U-Bericht AX001-15 21Dec2017

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Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Untersuchungsbericht Identifikation Art des Ereignisses: Unfall Datum: 20. Januar 2015 Ort: Internationaler Flughafen Nürnberg Luftfahrzeug: Verkehrsflugzeug Hersteller / Muster: Fokker Aircraft B.V. / F28 Mark 0100 Personenschaden: keiner Sachschaden: Luftfahrzeug schwer beschädigt Drittschaden: keiner Aktenzeichen: BFU AX001-15 Sachverhalt Beim Enteisen auf dem Vorfeld saugte die Hilfsturbine (APU) Enteisungsflüssigkeit an. Daraufhin stieg die Turbinendrehzahl stark an und die APU zerplatze. In der Folge durchschlugen Trümmerteile das hintere Druckschott des Flugzeugs. Ereignisse und Flugverlauf Das Flugzeug stand auf der Parkposition 30, Besatzung und Passagiere waren an Bord. Nach Angaben der Besatzung waren die Türen geschlossen und die

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Bundesstelle fürFlugunfalluntersuchung

Untersuchungsbericht Identifikation

Art des Ereignisses: Unfall

Datum: 20. Januar 2015

Ort: Internationaler Flughafen Nürnberg

Luftfahrzeug: Verkehrsflugzeug

Hersteller / Muster: Fokker Aircraft B.V. / F28 Mark 0100

Personenschaden: keiner

Sachschaden: Luftfahrzeug schwer beschädigt

Drittschaden: keiner

Aktenzeichen: BFU AX001-15

Sachverhalt

Beim Enteisen auf dem Vorfeld saugte die Hilfsturbine (APU) Enteisungsflüssigkeit

an. Daraufhin stieg die Turbinendrehzahl stark an und die APU zerplatze. In der

Folge durchschlugen Trümmerteile das hintere Druckschott des Flugzeugs.

Ereignisse und Flugverlauf

Das Flugzeug stand auf der Parkposition 30, Besatzung und Passagiere waren an

Bord. Nach Angaben der Besatzung waren die Türen geschlossen und die

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Hilfsturbine (Auxiliary Power Unit (APU)) lief. Gegen 10:50 Uhr1 wurde das

Enteisungsfahrzeug („Eisbär 6“) zur Enteisung angefordert. Nach Aussage des

Enteisungspersonals wurden zunächst die Tragflächen und das Leitwerk auf der

linken Seite des Flugzeuges enteist. Danach wurde das Enteisungsfahrzeug auf der

rechten Seite im Bereich zwischen Triebwerk und Höhenleitwerk positioniert.

Verwendet wurde das Enteisungsmittel Type I (Safewing MP I 1938 ECO (80)).

Nachdem das Fahrzeug positioniert war, wurde das rechte Höhenleitwerk enteist.

Danach richtete der Enteiser den Arbeitskorb neu aus und wollte die rechte Seite des

Seitenleitwerks enteisen. Nach seinen Angaben hatte er gerade mit der Vorderkante

angefangen (ca. 0,5 m), als er bemerkte, dass die Drehzahl der APU plötzlich stark

anstieg. Er beschrieb, dass das Geräusch lauter und seine Frequenz höher wurden.

Des Weiteren nahm der Ausstoß der Abgase stark zu. Daraufhin schloss er das

Strahlrohr und stellte die Enteisung ein. In diesem Moment hörte er einen lauten

Knall und ging im Korb in Deckung. Gleich darauf gab es einen zweiten noch

heftigeren Knall und die APU ging aus.

Der Fahrer des Enteisungsfahrzeuges beobachtete während des Vorganges, dass

die Wartungsklappe im Rumpfboden unterhalb der APU aufsprang und eine etwa

zwei Meter lange Stichflamme austrat. Weiterhin gab er an, dass die Druckwellen der

beiden Knalle so stark waren, dass das Enteisungsfahrzeug gewackelt habe.

Sowohl der erste als auch der zweite Knall waren in der Kabine zu hören. Die

Besatzung sagte aus, dass sich das Flugzeug dabei geschüttelt habe. Im Cockpit

wurde die APU-Fehlermeldung angezeigt und die APU schaltete sich automatisch

ab.

Im hinteren Bereich der Kabine durchschlug ein Bruchstück der APU das Druck-

schott und es trat kurzzeitig Rauch aus.

Die Passagiere wurden zunächst in den vorderen rauchfreien Bereich der Kabine

verbracht und stiegen dann aus. Sie wurden mit Bussen zurück zum

Abfertigungsgebäude transportiert.

1 Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet,

entsprechen Ortszeit

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Angaben zu Personen

Flugbesatzung

Der 33 Jahre alte verantwortliche Luftfahrzeugführer war im Besitz der Lizenz für

Verkehrspiloten (ATPL(A)) mit der entsprechenden Klassen- und Musterberechti-

gung, ausgestellt durch die schweizerische Luftfahrtbehörde. Er verfügte über ein

flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 1.

Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von 5 580 Stunden mit 3 010 Landungen, davon

entfielen 4 387 Stunden mit 1 900 Landungen auf Fokker 100.

Die Copilotin im Alter von 37 Jahren war im Besitz der Lizenz für Verkehrspiloten

(ATPL(A)) mit der entsprechenden Klassen- und Musterberechtigung, ausgestellt

durch die schweizerische Luftfahrtbehörde. Sie verfügte über ein flugmedizinisches

Tauglichkeitszeugnis Klasse 1.

Ihre Gesamtflugerfahrung betrug 2 970 Stunden mit 2 300 Landungen, davon hatte

sie 2 570 Stunden mit 1 300 Landungen auf Fokker 100 geflogen.

Enteisungspersonal

Der Enteiser im Fahrzeugkorb war für seine Tätigkeit entsprechend den For-

derungen, siehe Kapitel „Organisationen und deren Verfahren“, geschult und

eingewiesen. Er war, nach eigenen Angaben, ausgebildeter

Verkehrsluftfahrzeugführer und nutzte die Tätigkeit als Zeitüberbrückung bis zu

seiner nächsten Anstellung.

Angaben zum Luftfahrzeug

Bei der Fokker F28 Mk0100 (Fokker 100) handelt es sich um ein zweistrahliges

Verkehrsflugzeug für Kurz- und Mittelstrecken in Ganzmetallbauweise. Die

Triebwerke des Herstellers Rolls Royce, Muster Tay 650-15 waren hinter den

Tragflächen links und rechts am Rumpf angebracht. Das Flugzeug hatte eine

maximale Abflugmasse von 45 810 kg.

Die APU war im Heckkonus quer hinter dem hinteren Druckschott eingebaut.

Das Flugzeug mit der Seriennummer 11459 wurde im Jahr 1993 gefertigt und hatte

zum Zeitpunkt des Unfalles 51 879 Flugstunden mit 37 191 Landungen absolviert.

Das Flugzeug war in der Schweiz zum Verkehr zugelassen und wurde von einem

schweizerischen Luftfahrtunternehmen betrieben.

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Meteorologische Informationen

Beim Eintreffen der Mitarbeiter der BFU herrschten auf dem Vorfeld Temperaturen

zwischen null und minus einem Grad Celsius und es schneite leicht. Nach Angaben

der Verkehrsleitung waren die Wetterbedingungen zum Zeitpunkt des Unfalles

ähnlich.

Funkverkehr

Der Funkverkehr zwischen der Cockpitbesatzung und dem Enteisungsfahrzeug

wurde vom Cockpit Voice Recorder (CVR) aufgezeichnet und stand der BFU zur

Auswertung zur Verfügung.

Angaben zum Flugplatz

Der internationale Verkehrsflughafen Nürnberg verfügt über eine 2 700 Meter lange

und 45 Meter breite Start- und Landebahn. Die Ausrichtung der Bahn ist 099°/279°.

Das Vorfeld befindet sich nördlich des Abfertigungsgebäudes.

Flugdatenaufzeichnung

Der Flugdatenschreiber (FDR) und der CVR standen der BFU zur Auswertung zur

Verfügung. Die Daten wurden nicht für die Untersuchung des Unfallherganges

herangezogen.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Das Flugzeug war auf Position 30 des Vorfeldes abgestellt. Unter dem Heck des

Flugzeuges lagen Bruchstücke und metallische Kleinteile, die der APU und ihrem

Umfeld zuzuordnen waren. Die Wartungsklappe, die den Zugang zur APU ermög-

licht, war durchschlagen und stand offen (Anlagen Abb. 1).

Das Gehäuse der APU war aufgerissen und der Blick ins Innere war frei (Abb. 2).

Das Turbinenrad war stark beschädigt und das Kompressorrad war zersprungen.

Abbildung 3 zeigt den Bereich auf der rechten Seite des Rumpfhecks, wo zum einen

die Luft für die APU angesaugt wird und zum anderen an welcher Stelle das

Abgasrohr der APU aus dem Rumpf herausgeführt wurde.

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Der Bereich um den Lufteinlass war nicht gekennzeichnet. Den Umriss der

geschlossenen Lufteinlassklappe säumten Schmauchspuren. Der Bereich um den

Auslass des Abgasrohres hob sich durch das verwendete wärmebeständige Blech

deutlich von der weißen Rumpfoberfläche ab. Zusätzlich war der Bereich rechts

oberhalb des Abgasaustritts mit den Worten „FIRE ACCESS“ gekennzeichnet.

An der Rückwand der Kabine, die gleichzeitig das Druckschott war, befanden sich

die beiden hinteren Flugbegleitersitze (Abb. 4). In einem Fach darunter waren

Behälter mit Rauchschutzmasken für die Flugbegleiter verstaut. Der Bereich

unterhalb des rechten Flugbegleitersitzes wurde von einem Bruchstück des

Kompressorrades durchschlagen (Abb. 5). Das entstandene Loch im Druckschott

hatte etwa einen Durchmesser von 100 Millimeter. Das Bruchstück selbst hatte sich

in den Boden des Faches eingeschmolzen. Die Rückwand des Maskenbehälters war

gerissen.

Brand

Nach dem Kollabieren der APU gab es eine Stichflamme, die aus der unteren War-

tungsluke am Heck des Flugzeuges austrat. In der Folge entstand kein Brand.

Organisationen und deren Verfahren

Den Enteisungsdienst für den Verkehrsflughafen Nürnberg hatte der technische

Betrieb eines Luftfahrtunternehmens übernommen. Das Personal, das die

Enteisungen durchführte, war bei diesem Unternehmen beschäftigt und wurde vor

jeder Wintersaison geschult. Die Schulung des Enteisungspersonals für die

Wintersaison 2014/2015 wurde entsprechend den Richtlinien der Association of

European Airlines (AEA), AEA Recommendation for De-/Anti-Icing 29th Edition July

2014 und AEA Training Recommendation 11th Edition August 2014 durchgeführt.

Die AEA war ein Zusammenschluss als Interessenverband von europäischen

Fluggesellschaften. Sie war keine behördliche Einrichtung.

Die Enteiser müssen u.a. gesundheitlich tauglich sein, eine gültige Fahrerlaubnis

besitzen und Englischkenntnisse nachweisen.

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Zusätzliche Informationen

Enteisungsvorgang

Während des Enteisens tritt das Enteisungsmittel mit einer Temperatur von bis zu

70°C aus dem Strahlrohr aus. Da die Außentemperaturen und die Temperatur der

Flugzeugteile, auf die das Mittel trifft, deutlich niedriger sind, bildet sich Nebel. Dieser

Nebel beeinträchtigt die Sicht des Enteisers (Abb. 6).

Dokumente des Flugzeugherstellers

Im Aircraft Operating Manual (AOM), Abschnitt 7.11.01 und im Aircraft Maintenance

Manual (AMM) TASK 12-31-00-660-833-A hatte der Hersteller für das

Flugzeugmuster Fokker 100 Verfahren und Hinweise für das Enteisen festgelegt.

Diese waren beim Enteisen zu beachten und anzuwenden.

Ereignisse in der Vergangenheit

Bereits in der Vergangenheit gab es vergleichbare Ereignisse mit diesem

Flugzeugmuster, bei denen die APU durch das Ansaugen von Enteisungsflüssigkeit

zerplatzte. Im Factual Report (NTSB ID-No.: FTW02IA088) von der Fachgruppe

Triebwerke der amerikanischen Untersuchungsbehörde (NTSB) (Anlage 1) ist die

Untersuchung des Vorfalles ausführlich beschrieben. Die Untersuchung führte in

ihrer Folge zu einer Sicherheitsempfehlung (Anlage 2), die in der

Lufttüchtigkeitsanweisung AD 2002-07-03 (Anlage 3) durch die Zulassungsbehörde

der USA (FAA) umgesetzt wurde. In dieser Lufttüchtigkeitsanweisung wird gefordert,

dass die APU während eines Enteisungsvorganges nicht betrieben wird. Diese

Forderung wurde im amerikanischen Flughandbuch umgesetzt.

Der Flugzeughersteller seinerseits hat aufgrund der Ereignisse mit den zerplatzten

APUs den Service Letter 220 (Anlage 4) an die Flugzeugeigner herausgegeben.

Darin wird der Sachverhalt aus dem Untersuchungsbericht des NTSB aufgegriffen

und beschrieben, welche Nachteile beim Betrieb des Flugzeugs entstehen können,

wenn die APU während des Enteisungsvorganges abgeschaltet wird. Der Hersteller

empfiehlt in seinem Service Letter, dass die Fluggesellschaften darauf achten

sollten, dass nur qualifiziertes Personal die Enteisung vornimmt. Eine

Zusammenfassung findet sich im Airworthiness Recommendations Catalogue (item

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12-31-4) (Anlage 5), herausgegeben im Februar 2015 aus Anlass des Vorfalles in

Nürnberg.

Zu den Ergebnissen und den Maßnahmen gab es im Jahr 2005 eine Besprechung

zwischen dem Flugzeughersteller, der Europäischen Agentur für Flugsicherheit

(EASA) und der niederländischen Luftfahrtbehörde (CAA-NL). Ergebnis dieser

Besprechung war, keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen.

Aufgrund des Ereignisses in Nürnberg trafen sich die oben genannten Parteien

erneut zu einer Besprechung. Dabei wurde eine aktuelle Sicherheitsanalyse zu dem

Ereignis vorgenommen. Im Schluss kam man zu der Auffassung, dass eine

Markierung des Ansaugbereiches einen geringen Aufwand in der Umsetzung

bedeutet und die Aufmerksamkeit des Enteisungspersonals erhöhen würde.

Bisherige Maßnahmen der EASA

Hervorgerufen durch einige Sicherheitsempfehlungen zum Thema Flugzeug-

Enteisung, unter anderem die Empfehlung BFU 09/2006, hat die EASA einige

Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit bei der Enteisung am Boden ergriffen,

obwohl sie nach EU Richtlinie Nr. 216/2008 („zur Festlegung gemeinsamer

Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur

für Flugsicherheit“) keine direkte Aufsichtsführung über Bodenbetriebsdienste hat.

Dazu hatte die EASA eine Studie in Auftragt gegeben, in der die Regularien für die

Enteisung am Boden in den Mitgliedsstaaten betrachtet wurden. Der Bericht wurde

im Jahr 2011 veröffentlicht (EASA.2009/4 Regulation of ground de-icing and anti-

icing services in the EASA Member States). Als Folge organisierte die EASA im Jahr

2012 einen Bodenenteisungs-Workshop. Des Weiteren führte die EASA eine

Sicherheitskonferenz zu Belangen der Enteisung (Vereisungsbedingungen am

Boden und im Flug) durch. Sie fand vom 15. bis 16. Oktober 2013 in Köln statt und

sollte das Bewusstsein aller Beteiligten schärfen. Die Dokumente zu der genannten

Studie sowie Informationen zum Workshop und der Konferenz sind auf der EASA-

Webseite veröffentlicht.

Im Zuge der Grundsatzinitiative der Europäischen Kommission zur Sicherheit in der

Luftfahrt und einer möglichen Revision der Richtlinie Nr. 216/2008 hat die EASA ihre

Auffassung, Opinion No 01/2015, verfasst. Darin schlägt die EASA eine Aufnahme

der Bodendienste in die EU Richtlinie Nr. 216/2008 vor. Dieser Vorschlag wird

derzeit in den Entscheidungsgremien der Europäischen Union diskutiert.

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Dokumente der ICAO

Die ICAO beschreibt in ihrem „Manual of Aircraft Ground and De-Icing/Anti-Icing

Operations“ (Doc 9640-AN/940) die Verfahren und Verantwortlichkeiten bei der

Enteisung von Flugzeugen.

Beurteilung

Durch das Ansaugen der Enteisungsflüssigkeit über den Lufteinlass der APU begann

die Turbine die Drehzahl zu erhöhen. Als die Schwellendrehzahl erreicht war, löste

die automatische Abschaltung der APU, bei der die Kraftstoffzufuhr abgeschaltet

wird, aus. Da aber die Verbrennung des Enteisungsmittels für das Hochdrehen

verantwortlich war zeigte das Unterbrechen der Kraftstoffzufuhr keine Wirkung. Die

Drehzahl nahm weiter zu, bis die APU zerplatzte.

In der Folge durchschlug ein Bruchstück des Kompressorrads das rückwärtige

Druckschott im Bereich unter den Flugbegleitersitzen. Das heiße Bruchstück

schmorte sich in den Behälter der Rauchschutzmasken. Dabei entstand Rauch im

hinteren Teil der Kabine, der die Kabinenbesatzung und die Passagiere veranlasste,

in den vorderen Teil des Flugzeugs auszuweichen. Bei einer vorhergehenden

ähnlichen Störung wurde annähernd der gleiche Bereich des Druckschotts

durchschlagen. Daher ist es aus Sicht der BFU nicht auszuschließen, dass im Fall

eines Zerplatzens der APU aus anderer Ursache, auch wieder dieser Bereich des

Druckschotts durchschlagen würde.

Der Bereich, in dem sich der Lufteinlass der APU befindet, in Flugrichtung rechts

neben dem Übergang von der Seitenleitwerkflosse zum Rumpf, birgt leicht die

Gefahr, dass Enteisungsflüssigkeit in die geöffnete Lufteinlassklappe beim Betrieb

der APU gelangt. Weiter wird die Arbeit des Enteisers dahin gehend erschwert, dass

das austretende Enteisungsmittel durch den Temperaturunterschied einen starken

Nebel bildet, der seine Sicht einschränkt. Hinzu kommt, dass der Bereich um den

Lufteinlass der APU nicht, wie z.B. um die Einlässe des statischen Drucks herum,

gekennzeichnet ist. Eine Sicherheitsempfehlung des NTSB aufgrund eines früheren

Falls, in der das Abschalten der APU beim Enteisen des Flugzeuges gefordert

wurde, wurde in Europa nicht umgesetzt. Der Grund dafür war, dass die Nachteile,

die der Hersteller umfassend beschrieb, überwogen. Dennoch zeigte der vorliegende

Fall, dass der Bereich um den Lufteinlass zumindest eindeutig gekennzeichnet und

auf die Gefahr hingewiesen werden sollte um die Aufmerksamkeit der Enteiser zu

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wecken. Beispiele dazu gibt es bei anderen Herstellern, bei denen sich die

Lufteinlasssituation der APU vergleichbar darstellt.

Die Anforderungen an das Enteisen selbst und die daraus abgeleiteten Forderungen

an das Personal und seine Ausbildung durch die AEA sind sehr umfangreich und

aktuell. Die Grundlagen und Anforderung hat das Enteisungsunternehmen bei der

Personalgewinnung und deren Ausbildung entsprechend umgesetzt. In der

Ausbildung werden bestimmte neuralgische Punkte des Flugzeugs, wie z.B.

Lufteinlässe, Spalten, Hohlräume, in Theorie und Praxis angesprochen und gezeigt.

Auch hier ist die BFU der Meinung, dass eine entsprechende Kennzeichnung dieser

Bereiche die Arbeit der Enteiser erleichtern und somit zur Sicherheit beitragen

würde. Zumal im vorliegenden Fall der Enteiser im Fahrzeugkorb über eine

Ausbildung zum Verkehrsluftfahrzeugführer verfügte und ihm bewusst war, die

Enteisungsflüssigkeit nicht in Lufteinlässe der APU gelangen zu lassen. In der

Situation war es ihm aufgrund einer fehlenden Markierung aber schwer möglich,

diesen Bereich eindeutig zu erkennen.

Anzumerken ist, dass die AEA keine behördliche Einrichtung war und sich die

Hinweise zur Enteisung, die der Hersteller in seinen Flugzeugdokumenten

veröffentlichte, nicht voll umfänglich in den Unterlagen der AEA wiederfanden. Ein

Verfahren, bei dem der Flugzeughersteller bei der Erstellung der Dokumente

mitwirkt, war nicht festgelegt.

Die EASA hat, auch wenn sie aufgrund der Vorschriftenlage nicht verantwortlich war,

in der Vergangenheit Untersuchungen und Maßnahmen zum Thema Flugzeug-

Enteisung durchgeführt. Dieses Vorgehen, sicherlich auch angeregt durch

vorangegangene Sicherheitsempfehlungen, stellt aus Sicht der BFU einen aktiven

Beitrag zur Sicherheit in der Luftfahrt dar. Es wäre wünschenswert, diese

Maßnahmen seitens der EASA weiter zu führen und auszubauen. Die Flugzeug-

Enteisung ist nach Ansicht der BFU für die Sicherheit des einzelnen Flugzeugs und

der gesamten Luftfahrt unerlässlich. Daher sollte die Enteisung, vergleichbar der

Wartung von Flugzeugen, in einen behördlichen Rahmen gestellt werden.

Derzeit stellt sich die Situation der Enteisung von Flugzeugen wie folgt dar: Der

Flugzeugentwickler legt in seiner Dokumentation zum Flugzeug (Flight Manual (FM),

Flight Operations Manual (FOM), Aircraft Maintenance Manual (AMM), usw.)

Verfahren zum Enteisen des jeweiligen Flugzeugmusters fest. Diese Dokumente

bzw. Verfahren werden im Zuge der Musterzulassung durch die Zulassungsbehörde

(EASA) zugelassen. Diese Handbücher bilden die Grundlage für den

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Luftfahrzeugbetreiber das Flugzeug sicher zu operieren. Die Praxis zeigt aber, dass

nicht der Betreiber die Enteisung durchführt, sondern dass er das Enteisen seiner

Flugzeuge an die Bodendienste der jeweiligen Flughäfen delegiert. Die Bodendienste

wiederum entnehmen ihre Informationen zur Flugzeug-Enteisung nicht den

jeweiligen Handbüchern der Luftfahrzeuge sondern erhalten sie aus dem Regelwerk

eines Interessenverbandes, wie im vorliegenden Fall der AEA. Auf die Bodendienste

und das zu Grunde liegende Regelwerk hat die EASA bei der derzeit gültigen

EU Richtlinie Nr. 216/2008 keine direkte Aufsichtsführung.

Schlussfolgerungen

Das Zerplatzen der APU und die daraus resultierenden Folgeschäden waren auf das

Ansaugen und Verbrennen von Enteisungsflüssigkeit zurückzuführen. Zu dem Unfall

haben Sichteinschränkungen und eine unzureichende Kennzeichnung beigetragen.

Sicherheitsempfehlungen

Empfehlung Nr.: 01/2018

Der Flugzeughersteller sollte den Bereich um den Lufteinlass der APU am

Luftfahrzeugmuster Fokker F28 Mk0100 (Fokker 100) eindeutig kennzeichnen.

Empfehlung Nr.: 02/2018

Die Europäische Agentur für Luftsicherheit (EASA) sollte die bisher zur Flugzeug-

Enteisung durchgeführten Aktivitäten beibehalten und intensivieren. Darüber hinaus

sollte sie, aufgrund des starken Einflusses der Flugzeug-Enteisung auf die Sicherheit

in der Luftfahrt, in Erwägung ziehen, diesen Bereich, vergleichbar der Wartung von

Flugzeugen, unter behördliche Aufsicht zu stellen.

Empfehlung Nr.: 03/2018

Die Europäische Kommission sollte zur Verbesserung der Sicherheit in der Luftfahrt

einen Rechtsrahmen schaffen, in dem die Bodendienste einschließlich der Enteisung

von Flugzeugen einer behördlichen Zulassung und Überwachung durch die

European Aviation Safety Agency (EASA) unterliegen.

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Untersuchungsführer: Nehmsch

Untersuchung vor Ort: Nehmsch, Röstel, Juckl

Mitwirkung: Ritschel

Braunschweig den, 31.01.2018

Anlagen

Abb.1: Aufgesprungene Wartungsluke mit Durchschlag Foto: BFU

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Abb. 2: Zerstörte Hilfsturbine (APU) Foto: BFU

Abb. 3: Flugzeugheck mit APU-Lufteinlass (rechts oben) und Abgasrohr (Bildmitte) Foto: BFU

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Abb. 4: Hintere Flugbegleitersitze entgegen der Flugrichtung aufgenommen Foto: BFU

Abb. 5: Durchschlagenes Druckschott unterhalb des rechten hinteren Flugbegleitersitzes Bruchstück des Verdichterrades im Staufachboden Foto: BFU

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Abb. 6: Nebelbildung beim Enteisen Foto: Enteisungsunternehmen

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Anlage 2

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Anlage 5

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Die Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU)

Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.

Oktober 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und

Störungen in der Zivilluftfahrt und dem Gesetz über die Untersuchung von

Unfällen und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge (Flugunfall-

Untersuchungs-Gesetz - FlUUG) vom 26. August 1998 durchgeführt.

Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftiger

Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des

Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen.

Herausgeber Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Hermann-Blenk-Str. 16 38108 Braunschweig Telefon 0 531 35 48 - 0 Telefax 0 531 35 48 - 246 Mail [email protected] Internet www.bfu-web.de