Tödliche Toxine: Welche Chancen gibt es?

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 20 / 2012 (154. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE 26 Clostridien-Infektionen Tödliche Toxine: Welche Chancen gibt es? Ob Tetanus, Gasbrand oder Botulismus: Bei allen Clostridieninfektionen sind Neuro- bzw. Gewebetoxine für die Pathogenese entscheidend. Diese werden nach Kontamination mit umweltresistenten Sporen entweder im Körper direkt gebildet oder ihm mit Nahrungsmitteln zugeführt. Alle drei Erkrankungen weisen auch bei adäquater Therapie eine hohe Letalität auf und bedürfen einer Intensivtherapie. _ Damit die Sporen auskeimen und To- xine freisetzen können, muss ein an- aerobes Milieu vorherrschen. Deshalb sind kontaminierte Riss- und Quetsch- wunden eher anfällig für die Entwick- lung von Tetanus oder Gasbrand als glatte Schnittwunden. Auch Fremd- körper oder Verschmutzungen sowie Durchblutungs- oder Stoffwechselstö- rungen begünstigen ein anaerobes Mi- lieu. Bei kontaminierten Lebensmitteln werden anaerobe Bedingungen vor allem durch Ölmarinierung oder Abfül- lung in Konserven geschaffen. Das Toxin aus der Konserve Botulinumtoxine entstehen in der Regel bereits im Lebensmittel und werden durch den Darm resorbiert, wie Dr. Peter Schäfer, vom MVZ Labor Lud- wigsburg ausführte. Es gibt aber Son- derformen, bei denen die Sporen erst im Darm auskeimen, z. B. der Säuglingsbo- tulismus durch Honig oder der Wund- Clostridium tetani: Prävention ist alles. ©Novartis Behring botulismus durch Sporenkontaminati- on, z. B. bei Drogenabhängigen. Etwa 12 Stunden nach der Resorpti- on der Toxine treten Übelkeit und Er- brechen auf. Botulinumtoxin ist eines der stärksten Neurotoxine überhaupt. Es hemmt die Acetylcholinfreisetzung an motorischen Endplatten. Zunächst ent- wickeln die Patienten Hirnnervensym- ptome mit unscharfem Sehen, Doppel- bildern und Schluckstörungen. Danach entwickeln sich absteigende schlaffe Pa- resen und Atemlähmung. Die Therapie des Botulismus besteht in der sofortigen Gabe von Antitoxin bei klinischem Ver- dacht. Toxinbildung in kontaminierten Wunden Tetanustoxin bildet sich in einer mit Sporen kontaminierten Wunde, wird re- trograd durch neuronale Axone trans- portiert und blockiert hemmende Inter- neurone. Dies führt nach einer Latenz von maximal mehreren Wochen zu spastischen Lähmungen. Im weiteren Verlauf entwickeln sich tonisch-klo- nische Krämpfe und Ateminsuffizienz. Eine infizierte Wunde muss sorgfältig ausgeschnitten werden, der Patient be- kommt Tetanus-Immunglobulin, um die noch nicht an Nervengewebe gebun- denen Toxine zu eliminieren, sowie Anti- biotika (Metronidazol) gegen die Erreger. Gasbranderreger aus dem Darm Gasbrandbakterien gehören zur norma- len Darmflora. Eine Infektion tritt meist posttraumatisch oder postoperativ durch Wundkontamination auf. Der häufigste Erreger ist Clostridium per- fringens. Besonders tückisch ist die spontane endogene Infektion aus dem Darmreservoir, meist durch C. septi- cum. Diese nicht traumatische Form wird vor allem bei Patienten mit Durch- blutungs- oder Stoffwechselstörungen, bei Tumorpatienten oder Alhoholab- hängigen beobachtet. Das pathogenetisch relevante Alpha- toxin führt zu massiven Gewebsnekro- sen mit Gasbildung und geringer ent- zündlicher Reaktion. Es kann zu intra- vasaler Hämolyse und zum Kreislauf- schock kommen. Die wundassoziierte Form der Gasbrandinfektion zeigt ge- wöhnlich eine Progredienz von der In- fektion der Wunde über Zellulitis und Fasciitis bis hin zum ausgewachsenen Gasbrand. Die spontane Form verläuft dagegen fulminant. Oft ist der Patient schon nach wenigen Stunden hoff- nungslos verloren. Behandelt wird der Gasbrand mit ei- ner Kombination aus einem Betalactam oder Metronidazol mit Clindamycin, welches die Proteinsynthese der Keime und damit die Toxinbildung hemmt. Bei wundassoziiertem Gasbrand ist eine ra- dikale chirurgische Intervention erfor- derlich. DR. MED. ANGELIKA BISCHOFF Kongress „Medizin 2012“, Stuttgart Glücklich, wer geimpft ist Die beste Waffe gegen Tetanus ist immer noch die Grundimmunisie- rung. Bei jeder Verletzung muss der Impfschutz geprüft werden. Ist die Grundimmunisierung noch nicht vollständig erfolgt, kann man sich bei einer geringfügig verschmutzten Wunde auf die aktive Impfung be- schränken. Bei stärker verschmutzten Wunden oder bei Quetschungen empiehlt es sich, zusätzlich passiv zu immunisieren, wenn weniger als zwei Impfungen durchgeführt wurden. Tetanus

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 20 / 2012 (154. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–KONGRESSBERICHTE

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Clostridien-Infektionen

Tödliche Toxine: Welche Chancen gibt es?Ob Tetanus, Gasbrand oder Botulismus: Bei allen Clostridieninfektionen sind Neuro- bzw. Gewebetoxine für die Pathogenese entscheidend. Diese werden nach Kontamination mit umweltresistenten Sporen entweder im Körper direkt gebildet oder ihm mit Nahrungsmitteln zugeführt. Alle drei Erkrankungen weisen auch bei adäquater Therapie eine hohe Letalität auf und bedürfen einer Intensivtherapie.

_ Damit die Sporen auskeimen und To­xine freisetzen können, muss ein an­aerobes Milieu vorherrschen. Deshalb sind kontaminierte Riss­ und Quetsch­wunden eher anfällig für die Entwick­lung von Tetanus oder Gasbrand als glatte Schnittwunden. Auch Fremd­körper oder Verschmutzungen sowie Durchblutungs­ oder Stoffwechselstö­rungen begünstigen ein anaerobes Mi­lieu. Bei kontaminierten Lebensmitteln werden anaerobe Bedingungen vor allem durch Ölmarinierung oder Abfül­lung in Konserven geschaffen.

Das Toxin aus der KonserveBotulinumtoxine entstehen in der Regel bereits im Lebensmittel und werden durch den Darm resorbiert, wie Dr. Peter Schäfer, vom MVZ Labor Lud­wigsburg ausführte. Es gibt aber Son­derformen, bei denen die Sporen erst im Darm auskeimen, z. B. der Säuglingsbo­tulismus durch Honig oder der Wund­

Clostridium tetani: Prävention ist alles.

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botulismus durch Sporenkontaminati­on, z. B. bei Drogenabhängigen.

Etwa 12 Stunden nach der Resorpti­on der Toxine treten Übelkeit und Er­brechen auf. Botulinumtoxin ist eines der stärksten Neurotoxine überhaupt. Es hemmt die Acetylcholinfreisetzung an motorischen Endplatten. Zunächst ent­wickeln die Patienten Hirnnervensym­ptome mit unscharfem Sehen, Doppel­bildern und Schluckstörungen. Danach entwickeln sich absteigende schlaffe Pa­resen und Atemlähmung. Die Therapie des Botulismus besteht in der sofortigen Gabe von Antitoxin bei klinischem Ver­dacht.

Toxinbildung in kontaminierten WundenTetanustoxin bildet sich in einer mit Sporen kontaminierten Wunde, wird re­trograd durch neuronale Axone trans­portiert und blockiert hemmende Inter­neurone. Dies führt nach einer Latenz

von maximal mehreren Wochen zu spas tischen Lähmungen. Im weiteren Verlauf entwickeln sich tonisch­klo­nische Krämpfe und Ateminsuffizienz.

Eine infizierte Wunde muss sorgfältig ausgeschnitten werden, der Patient be­kommt Tetanus­Immunglobulin, um die noch nicht an Nervengewebe gebun­denen Toxine zu eliminieren, sowie Anti­biotika (Metronidazol) gegen die Erreger.

Gasbranderreger aus dem Darm Gasbrandbakterien gehören zur norma­len Darmflora. Eine Infektion tritt meist posttraumatisch oder postoperativ durch Wundkontamination auf. Der häufigste Erreger ist Clostridium per­fringens. Besonders tückisch ist die spontane endogene Infektion aus dem Darmreservoir, meist durch C. septi­cum. Diese nicht traumatische Form wird vor allem bei Patienten mit Durch­blutungs­ oder Stoffwechselstörungen, bei Tumorpatienten oder Alhoholab­hängigen beobachtet.

Das pathogenetisch relevante Alpha­toxin führt zu massiven Gewebsnekro­sen mit Gasbildung und geringer ent­zündlicher Reaktion. Es kann zu intra­vasaler Hämolyse und zum Kreislauf­schock kommen. Die wundassoziierte Form der Gasbrandinfektion zeigt ge­wöhnlich eine Progredienz von der In­fektion der Wunde über Zellulitis und Fasciitis bis hin zum ausgewachsenen Gasbrand. Die spontane Form verläuft dagegen fulminant. Oft ist der Patient schon nach wenigen Stunden hoff­nungslos verloren.

Behandelt wird der Gasbrand mit ei­ner Kombination aus einem Betalactam oder Metronidazol mit Clindamycin, welches die Proteinsynthese der Keime und damit die Toxinbildung hemmt. Bei wundassoziiertem Gasbrand ist eine ra­dikale chirurgische Intervention erfor­derlich. Dr. meD. AngelikA Bischoff ■

■ Kongress „Medizin 2012“, Stuttgart

Glücklich, wer geimpft istDie beste Waffe gegen Tetanus ist immer noch die Grundimmunisie-rung. Bei jeder Verletzung muss der Impfschutz geprüft werden. Ist die Grundimmunisierung noch nicht vollständig erfolgt, kann man sich bei einer geringfügig verschmutzten Wunde auf die aktive Impfung be-schränken. Bei stärker verschmutzten Wunden oder bei Quetschungen empiehlt es sich, zusätzlich passiv zu immunisieren, wenn weniger als zwei Impfungen durchgeführt wurden.

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