ist das aber für keinen der großen Währungsräume gesichert. Aus der erwarteten Nominal- und Realzinsentwicklung lassen sich demnach für 2011 keine großen Impulse für die Währungsentwicklungen ableiten. Wir erwarten für die USA (-1%) und China (-2%) negative Realzinsen, während der Euroraum und Japan aus unserer Sicht 2011 weiterhin um die Nulllinie pendeln werden.

Geldmarkt-Zinsdifferenzen USA, Japan, BRD und US-Dollar

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Staatsschuldenquoten sprechen vor allem gegen den Japanischen Yen

Das Jahr 2010 hat suggeriert, dass die staatliche Verschuldung der Hauptparameter der Währungsbewertung sei. Staaten, die zu tief in die Verschuldungsfalle geraten seien, könnten sich am Markt nicht mehr zu erschwinglichen Raten refinanzieren. Sofern kein glaubwürdiges Restrukturierungsprogramm vorgelegt werden könne, bliebe nur noch der Ausweg der Monetisierung der staatlichen Schulden, was zu einer Entwertung des Binnen- und des Außenwerts einer Währung führe. Als Musterbeispiel für ein derartiges Szenario wurden 2010 die europäischen Peripheriestaaten, allen voran Griechenland, ausgemacht.

Zieht man die obigen Bewertungskriterien Schuldenstand, Refinanzierungszinsen und Monetisierung der Staatsschulden heran, so stehen die europäischen Peripheriestaaten Portugal, Irland, Griechenland und Spanien (PIGS-Staaten) im internationalen Vergleich nicht schlecht da. Zwar ist bei Griechenland die Schallmauer von 100% Staatsschulden im Verhältnis zum BIP bereits durchbrochen und die hohen Haushaltsdefizite lassen bei allen PIGS-Staaten einen heftigen Anstieg der Staatsschulden in den kommenden Jahren antizipieren. Ebenso sind die Refinanzierungskosten für die PIGS-Staaten deutlich angestiegen, zum Teil über den Wert hinaus, der eine geordnete Finanzplanung noch zulässt. Zudem muss insbesondere bei Spanien

Realzinsentwicklung in den USA, Japan und Euroraum

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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damit gerechnet werden, dass die überschuldeten Privathaushalte durch eine partielle Schuldenübernahme durch die öffentliche Hand entlastet werden.

Der Vorteil der PIGS-Staaten ist jedoch, dass sie durch die raue Wirklichkeit des Marktes zu scharfen Konsolidierungsmaßnahmen gezwungen wurden, während die großen Staaten USA und Japan, die ebenfalls Budgetdefizite in einer ähnlichen Größenordnung (knapp 10% des BIP) vorweisen, bisher von dieser Notwendigkeit verschont blieben. Die absolute Höhe der Defizite der PIGS-Staaten scheint beherrschbar. Die Eurozone als Ganzes hat eine Staatsschuldenquote von knapp 80%. Die europäischen Kernländer könnten den Peripheriestaaten mit Krediten aushelfen, wie es im Programm zur Stabilisierung des Euro ja auch geschehen ist (s.u.), ohne ihre eigenen Staatsfinanzen zu überfordern. Würde hingegen die Refinanzierungsfähigkeit der USA oder Japans angezweifelt, so wäre niemand groß genug, um aushelfen zu können. Und bereits ein relativ kleiner Zinsanstieg von einem Prozentpunkt würde die Zinszahlungen des japanischen Staates von 10% auf 20% der Einnahmen verdoppeln. Das resultierende zweistellige Haushaltsdefizit ließe sich am Markt möglicherweise nicht finanzieren, ohne die Zinsen noch weiter nach oben zu treiben.

In diesem Fall bliebe tatsächlich nur die Monetisierung von Staatsschulden als Ausweg. Diesen Weg haben vor allem die USA in jüngster Zeit eingeschlagen. Im Rahmen des Quantitative Easing 2 (vgl. auch Konjunkturperspektiven USA und Rentenperspektiven) werden 600 Mrd. US-Dollar an Staatsanleihen dauerhaft auf die Notenbankbilanz genommen und dafür Zentralbankgeld ausgegeben. Von den drei

Währungsräumen US-Dollar, Euro und Japanischer Yen fährt die US-Notenbank die aggressivste geldpolitische Strategie. Zwar hat auch die Europäische Zentralbank im Rahmen des Euro-Stabilisierungsprogramms (s.u.) im Umfang von mehr als 70 Mrd. Euro Staatsanleihen der PIGS-Staaten aufgekauft. Der Geldwert des Euro wird dadurch aber nicht dauerhaft verwässert, wenn die Ausbuchung und Rückzahlung dieser Anleihen durch den 750 Mrd. EUR Rettungsschirm bis 2013 gewährleistet ist.

Für die EZB ist der Swap der niedrig verzinslichen europäischen Staatsanleihen durch die höher verzinslichen PIGS-Anleihen ein sicheres Geschäft, solange die europäischen Regierungen der EZB die höheren Zinseinnahmen und die Rückzahlung garantieren. Es ist aus unserer Sicht praktisch ausgeschlossen, dass die europäischen Regierungen der EZB einen Vermögensschaden zumuten, indem sie einen Default auf im Bestand der EZB vorhandene PIGS-Anleihen zulassen. Anders sieht das natürlich aus, wenn die betroffenen Anleihen ausgelaufen oder in den Rettungsschirm umgebucht sind. Dann besteht in der Tat das Risiko eines Kreditausfalls, wenn die Bevölkerung der PIGS-Staaten massiv gegen die Sparpläne protestiert. Möglicherweise ist das der Grund, warum bisher kaum Trittbrettfahrer auf das Arbitragegeschäft der EZB mit aufgesprungen sind. In jedem Fall sind die Stützungsmaßnahmen der europäischen Regierungen nicht negativ für den Euro zu werten, solange die EZB die Staatsschulden der PIGS nicht dauerhaft monetisiert. Dies ist aus unserer Sicht äußerst unwahrscheinlich, wenn der europäische Rettungsschirm aufgespannt ist (s.u.).

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Hinsichtlich der staatlichen Defizite steht die japanische Währung am schlechtesten da. Die Besonderheit Japans ist, dass der Staat, also die Bürger des Landes, fast ausschließlich bei sich selbst verschuldet sind. Im Gegensatz zu den USA kann das Ausland keinen Kurswechsel bei den Staatsfinanzen erzwingen, solange die Japaner die fiskalischen Defizite bei Zinsen an der Nullprozent-Schwelle bereitwillig finanzieren. Jahrzehntelang war dieser Umstand dadurch gesichert, dass die Notenbank die Geschäftsbanken mit reichlich Liquidität für Käufe japanischer Staatsanleihen ausstattete und gleichzeitig die privaten japanischen Spareinlagen über Finanzintermediäre ebenfalls nahezu vollständig der Staatsfinanzierung zugeführt wurden. Im Jahr 2010 mehrten sich die Anzeichen, dass sich dies allmählich ändert. Die Neigung der Geschäftsbanken, Staatsanleihen zu halten ist zuletzt zurückgegangen, obwohl die Notenbank eine implizite Garantie abgegeben

hat, dass Vermögensverluste infolge von Zinserhöhungen unterbleiben. Gleichzeitig altert die japanische Bevölkerung rapide. In den nächsten Jahren wird die alte Generation ihre Altersvorsorge, die direkt oder indirekt in japanischen Staatsanleihen angelegt ist, konsumieren, während gleichzeitig die junge Generation aufgrund ihrer geringeren Größe nicht einen so hohen Kapitalstock für das Alter aufbaut. Beide Entwicklungen führen dazu, dass der japanische Staat bei der Finanzierung seiner Defizite in höherem Maße auf das Ausland angewiesen ist. Für uns gibt es jedoch wenig Grund anzunehmen, dass Japan und seine Währung von den Finanzmärkten langfristig sanfter angefasst werden als Europa derzeit. Dies gilt umso mehr, als dass die japanische Exportwirtschaft momentan durch den extrem starken Außenwert des Yen belastet wird und die japanische Geldpolitik von der Regierung zu ersten expansiven Maßnahmen zur Schwächung

Zentralbankgeldmengen in den USA, Japan und im Euroraum

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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der eigenen Währung gedrängt wurde. Bisher hat sich die japanische Zentralbank relativ resistent gezeigt, die Zentralbankgeldmenge kräftiger zu erhöhen. Möglicherweise ist das eine Reaktion darauf, dass die staatlichen Konjunkturprogramme in den letzten Jahren keine Erfolge gezeitigt haben. Langfristig wird sie sich dem Wunsch einer Schwächung des Yen aber nicht widersetzen können. Sobald Japan zu weiteren währungspolitischen Maßnahmen bereit ist, könnte ein mehrjähriger Trend eines schwachen Yen beginnen.

Kampf um Marktanteile bei den Währungsreserven bleibt auch 2011 das zentrale Thema

Als Seignorage bezeichnet man den Gewinn, den eine zur Geldemission berechtigte Institution als Differenz zwischen Herstellungskosten und

Nutzwert des Geldes einstreicht. Im System der internationalen Währungsreserven fällt ein großer Teil der Seignorage der Hauptreservewährung zu. Das Land, das diese stellt, bezahlt außenwirtschaftliche Defizite durch die Emission zusätzlicher Geldeinheiten und befriedigt damit letztlich nur die Nachfrage aufstrebender Volkswirtschaften nach zusätzlichen Währungsreserven. Es lässt sich trefflich darüber streiten, wie hoch die Währungsreserven eines Landes sein sollten. In der Regel wird ein Vielfaches der monatlichen Importwerte angenommen, um auch in einer schweren Zahlungsbilanzkrise die notwendigen Importe über mehrere Monate gewährleisten zu können. Sicherlich lässt sich feststellen, dass der Anstieg der Währungsreserven in den asiatischen Volkswirtschaften, allen voran China und Japan, höher ausgefallen ist als aus reinen Sicherheitsüberlegungen angezeigt gewesen

Weltwährungsreserven ex Gold in Mrd. USD

Quelle: Internationaler Währungsfonds, Tiberius

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wäre. Dennoch waren die Leistungsbilanzdefizite

gestiegene Dollar-Nachfrage des Auslands zu befriedigen.

Mit der Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung ist den USA auf dem Gebiet der Währungsreserven ein Herausforderer erwachsen. Im Euroraum wurde im Jahr 2009 ein Bruttosozialprodukt von 8.950 Mrd. Euro erwirtschaftet, zu aktuellen Wechselkursen annähernd so viel wie in den USA (10.450 Mrd. Euro). Die europäischen Staaten zählen hinsichtlich ihrer Infrastruktur und ihres Wohlstands zu den am höchsten entwickelten Volkswirtschaften der Welt. Die in der Eurozone zusammengeschlossenen Volkswirtschaften sind marktwirtschaftliche Demokratien, deren mittlere Staatsverschuldung sich im Vergleich zu den G7-Staaten auf durchschnittlichem Niveau befindet. Die Staatsschuldenquoten der europäischen Kernländer (Deutschland, Frankreich Beneluxstaaten) sind im internationalen Vergleich eher unterdurchschnittlich. Die Staatsanleihen der Euro-Staaten sind eine liquide Anlagealternative zu US-Treasuries und bieten eine weitaus größere Markttiefe als es die Schuldtitel der Vorgängerwährungen Deutsche Mark oder französischer Franc jemals vermöcht hätten. Die Europäische Zentralbank steht in der Tradition der Deutschen Bundesbank und verfolgt einen, im Vergleich zu den Notenbanken der USA und Japans, konservativen Ansatz. Kurz und gut: der Euro eignet sich hinsichtlich Geldwertstabilität und Marktgröße bestens, um große Währungsreservenportfolios zu diversifizieren. Die Märkte für Schweizer Franken, Pfund und Gold sind zu klein, um als Herausforderer des US-Dollars in Frage zu kommen.

Nach dem holprigen Start des Euro in den Jahren 1999-2001 reisten europäische Offizielle nach Asien, um den dortigen Staatslenkern die Vorteile der neuen Währungsalternative aufzuzeigen. Diese Anstrengungen haben sich ab 2002 in einem steigenden Marktanteil des Euro (von 19% 2001 auf 26% Ende des zweiten Quartals 2010) an den internationalen Währungsreserven, die sich gemäß dem IWF eindeutig einer Währung zuordnen lassen, niedergeschlagen. In der gleichen Zeit ist jedoch auch der Anteil der Währungsreserven, bei denen eine Währungs-Unterteilung nicht möglich ist, von 25% auf über 40% angestiegen.

Unterschiedliche Interessenslagen der großen Währungsräume

Aus unserer Sicht sind in der Währungspolitik verschiedene Interessenslagen gegeben.

USA Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen vor der Herausforderung, der Wirtschafts- und Geldpolitik die notwendigen Freiheitsgrade zur Bewältigung der strukturellen Probleme im Inland (vgl. Konjunkturperspektiven USA) einzuräumen und gleichzeitig den Außenwert des US-Dollars zumindest so weit stabil zu halten, dass ein allgemeiner Vertrauensverlust, der den Leitwährungsstatus des Greenbacks gefährden könnte, vermieden wird. Auf längere Sicht bedarf es eines Plans, wie ein Bedeutungsverlust des US-Dollars als Reservewährung verhindert werden kann. Dazu könnte auch gehören, die Schwächen der Konkurrenten aufzuzeigen und gleichzeitig die eigenen Schwächen geflissentlich zu übersehen. Aus unserer Sicht scheinen einige

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bewusst oder unbewusst diesem Zweck gehorcht zu haben. Eine Schwächung des Euro würde die Leitwährungsrolle des US-Dollar und Seignorage sichern.

Europa Die Euroländer haben das Interesse, den Euro dauerhaft als validen Gegenentwurf zum US-Dollar zu etablieren und damit die kritischen

aber keinen Prognose des ehemaligen US-Notenbanchefs Alan Greenspan) zu widerlegen. Dies setzt voraus, dass die europäische Geldpolitik autonom bleibt und nicht zu einer Monetisierung von Staatschulden verpflichtet wird. Des Weiteren ist neben einer einheitlichen Geldpolitik auf Dauer eine weitere Vereinheitlichung der Fiskalpolitik anzustreben, ohne dass die Eurozone dadurch zur Transferunion verkommt. Es ist ein verbindliches Verfahren zu entwickeln, wie die Grundproblematik unterschiedlicher Wachstumstempi und unterschiedlich solider Staatsfinanzen gelöst werden kann. Es liegt zudem im Interesse Europas, die aufstrebenden Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas dauerhaft in die europäische Währungspolitik einzubinden.

China Das Hauptinteresse Chinas ist es, das inländische Wachstumstempo hoch zu halten, um die ethnischen, sozialen und politischen Konflikte im Vielvölkerreich möglichst klein zu halten. Aus unserer Sicht will das Reich der Mitte seine gegenwärtige Strategie des beschleunigten Wachstums mithilfe eines steigenden Aussenhandelsbeitrags beibehalten. Dabei werden auch ein weiter

Anstieg der Dollar-Reserven und eine moderate Aufwertung der Landeswährung Renminbi billigend in Kauf genommen. Eine starke Aufwertung und eine hohe Konvertibilität des Renminbi liegen jedoch nicht im Interesse Chinas, da es das Land in hohem Maße gegenüber künftigen Kapitalabflüssen nach dem Muster der Asienkrise 1997/98 exponieren würde. China muss durch vorsichtig dosierte wirtschaftspolitische Maßnahmen eine Überhitzung der inländischen Wirtschaft, die durch Immobilienspekulation und Kapitalzuflüsse provoziert werden könnte, vermeiden. Auf längere Sicht wird China ein multipolares Währungsreservensystem anstreben, in dem die Landeswährung Renminbi stärker vertreten ist als bisher.

Der Angriff auf den Euro-Stabilitätspakt und die Lehren daraus

1. Die Anleihen der Euro-Peripheriestaaten waren vor der Krise überteuert Einen Anstieg der Zinsdifferenz zwischen Euro-Peripherieländern und Anleihen der BRD auf Werte zwischen 2% und 3% im zehnjährigen Laufzeitbereich halten wir mehr für eine Rückkehr gesunden Risikobewusstseins als für eine spekulative Übertreibung. Grundsätzlich sind Markteingriffe nur sinnvoll bei Marktverwerfungen, die weit über diesen Korridor hinausführen. Und wenn, dann nur kurzfristig, um den betroffenen Regierungen eine faire Chance zur Konsolidierung der Staatsfinanzen zu geben. Langfristig können nur die Märkte beurteilen, ob die Staatsanleihen einzelner Euro-Staaten überlebensfähig sind. Wir haben da unsere

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Zweifel. Unabhängig von allen Rettungsmaßnahmen ist eine Rückkehr zu den Vorkrisenniveaus weder sinnvoll noch realistisch.

2. Das europäische Bankensystem ist in zu hohem Maße gegenüber Euro-Peripherie-Anleihen exponiert Man kann es nur als einen Skandal bezeichnen, dass einzelne europäische Banken, kurz nachdem die Krise bei strukturierten amerikanischen Immobilienkrediten sie bereits an den Tropf staatlicher Rettungsmaßnahmen zwang, bei den Krediten der Euro-Peripherieländer erneut in eine lebensbedrohliche Schieflage geraten sind. Offensichtlich sind einzelne Banken auf der Jagd nach abstrakten Renditezielen Risiken eingegangen, die sie in

keinster Weise absehen konnten (oder wollten). Diesen Vorwurf müssen sich vor allem die öffentlich-rechtlichen Banken gefallen lassen, die nach dem Wegfall der Gewährträgerhaftung kein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell entwickelt haben. Die Wirtschaftspolitik steht vor dem Dilemma, entweder die Euro-Peripheriestaaten oder die Banken retten zu müssen.

Zinsaufschläge zehnjähriger Euro-Peripherieanleihen zu Bundesanleihen

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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3. Anglo-amerikanischen Interessen kam die Euro-Krise nicht ungelegen Wie oben ausgeführt, kann es nicht im Interesse der USA sein, dass ein unkontrollierter Dollar-Absturz die Rolle als Leitwährung gefährdet. Gerade dies war jedoch bis zum Jahr 2008 zu befürchten, als aufgrund der vielfältigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der USA sich viele Marktteilnehmer im Abgesang auf die US-Währung übertrafen. Insofern dürfte eine Krise, die nur Europa betrifft, den USA gar nicht so ungelegen kommen. Bietet dies doch die Möglichkeit, asiatischen Anlegern vor Augen zu führen, dass auch die Anlagealternative Euro nicht frei von Schwächen ist. Die Vielzahl

aufgrund von Kriterien, die bei konsequenter Anwendung eher eine Staatsschuldenkrise in den USA nahegelegt hätten, eine Pleite der Peripherieländer und ein Auseinanderbrechen der Europäischen Währungsunion als unausweichlich begründeten, zeigt, dass dieser Übung auch mit einer gewissen Leidenschaft nachgegangen wurde.

4. Große Teile der Bevölkerung in Europa/Deutschland lehnen die Gemeinschaftswährung ab und wünschen sich die nationalstaatlichen Vorgängerwährungen zurück Die Staatsschuldenkrise in den Euro-Peripherieländern ließ die innereuropäischen Ressentiments offen ausbrechen. In den deutschen Medien wurde das Vorurteil geschürt, dass Deutschland der Zahlmeister

wurde das Einfordern fiskalischer Disziplin in

den Euro-Peripherieländern als eine unangebrachte Einmischung in nationale Belange interpretiert. Insgesamt verdichtete sich der Eindruck, dass der Euro in breiten Bevölkerungsschichten Europas keinen Rückhalt hat. Die Bereitschaft, die Europäische Währungsunion gegen einen Angriff und ein Auseinanderbrechen zu verteidigen ist gering ausgeprägt. Damit ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass der Zusammenhalt der Europäer in den Jahren 2011ff erneut getestet wird.

5. Europa hat(te) keine vernünftige Verteidigungsstrategie Si tacuisses, philosophus mansisses Wenn Du nur geschwiegen hättest, so wärest Du ein Philosoph geblieben. Dieser Sinnspruch von Boethius scheint wie gemünzt auf das Krisenmanagement der europäischen Politikverantwortlichen in 2010. Unabhängig, welche Krisenmaßnahmen beschlossen wurden, sie wurden binnen weniger Tage durch Regierungsvertreter relativiert und in einigen Fällen offen konterkariert. Die europäische Politik war auf einen Anstieg der Risikoprämien in keinster Weise vorbereitet. Die europäische Kakophonie lieferte der Spekulation Vorschub und unterminierte jedwede Verteidigungsmaßnahme. Dass trotz der offiziellen Kreditgarantien bis zum Jahr 2013 die kürzer laufenden Anleihen der Euro-Peripherieländer mit hohen Abschlägen gehandelt werden, ist ein offenes Misstrauensvotum der Märkte gegen die Glaubwürdigkeit der europäischen Politik.

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6. Das Programm zur Stabilisierung des Euro ist noch nicht tragfähig In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2010 wurde in einer Sondersitzung des Europäischen Rats ein Programm zur Stabilisierung des Euro beschlossen. Demnach soll ein Euro-von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich

sgesamt bis zu 750 Mrd. Euro erhalten können. Bis zu 60 Mrd. Euro sollen aus dem Gemeinschaftshaushalt der Europäischen Union kommen. Weitere 440 Mrd. Euro kann eine speziell für diesen Zweck gegründete Gesellschaft (European Financial Stability Facility [EFSF]) weiterreichen. Die Anteile an der EFSF sind gemäß dem Anteilsbesitz an der EZB aufgeschlüsselt. Bis zu 250 Mrd. Euro soll schließlich der Internationale Währungsfonds (IWF) beisteuern. Die EZB flankiert dieses Programm mit einem direkten Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Peripherieländer am Sekundärmarkt. Das Programm ist bis zum 30.Juni 2013 befristet.

Aus unserer Sicht sollten folgende Punkte verbessert werden:

Die Involvierung des IWF kann als eine Sofortmaßnahme akzeptiert werden. Langfristig müssen die Staaten der Eurozone aus den oben geschilderten Interessenkonflikten dafür Sorge tragen, dass sie Probleme im eigenen Haus eigenständig lösen. Andernfalls droht die Gefahr, dass ein Scheitern der EFSF in den

Euro-Peripherieländern von außereuropäischen Interessensgruppen provoziert wird.

Die EFSF sollte der Vorläufer eines dauerhaften Europäischen Währungsfonds sein, der ähnlich wie der IWF konkrete Stabilisierungsmaßnahmen in den einzelnen Mitgliedsländern einfordern kann. Die Anleihen eines solchen Fonds könnten zu einer liquiden, hochattraktiven Anlageform für internationale Währungsreserveportfolios werden.

Die Rating-Agenturen amerikanischer Provenienz haben die Krisen der jüngeren Vergangenheit (Asienkrise, Aktien Sell Off 2002/03, strukturierte Wertpapiere-Krise 2007/08, Euro Peripheriestaaten 2010) nicht vorhergesehen und mit ihren prozyklischen Bewertungen unnötig verschärft. Aus den oben angedeuteten Interessenskonflikten sollte Europa zu einer eigenen, unabhängigen Bewertung der Risiken kommen.

Das beste Stabilisierungsprogramm kann und soll auf Dauer nicht die Insolvenz eines Mitgliedsstaats ausschließen. Eine Insolvenz einzelner oder mehrerer Mitgliedsstaaten ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende des Euro. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass einzelne Mitgliedsstaaten für die Konsolidierung des Staatshaushalts nicht die nötige Disziplin mitbringen, bzw. die Bevölkerung dieser Länder notwendige Reformschritte verweigert. In diesem Fall muss es die Möglichkeit einer geordneten Insolvenz und eines geordneten Austritts aus der Währungsunion geben. Die Insolvenz bzw.

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die Umschuldung eines Staates ist nicht gleichbedeutend mit einem Austritt aus dem Euro. Ein Austritt aus dem Euro ist nur dann unumgänglich, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft nur durch die Abwertung einer eigenen Währung möglich ist. Diese Ausgangsposition könnte bei einzelnen PIGS-Staaten gegeben sein.

7. Europa wird den erneuten Test des Stabilitätspakts in 2011 (mit Müh und Not) bestehen Betrachtet man die Punkte 1. bis 5., so würde man der Möglichkeit eines Scheiterns des Euros eine eher große Wahrscheinlichkeit zugestehen. Die Staatsschuldenkrisen in Europa haben gerade noch rechtzeitig auf die Schwächen der Europäischen Währungsunion aufmerksam gemacht. Diese wird in 2011 erneut auf ihren Zusammenhalt getestet werden. Wir sind der Meinung, dass die Europäische Währungsunion diesen Test bestehen wird. Mittelfristig wird es sich positiv auswirken, dass die Länder der Eurozone von den Märkten zu fiskalischer Disziplin und einer Konsolidierung der Staatsfinanzen ein Prozess, der in einigen anderen Ländern mit ähnlichen oder höheren Schuldenquoten noch gar nicht eingesetzt hat gezwungen werden. Werden die unter 6. aufgeführten Punkte glaubwürdig umgesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich die Short-Spekulation anderen Währungen zuwendet.

Fazit: Euro vor US-Dollar und Japanischem Yen

Die drei großen Währungsräume US-Dollar, Euro und Yen werden 2011 in der Rangskala aller Währungen vermutlich hintere Plätze belegen. Wir glauben, dass die Carry Trades zu kleineren, zins- und wachstumsstarken Währungen, wie z.B. dem Australischen Dollar, dem Kanadischen Dollar oder diversen Währungen von Schwellenländern weiter anhalten werden. Wie wir unter Konjunkturperspektiven China ausführen, dürfte die chinesische Währung unter der Voraussetzung, dass die chinesische Immobilienblase nicht bereits in 2011 platzt, moderat (5%-7%) zum US-Dollar aufwerten.

Bei den Währungsreserven wird uns langfristig eine multipolare Welt von US-Dollar, Euro und kleineren Währungen erhalten bleiben. Die Bedeutung des US-Dollar wird abnehmen, der Euro wird jedoch ebenfalls kaum Marktanteile hinzugewinnen können. Die europäische Währung muss davor noch mindestens einen Härtetest in der ersten Jahreshälfte 2011 bestehen. Wir gehen davon aus, dass sich beim Euro/US-Dollar-Wechselkurs eine neue Handelsspanne zwischen 1,25 und 1,6 USD je Dollar ausgebildet hat. In der ersten Jahreshälfte dürfte er sich in der unteren Hälfte dieser Handelsspanne bewegen, in der zweiten Jahreshälfte in der oberen. Zum Jahresende 2011 erwarten wir einen Wechselkurs um 1,45 USD je Euro. Japan ist bei den derzeitigen Wechselkursen gegenüber einzelnen Konkurrenten nicht wettbewerbsfähig. Auf Dauer kann sich die japanische Geldpolitik dem Wunsch, den Yen zu schwächen, nicht verschließen. Wir erwarten im nächsten Jahr den Beginn eines Schwächetrends, der den Japanischen Yen bis zum Jahresende 2011 zu einem Wechselkurs von 140 Yen je Euro führt.

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Konjunkturzyklik stützt Rohstoffpreise auch in 2011

Die Weltwirtschaft dürfte 2011 ein gutes Jahr erleben. Das Wirtschaftswachstum in den USA wird, wie in den Kapiteln Konjunkturperspektiven ausgeführt, auch 2011 deutlich unter dem der Boomjahre 2004-2007 bleiben, dafür dürften aber die Wachstumsraten in den anderen Weltwirtschaftsregionen 2011 <noch> hoch bleiben. In China existiert eine große Kredit- und Immobilienblase (vgl. Konjunkturperspektiven China). Ein Platzen dieser Blasen würde aber eine übereifrig restriktive Geldpolitik voraussetzen, eine Entwicklung die angesichts der relativ behutsamen bisherigen Schritte kurzfristig wenig wahrscheinlich ist. Deswegen ist unser Basisszenario, dass die chinesische Wirtschaft im nächsten Jahr real 8%, etwa auf dem Niveau dieses Jahres, wachsen wird. Mit dieser Prognose ist ein Einbruch der Wirtschaftstätigkeit in den

übrigen BRIC-Staaten ebenfalls wenig wahrscheinlich. In Europa hat die Krise der Staatsfinanzen in den Euro-Peripherieländern bisher zu keinen nennenswerten Wachstumseinbußen in den Kernländern geführt. Durch den schwachen Euro (insbesondere gegenüber den asiatischen Währungen) und die starke Konjunktur in den Schwellenländern konnten in Deutschland zuletzt hohe Exportsteigerungen erzielt werden. In 2011 wird der außenwirtschaftliche Wachstumsbeitrag aufgrund der höheren Basis moderater, aber dennoch positiv ausfallen. Alles in allem erwarten wir ein reales Weltwirtschaftswachstum, das nahe an den Wert dieses Jahres herankommen wird.

Das auf die kürzere Frist angelegte Bild zeigt, dass der allgemeine Konjunkturpessimismus des Sommers 2010 einer wieder optimistischeren Grundhaltung gewichen ist. Die Frühindikatoren

Reales Weltwirtschaftswachstum (YoY)

Quelle: Bloomberg, Tiberius

ROHSTOFFMARKT-PERSPEKTIVEN 2011 Autor: Markus Mezger

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in Asien und den USA, die in den Sommermonaten nach unten abgebröckelt waren, haben sich im Herbst 2010 auf hohem Niveau stabilisiert. Wir hatten bereits im Sommer 2010 in unseren Marktkommentaren betont, dass die Delle bei einzelnen Frühindikatoren noch keine generelle Konjunkturwende signalisiere. In anderen Regionen der Welt hat es diese Irritationen ohnehin nicht gegeben. In Deutschland stieg der IFO-Geschäftsklimaindex von sehr hohem Niveau noch weiter an. Die aktuelle Lage und die Geschäftserwartungen werden heute sogar noch besser beurteilt als 2007, als die Wirtschaftsaktivität in Deutschland noch auf einem höheren Level war. Insgesamt signalisieren die von uns zusammengefassten Frühindikatoren, die im Backtesting für Rohstoffinvestments die besten Renditen

erzielen, immer noch ein sehr freundliches Marktumfeld für Rohstoffe.

Auch die anderen Finanzmarktsegmente mit Frühindikatorfunktionen, z.B. die internationalen Aktienmärkte und die relative Stärke der Industriemetalle gegenüber anderen Rohstoffanlagen, bestätigen den Aufwärtszyklus. Nachdem im Frühsommer einige Marktteilnehmer aufgrund von Konjunkturängsten Rohstoffpositionen glattgestellt hatten, sind einige Rohstoffe im Vergleich zu den Aktienmärkten noch relativ zurückgeblieben. Trotz einer ordentlichen Performance in den letzten 5 Monaten die großen Rohstoffindices wiesen eine Performance zwischen 12% und 19% aus sehen wir insbesondere bei Industrierohstoffen noch Nachholbedarf. Die Situation ähnelt ein wenig

Tiberius Frühindikatoren-Index

Quelle: Tiberius

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dem Jahr 2007, als eine gute Performance im Herbst 2007 die Kursexplosion im ersten Halbjahr 2008 einläutete. Der große Unterschied zur jetzigen Situation: Zum Jahresende 2007 ließ sich bereits absehen, dass 2008 konjunkturell schwach ausfallen wird. Das Gleiche lässt sich für 2011 nicht behaupten.

Relativ attraktive fundamentale Ausgangssituation

Rohstoffe lassen sich aus unserer Sicht vor allem mit zwei Faktoren fundamental bewerten. Dem erwarteten Marktsaldo, der aus der Differenz zwischen Angebot und Nachfrage besteht, und der Höhe der Lagerbestände, die zur Deckung etwaiger Defizite zur Verfügung steht. Die historischen Preisbewegungen zeigen, dass die Agrarrohstoffe und einzelne Märkte, wie z.B. US-Erdgas, vor allem durch Angebot, Nachfrage und Lagerbestände in den USA beeinflusst werden, während die Märkte für Industrierohstoffe (Energie, Metalle) mehr den globalen Entwicklungen folgen. Dementsprechend sind je nach der Signifikanz im Backtesting lokale US- und globale Werte in nachstehender Grafik für das Jahr 2011 abgetragen.

Die für einen long only Anleger attraktivste fundamentale Ausgangssituation bei einem Rohstoff ist die Kombination eines Marktdefizits mit niedrigen Lagerbeständen. Der Blick auf die folgende Grafik offenbart, dass im Jahr 2011 für eine ganze Reihe von Rohstoffen - Rohöl und Rohölprodukte, Kupfer, Zinn, Palladium, Kaffee, Zucker, Weizen plus möglicherweise Sojabohnen und Blei - ein Marktdefizit angenommen wird. Mit rund der Hälfte der Märkte im Defizit (bei Unterstellung des obigen Wachstumsszenarios) ist grundsätzlich für 2011 eine attraktive

fundamentale Ausgangsbasis für Rohstoffinvestments gegeben.

Insgesamt drei Rohstoffe weisen aus unserer Perspektive die Traumkombination aus einem Angebotsdefizit und niedrigen Lagerbeständen auf. Bei den Basismetallen Kupfer und Zinn dürfte sogar ein sehr großer Preisanstieg kaum Entlastung durch ein zusätzliches Angebot bringen, da die Angebotsreaktion durch technische Gegebenheiten eingeschränkt ist. Ähnliches ließe sich für Kaffee sagen, der 2011 ein sogenanntes Off-Year mit geringerem Angebot durchläuft. Bei Kaffee befindet sich das globale Stocks to Use Ratio nahe den historischen Tiefstständen, so dass wahrscheinlich nur ein weiterer Preisanstieg und eine daraus resultierende Nachfragezerstörung die Situation auflösen kann.

Rohöl und Rohölprodukte, Weizen, Zucker und Palladium schaffen es 2011 vermutlich nicht ganz in den hochattraktiven rechten oberen Quadranten, da <noch> vergleichsweise hohe Lagerbestände einem starken Kursanstieg entgegenstehen. Bei den genannten Rohstoffen gibt es jedoch gute Gründe, warum die Lagerbestände in 2011 nicht unbedingt ein Hindernis für eine Preisrallye darstellen. Bei Rohöl sind die Lagerbestände in den OECD-Staaten in Relation zum dortigen Verbrauch in den OECD-Staaten dargestellt. Neben diesen berichteten Lagerbeständen wurden über den Jahreswechsel 2008/2009 aber auch große Lagerbestände auf See (floating storage) gehalten, die in den letzten 12 Monaten durch die dynamisch wachsende Nachfrage in den Non-OECD-Staaten weitgehend verbraucht wurden. Die Lagerbestände in den OECD-Staaten, die bisher wenig angegriffen wurden, dürften den Trend zurückgehender Lager in 2011 bestätigen.

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Bei Palladium hielt der russische Staat große Bestände, die in den letzten Jahren vor allem von Anlegern erworben wurden. Die letzten Äußerungen russischer Offizieller deuten darauf hin, dass die russischen Bestände mittlerweile weitgehend erschöpft sind. Die russischen Lagerbestände haben nur die Hände gewechselt. Eine extreme Preisrallye ist dennoch möglich, da diese Bestände möglicherweise erst bei einem noch deutlich höheren Preisniveau auf den Markt kommen. Bei Zucker wiederum fällt das absolute Stocks to Use Ratio höher aus als bei anderen Rohstoffen. Gemessen an der historischen Entwicklung befinden sich die Lagerbestände jedoch an den Tiefpunkten. Der Weizenmarkt scheint mit einem US-Stocks to Use Ratio von 28% zum Ende des Marketingjahres 2011/12 ausreichend versorgt. Hier ist aber das US-Marktdefizit und das relative Underpricing von Weizen zu Mais und Sojabohnen so stark ausgeprägt, dass im Laufe des zweiten

Halbjahres 2011 ein relativer Preisanstieg zu den anderen Agrarrohstoffen erfolgen muss, um im Herbst 2011 eine zu geringe US-Ackerfläche zu vermeiden.

Im linken oberen Quadranten befinden sich diejenigen Rohstoffe, die im nächsten Jahr einen Angebotsüberschuss verzeichnen, aber relativ knappe Lagerbestände aufweisen. Bei den Basismetallen Aluminium, Zink und Nickel sind die Lagerbestände im Vergleich zu den Vorjahren relativ hoch. Eine preistreibende Knappheitssituation dürfte es hier nicht geben. Ganz anders stellt sich die Situation bei Mais und Sojabohnen dar, deren US-Stocks to Use Ratios trotz eines kleinen Überschusses deutlich unter der Marke von 10% liegen dürften. Beide Rohstoffe dürften global leicht im Defizit sein und bereits kleinste Ernteeinbußen könnten in den USA für starken Preisauftrieb sorgen. Ähnliches gilt für Baumwolle, dessen US-Stocks

Fundamentaldaten diverser Rohstoffe

Quelle: Tiberius

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to Use Ratio sich im Laufe des Jahres 2011 von aktuell 11% auf 27% erholen dürfte. Der Grund für den starken Angebotsüberhang im Marketingjahr 2011/12 dürfte eine deutliche Ausweitung der Anbauflächen in den USA im Frühjahr 2011 infolge des extremen Preisanstiegs sein. Diese ist jedoch keinesfalls gesichert, sollten die Baumwollpreise in den nächsten Monaten hinter der Preisentwicklung von Mais und Sojabohnen zurückbleiben. Aus globaler Perspektive bringt ein marginaler Überschuss kaum Entlastung bei den Lagerbeständen.

Als Rohstoffe völlig unattraktiv sind die Edelmetalle Gold, Silber und Platin. Bei Silber beträgt der Marktüberschuss rund ein Viertel der Produktion, bei Gold sogar mehr als die Hälfte. Die überirdischen Bestände sind so groß, dass eine physische Knappheit nie gegeben ist. Beide Edelmetalle leben damit ausschließlich von der

Bereitschaft von Finanzinvestoren, die physischen Überschüsse bei steigenden Preisen zu akkumulieren. Diese Bereitschaft war 2010 gegeben und dürfte angesichts der vielfältigen Herausforderungen im Finanzbereich auch 2011 weiter anhalten, so dass eine negative Wertung der Angebots- und Nachfragedaten bei beiden Rohstoffen auf die Zeit verschoben werden muss, bis das Investorensentiment gedreht hat. Fundamental orientierte Investoren finden jedoch bei den anderen Metallen wesentlich attraktivere Ausgangssituationen als bei Gold und Silber.

Die Roll-Renditen werden sich in 2011 weiter verbessern

Die Roll-Renditen von Rohstoff-Futures sind eine zyklische Größe, die leicht nachgelagert zum Konjunkturzyklus schwingt. Der Grund dafür ist, dass die Terminkurven und die Roll-Renditen eng

Rollrenditen der DJUBS-Subsindizes (Ein-Jahresrenditen, rollierend)

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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mit der Entwicklung der Lagerbestände korrelieren. In einem Rezessionsjahr wie 2008 fallen in der Regel hohe Marktüberschüsse an, die bei vielen Industrierohstoffen zu Überschusslagerbeständen führen, die besonders auf dem Kassapreis und den vorderen Terminkursen lasten. Die Folge ist ein ausgeprägter Contango und hohe Roll-Verluste. Im Konjunkturaufschwung beginnt ein langsamer Abbau der Überschusslagerbestände, der den Contango an den Terminmärkten verflacht. Die Roll-Renditen verbessern sich allmählich. Diese Phase durchliefen die Rohstoffmärkte in 2009 und 2010. In einem fortgeschrittenen Stadium der Hochkonjunktur sind die Lager dann so weit erschöpft, dass für die vorderen Terminkontrakte Verfügbarkeitsprämien bezahlt werden. Die Märkte drehen auf Backwardation.

Aus unserer Sicht wird 2011 ein Jahr, in dem die Terminmärkte vieler Industrierohstoffe, namentlich Rohöl und Rohölprodukte, Kupfer, Zinn, Blei und möglicherweise Palladium wieder in Backwardation notieren werden. Bei Rohöl scheint die Floating Storage mittlerweile komplett abgebaut, so dass nun die offiziell berichteten Lager in den OECD-Staaten angegriffen werden müssen, um einen Teil des erwarteten Nachfrageanstiegs zu befriedigen. Bei den Industriemetallen dürften 2011 aufgrund einer steigenden chinesischen Nachfrage die Metallpreise in Shanghai wiederholt Prämien zu den Londoner Metallpreisen aufweisen, wodurch die für das Pricing der Terminkurve massgeblichen Lagerbestände an der London Metal Exchange (LME) im Jahresverlauf sinken sollten. Bei Metallen und Öl positionieren wir uns aus den genannten Gründen im vordersten Teil der Terminkurve, die besonders stark von einer Drehung auf Backwardation profitieren würde. Die passiven Roll-Strategien, die sich auf die

länger laufenden Kontrakte fokussieren, werden sich 2011 unserer Ansicht nach unterdurchschnittlich entwickeln.

Bei den Soft Commodities haben sich bei Baumwolle und Zucker positive Roll-Renditen ergeben. Bei beiden Rohstoffen wurden bestehende Marktdefizite durch wetterbedingte Angebotsausfälle verschärft. Die Prämie des Nearby-Kontrakts zum Einjahres-Kontrakt (Convenience Yield) hat bei beiden Rohstoffen aktuell Werte von 30% überschritten. Da wir mit den neuen Ernten, die sich ab April 2011 abzeichnen, mit einer Entspannung auf der Angebotsseite rechnen, präferieren wir bei beiden Rohstoffen die langen Laufzeiten.

Unter den Getreiden sind Mais und Sojabohnen knapp. Die US-Stocks to Use Ratios zum Ende des Marketingjahres 2010/11 befinden sich jeweils unter der kritischen Marke von 6%. Trotz des hohen Preisniveaus und der positiven Produzentenmargen dürften beide Rohstoffe zusammengenommen nur marginal an US-Ackerfläche im Frühjahr 2011 hinzugewinnen, da sich die Konkurrenzpreise für Weizen und Baumwolle ebenfalls noch auf einem im historischen Vergleich hohen Margenniveau befinden. Diese Angebotsreaktion bewirkt im nächsten Marketingjahr 2011/12 nur einen marginalen Aufbau der Stocks to Use Ratios in den USA. Die Roll-Yields dürften sich bei beiden Rohstoffen noch leicht verbessern. Bei Weizen hingegen sehen wir wenig Hoffnung für eine Reduktion der hohen Roll-Verluste. Alles in allem dürfte das Jahr 2011 durchschnittlich nur noch sehr geringe Roll-Verluste aufweisen, wobei in der zweiten Jahreshälfte aus unserer Sicht sogar Roll-Gewinne auf Indexebene möglich sind.

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Rohstoffe sind als Inflationsversicherung relativ günstig

Gold wird von vielen Anlegern als die klassische Versicherung gegen Inflation angesehen, da es seit Jahrtausenden monetäre Funktionen erfüllt. Gold ist nach unserem Verständnis eine Geldform, die den Kaufkraftverlust der Papiergeldwährungen langfristig ausgleicht. Das

Edelmetall verfügt im Gegensatz zu Aktien oder Anleihen über keine inhärenten realen Wachstumsquellen, so dass sich im langfristigen Bild ein Realzins von Null einstellen müsste. Dasselbe ließe sich für den Besitz anderer physischer Rohstoffe sagen. Und tatsächlich korrelieren die Kassapreise der Industrierohstoffe noch enger mit den Inflationsraten als Gold, da sie in der

Roll-Renditen und ex ante Convenience Yield

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Wertschöpfungskette den Endverbrauchspreisen vorgelagert sind, während Gold neben dem Schmuckverbrauch kaum einer industriellen Verwertung zugeführt wird.

Betrachtet man die reale Entwicklung von Gold und Rohstoffindices seit 1970, so kann man feststellen, dass der Goldpreis der Inflationsentwicklung und den Kassapreisen der anderen Rohstoffe weit vorausgeeilt ist. Als 1973 die Fixierung des Goldpreises an den US-Dollar (35 USD je Unze), die einen Kernpunkt des Nachkriegswährungssystems Bretton Woods ausmachte, suspendiert wurde, war Gold gegenüber dem Greenback stark unterbewertet, da es den starken Anstieg der Konsumgüterpreise in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch nicht nachvollzogen hatte. Dementsprechend stark fielen die beiden Preisschübe in den siebziger Jahren aus, die Gold

jedoch weit über den fairen Wert der Konsumgüterpreisinflation hinauskatapultierten. Die Goldbaisse der achtziger Jahre beseitigte die Überbewertung. Zum Ende der neunziger Jahre war Gold erneut unterbewertet. Die Ursache dafür waren die Verkäufe und Ausleihungen der Notenbanken, die eine Lücke zwischen Inflation und Goldpreis hinterließen. In den letzten 10 Jahren konnte Gold nicht nur diesen Rückstand aufholen, sondern schoss weit über das Ziel hinaus. Im Gegensatz zu den anderen Rohstoffpreisen, gemessen am S&P Goldman Sachs Commodity Index Spot Return (GSCI Spot), hat Gold seine Hochpunkte des Jahres 2008 bereits weit übertroffen. Das Edelmetall ist damit als Inflationsschutz relativ teuer. Entweder schließen die anderen Rohstoffe in einer schnellen Aufwärtsbewegung zum Goldpreis auf und erzeugen damit die Inflation, die im Goldpreis eskomptiert ist oder aber die Inflationsraten bleiben auf tiefem Niveau

Goldpreis, Inflation und Rohstoffpreise im Vergleich

Quelle: NBER, Bloomberg, Tiberius

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(zumindest für 2011 unser Basisszenario). In diesem Fall lässt sich die Bewertung von Gold nicht halten. Durchaus möglich ist auch, dass sich die Schere zwischen Gold- und Rohstoffpreisen von beiden Seiten her schließt.

Geopolitische Risiken

Die über die Internetplattform Wikileaks gesteuerten Veröffentlichungen von US-Regierungsinformationen haben der Welt in Erinnerung gerufen, dass im Hintergrund geopolitische Prozesse ablaufen, die gravierende Veränderungen an den Kapitalmärkten bewirken könnten. Aus unserer Sicht ist der Zeitpunkt für die Veröffentlichung von internen Gesprächsprotokollen und Bemerkungen von US-Offiziellen nicht zufällig und verfolgt nach unserem Verständnis vor allem den Zweck, die Weltöffentlichkeit auf einen militärischen Konflikt der USA mit dem Iran vorzubereiten.

Deswegen wurde offen gelegt, dass hochrangige Vertreter Saudi-Arabiens vehement ein militärisches Eingreifen der USA im Iran verlangten.

Jedoch ist aus unserer Sicht der Konflikt mit dem Iran nicht im gleichen Maße kontrollierbar wie die militärische Auseinandersetzung mit dem Irak in den Jahren 2002ff. Damals hatte Russland noch davor zurückgeschreckt, seine Interessen im Irak zum Preis einer direkten Konfrontation mit den USA zu wahren. Wir entnehmen den Äußerungen russischer Offizieller, dass Russland seine geopolitischen Interessen im Nahen Osten heute mit sehr viel mehr Nachdruck vertritt.

Wir glauben, dass Russland aus dem Irak-Krieg den Schluss gezogen hat, dass sich eine Zurückdrängung russischer Interessen aufgrund eines militärischen Vorgehens der USA nicht wiederholen dürfe. Um diesen Interessen einen

Rollierende Korrelation (26W) zwischen DJUBS-Rohstoffindex und Aktien (S&P 500)

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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offiziellen Rahmen zu geben, wurde die Allianz der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres gegründet. Zu ihr gehören Russland, Kasachstan, Aserbeidschan, Turkmenistan und der Iran. Auf ihrem dritten Gipfeltreffen in Baku am 18.November 2010 unterzeichneten die Kaspi-Anrainer ein Abkommen, über die Kooperation im Sicherheitsbereich. Im Abschlussdokument wird die Sicherheit am Kaspischen Meer zu einer ausschließlichen Kompetenz der fünf Anrainerstaaten erklärt.

Aber auch China dürfte einer Verschiebung der Interessenslage im Nahen Osten nicht tatenlos zusehen wollen. Wir glauben, dass China angesichts der vielfältigen innenpolitischen Herausforderungen, die nur gemeistert werden können, wenn der auf die Außenwirtschaft gerichtete Wachstumsmotor nicht stockt, äußere Konflikte möglichst vermeiden will. Wir kalkulieren im Falle eines militärischen Angriffs auf den Iran mit erheblichem diplomatischen Widerstand, der auch wirtschaftliche Fragen nicht ausschließen würde und den USA, ähnlich wie beim Krieg im Irak, jede völkerrechtliche Legitimation ihres Vorgehens nehmen würde. Alles in allem würde sich aus unserer Sicht ein Konflikt mit dem Iran relativ schnell zu einem globalen Konflikt der drei Weltmächte USA, Russland und China wandeln.

Eine derartige Entwicklung würde für eine extreme Volatilität an den Finanzmärkten sorgen. In den letzten Jahren haben einige Marktteilnehmer die Meinung vertreten, Rohstoffe könnten ein Aktienportfolio nicht effektiv diversifizieren, da in kritischen Marktphasen wie 2008 die Korrelation zwischen Aktien und Rohstoffen in Richtung Eins tendiere. Von einem geopolitischen Konflikt wären Aktien und Rohstoffe wohl aber gegensätzlich

betroffen. Bei Energierohstoffen und Gold würde man mit einer negativen Korrelation rechnen, die Korrelation mit Agrarrohstoffen dürfte um die Nulllinie liegen. Lediglich die Industriemetalle dürften von einem Irankonflikt in Mitleidenschaft gezogen werden.

Nachdem unter den spekulativen Marktteilnehmern im Frühsommer 2010 noch große Konjunkturskepsis herrschte, wandelte sich ab Juli das Bild. Die Non-Commercials investierten binnen weniger Wochen mehr als 60 Mrd. USD in Rohstoffkontrakte. Über 30 Mrd. flossen dabei in die Getreidekontrakte, deren attraktive Fundamentaldaten (Mais, Sojabohnen) im Zuge der wetterbedingten Angebotsausfälle wiederentdeckt wurden. Kurzfristig sind einige Märkte durch die massiven Kapitalzuflüsse überhitzt. Mittelfristig erinnert uns die Situation an den Jahreswechsel 2007/2008 als ebenfalls starke Kapitalzuflüsse einen sehr steilen Indexanstieg in der ersten Jahreshälfte 2008 nach sich zogen.

Spekulative Marktteilnehmer sind optimistisch gestimmt

Von den jüngsten geopolitischen Spekulationen sind die kurzfristigen Kapitalflüsse noch unberührt. Wir fassen als kurzfristige Kapitalflüsse die reale und nominale Veränderung der spekulativen Nettoinvestitionspositionen zusammen. Als kurzfristig spekulativ ausgerichtet sehen wir die Gruppe an Marktteilnehmern, die von der amerikanischen Futures-Behörde Commodity Futures Trading Commission (CFTC) als Non Commercials eingestuft werden. In der Regel sind dies Hedge-Fonds, Commodity Trading Advisors und Geldverwalter. Im Backtesting hat sich gezeigt, dass sich durch ein

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prozyklisch am Investitionsverhalten ausgerichtetes Timing-Modell systematisch Überrenditen erzielen lassen.

Vielversprechende Charttechnik für 2011

Auch aus charttechnischer Perspektive haben die Rohstoffmärkte Aufwärtspotenzial. Im Überschwang des Frühsommers 2008 übertraf der S&P Goldman Sachs Commodity Index (GSCI) für wenige Tage die obere Trendkanallinie und die Marke von 10.000 Punkten. Innerhalb von 7 Monaten folgte ein ungewöhnlich radikaler Absturz auf 3.100 Punkte, der ohne jede Zwischenerholung ablief. Kurzfristig wurde die bei 3.500 Punkten verlaufende untere Trendkanallinie unterschritten. Ein nachhaltiger Bruch der Kreuzunterstützung dort befindet sich das Hoch des Jahres 1996 materialisierte

sich jedoch nicht. Mittlerweile ist auch der gleitende 12-Monats-Durchschnitt wieder überwunden, so dass aus charttechnischer Sicht ein Aufwärtstrend bis in die Mitte des Trendkanals gut unterstützt scheint.

Spekulative Nettoposition in Mio. USD

Quelle: CFTC, Tiberius

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Regulierung bleibt auch in 2011 ein Risikofaktor

Die Kapitalzuflüsse und die freundliche Grund-tendenz an den Rohstoffmärkten könnten aus unserer Sicht vor allem von einer strengeren Regulierung beeinträchtigt werden. Neben den China- und geopolitischen Risiken (s.o.) halten wir die Regulierung für einen Hauptrisikofaktor in 2011. In der politischen Führung der USA und Europas besteht Konsens darüber, dass sich die politische Zwangslage, in die systemrelevante Banken die Politik in 2008 gestürzt haben, nicht wiederholen dürfe. Ein erster Ausfluss der verstärkten Regierungsbemühungen ist die Dodd-Frank Wall Street Reform und der Consumer Protection Act, welche die beiden Kammern des Senats im Frühjahr 2010 passierten und von Präsident Obama als Gesetz im Juli 2010 unterzeichnet wurde. Das Gesetz sieht eine neue zentrale Regulierungsstelle unter

Führung der US-Notenbank vor, die systemische Risiken enger überwachen und ein Frühwarnsystem entwickeln soll. Die Klienten von Investmentbanken sollen in Zukunft besser vor komplexen Finanzderivaten geschützt werden, indem ein Standard für Plain-Vanilla-Bankprodukte eingeführt wird. Exotische Derivate sollen von den Over the Counter Märkten an transparente, organisierte Börsen überführt werden. Die wichtigste Bestimmung der Dodd-Frank Reform ist jedoch die von Präsident Obama nachträglich aufgenommene Volcker-Regel, die besagt, dass die Investmentbanken künftig keinen Eigenhandel mehr betreiben dürfen. Derartige Tätigkeiten müssen in rechtlich eigenständige Einheiten (z.B. Hedge-Fonds) ausgelagert werden.

Die konkreten Auswirkungen der Regulierung auf die Rohstoff-Futures-Börsen sind noch nicht klar. Die für die Rohstoff-Futures zuständige

GSCI Total Return seit 1970

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Commodity Futures Trading Commission (CFTC) wird durch das Dodd-Frank-Gesetz mit größeren Befugnissen ausgestattet. Die CFTC hat eine Reihe von Anhörungen angesetzt und will bis zum 15. Juli 2011 konkrete Maßnahmen für die Futures-Börsen beschließen. Die Preise der Rohstoff-Futures könnten von zwei Seiten negativ betroffen sein. Zum einen erwarten wir eine striktere Überwachung und Umsetzung der existierenden Positionslimite, die bei einzelnen Marktteilnehmern zu Abverkäufen von long only Beständen führen könnten. Zum anderen dürfte der Swap-Markt, über den vor allem das Geschäft der passiven Rohstoffindizes abgewickelt wird, enger eingefasst werden. Restriktionen und Positionslimite am Swap-Markt könnten die Liquidität so einschränken, dass es zu Kapitalabflüssen kommt. Der Handlungsspielraum der CFTC wird jedoch dadurch eingegrenzt, dass die ausländischen Rohstoff-Börsen, namentlich in England, noch keine konkreten Regulierungsvorhaben auf den Weg gebracht haben. Wir können uns kaum vorstellen, dass die USA ihre Führungsrolle bei der Preisfindung von Rohstoffen freiwillig nach London abgeben. In jedem Fall ist durch regulierungstechnische Maßnahmen ein kurzer und heftiger Sell-Off möglich, der jedoch den zyklischen Aufwärtstrend in 2011 nicht nachhaltig verletzen dürfte.

Auch die Regulierung in Deutschland könnte kurzfristig für einen negativen Effekt am Rohstoffmarkt sorgen. Institutionelle Marktteilnehmer müssen künftig Hedge-Fonds mit aktienähnlichen Risikokennziffern (z.B. Maximaler Verlust) bewerten, obwohl einzelne Instrumente in diesem Bereich ein ganz anderes Rendite-Risiko-Profil aufweisen. Diese Neuregelung könnte zu Rückgaben führen, die allerdings nicht das Ausmaß des dritten Quartals

2008 erreichen dürften, als viele Hedge-Fonds mehr oder weniger abgewickelt wurden und eine Vielzahl von Rohstoff-Long-Positionen liquidiert werden mussten.

Und schließlich erwarten wir 2011 eine Neuauf -Diskussion. In den USA beträgt die Nachfrage der Ethanolindustrie schon mehr als ein Drittel der inländischen Gesamtnachfrage nach Mais. Ohne die von der Environmental Protection Agency (EPA) vorgegebenen Produktionsziele für Ethanol wären die US-Lagerbestände von Mais und Sojabohnen längst nicht auf so kritisch tiefe Marken gefallen. Bei einer ungünstigen Wetterentwicklung ist 2011 ein Überschießen der Getreidepreise möglich. Das könnte die Margen der Ethanolproduzenten erneut in den negativen Bereich drücken und die Diskussion neu entfachen, inwieweit Nahrungsmittel zur Energiegewinnung eingesetzt werden sollen. Wir könnten uns in einem derartigen Szenario vorstellen, dass die Ethanol-Produktionsziele von der EPA in 2011 gekappt werden, was bei Mais anschließend zu heftigen Abverkäufen führen könnte.

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Fazit: Wir prognostizieren für 2011 ein Kursplus des DJ UBS Commodity Index Total Return von 17%

Alles in allem dürfte das Jahr 2011 noch einmal ein gutes Rohstoffjahr werden. Zwar sind die Risiken erheblich und der Eintritt auch nur eines Risikofaktors könnte ganz im Keynesschen Sinne einen Strategiewechsel notwendig machen

Basisszenario ist aber, dass der zyklische Aufwärtstrend an den Rohstoffbörsen anhält und die Rohstoffindices von Kapitalzuflüssen und technischen Kaufsignalen weiterhin gut gestützt werden. Wir könnten uns im ersten Halbjahr 2011 eine steile Aufwärtsbewegung vorstellen, die in der zweiten Jahreshälfte von heftigen

Kurskorrekturen und einer volatilen Seitwärtsbewegung abgelöst wird. Unser Kursziel zum Jahresende 2011 liegt bei 350 Punkten. Vom aktuellen Niveau entspricht dies einem Plus von knapp 17%.

Dow Jones UBS Commodity Index Total Return

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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WTI Rohöl: Neutral

Das Wachstum der globalen Ölnachfrage ist eine der wichtigsten Determinanten des Ölpreises. Im Backtesting hat sich gezeigt, dass der Ölpreis immer dann noch oben tendiert, wenn die globale Ölnachfrage von den drei großen Erdölmarktbeobachtern die Internationale Energieagentur (IEA), das U.S. Energieministerium (EIA) und die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) nach oben revidiert werden muss. Gerade 2010 war dies der Fall, als der Nachfrageanstieg aufgrund des dynamisch wachsenden Verbrauchs in China und in anderen Schwellenländern von etwas über 1 mb/d Anfang des Jahres 2010 auf über 2 mb/d nach oben revidiert wurde.

Für 2011 ist die Spannbreite der Nachfrageschätzungen relativ hoch. Aus unserer Sicht wird das Nachfragewachstum in den OECD-Staaten um die Nulllinie herum liegen, so wie es die EIA (0,0 mb/d) und die OPEC (+0,1 mb/d) auch prognostizieren. Die IEA ist mit -0,3 mb/d wohl zu negativ angesichts des von uns erwarteten guten Weltwirtschaftswachstums. Die spannendere Frage ist, welchen Nachfragezuwachs die Non-OECD-Staaten in 2011 haben. Hier werden Steigerungen von 1,5 mb/d (IEA), 1,5mb/d (EIA) und 1,1 mb/d (OPEC) gesehen. Die IEA erwartet demnach eine gesamte Nachfragesteigerung von 1,2 mb/d, die EIA eine Steigerung von 1,5 mb/d und die OPEC von 1,2 mb/d. Wir halten insgesamt eine Nachfragesteigerung von 1,4 mb/d für realistisch.

Welt-Erdöl-Nachfrage relativ zum realen Welt-BIP

Quelle: IEA, IWF, Tiberius

EINZELMÄRKTE: ROHSTOFFPERSPEKTIVEN 2011 ENERGIESEKTOR Autor: Christian Kurz

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Historisch betrachtet gibt es einen sehr engen Zusammenhang zwischen der jährlichen Wachstumsrate des Welt-Bruttoinlandsproduktes und der jährlichen Veränderung der Erdöl-Nachfrage. Unsere Berechnungen haben für den Zeitraum von 1990-2010 ein Bestimmtheitsmaß R2=0,4625 ermittelt. Hieraus ergibt sich auf Grund unseres Konjunkturausblicks eine globale Nachfragesteigerung von 1,4 mb/d und demnach eine globale Gesamt-Nachfrage von 87,8 mb/d.

Die Schätzungen hinsichtlich der Frage, ob ein Teil dieses Nachfragezuwachses durch Produktionssteigerungen in den Non-OPEC-Ländern aufgefangen werden kann, gehen weit auseinander. So erwartet die IEA eine Steigerung des Non-OPEC-Angebots von durchschnittlich 0,8 mb/d, wobei die EIA einen Rückgang um 0,3 mb/d erwartet. Die OPEC

hingegen erwartet einen leichten Anstieg von 0,3 mb/d. Wir erwarten, dass sowohl die IEA als auch die OPEC im Laufe des Jahres 2011 ihre Non-OPEC-Angebotsschätzungen nach unten revidieren, wohingegen die EIA ihre Schätzungen nach oben anpassen muss. Wir rechnen mit einem leichten Anstieg der Non-OPEC-Produktion um 0,1 mb/d, welcher aus Südamerika und Asien stammt.

Produktionsmenge, welche die OPEC bereit stellen müsste, um die Nachfrage zu befriedigen, dürfte nach unserer Schätzung 1,3 mb/d betragen. Davon kann die OPEC einen Teil durch den Produktionszuwachs bei Natural Gas Liquids (NGL), der um 0,55 mb/d liegen dürfte, bedienen. Übrig bliebe ein Produktionszuwachs von 0,75 mb/d, den die OPEC im Jahr 2011 stemmen muss. Das wird die OPEC wohl nicht ganz schaffen. Zwar sind

OPEC 11 (exklusive Irak) Produktionsniveau

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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mittelfristig noch ausreichend freie Produktionskapazitäten vorhanden. Kurzfristig kann die OPEC nicht viel mehr als 0,5 mb/d aktivieren, so dass wir davon ausgehen, dass der globale Ölmarkt in 2011 ein Defizit von 0,25 mb/d aufweisen wird.

Die OPEC selbst rechnet damit, dass nur eine Mehrproduktion von 0,35 mb/d (exklusive NGL) notwendig ist, um den Markt auszugleichen. Das halten wir für eine zu konservative Annahme. Die OPEC hat auf ihrem letzten Treffen den Marktteilnehmern vermittelt, dass sie einen Ölpreis zwischen 75 und 90 USD je Barrel als angemessen ansieht. Aus der Vergangenheit können wir schließen, dass die OPEC zu Produktionskürzungen bereit wäre, wenn die untere Barriere von 75 USD je Barrel nachhaltig verletzt würde. Umgekehrt

ist mit keinen großen Maßnahmen zu rechnen, wenn der Ölpreis nach oben überschießt.

Während die globalen Öldaten für 2011 als bullish einzustufen sind, zeigen die Zahlen auf der Mikroebene in den USA weiterhin keine Knappheit an. Es existieren nach wie vor hohe Lagerbestände für Erdöl und Erdölprodukte. Der Lagerüberhang ging im Herbst 2010 zwar allmählich zurück, ist aber immer noch groß genug, um als Preisbremse zu fungieren. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Rohölverbrauch der US-Raffinerien weiterhin aufgrund der fehlenden Absatzmöglichkeiten bei den Endprodukten unter den historischen Werten liegt. So beträgt die diesjährige durchschnittliche Kapazitätsauslastung der US-Raffinerien 85,20%, im Vergleich zu einer historischen durchschnittlichen

Rohöl WTI - Terminkurve

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Kapazitätsauslastung von 89,11% über die letzten 10 Jahre. Wir sind weiterhin der Meinung, dass sich der US-Raffinerie-Sektor gesund schrumpfen muss, um eine nachhaltige Verbesserung der US-Marktbilanz zu bewirken. Auch die Lagerbestände in den übrigen OECD-Staaten befinden sich <noch> auf einem hohen Niveau. Aufgrund des erwarteten Marktdefizits erwarten wir jedoch einen allmählichen Rückgang, der in der zweiten Jahreshälfte 2011 zu Engpässen führen könnte.

Wir haben schon mehrfach auf den engen Zusammenhang zwischen den Lagerbeständen in Cushing/Oklahoma, dem Erfüllungsort für West Texas Intermediate (WTI), und der Terminkurvenentwicklung der Rohölsorte WTI hingewiesen. Wir sind vor einem Jahr davon ausgegangen, dass sich die Rohölterminkurve im Laufe des Jahres 2010 verflachen würde, da wir im Verlauf des Jahres einen allmählichen Rückgang der Überschusslagerbestände erwarteten. Diese Entwicklung ist in 2010 nur in sehr begrenztem Umfang eingetreten. Nichtsdestotrotz halten wir an der Prognose fest, dass die Tage des Contango angesichts des von uns vermuteten Ölmarktdefizits gezählt sind. Derzeit beträgt der Contango bzw. der erwartete 1-Jahres-Rollverlust für WTI ca. 3,0%. Wir rechnen mit einem weiteren schrittweisen Abbau der lokalen Überschusslagerbestände, einer steigenden Produktnachfrage und einer steigenden Kapazitätsauslastung der US-Raffinerien, wodurch sich die Terminkurve in der ersten Jahreshälfte 2011 weiter verflachen sollte. In der zweiten Jahreshälfte erwarten wir den Übergang zu Backwardation. Aus unserer Sicht sind immer noch sehr viele Marktteilnehmer in den langlaufenden Termin-Kontrakten

positioniert, welche sich bei einer nachhaltigen Verflachung der Terminkurve bzw. Reduzierung der Lagerbestände mit kürzer laufenden Kontrakten eindecken müssten.

Fazit:

Die erwarteten positiven Makrodaten Wachstum der Non-OECD-Staaten Nachfrage, Steigerung des Call on OPEC sowie eine weitere Verbesserung der US-Mikro-Daten dürften den Ausschlag geben, dass der Erdölmarkt zum Jahresende 2011 in Richtung der 100 USD-Marke driften wird. Kurzfristig erwarten wir eine Trading-Range zwischen 85 USD und 95 USD je Barrel. Wir rechnen mit einer Ölfuturesrendite von 12% (Kassapreisanstieg 15%, Roll-Verluste 3%). Die Risiken für diese Prognosen liegen auf der Upside, wenn Investoren, wie in der ersten Jahreshälfte 2008, auf diesen Trend aufspringen. In jedem Fall erwarten wir zu den Rohstoffindizes eine neutrale Entwicklung.

Benzin: Neutral

Der US-Benzinmarkt befand sich auch in diesem Jahr in einem deutlichen Überschuss. Die durchschnittlichen Überschusslagerbestände des Jahres 2010 betrugen 10,72 Mio. Barrel (mb) im Vergleich zu Überschusslagerbeständen von 3,6 mb im Jahr 2009, 2,1 mb im Jahr 2008 und 2,4 mb in 2007. Ihren diesjährigen Hochpunkt erreichten die Überschusslagerbestände im September bei 21,62 mb. Die Hauptursache für den Lagerüberhang ist die mäßige Nachfrage während der diesjährigen Driving Season. Der gesamte durchschnittliche Verbrauch des Jahres 2010 beläuft sich auf 9,09 mb/d und ist damit nur um durchschnittlich 0,031 mb höher

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als im Rezessionsjahr 2009. Der Trend zu Benzineinsparungen durch effizientere Verbrennungsmotoren ist eine Konsequenz aus der Finanzkrise 2008. Trotz eines Zuwachses an zurückgelegten Fahrstrecken, erwarten wir daher nur noch geringe Zuwächse beim Verbrauch in den kommenden Jahren.

Die diesjährige Steigerung der US-Nachfrage reichte nicht aus um die durchschnittliche Steigerung der US-Benzin-Produktion um 0,139 mb/d auf 9,086 mb/d auszugleichen. Die Importe fielen hingegen um 0,064 mb/d, auf 0,889 mb/d. Das in den USA verfügbare Benzinangebot, das sich aus der Benzinproduktion der Raffinerien und den Importen zusammensetzt, hat auch in diesem Jahr nur wenig auf die historisch niedrige Nachfrage reagiert. Die US-

Raffineriekapazitäten und Importe sind weiterhin als zu hoch anzusehen. Solang diese nicht reduziert werden und auf der anderen Seite die Exporte steigen, wird sich eine echte Produktknappheit bei US-Benzin nicht ergeben.

Der aktuelle Crack Spread zum Erdöl notiert derzeit bei 7,59 USD je Barrel. Durchschnittlich betrug der Crack Spread für das Jahr 2010 10,21 USD je Barrel. Die gegenwärtige Terminkurve 2011 hat einen durchschnittlichen Wert von USD 8,58 USD je Barrel, was im historischen Vergleich als günstig zu betrachten ist. So betrug der durchschnittliche Crack Spread im Jahre 2009 8,39 USD je Barrel, 2008 20,36 USD je Barrel und 2007 13,39 USD je Barrel. Damit sind die verhaltenen fundamentalen Aussichten aus unserer Sicht vollständig eingepreist.

Preisdifferenz (Crack Spread) zwischen Benzin und Rohöl in USD je Barrel

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Betrachtet man die aktuelle Benzin-Heizöl Spread Terminkurve für die Jahre 2011 und 2012, so lässt sich dort eine recht deutlich ausgeprägte Anomalie ausmachen. Historisch wurde der Benzin-Preis in den Sommer-Monaten stets mit einem Aufschlag gegenüber den Heizöl-Kontrakten gehandelt. Betrachtet man den historischen Benzin-Heizöl Spreads seit dem Jahre 1986, so lässt sich feststellen, dass der Benzin-Mai-Kontrakt im Schnitt 12,29 Cents je Gallone über dem Heizöl Mai Kontrakt notierte. Gleiches gilt für die Monate Juni, Juli bzw. August. Hier betrug die durchschnittliche historische Benzin-Prämie gegenüber dem Heizöl 8,49 Cents je Gallone (Juni), 6,39 Cents je Gallone (Juli) bzw. 3,96 Cents je Gallone (August) Lediglich im Jahr 2008 wurde das Benzin mit einem durchschnittlichen Abschlag von 36,78 Cents je Gallone gegenüber Heizöl gehandelt. Dies war jedoch auf eine extreme

Knappheit im Heizöl-Markt bei gleichzeitiger Überversorgung im Benzin-Markt zurückzuführen. Eine Situation, die wir für kommendes Jahr nicht erwarten. Wir denken, dass die Benzin-Sommer-Kontrakte relativ zu den Heizöl-Sommer-Kontrakten deutlich zu günstig bewertet sind und dass sich diese Fehlbewertung im Laufe des kommenden Jahres auflösen wird und damit verbunden die 2011 Sommer-Benzin-Kontrakte mit einem Aufschlag gegenüber Heizöl gehandelt werden. Gleiches gilt für die Terminkurve 2012.

Preisdifferenz zwischen Benzin und Heizöl in Cents je Gallone

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Fazit:

US-Benzin befindet sich weiterhin in einer Überschusssituation. Für das Jahr 2011 erwarten wir aufgrund einer deutlich besseren Driving Season einen allmählichen Abbau der Überschusslagerbestände. Benzin dürfte sich damit parallel zu Rohöl entwickeln. Wir empfehlen, US-Benzin neutral zu gewichten.

Heizöl: Neutral

Die Nachfrage nach US-Rohöldestillaten (Diesel, Heizöl, Fuel Oil) konnte sich im Zuge der robusten Konjunktur stabil entwickeln. Im Jahresvergleich stieg der Destillate-Absatz (Product Supplied) um durchschnittlich 3,78%. Die Diesel-Lagerbestände fielen dadurch deutlich unter ihren saisonalen 5-Jahresdurchschnitt. Im Jahre 2009 betrugen die durchschnittlichen Diesel Lagerbestände

noch 20,38 mb, wohingegen die durchschnittlichen Lagerbestände in diesem Jahr bei 13,98 mb liegen. Die Fuel Oil Lagerbestände stiegen im Gegensatz dazu deutlich an. Hier ist ein Anstieg von 9,12% im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Ähnliches ist bei den US-Heizöllagerbeständen zu beachten. Diese stiegen um durchschnittlich 6,9% im Vergleich zum Vorjahr 2009 an und betragen derzeit 52,28 mb. In den vergangenen Monaten konnte ein deutlicher Abbau der Überschuss-Lagerbestände bei Heizöl verzeichnet werden. Im Vorfeld der Wintermonate kommt es häufig zu entsprechenden Positionierungen in Antizipation eines kalten Winters.

Preisdifferenz (Crack Spread) zwischen Heizöl und Rohöl in USD je Barrel

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Aktuell wird der Heizöl-Future auch von der Diesel-Knappheit in China angetrieben. Die chinesische Regierung hatte im Rahmen eines Programms zur Energieeinsparung die Rückführung der Stromproduktion verfügt. Viele Unternehmen behelfen sich durch den Betrieb von Dieselgeneratoren, was aktuell zu einer Mehrnachfrage von 0,3 mb/d Diesel pro Tag führt. Im neuen Jahr dürfte diese Sondersituation aber nicht mehr gegeben sein, so dass wir eine Prämie der amerikanischen und europäischen Heizöl/Gasoil-Futures gegenüber Benzin und Rohöl auf Dauer nicht für gerechtfertigt halten.

Der aktuelle Heizöl Crack Spread notiert derzeit bei 15,28 USD je Barrel. Die Termin-Crack-Spreads der Sommermonate notieren aktuell bei 13,70 USD je Barrel und die Wintermonate bei 15,41 USD je Barrel. Wie bereits bei Benzin ausgeführt, betrachten wir die 2011 Heizöl-Sommer-Kontrakte relativ zu Benzin als überbewertet.

Fazit:

Ebenso wie bei Benzin ist auch bei den Destillaten keine Knappheit zu erkennen. Eine rückläufige Lagerentwicklung ist lediglich bei Diesel bemerkbar. Die Kassapreise für Heizöl scheinen uns fair gepreist, die Terminpreise sind insbesondere im Vergleich zu Benzin aus unserer Sicht überbewertet. Wir sehen gerade noch eine neutrale Entwicklung des Heizöl-Futures zum DJUBS-Rohstoffindex.

Erdgas: Leicht untergewichten

Auch in diesem Jahr war der entscheidende Faktor für die unterdurchschnittliche Kursentwicklung die fehlende Angebotsreduktion. Die Euphorie von Investoren und Produzenten bei der Erschließung unkonventioneller Gasfelder (Schiefer-Gas) ist trotz des gedrückten Preisniveaus noch nicht verflogen. Die Folge der Produktionssteigerungen waren auch in 2010 hohe Überschusslagerbestände, wobei eine Wiederholung des Traumas aus dem Jahr 2009 ausblieb. Damals waren Kassapreise von über 6 USD je MMBtu auf 2,5 USD je MMBtu eingebrochen, da viele Marktteilnehmer befürchteten, die Lagerkapazitäten in den USA könnten nicht ausreichen, um die überschüssige Produktion aufzunehmen. Die Kapazitätsgrenze des Erdgaslagers wurde bei knapp 4000 Mrd. Kubikfuß (bcf) angenommen. Tatsächlich wurden zum Ende der Einlagerungs-Saison Ende November 2009 3.837 bcf erreicht. In diesem Jahr befindet sich das Erdgaslager zum Ende der Einlagerungs-Saison praktisch auf dem gleichen Niveau.

In den letzten Wochen haben viele Marktteilnehmer ihre Erwartung, dass das Drilling und die Produktion in 2011 langsamer steigen bzw. sinken werden eingedeckt. Die Hauptursache ist, dass viele Erdgas-Produzenten neben Erdgas auch Erdöl fördern und die Erdöl-Förderung derzeit profitabel ist. Dies bedeutet, dass es sich die Erdgas-Produzenten im Moment noch leisten können, in ihrer Erdgas-Produktion Verluste zu machen. Zudem wollen viele Erdgas-Produzenten ihren Investoren ein Wachstumsprofil zeigen, um im Wettbewerb um Kapital zu bestehen. Hier haben weder

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Produzenten noch Investoren auf den schleichenden Preisverfall bei Erdgas reagiert. Dabei sind die Voraussetzungen für Angebotskürzungen derzeit gegeben. Der Kalenderpreis 2011 notiert derzeit durchschnittlich bei nur noch 4,5 USD je MMBtu und bietet damit nicht genügend Anreiz, die Produktion auszudehnen. Die Produktionskosten liegen derzeit bei 6,5 USD je MMBtu, womit ein profitables Produzenten-Hedging unmöglich geworden ist. Erst wenn es zu einer deutlichen Reduktion der Bohrlöcher bzw. des Angebots kommt, kann sich der Erdgasmarkt von einem Überschussmarkt in einen Defizitmarkt wandeln. Langfristig ist ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Bohrlöcher und dem Erdgas-Angebot zu erkennen. Wir erwarten einen leichten Rückgang der Bohrlöcher auf 850 und ein allmähliches Auslaufen des Produktionswachstums.

Auf der Nachfrageseite ist Erdgas derzeit sehr günstig gegenüber konkurrierenden Energieträgern (Kohle, Heizöl) und den Preisen in anderen Regionen der Welt bewertet. Die Substitution von Kohle durch Erdgas dürfte die US-Nachfrage kurzfristig erhöhen. Gleichzeitig sorgen die deutlich höheren Erdgaspreise in Europa und Asien dafür, dass die Importe von Flüssiggas (LNG) weit unter ihren historischen Schnitt zurückgefallen sind. In Summe dürfte die wetterunabhängige Erdgasnachfrage in den nächsten 6-9 Monaten noch unter dem Erdgasangebot liegen. Zum Jahresende 2011 sollte sich der Markt allerdings im Defizit befinden.

US-Erdgas Angebot und Nachfrage vs. Baker Hughes Rig Count

Quelle: EIA, Baker Hughes, Tiberius

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Kurzfristig sprechen einige technische Gründe für Erdgas. Während den Wintermonaten kommt es regelmäßig zu Kaltlufteinbrüchen, die temporär eine erhöhte Nachfrage bewirken. Die Winterpreise liegen deswegen regelmäßig über den Sommerpreisen. In den letzten Wintern wurden im Kassapreis wenigstens kurzfristig 7 USD je MMBtu erreicht. Aktuell dümpeln Kassapreis und die Winterkontrakte nur wenig über 4 USD je MMBtu. Im Januar steht zudem die Readjustierung der Ausgangsgewichte (Rebalancing) der großen Rohstoffindizes an. Da Erdgas in diesem Jahr erneut dramatisch underperformed hat, wird das aktuelle Gewicht deutlich angehoben. Diese Zusatznachfrage wird üblicherweise bereits im Dezember vorweggenommen.

Beide Faktoren könnten dazu führen, dass sich Hedge-Fonds und CTAs zur Auflösung ihrer hohen Nettoshortposition gezwungen sehen. Unter Einbeziehung des NYMEX Erdgas-Swaps waren die spekulativen Marktteilnehmer in der Spitze über 90.000 Kontrakte short. Das entspricht mehr als 700 Mrd. Kubikfuss, deutlich mehr als die gesamten Überschusslagerbestände, die sich auf knapp 400 Mrd. Kubikfuss belaufen.

Fazit:

Der US-Erdgas Markt hat in den Wintermonaten die Chance auf eine kurzfristige Short-Covering-Rallye. In den Folgemonaten dürfte der Produktionsüberhang den Sommermonaten kaum Preise oberhalb von 4 USD je MMBtu erlauben. Der Übergang zu einem Defizitmarkt zum Jahresende 2011 kommt wahrscheinlich zu spät. Unser Votum lautet leicht untergewichten.

US-Erdgas Nearby Future Preis vs. CFTC US-Erdgas Non-Commercial Nettoposition

Quelle: CFTC, Bloomberg, Tiberius

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Nachfrage und Angebot

Im Jahr 2010 fand die erstaunlichste Entwicklung bei den Basismetallen auf der Nachfrageseite statt. Es kristallisierte sich heraus, dass der Nachfrageeinbruch 2009 verheerender war als zunächst angenommen. Vor allem die Nachfrage in den westlichen Industrieländern wurde mehrfach nach unten revidiert. Aufgrund dieser Basiseffekte und der Tatsache, dass sich die weltweite Konjunkturentwicklung deutlich besser darstellte als von vielen Marktbeobachtern angenommen (insbesondere im 2. Halbjahr 2010), hat die durchschnittliche Nachfrage bei den von uns beobachteten Industriemetallen um ganze 11% zugenommen!

Aufschwungs waren China und andere Schwellenländer. Dies zeigt sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen hat der Metallverbrauch in China weiter stark zugenommen, so dass der Nachfrageanteil im

Schnitt nun etwa 40% beträgt. Zum anderen hat der Investitionsboom in China dazu geführt, dass exportstarke Länder einen veritablen Konjunkturboom aufgrund voller Auftragsbücher für Ausrüstungsgüter erleben. So haben sich z.B. die deutschen Exporte in Richtung China seit dem Jahr 2001 vervierfacht, während sie nach Nordamerika oder Japan stagnierten.

Inzwischen besteht die Gefahr, dass die chinesische Konjunktur (vor allem im Bausektor) überhitzt, weswegen die Regierung diverse Maßnahmen ergreift um diese etwas abzukühlen und die Inflationsentwicklung zu dämpfen. Dazu gehören etwa eine restriktivere Kreditvergabe und Einschränkungen bei spekulativen

Hauskäufen (vgl. Konjunkturperspektiven China). Wir erwarten für 2011 eine positive Wirtschaftsentwicklung, die knapp an die Wachstumsraten des Jahres 2010 heranreichen sollte. Auf das Nachfragewachstum bei den

Durchschnittliches Wachstum der Industriemetallnachfrage

Quelle: WBMS, Tiberius

INDUSTRIEMETALLE Autor: Thomas Benedix

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Industriemetallen übertragen, entspräche dies einer Wachstumsrate von durchschnittlich 4%.

Die Angebotsseite wird 2011 wieder eine größere Rolle spielen als 2010. Trotz gewisser Kostensteigerungen liegen die Margen der Minenbetreiber auf einem hohen Niveau, so dass die vorhandenen Unternehmen versuchen werden, ihre Produktionskapazitäten auszureizen. Aber auch die verstärkten Explorations- und Erweiterungsinvestitionen werden die Nachfragesteigerung nicht bei allen Basismetallen ausgleichen können. Die Angebotsausweitung wird gemäß unserer Erwartung im Durchschnitt aller Industriemetalle

ebenfalls bei etwa 4% liegen, ist allerdings ungleich verteilt und wird sich in einer Spanne von etwa +1% (Zink) bis +9% (Nickel) bewegen.

Marktsalden

Wir hatten für das Jahr 2010 bei allen Basismetallen einen mehr oder weniger hohen Überschuss prognostiziert, mit Chancen auf ein Defizit bei Kupfer und Zinn. Bei letzteren hat sich dieses Defizit tatsächlich materialisiert, bei Zinn sogar in einer sehr drastischen Art und Weise. Mannigfaltige Probleme auf der Angebotsseite (Streiks, Naturkatastrophen, politische Interventionen, sinkender Metallgehalt in den Erzen, etc.) und eine stabil wachsende Nachfrage werden dafür sorgen, dass sowohl Kupfer als auch Zinn nächstes Jahr im Defizit bleiben werden. Etwas überraschend war für uns, dass

Nickel aufgrund der Streiks in den kanadischen Minen der Betreiberfirma Vale im ersten Halbjahr 2010 ins Defizit fiel. Seit Beendigung der Streiks ist der Markt wieder ausgeglichen bis leicht im Überschuss. Der Preisanstieg im dritten Quartal 2009 löste bei Zink eine massive

Entwicklung der Industriemetall-Marktsalden

Quelle: Tiberius

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Angebotsreaktion aus, die aufgrund der weiterhin hohen Preise im Jahr 2010 noch ausgebaut wurde. Diese hatte zur Folge, dass Zink den bei weitem größten Überschuss aller sechs Industriemetalle in diesem Jahr aufweist. Allerdings rechnen wir für 2011 mit einer starken Nachfragesteigerung, die den Markt näher ans Gleichgewicht bringen wird. Erste Schätzungen deuten daraufhin, dass der Zinkmarkt ab 2012 wieder Chancen auf ein Defizit hat, was aber die Preise in der ersten Jahreshälfte 2011 noch wenig bewegen dürfte. Etwas mehr Potential sehen wir für Blei. Hier wird sich der Markt bereits 2011 ausgleichen.

Zwar kam es auch hier während der Rezession zu Überschüssen und einem Lagerbestandsaufbau, diese fielen jedoch deutlich geringer aus als bspw. bei Nickel und Zink. Aluminium leidet weiterhin an den chinesischen (und inzwischen auch weltweiten) Überkapazitäten im

Verhüttungssektor, so dass sich der Markt - trotz einiger politisch angeordneter Produktionskürzungen aufgrund von Energie-Einsparmaßnahmen in China - in einer strukturellen Überschusssituation befindet.

Lagerbestände und Terminkurven

Im letzten Kapitalmarktausblick hatten wir darauf hingewiesen, dass unser langfristiges Lagerbestandsmodell im Jahr 2009 vom Preisaufschwung der Basismetalle bei gleichzeitigem Lageraufbau an den weltweiten Metallbörsen überrascht wurde.

Das Modell erkannte nicht, dass es nach dem Ende der Rezession auch in früheren Zyklen noch etwa 3-6 Monate dauerte, bevor der Lagerbestandsaufbau abgeschlossen war. Auch dieses Mal war das der Fall. Die Börsenlagerbestände der London Metal

Entwicklung der LME-Lagerbestände (01.01.2008 = 100)

Quelle: LME, Tiberius

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Exchange (LME) für Zinn, Nickel und Kupfer erreichten ihr zyklisches Hoch erst zum Jahreswechsel 2009 / 2010 und damit genau 6 Monate nach Ende der amerikanischen Rezession. Seither ist die Tendenz für alle Metalle mit Ausnahme von Zink und Blei leicht bis deutlich fallend. Dies geht einher mit unserer Beobachtung, dass sich einige der Metalle (Kupfer, Zinn, Nickel) bereits 2010 im Defizit befanden.

Wir gehen weiterhin davon aus, dass im Jahr 2010 vor allem in China ein Abbau nicht berichteter Lagerbestände (De-Stocking) stattgefunden hat. Darüber hinaus hat das chinesische Büro für strategische Reserven einen Teil der im Jahr 2009 aufgebauten Aluminium-

und Zinkbestände wieder veräußert. Immer noch eine Rolle spielen außerdem die Finanzierungsgeschäfte, bei denen physisches Material in den Lagerhäusern erworben wird und

gleichzeitig unter Ausnutzung des Contango zu einem höheren Terminpreis wieder verkauft wird. Diese Bestände stehen dem Markt nicht unmittelbar zur Verfügung, da die Metalle zunächst zurückgekauft werden müssten, bevor sie physisch dem Lager entnommen werden können. Bei Aluminium machen diese immer noch bis zu 70% des gesamten LME-Lagers aus. Durch weniger steile Terminkurven sind diese Finanzierungsgeschäfte jedoch im letzten Jahr deutlich unattraktiver geworden, so dass unserer Ansicht nach keine neuen mehr eingegangen werden und bei Auslaufen der bestehenden Verträge diese wohl auch nicht verlängert werden.

Konform zur Lagerhaltungs-Theorie (Theory of Storage) haben sich die Terminkurven der Basismetalle entwickelt. Im Zuge der Konjunkturerholung und der sinkenden

Terminkurven und Frühindikatoren schwingen im Gleichklang

Quelle: LME, Tiberius

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Lagerbestände hat sich auch der Contango deutlich verringert. Zwar sind bis auf Kupfer die Terminkurven am vordersten Ende (Kassapreis bis 3-Monats-Forward) noch im Contango, wenn man jedoch die Kurve auf Sicht eines Jahres betrachtet (3-Monats- ggü. 15-Monats-Forward), so befinden sich die Kurven nun durchschnittlich in leichter Backwardation. Bei Aluminium und Zink, also den Rohstoffen, die sich noch deutlich im Überschuss befinden und gleichzeitig hohe Lagerbestände vorhanden sind, fallen negative Rollrenditen von 2%-3% p.a. an, während die anderen Metalle leicht positive Rollrenditen (1%-2%) versprechen.

Die Preisentwicklung kommt den Terminkurven auch direkt zugute, da gerade die Lagerkosten gewichts- und volumenabhängig anfallen, anstatt sich prozentual am Metallpreis zu orientieren. Das niedrige Zinsniveau sorgt überdies dafür, dass die Finanzierungskosten sehr gering bleiben. Da die kurzfristigen Zinsen auch auf absehbare Zeit nicht stark ansteigen werden, stehen für die

Wir gehen davon aus, dass sich die Backwardation bei Kupfer, Zinn und Blei stärker ausprägt und der Contango bei den anderen Basismetallen weiter verflacht.

Investment Flows

Auch im Jahr 2010 floss reichlich Investorenkapital in die Rohstoffmärkte und nicht zuletzt in die Industriemetalle. Hier war die

berechtigte Spekulation auf einen fortgesetzten Wirtschaftsaufschwung der Haupttreiber. Und vor allem Nachrichten aus China bewegten immer wieder die Kurse. Seit

London zusammenkommt, ist das Thema

physisch hinterlegter, börsengehandelter Fonds

der Agenda. Offenbar planen mehrere große Investmentbanken die Auflegung solcher Strukturen. Den Ankündigungen im Oktober sind aber bisher noch keine Taten gefolgt. Aus unserer Sicht liegt dies daran, dass im Gegensatz zu den Edelmetall-ETFs größere logistische Schwierigkeiten zu bewältigen sind. Zum einen müssen je nach Lokation physische Prämien gezahlt werden, die unterschiedlich hoch sind. Darüber hinaus nimmt die Lagerung im Vergleich zu den Edelmetallen deutlich mehr Raum in Anspruch. Wollte man den gleichen Wert an Kupfer in ETFs einlagern, wie es zur Zeit bei den Gold ETFs der Fall ist, so müsste man nicht nur mehr als 50% einer Jahresproduktion an Kupfer aufkaufen (und damit geschätzt etwa das fünffache der vorhandenen überirdischen Lagerbestände), sondern auch 5 sogenannte

-Schiffe für den notwendigen Lagerplatz bereitstellen. Das übersteigt das für Gold benötigte Lagervolumen um den Faktor 10.000! Es wird also offensichtlich, dass die Transport- und Lagerkosten für Industriemetall-ETFs deutlich höher wären als bei den Edelmetall-ETFs. Insofern ist bei den Industriemetallen - insbesondere bei positiven Roll-Renditen - der Futures-Markt zu bevorzugen.

Was die Auswirkungen eines ETF auf den physischen Markt angeht, so sind die Meinungen gespalten. Wir glauben, dass ein ETF bei einem ohnehin knappen Metall (bspw. Kupfer) kurzfristig zu Preisverwerfungen führen kann, wenn dadurch Endverbraucher kein Material bekommen. Dies würde aber zu Backwardation in der Terminkurve führen und hätte zwei Effekte. Einerseits würden zusätzliche Investoren angezogen, die sich auf die Terminmärkte

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spezialisiert haben. Andererseits wäre für die ETFs ein Switch vom physischen Material in den Future attraktiv. Dafür müsste allerdings von der Börsenaufsichts- und Regulierungsseite sichergestellt werden, dass ein Marktteilnehmer nicht gleichzeitig den physischen Markt knapp hält und große Long-Positionen im Futures-Markt eingeht. Am realistischsten halten wir die Ankündigung eines Aluminium ETFs, der die ohnehin überschüssigen Lagerbestände an Investoren abgibt und damit den Produzenten schmerzhafte Produktionskürzungen erspart.

Relative Preisentwicklung

In den ersten elf Monaten des Jahres konnten die Basismetalle im Durchschnitt etwa 7% zulegen. Damit lagen sie marginal über dem Dow Jones UBS Rohstoffindex, der 5,4% anstieg. Auffällig war, dass sehr hohe positive Korrelationen zwischen den einzelnen Metallen

herrschten (durchschnittlich +0,7). Das deutet darauf hin, dass die Industriemetallpreis stark von gemeinsamen Faktoren angetrieben werden. Dazu gehören neben der unmittelbaren konjunkturellen Entwicklung auch die internationalen Aktienmärkte und der US-Dollar-Wechselkurs. Die recht hohe Korrelation der Industriemetalle mit den Aktienmärkten erklärt sich für uns damit, dass diese in zunehmendem Maße von Investoren als Spekulationsobjekt auf die gesamtwirtschaftliche Lage genutzt werden und damit in gewisser Weise als Anlageklasse in Konkurrenz zu den Aktienmärkten stehen.

Jenseits dieser großen Trends entwickelten sich die einzelnen Metalle jedoch höchst unterschiedlich. So erzielte Zinn mit weitem Abstand vor Nickel und Kupfer die höchsten Kursgewinne. Nickel zehrte dabei in der zweiten Jahreshälfte von seinem starken Anstieg im zweiten Quartal. Leichte Kursverluste unter

Physische Edelmetall-Lagerbestände sind effizienter als bei Industriemetallen

Quelle: Goldman Sachs Global ECS Research, Tiberius

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geringen Schwankungen fielen bei Aluminium an, während Blei und Zink zweistellige Verluste hinnehmen mussten. Blei konnte sich jedoch aufgrund seiner besseren Fundamentaldaten im zweiten Halbjahr etwas von Zink absetzen.

Für 2011 sind wir auf Sektorebene erneut recht positiv gestimmt und gehen von einer leichten Outperformance gegenüber dem DJUBS Rohstoffindex aus. In der Einzelanalyse werden wir aufzeigen, warum wir glauben, dass Zinn und Kupfer trotz ihrer teils herausragenden Entwicklung in 2010 erneut unsere Favoriten im Industriemetallsektor sind und warum sie das Potential für deutliche Kursanstiege haben. Blei reiht sich aus fundamentaler Sicht hinter diesen beiden ein, noch vor Nickel. Am Ende unserer Liste stehen Zink und Aluminium, da diese weiterhin mit Marktüberschüssen, hohen Lagerbeständen und negativen Roll-Renditen zu kämpfen haben.

Aluminium: Untergewichten

Aluminium wies 2010 erneut die geringste Volatilität unter den Basismetallen auf. Der Kassapreis steht faktisch auf demselben Niveau wie vor 12 Monaten, Futures-Investoren realisierten jedoch leicht negative Roll-Renditen.

Positiv für Aluminium ist zu werten, dass die Nachfrage sehr robust wächst. Gerade der Transportsektor weist eine dynamische Entwicklung auf. In unseren Schätzungen für 2011 gehen wir von einer globalen Nachfragesteigerung um 8% aus der höchsten aller sechs Basismetalle.

Das Problem bei Aluminium liegt vielmehr auf der Angebotsseite: Während für Kupfer die Abhängigkeit Chinas von Importen oft in den Vordergrund gestellt wird, so zeigt sich bei Aluminium das genaue Gegenteil. Zwar werden weiterhin Bauxit und Aluminiumoxid (Alumina) importiert, jedoch wurden die inländischen Fördermengen deutlich ausgeweitet. Damit ist China nicht mehr so stark auf die Einfuhr dieser Vorprodukte angewiesen. Im eigentlichen

Korrelation der Industriemetalle 2010

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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Aluminiumsektor ist die Verhüttungskapazität in den letzten Jahren noch stärker angestiegen als der Verbrauch, so dass die Kapazitätsauslastung derzeit nur bei etwa 75% liegt. Und auch im Rest der Welt liegt die Auslastung unter 80%. Damit kann auch eine deutlich steigende Aluminium-Nachfrage problemlos befriedigt werden.

Bei derzeitigen Preisen sind die Margen für die überwiegende Mehrheit der Produzenten immer noch hoch genug, um profitabel arbeiten zu können. Insofern gehen wir davon aus, dass Aluminium auch 2011 einen deutlichen Überschuss ausweisen wird. Bei Kursen unter 2.000 US-Dollar / Tonne rutschen bei gegenwärtigen Energiepreisen jedoch die Hüttenwerke am oberen Ende der Kostenkurve in die roten Zahlen. Insofern ist auch das Abwärtspotential begrenzt, wenn man ein weiterhin positives Konjunkturszenario unterstellt.

Fazit

Aluminium befindet sich in einem strukturellen Marktüberschuss, der sich auch 2011 fortsetzen wird. Dieser könnte zwar geringer ausfallen, falls von Seiten der chinesischen Regierung weitere Produktionskürzungen oder Schließungen von Hüttenwerken angeordnet werden, um Energiesparziele zu erreichen. Jede realistische Nachfragesteigerung kann aber abgefangen werden, so dass Kursanstiege nur eine kurze Halbwertszeit haben werden. Gleichzeitig sind bei Aluminium die in den letzten Jahren aufgebauten Lagerbestände (berichtete und nicht-berichtete) sehr hoch und die Terminkurve ist weiterhin die unattraktivste im Industriemetallsektor. Gleichzeitig bieten sich aggressive Short-Positionen ebenfalls nicht an, weil das Verlustpotential aufgrund der hohen Grenzkosten recht beschränkt ist. Wir sehen für Aluminium einen weitgehend unveränderten

Chinesische Aluminium-Produktion und Verhüttungskapazität

Quelle: International Aluminium Institute, Tiberius

Preisentwicklung der Industriemetall-Excess-Returns (01.01.2010 = 100)

Quelle: Dow Jones UBS, Tiberius

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Kassapreis bei leicht negativen Roll-Renditen. Da wir auf Indexebende von einem deutlichen Plus ausgehen, empfehlen wir Aluminium unterzugewichten.

Kupfer: Übergewichten

Für Kupfer verlief das Jahr 2010 recht turbulent. Zwischen dem Tief Anfang Juni bei knapp über 6.000 USD je Tonne und dem Jahreshoch Anfang November bei knapp 9.000 USD je Tonne das gleichzeitig ein neues Allzeithoch darstellte liegen immerhin 50%. Angst und Euphorie hinsichtlich der zukünftigen Kursentwicklung wechselten sich in schöner Regelmäßigkeit ab. Momentan scheinen sich die Marktteilnehmer aber darüber einig zu sein, dass die Preisaussichten für Kupfer im Jahr 2011 sehr vielversprechend sind.

Auf der Nachfrageseite dominierte die Situation in China und den übrigen BRIC-Staaten das Geschehen. Alleine China hat einen Anteil von 40% an der Welt-Kupfernachfrage. Offiziell ist die Nachfrage im Jahr 2010 zwar nur leicht angestiegen, da bereits im Vorjahr hohe Importzahlen einen hohen Verbrauch suggerierten. Die Importe des Jahres 2009 wurden jedoch teilweise für einen Lageraufbau verwendet. Von diesem zehrten die chinesischen Verbraucher das ganze Jahr über. Vor allem im 2. Halbjahr, als die Weltmarktpreise (gemessen am LME 3-Monats-Forward) stark anstiegen, blieben die Preise an der Shanghaier Futures-Börse (SHFE) immer etwas niedriger. Dies lässt darauf schließen, dass die Verbraucher sich zurückhalten und vorerst noch genügend Material vorhanden ist, um die inländische Nachfrage zu befriedigen. Dies sorgte auch für geringere Importzahlen. Nach allem was wir über

Chinesische Aluminium-Produktion und Verhüttungskapazität

Quelle: International Aluminium Institute, Tiberius

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die Wirtschaftsentwicklung in China wissen, muss dies jedoch zu einer deutlichen Lager-Reduktion geführt haben (De-Stocking). Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis die Nachfrage aus China wieder spürbar ansteigt.

Auf der Angebotsseite enttäuschte das Jahr 2010 erneut. Die Minenproduktion wird im Gesamtjahr wohl nur um etwa 1% ansteigen.

Erneut waren die üblichen Probleme (z.B. Streiks, politische Auseinandersetzungen, sinkender Kupfergehalt im geförderten Erz) dafür verantwortlich, dass die Prognosen für Produktionssteigerungen nicht erfüllt wurden. Einzig der Recycling-Sektor steuerte aufgrund der gestiegenen Wirtschaftsaktivität und attraktiverer Preise deutlich mehr Material bei. So war gemäß Zahlen der International Copper Study Group (ICSG) zwischen Januar und August 2010 die Recycling-Produktion um 450.000 Tonnen höher als im Vorjahr und

erreichte mit insgesamt 2,21 Mio. Tonnen einen Anteil von 17,5% an der gesamten Kupfer-Raffinerieprouktion.

Für 2011 wird erneut ein Anstieg der Minenproduktion in Höhe von etwa 4% erwartet. Aber selbst mit diesem Angebotszuwachs dürfte der Markt ein Defizit von etwa 300.000 Tonnen aufweisen, nach etwa 100.000 200.000 Tonnen

in diesem Jahr. Damit fällt der Lagerbestand im Verhältnis zur Jahresnachfrage (Stocks to Use Ratio) auf etwa 9%. Bei den von uns weniger favorisierten Metallen Nickel, Zink und Aluminium liegt dieser Wert bei etwa 20% und teilweise sogar darüber. Nur Zinn (10%) und Blei (6%) weisen ähnlich niedrige Lager auf, wobei die geringere Zyklik und die hohe Recyclingquote bei Blei einen niedrigeren Lagerbestand ermöglichen. Die Kupfer-Terminkurve hat auf den Rückgang der Börsenlagerbestände bereits reagiert. Auf Sicht von 12 Monaten ist die

Verteilung der Kupfer-Nachfrage auf Regionen

Quelle: ICSG, Tiberius

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Terminkurve inzwischen wieder fest in Backwardation verankert und in den letzten Tagen hat sogar das vorderste Ende der Kurve (zwischen Kassapreis und 3-Monats-Forward) auf Backwardation gedreht. Der Markt preist damit zunehmend die Knappheit ein, die wir als fundamental begründet ansehen.

Hinsichtlich der Investmentnachfrage muss man feststellen, dass die positiven Aussichten für Kupfer bereits als Konsensus gelten. Dementsprechend haben sich viele Marktteilnehmer bereits auf steigende Preise hin positioniert, weswegen ein gewisses Enttäuschungspotential besteht. Ebenfalls sehr beliebt ist die Positionierung Long Kupfer / Short Aluminium, aufgrund der schlechteren Fundamentaldaten bei Aluminium, sowie der in Contango notierenden Terminkurve. Das Kupfer / Aluminium Ratio ist seit Beginn des Jahrtausends stetig angestiegen und liegt derzeit

bei etwa 3,7. Mittelfristig führt dies sicherlich zu Substitution von Kupfer durch Aluminium, jedoch ist gerade im Elektrizitätssektor die geringere Leitfähigkeit von Aluminium ein technologisches Problem, das noch nicht gelöst wurde. Sollte das Ratio jedoch schnell ansteigen, könnten wir uns sogar vorstellen, dass in manchen Ländern die Substitution politisch vorgeschrieben werden könnte.

Fazit

Der Kupfermarkt befindet sich in einem Defizit, dass sich voraussichtlich 2011 noch verschärfen wird. Die Lagerbestände befinden sich bereits auf einem kritisch tiefen Niveau, was die Terminkurve in Form von Backwardation andeutet. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass der Preis zwischenzeitlich so stark ansteigen muss, dass Nachfrage dauerhaft zerstört wird und Substitution einsetzt. Für 2012 / 2013 sind

Kupfer-Terminkurve fällt mit sinkenden Lagerbeständen zunehmend in Backwardation

Quelle: LME, NYMEX, SHFE, Tiberius

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deutlichere Produktionsausweitungen geplant, so dass der Jahreswechsel 2011/12 einen Wendepunkt für den Kupfermarkt darstellen könnte. Danach könnte eine durch hohe Preise dauerhaft geschädigte Nachfrageseite auf ein steigendes Angebot treffen, was wiederum einen Kursrutsch auslösen würde. Dies setzt jedoch zunächst deutlich höhere Preise voraus, weswegen wir empfehlen Kupfer 2011 überzugewichten.

Nickel: Neutral

Die von uns im Kapitalmarktausblick 2010 el haben

sich nicht materialisiert. Der Kursverlauf von Nickel glich erneut einer Achterbahnfahrt. Im ersten Halbjahr 2010 führten die streikbedingten Produktionsausfälle in den kanadischen Vale-Minen zu einem kurzfristigen Defizit, das in Verbindung mit spekulativen Käufen einen

Preisanstieg auf über 27.000 US-Dollar / Tonne auslöste. Als das Ende der Streiks in Sicht war, ging es wieder steil abwärts, auf unter 18.000 US-Dollar / Tonne. Im zweiten Halbjahr entwickelte sich Nickel dann unterdurchschnittlich im Vergleich zu den anderen Industriemetallen.

Wir gehen davon aus, dass die Nickelnachfrage 2011 etwa 4% zunehmen wird, nach einem mehr als 15-prozentigen Anstieg in diesem Jahr.

Allerdings sieht unser Basis-Szenario eine Angebotsausweitung um 9% vor. Alleine die erwähnten kanadischen Minen könnten dazu etwa die Hälfte beitragen (etwa 70.000 Tonnen). Darüber hinaus stehen etwa 130.000 Tonnen zusätzlicher Kapazitäten durch Minenerweiterungen oder neue Projekte zur Verfügung. Zwar kommt es auch bei den Nickelprojekten zu chronischen Verschiebungen im Zeitplan (so sollten einige der für 2011

Preisverhältnis Kupfer / Aluminium 3-Monats-Forward

Quelle: LME, Tiberius

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eingeplanten Projekte bereits 2008 in Produktion gehen, bspw. Goro). Aber insgesamt steht aus unserer Sicht ein ausreichender Puffer für Produktionsausfälle zur Verfügung, so dass der Nickelmarkt 2011 mit einem Überschuss abschließen wird.

Fazit

Dem Nickelmarkt stehen ausreichend Produktionskapazitäten zur Verfügung. Die Inbetriebnahme der neuen Projekte bringt den Nickelmarkt 2011 in einen gemäßigten Überschuss. Es bestehen zwar noch immer technologische Risiken im Bereich des Extrahierungsverfahrens (High Pressure Acid Leaching), jedoch könnten etwaige Produktionsausfälle in diesem Bereich anderweitig aufgefangen werden. Auf der Unterseite wird der Preis weiterhin gestützt durch die Grenzkosten für chinesisches Nickel

Pig-Iron (NPI), die im Laufe des Jahres angestiegen sind und sich derzeit auf etwa 18.000 19.500 US-Dollar / Tonne belaufen. Diese Unternehmen dienen dem Markt quasi als

Preisveränderungen reagieren kann und je nach

Bedarf seine Herstellungsmengen anpasst. Wir erwarten im Laufe des Jahres 2011 ein leichtes absolutes Kursplus, das gerade noch eine neutrale Gewichtung zum DJUBS-Index rechtfertigt.

Nickel-Angebotszuwachs 2011

Quelle: Tiberius

Page 101: Tiberius 2011

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Zink: Leicht untergewichten

Zink musste das ganze Jahr 2010 über dafür büßen, dass es im letzten Quartal 2009 einen starken Preisanstieg zu verzeichnen hatte. Als die Schwelle von 2.000 US-Dollar / Tonne überschritten war, begannen viele kleinere chinesische Minen damit ihre Produktion aufzunehmen oder zu erweitern. Dies führte dazu, dass in den 12 Monaten bis September 2010 allein in China 800.000 Tonnen mehr Zink gefördert wurden, als im 12-Monatszeitraum davor. Im Vergleich dazu brachte es der gesamte Rest der Welt gerade einmal auf eine Produktionssteigerung von knapp 200.000 Tonnen! Jetzt flacht diese Angebotsreaktion zwar ab, aber China ist damit deutlich weniger abhängig von importiertem Zink als noch vor einem Jahr. Außerdem führte dieser Angebotsboom dazu, dass der Zinkmarkt den prozentual höchsten Überschuss aller

Basismetalle (etwa 6% bzw. 700.000 Tonnen) aufweisen wird. Die Nachfrage wird 2011 zwar aufgrund des robusten Stahlsektors stärker wachsen als das Angebot, nichtsdestotrotz erwarten wir einen leichten Überschuss im Bereich von 100.000 200.000 Tonnen.

Die Börsenlagerbestände bestätigen dieses Bild und haben gerade erst neue Hochs erreicht, sowohl an der LME als auch an der SHFE. Die Terminkurve befindet sich in Contango, mit wenig Aussicht auf Besserung. Trotz allem scheint Zink an der SHFE sehr hoch in der Gunst der Investoren zu stehen: Aufgrund der geringeren Kontraktgröße im Vergleich zu Kupfer gilt es als bevorzugtes Spekulationsobjekt für kleinere Investoren. Die Tatsache, dass es

weit entfernt ist, verleiht Zink offenbar eine gewisse Anziehungskraft. Aus unserer Sicht sind dies allerdings nur kurzfristige Kurstreiber, die

Chinesische Zink-Minenproduktion reagierte stark auf den Preisanstieg 2009

Quelle: ILZSG, LME, Tiberius

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früher oder später bereinigt werden. Im Gegenteil, sie sorgen dafür, dass der Markt umso länger brauchen wird, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, weil die falschen Signale an die Minenbetreiber gesendet werden.

Fazit

Zink bleibt auch 2011 im Überschuss. Nachhaltiges Kurspotential lässt sich somit nicht herleiten. Die Terminkurve lässt eine negative Roll-Rendite von 2%-3% auf Jahressicht erwarten, womit Zink ähnlich unattraktiv abschneidet wie Aluminium. Auf der Unterseite bietet der Bereich zwischen 1.800 und 2.000 US-Dollar / Tonne eine gewisse Unterstützung, da hier viele kleinere Minen in China wieder ihre Profitabilitätsgrenze erreichen. Für 2012 könnte eine gewisse Besserung in Sicht sein, es ist allerdings noch zu früh um darauf zu spekulieren.

Deswegen raten wir zu einer leichten Untergewichtung bei Zink.

Blei: Neutral

Bei Blei ist die Nachfragekomponente aufgrund des großen Anteils der Ersatzteilnachfrage im Batteriesektor deutlich weniger zyklisch als bei den anderen Industriemetallen. Deswegen wirken sich die Absatzzahlen der Automobilindustrie auch nicht so stark aus wie beispielsweise im Stahlsektor (Nickel, Zink). Was 2009 für Blei ein Vorteil war, stellte 2010 allerdings einen Nachteil dar. Die Nachfrage konnte bei weitem nicht die Wachstumsraten der anderen Metalle erreichen. Ähnliches gilt für das Bleiangebot: Hier stammt inzwischen fast 60% aus dem Recyclingsektor, nur noch 40% wird originär von den Minen gefördert. Deswegen befindet sich der Bleimarkt auf prozentualer

Abbau nicht berichteter Blei-Lagerbestände in China

Quelle: ILZSG, CEIN, Tiberius

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Basis zumeist näher am Gleichgewicht, als die anderen Basismetalle. Wir erwarten nach einem leichten Überschuss im abgelaufenen Jahr für 2011 einen ausgeglichenen Markt, mit einer Chance auf ein geringes Defizit.

Auffällig war 2010, dass laut der International Lead and Zinc Study Group (ILZSG) die chinesische Nachfrage auf Apparent Demand-Basis, d.h. Produktion plus Importe minus Exporte (ohne Lagerbestandsveränderungen), in den ersten neun Monaten des Jahres nur um etwa 4% angestiegen ist. Wenn man jedoch die großen Nachfragekomponenten einzeln betrachtet, so zeigt sich, dass die Automobilproduktion im gleichen Zeitraum um etwa 35%, die Motorradproduktion um knapp 10% und der Export von Batterien um 20% zugenommen haben. Dies lässt darauf schließen, dass es in China zu einem deutlichen Lagerbestandsabbau kam. Diese Vermutung findet Bestätigung in der Tatsache, dass der Kassapreis für Blei in Shanghai fast während des gesamten Jahres 2010 unter dem LME-Preis lag. Es gab also keinen Anreiz für chinesische Unternehmen, Blei aus dem Ausland zu importieren.

Blei wird von vielen Investoren als Schwestermetall von Zink gesehen, da beide häufig gemeinsam abgebaut werden. Dafür spricht die hohe Korrelation zwischen Blei und Zink in den ersten elf Monaten des Jahres, die auf Basis täglicher Renditen bei +0,83 lag. Dabei wird das völlig unterschiedliche Angebots- und Nachfrageprofil von Blei oft übersehen. Wir glauben, dass sich diese Entwicklung 2011 aufgrund der schwächeren Ausgangslage bei Zink nicht fortsetzen und Blei einen eigenen Weg einschlagen wird. Dass sich die Preisdifferenz je Tonne zwischen beiden Metallen in diesem Jahr

bereits von +150 US-Dollar zugunsten von Zink auf -100 US-Dollar verändert hat, ist nur ein Vorgeschmack auf 2011.

Fazit

Die fundamentalen Aussichten für Blei stufen wir als neutral ein. Ein gewisses Phantasiepotential birgt die anhaltende Diskussion um die stärkere Förderung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Darüber hinaus soll bis spätestens Mitte des Jahres 2011 an der SHFE ein Blei-Futureskontrakt eingeführt werden, so dass sich dadurch ein gesteigertes Investoreninteresse ergeben dürfte. Blei steht für uns nach Kupfer und Zinn an dritter Stelle unter den Basismetallen. In absoluten Preisen sollte sich 2011 ein Kursplus ergeben, relativ zum DJUBS-Index sehen wir eine neutrale Rendite.

Zinn: Übergewichten

Im Jahr 2010 konnte sich Zinn hinsichtlich seiner Renditeentwicklung weit von den anderen Basismetallen absetzen. Auf Excess-Return Basis ergab sich ein Anstieg von 44%, was bereits einen 20-prozentigen Vorsprung auf das zweitbeste Metall, Nickel, bedeutet. Ausschlaggebend war die Tatsache, dass die Zinnnachfrage deutlich stärker als erwartet anzog, die Minenproduktion jedoch kaum reagierte. Dies führte zu einem deutlichen Defizit. Die Börsenlagerbestände an der LME halbierten sich seit Jahresanfang nahezu, von etwa 26.000 Tonnen auf etwa 14.000 Tonnen, wobei zuletzt ein kleiner Anstieg zu beobachten war.

Dieser Lagerbestandsaufbau ist aus unserer Sicht aber nur temporär, da manche Unternehmen aus bilanztechnischen Gründen zum Jahresende

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Material am Markt absetzen, nur um es zu Beginn des Folgejahres wieder in ihren eigenen Lagerbestand aufzunehmen. Außerdem könnten auch die hohen Preise dazu geführt haben, dass Material, das bisher von Investoren als nicht-berichtete Lagerbestände gehalten wurde, seinen Weg an die Börse gefunden hat. Im Zuge dessen hat sich die Terminkurve am vorderen Ende auch wieder aus einer Backwardation in ein leichtes Contango bewegt. Im Laufe des Jahres 2011 rechnen wir allerdings mit einer erneuten Backwardation.

Für 2011 sind wir weiterhin positiv für Zinn gestimmt. Von Seiten der Minen ergibt sich kaum eine Angebotsreaktion, da gerade in Indonesien die Politik darauf achtet, dass keine kleinen und nicht-lizensierten (d.h. illegale) Minen eröffnet werden. Darüber hinaus scheint es immer wieder zu kurzfristigen Produktionsausfällen durch Wetterereignisse zu kommen, die wir zwar als nicht signifikant einstufen, die aber das Anleger-

Sentiment beeinflussen. Alles in allem erwarten wir ein erneutes Defizit, das aber geringer ausfällt als 2010.

Fazit

Zinn bleibt weiter, gemeinsam mit Kupfer, unser Favorit im Basismetallsektor. Es dürfte sich eine überdurchschnittliche Renditeentwicklung ergeben, da der Markt erneut ein Defizit aufweisen wird. Die Lagerbestände haben stark abgenommen, so dass es nur einen geringen Puffer gibt, falls das Defizit höher ist als erwartet. Insofern ist ein starker Preisanstieg der zu einer Rationierung der Nachfrage führt ähnlich wie bei Nickel 2007 nicht völlig ausgeschlossen. Risiken ergeben sich allerdings daraus, dass der Markt mit Abstand der kleinste im Basismetallsektor ist und damit Investorengelder größere Ausschläge verursachen können.

Convenience Yield (Backwardation) wird bei Zinn 2011 zunehmen

Quelle: LME, Tiberius

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Für die Edelmetalle war 2010 (erneut) ein herausragendes Jahr. Besonders heraus stachen Palladium (+70%) und Silber (+65%), die ihre

Gold (+25%) deutlich hinter sich lassen konnten. Außerdem schwang sich Gold zu neuen Allzeithochs hinauf. Der überwiegende Anteil der Kursgewinne war seit der Ankündigung der US-Notenbank einer weiteren quantitativen Lockerung Ende August 2010 zu verzeichnen. Nachdem zuvor abwechselnd ein Inflations- und ein Deflationsszenario an den Märkten gehandelt wurden, herrscht nun das Inflationsszenario wieder vor.

Im Zuge der letzten drei Monate haben sich auch die Preisverhältnisse zwischen den Edelmetallen (Ratios) erheblich verändert. Das Gold-Silber Ratio fiel auf Werte unter 50 (Unzen Silber je Unze Gold) zurück, das Platin-Palladium Ratio

sank seit Jahresbeginn von 3,6 auf etwa 2,3. Erstaunlich ist dabei, dass sich Silber und Palladium vor allem in der zweiten Jahreshälfte nahezu im Gleichschritt bewegt haben, ebenso wie Gold und Platin. Beide Preisverhältnisse (Gold-Silber und Platin-Palladium) haben jedoch inzwischen Niveaus erreicht, die anfällig für Rückschläge sind. Allerdings sprechen im Fall von Palladium die Fundamentaldaten weiterhin für eine Outperformance im Edelmetallsektor.

Die ETFs haben sich 2010 im Edelmetallbereich endgültig etabliert. Die Long-Positionen an den Terminmärkten haben sich im Laufe der letzten Jahre insbesondere bei Gold und Silber nur noch

kaum verändert. Es fließt aber ein nahezu stetiger Kapitalstrom in die physisch hinterlegten ETFs. Bei Platin und Palladium sorgte die US-Zulassung eines ETFs im Januar 2010 für neues Investoreninteresse. Die ETF-Bestände erwiesen

Entwicklung der Edelmetall-Preisverhältnisse

Quelle: Bloomberg, Tiberius

EDELMETALLE Autor: Thomas Benedix

Page 106: Tiberius 2011

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bisher sich als wenig preissensitiv. Trotz zwischenzeitlicher Kursrückgänge kam es kaum zu Liquidationen.

Empfehlung für die Edelmetalle wiederholen, auch wenn wir damit 2010 etwas zu pessimistisch waren. Die Rohstoffe Gold, Silber und Platin sind im Vergleich zu den Industriemetallen unattraktiv, da sich alle drei in einem deutlichen Überschuss befinden. Das Anlegerinteresse ist jedoch noch so groß, dass auch weiterhin absolute Kurssteigerungen möglich sind. Allerdings dürften sich die anderen industrienahen Rohstoffsektoren (Energie, Industriemetalle) besser entwickeln.

Gold: Neutral

Das Investoreninteresse für Gold ist ungebrochen hoch.

Die physischen Fundamentaldaten (Lagerbestände, Marktsaldo) können dafür sicherlich nicht ausschlaggebend sein, denn überirdische Reserven sind bei Gold im Überfluss vorhanden und der Primärmarktsaldo hat sich in den letzten Jahren massiv verschlechtert. Inzwischen ist es so, dass die Netto-Investorennachfrage (Portfolioinvestment plus Goldmünzen / -barren) etwa doppelt so hoch ist wie die Netto-Industrienachfrage (Schmuck + andere Industrie Recycling)! Damit sind 2009 und 2010 jeweils etwa zwei Drittel der Welt-Goldproduktion auf direktem Wege bei Investoren gelandet. Und auch 2011 werden es wohl noch knapp 60% sein.

Edelmetall-ETFs laufen dem Terminmarkt den Rang ab

Quelle: CFTC, Tiberius

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Gemäß der oben stehenden Grafik kann der Goldmarkt in den letzten 20 Jahren in drei Phasen eingeteilt werden. Zwischen 1990 und 2000 war die Netto-Nachfrage aus der Industrie höher als die Produktion. Die dadurch anfallenden Defizite glichen vor allem die Zentralbanken mit ihren Goldverkäufen aus. Darüber hinaus sorgten die Minenunternehmen mit Absicherungsgeschäften durch

Angebot. Ab dem Jahr 2001 begannen die

Goldminen jedoch damit, die -

Nachfragekomponente bedeutete. Diese konnte aber mit den Zentralbankverkäufen gedeckt werden. Seit 2009 hat der Zentralbanksektor seine Verkäufe jedoch fast vollständig eingestellt. Insofern hat das tatsächliche Angebot auf dem Goldmarkt in den letzten 20 Jahren stark abgenommen und beschränkt sich nun wieder

auf die eigentliche Minenproduktion. Die Dehedging-Aktivitäten des Minensektors sind weitestgehend abgeschlossen. Der Restbestand an auf Termin verkauftem Gold liegt etwa bei 170 Tonnen, nach knapp 3000 Tonnen zu Beginn des Jahrtausends. Gleichzeitig ist aber die Investorennachfrage so stark angestiegen, dass die Schmucknachfrage durch steigende Preise aus dem Markt gedrängt wird. Es ist also eine klassische Nachfragezerstörung zu beobachten,

damit der Markt ins Gleichgewicht kommt.

2011 sein? Wie im Kapitel Währungsperspektiven beschrieben, rechnen wir mit einem erneuten Test des Euro-Stabilitätspakts. Die dadurch ausgelöste Volatilität an den Währungsmärkten dürfte Gold zunächst stützen. An den Aktienmärkten rechnen wir mit einem ruhigen Jahr. Die Nachfrage nach

Goldmarkt ist immer stärker auf Investorennachfrage angewiesen

Quelle: GFMS, Tiberius

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Gold wegen finanziellem Stress in diesem Bereich dürfte klein bleiben. Hinsichtlich der Absicherung gegen Inflation sind wir skeptisch, dass Gold seine derzeitige Prämie halten kann. Wie wir in dem allgemeinen Rohstoffkapitel gezeigt haben, ist Gold den Konsumgüterpreisen weit voraus gelaufen und als Inflationsversicherung relativ teuer gegenüber den anderen Rohstoffen. Diese müssten sich vervielfachen, um die Inflationsraten herzustellen, gegen die sich die Käufer von Gold bereits abgesichert wähnen. Wir rechnen in 2011 zwar mit einem guten Rohstoffjahr, der erwartete Anstieg der Rohstoffpreise um knapp 20% wird aber gerade ausreichen, um die Inflationsraten über der Schwelle von 1% zu stabilisieren.

Fazit

Gold gilt derzeit an den Finanzmärkten als Allheilmittel. Dementsprechend waren Anleger-Sentiment und die Preisentwicklung 2010 erneut überdurchschnittlich positiv. Auch 2011 sind weitere absolute Preissteigerungen möglich. Man darf nur nicht vergessen, dass das erreichte Kursniveau langfristig weder absolut noch relativ gerechtfertigt werden kann. Das Ende der Goldhausse wird aber vermutlich noch nicht ins Jahr 2011 fallen, was uns noch einmal zu einem neutralen Votum führt.

Silber: Leicht untergewichten

In den ersten acht Monaten des Jahres 2010 bewegte sich Silber in Tandem mit seinem großen Bruder Gold. Dann sah es im August kurz danach aus, als ob es einen technischen Ausbruch auf die Unterseite vollziehen würde, indem es kurz seinen 200-Tage Durchschnitt unterschritt. Dies war jedoch eine Bärenfalle par excellence, denn in den folgenden drei Monaten stieg es von 18 US-Dollar auf 29 US-Dollar je Unze an. Im Zuge dessen verringerte sich das Gold-Silber Ratio bis auf Werte unter 50.

Zwar profitiert Silber in höherem Maße vom Konjunkturaufschwung - die Industrienachfrage ist 2010 schätzungsweise um knapp 20% gewachsen. Sie befindet sich aber damit erst wieder auf dem Niveau des Jahres 2005. Der Fotosektor verliert immer weiter an Bedeutung und die Schmucknachfrage wird einbrechen, sollten sich die Preise auf den jetzigen Niveaus halten. Gleichzeitig steigt das Minenangebot seit einigen Jahren stetig um etwa 3% p.a. infolge des Kapazitätsausbaus bei Industriemetall-Minen, wo Silber oft als Nebenprodukt abgebaut wird. Der Marktüberschuss wird daher sowohl 2010 als auch 2011 mit 200 Mio. Unzen (knapp 25% der Jahresproduktion) noch höher ausfallen als wir in früheren Schätzungen angenommen haben.

Was ist also der Grund für den starken Anstieg bei Silber? Wir vermuten, dass der Silbermarkt

gesehen wird, weil es eine Zwitterrolle zwischen der typischen Wertaufbewahrungsfunktion von Gold und der Konjunktursensitivität der Industriemetalle einnimmt. Wir hatten im letzten

ein überbordendes Investoren-Sentiment benötigt, um das Gold-Silber-Ratio im Jahr 2010

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aus unserer Sicht nun eingetreten, wie bspw. die hohen ETF-Zuflüsse in den letzten Monaten

zeigen. Obwohl die Terminmarktpositionen in Silber zuletzt zurückgingen, hat gerade diese physische Investorennachfrage den Preisanstieg mitverursacht selbst wenn die Leiheraten keine Silberknappheit indizieren. Letztlich darf man nicht vergessen, dass der Silbermarkt gemessen an den reinen Produktionswerten nur etwa doppelt so groß ist als das kleinste Industriemetall Zinn ein Markt den wir schon oft als illiquide bezeichnet haben. Und eben dieser Silbermarkt hat 2010 nach Schätzung von Gold Fields Mineral Services (GFMS) knapp 5 Mrd. US-Dollar an Investorenzuflüssen zu verdauen.

Die beste aller Welten wird Silber 2011 nicht halten können. Eine Situation, in der Silber das reichlich vorhandene Gold und die knappen

Industriemetalle outperformt wird sich unserer Ansicht nach nicht wiederholen. Entweder es wird als Edelmetall angefasst. In diesem Fall

scheint uns ein Gold-Silber-Ratio von 48 recht ambitioniert, da es aus unserer Sicht keinen Grund für große Investoren gibt, von Gold auf Silber auszuweichen. Oder aber Silber wird als Industrierohstoff behandelt. In diesem Fall steht Silber fundamental deutlich schlechter da als die schlechtesten Industriemetalle Zink und Aluminium. Wir erwarten eine leicht unterdurchschnittliche Kursentwicklung auf dem Niveau dieser Industriemetalle.

Wöchentliche Kapitalflüsse am Silbermarkt

Quelle: CFTC, Tiberius

Page 110: Tiberius 2011

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Platin: Leicht untergewichten

Die fundamentale Entwicklung Platins verlief auch 2010 enttäuschend. Die Nachfrage aus dem Automobilsektor erholte sich nicht so stark wie von uns erwartet und wird bei etwa 2 Mio. Unzen liegen. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Substitution von Platin durch Palladium in Katalysatoren weiter vorangeschritten ist. Lag die Netto-Nachfrage (Brutto-Nachfrage minus Recycling) aus dem Automobilsektor im Jahr 2005 für beide Metalle noch bei etwa 3 Mio. Unzen, stieg diese bei Palladium bis heute auf etwa 3,7 Mio. Unzen an, während sie bei Platin auf etwa 2 Mio. Unzen zurückging. Damit hat sich der Nachfrageanteil des Automobilsektors von jeweils 45% auf 40% (Platin) bzw. 60% (Palladium) geändert. Genau die umgekehrte Entwicklung ergab sich in der Schmucknachfrage: Bei Platin blieb deren Anteil bei 30% nahezu konstant, während sie bei

Palladium von 20% auf unter 10% sank. Aus unserer Sicht ist allerdings die Nachfrage aus dem Katalysatorensektor die wichtigere Preiskomponente, weil sie zwar zyklisch anfällig ist, aber bei weitem nicht so preissensitiv wie die Schmucknachfrage. Außerdem sehen wir aufgrund neuer Emissionsbestimmungen hier ein größeres Wachstumspotential, selbst wenn es gelänge, den Edelmetallverbrauch je Katalysator zu verringern. Zwar ruhen die Hoffnungen der Schmuckbranche auf dem wachsenden Wohlstand der Schwellenländer, wir glauben jedoch nicht, dass diese Komponente den Nachfrageverlust aus dem Automobilsektor ausgleichen kann.

Die Angebotsseite entwickelt sich ebenfalls wenig dynamisch. Im größten Förderland Südafrika (75% der Minenproduktion) sorgen starke Lohnzuwächse, hohe Ausgaben für eine Verbesserung der Arbeitersicherheit und

Platin- und Palladiumnachfrage im 5-Jahresvergleich

Quelle: Johnson Matthey, Tiberius

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negative Wechselkurseffekte (stetige Aufwertung des Rand ggü. dem US-Dollar) für großen Kostendruck. In Verbindung mit sinkendem Edelmetallgehalt im geförderten Erz und der Notwendigkeit, immer tiefere Lagerstätten zu explorieren Anglogold hat zuletzt verkündet, seine Minen bis in mehr als 5km Tiefe auszubauen führte dies dazu, dass die Platin-Produktion in den letzten Jahren von 5,3 Mio. Unzen (2006) auf 4,6 Mio. Unzen (2010) zurückgegangen ist. Auf mittlere Sicht kommt Platin aufgrund der strukturellen Angebotsschwäche wieder ins Gleichgewicht.

Fazit

Platin wird auch 2011 in einem klaren Marktüberschuss verharren, da die Nachfrage aus dem Automobilsektor in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist. Die Tatsache, dass die überirdischen Lagerbestände im Vergleich zu den anderen Edelmetallen deutlich geringer sind und Platin damit anfälliger für Schocks ist, wird irgendwann wieder in den Vordergrund treten. Durch die Kursentwicklung des Jahres 2010 sind die anderen Edelmetallen gegenüber Platin sehr weit voraus gelaufen. Dieses Aufholpotential wird sich allerdings wohl noch nicht 2011 materialisieren, weswegen wir eine leichte Untergewichtung empfehlen.

Palladium profitiert vom starken Wachstum der Automobilbranche in den Schwellenländern

Quelle: Tiberius

Page 112: Tiberius 2011

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Palladium: Leicht übergewichten

Palladium war hinsichtlich der Kursentwicklung, aber auch bezüglich des fundamentalen Datenkranzes einer der großen Gewinner des Jahres 2010. Als einziges der vier von uns beobachteten Edelmetalle weist Palladium einen leicht negativen Primärmarktsaldo auf. Diese Entwicklung ist vor allen Dingen dadurch begründet, dass in den letzten Jahren Palladium als Substitut für Platin in Benzinmotoren große Nachfragezuwächse verzeichnen konnte. Da der Marktanteil von Benzinmotoren im Gegensatz zu Dieselmotoren gerade in den wachstumsstarken Schwellenländern besonders hoch ist, ergibt sich hieraus ein zusätzlicher Nachfragetreiber.

Wir haben festgestellt, dass die relative Preisentwicklung zwischen Palladium und Platin zu einem großen Teil mit der Differenz der Wachstumsraten für Automobilverkäufe in den großen Schwellenländern (Brasilien, Russland, Indien, China) und den westlichen Industrieländern (G7) erklärt werden kann. Da deren jährliche Wachstumsrate derzeit etwa 20% höher liegt, konnte Palladium sein Schwestermetall deutlich outperformen. In den letzten Monaten war diese Entwicklung zwar recht extrem, so dass eine Korrektur nicht ungewöhnlich wäre. Solange aber das Wachstum in den Schwellenländern deutlich höher bleibt als in den Industrieländern, ist Palladium weiter zu bevorzugen.

Da die Verwendung von Palladium in Katalysatoren nicht so effizient ist wie die von Platin, muss ab einem Platin-Palladium-Ratio von Zwei jedoch damit gerechnet werden, dass sich die Automobilfirmen erneut von Palladium zu Platin hinwenden. Allerdings würde sich dieser Prozess über mehrere Jahre hinziehen, bevor

neue Baureihen von Katalysatoren Spezifikationen mit höherem Platingehalt bekämen.

Auch bei Palladium ist die Nachfrage von Investorenseite enorm hoch. Die ETF-Bestände haben zuletzt die Marke von 2 Mio. Unzen überschritten, während die spekulativen Netto-Long Positionen am Terminmarkt sich etwa auf dem durchschnittlichen Niveau der letzten 12 Monate bewegen. Die Phantasie der Anleger wird jedoch davon beflügelt, dass die russischen Staatsbestände aufgezehrt sein könnten. Der Kursanstieg des Jahres 2010 hat dieses Szenario zumindest teilweise schon eingepreist.

Fazit

Aus fundamentaler Sicht gibt es kaum Warnsignale für Palladium. Im Gegenteil: In 2011 könnte der Markt sogar ein größeres Defizit aufweisen als 2010, falls die Automobilkonjunktur in den Schwellenländern weiter auf ähnlich hohem Niveau wächst. Allerdings spiegelt das erreichte Preisniveau

höhere Inflationsraten und das Ende der russischen Staatsverkäufe wider. Palladium weist zwar eine enorm hohe Volatilität auf, wo 20%-Korrekturen keine Seltenheit sind. Als absolutes Kursziel für Palladium winkt das Allzeithoch aus dem Jahr 2001, bei 1.100 US-Dollar je Unze. Wir glauben, dass Chancen bestehen, dass der Markt diese Marke in 2011 testen könnte und raten noch einmal zu einer leichten Übergewichtung.

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Weizen: Leicht untergewichten

Angebot

In unserem letzten Kapitalmarktausblick haben wir die Preisperspektiven für Weizen in 2010 verhalten gesehen. Nach der extremen globalen Weizenknappheit 2007/08 war der Anbau von Weizen erheblich gesteigert worden. Ende 2009 waren global komfortable Lagerbestände vorhanden. Selbst die Auswirkungen potenzieller Produktionsausfälle wurden als nicht sonderlich schwerwiegend eingeschätzt. Die Gelassenheit der Marktteilnehmer änderte sich jedoch im Sommer 2010 als die Jahrhundertdürre in Russland, der Ukraine und Kasachstan zu massiven Produktions- und Exportausfällen führte. Auch die Weizenernte in Teilen der EU war betroffen. Bereits zuvor führten zu starke Niederschläge in Kanada ebenfalls zu deutlich eingetrübten Produktionsaussichten. Die durch das Extremwetterereignis ausgelöste Panik führte in den Sommermonaten 2010 zu einem Weizenpreisanstieg von in der Spitze rund 90%, der durch einen von Russland verhängten Exportstopp beschleunigt wurde.

Durch die stark gestiegenen Weizenpreise im Herbst 2010, dem Zeitraum der Aussaat von Winterweizen auf der Nordhalbkugel, erwarten wir einen deutlichen Anstieg des Weizenanbaus bei den traditionellen Produzenten bzw. Exporteuren. Da in den USA in 2010 die Ernten von Mais und Sojabohnen deutlich schneller als normalerweise üblich eingebracht werden konnten, stand den Bauern ein im historischen Vergleich großes Zeitfenster bis zur Aussaat des Winterweizens zur Verfügung. Aufgrund des hohen

Preisniveaus aller Anbauvarianten erwarten wir in den USA in 2011 einen deutlichen Zuwachs der gesamten Anbaufläche von Weizen, Mais, Sojabohnen und Baumwolle auf 237 Mio. Acres. Gemäß unseren Berechnungen entfallen hiervon rund 56 Mio. Acres auf den gesamten US-Weizenanbau (Winter- und Frühjahrsweizen). Dies entspricht einem Anstieg um 4,1% im Vergleich zum Vorjahr. In die Summe der von uns prognostizierten Anbauflächen von Weizen und Sojabohnen fließt die Fläche mit ein, die doppelt, zunächst für den Weizenanbau und direkt im Anschluss für die Ausbringung von Sojabohnen, genutzt wird (Double Cropping). Die Bestimmung der Anbauflächenverteilungen basiert auf den Preisrelationen Stand Mitte November 2010. Da sich bis zur Ausbringung von Frühjahrsweizen, Mais, Sojabohnen und Baumwolle im Frühjahr 2011 noch relative Bewegungen bei den Nettomargen bzw. Knappheitssituationen ergeben können, spiegeln die in diesem Kapitalmarktausblick 2011 vorliegenden Einschätzungen nur vorläufige Annahmen wider. Global erwarten wir einen Anstieg der Weizenproduktion um knapp +4% im Vergleich zum Vorjahr, der vor allem auf Produktionssteigerungen in Russland, der EU und Kanada zurückgehen dürfte.

GETREIDE UND ÖLSAATEN Autorin: Sandra Bachofer

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Durch die widrigen Wetterbedingungen in 2010 verschlechterte sich in vielen Anbauregionen die Weizenqualität. Folglich wurden höhere Anteile von Weizen mit geringerer Qualitätsgüte, Futtermittelweizen, geerntet. Die Prämie von höherwertigem Weizen (Minneapolis- und Kansas-Weizen-Kontrakt) gegenüber Weizen mit geringerem Proteingehalt (Chicago-Weizen-Kontrakt) sollte deshalb Bestand haben bis die neuen Ernten in 2011 eine Normalisierung bewirken.

Es ist zu erwarten, dass Russland im Kalenderjahr 2011 dem Exportmarkt weitgehend fern bleiben wird. Auf den ausgedorrten Böden konnte diesen Herbst weniger Winterweizen ausgebracht werden als normalerweise üblich. Es wird angestrebt, das dadurch entgangene Volumen durch einen größeren Anbau im Frühjahr zu steigern. Sollte es hier jedoch zu Schwierigkeiten kommen,

würde dies die Weizenpreise erneut unterstützen. Konnten die traditionellen Weizenexporteure in 2010 die Produktionsausfälle noch durch höhere eigene Lieferungen ins Ausland kompensieren, sind die Puffer der Lagerbestände bei einer erneuten Missernte nicht mehr in gleichem Maße belastbar. Zwar weist Weizen global ein vergleichsweise hohes Stocks to Use Ratio von aktuell rund 26% im Marketingjahr 2010/11 auf, zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass von den Lagerbeständen rund 43% in China und Indien gebunden sind, die dem Weltmarkt nicht frei zur Verfügung stehen.

Verteilung der globalen Weizenlagerbestände in Mio. Tonnen

Quelle: USDA, Tiberius

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Nachfrage

Der Großteil der gesamten Weizennachfrage resultiert aus dem Nahrungsmittelbereich. Hier erwarten wir stabile durchschnittliche Wachstumsraten.

Hohe Futtermittelpreise dürften die Margen von Viehzüchtern schmälern und das Herdenwachstum belasten. Jedoch ist es möglich, dass aufgrund des vergleichsweise günstigen Weizenpreises Mais in der Futtermittelnachfrage durch Weizen substituiert wird. Unterstützt wird diese Überlegung durch den höheren Anteil von Futtermittelweizen bei den Ernten in 2010.

Bisher hatte auch die EU die Exporte deutlich gesteigert, um den Ausfall anderer wichtiger Exportnationen auszugleichen. Wir erwarten im weiteren Verlauf des Marketingjahres 2010/11 aufgrund der größeren Verfügbarkeit eine Verschiebung der Nachfrage zu Gunsten von US-Exporten. Auf Sicht des gesamten Marketingjahres 2010/11 schätzen wir das Potenzial für US-Exporte deutlich höher ein als das Volumen, welches das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) aktuell prognostiziert. Die dominierende Rolle im globalen Weizenhandel dürften die USA beibehalten bis die Ernten in 2011 die Lagerbestände der restlichen Exportnationen wieder auffüllen. Generell stufen wir die Exporte der USA auch im darauf folgenden Marketingjahr 2011/12 höher als üblich ein, da die USA unserer Ansicht nach durch das weitgehend fehlende Volumen von russischen Lieferungen profitieren dürften.

Fazit

Generell besitzen die Getreide und Ölsaaten mit Blick auf 2011 gute Fundamentaldaten, da die Stocks to Use Ratios in 2010 deutlich reduziert wurden und sich teilweise auf äußerst niedrigem Niveau befinden. Gemäß unseren derzeitigen Einschätzungen sollte es Weizen in 2011 nicht möglich sein, das Stocks to Use Ratio zu erhöhen. In den USA erwarten wir in den Marketingjahren 2010/11 und 2011/12 Stocks to Use Ratios von knapp unter 30%. Global rechnen wir mit einem leichten Rückgang auf ca. 24%. Der Bezug zu Substitutionsrohstoffen auf der Nachfrageseite dürfte die Preisentwicklung von Weizen unterstützen. Insgesamt erwarten wir bei Weizen jedoch eine geringere Wertentwicklung als bei Mais und Sojabohnen, da Weizen unter normalen Anbaubedingungen im Vergleich zu den beiden genannten Rohstoffen schlechtere Fundamentaldaten aufweist. Unser Votum lautet: Leicht untergewichten.

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Sojabohnen: Leicht übergewichten

Angebot

Aufgrund extrem niedriger Lagerbestände im Verhältnis zum Einjahresverbrauch wurde in den USA in den beiden Marketingjahren 2009/10 und 2010/11 eine fast identische Fläche für den Sojabohnenanbau verwendet. Beide Ernten weisen in etwa das gleiche Volumen auf und spiegeln Rekordwerte in der Geschichte des amerikanischen Sojabohnenanbaus wider. Dennoch gelang es letztendlich nicht, die Knappheitssituation zu entschärfen. Weiterhin extrem hohe Nachfrage nach Sojabohnen aus dem Ausland verhindert erneut den Aufbau einer komfortablen Lagersituation. Vor allem die Volksrepublik China ist für hohe Sojabohnenimporte verantwortlich, da der steigende inländische Verbrauch bei stagnierender Produktion nur durch höhere Importe bedient werden kann. Da das Stocks to Use Ratio in den USA seit nunmehr vier Jahren bei Werten um 5% stagniert, befinden sich Sojabohnen in einer ähnlich knappen Situation wie Mais.

Im kommenden Frühjahr 2011 wird zwischen den einzelnen Anbaualternativen Sojabohnen, Mais und Baumwolle hart um verfügbare Ackerfläche in den USA gekämpft werden. Alle drei Anbauvarianten besitzen extrem niedrige Stocks to Use Ratios. Da Weizen aufgrund der vorteilhaften Preise im Herbst 2010 bereits eine deutlich größere Anbaufläche (s.o.) aufweisen dürfte, stehen den anderen Alternativen dadurch nur begrenzt Flächen zur Verfügung. Auf der Basis der im November 2010 vorherrschenden Terminpreise sprechen die relativen Margen- und

Knappheitssituationen für eine Ausweitung der Maisfläche. Allerdings dürfte 2011 der Anteil der Sojabohnenfläche, die im Anschluss an die Winterweizenernte bepflanzt wird, einen im historischen Vergleich hohen Wert aufweisen (Double Cropping). Wir rechnen deshalb mit einer Sojabohnenfläche von 75,3 Mio. Acres. Die tatsächliche Anbauentscheidung treffen die Bauern erst im Frühjahr 2011. Dadurch können sich relative Preisbewegungen und Veränderungen bei den Kosten noch erheblich auf die Flächenverteilung zwischen den einzelnen Anbaualternativen auswirken.

In Südamerika kam es aufgrund des derzeit vorhandenen La Niña-Phänomens zu Verspätungen beim Sojabohnenanbau. Bei La Niña handelt es sich um eine Klimaanomalie, die eine überdurchschnittliche Abkühlung der Oberflächentemperatur im äquatorialen Bereich des Ostpazifiks bewirkt und generell die typischen Klimaverhältnisse einer Region verstärkt. Da sich La Niña gemäß den derzeitigen Prognosen im Dezember 2010/Januar 2011 noch intensivieren und zumindest bis Mitte März 2011 anhalten dürfte, besteht generell die Gefahr, dass es in Südamerika zu Produktionsrückgängen aufgrund von zu trockenen Witterungsbedingungen kommen könnte.

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Nachfrage

Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Schwellenländer sehen wir die Nachfrageseite gut unterstützt. Den Anstieg des Fleischkonsums in Asien, vor allem in China, stufen wir als langfristig positiven Trend ein. Zusätzlich dürften die unterdurchschnittlichen Rapsernten in Europa und Kanada in 2010 Substitutionseffekte bei Sojabohnen bewirken.

Einer der wichtigsten Faktoren auf der Nachfrageseite ist die Importnachfrage der Volksrepublik China, da diese rund 60% der globalen Importe ausmacht und in den letzten Jahren deutliche Steigerungsraten aufwies. Die frühe Ernte in den USA in 2010 und die Befürchtung, dass La Niña in Südamerika geringere Produktionsvolumina bewirken könnte, führten zu einem starken Anstieg der bisher vereinbarten Sojabohnenlieferungen

aus den USA. Aufgrund der bereits bestehenden Verzögerungen beim brasilianischen Sojabohnenanbau ist es wahrscheinlich, dass die ersten Lieferungen der Ernte nicht wie normalerweise üblich im März die Häfen erreichen, sondern rund einen Monat später dort eintreffen. Dies würde dann wohl überwiegend durch Lieferungen aus den USA überbrückt werden. Es darf jedoch nicht ausgeblendet werden, dass erst der weitere Verlauf der Anbaubedingungen über die Höhe der südamerikanischen Ernten entscheiden wird. Die Erzielung guter Ernteergebnisse ist nach wie vor möglich. Eine Stornierung der bereits vereinbarten Lieferungen aus den USA und eine Verlagerung der Nachfrage analog des traditionellen saisonalen Musters nach Südamerika wäre dann als Konsequenz wahrscheinlich.

China: Sojabohnenverbrauch vs. Produktion und Importe in Mio. Tonnen

Quelle: USDA, Tiberius

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Auf der Produktseite favorisieren wir Sojabohnenöl gegenüber Sojabohnenmehl. Die zunehmende Verwendung von Sojabohnenöl bei der Biodieselproduktion in Südamerika wird die Ausfuhren der großen Exportnationen Argentinien und Brasilien schmälern und das verfügbare Volumen für den Welthandel reduzieren. Ein größerer Anteil der Nachfrage wird deshalb auf die USA entfallen, die gleichzeitig durch das inländische Mandat für Biodiesel selbst mehr Sojabohnenöl für alternative Energien einsetzen müssen.

Sojabohnenmehl hingegen wird zwar durch die Knappheit bei Mais unterstützt. Insgesamt sehen wir die Aussichten jedoch durch die höhere inländische Verarbeitung von Sojabohnen in Südamerika belastet. Von den beiden bei der Verarbeitung entstehenden Produkten wird Sojabohnenöl aufgrund der höheren Biodieselmandate inländisch vermehrt konsumiert und auf dem Weltmarkt knapper. Bei dem gleichzeitig produzierten Sojabohnenmehl wird die Verfügbarkeit im Umkehrschluss erhöht. Darüber hinaus wird die Nachfrage durch die bei der Produktion

stet.

Fazit

Gemäß unseren aktuellen Prognosen dürfte die Situation bei Sojabohnen generell weiterhin angespannt bleiben. In den USA gehen wir aufgrund der geringeren Anbaufläche im Vergleich zum Vorjahr im Marketingjahr 2011/12 erneut von einem Stocks to Use Ratio auf kritisch tiefem Niveau aus. Global erwarten wir sogar einen Rückgang um rund 4%. Ein hohes Preisniveau dürfte somit notwendig sein, um die

Nachfrage zu dämpfen. Generell kann sich die Situation verschärfen, falls negative Auswirkungen von La Niña zu niedrigeren Produktionsvolumen führen sollten. Insgesamt stufen wir das Potenzial der Preisentwicklung von Sojabohnen als aussichtsreich ein.

Mais: Leicht übergewichten

Angebot

Die globale Verfügbarkeit von Futtermitteln war Mitte 2010 bereits durch die extremen Wetterbedingungen in Teilen der ehemaligen Sowjetunion reduziert worden. Im Herbst folgte eine weitere Kürzung durch deutlich geringere Erwartungen hinsichtlich der Maisernte in den USA. Unvorteilhaftes Wetter hatte sich im Sommer negativ auf den Ertrag ausgewirkt. Obwohl die Ernte aktuell immer noch das dritthöchste Volumen in der Historie aufweist, sank das Stocks to Use Ratio bei Mais in den USA auf ein kritisch tiefes Niveau von ca. 6%.

Da in den USA neben Mais auch Sojabohnen und Baumwolle extrem niedrige Stocks to Use Ratios aufweisen, wird 2011 ein Kampf um Ackerfläche geführt werden. Auf der Basis der Novemberpreise sprechen die relativen Margen- und Knappheitssituationen gemäß unseren Berechnungen für eine Ausweitung der Maisfläche auf 92,4 Mio. Acres. Unter der Annahme, dass der Ertrag je Flächeneinheit wieder auf das Niveau entlang des langfristigen Trends gesteigert werden kann, wäre der Anbau einer Rekordernte möglich. Die tatsächliche Anbauentscheidung wird jedoch erst im Frühjahr 2011 gefällt. Dementsprechend können sich Veränderungen bei den Kosten und den zu

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erwartenden Erträgen noch erheblich auf die Flächenverteilung zwischen den einzelnen Anbaualternativen auswirken. Erschwerend kommt hinzu, dass Weizen aufgrund der vorteilhaften Preise im Herbst 2010 eine deutliche Anbauflächensteigerung aufweisen dürfte und dadurch die verbleibende Fläche für Mais, Sojabohnen und Baumwolle relativ gering ausfällt. Global erwarten wir im Marketingjahr 2011/12 eine Steigerung der Produktion um rund +4,5% im Vergleich zum Vorjahr.

In Südamerika zeichnet sich ein gemischtes Bild ab. Nachdem Argentinien bereits im vergangenen Jahr eine Rekordernte von knapp unter 23 Mio. Tonnen angebaut hatte, liegen die Erwartungen der aktuellen Maisernte mit 26 Mio. Tonnen nochmals deutlich höher. In Brasilien hingegen verlor Mais in diesem Anbaujahr Fläche an Sojabohnen und Baumwolle. Aufgrund der Tatsache, dass die Geschwindigkeit des Anbaus in Brasilien aufgrund von Hitze und Trockenheit (La Niña Effekt) im September 2010 um ca. einen Monat verspätet ist, besteht die Gefahr, dass der Anbau von Mais (Safrinha Ernte) auf der zuvor für Sojabohnen genutzten Fläche im Februar/März 2011 geringer ausfallen könnte.

Nachfrage

Hohe Futtermittelpreise dürften die Margen von Viehzüchtern schmälern und das Herdenwachstum belasten. Eine Substitution von Mais durch Weizen ist aufgrund des im Vergleich günstigen Weizenpreises zu erwarten.

vorgegebenen Ethanolmengen in den USA waren in den letzten Jahren eine stetig steigende Nachfragekomponente bei Mais. Im aktuellen Marketingjahr 2010/11 werden gemäß den derzeitigen Erwartungen rund 35% der gesamten Maisnachfrage für die Ethanolproduktion verwendet. Als Anreiz für die Beimischung von Ethanol zu Benzin diente

Volumetric Ethanol Excise Tax eine Anreizstruktur für die

Raffineriebetreiber, die bis Ende 2008 0,51 US-Cents je Gallone beigemischtem Ethanol erhielten. Im Jahre 2009 wurde dieser Betrag auf 0,45 US-Cents je Gallone gesenkt. Gleichzeitig wurde die Einfuhr von im Ausland erzeugten Ethanol durch Importzölle erschwert, um den Aufbau der inländischen alternativen Energien zu fördern. Zum Jahresende 2010 laufen beide Subventionen aus und wurden bisher nicht durch die entsprechenden US-Behörden verlängert. Obwohl die Regierung von Präsident Obama der Förderung von alternativen Energien einen hohen Stellenwert einräumt, ist vor dem Hintergrund knapper Budgets unsicher, ob und in welcher Höhe die Subventionen verlängert werden. Als mahnendes Beispiel dient eine ähnliche Förderung bei der Produktion von Biodiesel, die zum Jahresende 2009 ausgelaufen war. Die Verlängerung wurde stets als reine Formsache bezeichnet, die aufgrund der schwierigen Finanzlage allerdings immer wieder hinausgezögert wurde. Da die Prolongation nunmehr seit fast einem Jahr nicht erfolgte, kam es zu entsprechenden Produktionsrückgängen. Insgesamt denken wir jedoch, dass der durch die Rohölförderung im Golf von Mexiko 2010 entstandene GAU, dessen langfristige Folgen auf das globale Ökosystem völlig unklar sind,

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bei den alternativen Energien eher für Aufwind sorgen dürfte. Für den Fall, dass die Subventionen nicht verlängert werden sollten, entstehen jedoch Risiken für die Maisnachfrage. Sollte die Konstellation zwischen Maispreis, Benzinpreis und den Preisen von ausländischen Ethanolimporten zu einem Einbruch der Profitabilität führen, könnte ein dadurch entstehender erheblicher Rückgang bei der Nachfrage nach Mais den Getreidesektor stark belasten.

Eine Hängepartie stellt das Thema der maximalen Beimischungsrate (Blend Rate) von Ethanol zu Benzin dar. Auch hier sollte schon längst eine Entscheidung vorliegen, ob die in den USA aktuell gültige maximale Beimischung von 10% auf 15% erhöht wird. Langfristig ist eine Steigerung dieses Anteils notwendig, da andernfalls die steigenden Produktionsvorgaben bei erneuerbaren Energien nicht umgesetzt werden können (Blend Wall). Nachdem die US-Umweltschutzbehörde (EPA) im Oktober 2010 die Erlaubnis für eine 15% Blend Rate für Fahrzeuge mit Baujahren ab 2007 und jünger erteilt hatte, wurde die Entscheidung über die Baujahre 2001-2006 erneut verschoben, da noch weitere Tests notwendig seien. Falls die Erlaubnis letztendlich erteilt werden würde, wäre hiervon rund die Hälfte aller Fahrzeuge betroffen. Prinzipiell wird eine Regelung, die nur einen Teil der Fahrzeugflotte betrifft, eher kritisch in der Umsetzung betrachtet. Tankstellen müssten in zusätzliche Tanks, Zapfsäulen und deutliche Kennzeichnungen investieren, obwohl nicht klar geregelt ist, wer letztendlich bei einer Schädigung der Motoren durch das neue Mischungsverhältnis bei der Betankung von nicht testierten Fahrzeugen haftet. Aufgrund dieser Problemstellungen

dürfte eine Erhöhung des Ethanol-Anteils kurzfristig nicht unbedingt einen positiven Impuls auf den Maismarkt haben.

Durch die deutlich geringere globale Verfügbarkeit von Futtermitteln dürfte im weiteren Verlauf des Marketingjahres 2010/11 mit einem Anstieg der Maisexporte aus den USA zu rechnen sein. Entscheidende Bedeutung kommt hierbei der Volksrepublik China zu, die 2010 das erste Mal seit Mitte der 90er Jahre umfangreichere Importe bei Mais getätigt hat. Die Höhe der diesjährigen chinesischen Ernte wird von Marktbeobachtern unterschiedlich eingeschätzt. Das letztendliche Volumen wird daher die Höhe von Importen beeinflussen. Lagerbestände der Regierung wurden zuletzt verkauft, um den inländischen Preisanstieg zu dämpfen. Im November 2010 gab es erste chinesische Äußerungen, dass auch Mais zu den in China knappen Rohstoffen gehöre. Die Regierung dürfte deshalb das Auffüllen der staatlichen Lagerbestände anstreben. Das globale Stocks to Use Ratio von Mais in Höhe von rund 15% weist bereits ein niedriges Niveau auf. Der Eintritt Chinas als größerer Importeur in den Welthandel würde die Knappheit weiter verschärfen.

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Fazit

Trotz der aktuell prognostizierten Ausweitung der Anbaufläche wird Mais im Marketingjahr 2011/12 unserer Ansicht nach nur einen geringen Anstieg des US-Stocks to Use Ratios auf knapp 8% verzeichnen. Auch global gehen wir von einer Stagnation des Stocks to Use Ratios um das Niveau von 15% aus. Eine Entschärfung der derzeit vorliegenden Knappheit wäre somit nicht gegeben. Da in diesem Kontext steigende Preise für eine Dämpfung der Nachfrage sorgen dürften, trauen wir Mais 2011 absolut noch einmal Kursgewinne zu, die im Falle von Produktionsverlusten durch das La Niña-Phänomen auch noch einmal kräftig ausfallen können. Relativ zu den anderen Rohstoffen empfehlen wir, Mais leicht überzugewichten.

Chinesische Mais-Nettohandelsbilanz in Tonnen

Quelle: China Customs, Tiberius

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Baumwolle: Untergewichten

Angebot

Baumwolle stand im Herbst 2010 im Fokus der Rohstoffanleger. Mit einem fulminanten Preisanstieg um mehr als +100% seit Juli 2010 erreichte Baumwolle am 10.11.2010 in der Spitze die Notierung von 157,23 US-Cents je Pfund und wies damit das höchste Kursniveau seit dem Sezessionskrieg in den USA vor rund 140 Jahren auf. Im Zuge der Preissteigerungen bildete die Terminkurve eine extreme Backwardation aus, da die Kontrakte am vorderen Ende der Terminkurve besonders stark auf die Knappheit reagierten. Der Dezember 2011 Kontrakt, der zur Beurteilung der Erträge aus der nächsten Ernte in 2011 herangezogen wird, blieb deutlich zurück.

Dabei war die Knappheit auf fundamentaler Ebene bereits im vorherigen Marketingjahr 2009/10 eingetreten. Auf die sehr positiven Fundamentaldaten von Baumwolle hatten wir in den vorangegangenen Kapitalmarktausblicken bereits hingewiesen. Die Lage wurde in 2010 noch einmal durch eine hohe Textilnachfrage und Produktionsverluste aufgrund unvorteilhafter Wetterbedingungen in wichtigen Anbaunationen extrem verschärft. In den USA sank das Stocks to Use Ratio innerhalb der letzten beiden Marketingjahre von knapp 38% auf rund 11,5%. Global ging es um rund -20% zurück. Im Zuge dessen waren die zertifizierten Lagerbestände in den Lagerhäusern der Intercontinental Exchange (ICE) in den letzten Monaten auf einen rudimentären Restbestand knapp über Null gefallen.

Schlechtes Wetter in China reduzierte die inländische Baumwollproduktion um schätzungsweise -6,3% gegenüber dem Vorjahr. Da der größte Baumwollverbraucher der Welt generell auf Importe angewiesen ist, um die inländische Nachfrage zu decken, potenziert der Rückgang der chinesischen Ernte die knappe Situation auf dem Weltmarkt. Auch die Überschwemmungen in Pakistan und die Begrenzung der Exporte aus Indien, dem traditionell zweitgrößten globalen Exporteur, auf aktuell 5,5 Mio. Ballen trugen zur Panik unter den Investoren und Konsumenten bei.

Wie bereits bei den Getreiden und Ölsaaten ausgeführt, wird aufgrund der niedrigen Stocks to Use Ratios bei Mais, Sojabohnen und Baumwolle im Frühjahr 2011 ein Kampf um Ackerfläche in den USA entstehen. Dadurch, dass auch Mais und Sojabohnen starke Preissteigerungen aufweisen und die Entscheidung von den Bauern erst im Frühjahr 2011 getroffen wird, kann momentan noch keine klare Verteilung der Ackerflächen ausgemacht werden. Gemäß unseren Berechnungen auf Basis der im November 2010 vorherrschenden Preise sprechen die relativen Margen aktuell für eine Anbaufläche in Höhe von knapp 13 Mio. Acres. Dies entspricht einem Anstieg um +23% im Vergleich zum Vorjahr. Würde diese Fläche tatsächlich mit Baumwolle angebaut werden, würde dies unserer Ansicht nach zu einer Erholung des US Stocks to Use Ratios von 11,5% im aktuellen Marketingjahr 2010/11 auf rund 25% in 2011/12 führen.

SOFTS Autorin: Sandra Bachofer

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Nachfrage

Die Rekordpreise bei Baumwolle dürften im aktuellen Marketingjahr 2010/11 einen Teil der Nachfrage zerstört haben. Die höheren Notierungen schmälern die Margen in der Textilbranche und erhöhen das Risiko von Nachfrageverschiebungen zu synthetischen Substituten (Polyester). Bestehende Verträge mit Textilabnehmern, die eine bestimmte Qualität definieren, und ein gewisser Vorlauf bei der Umrüstung der Maschinen könnten dem kurzfristig entgegenstehen. Langfristig sollte jedoch ein sukzessiver Rückgang des Einsatzes von Baumwolle gegenüber synthetischen Stoffen zu erwarten sein.

Obwohl der inländische Verbrauch in den USA stetig zurückgeht, wird diese Entwicklung durch das Nachfragewachstum in Asien mehr

als ausgeglichen. Die wachsende Mittelklasse in China und Indien sollte diesen Trend auch in den kommenden Jahren stützen.

Ähnlich wie bei Zucker im 1. Halbjahr 2010 erwarten wir nach der jüngsten Preiskorrektur, dass die bei hohen Preisen aufgeschobenen Käufe auf niedrigerem Niveau vorgenommen werden. Da die chinesische Regierung Baumwolle als knappen Rohstoff eingestuft hat und durch Verkäufe von 1 Mio. Tonnen aus Regierungslagerbeständen den inländischen Preisanstieg zu dämpfen versuchte, ist auf einem niedrigeren Preisniveau auch mit dem Auffüllen der Regierungsreserven zu rechnen. Darüber hinaus hat die chinesische Regierung angekündigt, mit harten Strafen gegen Spekulation, illegales Horten von Beständen etc. vorzugehen.

USA: Baumwollproduktion und Stocks to Use Ratio

Quelle: USDA, Tiberius

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Die aktuelle Erwartung über die Höhe der US-Exporte im Marketingjahr 2010/11 stieg im Vergleich zum Vorjahr um rund +30% an. Die Fokussierung auf die USA als Exporteur, der den Ausfall der anderen Nationen kompensieren soll, dürfte im nächsten Marketingjahr 2011/12 abnehmen. Zum einen sollten sich die in 2010 durch ungünstige Wetterbedingungen reduzierten Ernten in China und Pakistan wieder normalisieren. Zum anderen sollte die globale Nachfrage durch einen höheren Anbau in Indien, Brasilien und Australien mehr als ausgeglichen werden. Wir erwarten 2011/12 einen globalen Marktüberschuss von knapp 3% der Jahresnachfrage.

Fazit

Die Baumwollpreise dürften durch die bestehende Knappheit kurzfristig weiterhin unterstützt bleiben. Darüber hinaus muss Baumwolle gegenüber den anderen Anbaualternativen im Frühjahr 2011 eine relative Attraktivität aufweisen, um genügend Anbaufläche für sich vereinnahmen zu können. Falls die von uns per Mitte November 2010 prognostizierten knapp 13 Mio. Acres in den USA mit Baumwolle angebaut werden sollten, dürfte dies zu einer merklichen Entspannung der Versorgungslage und entsprechenden Preiskorrekturen im weiteren Verlauf von 2011 führen. Global dürfte sich die Situation allerdings nicht so schnell entspannen, da wir hier nur eine Stabilisierung des Stocks to Use Ratios auf niedrigem Niveau erwarten. Die von uns unterstellte Angebotsausweitung gibt aber den Ausschlag für unser Votum, Baumwolle unterzugewichten.

Kaffee: Leicht übergewichten

Angebot

Kaffee weist 2010 eine der besten Wertentwicklungen unter den von uns beobachteten Rohstoffen auf. Grund hierfür ist die Knappheit bei hochwertigen Arabicabohnen. Diese entstand durch zwei kolumbianische Missernten in Folge, deren Auslöser unvorteilhafte Wetterbedingungen und die Auswirkungen eines Erneuerungsprogramms alter Kaffeebäume waren.

Die bereits mehrfach zuvor angestiegenen Knappheitsprämien für kolumbianische Lieferungen spiegeln sich seit Juni 2010 auch in den an der Intercontinental Exchange (ICE) gelisteten Arabica-Futures wider. Zwar wird in Kolumbien im aktuellen Erntejahr eine Erholung des Produktionsvolumens auf rund 9,0-9,5 Mio. 60 kg Säcke erwartet. Starke Regenfälle in Kombination mit dadurch ausgebrochenem Schädlingsbefall trüben allerdings das Bild. Die Befürchtungen, dass die Auswirkungen von La Niña das Volumen der Ernten reduzieren könnten, verleihen dem Kaffeepreis momentan eine Risikoprämie.

Der Anbau von Arabicabohnen wird durch einen zweijährigen Zyklus charakterisiert und

on-Ernteergebnissen und ein darauf folgendes

-Obwohl sich Brasilien, der größte globale

-

60 kg Säcke geschätzte Ernte keine erheblichen Preisrückgänge bewirken.

-

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-aufzubauen. Durch die überdurchschnittlich steigende inländische Nachfrage und hohe Exporte wird dies allerdings immer schwieriger. Eine deutliche Entspannung der Knappheitssituation ist in 2011 somit nicht zu erwarten.

Nicht nur in Vietnam, dem größten globalen Robustaproduzenten, kommt es aktuell wetterbedingt zu Verzögerungen bei den Ernteaktivitäten. Auch bei der zweitgrößten globalen Produzentennation von Robusta, Indonesien, werden eine deutlich geringere Produktion und wesentlich niedrigere Exporte in Folge von extremen Regenfällen erwartet. Dem globalen Kaffeeangebot könnte darüber hinaus verfügbares Volumen entzogen werden, falls die vietnamesische Regierung den Plänen der Kaffeeindustrie über den Aufkauf von 0,3-0,5 Mio. Tonnen für sechs

Monate zustimmen sollte, um die inländischen Preise während des Ernteprozesses zu stützen.

Von den gestiegenen Kaffeepreisen in US-Dollar konnte Brasilien nicht im selben Maße profitieren. Die starke Aufwertung des brasilianischen Reals gegenüber dem US-Dollar führte zu geringeren Erlösen in lokaler Währung. Es bedarf jedoch hoher Preise in Real, um genügend Anreize für künftige Produktionssteigerungen zu bieten.

Die knappe Verfügbarkeit hochwertiger Arabicabohnen macht sich auch in dem stetigen Rückgang der zertifizierten Lagerbestände der ICE bemerkbar. Diese gingen um rund -60% seit dem Jahresbeginn 2008 zurück. Außerdem befinden sich die Lagerbestände der Produzentennationen, unter anderem durch die wetterbedingten Produktionsausfälle, auf einem extrem

Kaffeepreisentwicklung in US-Dollar und brasilianischem Real indexiert auf 100%

Quelle: Bloomberg, Tiberius

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niedrigen Niveau. Die International Coffee Organization (ICO) erwartet, dass sich die Lagerbestände zu Beginn der Saison 2010/11 unter 12 Mio. Säcken befinden, dem geringsten Niveau seit Beginn der Aufzeichnungen.

Nachfrage

Aufgrund des stark angestiegenen Preisniveaus bei Arabicabohnen wird Kaffeemischungen, die nicht mit 100% Arabica gekennzeichnet sind, ein höherer Robustaanteil beigemischt. Mehr Robustabohnen werden auch in Schwellenländern nachgefragt. Die Qualität des Kaffees besitzt dort noch nicht den Stellenwert wie in den westlichen Industrienationen, sodass dort momentan vor allem löslicher Kaffee konsumiert wird und die hochwertigen Bohnen für den Export bestimmt sind.

Die durchschnittliche Wachstumsrate der globalen Nachfrage betrug bei Kaffee in den letzten 10 Jahren gemäß Angaben der ICO +2,1%. Kaffee ist in den westlichen Industrienationen ein fester Nahrungsmittelbestandteil. Dass es gemäß Angaben der ICO in 2009 allerdings doch zu einem Rückgang des Kaffeekonsums um rund -1% im Vergleich zum Vorjahr kam, ist daher eher ungewöhnlich. Die ICO vermutet, dass der Rückgang auch auf den Verbrauch von unsichtbaren Lagerbeständen zurückzuführen sein könnte und der tatsächliche Verbrauch höher lag.

Generell scheint die Nachfrage nach Kaffee in den westlichen Industrienationen gesättigt zu sein. Die Konsumenten in diesen Regionen

verändern deshalb eher die Trinkgewohnheiten, indem sie sich auf Kaffeenischen (spezielle Sorten, Anbaugebiete) oder ständig wechselnde Geschmacksrichtungen im Rahmen von Kaffee-Pads fokussieren. Das Potenzial des künftigen Wachstums der Kaffeenachfrage liegt in den Produzentennationen und in den Schwellenländern. Der Verbrauch in Brasilien stieg im Vergleich zur globalen Nachfrage in den letzten Jahren überdurchschnittlich an und liegt aktuell bei rund 19 Mio. 60 kg Säcken pro Jahr. In einigen Jahren könnte Brasilien sogar den größten Kaffeeverbraucher der Welt, die USA, mit einer höheren Nachfrage übertreffen.

Fazit

Zwar sollte sich die angespannte Versorgungslage durch die aktuellen Ernten in Kolumbien und Vietnam zum Jahresbeginn 2011 etwas bessern. Generell stufen wir Kaffee jedoch

- -Produktion in Brasilien und den bereits wetterbedingt aufgetretenen Problemen in vielen Anbaunationen weiterhin als aussichtsreichen Rohstoff ein. Wir empfehlen, Kaffee in 2011 leicht überzugewichten.

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Kakao: Leicht untergewichten

Angebot

Nachdem auf dem globalen Kakaomarkt in drei der vergangenen vier Marketingjahre ein Defizit vorhanden war, erwarten wir im aktuellen Marketingjahr 2010/11 einen geringen Überschuss. Die Rückkehr zu einem positiven globalen Marktsaldo führen wir auf Angebotssteigerungen und bisher vorteilhafte Wetterbedingungen zurück, die gute Ernteergebnisse in Aussicht stellen.

Auch in der Elfenbeinküste, dem größten globalen Kakaoproduzenten, liegen derzeit gute Anbaubedingungen vor. Dort wird eine Reform des Kakaosektors immer wichtiger. Angebotssteigerungen sind aktuell nur noch durch günstige Wetterbedingungen möglich. Die in der Vergangenheit unterbliebenen

Investitionen und die im Vergleich zu anderen Anbaunationen niedrigeren Erträge durch alternde Kakaobäume lassen Produktionssteigerungen aktuell nicht zu. Die Situation könnte sich durch die ersten Wahlen seit dem Ende des Bürgerkriegs verbessern, die nach jahrelangen Verzögerungen Ende 2010 abgehalten wurden. Auseinandersetzungen über den rechtmäßigen Wahlsieger sorgen kurzfristig jedoch wieder für Unruhen im Land, welche die Lieferung der Kakaoernte in die Exporthäfen beeinträchtigen könnten.

Im Nachbarstaat Ghana, der zweitgrößten Produzentennation der Welt, unterstützt die Regierung den Kakaosektor, um langfristig Produktionssteigerungen zu erzielen. So hob die ghanaische Kakaobehörde zu Beginn der aktuellen Saison die offiziellen Kakaopreise um ein Drittel an. Durch verschiedene Programme

Globaler Kakaomarkt: Produktion, Verbrauch (Grindings) und Überschuss/Defizit in 1.000 Tonnen

Quelle: International Cocoa Organization, Tiberius

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soll die Kakaoproduktion in Ghana bis 2012 auf 1 Mio. Tonnen gesteigert werden. Bei einer Produktion von aktuell rund 700.000 Tonnen ist dies ein ambitioniertes Ziel.

Das im historischen Vergleich hohe Preisniveau sollte in den Anbaunationen Produktionssteigerungen bewirken, die sich nicht mit den in der Elfenbeinküste vorhandenen Problemen der vergangenen Jahre konfrontiert sehen. Da eine Reform des Kakaosektors in der Elfenbeinküste eines gewissen Vorlaufs bedarf bis Produktionssteigerungen realisierbar werden, sind die Erhöhungen des Kakaoangebots in den restlichen Anbaunationen in der Zwischenzeit umso wichtiger.

Nachfrage

Die International Cocoa Organization (ICCO) erwartet für das letzte Marketingjahr 2009/10 eine Steigerung der Nachfrage um +4,8% im Vergleich zum Vorjahr. 2010/11 dürfte sich dieses hohe Wachstum nicht wiederholen lassen, da im vergangenen Jahr die Lager nach dem Konjunktureinbruch wieder aufgefüllt wurden. Dieser Sondereffekt dürfte allerdings mittlerweile abgeschlossen sein.

Das vierte Quartal weist generell die höchste Nachfrage durch das Weihnachtsgeschäft auf. Da sich die Arbeitslosenraten in Amerika und vielen Mitgliedsstaaten der EU allerdings auf hohem Niveau befinden, könnte die Nachfrage im 4. Quartal 2010 enttäuschen.

Fazit

Unter normalen Anbaubedingungen sollte der für das Marketingjahr 2010/11 prognostizierte geringe globale Überschuss zu einem Kursrückgang führen. Da in den letzten Marketingjahren durch die globalen Marktdefizite keine nennenswerten Lagerbestände aufgebaut werden konnten, ist jedoch der weitere Ernteverlauf entscheidend. Sollte es aufgrund des La Niña-Phänomens zu Schädigungen der Ernten in Indonesien und Lateinamerika kommen, wäre mit einem erneuten Preisanstieg zu rechnen. Unter normalen Bedingungen erwarten wir jedoch eine unterdurchschnittliche relative Wertentwicklung.

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Zucker: Leicht untergewichten

Angebot

Nach zwei Marketingjahren in Folge mit hohen globalen Marktdefiziten schien sich die angespannte Versorgungslage Anfang 2010 aufzuhellen. Mit der Aussicht auf einen geringen globalen Überschuss im Marketingjahr 2010/11 (Okt/Sep) und eine Konsolidierung der Lagerbestände brachen auch die Preise in der Spitze um -57% ein. Eine Stabilisierung gelang erst als die hinausgeschobenen Importe letztendlich getätigt wurden. Ungünstige Wetterbedingungen sorgten im 2. Halbjahr 2010 erneut für eine veritable Hausse des Zuckerpreises. Die ursprünglich erwartete globale Überschusssituation ist der Einschätzung eines ausgeglichenen oder ein

geringes Defizit aufweisenden globalen Marktes gewichen.

Brasilien, der größte Zuckerexporteur der Welt, wurde aufgrund der witterungsbedingten Produktionsausfälle bei anderen Produzenten für die Bedienung der erhöhten Zuckernachfrage in 2010 noch wichtiger als normalerweise üblich. Brasilien konnte aufgrund von trockenen Wetterbedingungen das Zuckerrohr extrem schnell ernten und versorgte den Weltmarkt mit deutlich höheren Zuckerexporten als in den vergangenen Jahren. Erstmals konnten monatliche Exporte von über 3 Mio. Tonnen im Zeitraum August bis November 2010 erzielt werden. Die Hafenlogistik stieß in 2010 bei der Abfertigung der Schiffe allerdings an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Trockenheit bewirkte jedoch auch, dass deutlich weniger Zuckerrohr

Brasilianische Zuckerexporte in Tonnen

Quelle: UNICA, Secretariat of Foreign Trade, Tiberius

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geerntet werden konnte als ursprünglich angenommen. So gingen die Schätzungen für das Gebiet Center/South, das ca. 90% des brasilianischen Zuckerrohrs anbaut, von den ursprünglich erwarteten rund 600 Mio. Tonnen auf mittlerweile weniger als 570 Mio. Tonnen zurück.

Darüber hinaus könnten die trockenen Wetterbedingungen in 2010 bereits Auswirkungen auf die brasilianische Ernte in 2011 haben, da sie die Entwicklung des Zuckerrohrs schädigten. Zwar könnten entsprechend hohe Niederschläge in den kommenden Monaten noch für eine Besserung sorgen. Aktuell tendieren die Einschätzungen hinsichtlich des Erntevolumens allerdings eher zu einer Spanne zwischen einer Stagnation und einem Rückgang um ca. -5% im Vergleich zu 2010. Während der 5jährigen Nutzung des Zuckerrohrs in Brasilien wird der höchste Ertrag im ersten Erntejahr erzielt. Gemäß Angaben des brasilianischen Verbandes der Zuckerrohrindustrie (UNICA) befindet sich dieser Anteil am gesamten Bestand seit zwei Jahren bei lediglich 9%, verglichen mit den durchschnittlichen 15%. Dass in der Erntepause deshalb ein großer Anteil des Zuckerrohrs erneuert wird, ist jedoch zu bezweifeln. Hintergrund ist der, dass die Erneuerung zwar eine höhere Ernte in 2012 erzeugen würde, jedoch die Anbaufläche für die nächste Ernte in 2011 aus der Nutzung nähme. Um von den aktuell hohen Zuckerpreisen profitieren zu können, ist eher davon auszugehen, dass mit Düngern versucht wird, den Ertrag des älteren Zuckerrohrs zu steigern.

Gute Anbaubedingungen in 2010 führen Indien aus der Abhängigkeit von ausländischen Importen, die durch schlechte inländische Ernten in den vergangenen beiden Jahren notwendig geworden waren. Da eine indische Ernte von 25-28 Mio. Tonnen erwartet wird, besteht die Aussicht auf mögliche Exporte in Höhe von 2-3 Mio. Tonnen. Diese wären wichtig, um die knappe Verfügbarkeit von Zucker auf dem Weltmarkt zu reduzieren bis Brasilien im Frühjahr 2011 mit der nächsten Zuckerrohrernte beginnt. Da der Monsun in Indien allerdings deutlich länger angehalten hat, hält sich die indische Regierung hinsichtlich der Bewilligung von Zuckerexporten noch zurück.

Die Situation zum Jahreswechsel 2010/2011 stellt sich hinsichtlich der Versorgungslage ähnlich knapp dar wie vor einem Jahr. Sofern die indische Regierung jedoch Exporte bewilligt, sollten diese zusammen mit Exporten aus Thailand die knappe Situation im ersten Halbjahr 2011 entschärfen. Da die Ernten für Prognosen des Marketingjahres 2011/12 (Okt/Sep) zeitlich noch sehr weit entfernt liegen, können momentan nur erste grobe Schätzungen vorgenommen werden. Unterstellt man aber die Rückkehr zu durchschnittlichen Wetter- und Anbaubedingungen dürfte die Normalisierung der Produktionsmengen zu einem globalen Überschuss führen.

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Nachfrage

Im Marketingjahr 2010/11 unterstellen wir ein leicht unterdurchschnittliches Nachfragewachstum von +1,8% im Vergleich zum Vorjahr, das wir auf das hohe Zuckerpreisniveau zurückführen. Wir erwarten einen Rückgang der Nachfrage in den asiatischen und afrikanischen Entwicklungsländern. In den westlichen Industrienationen und zuckerexportierenden Ländern gehen wir von einer normalen Nachfrage aus.

Wie bereits im vergangenen Jahr erhöhten die brasilianischen Fabriken, die sowohl für Zucker als auch für Ethanol Kapazitäten besitzen, die Produktion von Zucker. Gemäß Angaben des brasilianischen Verbands der Zuckerrohrindustrie (UNICA) nahm die Zuckerproduktion im Zeitraum 1. April bis 16. November 2010 um rund +22% im Vergleich zum Vorjahr zu. Die Ethanolproduktion wurde im selben Zeitraum um etwas mehr als +16% gesteigert. Auch in Zukunft dürften brasilianische Zuckerrohrfabriken, die sowohl Zucker als auch Ethanol herstellen können, die Produktion von Zucker favorisieren.

Da 2010 überdurchschnittlich viele Anbaunationen durch geringere Produktionsvolumen infolge unvorteilhafter Wetterbedingungen betroffen sind, dürften Preisrücksetzer, wie bereits im vergangenen Jahr, genutzt werden, um ausstehende Käufe zu tätigen.

Der Einjahres-Convenience-Yield ist zuletzt wieder auf Werte um 40% emporgeschnellt. Unserer Ansicht nach dürfte sich dieses Niveau in 2011 vor dem Hintergrund der Normalisierung der Fundamentaldaten nicht halten lassen.

Fazit

Generell erwarten wir, dass indische und thailändische Exporte die aktuell knappe globale Versorgungslage in den ersten beiden Quartalen 2011 entspannen dürften. Da jedoch noch nicht sicher quantifiziert werden kann, in welchem Maße die Trockenheit in Brasilien das Erntepotenzial in 2011 beeinträchtigt hat, dürfte unserer Ansicht nach eine Risikoprämie bei Zucker eingepreist bleiben bis genauere Einschätzungen möglich sind. Unterstellt man allerdings im Jahresverlauf 2011 eine Normalisierung der Wetterbedingungen und Anbauvolumen sollte dies zu rückläufigen Zuckernotierungen führen. Wir empfehlen eine leichte Untergewichtung.

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Hybride

Hybride sind en vogue und in der automobilen Welt haben sich auf dem politisch korrekten Parkett Fortbewegungsmittel mit alternativen, zwitterhaften Antriebskonzepten etabliert und gehören gar zum guten Ton. Der Antrieb kommt - je nach aktueller Beanspruchung - aus einer regenerativen und/oder aus einer klassischen Kraftquelle, beide haben dabei einen wesentlichen Einfluss auf das gesamte Leistungspotential.

Mit dem Ziel, möglichst systematische Entscheidungsparameter zu definieren, die das Leistungspotential von Rohstoffaktien optimieren, finden wir uns ebenfalls in der hybriden Welt wieder. Betrachtet man die historische Entwicklung der Bewertungen von Minengesellschaften, trifft man auf zwei

wesentliche Einflussfaktoren. Auf der Hand liegt, dass der Preis des Rohstoffs, ein wesentlicher Bewertungsfaktor ist. Einem Anleger, der auf den Rohstoffcharakter der Rohstoffaktien setzt, wird spätestens in Märkten, die Stress ausgesetzt sind bewusst, dass Rohstoffaktien auch Aktien sind, die eher dem Aktienmarkt als dem Rohstoffmarkt verbunden sind. Der Diversifikationseffekt, den man durch ein Investment in Rohstoffe erzielen möchte, setzt genau dann aus, wenn man ihn am dringendsten benötigt.

Die Verbundenheit der Rohstoffaktien mit dem Gesamtaktienmarkt lässt sich mit dem Schwingungsgrad Beta messen. Als Beispiel zeigen wir in obiger Grafik den Gleichlauf zwischen Goldaktien (XAU Index) und dem Aktienmarkt (S&P 500 Index) anhand der Betas über die Zeit auf. Positive Werte zeigen

Beta Goldminen zum Aktienmarkt vs. Implizite Volatilitäten

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

ROHSTOFFE UND DEREN PRODUZENTEN Autor: Björn Weigelt

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einen Gleichlauf an, negative Werte eine gegenläufige Bewegung, wobei der absolute Wert die Intensität dieses Gleichlaufs beschreibt. Im gleichen Chart ist als Stressbarometer der VXO-Index für implizite Volatiltäten der Optionen des S&P 100 Aktienindex angezeigt.

Deutlich wird, dass bei steigendem Stress das Beta von Goldminen zum Aktienmarkt markant ansteigt. Daher liegt es nahe, gerade in diesen Phasen Goldminen zu meiden in denen der VXO steigt und der Aktienmarkt unter Druck kommt.

Auch für Produzenten anderer Rohstoffe wie die der Industriemetalle, Öl oder Erdgas ist zu beobachten, dass sich deren Bewertungen aus den aktuellen Kassapreisen des Rohstoffes und der Verfassung des Aktienmarktes ableiten.

Jedoch sind auch die Kassapreise einzelner Rohstoffe vom Verlauf der impliziten Volatiltät

nicht unabhängig, da diese teilweise die Funktion eines sicheren Hafens annehmen. Dies gilt für Gold, aber auch der Rohölpreis besaß in der Vergangenheit eine ähnliche Funktion und konnte als politisches Risikobarometer verstanden werden, wie die Konflikte zwischen den Parteien des Kalten Krieges, die Kubakrise oder der Einmarsch des Iraks nach Kuwait zeigen. In Zeiten ansteigender Volatiliäten stieg in der Regel auch der Ölpreis.

In den vergangenen 25 Jahren pendelte die Korrelation des Ölpreises zur impliziten Volatilität um Null mit Werten in einer Bandbreite von etwa -0,30 bis etwa +0,60. Der Ölpreis war in Krisenphasen ein valider Indikator für Risiken im System, wobei die Betonung auf

2009 hat sich diese Korrelation ins Negative gekehrt, wobei ungewöhnlich tiefe Werte von -0,6 erreicht wurden. Das suggeriert, dass Öl seit

Korrelation des Ölpreises zur impliziten Volatilität

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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knapp 2 Jahren nicht mehr primär als Versicherung geopolitischer Risiken, sondern vielmehr als beliebiges risikobehaftetes Investmentvehikel angesehen wird. Wir sind der Meinung, dass die Korrelation zwischen Aktienmärkten und Ölpreis sich im Zuge einer sich verschärfenden Lage im Iran auflösen dürfte. Dennoch erfordert die aktuell hohe Korrelation eine Anpasung der Modellierung der Selektion zwischen Ölpreis und Ölproduzenten.

Wir möchten nun auf den folgenden Seiten einige Ansätze vorstellen, wie man die Anlageentscheidung zwischen Rohstoffproduzenten und Rohstoff kurz- bis mittelfristig modellieren kann.

Gold - Goldminen

Goldminen- ein enttäuschtes Versprechen

Viele Anleger reden über Edelmetallpreise, kaufen aber Minengesellschaften. Im Laufe der letzten Jahre mussten sie mit ansehen, dass die Minenaktien das Versprechen, die Metallpreise nach oben zu hebeln, in der Breite nicht erfüllen konnten. Ein Goldanleger, dem im Jahre 2002 zweifelsfrei versichert worden wäre, dass der Goldpreis sich bis zum Jahr 2010 von 300 USD je Feinunze auf über 1.400 USD fast verfünffachen würde, der hätte die erwartete Rendite eines Goldminenbaskets von Senior-Produzenten wohl wenigstens mit den noch zu Beginn dieses Jahrtausends in anderen Marksegmenten oft deklamierten 1.000% angegeben. Gemessen am Philadelphia Gold & Silver Mining Index (XAU) sind es aber nur etwas mehr als 200% geworden. Mit anderen Worten: Gold erwies sich als das wesentlich bessere Investment. Die Gewinne der Goldaktien boten wider Erwarten keinen Hebel zum Goldpreis. Dies ist teilweise darauf

zurückzuführen, dass die Kostensteigerungen im Minensektor (Energiekosten, Personalknappheit, Anschaffungskosten für Produktionseinrichtungen, Währungseffekte) über viele Jahre systematisch unterschätzt wurden. Auf der anderen Seite ist dies aber auch auf unterschiedliche Preiszyklen bei Gold und Minenaktien zurückzuführen.

Goldminenaktien sind Aktien

Mehrere Untersuchungen sind zu dem Schluss gekommen, dass die Goldminen noch am stärksten mit dem Auf und Ab des unterliegenden Rohstoffpreises mitschwingen. Das Beta der Goldminen zum Goldpreis beträgt von 2002 bis heute 1,5. Bei den Ölgesellschaften sind es gegenüber Rohöl im selben Zeitraum nur 0,24. Insofern sind Goldminen mehr ein Gold- als ein Aktieninvestment und eignen sich ebenso wie Gold zur Portfoliodiversifikation.

Unglücklicherweise verlieren Goldminen diese positive Eigenschaft gerade zu einem Zeitpunkt, wenn die Anleger sie am dringendsten benötigen. Goldminenaktien sind nämlich immer dann Aktien, wenn die Aktienmärkte unter grossen Stress geraten. Der Grund ist klar. In einem Aktiencrash werden auch Gold- und Silberaktien völlig unabhängig vom Verlauf der unterliegenden Metallpreise liquidiert, um Verluste in anderen Aktiensegmenten auszugleichen. Augenfällig war dies erneut im Herbst 2008, als die Gold und Silberaktien, gemessen am XAU binnen weniger Wochen mehr als 63% verloren, während der Goldpreis in

-24% schwächer notierte. Als sich die Aktienmärkte ab November 2008 allmählich beruhigten, konnten die Goldaktien in den letzten 9 Wochen des Jahres 2008 von

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deutlich tieferem Niveau um 67% zulegen,

Die Schlussfolgerung für einen aktiven Geldverwalter ist evident. Bevorzuge Gold und meide Goldaktien, wenn die Aktienmärkte allgemein unter Stress sind. Das beste Fieberthermometer für Stress an den Finanzmärkten sind wie oben erwähnt die impliziten Volatilitäten der Preise für Optionen, z.B. der VXO. Ein steigender Volatilitätsindex kann als eine Angstprämie interpretiert werden, da die Anleger bereit sind, für die Absicherung via Optionskäufe höhere Preise zu bezahlen. Historisch waren es gerade diese Zeiten, in denen die Korrelation der Goldaktien zu den großen Aktienindizes zunahm.

Aus der Risikoaversion der Aktieninvestoren lässt sich eine einfache Anlageregel ableiten. Schichte dann von Goldaktien zu Gold um, wenn der

Volatilitätsindex, gemessen an seinem gleitenden 4-Wochen-Durchschnitt, steigt. Bei fallenden Volatilitäten wechsle zu Goldaktien zurück. Ein Portfolio, das auf diese Weise immer zu 100% aktiv in Gold oder Goldaktien investiert gewesen wäre, hätte ein passives Buy-and-Hold Investment von Gold und Goldaktien um Längen geschlagen.

Gold-Goldaktien-Ratio mit Mean Reversion

Für Privatanleger mag ein solches Modell schwer umsetzbar sein, da die Signale vielfach im Wochenrhythmus zwischen Goldaktien und Gold hin- und herwechseln. Insofern stellt sich die Frage, ob die mittelfristigen, relativen Preisbewegungen beider Anlageinstrumente nicht ebenfalls valide Signale liefern. Betrachtet man das Preisverhältnis zwischen Gold und Goldminenaktien, so stellt man fest, dass dieses Ratio regelmäßig zu seinen mittelfristigen

Backtesting des aktiven Gold-Goldaktienmodells

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Mittelwerten, dargestellt durch den gleitenden 1-Jahres-Durchschnitt, zurückkehrt. Die absolute Differenz dieses Preisratio schwankt in engen Grenzen, die sich ähnlich wie die Bollinger-Bänder gut durch plus (obere Grenze) und minus (untere Grenze) ein Mehrfaches der Standardabweichung des Ratio darstellen lassen.

Ein Handelssignal wird generiert, wenn sich das Gold-Goldminen-Ratio so weit von seinem 1-Jahres-Durchschnitt entfernt, dass eine der Grenzen tangiert wird. An der oberen Grenze ist Gold zu teuer, da das Preisverhältnis von Gold und Goldminen in Relation zum 1-Jahres-Durchschnitt zu stark angestiegen ist. In diesem Fall würde das Kapital zu 100% in Goldminen allokiert. An der unteren Grenze ist es gerade umgekehrt. Die Signale werden immer so lange durchgehalten bis das Preisratio Gold-Goldminen den 1-Jahres-Durchschnitt wieder erreicht, also im untenstehenden Schaubild bis zur Nulllinie.

Dort wird zu einer Allokation übergegangen, die je zu 50% aus Gold und Goldminen besteht.

Auch dieses simple Modell kann einen deutlichen Mehrwert gegenüber der puren Anlage in Gold oder Goldminen erzielen. Lediglich in 2008 gerät dieser Investmentansatz in Schwierigkeiten, da die Goldaktien gegenüber Gold zu früh als günstig bewertet erscheinen. Das Modell ist bereits ab Anfang September 2008 zu 100% in Goldminen investiert und nimmt damit die bis Ende Oktober in diesem Anlagesegment auftretenden Verluste voll mit. Bis Januar 2009 kann das Modell jedoch anschließend von der starken Erholung der Goldaktien profitieren, so dass auf den Gesamtzeitraum eine signifikant positive Mehrrendite bestehen bleibt.

Gold-Goldminen Ratio und dessen 1-Jahres-Durchschnitt

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Sind Goldaktien derzeit attraktiv bewertet?

Die Schwierigkeiten des technischen Mean-Reversion Modells im Herbst 2008 wirft jedoch die Frage auf, ob nicht ein an fundamentalen Kennziffern orientiertes Modell den jähen Absturz der Goldminen im Jahr 2008 besser hätte greifen können. Die zentrale Bewertungskennziffer von Goldminen ist nicht wie bei anderen Aktiensegmenten das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Vielmehr steht der Substanzwert der nachgewiesenen unterirdischen Reserven (Proven & Probable Reserves) im Fokus. Der Nettoinventarwert (Net Asset Value) errechnet sich aus den Umsatzerlösen, die sich bei einem kompletten Abbau und Verkauf der Reserven zum aktuellen Goldpreis ergeben würden, abzüglich der für den Abbau notwendigen Kosten. Dieser Substanzwert kann anschließend in das Verhältnis zum Marktwert des Unternehmens an der Börse

gesetzt werden. Von einer Net-Asset-Value-Prämie spricht man, wenn das Unternehmen an der Börse höher als der Substanzwert der Goldreserven bewertet ist. Der umgekehrte Fall ist der eines Net-Asset-Value-Abschlags. In diesem Fall ist die Börse skeptisch, dass das Unternehmen den rechnerischen Wert der Goldreserven zu den angenommenen Kosten tatsächlich realisieren kann.

Das untenstehende Schaubild zeigt, dass die großen Goldproduzenten von 1999 bis 2006 an der Börse durchschnittlich mit einer Prämie zum Nettoinventarwert gehandelt wurden. In dieser Zeitspanne hätte man durchaus den Handelsansatz verfolgen können, zu 100% in Goldaktien umzuschichten, wenn diese eine Net-Asset-Value-Prämie von unter 10% aufweisen, um dann bei einer Net-Asset-Value-Prämie von 30% zu einer hälftigen Allokation von Gold und Goldminen zurückzukehren. Bei einer Prämie von

NAV-Prämien von Senior-Goldproduzenten

Quelle: BMO Capital Markets, Magma Capital AG

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mehr als 50% wäre schließlich eine Anlage von 100% nur in Gold ratsam.

Aber auch dieses Modell kann Kursentwicklungen der Jahre 2007 und 2008 nicht erfolgreich interpretieren. Gerade in dieser Phase fand ein generelles Repricing der Goldaktien statt. Von einer Prämie wechselten die Senior-Goldproduzenten zu einem Abschlag des Börsenwerts zum Nettoinventarwert, der in den letzten 2 Jahren durchschnittlich 40% betrug.

Dies kann nun zweierlei bedeuten. Entweder die Goldaktien sind in Relation zum Goldpreis äußerst attraktiv bewertet und die Börse hat dies noch nicht bemerkt, wobei es natürlich sein kann, dass die in den Nettoinventarwert eingehenden Kostenschätzungen unrealistisch tief sind. Oder aber die Abschläge der Goldminen implizieren, dass Gold auf Dauer zu hoch

bewertet ist. Wie wir im Kapitel Rohstoffperspektiven ausführen, sehen wir eher Zweiteres, auch wenn in 2011 die Versicherungsprämien von Gold vorerst noch hoch bleiben könnten.

Metalle Metallproduzenten

Einfluss

Industriemetalle reagieren anders. Im Gegensatz zu Gold kommt den industrienahen Metallen wie Aluminium, Kupfer oder Nickel nicht die Rolle eines sicheren Hafens zu, wenn Investoren aus risikobehafteten Anlageklassen flüchten. Die Nachfrage nach diesen Gütern und damit ein wesentlicher Bestandteil zur Preisfindung, ist vielmehr von der globalen Wirtschaftslage abhängig.

Backtesting-Linie des Frühindikatoren-Modells

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Tiberius hat einen globalen Frühindikator zusammengestellt, welcher der tatsächlichen Entwicklung der industriellen Nachfrage und den Metallpreisen am besten vorausläuft.

Ein ganz simples Modell, welches Industriemetalle, vertreten durch den liquiden DJ UBS Commdodity Industrial Metals Index (DJ UBS IM), mit dem Niveau des Frühindikator-Index kauft, bzw. bei negativen Werten verkauft, bringt gegenüber einer reinen Buy-and-Hold Strategie in diesem Index eine deutliche Verbesserung der risikogewichteten Rendite.

So zeigt sich im Zeitraum seit 1992 mit 3,83% durchschnittlicher jährlicher Rendite eine ähnliche Performance wie bei einem Long-Only Investment in den Index (4,01% p.a.), doch verringert sich durch den Einsatz des Modells das Risiko gemessen an der Volatiltiät der Renditen

in diesem Zeitraum um mehr als die Hälfte, was das Sharpe Ratio von 0,19 (DJ UBS IM) auf 0,50 ansteigen lässt. Weiter zeigt die Backtesting-Linie des Modells, dass die deutliche Preiskorrektur des Spätsommers im Jahre 2008 antizipiert und in dieser Zeit sogar Geld verdient wurde. Durch das zu lange halten des Short-Signals wurden diese Gewinne jedoch teilweise wieder abgegeben.

Aktive Selektion zwischen Metallen und Metallproduzenten anhand des Ratios

Analog zu dem Vorgehen bei Gold modellieren wir die aktive Anlageentscheidung zwischen Metallen, dargestellt am DJUBS- Industriemetallindex und den Metallproduzenten anhand des Preis-Ratios. Ein Direktinvestment in einen reinen Industriemetall-Produzenten-Index ist nicht möglich. Allerdings bestehen zwei Drittel

Alpha gegenüber naiv diversifiziertem Vergleichsportfolio in Prozent

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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des Dow Jones Stoxx 600 Basic Resources Index (Stoxx BR) aus den Metallproduzenten Rio Tinto, BHP Billiton, Anglo American und Xstrata.

Bei der Untersuchung dieser relativen Bewertungen anhand des Ratios von Stoxx BR und DJ UBS IM ist zum Beispiel eine Mean Reversion zu einem statischen Durchschnitt von etwa 3 zu beobachten.

Ein naiv diversifiziertes long only Portfolio aus beiden Indizes kann mit einer Systematik deutlich outperformed werden (vgl. Grafik), welche wöchentlich zwischen 0% bis 100% Investition in den Stoxx BR und entsprechend 100% bis 0% in den DJ UBS IM stufenlos gemäss des inversen Ratios allokiert. Wird das Ratio grösser, also steigen die Minenaktien stärker als die zugrundeliegenden Rohstoffe, wird antizyklisch die Aktienquote reduziert bzw. die Rohstoffquote erhöht und vice versa. Zeigt das

Signal zum Beispiel eine Allokation von 120% Aktien und -20% Metalle an, wird dieses Signal ignoriert so dass die Aufteilung auf 100% zu 0% limitiert ist.

Öl Ölproduzenten

Das Beispiel der BP Aktie nach dem GAU der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko führte Investoren unmissverständlich vor Augen, dass Aktieninvestments anderen Gesetzen gehorchen als das direkte Ölinvestment. Wir wollen im folgenden ein aktives Selektionsmodell zwischen Ölaktien, vertreten durch den S&P 500 Oil&Gas Index (S&P Oil) und den Futures-Renditen des Ölpreises, dargestellt anhand des DJ UBS Crude Oil Index (DJ UBS CL), vorstellen.

Verfügbarkeitsprämie Rohöl vs. Dividendenrendite Ölaktien

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Öl-Futures- und Ölproduzenten haben völlig unterschiedliche Ertragsquellen. Für den Aktionär ist die wesentliche Ertragsquelle die Dividendenrendite.

Öldirektinvestments generieren im Gegensatz zur klassischen Form der Geldanlage in Aktien (Dividende) oder festverzinslichen Papieren (Zins) keinen stetigen Cash-Flow. Neben den Kassapreisveränderungen wird die Gesamtrendite maßgeblich durch die Verfügbarkeitsprämie bestimmt. In diesem Artikel definieren wir diese als den prozentualen Aufschlag des Nearby-Kontrakts zum 1-Jahres-Terminkontrakt. Die ex ante Verfügbarkeitsprämie, die auch als Prämie für den sofort verfügbaren Rohstoff bezeichnet werden kann, ist somit bei Backwardation positiv und bei einem Contango negativ.

In der vorhergehenden Grafik haben wir die durchschnittliche Dividendenrendite der im S&P Oil enthaltenen Einzelaktien auf der rechten Skala und die Verfügbarkeitsprämie des WTI Rohöl-Futures auf der linken Skala abgetragen. Augenscheinlich ist, dass sich die Verfügbarkeitsprämie zum einen deutlich zyklischer und zum anderen mit einer grösseren Amplitude bewegt als die Dividendenrenditen. Wir schichten wöchentlich stufenlos zwischen S&P Oil und DJ UBS Oil von 0% bis 100% hin und her, je nachdem, wie sich die Differenz aus Dividendenrendite der Aktien und Verfügbarkeitsprämie bei Öl entwickelt. Steigt diese Differenz, wird der Aktienindex gekauft, fällt die Differenz oder wird gar negativ, wird der Ölindex gekauft und entsprechend der Aktienanteil gekürzt, welche in der Summe immer 100% ergeben.

Alpha gegenüber naiv diversifiziertem Vergleichsportfolio in Prozent

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Es handelt sich also um einen long only Ansatz.

Gegenüber einer über die gesamte Zeit je zur Hälfte in S&P Oil und DJ UBS Oil investierten Benchmark, kann diese Strategie seit dem Jahr 1991 durchschnittlich eine stolze jährliche Überrendite von 5,14% erwirtschaften.

Wie in der Einleitung dargestellt, besass Rohöl bis vor etwa 2 Jahren die Eigenschaft, politische Risiken zuverlässig zu bewerten. Doch entgegen der in der Finanztheorie weit verbreiteten Annahme, dass Korrelationen für bestimmte Modellannahmen als Konstante anzusehen sind, ändern sich Korrelationen in der realen Welt stetig. So auch die positive Korrelation von Risiko und Ölpreis. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Backtesting-Ergebnisse, die auf Stressbarometern wie den impliziten

Volatilitäten basieren, nicht zufriedenstellend sind.

Erdgas Erdgasproduzenten

Kann das, was für Erdölproduzenten gilt, auch auf Erdgasproduzenten übertragen werden? Dem ist leider nicht so.

Der Erdgassektor steht für aussergewöhnliche Marktbedingungen. Einerseits schütten Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind, wenn überhaupt nur unregelmässig Dividenden aus. Die Aktionäre waren in den vergangenen Jahren mehr auf Wachstumsstories im Bereich des leicht zu explorierenden Schiefergases fokussiert, so dass Dividendenrenditen von den Erdgasproduzenten nicht gefordert wurden. Anstelle der Dividende lohnt es sich daher, die

Verfügbarkeitsprämie Erdgas

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Cash-Flow Entwicklung dieser Unternehmen zu untersuchen.

Doch nicht nur die Aktienbewertung der Erdgasproduzenten unterscheidet sich damit deutlich von derjenigen im Erdölbereich, sondern auch die laufenden Erträge aus den direkten Rohstoffinvestments sind grundverschieden. Lag die durchschnittliche Verfügbarkeitsprämie für das Halten eines Erdöl-Futures in den Jahren seit 1991 bis heute bei etwa 2,55% p.a., musste der Halter des Erdgas-Futures in dieser Zeit im Durchschnitt etwa -7,32% p.a abgeben. Dieses starke Contango führte dazu, dass ein Anleger, dessen Ertrag sich aus Kassapreisänderung und der Verfügbarkeitsprämie zusammensetzt und am 4. April 1990 USD 100.000 in den Erdgas-Future investiert und regelmässig gerollt hat, heute lediglich noch USD 987,22 (Verlust von 99,01%) besitzt, obwohl der Kassapreis in der selben Zeit über 130% zulegen konnte. Insbesondere in den letzten 10 Jahren sind die Verfügbarkeitsprämien extrem negativ geworden. Die folgende Grafik zeigt die Verfügbarkeitsprämien auf Quartalsbasis sowie einen gleitenden Durchschnitt dieser Prämien.

Auf der anderen Seite gibt es nur wenige sErdgas produzierende Unternehmen, die dazu noch eine Marktkapitalisierung aufweisen, welche ein seriöses Engagement ohne Liquiditätsprobleme garantiert. Zudem wird die Analyse des historischen Datenmaterials durch häufige M&A Transaktionen erschwert. Wir haben uns daher für die folgende Untersuchung einen Korb von 7 Unternehmen ausgesucht, die zwischen 60% (Apache) und 96% (Ultra Petroleum) Produktionsanteil an Erdgas haben. Die durchschnittliche Cash-Flow Rendite, also der Quotient aus Cash-Flow und

Marktkapitalisierung bewegt sich über den betrachteten Zeitraum im mittleren einstelligen Bereich und nimmt nur mit dem extremen Abverkauf der Aktien im Jahre 2008 für kurze Zeit einen zweistelligen Prozentwert an. Ein vergleichbares Backtesting wie bei den Erdölunternehmen getreu nach dem Motto

des Rohstoffinvestments um, wenn die Cash-Flow Rendite grösser ist als die

weder bei einem Long Only noch bei einem Long Short Ansatz zu einem nennenswerten Erfolg.

Doch die relativen kurz- bis mittelfristigen Preisbewegungen von Erdgasunternehmen und dem Erdgas-Future eignen sich für ein Ratio-Modell. Dieses Modell muss jedoch aufgrund der besonderen Terminkurve des Futures massiv in den möglichen Handelssignalen beschränkt werden. Das Ratio selbst oszilliert um dessen gleitenden Durchschnitt. Analog zu Goldminen wird ein Signal generiert, wenn das Ratio einen Extremwert, gemessen an einer um den gleitenden Durchschnitt gelegten Standardabweichung, erreicht. Jedoch werden ausschliesslich Signale ausgewertet, die eine zu tiefe Bewertung der Aktien und einen zu hohen Preis für Erdgas anzeigen. Das Portfolio ist somit entweder vollständig in Liquidität oder kauft zu 100% Aktien und verkauft gleichzeitig zu 100% den Erdgas-Future. Durch die Limitierung auf diese Allokation können über den Zeitraum seit 2001 lediglich 7 Signale gehandelt werden, alle davon in den letzen 5 Jahren.

Die Backtesting-Linie zeigt zwar eine positive Rendite, doch in der Praxis ist solch ein Modell kaum zufriedenstellend umzusetzen, da die Signale zu selten generiert werden und die verfügbaren Daten lediglich 10 Jahre umfassen.

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Wir konnten somit im Sektor Erdgas bisher keinen tatsächlich verwertbaren Zusatznutzen kreieren.

Fazit

In der Selektionsentscheidung Gold oder Goldminen spricht derzeit vieles für Goldminen. Die impliziten Volatilitäten sollten moderat bleiben und die Preisprämie, die Gold aus den diversen Versicherungsmotiven genießt, könnte kurz- bis mittelfristig ebenfalls unter Druck geraten. Wir sehen 2011 außer einer erhöhten Volatilität im Währungsbereich keinen Grund, das Edelmetall gegenüber den deutlich günstiger bewerteten Produzenten zu bevorzugen.

Ähnliches gilt für die Produzenten von Industriemetallen. Die Rahmenbedingungen inklusive der Frühindikatoren sprechen allgemein für das Engagement in den

Industriemetallsektor. Aufgrund der relativen Bewertung von Aktien zu den Rohstoffen erhalten wir aktuell ein neutrales Modellsignal, was sowohl das Investment in den DJ UBS IM als auch Stoxx BR rechtfertigt.

Für die Ölproduzenten lohnt sich ein Blick auf die Dividendenrenditen der Ölunternehmen, welche

e Terminkurve des Rohöl-Futures (die Differenz zwischen Dividendenrendite und Verfügbarkeitsprämie liegt momentan bei etwa 6,61%), was zusammen mit dem grünen Licht für Aktien im ersten Halbjahr 2011 zu einer Präferenz von Ölunternehmen führt. Allerdings erwarten wir im Laufe des Jahres 2011 eine Drehung der Rohölterminkurve von Contango auf Backwardation, so dass die zukünftigen Gesamtrenditen bei Öl in 2011 höher liegen sollten als in 2010.

Backtesting-Linie des Ratio-Modells

Quelle: Bloomberg, Magma Capital AG

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Im Erdgasbereich tun wir uns aufgrund der bereits beschriebenen Sondersituation (extrem negative Verfügbarkeitsprämien und Unternehmen, die durch den tiefen Kassapreises von Gas fundamental eine immer schwächer werdende Kapitalbasis bieten) deutlich schwerer mit einer konkreten Empfehlung. Die relative Bewertung spricht zwar klar für den Kauf des Erdgas-Futures anstelle der Produktionsunternehmen, die langfristig das gegenwärtige Preisniveau nicht überleben können. Kurzfristig bleiben dem Erdgasinvestor jedoch ein primärer Marktüberschuss und negative Roll-Renditen erhalten.

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Die Tiberius Gruppe betreut zum 3. Dezember 2010 folgende Investmentprodukte*:

1. Commodity Alpha OP Long Only

2. Tiberius Commodity Alpha Euro OP Long Only

3. Tiberius Active Commodity OP Long Only

4. Tiberius Absolute Return Commodity OP Long/Short

5. Tiberius Commodity Fund of Funds Dachfonds

6. Tiberius EuroBond OP Fixed Income

7. Tiberius InterBond OP Fixed Income

8. Magma Capital Fund Global Macro

* Spezialfonds sind nicht abgebildet

Wenn Sie Fragen zu den Produkten haben, wenden Sie sich bitte an unser Sales Team. Ebenso richten Sie bitte fachliche Anfragen über die Managementstrategie an unser Sales Team.

Tel.: +41 41 560 00 81; E-Mail: [email protected]

INVESTMENTPRODUKTE

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Tiberius Group Baarerstrasse 53, CH-6300 Zug

Tiberius Asset Management AG, Zug

Board Walter Geering [email protected] +41 41 560 00 81 Trading Christoph Eibl [email protected] +41 41 560 00 84 Jeremy Gatto [email protected] +41 41 560 75 06 Matthias Banzhaf [email protected] +41 41 560 00 86 Luke Gillott [email protected] +41 41 560 75 02 Middle Office Laureta Nasufi [email protected] +41 41 560 00 89 Barbara Simmonds [email protected] +41 41 560 75 04 Andrea Garcia [email protected] +41 41 560 00 85 Marketing & Sales Regine Wiedmann [email protected] +41 41 560 00 88 Samareh Janami [email protected] +41 41 560 75 09 Victoria von Korff-Ercklentz [email protected] +41 41 560 29 09 Operations Sophie Kramer [email protected] +41 41 560 75 08 Compliance Evelyne Iten [email protected] +41 41 560 75 05

KONTAKT

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Tiberius Services AG, Stuttgart Research & Portfolio Services Markus Mezger [email protected] +49 711 185 785 10 Dr. Bernd Früh [email protected] +49 711 185 785 20 Thomas Benedix [email protected] +49 711 185 785 30 Sandra Bachofer [email protected] +49 711 185 785 40 Christian Kurz [email protected] +49 711 185 785 60 IT & Quant Jonathan Kohlenbrenner [email protected] +49 711 185 785 70 Giuseppe Rapallo [email protected] +49 711 185 785 90 Alexander Joggerst [email protected] +49 711 185 785 80 Agniv Roy [email protected] +49 711 185 785 75 Operations Esther Prosec [email protected] +49 711 185 785 50

Tiberius Capital Services S. à .r.I., Genf Sales Nicolas Maduz [email protected] +41 22 592 91 41 Jean-Regis Dutoit [email protected] +41 22 592 91 44 Operations Wendy Lederer [email protected] +41 22 592 91 46

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Magma Capital AG, Zug

Global Macro Hans Günnewigk [email protected] +41 41 544 29 01 Björn Weigelt [email protected] +41 41 544 29 02 Roman Zulauf [email protected] +41 41 544 29 06 Patricia von Allmen [email protected] +41 41 544 29 05

Tiberius Metals Trading AG, London Richard Parry [email protected] +44 203 137 53 60 Shail Bhojak [email protected] +44 203 137 53 56 Nadia Huan [email protected] +44 203 137 53 57 Saddika Haque [email protected] +44 203 137 53 55 Dragan Kilibarda [email protected] +44 203 137 53 59

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Haftungsausschluss

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Redaktionsschluss: 3. Dezember 2010

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