TOUR D'EUROPE

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TOUR D‘EUROPE 57 Ein europäisches Tagebuch von Hannes Swoboda Dezember 2013

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Ein europäisches Tagebuch von Hannes Swoboda

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Hannes bloggt

TOUR D‘EUROPE 57Ein europäisches Tagebuch von Hannes Swoboda

Dezember 2013

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ImpressumHerausgeber: MEP Hannes SwobodaEU-Delegation der SPÖDr. Karl-Renner-Ring 31017 Wien, ParlamentTel: 01/40110/[email protected] und Redaktion: Sandra Breiteneder

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ImpressumHerausgeber: MEP Hannes SwobodaEU-Delegation der SPÖDr. Karl-Renner-Ring 31017 Wien, ParlamentTel: 01/40110/[email protected] und Redaktion: Sandra Breiteneder

Seitdem ich 1996 als einer der ersten österreichischen Abgeordneten ins Europäische Parlament eingezogen bin, versuche ich mit der Tour D’Europe über meine alltägliche Arbeit als EU-Parlamentarier zu berichten und diese somit transparent zu machen. In dieser Ausgabe sollen einerseits die Ergebnisse des ersten Jahres der Veranstaltungsreihe „Relaunching Europe - Neustart für Europa“ dargestellt werden. Andererseits nehme ich als Vorsitzender der S&D Fraktion auch viele Termine in und außerhalb Europas wahr. Zum Beispiel besuchte ich im Jahr 2013 Washington und New York um Vorgespräche bezüglich des Freihan-delsabkommens zwischen den USA und der EU zu führen. Ebenso besuchte ich im Sommer die beiden afrikanischen Staaten Ghana und Tansania. Vor Ort traf ich PolitikerIn-nen und informierte mich über die wirtschaftliche und politische Lage in den beiden Ländern. Im Oktober trat ich eine oft geplante, aber immer wieder verschobene Rei-se an: gemeinsam mit zwei KollegInnen der S&D Frakti-on traf ich im Iran auf Mitglieder der neuen Regierung. Dieser Besuch wurde in den Medien kontrovers reziepiert,

Neues aus dem Europäischen Parlament

meiner Meinung nach ist es aber wichtig, im Gespräch mit dem Iran zu bleiben, gerade um Themenbereiche wie das Atomprogramm und drängende Menschenrechtsfragen diskutieren zu können. Auch für die Opposition sind Be-suche von westlichen PolitikerInnen im Land zentral, weil somit auch Möglichkeiten der Kontaktaufnahme gegeben werden. Eine weitere Reise führte mich nach China, wo ich in Shanghai und Peking PolitikerInnen, Studierende und UnternehmerInnen traf. Über diese und weitere Akti-vitäten berichte ich ausführlich in meinen Blogeinträgen, die unter „Hannes bloggt“ hier abgedruckt sind. Als Ab-schluss finden sich am Ende des Heftes meine Reden im Europäischen Parlament, diesmal mit meinem Beitrag zu Kommissionspräsident Barrosos jährlicher „State of the Union“ Rede.

Viel Spaß beim Lesen, erholsame Feiertage und ein frohes neues Jahr.

Ihr Hannes Swoboda

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Neustart für Europa

Die Sozialdemokraten/-innen im Europäischen Parlament sind fest davon überzeugt, dass es Zeit für einen Rich-tungswechsel ist. Die Europäische Union ist die bemer-kenswerteste Errungenschaft des vergangenen Jahrhun-derts. Sie hat eine beispiellose Periode des Friedens, der Demokratie, der Zusammenarbeit und des Wohlstands in Europa gebracht. Doch jetzt ist Europa in Gefahr. Eu-roskepsis, Nationalismus und Populismus nehmen zu. Zu viele Menschen sehen Europa heute als Synonym für Verschwendung öffentlicher Gelder und für blinde Spar-maßnahmen, die von Technokraten auferlegt werden. Die Krise hat auch zu einer gefährlichen Spaltung zwischen reicheren und ärmeren Ländern und Regionen geführt. Als Reaktion darauf erliegen die Menschen zu oft den Verführungen destruktiver, nationalistischer und antieu-ropäischer Botschaften. Es ist aber unfair, die Schuld an der Krise einfach Europa zuzuschieben. Sowohl auf EU, als auch auf nationaler Ebene, hat die konservative Rechte unsere Vorstöße zur Regulierung der Finanzmärkte blo-ckiert und versucht, den Binnenmarkt zum ausschließ-lichen Zweck Europas zu machen. So hat sie die soziale Gerechtigkeit und die Solidarität untergraben. Die kon-servative Antwort auf die Krise besteht darin, Kürzungen bei den Dienstleistungen vorzunehmen, Investitionen zurückzufahren und die normalen Bürger für das Chaos, das gierige Banker angerichtet haben, zur Kasse zu bitten. Sie treiben unsere Wirtschaft in einen Teufelskreis der Rezession und benutzen die Krise als Vorwand, um unser Sozialsystem weiter abzubauen. Das ist aber falsch und

es funktioniert nicht. Das Experiment der Sparpolitik ist jetzt in mehreren Ländern gescheitert. Es gibt eine Alter-native. Die Sozialdemokraten/-innen haben Pläne für ei-nen sichereren und schnelleren Weg aus der Krise. Unser Weg wird das Wachstum wiederherstellen, Arbeitsplätze schaffen und unsere Wirtschaft hin zu einer gerechteren Gesellschaft umgestalten. Wir haben ehrgeizige Pläne für Investitionen in Beschäftigung und Innovation, für effek-tive Gesetze zur Kontrolle der Märkte und für Solidarität. Es ist wichtig, dass die Bürger menschenwürdig leben und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken können. Die europäi-sche Politik muss sich von ihrer engen marktbeherrschen-den Ausrichtung abwenden, um die europäische Gesell-schaft und die Anliegen der Bürger widerzuspiegeln. Wir brauchen eine andere Gewichtung zwischen wirtschaft-lichen, sozialen und ökologischen Belangen, eine neue tragfähige Balance zwischen den Marktkräften und intelli-genter Regulierung. Das ist der einzige, gerechte Ausweg aus der Krise und die einzige Möglichkeit, damit eine so großartige Idee wie Europa in der Zukunft überleben und sich weiterentwickeln kann. Wir glauben, dass die Lösung nicht weniger Europa, sondern ein bürgernäheres, bes-seres Europa ist. Wir brauchen Ihre Hilfe, um diese Idee weiterzuentwickeln. Wir wollen von Ihnen allen lernen, von Ihrer Lebenserfahrung und Ihren Erwartungen an ein besseres Leben.

Wir brauchen Sie, um Europa wiederzubeleben – für ei-nen europäischen Neustart.

Wir brauchen einen Neustart

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Neustart für Europa

Erstmals in der jüngeren Geschichte können Jugendliche nicht einem besseren Leben als ihre Eltern entgegense-hen. Arbeitslosigkeit und unsichere Beschäftigungsver-hältnisse nehmen dramatisch zu, vor allem unter den Jugendlichen. In einigen Ländern liegt die Jugendarbeits-losigkeit bei über 50%. Menschenwürdige Arbeit und Voll-beschäftigung müssen Europas oberste Priorität sein. Für die Sozialdemokraten/-innen ist es offensichtlich, dass Gerechtigkeit für Arbeitnehmer/-innen Hand in Hand mit einer stärkeren Wirtschaft einhergeht. Während die Konservativen überzeugt sind, dass ein fairer Schutz der Arbeitnehmer/-innen und die Regulierung des Arbeits-marktes den Proten und dem Wirtschaftswachstum scha-det, glauben wir, dass eine vernünftige Gesetzgebung helfen kann, eine stärker auf Integration gerichtete Ge-sellschaft zu schaffen, die wirtschaftliche Unsicherheit zu verringern und die Kluft zwischen Armen und Reichen zu reduzieren.

Ein europäischer Wachstums- und BeschäftigungspaktWir schlagen ein europaweites Abkommen für Wachstum und Beschäftigung vor, um in jedem Land koordinierte Maßnahmen zur Förderung von Beschäftigung und In-vestitionen vorzunehmen. Europa hat für viele zahlreiche

Wirtschaftsgebiete verbindliche Zielvorgaben, jedoch im-mer noch nicht für das Beschäftigungsniveau. Jobs lassen sich nicht herbeizaubern, aber Investitionen und Anreize können ein günstiges und sozial gerechtes Umfeld dafür schaffen.

Eine europäische JugendgarantieWir wollen eine europäische Jugendgarantie, die jungen Menschen, die nach mehreren Monaten weiterhin ar-beitslos sind, einen Arbeitsplatz oder eine Aus- oder Wei-terbildung verspricht. Mehr über diese Kampagne können Sie hier lesen: www.youth-guarantee.eu

Wir können auch Schulabgänger mit freiwilligen Praktika besser unterstützen. Öffentliche Mittel für hochwertige Praktika sind eine wertvolle Investition in die Zukunft.

Die Macht nachhaltiger TechnologienDie Sozialdemokraten/-innen sind überzeugt, dass nach-haltige Technologien Arbeitsplätze und Chancen für Eu-ropa bedeuten. Wir fordern, dass bis 2020 zehn Millionen neue grüne Jobs geschaffen werden, die auf erneuerba-ren Energien, nachhaltigem Verkehr, Umschulungen und Forschung und Entwicklung beruhen.

Europa braucht Arbeit

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Neustart für Europa

Relaunching EuropeDie Veranstaltungsreihe

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Neustart für Europa

‘Ein europäischer Neustart – unsere alternative Visi-on für die Zukunft‘ ist eine Initiative der Fraktion der Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parla-ment. In einer Reihe von Veranstaltungen innerhalb der Europäischen Union werden führende Politiker/-innen mit Bürger/- innen, Wissenschaftler/-innen und Vertretern/-innen kultureller und sozialer Organisatio-nen zusammenkommen, um über die Zukunft zu disku-tieren, die wir für Europa wollen. In Debatten, die über die täglichen Belange Europas hinausgehen, möchten wir eine inspirierende, alternative Vision für die Zukunft Europas und seiner Bürger/-innen entwickeln. Jede Ver-anstaltung hat ein bestimmtes Schwerpunktthema, um diejenigen Themen zu diskutieren, die wichtig sind und so Schritt für Schritt, Debatte um Debatte, unsere alter-native Vision für die Zukunft zu entwickeln.

Relaunching EuropeDie Veranstaltungsreihe

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Neustart für Europa

Die S&D Fraktion hat hart darum gekämpft, die europäi-sche Demokratie zu stärken und die Werte der Menschen-würde, der Solidarität und der Sicherheit in ganz Europa zu verteidigen und zu fördern.

EIN DEMOKRATISCHERES EUROPADie S&D Fraktion war führend beim Veto des Europäi-schen Parlaments gegen das SWIFT-Abkommen zwischen der EU und den USA zur Weitergabe von Bankdaten, das die Daten und die bürgerlichen Freiheiten unserer Bürger/-innen nicht schützen konnte. Unser Vorgehen hat zu einem neuen Abkommen mit besseren demokrati-schen Garantien geführt.

Wir haben geholfen, die Europäische Bürgerinitiative ins Leben zu rufen – eine wichtige, neue Möglichkeit für die Bürger/-innen, direkt auf den demokratischen Prozess einzuwirken. Die Bürgerinitiative gibt den EU-Bürgern das Recht, die Agenda zu bestimmen – wenn sie eine Million Unterschriften sammeln, können sie die EU-Kommission auffordern, einen neuen Gesetzesvorschlag vorzulegen.

Zahlreiche Bürgerinitiativen haben unsere starke Unter-stützung.

VERTEIDIGUNG DER BÜRGERLICHEN FREIHEITENDie Sozialdemokraten/-innen haben eine zentrale Rolle bei der Ablehnung des umstrittenen Handelsabkommens zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA) eingenommen, das die bürgerlichen Freiheiten den kom-merziellen Interessen geopfert hätte. Der Missbrauch der geistigen Eigentumsrechte muss durch internationale Maßnahmen bekämpft werden, jedoch nicht auf Kosten der Freiheit der Bürger/-innen.

Das Schengen-Abkommen, das es den Bürgern ermög-licht, die Grenzen ungehindert zu überschreiten, ist eine der wichtigsten Errungenschaften Europas und wir kämp-fen seit langem für seine Verteidigung. Einige konservative Regierungen haben versucht, diese Freiheit einzuschrän-ken und ihre Grenzen zu renationalisieren. Wir werden uns aber dieser Bedrohung für eine unserer wichtigsten Freiheiten, nämlich der Personenfreizügigkeit, weiterhin widersetzen.

Ein Europa der Demokratie und der Grundrechte

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Neustart für Europa

Die Wirtschaftskrise hat von den Herausforderungen für die Umwelt und von der nachhaltigen Entwicklung abge-lenkt, auf europäischer Ebene aber auch auf globaler Ebe-ne herrscht jedoch akuter Handlungsbedarf. Die ökologi-sche Ausrichtung unserer Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern sie kann Europa aus der Krise helfen. Ein tragfähi-geres Wirtschaftsmodell wird enorme Gelegenheiten zur Schaffung von Beschäftigung und Wohlstand bieten. Es ist auch eine Frage der Solidarität, eine lebenswerte Umwelt für alle zu garantieren und die Entwicklungsländer zu un-terstützen, in denen die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels bereits spürbar sind. Es geht aber auch um Solidarität zwischen den Generationen, denn wir haben diesen Planeten von unseren Kindern geliehen und nicht von unseren Eltern geerbt.

Führend beim UmweltschutzDie S&D Fraktion ist die treibende Kraft hinter der Um-weltgesetzgebung im Europäischen Parlament, die den Bürgern/-innen im täglichen Leben nutzt: Energieeffizi-enz, Forschung und Innovation in saubere Technologien, nachhaltige Verkehrsnetze, Beschränkung gefährlicher Stoffe, Begrenzung der CO2 Emissionen von Kraftfahrzeu-

gen und vieles mehr.Wir glauben an die langfristigen Vorteile einer nachhal-tigen Entwicklung und eines gerechten Gleichgewichts zwischen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Belangen. Wir lehnen den konservativen Ansatz ab, Maß-nahmen für den Schutz der Umwelt kurzfristigen Unter-nehmensinteressen zu opfern.

Ökologisierung der europäischen Landwirtschaft und Fi-schereiLandwirtschaft und Fischerei sind für die Umwelt von enormer Bedeutung. Wir fordern eine radikale Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, um Folgendes zu fördern: nachhaltige, hochwertige Lebensmittel; langfristige Be-wirtschaftung der natürlichen Ressourcen; Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten. Wir brauchen nachhaltige Maßnah-men, damit die Fischbestände sich erholen können und die Überschung beendet wird. Rückwürfe müssen vermie-den und die Steuerung der Fischereipolitik muss regiona-lisiert werden. All das ist erforderlich, um eine gesunde Meeres- und Süßwasserumwelt zu erhalten.

Unseren Planeten retten: nachhalti-ge Entwicklung weltweit

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Neustart für Europa

Der Zugang zu Informationen und das Internet verändern unsere Welt. Als S&D Fraktion glauben wir, dass wir die-se Veränderung zum Vorteil der Bürger/-innen gestalten müssen. Die digitale Revolution bietet Chancen für Ar-beitsplätze und für die Industrie, aber auch für eine offe-ne, kreative und integrative Gesellschaft.

Freiheit und Vielfalt der MedienDer Zugang der Bürger zu Informationen hängt von der Frei-heit und Vielfalt der Medien ab. Die Sozialdemokraten/-innen haben die Vorreiterrolle im Kampf gegen jene rechten Regierungen übernommen, die versuchten, die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Wir wollen ein-heitliche europäische Standards und Maßnahmen für die Garantie der Medienfreiheit. Daneben ist es uns wichtig, dass die EU eingreift, wenn die Medienfreiheit und der Medienpluralismus in einem EU-Mitgliedsstaat bedroht sind.

Rechte und Freiheiten im InternetDas Internet muss ein Raum der Freiheit bleiben. Wir leh-nen jeden Versuch ab, diese Freiheit durch Maßnahmen wie etwa die Verpfichtung für Internetanbieter, Systeme zur Filterung elektronischer Kommunikation zu installie-ren. Urheberrechtsgesetze sollten konkurrierende Rechte

berücksichtigenund einen fairen Ausgleich zwischen den Rechten der Bür-ger und der Industrie, dem Zugang zur Information und zur Kultur und einer gerechten Entlohnung der Künstler gewährleisten. Wir verteidigen die Freiheiten der Inter-netnutzer aber wir unterstützen auch einen angemesse-nen Schutz des geistigen Eigentums und Maßnahmen zur Bekämpfung von Produktfälschungen. Urheberrechtsge-setze müssen auch auf rasch wechselnde Technologien anwendbar sein und neue Geschäftsmodelle unterstüt-zen.

Bildung für Innovation und Digitale IntegrationInformation – vor allem auf wissenschaftlichen und tech-nischen Gebieten – werden für unsere Entscheidungen als Arbeitnehmer/-innen , Wähler/-innen , Bürger/-innen, Investoren/-innen und Verbraucher/-innen immer wichti-ger. Die Demokratie selber ist abhängig vom Zugang der Bürger/-innen zu dieser Art von Wissen. In den meisten EU-Ländern gibt es noch immer eine digitale Kluft auf der Basis von Einkommen, Bildung, Geschlecht, Alter oder Re-gion. Hier sehen wir Verbesserungsbedarf und wir setzen uns für Verbesserungen bei der Teilhabe am Internet, bei den Online-Rechten und der sozialen Integration ein.

Die digitale Revolution: Medienfreiheit und Onlinerechte

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Neustart für Europa

In Europa gibt es immer mehr Extremismus und Frem-denhass. Leider akzeptieren viele etablierte konservative Gruppen auch rechtsextreme Ideen, besonders Angriffe auf die Roma. Die Sozialdemokraten/-innen stehen für ein Europa der Toleranz, der Solidarität und der Integra-tion. Ein Europa geeint in seiner Vielfalt und wir sind stolz darauf, die Europäische Charta der Grundrechte zu vertei-digen. Wir wollen, dass die Europäische Kommission ihre Befugnisse nutzt, um die bürgerlichen Freiheiten und die Demokratie zu schützen und entschlossen gegen jene vor-zugehen, die diese Werte missachten. Wir fordern einen weitreichenden, europäischen Ansatz, um alle Formen der Diskriminierung zu beseitigen, ob auf Grundlage der ethnischen Herkunft, der Religion, des Glaubens, des Al-ters, des Geschlechts, einer Behinderung oder der sexuel-len Ausrichtung.

Europa PlusWir haben die Initiative EuropaPlus ins Leben gerufen, da für uns Bürger/-innen Europas, unabhängig von ih-rer Herkunft oder der ihrer Eltern, ein wesentlicher Be-standteil unserer Gesellschaft sind. Es ist entscheidend, Migranten/-innen und ihren Kindern durch vollständiger Beteiligung an der Gesellschaft, sowie einer EU-Bürger-schaft, die Chance zu geben, vollwertige Mitglieder der europäischen Gesellschaft zu sein. Wir möchten, dass alle Bürger/-innen in der EU mehrere Identitäten haben kön-nen: regional, national und europäisch.

Immigration, Asyl und Integration Wir wollen eine tragfähige Asylpolitik begünstigen, die auf den Menschenrechten und den Grundfreiheiten beruht. Wir betrachten die legale Einwanderung und die Integra-tion als positiv, setzen uns aber auch für die Bekämpfung der Probleme ein, die die Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen und auszuwandern oder Asyl zu suchen.

Soziale LösungenWir lehnen Rassismus und Intoleranz ab und stehen für positive und konkrete Antworten auf die zugrundeliegen-den sozialen Probleme, die in einigen Schichten unserer Gesellschaft Verzweiflung und Radikalisierung erzeugen.

Nationalismus und EuroskepsisFremdenfeindlichkeit bietet keine Lösung für Rezession und Arbeitslosigkeit. Wir können unsere gegenseitige Abhängigkeit nicht ignorieren, und durch gemeinsame Lösungen und Einigkeit können wir mehr Einfluss auf der Weltbühne haben.

Stärkung des ZusammenhaltsEuropa muss einen sozialen Zusammenhalt und gegen-seitiges Vertrauen zwischen den verschiedenen gesell-schaftlichen Gruppen schaffen. Es gibt funktionierende Programme, die als großartige Vorbilder dienen können. Indem wir von örtlichen Aktivisten, nichtstaatlichen Or-ganisationen, der Geschäftswelt und Gewerkschaften ler-nen, können wir vorbildliche Praktiken für Integration und Zusammenhalt fördern.

Ein offenes und inklusives Europa

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In MexikoÜber den Atlantik18.Juli, Mexico City

Die erste Station meiner transatlantischen Reise war Me-xico City. Anlässlich meiner Reise nach Peru und Kolumbi-en letzten Dezember, unmittelbar nach der Zustimmung des EU-Parlaments zu den entsprechenden Handelsab-kommen, wurde ich auf Mexiko als einen der pazifischen Partner dieser Länder aufmerksam gemacht. Und gemein-sam mit den USA und anderen Ländern ist Mexiko sehr an einer pazifischen Strategie interessiert.Anderseits ist Mexiko ein “strategischer Partner” der EU mit einem vor längerer Zeit abgeschlossenen “Globalab-kommen” inklusive einem Handelsabkommen. Mexiko ist eines der Länder, das in vielen Fragen mit der EU über-einstimmt, so auch in Umweltfragen. Generell ist es sehr an multilateralen Lösungen interessiert – so wie Europa – und stimmt in vielen internationalen Gremien so wie die VertreterInnen der EU.

Das wollte ich auch durch meinen Besuch beim mexika-nischen Parlament und bei meinen Gesprächen mit Ver-tretern der Regierung unterstreichen. In der Tat hatte ich sehr aufschlussreiche Gespräche und stieß auch auf ein großes Interesse der Medien.

Als europäische Sozialdemokraten haben wir dabei zwei unmittelbare politische Ansprechpartner. Einerseits han-delt es sich um die Regierungspartei PRI, die sich in der Mitte des politischen Spektrums befindet. Anderseits ha-ben wir Beziehungen zur PRD, die eine Linke Partei dar-stellt und sich in Opposition befindet. Allerdings hat es der neue Präsident Neto verstanden, sowohl die Linke PRD als

auch die bürgerliche PAN zu einem Pakt für Mexiko einzu-laden, um einige größere Reformen durchzuführen.

Wenn die richtige Balance zwischen ökonomischen Not-wendigkeiten und sozialen Bedürfnissen gefunden wer-den kann, dann kann dieser “pacto por Mexico” ein Er-folgsmodell darstellen, das zur Nachahmung empfohlen werden kann. Vor allem die Öffnung des Energiemarktes im Zusammenhang mit dem mexikanischen Flaggschiff PEMEX ist eine heikle aber wichtige Reform. Denn Mexiko braucht neues Kapital und neue Fördertechnologien zur Ausschöpfung der umfangreichen Reserven.

Bleibt allerdings noch das unermessliche Problem der Gewalt zu lösen. Vor allem im Gespräch mit dem neuen Innenminister waren wir sehr angenehm angetan vom Be-kenntnis zum Respekt der Menschenrechte. Und auch die Menschenrechtsaktivisten, die wir getroffen haben, wa-ren gedämpft optimistisch. Allerdings machten sie noch viele offene Fragen als ungelöst aus. Und glücklicherweise ist gerade wenige Tage nach unserem Besuch ein großer und besonders brutaler “Fisch” ins Netz der Sicherheits-kräfte gegangen. Und so bleibt zu hoffen, dass die neue Linie einer die Menschenrechte akzeptierenden Kriminali-tätsbekämpfung langsam Schritt fasst.

Jedenfalls ist Mexiko mit seinen 100 Millionen Einwoh-nern und einem entsprechenden Wirtschaftswachstum ein immer wichtigeres Land. Und so sollten wir auf allen Ebenen unsere Zusammenarbeit ausbauen. Und Mexiko wünscht sich Europa auch als ein Gegenwicht zu den USA.

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Hannes bloggt

In den USAHandel und Investitionsabkom-men EU-USA19.Juli, Washington D.C.

In Washington war in diesen Wochen viel vom angestreb-ten Handels- und Investitionsabkommen zwischen Europa und den USA die Rede. Kommissare und EU-Parlamenta-rier waren hier, um mit Vertretern der Regierung und des Kongresses zu sprechen. Es gibt viel Enthusiasmus und Hoffnungen auf einen raschen Abschluss eines solchen Abkommens.Sowohl im Gespräch mit der mir gut bekannten stellver-tretenden Handelskommissarin Miriam Shapiro als auch bei einem Referat vor dem Transatlantic Policy Network (TPN) goss ich ein wenig Wasser in den Wein der Begeiste-rung. Allerdings teile ich die Hoffnung auf ein Abkommen, das sowohl Europa als auch den USA mehr Wachstum und Beschäftigung geben könnte. Und alle bekannten Studien belegen diesen Wachstums- und Wohlfahrtseffekt. Aller-dings ist ziemlich deutlich, dass die Vorteile nicht gleich-mäßig verteilt sind. Klar dürfte sein, dass die USA mehr Vorteile aus einem solchen Abkommen ziehen als Europa. Aber auch Europa würde Vorteile aus einem bilateralen Abkommen ziehen. Wenn ich in diesem Zusammenhang von der EU spreche, ist das allerdings ungenau, da auch innerhalb der EU die einzelnen Länder unterschiedlich profitieren. So steht Großbritannien an der Spitze der “Profiteure” und Frankreich eher am unteren Ende.All diese Faktoren sind zu berücksichtigen, wenn wir die BürgerInnen von der Wichtigkeit des Abkommens zwi-schen den USA und Europa überzeugen wollen. Und das setzt volle Informationen über den Fortgang der Verhand-lungen voraus. Je mehr die VerhandlerInnen verheimli-

chen wollen, desto mehr werden die BürgerInnen - und mit ihnen die EU-ParlamentarierInnen - misstrauisch.

Und wenn wir schon über Misstrauen reden, müssen wir natürlich die jüngsten Spionageaktivitäten der Amerika-ner erwähnen. Für uns Europäer ist der Schutz unserer Daten wichtig und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Wir müssen parallel zum Abkommen über Handel auch eine Regelung mit den USA treffen, bei der auch sie unseren Datenschutz respektieren.

Dazu bedarf es einer verbesserten Datenschutzregelung in Europa selbst, die derzeit im EU-Parlament in Verhand-lung ist. Und wir sollten mit den USA ein Abkommen über den gegenseitigen Schutz von Daten haben, denn der Da-tentransfer, die Datenübertragung kennt keine Grenzen.

Aber wir müssen auch die Auswirkungen auf unsere ande-ren Handels- und politischen Partner haben. So hat gerade meine Reise nach Mexiko vor wenigen Tagen gezeigt, wie wichtig es ist, unseren strategischen Partner Mexiko nicht vor den Kopf zu stoßen. Mexiko ist ein Land, das in vielen Fällen mit Europa stimmt, so auch in Bezug auf globalen Umweltschutz. Wir haben also allen Grund, auch mit Me-xiko das bestehende Globalabkommen zu erneuern und zu verbessern. Und so sollten diese Verhandlungen par-allel zu den Verhandlungen mit den USA stattfinden, um die beiden Abkommen dann miteinander verträglich zu machen.

Wir brauchen also Enthusiasmus, aber auch Realismus und eine Strategie, die sich nicht nur auf die USA bezieht, um die europäischen Interessen gut zu vertreten.

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Transatlantischer Dialog der progressiven Kräfte20. Juli, Washington D.C.

Es ist nicht leicht, über den Atlantik hinweg ein Bündnis der progressiven Kräfte zu schmieden. Die meisten US-Parlamentarier sind auf ihr Land und auf ihren Wahlkreis orientiert. Und viel ihrer Zeit müssen sie für Fundraising für den nächsten Wahlkampf aufbringen. Dennoch ver-wendete ich meinen letzten Washington-Aufenthalt auch zu verstärkten Kontakten mit der Demokratischen Partei bzw. einem entsprechenden Think Tank dem “Center for American Progress”!

Auch zwischen den Wahlen zum Präsidenten spielen die Parteien eine Rolle. Sie haben eine andere Bedeutung als in Europa, sind aber fürs Fundraising nicht unbedeutend.

Auch bei der großen Enttäuschung über Obama hierzu-lande ist vor allem die Blockade durch die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus für die mangelnden Erfolge der Regierung verantwortlich. Denn immer wie-der versuchen sie den großen Erfolg der ersten Periode, die Gesundheitsreform zu untergraben. Im Verhältnis zu den – noch(!) weitgehend vorhandenen öffentlichen Ge-sundheitssystemen in Europa – ist “Obamacare” schwach ausgebildet und von den Lobbies der Pharmaindustrie durchlöchert worden. Aber immerhin stellt es einen gro-ßen Fortschritt dar.

Die große Reform der zweiten Regierungsperiode sollte dann die Reform der Einwanderungsgesetze sein. Diese sieht die Legalisierung der schon im Lande befindlichen

illegalen Einwanderer vor, allerdings auch strengere Be-dingungen der zukünftigen Zuwanderung und auch eine Verdoppelung der Grenzkontrollen im Süden. Dabei ist die mexikanische Zuwanderung nicht mehr das Problem, sondern die Zuwanderung aus den noch ärmeren Ländern von Zentralamerika über Mexiko. Im Senat gab es dazu eine Einigung, aber im Repräsentantenhaus stehen noch schwierige Beratungen bevor. Vieles andere, wie die Ein-schränkung des Schusswaffengebrauchs, wird allerdings kaum durchsetzbar sein.

Obama hat Erfolge in der Wirtschaftspolitik zu verzeich-nen. Er hat sich nicht von der ideologisch gefärbten extre-men Austeritätspolitik Europas anstecken lassen. US-No-tenbankpräsident Bernanke hat das erst kürzlich wieder klar gemacht. Und im Übrigen hat auch mein Gespräch mit dem Chefökonomen des Internationalen Währungs-fonds, Olivier Blanchard, gezeigt, dass wir in Europa viel-mehr auf Wachstum als auf kurzfristige Budgetkonsolidie-rung setzen müssten. Öffentliche Investitionen, verstärkte Finanzierung der Klein- und Mittelbetriebe durch die Ban-ken und entschiedene Maßnahmen gegen die Jugend-arbeitslosigkeit sollten im Mittelpunkt der europäischen Wirtschaftspolitik stehen. Das ist auch eine Botschaft, die ich aus Washington mitnehme.

Jedenfalls ist der Dialog der progressiven Kräfte über den Atlantik hinweg sinnvoll und notwendig. Dabei heißt pro-gressiv Unterschiedliches in Europa und in den USA. Aber auch innerhalb der EU und den USA gibt es sehr unter-schiedliche Auffassungen diesbezüglich. Dennoch wäre es sinnvoll, vermehrt an einem Strang zu ziehen.

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Über Datenschutz reden!21.Juli, Washington D.C.

Ein Gutteil meines Aufenthalts in Washington war dem Thema Datenschutz gewidmet. Im Europäischen Parla-ment wird schon seit längerem der entsprechende Ge-setzesentwurf der EU Kommission zu einem verbesserten Datenschutz beraten. Wenn jetzt Frau Merkel und andere einen strengeren Datenschutz verlangen, ist das purer Zy-nismus und Wahlkampf. Denn gerade ihre Parteifreunde sind bisher bei den Beratungen auf der Bremse gestan-den. Aber natürlich freue ich mich über die neuen Ver-bündeten.Nun zurück nach Washington. Meine Absicht, in den USA über Datenschutz zu reden, wurde durch die jüngs-ten Enthüllungen durch den Dissidenten Snowden noch verstärkt. Meine bzw. unsere Gesprächspartner waren Vertreter der Regierung, der neuen und elektronischen Medien und Organisationen des Konsumenten- und Da-tenschutzes. Mein erster diesbezüglicher Besuch galt dem Ministerium für Inlandsicherheit. Meine bisherige Gesprächspartnerin, die stellvertretende Ministerin Lute, hat zwar das Ministerium verlassen, aber ihr Nachfolger stand zu einem Gespräch bereit. Dabei ging es mir vor allem um das PNR-Abkommen, das zwischen der EU und den USA die Übertragung und Verwendung von (Flug-) Passagierdaten regelt.

Sowohl hinsichtlich der Übertragung von Passagier- als auch von Bankdaten (SWIFT) kamen nach und infolge vor-heriger Ablehnung durch das EU-Parlament Abkommen zustande, die bestimmte Kontrollen seitens der Europä-er sicherstellten. Nun gilt es unsererseits zu überprüfen, inwieweit die Behauptung der USA stimmt, dass alle Be-stimmungen der Übereinkommen eingehalten wurden. Jedenfalls machte ich dem Ministerium gegenüber klar, dass ein gutes Funktionieren dieser Vereinbarungen die Vorrausetzung für deren Weiterführung ist und außerdem die Basis für grundsätzliche Übereinkommen zwischen EU und USA zum Thema Datenschutz sein könnte. Der Bericht über das Funktionieren von PNR wurde erst vor wenigen Tagen fertiggestellt und wird jetzt von der Kommission überprüft, bevor wir ihn im Parlament begutachten.In diesem Sinn wurden auch die Gespräche mit dem stell-vertretenden Justizminister Swartz fortgesetzt. Ihn kenne ich schon von Gesprächen über das SWIFT-Abkommen zur Bankdatenübertragung. Ihm und seinen Mitarbeitern trug ich die großen Bedenken der europäischen BürgerInnen gegen die umfangreichen und seitens Europa unkontrol-lierbaren Auswertungen von Daten von Europäern vor. Denn die USA greifen nach US-amerikanischen Regeln und Gesetzen auf europäische Daten – vom Telefonverkehr bis zu den Social Media – zu. Und außerhalb der oben er-wähnten Abkommen haben wir keine Möglichkeiten, die-se Zugriffe zu überwachen oder auch nur Informationen darüber zu erhalten.

Das wurde auch beim Gespräch mit den Vertretern der verschiedenen Kommunikations- und Social Media-Un-ternehmungen deutlich. Insbesondere Google mach-te klar, es sei ein US-Unternehmen und müsse sich den amerikanischen Regeln unterwerfen. Der zuständige Datenschutzbeauftragte von Google meinte, dass sie oh-nedies mit eigenen Anwälten manche Forderungen der US-Regierung zurückweisen. Aber letztendlich sind sie an-gewiesen, den amerikanischen Behörden zu folgen. Und ausländische und so auch europäische Staaten müssen im Falle vermuteter Straftaten ihre Zugriffswünsche auch über die USA-Behörden an das jeweilige Unternehmen richten.

Überdies sind sie nicht einmal berechtigt, allgemeine sta-tistische Informationen über die Anzahl und das Ausmaß von behördlichen Anfragen zu geben. In einem gemeinsa-men Brief haben nun die verschiedenen Unternehmun-gen wie Google, Facebook, ePay etc. die US-Regierung aufgefordert, ihnen zu erlauben, diese Informationen zu verbreiten. Aber das kann uns natürlich nicht genug sein.

Mit den Vertretern einer Konsumentenschutzorganisati-on, die sich auf den Datenschutz konzentriert, haben wir daher weitere Schritte diskutiert. Wir sind einer Meinung, dass unverbindliche Abkommen wie das “Safe Haven”-Abkommen, bei denen sich Unternehmungen freiwillig zu verbessertem Datenschutz bekennen, zu wenig sind. Ent-scheidend sind verbindliche Abkommen. Dazu könnten die Europarats-Konvention 108 oder ein entsprechender OECD-Vorschlag als Basis dienen.

Ich fordere ernsthaft, dass die USA und die EU über ein Rahmenabkommen zum Datenschutz verhandeln und dieses noch vor Abschluss des angestrebten Investitions- und Handelsabkommen abschließen sollten. Auch ame-rikanische BürgerInnen könnten daran interessiert sein. Denn zu meiner Überraschung haben auch die Kongress-abgeordneten beider Parteien den stellvertretenden Jus-tizminister Swartz, am Tag bevor ich ihn getroffen habe, in die Mangel genommen. Und laut einer Umfrage geht das Abfragen von Daten und das Schnüffelsystem der US-Re-gierung auch einer klaren Mehrheit der US BürgerInnen zu weit. Wir sind also nicht alleine mit unserer Skepsis in Europa. Und deshalb sollten wir den USA gegenüber be-stimmt und klar auftreten.

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In AfrikaWidersprüche der afrikanischen Entwicklung30. August, Dar es Salaam

Die Schlagzeilen über Afrika und seiner zukünftigen Ent-wicklung in den internationalen Medien sind sehr wider-sprüchlich. Mal ist Afrika der verlorene und zukunftslose Kontinent und einmal ist er voll Zukunftshoffnungen und Investitionsmöglichkeiten. Jedenfalls ist er unser Nachbar-kontinent und sein Schicksal kann uns in unserer globali-sierten Welt nicht gleichgültig sein. Kriege, Konflikte und Unterentwicklung können nicht zuletzt durch erzwunge-ne massive Migrationsströme und terroristische Banden bzw. Piraterie negative Konsequenzen auf Europa haben. Umgekehrt wirken sich Frieden, Entwicklung und die Aus-sichten auf Jobs positiv auf die Entwicklung in Europa aus.

Bei einer positiven Afrikapolitik der EU geht es nicht so sehr um das Abtragen der Schuld der kolonialen Vergan-genheit inklusive der Verschleppung von Sklaverei. Es geht um die Chancen, Kriege und Krisen zu vermeiden, ge-meinsam die Ressourcen der afrikanischen Länder durch Teilung von Kapital und Know-how zu gewinnen und zu vermarkten und die Gewinne daraus vor allem der lokalen Bevölkerung zu Gute kommen zu lassen.

Selbstverständlich sind selbst bei der Verfolgung all dieser Ziele Konflikte nicht zu vermeiden. Widersprüchliche Inte-ressen stoßen aufeinander und es ist nicht immer leicht, einen Interessenausgleich zu finden. Aber die EU könnte und müsste dabei eine aktive Rolle spielen. Sie könnte

dies tun, wenn sie die eigenen Interessen mit denen der afrikanischen Länder und vor allem der afrikanischen Be-völkerung auf einen Nenner bringen würde. Ohne über-heblich zu sein, muss man feststellen, dass nicht nur die Investoren und Europa als politische Einheit sondern auch viele afrikanische Länder den Anforderungen einer mo-dernen sozialen Marktwirtschaft nicht genügen. Es müss-ten manche afrikanischen Regierungen auch selbst gro-ße Reformanstrengungen unternehmen, um bei diesem Interessenausgleich eine größere und positivere Rolle zu spielen.

Alte und neue RessourcenDiese Fragen stellen sich aktuell besonders, weil seit ei-niger Zeit in vielen Ländern von Schwarzafrika zusätzlich zu den bekannten Bodenschätzen umfangreiche Gas- und Ölvorkommen gefunden wurden. Wir wir aus vielen Fäl-len wissen, können diese Fluch und/oder Segen bedeu-ten. Nach solchen Entdeckungen steigen die Erwartungen der Bevölkerung bisweilen ins unrealistische, Geld, wenn es einmal fließt, wird manchmal schnell und unüberlegt ausgegeben und die Korruption nimmt in vielen Fällen deutlich zu. Vor allem dann, wenn die Vergabe der Lizen-zen durch die nationalen bzw. lokalen Behörden und die Geldflüsse an die Regierungen nicht transparent erfolgen.

Aus diesem Grund wurde schon vor etlichen Jahren – un-ter anderem von Tony Blair – die “Extractive Industries Transparency Initiative” gegründet. Zwei afrikanische Län-der, die sich dieser Initiative angeschlossen haben, sind Ghana und Tansania. Im Juni dieses Jahres haben wir im Übrigen im EU Parlament ein Gesetz beschlossen, das eu-ropäischen Unternehmungen in diesen Industriebereich

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eine vermehrte Informations- und Rechenschaftspflicht auferlegt. Vorher schon haben die USA mit ihrem Frank/Dodd Act ähnliches beschlossen. Wissend, dass diese Ge-setze nicht alle diesbezügliche Fragen lösen, dass aber an-derseits Ghana und Tansania ein gutes Beispiel für andere – afrikanische – Länder darstellen können, beschloss ich mit einer kleinen Delegation diese beiden Länder unmit-telbar vor Beginn der parlamentarischen Herbstarbeit zu besuchen.

Zwei Modellstaaten?Unser erstes Ziel war Accra, die Hauptstadt des westafri-kanischen Staates Ghana. Ghana war die erste britische Kolonie in Afrika, die die Unabhängigkeit erlangte. Maß-gebend beteiligt war Kwame Nkrumah, der allerdings, ebenso wie sein tansanischer Kollege Julius Nyere, schei-terte, den Traum eines eigenen modellhaften afrikani-schen Weges zu realisieren. Nyere träumte von einem an den Traditionen des Volkes orientierten speziellen Sozi-alismus. Nkrumah war ein eifriger Verfechter einer, den ganzen Kontinent umfassenden, afrikanischen Einigung, also eines Panafrikanismus und beide wollten mit zuneh-mend autoritärerer Regierung ihre Vorstellungen umset-zen.

GhanaUnser erster Gesprächspartner in Ghana war der Minister für Finanzen und wirtschaftliche Entwicklung. Ausführ-lich und exakt schilderte er die Notwendigkeit, sich nicht auf die traditionellen Ressourcen wie Gold oder auf die neuen Funde von Gas und Öl zu verlassen. Die Wirtschaft müsse diversifiziert werden und auch die Landwirtschaft

müsse modernisiert werden. Die Präsentation der diesbe-züglichen Vorhaben, aber der auch dabei zu überwinden-den Probleme, war sehr beeindruckend.

Noch mehr war ich allerdings von der Qualität und Strin-genz der Argumentationen der Vertreter der NGOs, also der Nichtregierungsorganisationen, überrascht und be-eindruckt. Sie anerkannten die Bemühungen der Regie-rung und insbesondere des unlängst wiedergewählten Präsidenten. Aber sie wollten mehr. Sie forderten die Ver-öffentlichung aller Verträge zwischen Investoren und der Regierung. Weiters sollte die Verwendung der Einnahmen aus der Vergabe der Lizenzen und aus den Profiten der Investoren transparent und kontrollierbar sein. Auch hin-sichtlich der Umweltauswirkungen der einzelnen Investi-tionen forderten sie mit Recht mehr Informationen und Untersuchungen und vor allem strengere Auflagen.

Dabei stellen sowohl in Ghana als auch in Tansania die kleineren Bergwerksunternehmungen, insbesondere die illegalen Unternehmungen, ein besonders Problem dar. Viele Ghanaer verkaufen nämlich – und das ist illegal – ihre Lizenzen an Ausländer, darunter auch an Europäer, mit all den negativen Auswirkungen der Gewinnung und des Verkaufs von Gold auf illegalem Weg. Und sicherlich sehen etliche Behörden bei entsprechend Zahlungen über solche Machenschaften hinweg.

Der Kampf gegen die Korruption und für eine bessere und effizientere Verwaltung ist etwas, was wir als Europäer nicht nur einfordern sollen, sondern wo wir auch Hilfe und Unterstützung anbieten müssen. Das tun wir auch

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und arbeiten mit den Regierungen in Ghana und Tansania gut zusammen. Überhaupt besteht heute die “Entwick-lungshilfe” immer weniger in finanzieller Unterstützung sondern in gemeinsamen Projekten zur Ertüchtigung von Regierung, Verwaltung und sensiblen Wirtschaftssekto-ren wie der Landwirtschaft und der Infrastruktur. Darüber hinaus werden gute und faire Wirtschaftsbeziehungen im-mer wichtiger als die traditionelle Entwicklungshilfe (from Aid to Trade !)

TansaniaÜber Nairobi ging es dann nach Dar es Salaam, der tan-sanischen Hauptstadt. Auch dort erlebten wir hervorra-gende Leute in der Regierung und auf Seiten der NGOs. Allerdings sind die Gesetze und Maßnahmen hinsichtlich Transparenz und Verantwortlichkeit noch nicht so weit wie in Ghana fortgeschritten. Aber auch hier wirken aufgeklär-te Leute der Regierung (und der Opposition) und der NGOs sowie internationale Geldgeber wie die EU aber auch die Weltbank eng zusammen, um entsprechende Regelungen und deren Umsetzung zu erreichen. In beiden Ländern war ich auch vom Engagement vieler europäischer Bot-schafter (und des kanadischen High Commissioners) – in Kooperation mit den EU Vertretern – beeindruckt, den Ländern zu helfen, eine entsprechend administrative und politische Kapazität aufzubauen. Denn nur dann können sie den internationalen Investoren gleichgewichtig ge-genübertreten. Und langfristig sind nur gleichberechtigte Beziehungen für eine positive Entwicklung in Afrika und Europa hilfreich.Vor Tansania wurden große Öl- und Gasressourcen ent-deckt und das Land muss daher besonders aufpassen, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Dabei würde eine stärkere Zusammenarbeit und Abstimmung in der Ost-afrikanischen Gemeinschaft sowie mit dem Nachbarland

Mosambik hilfreich sein. Letzteres insbesondere ange-sichts der großen Ressourcenvorkommen im gemeinsa-men Grenzgebiet von Tansania und Mosambik. Vor allem der Aufbau einer gemeinsamen Infrastruktur hinsichtlich des Verkehrs (von Eisenbahnverbindungen bis zum Aus-bau der Häfen) würde die Kosten für die einzelnen Län-der verringern und die Attraktivität der Region insgesamt deutlich erhöhen.

Erste Welt – Dritte Welt.Sowohl die Probleme als auch die Möglichkeiten Afrikas sind enorm. Beides ist klar erkennbar. Ebenso wie die En-klaven der Modernität einerseits und Wirtschaftsmetho-den, die über Jahrhunderte ausgeübt wurden, anderseits. Es gibt extremen Reichtum einiger weniger und extreme Armut vieler. Es gibt exzellente Expertise und viel Unwis-senheit. In diese Widersprüchlichkeit könnte und sollte Europa seine komplexe Erfahrung einbringen. Mit all un-seren Mängeln und Fehlern können wir einen positiven Beitrag zur Entwicklung unseres Nachbarkontinents leis-ten. Nicht als neo-koloniale Lehrmeister sondern als Wirt-schaftspartner, die selbst einen schwierigen Wandlungs- und Integrationsprozess durchgemacht haben und noch dabei sind.

Unser Engagement in Afrika und anderen Entwicklungs-länder muss Teil einer globalen Strategie sein, um die Ver-hältnisse gerechter zu gestalten. Dabei brauchen diese Länder durchaus unsere politische Einigung und unseren wirtschaftlichen Fortschritt. Allerdings gepaart mit Ver-ständnis unserer Nachbarn und Geduld. Vielfältiges Know how gegen Rohstoffe ist vielleicht zu simpel. Aber darin steckt ein Kern der Wahrheit. Und ich bin fest überzeugt, dass wir auf Dauer die besseren Partner für Afrika sind als das China von heute.

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Merkels PolitikWas denkt Deutschland?23.September, Brüssel

“Es ist nicht so entscheidend, was die Deutschen über die Griechen denken, als vielmehr was sie über sich selbst denken” meinte jüngst ein griechischer Manager/Unter-nehmer auf das Verhältnis der Deutschen zu den Grie-chen angesprochen. Ja, was denken die Deutschen über sich und ihre Rolle in Europa?

Die Wahl vom letzten Sonntag gibt da nur teilweise eine Auskunft. Der Sieg der CDU/CSU gleicht den Verlust der FDP aus. Der relative Erfolg der AfD ist ein ernst zu neh-mendes Signal, aber noch keine Katastrophe. Die leichten Zugewinne der SPD und die Verluste der Grünen zeigen, dass die Deutschen weiterhin die pragmatische Mitte be-vorzugen. Wie übrigens auch die Gewinne der CDU/CSU. Denn Merkel hat ja jedenfalls die CDU noch stärker in die Mitte gerückt. Und letztendlich ist der Wahlausgang im Wesentlichen ein Vertrauen in Merkel, dass der von ihr eingeschlagene Weg Zustimmung findet. Aber was ist der von ihr eingeschlagene Weg genau? Für Europa, aber nicht zu viel davon, für die Bankenunion, aber keine zu starke Bankenaufsicht in Europa. Da besteht jetzt ein gro-ßer Klärungsbedarf. Und wie steht es mit der sozialen Di-mension in Deutschland selbst und in Europa? Finanzielle Disziplin und Stabilität ist notwendig; aber nicht ausrei-chend. Vor allem müsste sie so gestaltet werden, dass sie auch von der Bevölkerung getragen und unterstützt wer-den kann. Die neo-liberale Politik der letzten Jahre und die einseitigen Empfehlungen der Troikas sind jedenfalls nicht geeignet; Europa aus der Krise zu führen.

Was immer die Deutschen über sich und Europa denken, Deutschland mit Merkel als Kanzlerin muss sich entschei-den, ob sie dem Lippenbekenntnis zur Weiterentwicklung Europas und einer starken globalen Rolle Taten folgen lassen wollen. Und ob es nach der Überbetonung der Budgetdisziplin endlich auch Schritte zum sozialen Euro-pa geben kann. Denn auch die von Merkel immer wieder zitierte “schwäbische Hausfrau” will für ihre Kinder und Enkel Jobs mit Einkommen, die ihnen auch die Gründung einer Familie ermöglichen.

Die große Frage ist, ob Merkel bereit ist -auch nach ih-rem großen Wahlerfolg- eine wenn auch begrenzte Kurs-korrektur in ihrer nationalen bzw. Europapolitik vorzu-nehmen. Das hängt natürlich vom innerdeutschen und europäischen Widerstand gegen die Fortsetzung einer harschen Austeritätspolitik ab. Bisher hat Merkel mit ihrer Unverbindlichkeit und ihrem Pragmatismus alle Einwände entweder abgelehnt oder inhaliert und in ihre Program-matik integriert. Aber die sozialen Schieflagen in Deutsch-land selbst und in Europa wurden dadurch nicht kleiner.

Merkel selbst konnte von ihrer bisherigen Politik vor den Wahlen nicht abgehen. Sie wollte nach rechts und das heißt zur AfD nichts verlieren. Sie hat etwas verloren, aber die AfD hat es trotzdem nicht in den Bundestag geschafft. Und das schafft ihr die Möglichkeit flexibler zu werden. Jetzt liegt es an den Sozialdemokraten in Deutschland -ob sie sich für eine Regierungsbeteiligung oder für die Oppo-sition entscheiden- und an den Sozialdemokraten in ganz Europa den Druck auf Deutschland und seine Kanzlerin zu verstärken.Leicht wird es sicher nicht sein, da sowohl in der CDU als vor allem auch in der CSU starke beharrende, konservative Kräfte vorhanden sind. Aber Merkel hat Kraft genug, um eine Politik der Stärkung Europas in der Wirtschafts- und der Außenpolitik zu erreichen. Aber dazu müsste sie erst ihre europapolitische Vision definieren. Denn einerseits sich für ein starkes Europa auszusprechen und anderseits David Cameron in seinen Anti-EU Positionen zu unterstüt-zen, zeugt nicht von einer kohärenten Haltung. Wir müs-sen uns allerdings im Klaren sein, dass die zumindest am-bivalente Haltung zu Europa nicht nur bei Merkel und der CDU/CSU zu Hause ist. Von Großbritannien und Deutsch-land über die Niederlande und bis nach Schweden und Finnland zieht sich ein Skeptizismus durch, der alle politi-schen Kräfte – mehr oder weniger- erfasst. Dieser Skepti-zismus im “Norden” vereinigt sich groteskerweise mit der wachsenden Enttäuschung im “Süden” und richtet sich mit unterschiedlicher Bewertung der Krise und der Aus-teritätspolitik gegen Europa. Die verschiedenen sozialen Schieflagen werden jedenfalls vor allem Europa angelas-tet. Die Sozialdemokratie muss daher – auf nationaler und auf europäischer Ebene - immer wieder die soziale Frage ansprechen. Dabei muss sie aber nicht nur die Ärmsten und die Arbeitslosen im Auge haben, sondern auch die Mittelklasse. Zumindest jenen Teil, der durch Stagnation oder Abstieg betroffen oder jedenfalls bedroht ist. Angst birgt immer die Gefahr, dass die Menschen nach rechts und ins nationalistische Lager abdriften.Ohne die untere bis mittlere Mittelklasse anzusprechen, werden wir keine Mehrheiten erzielen können. Unse-re Wirtschaftspolitik insbesondere unsere Steuerpolitik

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muss – bei aller Notwendigkeit der Umverteilung – auch die Interessen der Mittelklasse im Auge haben. Unsere Ziele der Fairness und Gerechtigkeit muss auch sie betref-fen.

Die verschiedenen nationalen Wahlen haben jedenfalls gezeigt, dass es kein allgemein gültiges Rezept für die nächsten EU Wahlen gibt. Neben nationalen Besonderhei-ten und dem Einfluss der sich zur Wahl stellenden Persön-lichkeiten, bleibt die soziale Frage von großer Bedeutung. Sie ist auch das einigende Moment der demokratischen Mitte. Aber wie gesagt, die soziale Frage darf nicht zu eng gesehen werden. Und wir müssen immer auch ein Stück Hoffnung mitliefern, dass wir auch realistische Auswege aus der Krise anbieten können.

Narva – Peripherie oder Tor zu Europa?25.September, Narva

In der letzten Woche veranstaltete die Fraktion der So-zialisten und Demokraten im EU Parlament zwei “Re-launching Europe” Diskussionen. Eine in Helsinki und die zweite in Narva. Obwohl Narva bedeutende Schlachten erlebt hat und sowohl unter schwedischer Besetzung, als auch unter russischer Besatzung, Deutsch die Umgangs-sprache der lokalen Elite war, wusste ich zuerst nicht, wo Narva in Estland lag. Bald wurde mir klar, dass es eine Grenzstadt zu Russland ist, ungefähr 3 Autostunden von Tallinn entfernt. Die unterschiedlichen Besatzungsmäch-te wechselten sich ab und bescherten dieser Stadt eine oft leidvolle Geschichte. Besonders tragisch war die Bom-bardierung der Stadt durch die Sowjetarmee 1944. Narva wurde fast ausradiert. Ein Juwel des nördlichen Barocks verschwand durch die Bombardierung bzw. durch den späteren Abbruch der stehengebliebenen Mauern, als Estland sowie die beiden anderen baltischen Staaten Teil der Sowjetunion waren. Nur drei Gebäude blieben eini-germaßen erhalten, davon das Rathaus. Die Börse wurde in einer interessanten Variante rekonstruiert und in eine Universität “umfunktioniert”! Die Geschichte, aber vor al-lem die sowjetische Ansiedelungspolitik, machte aus Nar-va eine russische Stadt. Noch heute sind nur 3-4% der Be-völkerung Esten, der Rest sind vor allem Russen und dann noch viele andere Nationen wie Ukrainer, Weißrussen etc. Demgemäß wird hier vornehmlich russisch gesprochen.Leider hat sie tragische Geschichte und die Erlangung der Unabhängigkeit nicht dazu geführt die Grundlagen für eine Zukunft der engen Zusammenarbeit zu schaffen. Wer mit dem Auto die russische – estnische Grenze passieren möchte muss sich in eine elektronische Warteschlange eintragen, die bis zu einer Woche dauern kann. Dann be-kommt er einen genauen Slot für das Passieren zugewie-sen. Nur zu Fuß geht es schneller.

Zwar gibt es einige russische Investitionen im benach-barten Sillamäe, vor allem in der Grundstoffindustrie und dem Transportwesen inklusive in den Ausbau eines Hafens. Aber das hat wenig an der mangelnden direkten Kooperation geändert. In Sillimäe wurde übrigens in der Sowjetzeit Uran gewonnen und verarbeitet. Angeblich auch dasjenige, das in der ersten russischen Atombombe steckte. Heute werden dort mit 600 Beschäftigten seltene Erden “hergestellt ” und zwar aus kalifornischen Minen gewonnen Mineralien. Aber keines der seltenen Metalle – die für jedes Handy, Auto etc. unentbehrlich sind-wird in Estland weiterverarbeitet. Alles geht in den Export. Die estnische Firma wurde übrigens vor einigen Jahren von dem amerikanischen Unternehmen Molicorp aufgekauft und stand vor einiger Zeit schon vor dem Zusperren. Die Nachfrage nach seltenen Erden hängt sehr von der gene-rellen Konjunktur ab. Was aber fehlt sind Klein- und Mit-telbetriebe, die den jungen Menschen dieser Region eine Chance geben. Daher wandern viele ab, nicht nur in die Hauptstadt Tallin sondern – aus ganz Estland – ins Aus-land. Das erklärt auch, das zwar die Arbeitslosigkeit sinkt, aber dass die Beschäftigung nicht steigt. Insofern ist Narva allerdings ein Tor zu Europa: viele junge Menschen zieht es mangels Job in andere Länder der EU. Lenin hingegen, den man hinter ein Haus, in das Areal des erhaltenen Schlosses, gestellt hat, zeigt nach Russland. Die Zukunft für Narva sollte darin liegen beide Seiten zu verbinden und daraus Chancen für die eigene Jugend zu schaffen. Aber dafür bräuchten wir ein besseres Verhältnis zu Russ-land. Es liegt allerdings nicht nur an denjenigen, die die sowjetische Okkupation und die kommunistischen Dikta-turen nicht vergessen können. Es ist das Russland eines Putins, das immer wieder die Ansätze zu einer verbesser-ten Zusammenarbeit torpediert. Erst jüngst begann Russ-land die Exporte all jener Länder zu verzögern und spezi-ellen Kontrollen zu unterwerfen und manchmal sogar zu verhindern, die mit der EU ein Assoziierungsabkommen unterzeichnen wollen. Das betrifft vor allem die Ukraine und Moldawien. Und da diese Abkommen in Vilnius, der litauischen Hauptstadt unterzeichnet werden sollen, wer-den auch litauische Waren diskriminierend behandelt.Aber wir sollten unsere Bemühungen nicht aufgeben, mit Russland vernünftige und für beide Seiten nutzbringende Beziehungen herzustellen. Die zuletzt gefundene Einigung hinsichtlich der syrischen Chemiewaffen, die hoffentlich hält, könnte der Anlass für ein solches neues pragmati-sches Verhältnis sein. Narva und andere EU Grenzstädte zu Russland warten sehnlichst darauf.

In Finnland

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Aktuelle Fragen in Europa

Pharmaka, Globalisierung und Europa25.September, Brüssel

Nach meiner aktiven Teilnahme an verschiedenen Ar-beitskreisen zu Europa im Rahmen des Labour Parteitages besuchte ich noch die “Europäische Medizinagentur” in London. Sie ist eine jener europäischen Agenturen, die immer wieder kritisiert werden, die aber aus meiner Sicht eine sehr wichtige Aufgabe übernehmen. Vor allem soll sie dafür sorgen, dass nur entsprechend qualifiziert her-gestellte und einwandfreie Medikamente in Europa auf den Markt kommen.

Aber diese Medikamente werden nicht nur in Europa pro-duziert und selbst wenn, dann enthalten sie verschiedene Stoffe aus vielen nicht-europäischen Ländern. Es ist nun die Aufgabe der europäischen Medizinagentur, gemein-sam mit den verschiedenen nationalen Agenturen, die Medikamente selbst, aber auch die Herstellungsprozesse einer strengen Überprüfung zu unterziehen.

Die einzelnen nationalen Agenturen wären allein viel zu schwach, um die Fabriken in China, Indien etc. zu überprü-fen. Vor allem gibt es insbesondere im Generika Bereich immer mehr kleinere Firmen, welche aber auch die ent-sprechenden Kriterien erfüllen müssen. Über die europä-ische Agentur kann auch – dort wo sinnvoll und machbar – mit der US amerikanischen Agentur, der “Food and Drug Administration”, zusammen gearbeitet werden.

Der Pharmamarkt bzw. die Produktion von Pharmaka war immer schon international geprägt. Aber inzwischen ha-ben sich Produktion und Vertrieb weiter globalisiert. Vor allem auch in Richtung von Ländern, die in der Entwick-lung medizinischer und hygienischer Standards nicht so weit fortgeschritten sind wie Europa und die USA.

Die Europäische Medizinagentur kann durch ihr Wirken, wo es geht gemeinsam mit der amerikanischen FDA, glo-bale Standards setzen. So können durch europäische Ge-setzgebung und die europäische Überwachung und Kont-rolle auch unsere Standards global durch- und umgesetzt werden. Die Globalisierung werden wir nicht abbauen und verhindern können, aber wir können sie beeinflussen und mitgestalten.

Sicher müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass die Pro-duktion und die Forschung und Entwicklung nicht aus Europa verschwinden. Auch diesbezüglich kann die euro-päische Agentur mithelfen: durch genaue, aber zügige Ver-fahren und Hilfe bei der Beschaffung der entsprechenden Unterlagen, die für die Prüfungen und Genehmigungen notwendig sind. So können Sicherheit für die Konsumen-

tInnen und die Wahrung europäischer Produktions- und Forschungsstandorte Hand in Hand gehen.

Allein an diesen Beispielen zeigt sich, dass all die grund-sätzlichen und primitiven Argumente gegen Europa und seine Institutionen ins Leere gehen. Wer wirklich die In-teressen unserer BürgerInnen vertreten und verteidigen möchte, muss für effiziente und effektive europäische

Institutionen eintreten, die stark genug sind auf globale Entwicklungen und Verhältnisse Einfluss zu nehmen. Die Mitgliedstaaten der EU alleine (!) sind nicht stark genug. Sie brauchen eine europäische Verstärkung.

SPÖ: Programmerarbeitung und Personalauswahl – Mehr Mut zum Risiko2.Oktober, Wien

Die Wahlen sind geschlagen, und ich bleibe dabei: das Ergebnis ist enttäuschend. Die SPÖ hat sich mehr erhofft und die Gesichtszüge des Bundeskanzlers haben das ge-spiegelt. Und angesichts der sehr guten wirtschaftlichen

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Lage unseres Landes und angesichts des grotesken Wahl-kampfs der ÖVP hatten wir auch Grund, mehr zu erhoffen und vor allem den Abstand zur ÖVP zu erhöhen.

Nun, auch die ÖVP hat verloren, aber auf der rechten Sei-te des politischen Spektrums haben sich neue Kräfte eta-bliert. Das kann man von links absolut nicht sagen. Der Anteil der linken, progressiven Stimmen nimmt also in Österreich immer mehr ab. Und das muss uns zu denken geben. Jedenfalls, ein Teil der – vor allem jüngeren – Wäh-lerInnen von Grünen und Neos müssten auch von einer Sozialdemokratie angezogen werden können.

Wir sind aber weder personell noch programmatisch da-rauf vorbereitet. Zwar wurden auch in letzter Zeit immer wieder neue Programme entworfen, aber sie werden all-zu sehr von den Ministern bzw. ihren Büros und den füh-renden Abgeordneten kontrolliert. Eigentlich mag ich den immerwährenden Rückgriff auf die Ära Kreisky nicht. Aber man sollte sich anschauen, wie damals die Programmde-batte gelaufen ist und auch unter Vranitzky war mehr Of-fenheit und Risikobereitschaft zu sehen.

Dieselbe Scheu und Übervorsicht ist auch bei der Per-sonalauswahl zu erkennen. Nun man kann nicht einfach andere Personen herbeizaubern. Aber einerseits haben sich ja einige hervorragende und auch politisch denken-de Experten angeboten, die allerdings im Regen stehen gelassen wurden. Anderseits müsste die SPÖ bewusst die existierenden Talente, die auch gerne mitarbeiten wür-den, ansprechen. Und jedenfalls aus dem ökonomischen Bereich kenne ich viele, die bisher kaum wenn überhaupt angesprochen wurden.

Die entsprechenden Leute sind gar nicht so sehr auf Pos-ten und Positionen aus, vorerst geht es ihnen darum, ernst genommen zu werden, in einen fruchtbringenden Diskussionsprozess eingebunden zu werden und dadurch neue Impulse geben zu können. Insofern hängt die Erwei-terung der Personalreserve der SPÖ mit der Ausarbeitung neuer programmatischen Ideen eng zusammen.

Selbstverständlich muss die soziale Frage im Mittelpunkt unserer Politik stehen und es gilt immer wieder, unsere Kernwählerschicht zu mobilisieren. Aber sie wird immer kleiner, weil die Wählerbindung abnimmt. Daher muss der Horizont der sozialdemokratischen Parteien erweitert werden. Das gilt nicht nur für Österreich sondern für ganz Europa. Ich sehe auch keinen Widerspruch darin, traditi-onelle „linke Werte” zu vertreten und andere progressiv denkende und interessierte Menschen anzusprechen, die jedenfalls „ein Stück des Weges mit uns gehen” möchten! Ohne diese werden wir immer schwächer werden und un-seren Stammwählern nichts mehr anbieten können.

Werner Faymann hat sich während seiner Kanzlerschaft von einem Politiker, der sich auf wenige pragmatische Fra-

gen konzentriert hat zu einem Politiker mit umfassenden Kenntnissen und Bestrebungen entwickelt. Insbesondere in Europafragen konnte ich das hautnah miterleben. Ich verstehe seine Enttäuschung über die Entscheidung der WählerInnen. Aber die SPÖ ist nun schon lange die Num-mer 1 und da gibt es Abnützungserscheinungen. Aber dem langfristigen Trend sinkender sozialdemokratischer Stimmenanteile können wir nicht einfach zuschauen, wir müssen ihm entgegenwirken. Da erwarte ich mir klare Si-gnale von der Spitze der SPÖ!

Ich sehe keine Alternative als eine Neuauflage und Neu-gestaltung(!) der Koalition mit der ÖVP, jedenfalls von uns aus. Aber umso mehr muss sich die Partei programma-tisch und personell erneuern. Weder an der Spitze noch an der Basis kann oder soll das abrupt gehen. Aber ein längerfristiger und durchgehender Erneuerungsprozess wird notwendig sein, um dem Abwärtstrend Einhalt zu gebieten.

Von Schlafwandlern und Nationalisten4.Oktober, Brüssel

Vor hundert Jahren, genau im August 1913, endete der zweite Balkankrieg. Aber damit kam kein Frieden in diese fragile Region. Denn ziemlich genau ein Jahr später be-gann der Erste Weltkrieg. Mit diesem Krieg beschäftigten sich viele Historiker, wird dieser „Große Krieg” doch als die Jahrhundertkatastrophe betrachtet, die erst andere wie den Zweiten Weltkrieg, die Zweiteilung des Kontinents und das kommunistische Imperium möglich machte.

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Das neueste Werk über den Ersten Weltkrieg stammt vom britischen Historiker Christopher Clark. Unter dem Titel „Die Schlafwandler” untersucht er „wie Europa in den Ers-ten Weltkrieg zog”. Für viele Kommentatoren – vor allem aus Deutschland – war das Neue an dieser Analyse die Zu-rückweisung der These von der deutschen Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In der Tat, Christo-pher Clark verteilt die Schuld auf mehrere Schultern. Es ist allzu offensichtlich, dass die Sieger die Schuld einseitig auf die Verlierer schoben und das noch existierende Deutsch-land gab dafür mehr her, als das zerteilte und aufgelöste Österreich – Ungarn.

Die Analyse von Christopher Clark bringt aber keine Ent-schuldigung oder gar Rechtfertigung für Deutschland oder die Österreich- Ungarische Monarchie. Sie versucht nur die Kriegsbegeisterung und zum Teil kriegstreibenden Kräfte auch in den anderen Ländern nachzuvollziehen. Und auch diejenigen Kräfte in allen Ländern, die versuch-ten die Katastrophe zu verhindern.

Dabei ist der serbische Nationalismus und die Bestrebun-gen Groß Serbien herzustellen an erster Stelle zu erwäh-nen. Frei nach dem Motto: wo immer ein Serbe wohnt ist Serbien. Und Serbien hat in den zwei Balkankriegen große Territorien dazu gewonnen, sich aber den Minderheiten in diesen Territorien gegenüber nicht gerade korrekt be-nommen. Vielfach kam es zu massiven Diskriminierungen und Vertreibungen. Und es hat sich massiv gegen die Selb-ständigkeit Albaniens gewandt.

Wenn man das Verhalten der serbischen Nationalisten während des Jugoslawienkriegs und bis in jüngster Zeit hinein im Kosovo betrachtet, so hatte sich in der grund-legenden Einstellung nicht viel geändert. Aber Europa ist heute nicht mehr in Machtblöcke gespalten, die sich für oder gegen Serbien stellen. Es muss versuchen Serbien schrittweise in die EU zu integrieren und damit auch mit den unmittelbaren Nachbarn zu versöhnen. Dass sogar die jetzige „nationalistische” Regierung an dieser Integra-tion interessiert ist und im Kosovo eine moderate Politik betreibt, ist ein sehr positives Zeichen. Und diese Anzei-chen sollten mit positiven Schritten seitens der EU beant-wortet werden.

Unterstützung hat Serbien von Russland bekommen, das dabei seine eigenen Interessen am Balkan, aber vor allem gegenüber dem Osmanischen Reich vertreten hat. Wich-tig war für Russland Durchfahrtsrechte für seine Flotte durch den Bosporus und die Dardanellen zu erhalten. Das Interesse an einer Präsenz nicht nur am Balkan selbst sondern im -östlichen- Mittelmeerraum ist ja auch noch heute sehr erkennbar. Russlands starke Unterstützung für Serbien und sein Verhalten in der Syrienfrage ist eindeutig davon geprägt. Russland ist wahrscheinlich die europäi-sche Macht, die sehr ähnliche diplomatische und macht-politische Verhaltensweisen an den Tag legt wie in Zeiten

vor dem Ersten Weltkrieg.

Als die Schüsse von Sarajevo fielen und den Thronfolger und dessen Frau töteten, war die Lage in Europa durch sehr unterschiedliche Interessen gekennzeichnet. In allen Staaten gab es führende Militärs und zivile Politiker, die sich besser früher als später den „unvermeidlichen” Krieg wünschten. Man fürchtete der potentielle Feind würde einem in der Aufrüstung überholen und dem wollte man durch einen Krieg zuvorkommen. Niemand hat ernsthaft versucht durch eine diplomatische Offensive den Konflikt zwischen Serbien und Österreich- Ungarn zu lösen. Ohne entsprechende Unterstützung der beiden Kontrahenten hätte ein Krieg verhindert werden können, oder er hätte sich nicht zu einem Weltkrieg ausdehnen können.

Es ist eine Groteske der Geschichte, dass der reform- und friedensorientierte und auch slawophile Thronfolger von serbischen Nationalisten umgebracht wurde und damit sein kriegstreibender Widersacher, der Österreich-Unga-rische Armeechef Conrad von Hötzendorf die Oberhand gewann. Und im Laufe der Wochen nach dem Attentat gewannen in allen Ländern die Kriegsinteressierten die Oberhand. Aber abgesehen von einzelnen Personen zeigt die tragische Geschichte Europas am Beginn des letzten Jahrhunderts, dass Schlafwandler, aber vor allem Natio-nalisten Europa in das Chaos stürzten.

Leider gibt es diese Kategorie von Politikern auch heute noch. Es gibt die Schlafwandler, die nicht erkennen, dass angesichts der globalen Entwicklungen wir unsere Inter-essen nur gemeinsam vertreten können. Sie nörgeln an der EU herum, aber nicht um sie zu verbessern und sie in wesentlichen Punkten zu stärken, sondern um sie zu schwächen. Manche von ihnen wollen den Rückwärts-gang einlegen. Und es gibt leider auch wieder verstärkt Nationalisten, die die EU und ihre Erfolge direkt in Frage stellen und aktiv an der Zerstörung arbeiten. Die ersteren haben nicht aus der Geschichte gelernt, die zweiten wol-len gar nicht aus der Geschichte lernen. Wir sollten das aber tun und weder den Schlafwandlern noch den Natio-nalisten eine Chance geben.

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In Ungarn

Ungarn: Damals und heute6. Oktober, Wien

Ich schreibe diese Zeilen am 6. Oktober, einem denkwür-digen, schwarzen Tag im Verhältnis Ungarns zu Österreich. Am 6. Oktober 1849 wurden auf Geheiß des Österreichi-schen Monarchen Kaiser Franz Josef, 13 ungarische Gene-räle in Arad hingerichtet. Das österreichische Herrscher-haus nahm nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution mit Hilfe russischer Truppen Rache an den ungarischen Widerstandskämpfer. Dieser Racheakt blieb vielen Ungarn auch nach dem Ausgleich 1867 und der Gründung der Österreichisch – Ungarischen Monarchie in Erinnerung. Und die nationalistischen und chauvinisti-schen Kräfte im heutigen Ungarn nehmen diesen trauri-gen Tag noch immer zum Anlass, um gegen die auslän-dischen, nicht zuletzt österreichischen Einflüsse Stellung zu nehmen und um ihren andauernden Freiheitskampf zu rechtfertigen. Als wären Ungarn bzw. die ungarischen Herrscher von Gräueltaten immer unbefleckt gewesen. Die ungarische Geschichte, genauso wie die Geschichte aller Staaten belegt das Gegenteil. Und wenn heute zu-nehmend Statuen von Hitlers Gehilfen Horthy aufgestellt werden, zeigt das auch nicht von einem korrekten Ver-hältnis zur eignen Geschichte.Es waren auch ungarische Kräfte die nach 1918 die Habs-burger – Monarchie wiederherstellen wollten. Und auch heute noch findet man vielfach eine positive Einstellung zu Kaiser Franz Josef und insbesondere zu Kaiserin Elisa-beth, Sisi genannt. So auch in Szeged, dem ersten Termin meines zweitägigen Ungarnaufenthalts. Beim Rundgang durch die Stadt und beim Besuch im Rathaus war die star-ke Präsenz des Herrscherhauses sichtbar. Denn unmittel-bar nach der Zerstörung der Stadt durch eine furchtbare Überschwemmung kam nämlich das Herrscherpaar in die Stadt zum Ausdruck der Sympathie und um rasche Abhilfe zu versprechen. Und auch viele europäische Städte haben einen Unterstützungsfonds zum Wiederaufbau von Sze-ged gegründet. Wäre das auch heute der Fall?Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Neustart Europa” hielten wir eine Diskussion zum Thema „Beschäftigung

und Ausbildung“ ab. Viel mehr Menschen als erwartet kamen zur Veranstaltung und das zeigt das Interesse an offenen Diskussionen, organisiert von der demokrati-schen Linken. Etwas was wir auch am nächsten Tag in Budapest erlebten. Aber davor besuchte ich noch ein in der Nähe von Szeged gelegenes Dorf, in dem auch viele Serben leben, und zwar in großer Eintracht mit der un-garischen Bevölkerung. In einem Interview mit dem ser-bischen Lokalfernsehen machte ich meine Prinzipien in der Minderheitenfrage klar. In Ungarn unterstütze ich die Entfaltungsmöglichkeiten der serbischen, slowakischen etc. Minderheiten. In Serbien, in der Vojvodina und in der Slowakei unterstütze ich die entsprechenden ungarischen Minderheiten. Und überall, wo es notwendig ist, unter-stütze ich die Integration der Roma.Auch ein Besuch bei einem Metallunternehmen in dem Dorf Desk stand auf der Tagesordnung. Dabei konnte ich sehen, wie durch ein engagiertes Unternehmertum und eine entsprechende Arbeitnehmerschaft ein ehemaliger Staatsbetrieb in ein, erfolgreiches auch exportorientier-tes Unternehmen verwandelt werden konnte. Schritt für Schritt wurde und wird der Maschinenpark erneuert. Si-cher helfen auch die niedrigen Löhne, die in dieser Region gezahlt werden. Aber vor allem ist es die Flexibilität und die “Maßanfertigung”, die diesem Betrieb einen Vorteil verschafft.Szeged ist die einzige Großstadt in Ungarn, die noch einen sozialistischen Bürgermeister hat. Er ist ein sehr dynami-scher Politiker, der mehrmals wieder gewählt wurde. Bei einem gemeinsamen Treffen mit dem Chef der ungari-schen Sozialisten Mesterházy und dem Vorsitzenden einer linksliberalen Bewegung Bajnai merkte ich die allgemeine Wertschätzung für ihn. Für mich war es sehr befriedigend, dass sich die beiden progressiven Politiker zu einem ge-meinsamen Bündnis zusammengeschlossen haben. Denn nur gemeinsam besteht die Chance den BürgerInnen Un-garns eine überzeugende Alternative zu bieten. Alle pro-gressiven Kräfte sollten sich im Klaren sein, dass sie nur vereint dem nationalistischen Kurs Orbans wirksam be-gegnen können.In Budapest stand vor allem eine Konferenz der “Progres-sive Economics” auf der Tagesordnung. Seitens der S&D Fraktion haben wir eine eigene Aktion “Progressive Eco-nomics” ins Leben gerufen, um auch über die Grenzen

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der Sozialdemokratie hinaus fortschrittliche Ökonomen für ein konkretes Engagement für eine alternative Wirt-schaftspolitik zu interessieren. Drei europäische Wirt-schaftsinstitute hatten bereits voriges Jahr in unserem Auftrag eine – zur Prognose der EU Kommission – alter-native Wirtschaftsvorschau erstellt und machen das heu-er im Herbst wieder. Aber wir wollen die Diskussion über eine zur Austeritätspolitik alternative Wirtschaftspolitik darüber hinaus weiterführen. Und so haben wir nach einer ersten Konferenz in Lissabon eine entsprechende Konferenz in Budapest speziell zur osteuropäischen Wirt-schaftslage abgehalten, die ebenfalls gut besucht wurde. Auch an dieser Konferenz nahmen die beiden Chefs der progressiven Kräfte, Mesterházy, von der größeren MSZP und Bajnai teil.Pressekonferenzen in Szeged und Budapest, Gespräche mit den KandidatInnen für die nächsten EU Parlaments-wahlen sowie ein Besuch bei einer Veranstaltung von PensionistInnen im öffentlichen Dienst, denen die FIDESZ Regierung, rückwirkend die Pensionen gekürzt hat, run-deten meinen Besuch in Ungarn ab. Orban macht es der Opposition mit seiner nationalistischen Politik gegen die ausländischen Konzerne (Banken, Energieunternehmen etc.) nicht leicht. Er spielt sich als Robin Hood der ungari-schen Bevölkerung auf und beim letzten Parteitag der FI-DESZ vor wenigen Tagen bezeichneten sich die führenden Politiker als Freiheitskämpfer, nicht zuletzt gegen die EU.

Anstatt in der EU gemeinsam mit anderen gegen die Steu-ermanipulation der Multis zu kämpfen und konkret ge-

Kultur und VielfaltFrankfurt – München – Košice25.Oktober, Brüssel

Die letzten Tage waren für mich durch eine Auseinander-setzung mit der europäischen Kultur in deren Vielfalt ge-kennzeichnet. Begonnen hat es mit einer Einladung zur Frankfurter Buchmesse. Natürlich hatten die Einladen-den auch Lobbying für die Buchpreisbindung, den halben Mehrwertsteuersatz und ein Festhalten am Copyright im Sinn. Und im Wesentlichen kann ich diesen Anliegen

gen die Energiearmut der unteren Einkommensschichten vorzugehen, wettert er gegen die Banken und Energie-unternehmen, um sie als die Feinde Ungarns abzustem-peln. Und auch der europäische Haftbefehl, der jüngst auf Veranlassung kroatischer Behörden gegen den Chef des ungarischen Erdölkonzerns MOL wegen Bestechung erlassen wurde, ist für Orban Anlass zu Attacken gegen Kroatien und die kroatische Regierung. Diese ständigen Scheinkämpfe sollen all die demokratie-, wirtschafts- und sozialpolitischen Mängel der derzeitigen ungarischen Po-litik zudecken. Aber es wird nicht leicht sein gegen eine solche Propaganda seitens der FIDESZ Regierung auf die wahren Ursachen der ungarischen Misere aufmerksam zu machen. Aber für Ungarn und für Europa wären ein Durchbruch der Opposition und eine Abwahl der chauvi-nistischen Politik in Ungarn wichtig.

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auch zustimmen. Allerdings müssen wir sicher überlegen, wie das Copyright modernisiert und an den Gebrauch der Social Media und Internetgeneration angepasst werden kann. Aber sicher braucht Europa einen lebendigen Buch-markt, der nicht durch Amazon und E-Books ersetzt wer-den kann.

Dennoch muss sich der “traditionelle” Buchmarkt auch an die neuen Gegebenheiten anpassen. Die Digitalisierung ist dabei auch eine große Chance. Sie ermöglicht die Wahl der Kunden und das Angebot der Buchproduzenten und – händler zu erweitern. So haben Verlage den Großteil oder alle je bei ihnen erschienenen Bücher digitalisiert und diese sind jederzeit als E-Book oder auch als Hardcover erhältlich. Andere wieder ermöglichen den Kunden (z.B. Wissenschaftlern, Bibliotheken etc.) ihren Wunschreader mit mehreren Artikeln zusammen zu stellen und diesen dann ebenfalls als E-Book oder als Hardcover zu nutzen. Auch am Büchermarkt schreitet also die Individualisie-rung voran. Wichtig ist allerdings, dass wir Bücher als ein für Europa unverzichtbares Kulturgut betrachten. Ein Kul-turgut, das auch dazu beiträgt Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.

Von Frankfurt ging es zu einem – privaten – Wochenende nach München. Bei einem geführten Besuch in der “Neu-en Pinakothek” besuchte ich die mir ansonsten nicht so gelegenen Werke des neunzehnten Jahrhunderts. Dabei fiel mir die “Liebe” der deutschen Künstler zu Italien und zu Griechenland auf. Eine Liebe, die ich jedenfalls bei der

deutschen (und österreichischen) Bevölkerung von heute vermisse. Dabei fand nicht nur die Antike sondern auch die damalige griechische und italienische Gegenwart viele deutsche Bewunderer. Ich verlange ja nicht gerade Bewunderung für die heutige Situation in diesen beiden Ländern, aber ein wenig mehr Verständnis und Solidarität wäre doch angebracht.

Sonntagabends ging es dann nach Košice in der Ostslo-wakei. Košice ist gemeinsam mit Marseille heuer europäi-sche Kulturhauptstadt. Das nahm ich zum Anlass ein Event unserer Diskussionsreihe “Neustart für Europa” in Košice vorzuschlagen. Ich hatte schon einmal Košice besucht, al-lerdings ausschließlich unter dem Aspekt der Romafrage. Jetzt ging es vor allem die Frage inwiefern Kultur, Kunst und Kreativität, Arbeitsplätze schaffen können.

Dennoch verlor ich die Aufgabe der Integration der Roma nicht aus den Augen. Der erste Besuch galt auch einer be-rufsbildenden Schule bzw. einem Schulverbund der sich vor allem auch der Integration der Roma widmet. Dabei stand die Ausbildung in traditionellen Berufen im Mittel-punkt. Aber die Besonderheit war die Ausbildung von jun-gen Menschen – Roma und Nicht-Roma – die den notwen-digen Schulabschluss nicht geschafft haben.

Auch der Konzern US Steel der in Košice ein großes Stahl-werk gekauft hat, hat ein eigenes Programm zur Integra-tion der Roma entwickelt. Auch hier geht es um solche Roma, die nicht eine normale Berufslaufbahn eingeschla-

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gen haben. Dabei müssen die Roma, die das besondere Förderprogramm in Anspruch nehmen versprechen, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken. Denn die Schulab-senz ist nach wie vor ein großes Problem. Allerdings gibt es bei entsprechenden Bemühungen auch Schulen, wo die Anwesenheitsrate der Roma die höchste ist.

Bei einem Gespräch mit Vertretern der Roma Gemein-schaft ging es vor allem um die Schulproblematik. Noch immer gibt es einige ausschließlich von Roma Kindern be-suchte Schulen bzw. Schulklassen. Und das ist sicher nicht der Integration förderlich. Vor allem aber gibt es keine besondere Sprachförderung im Kindergartenalter oder beim Eintritt in die Schule. Für Kinder, die zu Hause nur die Romsprache sprechen, schafft das einen kaum aufhol-baren Rückstand. In all meinen Medienkontakten betonte ich daher die Wichtigkeit des Ausbaus der Kindergärten und der Sprachförderung in der Volksschule.

Natürlich ging es beim Besuch des US Steel Košice Unter-nehmens auch um den Erhalt und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Und für die Stahlindustrie ist es nicht leicht in Europa angesichts der relativ hohen Energiepreise – im Verglich zur Ukraine, Russland aber auch zu den USA. Auch die europäische Umweltgesetzgebung macht es der Industrie in Europa nicht leicht. Natürlich können wir nicht auf eine laufende Verbesserung unserer Umweltge-setzgebung verzichten. Aber sie muss jedenfalls so gestal-tet werden, dass sie nicht – in Verbindung mit den hohen Energiepreisen- die Industrie aus Europa vertreibt. Denn dann wird die globale Umweltbelastung stärker und die Arbeitsplätze gehen in Europa verloren. Und das hilft uns nicht!

Ein anderes Unternehmen, das ich in Košice besuchte war die deutsche Telekom Tochter T-Systems, die für große Un-ternehmen interne, geschlossene Informationssysteme entwickelt und betreibt. Sie beschäftigt fast drei tausend MitarbeiterInnen und kam nach Košice, obwohl sie keinen einzigen Kunden in der Slowakei hat. Aber die Kombinati-on von gut ausgebildeten Fachkräften, nicht zuletzt durch

die hiesige Universität, und einer hohen Arbeitslosigkeit (!) lockte das Unternehmen in diese Region. Aus- und Weiterbildung stehen in diesem Unternehmen im Mittel-punkt der Personalpolitik. Dabei geht es nicht nur um Fer-tigkeiten sondern vor allem auch um Kreativität.

Und damit wären wir beim Thema unserer Veranstal-tung im Rahmen von „Neustart für Europa“. Ein solcher ist nämlich nicht möglich, ohne auch der Industrie einen Neustart zu ermöglichen. Dabei brauchen wir traditio-nelle Unternehmungen wie die der Stahlindustrie, große Dienstleistungsunternehmer wie T-Systems, aber auch viele Unternehmungen die sich aus der Beschäftigung mit Kultur, Kunst, Design etc. entwickeln. Ohne diese “Indus-trien” werden wir die Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen. Und ohne erfolgreichen Kampf gegen Arbeitslosigkeit werden wir die Vielfalt der Kultur und den entsprechen-den “Kulturkonsum” nicht aufrechterhalten können. So ist in den letzten Jahren in Italien und Spanien der Bücher-absatz deutlich zurückgegangen. Und beide Länder ha-ben gerade bei der Kultur gespart! Und das hilft nicht den Menschen die einen Arbeitsplatz suchen.

Daher müssen wir diesen Teufelskreis durch eine Ände-rung der Austeritätspolitik durchbrechen. Kultur und vor allem Respekt gegenüber Minderheiten wie den Roma und deren Integration benötigen eine andere Wirtschafts-politik. Wachstum und Beschäftigung helfen auch der Durchsetzung von Grundwerten auf die wir Europäer so stolz sind!

Im IranReise ins Unbekannte20.Oktober, Teheran

Nun ganz unbekannt ist mir der Iran, wohin mich meine Reise führte nicht. Ich habe nicht nur viel über das Land gelesen und gehört, sondern ich war auch schon vor vie-

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len Jahren mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im EU Parlament, Enrique Baron, im Iran. Präsident war damals Mohammed Khatami und Prä-sident des iranischen Parlaments – der Majlis – war ein späterer Präsidentschaftskandidat namens Karubi, der noch immer unter Hausarrest steht. Aber die Dinge haben sich doch geändert seit Hassan Rohani zum neuen Präsi-denten gewählt wurde.

Ich bin nicht naiv und weiß auch, dass es noch viele rück-wärtsgewandte und undemokratische Kräfte gibt. Aber die neuen Signale, die von Rohani und seinen Leuten ausgehen, die muss man mit gutem Willen beantworten. Und das tat ja schließlich auch Präsident Obama, als er mit Rohani ein langes Gespräch führte. Ohne Illusionen machte ich mich auf den Weg in den Iran und mit viel gu-tem Willen, meinen Beitrag zur Entspannung zu leisten. Für mich gibt es drei Gesprächsthemen, die nach wie vor die großen Differenzen mit dem Iran kennzeichnen.

Mittlerer Osten frei von Atomwaffen statt Nuklearwaffen für den IranAn der Spitze der Gespräche steht sicher die die atomare Frage. Die EU und die USA und auch viele andere Staaten wollen keine iranische Bombe. Ich will überhaupt keine Atombombe, aber ein Wettrüsten im nach wie vor fragi-len und unsicheren Nahen Osten ist besonders proble-matisch. Sicher, Pakistan hat die Bombe und so auch In-dien und Israel. Aber eine atomare Bewaffnung des Irans macht die Situation dieser Region nicht sicherer. Ein neu-es Wettrüsten durch Saudi-Arabien, Ägypten und anderen ist in diesem Fall zu befürchten. Darum sollten wir jegliche atomare Rüstung eines zusätzlichen Landes vermeiden und im Gegenteil einen atomwaffenfreien Mittleren Os-ten anstreben.

Die Bedeutung des Irans für Frieden und Stabilität im Vor-deren Orient anerkennenDer Iran ist eine wichtige Regionalmacht, die in jegliche dauerhafte Regelung im Nahen Osten einzubinden ist. Na-türlich weiß ich um die größer gewordenen Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten und damit auch zwischen dem Iran und Ägypten einerseits und dem Iran anderseits. Man kann das auch am syrischen Konflikt ablesen. Da fin-det unter anderem ein Stellvertreter-Krieg zwischen den beiden Religionen und den entsprechenden Staaten statt. Beide Seiten liefern Waffen, die einen an das Regime von Bachir Assad und die anderen an die Rebellen, jedenfalls an die radikal-sunnitischen unter ihnen.Es waren vor allem die Amerikaner, die dem iranischen Regime geholfen haben, ihre regionale Stellung zu stär-ken. Einerseits, indem sie das dem Iran feindlich gesinnte Taliban Regime in Afghanistan mehr oder weniger erfolg-reich bekämpft haben. Anderseits, indem sie das sunniti-schen Regime von Saddam Hussein beseitigt haben und den Weg für eine vom Iran abhängige Regierung freige-

macht haben. Und es ist auch bekannt, dass der Iran im Libanon einen großen und nicht immer positiven Einfluss hat. Schon aus diesen Gründen bleibt nichts anderes üb-rig, als mit dem Iran über die Stabilität in dieser Region direkt zu verhandeln. Und auch deshalb sollte man auch die Iraner zu den Genfer Gesprächen für eine zukünftige Lösung des Syrien Konflikts einladen.Für das Selbstbewusstsein der Iraner ist es wichtig, als Regionalmacht anerkannt zu werden. Und nach all dem, was insbesondere die USA dem Iran im Laufe der letzten Jahrzehnte angetan haben, ist dies verständlich. Ich er-innere nur an das Ende des frei gewählten Ministerprä-sidenten Mossadegh, der mit großer Unterstützung der USA gestürzt wurde, nachdem er vorhatte die westlichen Ölgesellschaften zu verstaatlichen. Und auch sonst hat die tatkräftige Unterstützung des Schahs von Persien viel Ver-trauen in den Westen vernichtet.

Menschenrechte im Iran stärkenVielfach in den Hintergrund der öffentlichen Diskussion ist die Lage hinsichtlich der Menschenrechte im Iran getre-ten. Diese ist aber nach wie vor erschreckend schlimm. Viele sitzen aus politischen Gründen im Gefängnis und auch wenn Präsident Rohani einige vorzeitig entlassen hat, ist die Situation keineswegs befriedigend. Und na-türlich werden wir auch weiterhin gegen die Todesstrafe, die im Iran gegen Frauen besonders grausam vollstreckt wird, kämpfen. Freie Meinungsäußerungen und eine echte politische Vielfalt stehen noch immer nicht auf der Tagesordnung. Daher brauchen wie seitens der EU einen effizienten und nachhaltigen Menschenrechtsdialog mit dem Iran.

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Ausblick auf die GesprächeWie oben erwähnt, sind wir maximal am Beginn eines neuen Verhältnisses zwischen dem Iran einerseits und der EU sowie den USA anderseits. Dem israelischen Minister-präsidenten Netanyahu und einigen anderen Hardlinern gefällt die Gesprächsbereitschaft der Iraner ebenso wenig wie die westlicher Politiker. Aber Netanyahu und ähnlich Denkende – wie zum Beispiel im US Senat – wollen weder mit dem Iran noch mit den Palästinensern reden. Frieden ist nicht etwas was bei ihnen hoch oben auf der Prioritä-tenliste steht. Stabilität wollen sie, aber nur eine solche die ihnen Dominanz und eine weitere Expansion der ille-galen Siedlungen garantiert. Jedenfalls fürchten sie, dass ihnen mit und durch eine Änderung der iranischen Politik ein Hauptfeind abhandenkommt. Manche bedauern viel-leicht sogar, dass der frühere Präsident Ahmadinedschad mit seiner hasserfüllten Rhetorik gegen Israel von der po-litischen Bühne verschwunden ist. Ich bin jedenfalls froh darüber.

Verantwortliche Politik heißt sich auch auf ein Risiko ein-zulassen. Ein altes Sprichwort sagt: “Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten”! Ich glaube aber, dass, wer den Frieden will, auch versuchen muss, ihn auch durch Gespräche und Verhandlungen zu erreichen. Das ist jeden-falls die europäische Version der Friedenspolitik. Und man sollte auch geschichtliche Ereignisse nicht überstrapazie-

ren. Immer wieder wird – auch im Falle des Irans – das zum Verhandeln bereiten “München” entgegen gehalten. Aber Hitlerdeutschland war ein eindeutig auch nach au-ßen aggressives und zu Eroberungen bereites Land. Man kann dem Iran viel vorhalten, aber es ist keine mit Hitler-deutschland vergleichbare Eroberungspolitik erkennbar.Und was die Unterstützung ausländischer politischer und militärischer Kräfte betrifft, so gibt es auch andere Länder in der Region wir Saudi Arabien, Quatar etc, die ähnliches unternehmen. Iran ist keineswegs unschuldig an der In-stabilität in seiner Nachbarschaft, aber da steht es nicht alleine dar. Wichtig ist es jedenfalls zu versuchen die Ent-wicklungen zum Besseren zu verändern. Zumindest ist es wert, dies zu versuchen.

Wesentliches Ziel der neuen Regierung im Iran – offen-sichtlich mit Unterstützung des obersten religiösen und damit auch weltlichen Führers Ali Khameni – dürfte es sein, die harten Sanktionen der USA und der EU aufzu-heben. Dabei sollte man sich aber keine Illusionen im Iran machen. Niemand wird bereit sein, diese Sanktionen aufzuheben oder gar nur zu lockern, ohne dass es klare Fortschritte bei den Atomgesprächen gibt. Allzu oft sind wir in der Vergangenheit von der Umsetzung bzw. Nich-tumsetzung von Versprechungen enttäuscht worden. Da-her brauchen die VerhandlerInnen der EU und der USA nicht nur Versprechungen, sondern auch Taten. Taten, die

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auch von den Inspektoren der Internationalen Atomener-giebehörde in Wien überprüft werden können. Ich hoffe, dessen sind sich alle im Iran bewusst.

Der Verlauf der GesprächeÜber all diese drei Themen könnten wir mit den verschie-denen Gesprächspartnern in aller Offenheit reden. Die Gesprächspartner waren hochrangige Vertreter des Par-laments, der Majlis, sowie der Regierung aber auch Jour-nalisten und Mitglieder der Zivilgesellschaft. Aus all den Gesprächen konnten wir die Angst erkennen, dass die Re-former unter Präsident Rohani Schiffbruch erleiden wür-den, wenn es vor allem in der atomaren Frage zu keiner Lösung kommen würde.

Dabei machte ich darauf aufmerksam, dass es des guten Willens beider Seiten bedarf, um einen Kompromiss zu schließen. Wobei man auf der westlichen Seite zwischen den Europäern und den Amerikanern unterscheiden muss. Gerade in den USA gibt es eine Reihe von Vertre-tern des Kongresses die ohne Verständnis der sensiblen Lage im Iran sogar noch mehr Sanktionen verlangen, um den Iran gefügig zu machen.

Nun, was die Sanktionen betrifft, gibt es sehr unterschied-liche Meinungen über die Auswirkungen auf die Bevölke-rung. Einerseits gibt es jedenfalls in Teheran keine sicht-baren Versorgungsengpässe und überall ist Coca Cola – im Iran produziert – erhältlich. Anderseits dürften die ärme-ren Schichten unter den Sanktionen leiden, insbesondere betreffend Medikamente. Auf der anderen Seite hingegen gibt es wie bei allen Sanktionen Leute, die aus ihnen einen hohen Profit ziehen und zwar durch einen ausgedehnten Schmuggel, der zu entsprechend hohen Preisen führt.

Mein Eindruck ist, dass die Sanktionen nicht unmittelbar einen einschneidenden Effekt haben, aber die Entwick-lung des Irans in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht sehr einschränken. Auch im Iran entsteht langsam eine Mittelklasse, die mit den verschiedenen Einschränkungen nicht zufrieden ist und die von den Machthabern Ände-rungen verlangen, der Hinweis auf die böse USA (und die EU) zieht nicht mehr so richtig. Um solche drohen-de Spannungen abzuwehren, versuchte der Präsident-schaftskandidat Rohani ein Programm der Änderungen den WählerInnen schmackhaft zu machen. Nachdem ihm die WählerInnen das Vertrauen schenkten und damit kla-re Signale an die Politik gesandt haben, hat auch der sehr konservative religiöse Führer Khameni, die oberste Auto-rität im Staat, Rohani im wesentlichen bisher Rückende-ckung gegeben. Aus meiner Sicht sind die Bemühungen von Präsident Rohani um eine Lösung der atomaren Frage ernst zu nehmen. Sie sind nämlich die Voraussetzung für die Lockerung und dann Aufhebung der Sanktionen.

Ebenso ernst nehmen die Iraner das Angebot, an einer Lösung der Syrienfrage mitzuwirken. Sie haben dabei das Interesse an einem einheitlichen Syrien mit stärkerer Stellung der den Schiiten verwandten Alawiten. Aber das muss nicht unbedingt durch einen Verbleib von Bachir As-sad ausgedrückt werden. Die Hauptfeinde des Iran sind die “sunnitischen” Terrorgruppen, die teilweise durch Saudi Arabien und Quatar unterstützt werden. Auch das sollte eine Frage sein, wo die EU gemeinsam mit dem Iran vorgehen könnte. Durch eine vorsichtige Unterstützung der regionalen Rolle des Irans könnte der negative Einfluss radikaler sunnitischen Gruppierungen in Schach gehalten werden. Sicher gibt es dann noch den problematischen Einfluss des Iran im Libanon und seine Haltung gegenüber Israel. Aber auch die war einmal durchaus positiver. Und müsste es natürlich wieder werden.

Aber auch im Inneren haben sich die Verhältnisse – jeden-falls vorläufig – zum Positiven gewandelt. Die Aktionen der unsäglichen Sittenpolizei sind stark eingeschränkt worden und die Menschen sind freier und fröhlicher geworden. Und vor allem gibt es auch bei den Medien eine wachsen-de Vielfalt und gesteigerten Mut einzelner Journalisten. Und zumindest bleibt zu hoffen, dass bald mehr politische Gefangenen freigelassen werden und auch generell poli-tische Aktivitäten sich frei entfalten können. Was die To-desstrafe allerdings betrifft, müssen wir – so fürchte ich - noch lange auf die Abschaffung warten, aber das trifft nicht nur den Iran.

Hinsichtlich der Menschenrechte hatten wir sehr ange-regte Diskussionen. So schnell werden wir uns da nicht verständigen können. Auch das Verhalten gegenüber dem prominenten Filmemacher Jafar Panahi ist für uns unver-ständlich. Er hat ein langjähriges Filmverbot bekommen. Glücklicherweise konnten wir ihn, dem vom EU Parlament ein Menschenrechtspreis (Sacharow-Preis) verliehen wur-de, bei einer informellen Begegnung treffen. Er ist äußerst bescheiden und sympathisch, und alles andere als ein Ra-dikaler. Und der Iran sollte wirklich seine Künstler und In-tellektuellen nicht bestrafen und diskriminieren sondern schätzen und fördern.

Niemand weiß, wie nachhaltig die von uns beobachteten Veränderungen sind. Aber all die Reformkräfte, vor allem der jungen Generation, hoffen auf ein Entgegenkommen des Westens und auf eine Verstärkung des Dialogs zwi-schen dem Iran und den westlichen Vertretern. Und wir sollten sie nicht enttäuschen. Dabei waren unsere Ge-sprächspartner gar nicht von den Reformkräften im Lan-de. Sie waren Anhänger des religiösen Führers Khameni, die aber, so wie Khameni selbst, dem neuen Präsidenten eine – bedingte – Unterstützung gewähren. Sie sind reli-giös konservativ, aber politisch moderat. Und das ist eine Chance für die IranerInnen, aber auch für Europa.

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In ChinaShanghai – Stadt der Rekorde4. November, Shanghai

”Unprecedented reform promise“ posaunt die chinesi-sche, englischsprachige Zeitung “Shanghai Daily” hinaus. Also bisher nicht für möglich gehaltene Reformen – auf wirtschaftlichem Gebiet – sollen beim kommenden Ple-num der KP Chinas angekündigt werden. Shanghai ist ei-ner jener Orte, wo die Reform unmittelbar greifen soll. Denn schon vor einiger Zeit wurde angekündigt, dass in dieser größten Stadt – nicht nur Chinas sondern der Welt eine Freihandelszone errichtet werden soll. In dieser Zone sollen bisher in ganz China geltende Beschränkungen für ausländische Investitionen aufgehoben werden. Und sie soll, falls erfolgreich, den wirtschaftlichen Weg Chinas vorzeichnen. Inzwischen gibt es laut China Daily, der eng-lischsprachigen Zeitung, bereits viele Anmeldungen für Investitionen in dieser Modell-Freihandelszone.Dem Eindruck, den man in Shanghai bekommt, ist ohne-dies der, dass hier der Kapitalismus blüht und zwar stär-ker als in Europa. Die Beschränkungen sind eher politisch und sozial als wirtschaftlich. Im Rahmen unseres kurzen Aufenthalts besuchten wir auch das große Telekomunter-nehmen HUAWEI. Gefragt nach den gewerkschaftlichen Rechten, meinten die Unternehmensvertreter, dass sie selbstverständlich alle Gewerkschaftsrechte in den eu-ropäischen Niederlassungen respektieren. Aber in China spielen Gewerkschaften keine große Rolle bzw. dürfen sie keine große Rolle spielen. Das Unternehmen ist sehr leis-tungsorientiert und diejenigen die, die, entsprechenden Leistungen erbringen, können dann auch Aktien kaufen und partizipieren an der Dividende!Für uns Europäer war jedenfalls interessant, dass HUAWEI auch in Europa expandieren will, vor allem im Bereich von Forschung und Entwicklung. Denn das Unternehmen

schätzt die gut ausgebildeten Fachkräfte wie Ingenieure etc. Europa ist aber auch ein wichtiger Standort auf Grund der Regulierungen, die vielfach weltweit gelten. Das un-terstreicht auch die Bedeutung europäischer Gesetzge-bung, indem sie Standards weltweit setzt, für Arbeits-plätze in Europa. Sicher investiert HUAWEI auch deshalb in Europa, weil es sich damit nicht nur als chinesisches Unternehmen sondern auch als europäisches darstellen kann. Und damit hoffen die Manager, dem in Europa dis-kutierten Dumping-Verfahren zu entgehen. Erwähnens-wert ist auch, dass Unternehmen wie HUAWEI, indem es selbst immer mehr Patente erwirbt, ein verstärktes Inter-esse am Schutz von Patenten und Copyright hat.Im Gespräch mit einem hochrangigen Vertreter der KP Chinas aus Shanghai, einem ehemaligen Botschafter in Irland, ging es auch und vor allem um die Stellung Shang-hais als Wirtschaftszentrum. Die Orientierung auch der KP an Voraussetzungen für weiteres wirtschaftliches Wachs-tum und für die Attraktivität für ausländische Investitio-nen ist klar erkennbar. Und da kommen dann politische Reformen und die Lockerung des Polizeistaates zu kurz. In manchen Fällen werden die von der Bevölkerung kriti-sierten Funktionäre zwar inzwischen entlassen, in ande-ren Fällen werden aber nach wie vor die Kritiker bestraft. Aber der Kampf gegen die Korruption, der steht prinzipiell hoch oben auf der Prioritätenliste der KP.Shanghai ist heute eine moderne weltoffene Metropole, die aber auch viele heimische chinesische TouristInnen anzieht. Besonders der “Bund”, die Promenade der ehe-maligen britischen “Konzession” entlang dem Fluss und mit Blick auf die neu entstandenen Hochhäuser in Pudong zieht Massen von Besuchern an. Aber unmittelbar neben den neuen, durch Wolkenkratzer gekennzeichneten Ge-bieten, gibt es nach wie vor die alten, traditionellen Vier-tel mit der Mischung von Wohnen, Arbeiten und Handel. Und genau diese Kontraste, die in Shanghai besonders ausgeprägt sind, machen die Stadt so faszinierend. Ich hoffe, Shanghai kann diese Vielfältigkeit auch in Zukunft

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behalten. Und an sozialen und demokratischen Elemen-ten zulegen.

Peking – altes und neues Zentrum eines Großreiches5. November, Peking

Nach einem interessanten Gespräch mit einem Professor der Shanghai Universität, der sich vor allem auch mit euro-päischen Fragen beschäftigt, ging es dann nach Peking. Die Hauptstadt empfing uns mit dem auch schon aus den eu-ropäischen Medien bekannten Smog, der die Umweltpro-bleme des Landes verdeutlichte. Der verdunkelte Himmel und die durch den Smog nur schwach durchscheinende Sonne gaben unserem Besuch in der “Verbotenen Stadt” einen leicht mystischen Anstrich. Obwohl sich sicher das heutige China vom kaiserlich/imperialen abgrenzt, so ver-weist es doch gerne auf die Mächtigkeit des alten Chinas, das in den Palästen der “Verbotenen Stadt” klar zum Aus-druck kommt. Das Zentrum der heutigen Macht ist nicht zufällig an das der alten Macht angegliedert. Auch heute fühlt sich das Reich der Mitte wieder als mächtig und ein-flussreich und will das durchaus zeigen. Der Smog sollte noch einen Tag länger die Stadt verdunkeln. Peking wirkte grau und in eine andere Zeit zurückversetzt. Dann aber kam der Wind und die Stadt präsentierte sich in einem an-deren Kleid. Die Sonne und der blaue Himmel verwandel-ten die Stadt in eine hell leuchtende moderne Metropole. Und dieses Wechselspiel ist symbolisch für die wirtschaft-liche, politische und soziale Situation im heutigen China. Interessant ist jedenfalls, dass die offiziellen Vertreter der KP China keineswegs als ideal und perfekt darstellen. Sie sehen China auf einem Weg der Veränderung, der Refor-men und der Öffnung. Dabei steht zugegebenermaßen die wirtschaftliche Dimension im Vordergrund. So sehen es auch die Vertreter der europäischen Unternehmer und diejenigen, die an der Verbesserung der Arbeitsbedingun-gen und der Erhöhung der Löhne arbeiten. Dabei trafen wir sowohl VertreterInnen der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, die in China an der Umsetzung der verschiedenen internationalen Konventionen zugunsten der Arbeitnehmer arbeiten als auch eine Organisation, die sich um die chinesischen Wanderarbeiter kümmert. Sie bezeugen, dass sich China seit einiger Zeit bemüht, insbesondere durch die Gesetzgebung, die Rechte der

Arbeitnehmer zu stärken und – in Vereinbarung mit den Staats- Gewerkschaften(!) – die Löhne zu erhöhen. Dabei gilt es viele Hürden zu überwinden. Einerseits gibt es kei-ne Möglichkeiten für unabhängige Gewerkschaften und andererseits können die Arbeitnehmer sich zwar frei be-wegen in China, sie bleiben allerdings mit ihren Familien und samt ihren Rechten an ihre Heimatgemeinden gebun-den. Das ist das sogenannte Hukou System, das sich sehr zum Nachteil der Wanderarbeiter und einer modernen Wirtschaft ausgewirkt hat. Daher wird überlegt es bald aufzulockern oder ganz aufzugeben. Neben den sozialen Rechten stehen die Umweltfragen seit einiger Zeit im Mit-telpunkt öffentlicher Diskussionen und Beratungen der Partei. Der immer wieder auftretende Smog in Peking und die zum Teil katastrophale Qualität des Wassers machen es unmöglich, die Umweltprobleme zu leugnen. Die alten traditionellen Industrien befinden sich in einer Region mit einer stark gestiegenen Motorisierung und einer extre-men Bautätigkeit. Dies hat gerade in Städten wie Peking mit ihren zig Millionen Einwohner die Luftqualität mas-siv verschlechtert. Die Verbesserung der Umweltgesetz-gebung und die Zurückschraubung umweltschädigender Produktionen sollen jetzt Abhilfe schaffen. China will ein modernes Industrieland mit hoher Lebensqualität wer-den. Allerdings wissen sie selbst, dass der Weg dorthin noch weit ist. Und dass es Widerstand von denen gibt, die an den alten Industrien verdienen, das sind nicht zuletzt Staatsbeamte, deren Löhne vom Wachstum in ihren Regi-onen abhängen.Zwischen dem 9. und 12. November soll das “3. Plenum des 18. Zentralkomitees der KP Chinas” tagen und die neuen Reformen in Gang bringen. Bereits in den letzten Wochen wurde eifrig über die Richtung und das Ausmaß der Veränderungen diskutiert. In all den Gesprächen hat man schon die Diktion und die Linie, die von “oben” kommt, spüren können. Einige verwiesen da-rauf, dass es sich um eine Fortsetzung der Reformen von Den Xiaoping handelt, dem großen Reformer, der nach Mao als der entscheidende Staatsmann Chinas gilt. Zwar prangt das Portrait Maos groß auf einem Gebäude vis-a-vis des Tiananmen Platzes aber in den Gesprächen findet er hier keine Erwähnung. Zum Unterschied des großen Wirtschaftsreformers, der allerdings,wie seine Nachfol-ger, die politischen Reformen in engen Grenzen gehalten hat.

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Persönliches Resümee7. November, Brüssel

Es ist schwierig, eine kurze Reise nach China zusammen-zufassen. Unterschiedliche Eindrücke prasseln auf einen nieder. Aber es sind nicht nur die Eindrücke, die wider-sprüchlich sind, sondern auch die Realität. Von chinesi-scher Seite wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass China ein Entwicklungsland ist. Darauf entgegnete ich mit Hinweisen auf die Situation in Städten wie Peking oder Shanghai. Sie sind ultramodern, aber sicher sieht die Situation in vielen ländlichen Regionen anders aus.

China hatte jedenfalls nicht die Gelegenheit die Entwick-lung der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Umwelt in historischen Schritten zu gestalten. Europa hatte die-se Chance in viel stärkerem Ausmaß. Den Schritten der wirtschaftlichen Entwicklung folgte jeweils der gesell-schaftliche Fortschritt mit zunehmender Demokratisie-rung. Und auch die Sorge um die Umwelt begann erst, als ein bestimmtes Minimum an Güterversorgung und auch tendenziell Vollbeschäftigung erreicht wurde. China hingegen hat noch eine große Anzahl von Menschen in den ländlichen Regionen, hat noch viele alte, umweltver-pestende Industrien aber schon einen hohen Motorisie-rungsgrad, vor allem in seinen Großstädten wie Peking. Die “alten” Emissionen aus den Industrien, die im Um-kreis von Peking noch besonders häufig anzutreffen sind, treffen auf die “neuen” Emissionen aus dem Autoverkehr (Peking hat 5 Millionen Autos!). Der rasche Ausbau der In-frastruktur hat nicht genügend Mittel für die Modernisie-rung und Ökologisierung von Industrie und Konsum übrig gelassen. Das muss alles jetzt nachgeholt werden und zwar in allen Regionen des Landes, oft weit entfernt von der ” Kommandozentrale ” in Peking. Und damit ist ein anderes schwieriges Thema angeschnitten: wie kann man ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen regieren? Wieviel Macht -und damit auch Geld – soll auf die fünf verschie-denen politischen Ebenen verteilt werden? Und das gilt für die offizielle Ebene aber auch für die dominierende Kommunistische Partei, die eine kontrollierende Parallel-struktur aufgebaut hat.

Bei alldem muss man noch die Rolle der Minderheiten und der von ihnen bewohnten Regionen berücksichtigen, insbesondere Tibet und die westliche Provinz Xinjiang, die vor allem von muslimischen Uighuren bewohnt ist. Immer wieder kommt es in diesen Provinzen zu Unruhen gegen diskriminierende Handlungen seitens der Han (chi-nesische Mehrheit). Sogar während unseres Aufenthalts in Peking kam es einige Gehminuten von unserem Hotel entfernt zu einem Selbstmordattentat, durch das auch Un-schuldige getötet und verletzt wurden. Die Kommunisti-sche Partei Chinas wird sich etwas überlegen müssen, wie sie auch das politische System modernisieren und dezen-tralisieren kann, ohne dem Zerfall des Landes Vorschub zu leisten. Immer wieder wird die Gefahr des Zerfalls des Landes nach dem ” Vorbild” der Sowjetunion/ Russlands an die Wand gemalt. Das ist das große Schreckensbild,

das den chinesischen Funktionären Angst macht. Und in der Tat, auch wir sollten kein Interesse am Zerfall Chinas haben, denn dieser Prozess würde keineswegs so “fried-lich” ablaufen, wie bei seinem Nachbarn Russland. Aber ein großes Reich kann nicht mit mehr Konsum einerseits und Kommandos und Polizeieinsatz anderseits zusam-mengehalten werden. Viele Beobachter im Westen und darunter leider auch einige JournalistInnen, die wir in Peking getroffen haben, sehen die Dinge, insbesondere die Menschenrechtsfrage, nur unter einem westlichen Gesichtspunkt. Ich verstehe den Ärger über unzulässige und inakzeptable Beschränkungen für die JournalistInnen. Aber für mich zählen zu den Menschenrechten nicht nur die politischen Rechte sondern vor allem die Rechte der ArbeitnehmerInnen auf gerechte Entlohnung und faire Behandlung, das Recht auf sauberes Wasser und saube-re Luft, auf eine entsprechende Gesundheitsversorgung und ein ausgedehntes System der sozialen Sicherheit etc. Und da hoffe ich auf weitere Fortschritte und zwar schon mit dem “Novemberplenum” des Zentralkomitees der KP. Je mehr sich China an das europäische Modell annähert, desto mehr kann daraus ein faires und gleichgewichtiges wirtschaftliches und politisches Verhältnis entstehen. Vor allem dann, wenn wir uns nicht an das heutige China, sein Lohnniveau und sein lückenhaftes Sozialversicherungssys-tem annähern. Denn das würde kein nachhaltiges System darstellen. Die Annäherung muss den umgekehrten Weg gehen und dabei sollten wir China mit unserem Know how und unserer Erfahrung helfen. Wir sollten allerdings berücksichtigen, dass wir China nichts aufzwingen können und dass die chinesische Führung sehr langfristig denkt und rasche Demokratisierungsschritte nicht zu erwarten sind. Aber der Dialog und gegenseitige Besuche, vor allem auch von StudentInnen und Touristen, sind wichtig, um Berührungsängste und Vorurteile abzubauen. Auch wir sollten einen langen Atem haben. China will von Europa lernen, ohne Europa zu imitieren. Aber auch wir können von China lernen. Nämlich, dass wir die Vorteile der Globalisierung nur nützen können, wenn wir uns zusammenschließen und eine klare Strategie ent-wickeln. Wenn wir glauben, wir können jeder für sich Vor-teile erreichen gegenüber großen Akteuren wie USA, Chi-na und anderen, irren wir. Angesichts der Verschiebung wirtschaftlicher und politischer Macht in Richtung Pazifik sollten wir uns besonders um Einheit und Stärke in Europa bemühen. Und natürlich sollten wir an der aufstrebenden Region wirtschaftlich und politisch teilhaben.

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Besuch bei Airbus in Hamburg9. November, Hamburg

Wo immer es geht, besuche ich bei meinen Terminen in verschiedenen europäischen Ländern auch Unterneh-mungen bzw. Betriebe. Die Sicherung von Arbeitsplätzen bzw. die Schaffung neuer ist ja ein zutiefst sozialdemokra-tisches Anliegen. So habe ich anlässlich von politischen Verpflichtungen in Kiel und Hamburg auch das Airbus Werk in Hamburg besichtigt. Bereits 2011 besuchte ich ein Airbus Werk, aber damals war es die Produktionsstät-te in Tianjin in der Nähe von Peking. Diesmal war es der Mutterbetrieb mit einer nahezu identischen Halle für die Produktion des A 320 in Hamburg.EADS, wie die Mutter von Airbus noch heißt ist wahr-scheinlich die einzige industrielle Erfolgsgeschichte Eu-ropas. Oder eigentlich müsste man sagen Airbus ist die Erfolgsgeschichte, denn der Rüstungsteil von EADS ist we-niger erfolgreich, daher auch die bevorstehende Umbe-nennung in Airbus. Das Entstehen eines Flugzeuges ist ein komplizierter Prozess, der sich zum Teil über ganz West-Europa erstreckt. So werden zum Teil die Flieger – gewis-se Typen - in Hamburg zusammengesetzt, dann mittels Schiff und dann auf – in der Nacht gesperrten- Straßen nach Toulouse gebracht. Von dort wird nach dem Einbau der Motoren das Flugzeug nach Hamburg geflogen, wo die Sitze eingebaut werden.Angeblich gibt es diese Produktionsweise auch beim gro-ßen Konkurrenten Boeing, der seine Produktionen über mehrere Länder verteilt. Aber in Europa kommen natür-lich unterschiedliche staatliche Interessen hinzu, die je-denfalls bei der Rüstungsproduktion für einige Schwierig-

keiten sorgte. Aber zurzeit jedenfalls ist die Produktion auf Grund großer Nachfrage auf Jahre ausgebucht. Nachdem ich nach und von China mit dem Großraumflugzeug A 380 geflogen bin, war es interessant, die Produktion dieses durchgehend zweigeschossigen Flugzeugtyps in Hamburg zu sehen. Zum Unterschied der Fließbandproduktion des Autos geht es hier etwas “gemütlicher” zu, was auch am großen Anteil der Handarbeit liegt, die am ruhenden Flug-zeugrumpf zu erledigen ist.Der Großteil der Flugzeuge wird in Europa produziert. Aber wie erwähnt, gibt es schon seit einiger Zeit die Pro-duktion in Tianjin in China für den chinesischen Bedarf, der allerdings nicht ganz die chinesische Nachfrage de-cken kann. Bald soll ein Werk in den USA kommen. Na-türlich wünsche ich mir ausschließlich eine Produktion in Europa. Aber um global bestehen zu können, muss Airbus auch global produzieren. So wie das von mir besuchte chi-nesische Telekom-Unternehmen Huawei auch in Europa forscht und produziert. Aber so wie die chinesischen Un-ternehmen fest in ihrer Heimat verankert bleiben wollen, auch wenn sie global expandieren, so sollten auch euro-päische Unternehmen wie Airbus fest in Europa verankert bleiben. Bei aller globalen Arbeitsteilung sollten sie im-mer als europäische Unternehmen erkennbar sein.Was wir natürlich auch einfordern müssen, ist eine Bereit-schaft, die Emissionen wie Lärm, aber vor allem Abgase, deutlich zu reduzieren. Und Airbus macht dies auch. Da-bei ist die Reduktion des Treibstoffverbrauchs sowohl für die Umwelt als auch aus Kostengründen von Vorteil. Nicht begeistert ist Airbus von der vorgesehenen CO2 Steuer, jedenfalls so lange nicht dafür eine globale Regelung ge-funden wird. Und das verstehe ich auch, angesichts von Drohungen für ihr Geschäft seitens ausländischer Auf-traggeber, wie China etc. Ich glaube, wir müssen danach trachten, eine globale Lösung zu finden, wie das auch vor-gesehen ist.

In Hamburg

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Unterwegs11. November, Wien

Vergangene Woche sollte ich vier kurze Vorträge über und zu Europa halten. Dazwischen gab es viele „Routinetref-fen“, unter anderem eine Fraktionssitzung. Aber auch eine sehr gut besuchte und interessante Nah-Ost Konferenz. Was die Vorträge betrifft so hatte ich den ersten in Paris vor der Fraktion der französischen Sozialisten in der Na-tionalversammlung. Dann war ich eingeladen bei einem Empfang der „City of London“ in Brüssel, also der in Lon-don stationierten Finanzdienstleister zu reden. Auch die europäischen Arbeitgeber von „Business Europe“ hatten mich als Ehrengast zu ihrem Empfang nach einem Ge-spräch mit Barroso eingeladen. Und zuletzt sprach ich beim Programmparteitag der spanischen Sozialisten in Madrid. Eine recht bunte Palette von Einladenden also.Aber ich hoffe, dass ich einigermaßen kohärent meine Erklärungen abgab. Denn ich sehe viele Konfliktpunkte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, aber ich sehe auch Gemeinsamkeiten wenn es um die wirtschaftliche Zukunft Europas geht. Wir brauchen eine viel stärker auf Arbeitsplätze und damit auf Investitionen ausgerichtete europäische Politik. Inzwischen erkennt man sogar in den konservativen Kreisen Deutschlands, das wir weniger mit einer Inflation zu rechnen haben, als dass die Gefahr einer Deflation droht.Aus diesem Grund hat sich auch der Chef der Europäi-schen Zentralbank Drahgi durchgesetzt und eine Senkung der Leitzinsen erreicht. Aber das ist nicht genug. Einerseits könnte und sollte auch die Geldpolitik mehr tun, um die

Kreditvergabe an Unternehmungen, vor allem in den süd-lichen Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit, anzuregen. Da gibt es noch immer eine Kreditklemme, auch auf Grund zu hoher Zinssätze.Wir brauchen aber vor allem in Europa eine aktivere Fis-kalpolitik mit verstärkten Investitionen. Noch immer gibt es außer Erklärungen kaum Maßnahmen, um die unver-steuerten Gelder aus den verschiedenen Steuerparadie-sen zurückzuholen. Würde man nur einen Teil dieser Gel-der versteuern und in die Budgets führen, könnten diese über die Investitionen den Unternehmungen zugutekom-men und neue Arbeitsplätze schaffen.Darüber hinaus müssen wir natürlich auch die Risikofreu-de und den Optimismus, vor allem bei den jungen Men-schen stärken. Natürlich braucht es auch volkswirtschaftli-che Grundlagen dafür, wie stärkere Vergabe von günstigen Krediten und mehr öffentliche Investitionen in eine besse-re Ausbildung und effizientere Kommunikationsnetze etc. Aber Europa braucht auch ein neues – lokal und global - denkendes Unternehmertum.Da hat es mich besonders gefreut, dass in einem Arbeits-kreis des spanischen Parteitags, bei dem ich auch – ne-ben meiner Rede auf dem Parteitag selbst – einen kurzen Einführungsvortrag gehalten habe, einige Unternehmer eingeladen waren, die an konkreten Beispielen die Not-wendigkeit und die Möglichkeit eines neuen Unterneh-mertums dargestellt haben. Das dürfen wir Sozialisten nicht den Konservativen überlassen. Wir müssen die sein, die ein modernes Unternehmertum forcieren. Denn das ist auch im Interesse der Arbeitnehmer.

Von Unterwegs

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Klimapolitik und Wirtschaftskrise11. November, Wien

Wenige Tage nach dem furchtbaren Wirbelsturm in Süd-ostasien mit verheerenden Auswirkungen begann in War-schau die 19(!) Weltklimakonferenz. Es wird sich weisen, ob Warschau der geeignetste Ort für eine Konferenz zur Bekämpfung des Klimawandels ist. Denn die polnische Re-gierung ist oftmals ein Blockierer wenn es Fortschritte in der Klima- und Umweltpolitik betrifft.Der jetzige polnische Umweltminister verweist immer auf die Notwendigkeit globaler Vereinbarungen – und er hat dabei Recht! Aber wo er irrt ist, dass wir mangels solcher Vereinbarungen keine Maßnahmen in Europa selbst tref-fen sollten. Vorsicht ist sicherlich geboten, aber eine vor-bildliche Umweltpolitik kann unser Beitrag zum Erreichen von internationalen Abkommen sein.Vielfach wird der Einwand vorgebracht, dass wir uns kei-ne Verteuerung der Energie leisten können – angesichts der Tatsache, dass die Energie in den USA deutlich billi-ger geworden ist. Man darf natürlich den Wettbewerbs-vorteil der USA – nicht zuletzt auf Grund der ökologisch problematischen Gewinnung von Schiefer Gas – nicht unterschätzen. Aber die Behauptung des polnischen Umweltministers Marcin Korolec, dass die heutige Wirt-schaftskrise in Europa auf die teure Energieversorgung zurückzuführen ist, ist schlicht falsch und rein ideologisch.Wichtig ist die europäische Politik des Energiesparens. Das ist der größte Beitrag zur Reduzierung der Energieko-sten für die europäische Industrie. Es ist zwar nicht in al-len Produktionen gleich möglich und einige Investitionen europäischer Unternehmungen werden sicher in den USA unternommen werden, wie das auch die VOEST für einen energieintensiven Teil ihrer Produktion vorhat. Das wird man nicht verhindern können. Was wir aber brauchen ist mehr Wettbewerb innerhalb des europäischen Energie-marktes, um möglichst billige Angebote in ganz Europa zu bekommen. Denn sicher haben wir ein großes Interesse, möglichst viele Industrieunternehmungen in Europa zu halten.Gleichzeitig aber müssen wir die negativen Umweltaus-wirkungen der Energieproduktion und der Industrie ins-gesamt reduzieren. Zwar hat die schwache Wirtschafts-entwicklung auch die CO2 Emissionen gedämpft. Aber die Preise für Emissionszertifikate, also die Genehmigungen

für diese Emissionen sind in den Keller gefallen. Nach eini-gen Anlaufschwierigkeiten konnten sich das Europäische Parlament und der Europäische Rat auf Initiative der EU Kommission einigen, eine größere Summe dieser Zerti-fikate aus dem Markt zu nehmen. Damit sollte der Preis wieder auf ein Niveau angehoben werden, das zwar weit unter dem ursprünglich angestrebten liegt, aber doch ei-nen Anreiz zur Reduktion der Emissionen schafft. Aller-dings auch in diesem Fall war Polen dagegen.Aber selbstverständlich brauchen wir ein globales Abkom-men, um möglichst viel Umweltschutz zu vereinbaren und um die Wettbewerbsbedingungen der insgesamt ökologi-scheren europäischen Industrie zu verbessern. Dafür blei-ben die Verhandlungen aber schwierig. Denn einerseits fordern wir viel, unter anderem vom größten Umweltver-schmutzer China. Aber anderseits liegen die Industriestaa-ten, auch die in Europa, was den Energieverbrauch pro Kopf betrifft weit vorne. Auch bei meinem letzten Besuch in China vor wenigen Wochen wurde das angesprochen. Inzwischen jedoch, weiß China selbst wie wichtig Umwelt- und Klimaschutz für die Lebensbedingungen der eigenen Bevölkerung ist. Und ich erwarte mir einige einschneiden-de Maßnahmen zur Verbesserungen der Umweltsituation in China und damit global.Der führend Umweltwissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber, den ich bei einem meiner letzten Berlinauf-enthalte in seinem Potsdamer Institut getroffen habe und der mich sehr durch seine Seriosität und seinen Reali-tätssinn beeindruckt hat, meinte in einem Streitgespräch mit dem polnischen Umweltminister:„Die Natur wird zu uns sprechen, und zwar ernste Worte. Es wird Hitzewel-len geben, Fluten, Missernten – weil wir das komplexe Klimasystem massiv stören.“ Wir sollten die Zeichen der Zeit erkennen und uns bemühen, wirtschaftspolitische und klimapolitische Anstrengungen auf einen Nenner zu bringen.Die Wirtschaftskrise darf keine Ausrede sein, um den Kli-maschutz fallen zu lassen. Im Gegenteil. wir sollten durch vermehrte Investitionen in den Umweltschutz – Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Erhöhung der Energieeffizienz, Einfangen und Lagerung von CO2 (CCS) etc. – auch einen Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten. Die Lö-sung der wirtschaftlichen Probleme von heute und die Er-reichung klimapolitischer Ziel von morgen sind durchaus vereinbar.

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In MarokkoDeklaration von Marrakech15. November, Marrakech

Am Ende einer Woche mit verschiedenen Sitzungen und Veranstaltungen in Spanien ging es nach Marrakech zu ei-nem Event, das wir gemeinsam mit den marokkanischen Sozialisten veranstaltet haben. Teilgenommen haben aber auch SozialistInnen aus Ägypten, Tunesien, Algerien und Mauretanien. Das Thema war natürlich die Zukunft des Verhältnisses zwischen Europa und dem Maghreb, also der beiden Seiten des Mittelmeers. Unmittelbar davor hatten wir eine Diskussion zu diesem Thema in der Al-hambra von Granada in Andalusien.Es ist offensichtlich dass, wenn man eine Fraktionstagung der S&D Fraktion in Andalusien, konkret in Málaga abhält, das Thema des Mittelmeerraums eine große Rolle spielt. Durch viele Jahrhunderte – mit Unterbrechungen – waren die beiden Ufer eng miteinander verbunden. In griechi-scher, aber vor allem in römischer Zeit, während der isla-mischen Expansion (davon ist z.B. die Alhambra ein Zeug-nis), in Zeiten des Osmanischen Reiches und während der europäischen Kolonialisierung, gab es diese engen Ver-knüpfungen. Die kolonialisierten Bevölkerungen hatten allerdings nicht viel zu reden und waren mehr Opfer als Akteure der Entwicklung.Erst mit der Entkolonialisierung kam es zu einer nationa-len bzw. panarabischen Selbstbestimmung. Aber diese Selbstbestimmung betraf nicht immer die Bevölkerung bzw. die Einzelnen. Neue Machthaber etablierten sich zum Teil innerhalb von Einparteiensystemen. Eine nati-onalistische und oftmals antiislamische Ideologie wurde benützt um die Freiheit der BürgerInnen zu beschränken. Die Formen der Unterdrückung waren unterschiedlich und auch unterschiedlich brutal, aber keiner Bevölkerung blieben grobe Verletzungen der Menschenrechte erspart.Sicher hat der Arabische Frühling (oder besser haben die verschiedenen Frühlinge) die Situation geändert, aller-dings ist nirgends ein klarer Weg in Richtung Demokratie sowie wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt erkenn-bar. In Ägypten hat das Militär wieder die Macht über-nommen. Zwar dürften weite Teile der Bevölkerung damit einverstanden sein, da sie das Chaos unter der Herrschaft

der Muslimbrüder nicht mehr erdulden wollten. Aber eine neue lange Periode der Militärherrschaft kann sicher nicht als Fortschritt gegenüber dem Regime Mubarak ge-deutet werden. In Tunesien ist die erste Regierung auch gescheitert und man wartet auf eine nächste Übergangs-regierung. In Libyen herrscht ein ziemlich großes Chaos und niemand weiß wie es weitergeht. In Algerien weiß man auch nicht wie es weitergeht, aber hier, weil alle wie gebannt auf den Präsidenten Bouteflika und seine Gesundheit schauen. Hier gibt es kein Chaos aber dafür Stagnation und Blockade. (inzwischen wurde Präsident Bouteflika erneut für die Präsidentschaft nominiert).Am ehesten hat der Arabische Frühling noch in Marokko eine positive Wirkung gehabt. Der König hat die Chan-ce ergriffen und einige Reformen in Gang gesetzt. Es ist allerdings fraglich ob die von den “Islamisten” geführte Regierung viel daraus machen kann. Der Regierungschef und seine Minister haben wenig politische Erfahrung und bisher auch keine großen Leistungen vorzuweisen.Diese unterschiedlichen Entwicklungen mit kaum durch-schlagenden und erfolgreichen Reformen macht die Zu-sammenarbeit mit der EU nicht leichter. Dabei haben wir unsere eigenen Probleme zu lösen. Aber einen Teil unse-rer Probleme können wir nur durch enge Zusammenarbeit mit unseren südlichen Nachbar lösen. Und umgekehrt gilt das auch für sie. Die Bekämpfung des Terrorismus und des militärischen Djihads sowie des Drogenhandels und des Menschenhandels durch Schlepperbanden ist nur in enger Kooperation zwischen der EU und den Staaten des Maghreb möglich.Die wirtschaftliche Entwicklung des Maghrebs und seiner südlichen Anrainer ist dabei eine wichtige Voraussetzung für die Bekämpfung dieser illegalen Tätigkeiten. Daher sind auch die Abkommen über die Fischerei sowie über den Export landwirtschaftlicher Produkte sehr wichtig. Aber natürlich geht es auch um weitere Vereinbarungen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.Nicht immer gehen diese Abkommen leicht durch das eu-ropäische Parlament. Denn die von Marokko durchgeführ-te und vehement verteidigte Besetzung der Westsahara ist vielen ein Dorn im Auge. Nun auch ich glaube, dass diese Besetzung nicht rechtmäßig ist. Allerdings sehe ich nur in einer weitgehenden und auch international garantierten Autonomie eine Chance diesen Konflikt zu lösen. Leider ist diese Lösung noch immer für viele ein No-Go. Und kei-

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ne der beiden Seiten, wobei die Befreiungsfront Polisario vom Nachbarn Algerien unterstützt wird, ist wirklich be-reit an einer konkreten Lösung zu arbeiten. Und deshalb bleibt die ursprünglich anvisierte Maghrebinische Union zwischen Algerien und Marokko (und Mauretanien) ein Luftprojekt.

Die Appelle an die EU, die Länder des Maghreb stärker zu unterstützen, sind zahlreich. Aber leider stehen sich die Länder selbst oftmals im Weg. Und dennoch liegt es im ureigenen Interesse der EU diese Zusammenarbeit auszu-bauen.

Die extreme Rechte formiert sich18. November, Brüssel

Die extreme Rechte in Europa fühlt sich durch die Unzu-friedenheit der Bevölkerung mit der gegenwärtigen EU-Politik gestärkt. Das Unvermögen die großen Probleme wie die Arbeitslosigkeit zu lösen und eine Unzahl von Vor-schriften im Kleinen, die immer irgendeine Gruppe verär-gern, hat diese Unzufriedenheit in letzter Zeit besonders gestärkt. Die weit verbreitete und gebetsmühlenartig vor-gebrachte Ideologie für die Priorität des Sparens und des raschen(!) Defizitabbaus haben bisher die aktuellen Pro-bleme nicht gelöst aber auch nicht zu einer ausreichen-den Unterstützung der sozialdemokratischen Alternative geführt.Dieses Vakuum füllen die Nationalisten aus. Die allgemei-ne Tendenz vieler Regierungschefs zur Stärkung der natio-nalen, intergouvernementalen Methode in der EU unter-stützt sie dabei, zumindest indirekt. Ob die Versuche die vorwiegend nationalistisch orientierten Gruppierungen der Rechten zusammenzubringen von Erfolg gekrönt sein werden, kann noch nicht gesagt werden, aber wir müssen uns jedenfalls auf eine aggressiver werdende Rechtsgrup-

pierung einstellen. Dabei werden sie manche extremisti-sche Forderungen hinter “schönen” Phrasen verdecken, also Wölfe im Schafspelz.Der Sprecher der Nationalpopulisten im EU Parlament, der Brite Nigel Farage hat dies unlängst zum Ausdruck gebracht: „Wir wollen nicht die gemeinsame Fahne, nicht die Europahymne, keine Europapässe, wir wollen keine politische Union!“Aber es waren die nationalen Flaggen unter denen die Menschen in Europa gegeneinander in den Krieg zogen, wie vor beinahe hundert Jahren in den Ersten Weltkrieg. Die Europaflagge sollte das Ende dieses Gegeneinander symbolisieren. Die Europahymne ist eine Ode an die Frei-heit, die nach Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten der Unter-drückung die Freiheit ausruft.Die Europapässe sind Ausdruck einer Reisefreiheit ohne oftmals lange dauernder und erniedrigender Grenzkont-rollen, wie in der Vergangenheit.Und die politische Union würde es ermöglichen, die In-teressen der EuropäerInnen wirksam in einer Welt mit geänderten Bevölkerungs- und Machtverhältnissen zu vertreten.Die Nationalpopulisten wollen uns zurück in die „goldenen Zeit“ des Nationalismus führen, der Vorurteile gegenein-ander, die manchmal zum Hass führten, zum grundsätzli-chen Misstrauen und zu Grenzkontrollen. Kein Thema für sie ist die Frage, wie wir als ein Kontinent mit im Vergleich zu anderen Kontinenten schrumpfender Bevölkerung, un-sere Interessen global vertreten können. Keine Antwort geben sie auf die Frage wie wir als alternder Kontinent in Zukunft genügend Arbeitskräfte haben können, um uns die Pensionen und die sozialen Dienstleistungen gerade auch für die alten Menschen zu leisten. Ohne Zuwande-rung wird das nicht möglich sein.Die Nationalpopulisten geben keine Antwort darauf, wie die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist, wie die dringenden Umweltprobleme zu lösen sind, wie Frieden in unserer Nachbarschaft geschaffen bzw. bewahrt werden kann. Sie sind die „Kraft die stets verneint“ ohne eine Alternative bieten zu können. Wir müssen sie herausfordern eine sol-che anzubieten, ohne einfach auf die alten Zeiten bzw. auf die Nationalstaaten zu verweisen.Aber all das können wir nur, wenn wir eigene, klare Al-ternativen anbieten können. Wenn wir konkret zum So-zialmodell Europa Aussagen treffen können. Wenn wir nachwiesen können, was wir zur Verbesserungen der nachhaltigen Lebensqualität getan haben und weiter vor-haben. Und wie wir sowohl die Arbeitslosigkeit, vor allem der Jungen, als auch die Einkommens- und Vermögensun-terschied auf ein erträgliches Ausmaß zurückführen kön-nen. Und wie wir die Steueroasen trocken legen können.Vor allem muss sich die Sozialdemokratie als eine für ein gerechteres Europa „kämpfende“(!) Partei präsentieren. Der Status Quo in Europa ist nicht unser Ziel. Ein anderes, sozialeres, gerechteres und global wahrnehmbares Euro-pa muss unser Ziel sein.

Gefahr von Rechts

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Bei der EZBUnsicherheiten abbauen – Vertrauen und Optimums aufbauen18. November, Brüssel

Bei meinem jüngsten Besuch bei der Europäischen Zent-ralbank in Frankfurt stand die Frage im Mittelpunkt, wie wir dem sehr zaghaften wirtschaftlichen Aufschwung in der EU einen Auftrieb geben können. Für mich und die S&D Fraktion zählt natürlich der Aufschwung nur dann, wenn er zur Senkung der Arbeitslosigkeit beiträgt. Denn das ist es, was die Menschen in Europa unmittelbar be-rührt.

Die zuletzt vorgenommene Zinssenkung sehe ich sehr positiv. Die unmittelbare wirtschaftliche Auswirkung mag sich in Grenzen halten, aber das Signal ist wichtig. Die EZB wollte damit klarmachen, dass sie eine Deflation und Stagnation der Wirtschaft nicht akzeptieren kann. Denn eine Inflationsrate deutlich unter der Zielmarke von 2% könnte „japanische Verhältnisse“ mit sich bringen: langes Verweilen auf bestehendem Niveau ohne Wachstum und Einkommensverbesserungen. Das würde aber ein deutli-ches Zurückfallen gegenüber anderen Regionen der Welt bedeuten und keine Chance auf ein Sinken der Arbeitslo-sigkeit.

Entscheidend ist allerdings, dass das durch die niedrigen Zinsen verursachte „billige Geld“ nicht eine neue Blase am Immobilienmarkt hervorruft, sondern in die Wirtschaft fließt, die Arbeitsplätze schafft. Da wird man sich Mecha-nismen überlegen müssen, wie man die Banken „anregt“, das Geld in Form von günstigen Krediten an Unterneh-mungen weiterzugeben. Und da kann die EZB das Prinzip

„funding for lending“ anwenden, das aber nicht unbe-stritten ist. Es handelt sich bei dieser „Kreditlenkung“ für die konservativen bzw. neo-liberalen Anhänger der freien Marktwirtschaft sicherlich um einen zu dirigistischen Ein-griff in den Markt. Aber ich meine, trotz dieser ideologi-schen Einwände und technischer Probleme sollte sich die EZB ernsthaft mit der Möglichkeit der Kreditlenkung hin zu Unternehmungen die Arbeitsplätze schaffen auseinan-dersetzen.

Sicherheit brauchen wir allerdings auch durch eine lang-fristige Stabilisierung des Bankensektors. Nur eine euro-päische Bankenaufsicht und eine europäische Abwicklung von nicht mehr zu haltenden Banken kann hier Abhilfe schaffen. Sicher kann man nicht auf die nationalen Ban-kenaufsichten und deren Erfahrung verzichten, aber die Banken sind zu sehr miteinander verflochten, als dass man sich auf die nationalen Kontrollen allein verlassen könnte. Vor allem unkontrollierte Zusammenbrüche gro-ßer Banken können sich weit über die Grenzen des Sitz-landes hinaus auswirken.

Unsicherheiten sind für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft und der Beschäftigung äußerst schädlich. Die Unternehmungen halten sich mit ihren Investitionsent-scheidungen zurück. Die KonsumentInnen schieben ihre Konsumentscheidungen hinaus. Und die Verunsicherung der Menschen im Allgemeinen führt leider oft dazu, dass sich die Menschen von den traditionellen Parteien ab – und den Populisten zuwenden. Mit der Konsequenz, dass sich die Unsicherheit noch mehr erhöht. Wir brauchen also klare Signale durch die EZB aber auch durch die Re-gierungen, dass sie Stagnation und Deflation nicht akzep-tieren. Und wir müssen klarmachen, dass die Nationalpo-pulisten mehr statt weniger Unsicherheit bringen.

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Russlands erstarkte Rolle28.November, Brüssel

Die Absage der Ukraine an die Unterzeichnung eines As-soziierungsabkommens mit der EU beim kommenden Gipfel in Vilnius ist sicher ein schwerer Rückschlag für die Oststrategie der EU. Die EU machte Angebote zu einer Re-formpartnerschaft an die östlichen Nachbarn bis in den Südkaukasus hinein. Russland wollte das nicht akzeptie-ren. Es reagierte mit Drohungen und “unmoralischen” An-geboten, wie Preisnachlässen bei Energie.

Armenien gab als erstes nach und unterwarf sich dem Dik-tat Putins. Die Ukraine versuchte bis zum Schluss stand zu halten und verzichtete dann auch auf die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU. Moralisch habe ich kein Ver-ständnis für diese Haltung Russlands. Aber, ob wir wol-len oder nicht, wir müssen Russlands verstärkte Rolle und seine Fähigkeit, Interessen durchzusetzen, zur Kenntnis nehmen.

Die erstarkte Rolle Russlands war auch im Falle Syrien zu erkennen. Allerdings konnte Russland erst durch die Dro-hung einer militärischen Intervention auf den Plan tre-ten. Erst dadurch kam Russland in Zugzwang, denn eine militärische Aktion des „Westens“ hätte Russland vor die Wahl gestellt, ebenfalls militärisch aktiv zu werden, oder einfach den militärischen Aktivitäten des „Westens“ zu-zusehen. Und so konnte durch Russlands diplomatisches Auftreten ein unglückliches militärisches Abenteuer ver-mieden werden. Für mich war das russische Verhalten im

Falle Syriens daher durchaus konstruktiv.

Ebenso konstruktiv verhielt sich Russland auch im Falle der Verhandlungen mit dem Iran. Es ermöglichte eine dip-lomatische, eine politische Lösung. Nicht überall hat Russ-land eine solche Haltung. Und seine starre Haltung gegen jegliche, auch durch die UNO gedeckte Interventionen, ist nicht immer hilfreich. Aber klar ist, dass wir jedenfalls mit Russland rechnen müssen. Darauf sollten wir uns bei allen zukünftigen Strategien und Aktionen, die die Interessen Russlands berühren, einstellen.

Ja, wir haben als Europäer gelernt, dass internationale Politik nicht bloß dem machtpolitischen Interessen die-nen soll. Gerade angesichts des Jahres 2014, in dem wir des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs gedenken, sollten wir uns der Gefahren einer solchen Machtpolitik bewusst sein. Sie hat nämlich immer ein Null-Summenspiel vor Au-gen: was der eine gewinnt, verliert der andere. Die Vertre-tung von Werten und Zielen, die allen zu Gute kommen, spielen in diesen Machtüberlegungen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Vor allem die Fragen der demokra-tischen und sozialen Entwicklung, die letztendlich allen nützen, werden oft außer Acht gelassen.

Aber wir können eine solche strukturelle Änderung der in-ternationalen Beziehungen nicht erzwingen. Wir können nur in – wenngleich schwieriger – Partnerschaft mit Russ-land und ähnlich agierenden Staaten die Welt friedlicher machen. Und parallel dazu versuchen, sie wirtschaftlich und sozial gerechter zu gestalten.

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In der Türkei

Türkei: Europa oder Shanghai Five26. November, Istanbul

Auch diesmal wurde ich wieder gefragt, wie oft ich schon Istanbul besucht habe. Ich kann nur immer antworten: sehr oft – privat und offiziell. Auch diesmal war es ein of-fizieller Besuch. Unsere Fraktion hat gemeinsam mit der deutschen Friedrich Ebert Stiftung eine Tagung zum Ver-hältnis der EU zur Türkei und insbesondere zur Kurdenfra-ge veranstaltet. Geladen waren VertreterInnen verschie-dender NGOs, so auch der Gezi-Park Bewegung, die vor einigen Monaten vor allem im Stadtgebiet von Istanbul massiv gegen Erdogans Politik protestiert hat. Dabei ging es nicht nur um die rückwärtsgewandten und massiven baulichen Eingriffe in das Stadtbild, sondern auch generell gegen den autoritären Führungsstil und die islamistischen Eingriffe in das Privatleben.

Erdogan möchte den Frauen “vorschreiben” wie viele Kinder sie bekommen sollen, das Zusammenwohnen von Studenten und Studentinnen verbieten und zuletzt wird auch die Koedukation in Schulen in Frage gestellt. Geht es nach Erdogan, so sollen seine moralischen Vorstellungen von der gesamten Bevölkerung übernommen werden. Und die große Zahl der Aleviten werden noch immer nicht als vollwertige Muslime anerkannt.

Auch international geht Erdogan eigene Wege. Hinsicht-lich Syriens gehen viele Beobachter davon aus, dass sich Erdogan auch vor Bündnissen mit den sunnitischen Dji-hadisten nicht scheut, um den “schiitischen” Präsidenten Assad zu verjagen. Ich habe kein Mitleid mit und keine

Sympathie für Assad, aber auch keine Sympathie für die radikalen sunnitischen Djihadisten. Inzwischen hat es sich Erdogan auch mit den ägyptischen Militärs verdorben und der türkischen Botschafter wurde aus Kairo wegen per-manenter Einmischung ausgewiesen. Auch ich habe mei-ne Zweifel und meine Kritik am Militärputsch in Ägypten, aber Erdogan hätte lieber die Muslimbrüder und Präsi-dent Morsi zur Mäßigung ermahnen sollen.

Inzwischen hat Erdogan eine neue Pirouette gemacht. Bei seinem Besuch bei Putin forderte er diesen auf, ihm den Weg nach “Shanghai Five” zu eröffnen. Er möchte sich lie-ber mit so demokratischen Staaten wie Russland, China, Kasachstan etc. verbünden, als mit der Europäischen Uni-on. Und das einen Tag, nachdem die Ukraine die Unter-zeichnung des Assoziierungsabkomens mit der EU unter Druck Moskaus abgesagt hat.

Erdogans Politik ist zunehmend islamistisch geprägt, erra-tisch und widersprüchlich. Da braucht es eine klare, grad-linige und fortschrittliche Politik. Sie sollte die Trennung von Staat und Religion festschreiben sowie die Vielfältig-keit der Religionen, Kulturen und Lebensweisen anerken-nen. Das wäre und ist die Aufgabe der größten Oppositi-onspartei der CHP. In Istanbul habe ich in und am Rande unserer Tagung etliche Funktionäre der CHP getroffen, die für diese Werte stehen. Das hat mir Vertrauen gegeben, das aus der CHP eine neue politische Bewegung entste-hen kann, die das Erbe von Kemal Attatürk antritt, ohne ihn zu einer unverrückbaren Ikone zu stilisieren. 75 Jahre nach seinem Tod muss man seinen Grundsätzen dadurch gerecht werden, dass man sie flexibel und der heutigen

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Zeit angepasst, umsetzt. Die Einheit der Türkei muss mit der inneren Vielfalt und Multikulturalität des Landes ver-bunden werden.

Zur gleichen Zeit der Tagung der S&D Fraktion fand auch eine Tagung des “Atlantic Council” eines US-amerikani-schen Think Tanks statt. Ich konnte daher deren Einladung zu einer Paneldiskussion über die globale Rolle der EU annehmen. Darüber hinaus baten sie mich noch spon-tan an einer Diskussionsrunde mit zwei ehemaligen Si-cherheitsberatern – von Präsident Clinton und Präsident Bush – über Syrien teilzunehmen. In einer Diskussion zu-vor hat ein ehemaliger Botschafter der USA in der Region gemeint, die USA müsse gegenüber dem feindlichen Iran hart bleiben und sich mit Saudi-Arabien wieder versöh-nen.

Ich widersprach vehement dieser naiven Schwarz – Weiß Malerei, der Iran sei prinzipiell böse und feindlich und Saudi -Arabien prinzipiell der Verbündete der USA. Denn heutzutage sterben mehr Menschen durch einen von den Saudis unterstützen, als durch den schiitischen Terroris-mus. Beides sollten wir ablehnen und bekämpfen. Aber wir bekommen Frieden in der Region nur durch eine Be-teiligung aller Gruppierungen an der Lösung des Syrien-konflikts. Und da sollte auch die Türkei eine an einer poli-tischen Lösung orientierte Politik an den Tag legen.

Ich geißelte aber auch eine andere Naivität der vergan-genen Jahre, nämlich die, dass Russland erledigt sei und wir uns nicht um die Meinung und Haltung Russland kümmern müssten. Sowohl im Falle Syriens als auch im Falle der Ostpolitik im Zusammenhang mit der Ukraine hat Russland gezeigt, dass es ein Faktor ist, mit dem zu rechnen ist. Ob uns das gefällt oder nicht, Russland und insbesondere Putin spielt seine Rolle und seine Möglich-keiten aus. Und dabei sind sie nicht zimperlich. Wir sollten versuchen, das rechtzeitig ins Kalkül zu ziehen.

Und drittens war es naiv anzunehmen jegliche Revolte in

den arabischen Ländern wird unmittelbar die bestehen-den undemokratischen Regimes hinwegfegen. In allen Ländern wo es solch starke Oppositionsbewegungen ge-geben hat, hat sich die Lage als viel schwieriger erwiesen als angenommen. Nur der vom König nur langsam in Be-wegung gesetzte Reformprozess in Marokko läuft einiger-maßen friedlich. Algerien verweilt in einer Starre, Libyen ist von einem täglichen Chaos gekennzeichnet, in Tunesi-en ringt man um eine neue Regierung und in Ägypten hat das Militär wieder die Macht übernommen.

In Syrien ist die Lage am schlimmsten mit den vielen tau-senden Toten und den Millionen Flüchtlingen. Es wurde deutlich, dass niemand diesen Konflikt militärisch für sich gewinnen kann. Nur eine politische Lösung ist denkbar. Und dazu braucht man Russland und Syrien. Das sollte man zur Kenntnis nehmen und konkret an einer politi-schen Lösung mit allen Beteiligten arbeiten.

Die jüngst getroffene Vereinbarung mit dem Iran hinsicht-lich der Nuklearfrage ist in diesem Sinn sehr zu begrüßen. Sie schafft die Möglichkeit, den Iran langsam wieder als Gesprächspartner für die friedlichen Lösungen in der Re-gion zu engagieren, zuerst in Syrien, dann im Libanon und vielleicht auch hinsichtlich des Konfliktes zwischen Israel und Palästina. Schließlich gab es auch Zeiten, als die Be-ziehungen zwischen Israel und dem Iran sehr eng waren. Um Frieden in unserer Nachbarschaft zu schaffen bzw. zu bewahren brauchen wir mehrere Gesprächspartner. Der Iran und die Türkei sind zwei davon. Und sie vertre-ten auch zwei verschiedene islamische Gemeinschaften, die Sunniten und die Schiiten. Diese Chance sollte man nützen, denn wir brauchen die Mithilfe beider für die Lö-sung der regionalen Probleme, auch durch eine gewisse Balance zwischen diesen beiden – manchmal verfeinde-ten – Gemeinschaften. Das setzt allerdings voraus, dass keine der beiden Seiten einen absoluten Vorrang erringen möchte.

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In Griechenland

Griechenland: Krisenland und EU-Präsidentschaft2.Dezember, Athen

Bei meinen jüngsten Besuch in Athen informierte ich mich - gemeinsam mit dem Präsidium der S&D Fraktion im EU Parlament – über die wirtschaftliche, soziale und politi-sche Lage des von einer schweren Krise geschüttelten Landes, aber auch über die Vorbereitung auf die EU-Prä-sidentschaft im nächsten Halbjahr. Manche fragen, ob es sinnvoll und machbar ist, dass Griechenland am 1. Jänner den Vorsitz im EU-Rat übernimmt. Nun einerseits glaube ich, dass Griechenland genügend Erfahrung besitzt, um eine Präsidentschaft gut abzuwickeln. Anderseits gehe ich davon aus, dass Griechenland, das durch eine Reihe von gravierenden Problemen selbst betroffen ist, diese auch glaubwürdig und mit Vehemenz auf den Verhandlungs-tisch der EU bringen kann.

Natürlich ist das Land auf Grund der Krise nicht in der stärksten Position und hat auch mit vielen Vorurteilen im „befreundeten“ Kreis der EU-Mitglieder zu rechnen. Aber Griechenland hat entgegen mancher Annahmen und ab-schätzigen Meinungen ein großes Reformpaket in Gang gesetzt. So wurde zum Beispiel der Staatsapparat wesent-lich zurückgefahren. Das hat natürlich nicht überall die Qualität erhöht, aber das ist jetzt die Aufgabe, die es zu erledigen gilt. Und natürlich geht es dabei auch um einen quantitativen Bürokratieabbau. So beklagten sich sowohl

Unternehmer, als auch die Bürgermeister der größeren Städte, die wir zu einem Gespräch geladen haben, über eine Überfülle an Vorschriften und notwendigen Geneh-migungen, die ihre Tätigkeiten behindern. Nicht alle Re-formen werden wahrscheinlich im notwendigen Tempo erledigt werden, aber ich habe den Eindruck, dass viele in der Regierung an der Umsetzung dieser qualitativen Re-formen arbeiten.

Leider wird gerade auf solche Reformen seitens der EU und insbesondere seitens der unsäglichen Troika, bestehend aus Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, nicht genügend Wert gelegt. Anstatt dessen verlangt man noch mehr Austerität und unsoziale Maßnahmen. So wehrt sich die Regierung mit Recht gegen das Ansinnen, Leute, die ihre Wohnungs-Kredite nicht abzahlen können, aus ihren Häusern oder Wohnungen zu schmeißen. Das sind völlig unverständliche Forderungen, die zeigen, wie wenig Sensibilität diese Bürokraten aufbringen.

Generell ist die budgetäre Situation heute weitaus besser als noch vor einem Jahr, allerdings bleibt eine hohe Ar-beitslosigkeit insbesondere bei der Jugend ein Pferdefuß für die Entwicklung der nächsten Jahre. Ohne Wachstum in der EU insgesamt und ohne günstigere Finanzierung für die griechische Wirtschaft wird das Land nicht aus der Krise kommen. Das bestätigten auch die griechischen

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Unternehmer, die ich zu einem Gespräch geladen habe. Es waren durch die Bank erfolgreiche Unternehmer, die auch in der Krise ein deutliches Wachstum verzeichnen konnten. Und sie konnten dies vor allem durch eine Stei-gerung der Qualität ihrer Produkte bzw. Leistungen – vor allem in traditionellen Sektoren wie dem Tourismus und der Lebensmittelindustrie- erzielen. Aber für ein weiteres Wachstum, so meinten sie, ginge ihnen jetzt die Luft aus. Wachstum auf europäischer Ebene und günstigere Kredi-te seien notwendig. Aber auch diese können nur durch die europäische Ebene, nämlich durch eine gemeinsame Si-cherung eines effizienten Bankensystems, (Bankenunion) hergestellt werden.

Nicht so rosig ist die Situation hinsichtlich der Zuwande-rung und des Flüchtlingswesens. Griechenland, als Mit-telmeerland und als Grenzland zur Türkei und zum Osten generell, ist stark von Flüchtlingsströmen betroffen. Die geographische Situation mit vielen Inseln macht natürlich die Grenze sehr porös und kaum kontrollierbar. Unabhän-gig davon hat Griechenland, jedenfalls in der Vergangen-heit, vielfach die MigrantInnen durchgewunken und ist kaum seiner Aufgabe als Erstaufnahmeland gerecht ge-worden. Die Anerkennungsrate als AsylwerberIn war und ist noch immer sehr niedrig, es gibt faktisch nur in Athen eine Stelle, die solche Anträge entgegennimmt. Und die Aufenthaltslager für Flüchtlinge sind in einem katastro-phalen Zustand. Auch hier braucht es mehr Europa, denn

Griechenland ist angesichts seiner wirtschaftlichen Lage extrem überfordert, mit den Migrationsströmen fertig zu werden. Aber natürlich muss Griechenland auch seine Mi-grations- und Integrationspolitik deutlich verbessern.

Es bestehen keine Zweifel, dass große Einwanderungsströ-me in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und steigender Armut den rechtsextremen Kräften besonderen Zulauf bringt. Und so ist es auch geschehen, mit einem deutlichen Zu-lauf zur Golden Dawn (Goldenen Morgenröte) Bewegung. Glücklicherweise hat die Regierung, nachdem diese Be-wegung in Verdacht krimineller Aktivitäten steht, einen Verbotsantrag gestellt. Es ist immer schwer mit gericht-lichen Mitteln gegen politische Bewegungen vorzugehen. Aber die offensichtlich kriminellen Handlungen gaben der Regierung eine legal einwandfreie Möglichkeit, gegen die-se rechtsextreme Bewegung vorzugehen.

Griechenland ist nicht außerhalb der Gefahrenzone. Aber die kommende Präsidentschaft ist eine gute Gelegenheit, sich mit diesem Land und seinen Problemen ernsthaft auseinander zu setzen. Europa kann und muss im eige-nen Interesse diesem Land wieder auf die Sprünge helfen. Selbstverständlich müssen die Reformen aus dem Land selbst kommen. Ich habe dafür viele gute Ansätze gese-hen und viele Menschen getroffen, die zu diesen Refor-men bereit sind. Wir sollten sie unterstützen.

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Reden im EU-Parlament

11. September, Straßburg

Mr President, as in all his previous speeches, President Barroso has described a half-full glass as totally full. I will demonstrate that the glass is still half empty. President Barroso, you spoke about figures and, yes, there are some good figures, and we are happy about that, but I want to speak about people: about women, about the younger generation and about children, who are still suffering un-der the austerity policy.

You spoke about increasing investment confidence. But why, Mr Barroso, is there a lack of confidence on the part of Europe’s citizens? This is another question that the Commission and the Commission President need to answer. Recently, Prime Minister Samaras, of the future Greek Presidency of the Council, spoke about a Greek re-covery. With 60% of young people still unemployed and with efforts to find a new package for Greece, it is asto-nishing that some people should talk about a recovery.

Turning to Spain, you probably read the recent article about the young generation there: the children who have to go to school to be fed because they cannot get enough meals at home. And do you know, Mr Barroso, how many jobs have been created in Spain in the last few months? The answer is 31. Thirty-one new jobs: this is the recovery in Spain! It is a scandal.

As for Portugal, your own country, Mr Barroso, I do not know whether you have spoken, as I did recently when I was in Setúbal, with Caritas, who can show you children being taken out of kindergarten because people are as-hamed to send their children to kindergarten with poor clothes. That is also the reality of Europe: so show that the glass is not simply half full; it is also half empty. We still have much to do, and we need to change the policies of the Commission.

Because austerity is increasing the rift between rich and poor and between north and south, and is aggravating racism and xenophobia. Blaming the others – the foreig-ners, the migrant workers, the welfare tourists from Bul-garia and Romania – is very popular, for example among the Conservatives in Great Britain, and even more so UKIP and others. This is happening all over Europe today: aus-terity is undermining solidarity between states and also between citizens.

Yes, I agree we need a strong Europe – a much stronger Europe. How can we support Baroness Ashton’s impor-tant work if we do not have a stronger Europe? And that means, of course, more investment because public and private investment is lacking. I have seen many young en-trepreneurs who would like to go for new start-ups if they could get credit and investment.

I was recently at Porsche and at BASF, one of the leading

Rede zur Lage der Union

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Reden im EU-Parlament

companies in Germany, and I saw the high quality of work there. But you know, Mr Barroso, even in rich Germany there is a lack of investment and infrastructure. They have to close bridges and highways because they cannot be re-paired; and people say that their Internet speed is some-times slower in rich Germany than in some of our poor countries. We have to fight together, in all our countries, for more investment.

Mr Barroso, you also mentioned the civil liberties situati-on. Yes, you are right, but I would take an even stronger stance. How can it be that a black minister in Italy is at-tacked again daily, even by some of the Members of this Parliament? It is a shame. We should be proud to have a black minister in one of our European governments.

Journalists and friends of journalists are being intimidated in some other countries; laws against media freedom have been passed in certain countries; and Roma are being at-tacked again, even more so than before. These are things that we need to combat very strongly. Therefore I demand from the Commission more policies for economic recove-ry, more policies on social cohesion and solidarity, and more capacity to defend the rule of the law in Europe.

You also mentioned, Mr Barroso, some of the proposals due to come forward: for example, on the social dimensi-on of economic and monetary union. But I would ask you: things have been in place since the spring, so why does it require nearly half a year to bring forward this propo-sal? Are you afraid that some governments are against it? Perhaps you mentioned it and I missed it.

We passed a legislative proposal on the restructuring of industries because we want restructured industries. We are not conservatives who say that once an industry is there, it has to stay as it is. It must be subject to social conditions. Why do you not have the courage to come forward with a legislative proposal on the restructuring of industries? Is it because some countries are against it?

You are the President of the Commission, and the Com-mission must have the strength to fight not only with this Parliament but also with the Council. So I hope, at least, that you come forward with some proposals on these is-sues because we need them.

I also want to raise the issue of health and safety regulati-ons because I mentioned the health situation earlier. You need only look briefly at the book The body economic: why austerity kills . It kills in the true sense. Under auste-rity, among other things, the rate of suicide is increasing, so we also need health and safety regulations from the Commission.

However, let me also address the Council. We had an ag-reement on the Multiannual Financial Framework (MFF).

Why is the Council breaking this agreement? We had an agreement, together with the Commission, on frontloa-ding against youth unemployment. But the Council is not frontloading: it is reducing the money for youth unem-ployment, and this is not acceptable.

How can you present a budget for 2014 which is not up to standard, and not up to the agreement? How can the Council violate the law and the Treaty by not negotiating with Parliament about things which have to be negotia-ted? We must stick to the laws and the rules, and demand that the Council comes forward with a reasonable budget under the MFF for 2014. My group will not vote in favo-ur of a budget that is not up to standard to fight against youth unemployment in Europe, for that is the biggest task. Talk alone is not enough; we want action from the Council.

We also expect progress on the financial transaction tax (FTT), which is currently taking a lot of flak. We expect of the Council, with the help of the Commission of course, that the promise made to our citizens – that the finan-cial sector will contribute through the FTT – will finally be kept. It is not acceptable that so many citizens should suffer and that banks and financial institutions should not contribute to resolving the crisis.

Lastly, there is to be an election campaign, to which the President referred. The centre-left has approaches to many issues very different from those of the centre-right, especially on social issues. But I hope that the centre in this Parliament will defend the future of Europe. If some governments are now calling for the words ‘ever closer Union’ to be deleted from the Treaty, we say ‘No’. We want an ever closer union in the fields of both economic and foreign affairs. That is the only way to go forward, and I therefore believe in the vision of a United States of Euro-pe. However, just as the United States of America, it is not a unitary state, Europe will never be one. It will have its di-versity but will get rid of this nationalism and xenophobia.

With all our differences between right and left, let us fight for a common Europe: a Europe strong enough to defend itself; a Europe strong enough to say and do whatever we have to say and do, on issues from Syria and Egypt to com-petition with China, and all the others. We cannot defend the interests of our citizens if we go back to nationalism and xenophobia. We have to go forward towards a com-mon united Europe.

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Reden im EU-Parlament

words about the digital economy.

But let this be very clear, also in conclusion, and in combi-nation with data protection. The digital economy – and I am very happy about the vote on Monday, although some elements could have been given broader support – is one side of it for us, and data protection is the other side. It is a complement which is absolutely necessary.

But let me also be very clear on this: the digital economy is not only something for the upper echelons of society, it is for everybody. I was recently in Košice in the far East of

23. September, Straßburg

The Commission President spoke about a broad agenda, but I have looked at the conclusions and they are very empty for the Council. I do not know if the Council will take the chance to go forward to what we would call a progressive economy in Europe. Yes, we need more inno-vation, more digital economy. Why, then, has the Council cut the budget, for example, for broadband? It was not a large sum proposed by the Commission, but it was an important sum. The Council said that we do not need it, but some weeks later they come up with some enormous

Rede in Vorbereitung auf die Tagung des Europäischen Rates

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Reden im EU-Parlament

Slovakia, and I saw how in the schools – remember, with the support of the European Social Fund – many of the children, including the Roma children about whose inte-gration or non-integration we are always complaining, were integrated into society and into the digital economy thanks to European money, European support and the Eu-ropean Social Fund.

That is what we expect from a progressive economic poli-cy in the European Union: to have an enhancement of the economy, of business, of start-ups, but at the same time, integration of those people who need to be integrated into society. Therefore, the European Social Fund is im-portant, and we are still fighting for 25 % of the European Social Fund from the Regional Fund. This is an important aim for us.

Ich möchte zurückkommen und in deutscher Sprache über Deutschland reden. Kollege Daul ist jetzt abgelenkt. Vielleicht war es ein Freudscher Fehler, aber er ist immer wieder gekommen. Sie haben immer nur von Männern gesprochen, mit denen Sie reden. Da gibt es eine Frau, mit der Sie reden sollten: Frau Merkel, die nämlich sehr bestimmt, was hier auf der europäischen Ebene in vielen Fällen geschieht! Zum Beispiel – was nicht nur die Frage der Budgetpolitik betrifft – die ganze Grundkonzeption,

die Frau Merkel hat. Europa ist zum Strafen derjenigen da, die zum Beispiel ihre finanziellen Ziele verfehlen. Oder zum Beispiel der Kampf und die Diskussion, die wir füh-ren, gerade auch mit Frau Merkel, was die Frage der so-genannten makroökonomischen Konditionalität betrifft, dass Regionen bestraft werden sollen, wenn Regierungen sich nicht an die Regeln halten, die Frau Merkel entworfen hat. Das ist, was wir als ungerecht empfinden! Wir wollen den Regionen helfen, nicht sie bestrafen! Das ist die Poli-tik, die wir betreiben sollen.

Frau Merkel gebraucht ja immer wieder das Modell der schwäbischen Hausfrau. Das ist ja nett, und eine schwä-bische Hausfrau kann sehr innovativ sein. Aber wenn wir eine Innovationspolitik betreiben wollen, wie das jetzt auch im Rat geschehen soll, dann ist das nicht genug. Wir brauchen Investitionen! Auch Deutschland braucht Inves-titionen. Sehen wir uns doch die Infrastruktur in Deutsch-land an! Selbst im reichen Deutschland ist die in vielen Fällen nicht mehr in Ordnung. Daher brauchen wir Investi-tionen, daher müssen wir eine offensive Politik betreiben. Das ist notwendig, und das erwarten wir von Deutsch-land. Und ich hoffe, dass wir das auch bekommen, weil ja jetzt Koalitionsverhandlungen stattfinden. Nicht alle sind begeistert von einer zukünftigen großen Koalition in Deutschland. Ich glaube aber, dass es wichtig wäre und

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Reden im EU-Parlament

eine Chance ist, in Europa durch Deutschland eine andere Politik zu bekommen, auch eine soziale Politik. Denn die soziale Dimension ist für uns ganz entscheidend in diesem Europa. Es geht nicht nur um die Ökonomie, und es geht nicht nur um die Effizienz der Wirtschaft, sondern es geht auch um die Beschäftigungskraft der Wirtschaft. Wir brau-chen mehr Jobs. Wir können diese Arbeitslosigkeit nicht tolerieren!

Let me come back to the third chapter which is, I think, the most cynical and the most devastating one. A small paragraph in the conclusions – I do not know whether you have seen it – on migration and asylum policy. The first sentence reads: ‘The European Council expresses its deep sadness about the recent tragic accidents in the Me-diterranean’. What is the conclusion? In one year’s time, in June 2014, we will come back to this issue. This is a conclusion of the Council. This is the orientation and the speediness of the Council’s work. Hundreds of people die in the Mediterranean – nearly every day there is an acci-dent – but in June 2014 we will come with some ideas!

This is not acceptable. What is also not acceptable, for example, is how it is being discussed in Britain by the government and even further by UKIP: ‘migration is a bad thing, internal migration from Romania and Bulgaria is also a bad thing’. You cannot say: ‘come to our country, contribute to our economy, to our growth, to our wealth’

but then if a small percentage of these people want be-nefits perhaps: ‘go home, we are not for you’. This is not solidarity in the European Union.Migration in the European Union – labour migration – is a right, a freedom. It should not be forced, but it is a freedom. This policy and this tendency in Europe to say that migration is always bad – migrants from outside can also contribute. You know perfectly well how many peop-le from outside the European Union, in Great Britain and many other countries, have contributed to the wealth of our countries.

So let us have a sensible migration policy. Let us open the strategy for legal migration in order to combat illegal mi-gration. Let us give these migrants a chance, let us give them an education – for temporary migrants too, from Sy-ria, for example. Let us not just say ‘OK, we want to do so-mething’, because the burden always lies with countries like Jordan, Turkey, Lebanon and others. Let us give them training and education too, so that they can go back and do something in their own country.

Once again, I think migration should not always be seen as a burden; it is also an opportunity. In any case, to have hundreds and hundreds of people dying until June 2014, and to come back only in June 2014 on migration, is shameful. This is shameful for Europe and shameful for the European Council.

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Reden im EU-Parlament

9.Oktober, Straßburg

Mr President, in the framework of our group we had the possibility to speak with three refugees from Syria. One of them is Palestinian, and the young lady described the dif-ficulty she had – especially as a Palestinian, because not all Arab countries are very open-minded toward Palesti-nian refugees. She came by boat, via the Mediterranean Sea. 100 people died during this crossing. She was lucky and could come to Europe. They also told us that, in spite of torture and imprisonment in Syria, they had difficulties in getting even a permit for transitional stay in the Euro-pean Union.

When I asked them what they want, and what they expect from Europe, they said very clearly: ‘We want to go back, but perhaps you could give us some training, some exper-tise. It does not make much sense, if we have peace again in Syria, that European experts come to do the recons-truction. We want to be the experts for reconstruction with the help of the European Union’. I think this is the task we have to fulfil. I fully agree that we have to open our borders for limited numbers for limited times, but we have to do it.

The Commissioner said that we are different in different countries. If you look at the figures for refugees, the num-ber of asylum seekers, and especially the instances of ac-ceptance and recognition of asylum seekers, we have a wide variety in Europe. Some countries do their job, some countries do not do their job. Therefore I was very disap-pointed at the Home Affairs Council. A task force – ano-ther task force. We need action, not task forces. We know what we have to do and in our resolution it is written what we have to do.

I agree with Mr Weber in this case. I wrote to Mr Van Rom-puy yesterday, urging him to put the issue on the agenda of the next European Council meeting in two weeks’ time. It is not only an issue for the Ministers of the Interior. We know there are professional limitations. It is an issue for all of us, and all the governments and the prime ministers have to do their job. Again: yes, we have to take the refu-gees, but it is not only about giving them certain things. We should give them the chance to learn here in Euro-pe, to learn some skills, to learn about democracy, about freedom, about liberties. They want a Syria without As-sad and without Jihadists. They want a free Syria and we should give them the chance.

In our resolution we ask the neighbouring countries to keep their borders open: to Jordan, to Turkey, to Lebanon and others. Are our borders open? Very often they are not. We should be very honest. Why do we not create safe humanitarian corridors for the people to come? Why do we not create enough temporary accommodation for the people to come and give them education and training? Yes, it is absolutely true; we have to stop that cruel war. The destruction of chemical weapons is a first step – but no more than a first step.

We have to continue our work until there is peace and conciliation in Syria. Then the people will come back. They do not want to stay, they will come back. They should have the chance to build a new Syria, as I said before. Let us together work so that, from the tragedy of being refu-gees, these people get an opportunity to go back to their country and build a new Syria with skills and education and the philosophy of the European Union and the Mem-ber States.

Zur Lage der Syrischen Flüchtlinge in Europa

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Istanbul, Herbst 2013

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