Traumfabrik für Kreative · BetonStraßensperren des DDRCheck points HeinrichHeineStraße. Wer...

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Foto: Micheal Schütze/FOCUS-Magazin D er Moritzplatz war das Ende der Welt. Nicht im übertra- genen, sondern im buchstäb- lichen Sinn des Wortes. Keine 30 Meter hinter dem Platz begannen die Beton-Straßensperren des DDR-Check- points Heinrich-Heine-Straße. Wer hier ankam, musste umkehren oder bereit sein, in eine andere Welt einzutauchen. Schwer zu sagen, wer sich an diesem Ort schlimmer versündigt hat: der Krieg oder die Stadtplanung. 1945 wurde er fast gänzlich zerbombt, danach wegen seiner gespenstischen Nähe zur Mauer so unattraktiv, dass Westberliner Behör- den planten, ihn unter den Stelzen einer Stadtautobahn zu begraben. Verwirk- licht wurde das Vorhaben zwar nie, doch danach auch kaum mehr Geld in das aufgegebene Quartier investiert. Noch zwei Jahrzehnte nach der Wie- dervereinigung lag es verkarstet da, obwohl das frühere Mauer-Randgebiet längst wieder zu einem der Kernberei- che Berlins geworden war. Heute, nur drei Jahre später, kehrt mit dem „Aufbau Haus“ Leben an den Platz zurück, pil- gern Künstler, Politiker oder Architekten von Belfast bis Tokio, von Shanghai bis Rio zum Moritzplatz, um dessen plötz- liche Wiedergeburt zu bestaunen. Das kleine städtebauliche Wunder ist ver- bunden mit zwei Namen: Matthias Koch und Modulor. Koch, 69, ist der Mann mit dem Geld, der alles möglich machte, ein Investor, der nicht in die Finanzbranche zu passen scheint: Er wirkt wie ein sanf- ter Riese mit nachdenklichem Gesicht, war lange Lehrer, hat Literatur unterrich- tet – und dann ein Vermögen geerbt und als Kaufmann vermehrt. Als Koch sich in Berlin nach Anlage- möglichkeiten umschaute, wurde er auf Modulor aufmerksam, ein Kaufhaus für Kreative, das Arbeitsmaterialien jeder Art anbietet. Hier bekommen Designer, Architekten, Künstler alles, was ihr ins- piriertes Herz begehrt: Farben, Folien oder Fotopapier, aber auch Rasen von der Rolle, Hölzer jeder Sorte und Form oder, falls nötig, ein paar Tonnen Stahl. Allerdings war Modulor über sein altes Domizil längst hinausgewachsen und plante als neue Adresse ein altes Fabrik- gebäude am Moritzplatz. Was fehlte, war ein Geldgeber, der es in ein Kreativ-Kauf- haus verwandeln konnte. Das traf sich vorzüglich mit den Absichten Kochs, Traumfabrik für Kreative Wer kühne Pläne oder schräge Ideen hat, ist im Aufbau Haus in Berlin-Kreuzberg richtig. Am einstigen            Ende der Welt feiert das Bazar-Prinzip eine Renaissance Alles, außer Grenzen Sinnieren mit Sandwich: Am Moritz- platz sind Geist und Genuss vereint. In moderner Architektur arbeiten Designer, Tänzer und Köche – für Besucher bieten sie Kurse an

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D er Moritzplatz war das Ende der Welt. Nicht im übertra­genen, sondern im buchstäb­lichen Sinn des Wortes. Keine

30 Meter hinter dem Platz begannen die Beton­Straßensperren des DDR­Check­points Heinrich­Heine­Straße. Wer hier ankam, musste umkehren oder bereit sein, in eine andere Welt einzutauchen.

Schwer zu sagen, wer sich an diesem Ort schlimmer versündigt hat: der Krieg oder die Stadtplanung. 1945 wurde er fast gänzlich zerbombt, danach wegen seiner gespenstischen Nähe zur Mauer so unattraktiv, dass Westberliner Behör­den planten, ihn unter den Stelzen einer Stadtautobahn zu begraben. Verwirk­licht wurde das Vorhaben zwar nie, doch danach auch kaum mehr Geld in das aufgegebene Quartier investiert.

Noch zwei Jahrzehnte nach der Wie­dervereinigung lag es verkarstet da, obwohl das frühere Mauer­Randgebiet längst wieder zu einem der Kernberei­che Berlins geworden war. Heute, nur drei Jahre später, kehrt mit dem „Aufbau Haus“ Leben an den Platz zurück, pil­gern Künstler, Politiker oder Architekten von Belfast bis Tokio, von Shanghai bis Rio zum Moritzplatz, um dessen plötz­liche Wiedergeburt zu bestaunen.

Das kleine städtebauliche Wunder ist ver-bunden mit zwei Namen: Matthias Koch und Modulor. Koch, 69, ist der Mann mit dem Geld, der alles möglich machte, ein Investor, der nicht in die Finanzbranche zu passen scheint: Er wirkt wie ein sanf­ter Riese mit nachdenklichem Gesicht, war lange Lehrer, hat Literatur unterrich­tet – und dann ein Vermögen geerbt und als Kaufmann vermehrt.

Als Koch sich in Berlin nach Anlage­möglichkeiten umschaute, wurde er auf Modulor aufmerksam, ein Kaufhaus für Kreative, das Arbeitsmaterialien jeder Art anbietet. Hier bekommen Designer, Architekten, Künstler alles, was ihr ins­piriertes Herz begehrt: Farben, Folien oder Fotopapier, aber auch Rasen von der Rolle, Hölzer jeder Sorte und Form oder, falls nötig, ein paar Tonnen Stahl.

Allerdings war Modulor über sein altes Domizil längst hinausgewachsen und plante als neue Adresse ein altes Fabrik­gebäude am Moritzplatz. Was fehlte, war ein Geldgeber, der es in ein Kreativ­Kauf­haus verwandeln konnte. Das traf sich vorzüglich mit den Absichten Kochs,

Traumfabrik für KreativeWer kühne Pläne oder schräge Ideen hat, ist im Aufbau Haus in Berlin-Kreuzberg richtig. Am einstigen            Ende der Welt feiert das Bazar-Prinzip eine Renaissance

Alles, außer Grenzen Sinnieren mit Sandwich: Am Moritz-platz sind Geist und Genuss vereint. In moderner Architektur arbeiten Designer, Tänzer und Köche – für Besucher bieten sie Kurse an

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der 2009 den renommierten, aber in Not geratenen Aufbau Verlag erworben hat­te. Und bald darauf noch weitere Verlage kaufte, für die er eine neue, gemeinsame Herberge brauchte.

Entstanden ist ein Traumland für jeden, der irgendeine kühne, originelle, noch nie da gewesene oder schräge Idee umsetzen will. Im Aufbau Haus gibt es alles, außer Grenzen für die Fantasie. Auf 11 000 Quadratmetern stellt „Planet Modu lor“ nahezu jedes denkbare Material zur Verfügung und hat dazu unterm sel­ben Dach ein Netzwerk von Spezialis­ten versammelt, die es wunschgemäß weiterverarbeiten können: Nur ein paar Schritte braucht man vom Schneider zum Schreiner, vom Drucker zum Designer, vom Goldschmied zum Laser­Graveur, vom Mosaikmacher zum Maskenbildner.

Das kleine Imperium, das sich Koch und Modulor errichtet haben, ist so zu einer Herzkammer der Kreativwirtschaft geworden, die das arme Berlin so sexy macht. Und zugleich zum Kulturzentrum des Viertels: Im Hinterhaus residieren ein Theater, ein Tanzstudio und eine Club­bar, gleich beim Haupteingang ist die Buchhandlung, daneben zwei Galerien, ein Café und ein Restaurant samt Laden für Küchenbedarf und Kochbücher.

„Ich bin ein alter Anhänger des Bazar-Prinzips“, meint Matthias Koch. „Eine Vielzahl kleiner, unterschiedlicher Kre­ativunternehmen im selben Haus gra­ben sich nicht das Wasser ab, sondern stärken einander.“ Damit dieser moder­ne Bazar auch abends noch Publikum anzieht, ermutigte Koch seine Mieter, ihre Betriebe als private Volkshoch­

schule zu betrachten: Also kann man beim Schneider unter professioneller Anleitung eigene Kleider nähen, beim Tischler schreinern lernen und im Res­taurant an Kochkursen teilnehmen.

Politiker feiern das Konzept des Auf­bau Hauses. Von der „Revitalisierung eines Areals“, schwärmt der zuständi­ge Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) und nennt Koch einen „Glücks­treffer“. Von einem „Glücksfall“ spricht Klaus Wowereit (SPD), der Regierende Bürgermeister, gegenüber FOCUS: „Hier erleben wir eine Renaissance der klas­sischen Berliner Mischung aus Wohnen, Leben und Arbeiten.“

So viel Politiker-Jubel macht naturgemäß misstrauisch. Das Ganze klingt fast zu schön, um wirtschaftlich tragfähig zu sein. Wer Koch fragt, wie viel Mäzenatentum in dem Projekt stecke, erhält von ihm zwei Antworten: Auch er, lautet die erste, habe nichts zu verschenken, das Aufbau Haus werfe eine solide Rendite ab. Auf Nachfra­gen, dass sich mit anderen Investitionen doch mehr als nur solide Ergebnisse erzie­len ließen, hält Koch den lakonischen Satz bereit: „Geld hab ich schon.“ Die reine Kapitalvermehrung könne also kaum das höchste seiner Ziele sein.

Koch ist ein besonderer Bauherr. Mit dem letzten Mieter, der die alte Fabrik partout nicht verlassen wollte, arrangier­te er sich: Totalsanierung und Ausbau wurden um dessen Wohnung herum rea­lisiert, ohne dass der Mann ausziehen musste. 2015 soll ein Erweiterungsflü­gel des Aufbau Hauses fertig werden, der mehr Platz für eine Design Akade­mie schafft. Eine spezielle Lösung gibt es auch für einen türkischen Imbiss­Besitzer, der seit Jahren auf dem Moritz­platz Döner brät und demnächst seine Stellplatz­Genehmigung verliert. Also hat Koch ihm im neuen Gebäudeflügel Raum für ein Restaurant angeboten.

Koch ist ein Patriarch, und er ist es sichtlich gern. Er kennt seine Mieter, jeden Einzelnen, und er weiß, dass sie als Ensemble mehr erreichen denn als Einzelkämpfer – mehr für ihre Kunden, mehr für sich selbst, aber mehr auch für ihn, den Vermieter. Und wenn dazu noch das Leben zurückkehrt, zurück in einen der verlorensten Winkel Berlins, dann sieht er das mit einem Lächeln.

UWE WITTSTOCK

Erhellend Frisch aus der Presse:  

In der Buchhandlung  verkauft auch Aufbau 

seine Werke. Der Verlag und eine Druckerei befin-

den sich auf dem Areal der früheren Fabrik

Eingeturnt Stella Caric betreibt ein Tanzstudio – nebenan gibt es ein 

Theater und einen Club 

Engagiert Matthias Koch hat Millionen in-vestiert – und Wünsche der Mieter realisiert