Tipps_zur_Wortbildungsanalyse

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1 Die fünf Schritte der Wortbildungsanalyse: 1. Angabe der Grundform der Wortbildung (dadurch fallen Flexionsendungen weg) 2. Wiedergabe der Bedeutung der Wortbildung, so wie sie im Kontext gebraucht ist, durch einen vollständigen Satz, die so genannte Wortbildungsparaphrase. 3. Angabe und Analyse der unmittelbaren Konstituenten (UK), aus denen die Wortbildung besteht 4. Nennung des Wortbildungsbauplans 5. Nennung der Wortbildungsbedeutung (so genanntes Inhaltsmuster) Beispielanalysen Text aus der Legende eines Gebäudeplans: Seiteneingang und Ein-/Ausgang für Rollstuhlfahrer und Besucher mit Kinderwagen a) Seiteneingang 1. Grundform: (der) Seiteneingang 2. Wortbildungsparaphrase: 'Ein Seiteneingang ist ein Eingang, der an der Seite (des Gebäudes) liegt.' 3. Konstituentenanalyse: subst. BM Seite + subst. MK Eingang 4. Wortbildungsbauplan: Kompositum mit Fugenelement -n- 5. Inhaltsmuster: Determinativ (die erste Konstituente bestimmt die zweite näher: ein Seiteneingang ist eine bestimmte Art von Eingang) b) Besucher 1. Grundform: (der) Besucher 2. Wortbildungsparaphrase: 'Ein Besucher ist eine Person, die jemanden oder etwas besucht.' 3. Konstituentenanalyse: verb. MK Besuch + WM -er 4. Wortbildungsbauplan: Suffixableitung 5. Inhaltsmuster: Personenbezeichnung/Nomen agentis (Inhaltsmuster müssen im Grundstudium nur bei Komposita angegeben werden!)

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Die fünf Schritte der Wortbildungsanalyse:

1. Angabe der Grundform der Wortbildung (dadurch fallen Flexionsendungen weg)

2. Wiedergabe der Bedeutung der Wortbildung, so wie sie im Kontext gebraucht ist, durch

einen vollständigen Satz, die so genannte Wortbildungsparaphrase.

3. Angabe und Analyse der unmittelbaren Konstituenten (UK), aus denen die Wortbildung

besteht

4. Nennung des Wortbildungsbauplans

5. Nennung der Wortbildungsbedeutung (so genanntes Inhaltsmuster)

Beispielanalysen

Text aus der Legende eines Gebäudeplans:

Seiteneingang und Ein-/Ausgang für Rollstuhlfahrer und Besucher mit Kinderwagen

a) Seiteneingang

1. Grundform: (der) Seiteneingang

2. Wortbildungsparaphrase: 'Ein Seiteneingang ist ein Eingang, der an der Seite (des

Gebäudes) liegt.'

3. Konstituentenanalyse: subst. BM Seite + subst. MK Eingang

4. Wortbildungsbauplan: Kompositum mit Fugenelement -n-

5. Inhaltsmuster: Determinativ (die erste Konstituente bestimmt die zweite näher: ein

Seiteneingang ist eine bestimmte Art von Eingang)

b) Besucher

1. Grundform: (der) Besucher

2. Wortbildungsparaphrase: 'Ein Besucher ist eine Person, die jemanden oder etwas

besucht.'

3. Konstituentenanalyse: verb. MK Besuch + WM -er

4. Wortbildungsbauplan: Suffixableitung

5. Inhaltsmuster: Personenbezeichnung/Nomen agentis (Inhaltsmuster müssen im

Grundstudium nur bei Komposita angegeben werden!)

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Tipps zur Grundform:

Auf die Wortart der Grundform achten und mit den Wortarten der unmittelbaren

Konstituenten vergleichen:

Bei Komposita und expliziten Ableitungen wird die Wortart durch die zweite

Konstituente bestimmt. Bei Konversionen ändert sich die Wortart.

Maskuline Konversionen lassen sich durch den Endungswechsel beim Nominativ Singular

erkennen: der Weise (aus dem Morgenland) - ein Weiser (aus dem Morgenland)

Tipps zur Paraphrase:

Durch einen vollständigen Satz vermeidet man Fehler.

Immer auf die Bedeutung der zu analysierenden Wortbildung im Text achten! (Beispiel

Bergwanderung: Wir machen im Urlaub eine Bergwanderung. – Rheinisches Dorf von

Bergwanderung bedroht.)

Anhand der Paraphrase soll die Wortart der Wortbildung erkennbar sein! Deshalb ist die

Paraphrase ‚Taubstumm ist eine Person, die taub und stumm ist.’ falsch, da taubstumm

keine Personenbezeichnung ist. (Anders als ‚Ein Besucher ist eine Person, die jemanden

oder etwas besucht.’).

Adjektive als Relativsatz zum Bezugswort paraphrasieren: ‚Eine taubstumme Person ist

eine Person, die taub und stumm ist.’ oder 'Ein brennbarer Stoff ist ein Stoff, der brennen

kann.'

Ist eine unmittelbare Konstituente der Wortbildung ein Lexem, muss das Lexem in einer

geeigneten Flexionsform in der Paraphrase stehen. Zum Beispiel steht das verbale BM

brenn- als UK von brennbar in obiger Paraphrase im Infinitiv.

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Tipps zur Konstituentenanalyse:

In der Regel besteht eine Wortbildung aus genau zwei Konstituenten (bis auf

Konversionen und kombinierte Präfix-Suffix-Ableitungen). Wenn man drei hat, sollte

man sich immer vergewissern, dass es wirklich drei sein müssen.

Darauf achten, dass die angegebenen Lexeme mit denen in der Paraphrase

übereinstimmen. Konstituenten und Paraphrase müssen zusammenpassen!

Eine Wortgruppe zählt als eine unmittelbare Konstituente.

Eine Wortgruppe ist eine Gruppe von Wörtern, die zusammengehören wie Adjektiv +

Substantiv (zwei Euro in Zweieuromünze) oder Substantiv + Verb (Rollstuhl fahr(en) in

Rollstuhlfahrer) u.a. In der Paraphrase sind Wortgruppen daran zu erkennen, dass man sie

auseinander schreibt.

Tipps zum Wortbildungsbauplan:

Der Wortbildungsbauplan ist aus der Konstituentenanalyse ablesbar (vgl. Blatt zur

Wortbildungsterminologie):

– Lexem1 + Lexem = Kompositum

– WM + Lexem = Präfixableitung

– Lexem + WM = Suffixableitung

– WM + Lexem + WM = kombinierte Präfix-Suffix-Ableitung

– Lexem mit Stammvokalwechsel = implizite Ableitung

– Wortartenwechsel eines Lexems ohne Suffix oder Stammvokalwechsel = Konversion

(bei der Konversion müssen noch weitere Unterarten wie z.B. Infinitivkonversion etc

unterschieden werden)

1 Lexem steht für ein Basismorphem oder einen Morphemkomplex.

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Tipps zum Inhaltsmuster:

Das Inhaltsmuster gibt die semantische Charakterisierung der Wortbildung wider, es ist

aus der Paraphrase ablesbar. Für viele Inhaltsmuster existieren bestimmte Bezeichnungen,

für andere nicht.

Für das Sprachwissenschaftliche Seminar I müssen nur die Inhaltsmuster von Komposita

erkannt werden:

Ein Determinativkompositum erkennt man daran, dass die erste Konstituente die

zweite näher bestimmt. Ein Kinderwagen ist ein Wagen, in dem man ein Kind

herumfährt. D.h. ein Kinderwagen ist eine spezielle Art von Wagen.

Ein Possessivkompositum erkennt man daran, dass es meist ein (nicht ausdrücklich

genanntes) Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze) anhand einer charakteristischen

Eigenschaft eines Körperteiles, Kleidungsstückes etc. bezeichnet: Ein Blondschopf ist

ein Mensch, der einen blonden Schopf hat.

(Beachte: In der Musterparaphrase stehen beide unmittelbare Konstituenten im

Relativsatz – anders als bei Paraphrasen zu Determinativkomposita)

Ein Kopulativkompositum erkennt man daran, dass beide Konstituenten durch ein und

gleichwertig miteinander verbunden sind: Ein taubstummer Mensch ist ein Mensch,

der taub und stumm ist.

Abgesehen vom üblichen Gebrauch könnte die Reihenfolge der Konstituenten ohne

Veränderung der Wortbildungsbedeutung auch vertauscht werden: stummtaub. Bei

Determinativ- oder Possessivkomposita geht das nicht: *Wagenkind und *schopfblond

Eine knappe Auswahl weiterer Inhaltsmuster finden Sie auf dem Blatt „Bezeichnungen für

Inhaltsmuster“, das im Semesterplan unter den auszudruckenden Materialien steht.

Verwendete Abkürzungen:

UK unmittelbare Konstituente

BM Basismorphem

WM Wortbildungsmorphem

MK Morphemkomplex