Tichys Totale
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RolandTichys Totale
Gesammelter Einblick 2007 - 2009
Quel l Ed ition
Roland
Tichys Totale
Gesammelter Einblick 2007 - 2009
Quell Verlag GmbH
Jede Woche kommentiert der WirtschaftsWoche Chef-
redakteur Roland Tichy in seinem Editorial das Gesche-
hen in Wirtschaft und Politik. Bereits 2007 hat er die
drohende Finanzkrise erkannt und klar benannt. Für
seine Kolumnen wurde er deshalb 2008 mit dem Lud-
wig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeich-
net. Roland Tichys Analysen sind pointiert, messer-
scharf und teilweise provokant, vor allem: immer
lesenswert. Tichys Totale versammelt erstmalig seine
besten Editorials von 2007 - 2009. In ihnen spiegeln
sich zwei bewegte und aufregende Jahre deutscher
Krisenpolitik.
�
Zeit der Wahrheit 7
Deutsche Scherpas 25
Irrungen und Wirrungen 46
Wo geht’s zur Krise? 55
Alles Staat, alles gut? 64
Rettungsschirme über Deutschland 73
Wer soll das bezahlen? 79
Märchenstunden 88
Katerfrühstück 106
Inhalt
Impressum
1. Auflage 2009
© 2009 Quell Verlag GmbH,
Saalgasse 12, 60311 Frankfurt,
T 069 21994940, F 069 21994942,
www.quell-online.de, info@quell-online
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in
irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein
anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des
Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer
Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Regina Eisele
Gestaltung: Monika Frei-Herrmann, www.frei-herrmann.de
Autorenfoto: © Heike Rost
Druck und Bindung: Printfinder, www.printfinder.lv
Papier: Munken Print cream, FSC zertifiziert
ISBN 978-3-9812667-1-9
E d i t i o n
�Vorwort
Auf geht’s beim Schichtl
Der Schichtl erfreut seit 1869 die Besucher des Münch-
ner Oktoberfests. Während links und rechts Elektronik
blinkt und fiept und wummert, lockt der Ausrufer hier
seit jeher mit dem Spruch: „Auf geht’s beim Schichtl“.
Drinnen gibt es ein Original-Zauber-Spezialitäten-Thea-
ter und als Höhepunkt jeder Vorstellung wird ein Besu-
cher guillotiniert. Mit einem dumpfen Plumps fällt der
Kopf in den geflochtenen Korb. Anschließend kriecht
ein etwas blasser Gast unter dem schwarzen Vorhang
quietschlebendig wieder hervor.
Ich war auch einmal dahinter. Und habe das dumpfe
Kopfrollen von der anderen Seite gehört. Seither will
ich immer wieder hinter den schwarzen Vorhang schau-
en und verstehen, was da wirklich vor sich geht. Das
große Theater der Politik und der Wirtschaft jedenfalls
ist oft so viel anders nicht als die Illusionsnummer
beim Schichtl.
Willkommen also bei meiner Totale, in der gelegent-
lich auch die Köpfe rollen, die Wut und der Ärger des
Verfassers sich mitteilen.
Und keine Sorge: Der Kopf bleibt dran. Immer. Den
brauchen wir für das kleine Augenzwinkern.
Roland Tichy
�Zeit der Wahrheit
20.08.2007
Die Wahrheit jetzt!
Die Verschleierungstaktik der Banken
Lügen haben kurze Beine. Das Problem der Finanzkrise
ist: Viele Banken wissen gar nicht, dass sie lügen. Es ist
schon sensationell, dass amerikanische Banken armen
Krautern Häuser auf Kredit finanziert haben, denen man
als Privatmann keinen Dollar leihen würde. Überboten
wird dies nur durch deutsche Banken, die plötzlich für
diese fernen Geschäfte geradestehen müssen. Da erin-
nert man sich doch daran, wie sich deutsche Bankvor-
stände über den Leichtsinn ihrer US-Kollegen lustig
machten – jetzt sitzen sie mit in der Patsche. Besonders
peinlich: Im Zuge von Basel II prüfen heute die deut-
schen Banken bei der Kreditvergabe alles, aber auch
alles im Vorleben eines Mittelständlers bis ins 7. Glied
zurück. Bloß in Amerika, da haben sie jeden Mist blind
eingekauft.
Denn offensichtlich beruht das Finanzsystem auf
einem System der Selbsttäuschung. Die Kredit verge-
�
benden Banken haben ihre Ramsch-Hypotheken welt-
weit weiterverkauft. Kein Problem, hieß es, so verteilt
sich das Risiko weltweit auf viele Schultern und belas-
tet im Falle eines Falles keinen ernsthaft. Klingt gut, ist
aber falsch. Denn offensichtlich haben sich einige Ban-
ken so viele klitzekleine Risiko-Körnchen auf die Schul-
ter geladen, dass sie jetzt unter einem Sack voll nassem
Sand ächzen. Die versprochene Stabilisierung durch
Risikoverteilung jedenfalls funktioniert nicht, weil jetzt
auffliegt: Die Kredit vergebenden Banken haben sich
ihrer Risiken dadurch entledigt, dass sie sie an andere
verkauft haben, insbesondere an Hedgefonds. Aber
gleichzeitig haben sie denen diesen Risikokauf per Kre-
dit leichtgläubig finanziert. Und weil jetzt ein Hedge-
fonds nach dem anderen in die Miesen rutscht, haut
das Risiko eben auf der anderen Bilanzseite voll rein.
Und nun also hören wir täglich dieses im sonoren Beru-
higungston vorgetragene Argument, dass das zwar ein
Bankenproblem sei – aber Wachstum, Aktien und Jobs
nicht gefährde. Hört sich gut an – bloß trauen darf man
dem nicht, denn diese fromme Lüge glauben sich nicht
mal die Banken untereinander. Anders ist diese grandi-
ose Liquiditätskrise nicht zu erklären, in der die Banken
sich selber keinen Heller mehr geliehen haben und die
nur dadurch überwunden werden konnte, dass die Zen-
tralbanken die größte Geldschwemme in der Geschichte
auslöste. Aber wir Anleger, wir sollen jetzt glauben, im
Himmel ist immer noch Jahrmarkt und auf Erden Kauf-
gelegenheit für Aktien und Anleihen? Auch die Wirt-
schaftsWoche, ich will das nicht beschönigen, ist von
der halbstaatlichen IKB unter Duldung durch ihre voll-
�Zeit der Wahrheit
staatliche KfW getäuscht worden. Für Außenstehende
waren die kunstvoll verborgenen Risiken dieser Bank
nicht zu durchschauen. Jetzt ermittelt die Staatsanwalt-
schaft, und vielleicht ist der Chef der Bankenaufsicht,
Jochen Sanio, so nett und kommt vorzeitig aus dem
Kanadaurlaub zurück: Es ist Feuer auf dem Dach, Herr
Präsident.
Denn versagt haben auch die Aufsichtsgremien.
Peinlich, wie die feinen Ratingagenturen, die selbst
ernannten Wachhunde der Finanzgemeinde, jetzt zuge-
ben müssen, dass sie ihr Gebiss im Wasserglas verges-
sen und gepennt haben. Es sind nicht die monetären
Verluste, die so desaströs wirken – es ist der Vertrau-
ensverlust, der Banken taumeln lässt und Anleger ent-
eignet, die Wirtschaft mit einer „Strafsteuer“ belastet,
wie US-Finanzminister Henry Paulson sagt. Diese Krise
kann nur überwunden werden, wenn die Banken und
Finanzinstitute gnadenlos offenlegen, was sie in den
Bilanzen versteckt oder uns Anlegern ins Depot gedrückt
haben. Übrigens: Spielwarenhersteller holen ihre China-
Püppchen aus dem Regal zurück, wenn Gift drauf ist. So
viel Mut kann man auch von Bankmanagern erwarten.