Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

23

Click here to load reader

Transcript of Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

Page 1: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

(Aus der Universit~tsklinik ffir ttals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Tfibingen [Direktor: Prof. Dr. Albrecht].)

Uber die Kombination yon Pigmentdegeneration der Netzhant mit Tanbstummheit 1.

Von IIelmut Weber.

Mit 2 Textabbildungen.

(Eingegangeqv am 22. Xovember 1939.)

Bei der Kl~rung des Erbmeehanismus famili~rer Leiden bereitet die Erkenntnis, wie sieh zwei oder mehrere bei demselben Merkm~]str~ger zugleich auftretende Erbkrankheiten zueinander verhalten, grol~e Sehwie- rigkeiten. Die Frage ist desh~lb so schwierig zu beantworten, well man einem Komplex mannigfachen Krankheitsgesehehens gegenfibersteht und nieht fibersehen kann, wo die Ursaehen dazu ]iegen und w~s die Folgeerscheinungen sind. So st~ehen gerade heute die Forschnngen fiber das Auftreten der Bagg-Littleschen Krankheit, des Bardet-Biedlschen Syndroms, yon Augenanomalien mit Intelligenzdefekten, yon kom- binierten Augenleiden und yon verschiedenen Mil~bildungen bei dem- selben tndividuum u .& besonders im Vordergrunde. Denn die Unter- suchung soleher kombinierter Leiden ist f fir die Erbwissenseh~ft yon grol]em praktischem Wert. Vor allem bemfiht man sich, Klarheit in das Krankheitsbild yon Pigmentdegeneration der 57etzhaut (Retinitis pigmentosa) kombiniert mit Taubstummheit zu bringen.

A. Die verschiedenen Formen erblieher tapeto-retinaler Degenerationen und Geh~iranomalien.

Um eine einheitliche Grundlage zum Vergleich dieser beiden Erb- leiden zu schaffen, mug erst eine kurze Darstellung fiber das Wesen der Pigmentdegeneration und fiber die verschiedenen Formen erblicher Ge- hSranomalien gegeben werden.

1. Pigmentdegeneration. Das Bi]d der 1)igmentdegeneration der Netz- haut ist schon seit langem bekannt. Es ist yon Franceschetti im ,,Knrzen Handbuch der Ophthalmologie" sehr eingehend nnd dem Stand der heut{gen Wissenschaft entsprechend be schrieben worden.

Es hande]te sich um eine degenerative Erkrankung der ~etzhautelemente. Die Aul~en- und Innenglieder der St~bchen und Zapfen entarten und gehen zugrunde. Dann folgen die Kerne der inneren KSrnerschicht, der Ganglienze]lenschicht, schlieBlich geht auch die ~ervenfaserschicht zugrunde und der ~asciculus opticus verf~llt der aufsteigenden :Degeneration. An den Stellen, wo die Degenerations- erscheinungen stattfinden, wandern t)igmentzellen aus der ~igmentschicht der Netzhaut aus, das Pigment ]agert sich an den Gef~Benden und Gef~Bverzweigungen

1 D. 21.

Page 2: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

Kombination yon Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit. 39

ab, bis schlieBlich die gauze Retina damit ausgestopft ist. Die Gef/~lte werden dureh sklerosierende Prozesse immer undurchg/~ngiger, bis am Ende ihr Lumen obliteriert. Die Anordnung des Pigmentes geschieht in der charakteristischen Form der ,,KnochenkSrperchen", sternfSrmiger, strahliger Gebilde, wie sie mit dem Augenspiegel zu sehen sind. Sie ergeben sich aus der Pigmentablagerung, die entsprechend der Gefii~anordnung in der Retina stattgefunden hat. Die Papille wird wachsbleich. Die Entartung der •etzhaut beginnt meist in einer intermedi/~ren Gfirtelzone und fiihrt zu einem Ringskotom, das sieh zentral- und peripherwi~rts ausbreitet. Das Gesichtsfeld wird auf diese Weise konzentrisch eingeengt. Dadurch bekommen die Kranken das Geffihl, als ob sie dureh zwei enge RShren schanten. Durch fortw/~hrende suchende Einste]lbewegungen der Augen im Raum kommt ein horizontaler Einstellungsnystagmus zustande, der aber mit einem Vestibular- reflex nichts zu tun hat. Die Netzhautfelder, die noch nicht verSdet sind, besitzen meistens volle Sehsch~rfe.

Je nach der Zeit des Auftretens der ersten Erseheinungen wird eine infantile, juvenile nnd senile Form unterschieden." Das Leiden tritt doppelseitig auf und beginnt, sich in der Pubert/~t, um das 20. Lebens- jahr herum oder noch sp/~ter erstmalig bemerkbar zu maehen. ])as erste Symptom ist die Hemeralopie, die sieh darin/~ugert, dag die Xranken sich auf einmal nachts oder in der D/immerung nieht mehr zureehtfinden.

Die typisehe Form der Pigmentdegeneration ist die juvenile. Bei ihr setzt die ttemeralopie in der Regel zwisehen dem 6. und 10. Lebens- jahre ein. Der Beginn der Krankheit wird oft gar nieht bemerkt, weil die Ausfallserscheinungen anf/~nglieh sehr gering zu sein pflegen. ])ann verf/~llt aber zunehmend die Sehleistung des Auges immer mehr, bis als Endzustand der Degeneration ein kleiner zentraler Sehrest ~ibrigbleibt, der noeh die volle Sehsch/irfe yon 5/5 haben kann, oder es tritt in schweren F~llen vSllige Erblindung ein. Nach Crzellitzer sind 4% allerErblindungen auf die Pigznentdegeneration der Netzhaut zuriickzufiihren.

AuGer der typisehen Form der Pigmentdegeneration gibt es noeh andere atypische Abarten. Von Derigs und E. ,%hmidt wurde eine ein- seitige Pigmentdegeneration beobaehtet. Bei einer anderen Abart - - der Retinitis pigmentosa sine pigmento - - fehlen bei sonst charakteristi- sehem Augenspiegelbefund die ,,Knoehenk6rperchen". Es ist er6rtert worden, ob in diesem Falle die Pigmententartung nur verzSgert sei und dann sp/~ter noch nachk/~me oder ob das Pigment im Pigmentepithel abgebaut wiirde. Axen/eld besehreibt eine Pigmentdegeneratiou, die ohne Nachtblindheit begann. Eine besonders schwere Form bef/~llt Netzhaut und Aderhaut zugleieh schon im friihen Kindesalter. Es ist die Atrophia chorioideae et retinae gyrata, bei der sich ,,fleekf6rmige Atrophien" bilden, die sp/~ter zusammenfliegen. Dann ist die Atrophia gyrata zur Atrophia totalis geworden. Ein erheblieh andersartiges Bild, ganz verschieden yon dem der typischen Pigmentdegeneration, bietet uns die Retinitis punetata albeseens. I-Iier sind start der Knochen- k6rperehen ,,zahllose :kleinste weigliehe und weiglieh-gelbliehe Piinkt- ehen" in der Retina zu sehen.

Page 3: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

40 Helmut Weber: l~ber die Kombination

~ber den Erbgang der Pigmentdegenerationen der Netzhaut sind wir durch die Forschungen yon Nettleship, Usher, Julia Bell, Franceschetti und Waardenburg sehr gut unterrichtet. Es kommen alle drei Erbg~nge vor:

1. Der rezessive als der h~ufigste in etwa 27--30 % der F/~lle (Waarden- burg). Er ist charakterisiert durch hinzutretende Leiden des Zentra]- nervensystems, yon Taubheit oder Taubstummheit .

2. Der dominante in etwa 3- -4% der F~lle (J. Bell). 3. Der rezessiv-geschlechtsgebundene (Gasalla, Nettleship). Er ist

auBerordentlich selten und bevorzugt das m~nnliche Geschlecht. Nach den Untersuchungen yon Steinberg und Waardenburg kommt

ffir das Zusammentreffen mit Taubstummheit in erster Linie die typische, d. h. die juvenile, rezessive Form der Pigmentdegeneration in Betraeht; denn die Nachforschungen ergaben, dab bei der Vergesellschaftung dieser beiden Leiden bisher am h~ufigsten dieser Erbgang vorlag.

2. Die erblichen H6rst6rungen. Uber den Begriff der Taubstummheit war man sich lange unklar. Man war geneigt, dem klinisch stets stereo- typen Symptom der ,,Taubheit", das, wenn es yon Geburt an oder seit allerfriihester Kindheit bestand, durch das UnvermSgen dieser Kinder, sprechen zu lernen, sich zur , ,Taubstummheit" erweiterte, ein stets gleichartiges Erbgeschehen zugrunde zu legen.

Die Wiener Autoren Hammerschlag, Bauer und C. Stein nahmen eine einzige urs~chliche Noxe fiir alle Erbleiden des inneren Ohres an und sprachen yon einer ,,Heredodegeneratio acustica". Ob diese Noxe eine Otosklerose, heredits InnenohrschwerhSrigkeit oder eine Taubstummheit zur Folge hat, beruhe lediglich auf verschiedener Ausdrucksweise der gleichen Krankheitsursache. Die erblichen Innen- ohrerkrankungen sind keine ,,distinkten Krankheiten, sondern nur Glieder einer fibergeordneten nosologischen Einheit". Zwei rezessive Gene bewirken eine O~osklerose. Ha t ein Gen partiel]e Dominanz, so resultiert eine heredit~r-degenerative InnenohrschwerhSrigkeit oder eine konstitutionelle Taubstummheit , je nach der Durehsehlagskraft (Valenz) des dominanten Genes.

Die Arbeiten yon Albrecht, Hanhart und Lenz zeigen uns hingegen, dab die Taubstummheit und alle anderen Erbleiden des Innenohres der Ausdruck yon ganz verschiedenartigen Vorg~ngen mit ,,eigener Genese, Vererbung und Pathologie" sind, die das GehSr in seiner Gebrauchs- tiichtigkeit bis zu versehiedenen Graden sch~digen kSnnen.

Vor allem ist bei jeder Untersuehung erst einmal die Differential- diagnose zwischen ererbtem und erworbenem Ohrenleiden zu treffen. Die Entscheidung ist grundss und muB absolut sicher sein. Un- gewisse Fs scheiden fiir die Bearbeitnng aus. Das GehSr kann durch Lues congenita, durch Geburtstrauma, durch schwere Infektionskrank- heiten, durch Unfall (Sch~delbruch) und durch Kretinismus (Typus Siebenmann) bis zum Funktionsausfall geseh~digt werden. Is t man

Page 4: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yon Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit. 41

also bei der Beurteilung, ob eine HSrst5rung erblich sei oder nicht, un- genau, so kSnnen die Resultate nicht als einwandfrei anerkannt werden.

Wir sehen demnaeh, dab bei der Beurteilung der Erblichkeit yon H5rdefekten sehon ein groBer Teil der Befallenen als erworben krank ausscheidet.

Unter dem Rest der F~lle, die man als familiiir belastet herausge- funden hat, bleiben zwei ganz scharf voneinander abgegrenzte Gruppen fibrig:

1. Die rezessive Taubstummheit nnd 2. die heredit~t-degenerative Innenohrschwerh6rigkeit. Mit dem Problem der Taubstummheit beschi~ftigt man sich bereits

seit 21/2 Jahrhunderten. Das Symptom ist so auffallend, dab es sehon immer das allgemeine Interesse erregt hat. Im Jahre 1697 wurden yon Bonnet 3 F/ille in wissenschaftlich heute allerdings nieht mehr verwert- barer Form ver5ffentlicht. Um 1900 waren es dann Mondini, Sieben- mann und Scheibe, die erstmalig durch histologische Untersuchnngen an Felsenbeinen die Mannigfaltigkeit der erblicheD GehSrsch~den dar- legten. Nach den Befunden dieser drei Autoren teilt man anch drei Typen yon HSrstSrungen ein: Den Typus Mondini, Typus Siebenmann und Typus Scheibe.

1. Die rezessive Taubstummheit. Diesen drei Forschern folgten dann noch viele andere, bis im Jahre 1923 Albrecht und nach ihm Werner, ~letges, Bigler, Hanhart nnd Lenz eine monomer rezessive Form der Taubstummheit fanden. Da diese Form plStzlich bei einer Geschwister- reihe aufzutreten pflegt und dann wieder ph~notypisch aus der Familie verschwunden ist, so hat man, noch ehe man den rezessiven Erbgang erkannt hatte, diese Art der Taubstummheit auch als sporadische be- zeichnet. ,,Die einzelnen Taubstummen liegen wie sporadisehe Inseln in einer sonst gut h5renden Familie" (Albrecht).

Die rezessiv-sporadische Taubstummheit tritt ,meist praktisch als Taubheit auf und besteht yon Geburt an. Es kSnnen zwar noch kleine ttSrreste vorhanden sein, die auf L~rmtrommel oder Pfeife ansprechen; ffir die Umgangssprache jedoch f~llt ein solches Geh5r meist aus. Die rezessive Taubstummheit ist immer doppelseitig vorhanden nnd ent- sprieht dem Typus Scheibe.

Nach histologischen Untersuehungen besonders yon Quix-Brower, Siebenmann-Bing, Nager und Albrecht ist man auch fiber die pathologisch- anatomischen Vorg~nge bei der rezessiven Taubstummheit im wesentlichen informiert, wenn auch fiir feinere Einzelheiten des Befundes die Anzahl der untersuchten Felsenbeine und Gehirne noeh zu gering ist.

Danach handelt es sich bei der rezessiven Taubstummheit um eine Aplasie des nervSsen HSrapparates, die alle Stellen desselben betreffen kann yon einer geringffigigen Ver~nderung der Stria vascularis an fiber Aplasien des Cortischen Organes und des •ervenstammes bis zu schweren Veranderungen an den Cochlearis- kernen und an den zentralen Hirnbahnen. Auch die Rindenbreite der Cortex

Page 5: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

42 Helmut Weber: ~ber die Kombina~ion

cerebri kann verschm~lert und die Gliaelemente kSnnen vermehrt sein (Siebenmann- Bing, Lange).

Dabei ist die knScherne Sehneeke vOllig normal angelegt. Man kann also sagen, dab bei der rezessiven Taubstummheit die Entwieklung des nervSsen HSrapparates auf unfertiger Vorstufe stehengeblieben ist (Entwieklungshemmung). Gelegentlieh vorkommende, abnorm kleine Sehneeken oder hSherer und niederer Ban der Sehneekenspindel sindAb- weichungen yon der Norm innerhalb der zuls SehwanknngSbreite. Da keine Disproportionierx~ng vorliegt, kann man in einem so]ehen Falle nicht yon einer Mil~bi]dnng reden (Alexander, Denker, Schwabach, IBrun- net). Die Funktion des Vestibularis ist meist erhalten; sein Ansfa]l ist in etwa 1/s der Falle nachweisbar. Anffallend ist, dab er in den Fallen, die mit Pigment@generation der Netzhaut kombiniert sind, vorwiegend unerregbar ist (Schwarz, Gi~tt-RiJdin-Ruttke). Doch kann aueh einma] die Funktion des Vestibularapparates erhalten bleiben trotz bestehen- der Pigment@generation (Schwarz).

2. Hereditdir-degenerative Innenohrschwerh6rigkeit. Von diesem ganz eharakteristischen Typas Scheibe las t sich ein anderer abgrenzen: Es ist die hereditar-degenerative InnenohrsehwerhSrigkeit. Nach For- sehungen yon Albrecht, O. Mayer nnd Nager ]iegt bier der dominante Erbgang lest. Man spricht deshalb besser yon der dominanten Innen- ohrschwerhSrigkeit im Gegensatz zur rezessiven Taubstummheit .

Das Wesentliehe bei der dominanten Form ist, da$ sich bier alle ]Jbergange yon einer eben wahrnehmbaren SehwerhSrigkeit bis zur vSlligen Tanbheit finden, und zwar in ein und derselben Familie. Wahrend bei der rezessiven Form die zentralen, nervSsen Verandernngen im Mittel- punkte stehen, sind bei der dominanten InnenohrschwerhSrigkeit aus- gesprochene MiJ]bildungen der knSchernen Schneeke und des peripheren Nervenendapparates zu verzeichnen (0. Mayer, 2qager, Albrecht, Alexan- der, lLange, Alt, Brunner, Neumann). Das so mi6bildete HSrorgan ver- fallt dann der Degeneration (0. Mayer). Die peripheren MiBbildnngen stehen also im Vordergrunde, zentrale MifJbildungen sind bisher noch nieht beobachtet worden.

Ha t die rezessive Form als Aplasie einen stationaren Charakter, kliniseh den ,,Znstand der Taubstummhei t" zur Folge, so handelt es sich bei der dominanten :Form um degenerativ-progrediente ,Vorgange" dos Nervenendapparates. Der erblich miJSbildete Nerv fallt aueh der Abnntzung starker anheim, wghrend der aplastisehe Nervenapparat sich gar nieht abnutzen kann, da er ja yon vorneherein funktionslos ist.

Die KJ-ankheit beginnt haufig sehon friih, in leiehteren Fallen erst sparer, nm dann meist fortschreitend zuznnehmen. Analog zur Pigment- degeneration der l~etzhaut kSnnte man auch bier eine Einteilung in eine infantile, juvenile nnd senile Form der SehwerhSrigkeit vornehmen, entdeekt man doch manehmal hinter einer harmlosen AltersschwerhSrig-

Page 6: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yon Pigmentdegeneration der !%tzhaut mit Taubstummheit. 43

keit eine milde Auspr/igung der dominanten InnenohrschwerhSrigkeit. Allgemein karm man sagen, dab die Folgen einer degenerativen Er- krankung um so schwerer sind, je friiher sie begirmt.

Was die SchneckenmiBbildungen betrifft, so kSnnen hier zwei Typen unterschieden werden:

Bei dem einen Typus bestehen die MiBbildungen in fehlender oder mangelhaft angelegter Schneckenspindel, Defekten an den Skalensepten und Schnecken- windungen, 1%hlbildungen des Ganglion spira]e, des Cortisehen Organes und der Spiralkan/~le. Bei dem anderen Typus kommen zu diesen MiBbildungen hochgradige Ektasien yon Saccu]us, Duetus eoch]earis und Ductus endolymphaticus naeh dem Typus Mondini hinzu.

Man unterscheidet also einen Typ mit und einen ohne Ektasien (Nager, O. Mayer). Die Erscheinungsform der MiBbildungen ist vSllig variabel und in jedem Falle versehieden, bei demselben Kranken aber stets doppelseitig identisch. Wie bei dem Typus Mondini die Ektasien zustande kommen, ist noeh nicht gekl~rt.

Am Vestibularapparat hat man bei der dominanten Form bisher noeh keine Unregelmi~Bigkeiten beobachten k6nnen.

So sind die Merkmalstr/~ger in einer Familie, die mit rezessiver Taub- stummheit belastet ist, meist taub, w/~hrend in einer Familie mit domi- nanter InnenohrsehwerhSrigkeit die Variationsbreite zwisehen ieichtester Sehwerh5rigkeit und vollst/~ndiger Taubheit schwanken kann (Albrecht, Hanhart). Fiir das Zustandekommen vor allem der rezessiven Taub- stummheit nehmen Albrecht und Hanhart ein mutierendes Gen an, das die H5rstSrung ver~nlal]t. Inzueht und Endemie begiinstigen die Rein- erhaltung und Weiterverbreitung des mutierten Genes. Hanhart glaubt nun, einen l~epri~sentanten einer mit rezessiver Taubstummhei t be- lasteten Familie fiir das Vorkommen des Erbleidens bei seinen Nach- fahren verantwortlich maehen zu kSnnen in dem Sinne, dab bei diesem die Genmutation stattgefunden babe. Ein einwandfreier Beweis dafiir kann wohl kaum beigebracht werden, da dieser Repr/isentant das Gen wieder yon einem Vorfahren ererbt haben kann, der im S tammbaum nieht erfaBt wurde.

Jedenfalls sind wir auf Grund der genauen Kenntnis der Erbgi~nge der famili~ren Innenohrerkrankungen in der Lage, die beiden voll- st/~ndig unabh~ngig voneinander bestehenden Labyrinthaffektionen ab- zugrenzen in

1. die rezessive Taubstummheit und 2. die dominante InnenohrschwerhSrigkeit.

B. Das gegenseitige Verhalten zwischen Pigmentdegeneration der 5Tetzhaut und Taubstummheit.

Die vorangeg~ngene Betrachtung der erblichen Pigmentdegene- rationen der Netzhaut und der erblichen Ohrenleiden hat gezeigt, wie sehr verschieden und in sich abgeschlossen die einzelnen Krankhei ten

Page 7: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

44 Hehnut Weber: [Jber die Kombination

sind. Es soll j e t z t un te r such t werden, ob das kombin ie r t e Auf t r e t en yon P igmentdegenera t ion der N e t z h a u t mi t T a u b s t u m m h e i t in e inem inneren ursi ichlichen Zusammenhang s teh t oder ob es sich dabe i am selbst~ndig nebene inander ex is t ie rende erbl iche Anomal i en handel t . Die F rage soll an H a n d des nachfo lgenden S t a m m b a u m e s e rSr te r t werden.

Der S t a m m b a u m behande l t eine Fami l i e W., in der Merkmals t r~ger fiir P igmen tdegene ra t ion und T a u b s t u m m h e i t zugleich vorkommen. Der S t a m m b a u m soll im folgenden wiedergegeben werden :

Untersuchungsergebnisse. 1. Der Vater der Pigmentosa-Taubstummen J. F. W. is~ 1908 im Alter yon

43 Jahren gestorben. Er soll gut gesehen und gehSrt h~ben, war jedoch Trinker.

Mn/e W. Mn/e Sch. D'n/e /-I

Oh,: W. J. ,5'ch.

o ~j.FC~w. 8 ~ 6 Io 6 L I ~ n o r m c z / !-~lq.

5 A.~Cch. 5 .geistes- g ~Nch. A.H. a I r._J normalkrank L ~ n o r m a l

I ~ I ~ I I I-~ I l ~ I

, ~'~ ~ ~}~inker aeb.Sch:'l= =1= n~ch I I I

l ' I ~ I I ~ I ~ I I I I I I ' 8 ~ ' ? /'ns~samt

a~ Deszen-'~ 4; e~lznde, denlen W'esund ~'ck/er jesund

an/e/such/,

~o-u~s/umme

A_bb. 1.

2. Die Mutter Chr. W., 72 Jahre alt, lebt noch und ist eine sehr riistige, arbeits- fi~hige Frau. Sie hat frfiher gut gehSrt und leidet jetzt an AltersschwerhSrigkeit.

Von den E l t e r a s t a m m e n 9 K i n d e r ab : 1. Chr. W., 1903 taub geboren, 10j~hrig an ,,Knochenerkrankung" gestorben. 2. M. W., verheiratet, 44 Jahre alt, gesunde Mutter yon 2 gesunden TSchtern,

hSrt und sieht gut. Der ophthalmologische und otoskopische Befund ergab niehts. Sie ist in ihrem Gesamthabitus nervSs.

3. E. W., 42 Jahre alt, seit Geburt taub, geistig nicht entwickelt, spricht Taub- stummenspraehe, taumelnder Gang, mit 27 Jahren wurde zum ersten Male Nacht- b]indheit bemerkt.

Page 8: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yen Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit. 45

Otologischer Be/und. Trommelfell: beiderseits o. B., h6rt weder Glocke, Larm- trommel noch Pfeife, Vestibularis nicht erregbar.

Ophthalmologischer Be/und. Typische Pigmentdegeneration der Netzhaut, Cataracta complicata, Strabismus divergens, feinschlagiger Spontannystagmus.

4. Fr. W., 40 Jahre alt, seit Geburt taub, klagt fiber Kopf- und •ervenschmerzen (wahrscheinlich Alkoholneuritis, da er Trinket ist), hat auf der Taubstummen- schule eine schwer verstandliche Sprache gelernt, ist geistig wenig entwickelt, leicht reizbar, taumelnder Gang.

Otoloffischer yBeJund. Trommelfell: beiderseits o. B., Pfeife und Glocke werden gar nicht, Larmtrommel rechts besser als links geh6rt, Vestibularis nicht erregbar.

�9 Ophthalmologischer Be/und. Typische Pigmentdegeneration der Netzhaut, Cataracta complicata.

5. M.W., 8jahrig an ,,Lungenentzfindung" gestorben. 6, E. W., verheiratet, 37 Jahre alt, hSrt und sieht gut, hat gesunde Nachkommen. 7. R .W. , taub geboren, l jahrig an roten F]ecken gestorben. 8. H.W. , hatte eine Nervenerkrankung mit Lahmungserseheinungen und

Tuberkulose, ist mit 12 Jahren gestorben. 9. I~. W., 32 Jahre alt, seit Geburt taub, Sprache auBerst mangelhaft, geistig

wenig entwiekelt, hat taumelnden Gang, leicht reizbare Psyche. Otologischer Be/und. Trommelfell: beidersits o. B., hOrt weder Glocke, Larm-

tromme] noch Pfeife, Vestibularis nicht erregbar. Ophthalmologischer Be/und. Typische Pigmentdegeneration der Netzhaut.

Eine noch l ebende Schwester der Mut t e r konn te un te r such t werden : B. S., verheiratet, 76 Jahre alt, eine ffir ihr Alter sehr rfistige Frau, hat mit

Kindern und Enkeln zusammen 29 Nachkommen, die alle gesund sind. Otologisch ergab sich eine Altersschwerh6rigkeit geringen Grades. Der

Vestibularis ist erregbar, auch die Augen sind gut. Ein Bruder des Vaters der Pigmentosa-Taubstummen Chr. W. war in ~qiirtingen

ansassig. Er starb 1936 im Alter yon 66 Jahren. Er soll gut gesehen und geh6rt haben. Von seinen 6 Kindern sind zwei frfihzeitig gestorben, ein Knabe lernte sehr spat sprechen.

Verfolgt m a n den S t a m m b a u m , soweit es das K i r c h e n b u c h und das Fami l i enreg i s t e r ges ta t ten , zurfick, so f inder sich in der ganzen Aszen- denz ke in Merkmalstr/~ger mehr , weder fiir P igmen tdegene ra t ion noch fiir Taubs tummhe i t . Die einzigen Angaben , die sich l i nden liel3en, be- t reffen eine A. M. Sch., die in einer I r r e n a n s t a l t war, und einen J . Sch., der sich erh/ingte. Auch die .Deszendenz und die Sei tenl inien s ind merk- malsfrei , weil in fremde, gesunde Fami l i en h ine ingehe i ra te t wurde und so eine Homozygo t i e vermieden werden konnte .

Bis auf die T a u b s t u m m e n m a c h t die Fami l i e e inen geist ig r ech t auf- geweckten Eindruck . Die TSchter yon 2. M . W . sollen in der Doff- schule un te r den bes ten Sch i i l e r innen sein. Bei den T a u b s t u m m e n ist es natf i r l ich sehr schwierig zu unterscheiden , ob eine erbl iche Geistes- schw/~che vor l iegt oder ob sie in ihrer Geis tesentwicklung infolge der s t a rken Behinderung im Lernen zur i ickgebl ieben sind.

I n einer bis dah in merkmals f re ien Aszendenz t r e t en nach der H e i r a t yon Ve t te r und Base zweiten Grades bei deren K i n d e r n die P igmen t - degenera t ion a n d die T a u b s t u m m h e i t kombin i e r t auf. Es hande l t sich

Page 9: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

46 tIelmut Weber: t)ber die Kombination

daher in der Familie W. zweifellos nm zwei kombinierte Erbleiden, n/~m- lich um die Pigmentdegeneration der Netzhaut und um die rezessive Tanbstnmmheit. Die erbliche Anlage blieb in der Familie so lange latent, als sich die Genkonduktoren heterozygot erhielten. Durch die Verwandtenehe wurden die heterozygoten, rezessiven Anlagen homo- zygot und somit manifest. Wenn miter 9 Geschwistern 5 erbkrank sind, so entspricht das 56% start der zu erwartenden 25%. Albrecht zeigte, dab in Wirklichkeit Anomalien im Erbgang der einfach rezessiven Krank- heiten - - besonders bei Inzncht - - vorkommen. Das gilt auch fiir die rezessive Tanbstummheit.

Merkwfirdig ist lediglieh die Tatsache, dab in solchen Familien die gesamte Aszendenz meistens vollkommen merkmalsfrei ist. Langen- beck s sich dazn: ,,Bei der Armahme rezessiver Vererbnng besteht in solchen F~llen gar keine grofte Wahrscheinliehkeit, weitere Erbtaube in der n/~heren Verwandtschaft des Untersuchten aufzufinden, wenn man nicht sehr weir in die Aszendenz zuriickgreifen kann, was gew6hnlich an der M6glichkeit, eine sichere Auskunft zu bekommen, scheitert."

Wie es daher dem Wesen der rezessiven Taubstummheit entsprieht, manifestiert sie sich in der Geschwisterreihe des oben angegebenen Stammbanms in geradezu katastrophaler Weise : Von den 9 Geschwistern sind 5 manifest erbkrank, 2 andere starben frtih, so daft nnr noch 2 Schwe- stern ph~notypisch gesund sind und heiraten konnten. Ob die beiden taub geborenen Gesehwister s]?/~ter noch eine Pigmentdegeneration hinzubekommen h~tten, ist nicht zu entseheiden, well sie schon in fr/ihem Kin@salter starben.

Anf die Frage, wie das kombinierte Anftreten der beiden Affektionen zu erkl/~ren ist, gibt nns dieser Stammbanm keine eindeutige Antwort. Auffallend ist jedoeh die Tatsache, dal] s/~mtliche befallenen Geschwister

soweit sie noch am Leben sind - - an beiden Affektionen ztlgleich leiden. Dieses kombinierte Anftreten macht auf den ersten Blick die Annahme wahrscheinlich, dal3 hier ein in sich abgeschlossenes, einheit- liches nnd zusammengeh6riges Leiden vorliegt. Sie ist um so wahr- scheinlicher, als auch der Vestibularis bei allen 3 ?r nn- erregbar ist, was bei der rezessiven Ta~bstummheit relativ selten vor- kommt. Diese Anschanung findet eine weitere Stfitze in der Tatsache, daft das kombinierte Auftreten bei nns in Wiirttemberg als grebe Selten- heit zu bezeichnen ist.

An der Ttibinger Itals-, Nasen- und Ohrenklinik werden die Stammb/~ume s~mtlicher Taubstummenfamilien Wfirttembergs aufbewahrt und ebenso an der Augenklinik alle Stammb/~ume der Familien, in denen Pigmentdegeneration der Netzhaut vorkommt. In seiner Inauguraldissertation fiber die Pigmentdegeneration der Netzhaut hat W. Scheurlen 23 Familien in Wfirttemberg und Hohenzollern mit insgesamt 506 Kranken ver6ffentlieht. Trotz dieser Ffille des Materials ist doch nur die einzige, oben besprochene Familie bekannt, in der einmal beide Leiden vergesellsehaftet sind.

Page 10: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

von Pigmentdegeneration der Ne~zhaut mit Taubstummhei~. 47

Wenn also das kombinierte Auftreten der beiden Erbleiden bei einer Familie in dieser Hs und Gesehlossenheit beoba'chtet wird, so liegt der Gedanke sehr nahe, dab es sich hier um eine besondere, eigen- artige Form der Erbleiden handelt.

Diese Annahme erhi~lt aber einen kriiftigen Stol] dureh die Beob- aehtung, dab sich die Pigmentdegeneration der Netzhaut nicht nur mit der rezessiven Taubstummheit , sondern auch mit der dominanten Innen- ohrsehwerhSrigkelt vereinigt. Vogelsang, Reich und Barth verSffentliehten nEmlieh 1937 einen Stammbanm mit der Kombinat ion der dominanten InnenohrsehwerhSrigkeit und Pigmentdegeneration der l~etzhaut. Es

"1 2 3 # 5 6 7 I I

pu/er incer/us~ ~_ ~ 9 ~ --dr~nAn~ unteP3uch/

f/nnenoh['-

?,72 ? , t

"~dorn/nan/e .Tnneno/zr- ~P/~menfosa- /nnenohP- ~_ SC/TWachJnn "~ schwerhdr/gke/l -]- schwePh~'r/ge

Abb. 2. S t a m m t a f e l einer Famil ie m i t P igmon tde ge ne ra t i o n tier N e t z h a u t , dominan~er InnenohrschwerhSr igke i t u n d Schwachs inn .

kommen in dieser Familie alle Grade der InnenohrschwerhSrigkeit bei erhaltener Vestibularerregbarkeit vor. AuBer der Pigmentdegeneration finder sich noch Sehwaehsinn, der nach den Befunden, die sich aus dem Stammbaum ablesen lassen, aueh als erblich aufgefaBt werden muB. Die Geisteskrankheit erseheint n/~mlich in einer Seitenlinie wieder. Daneben fEllt auch die Bereitschaft zu Zwillingsgeburten auf. Aueh in dieser Familie ]iegt Blutsverwandtschaft vor, die sich allerdings aus dem Stammbaum nicht ableiten 1/~8t. Die Autoren bemerken dazu:

,,Bei unserer Beobachtung ist die Blutsverwandtschaft erst anl/~Blich eines Gerichtsverfahrens vom zust/~ndigen Richter entdeckt worden; sie w~re ohne diesen .unbekannt geblieben."

Mit Genehmigung yon Herrn Oberarzt Barth gebe ieh hier den Stamm- baum in etwas gekiirzter Form wieder:

In diesem Falle liegt sogar eine erbliche Trias vor: 1. dominante InnenohrschwerhSrigkeit, 2. Pigmentdegeneration der Netzhaut, 3. Sehwaehsinn. Die Familienmitglieder 1 und 2 sind dominant innenohrkrank,

miissen aber auBerdem noch heterozygote Tr/iger der Pigmentdegene- ration sein; denn 4 ihrer 8 Kinder sind davon befallen. Gleichzeitig

Page 11: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

48 Helmut Weber: Uber die Kombination

finder sich aber auch das Merkmal ,,Schwachsinn". Interessant ist es, dal] die Pigment@generation nach der Heirat zweier Eltern auftritt, die wir als latente Merkmalstr/~ger fiir diese auffassen miissen und in der iibern/~chsten Generation wieder verschwunden ist. Das entspricht durchaus dem Charakter der Rezessivit/~t.

Ebenso liegt es wahrscheinlich mit dem Auftreten des Schwach- sinns, w/~hrend die dominante Innenohrschwerh6rigkeit durch drei Generationen hindurch fortl/~uft. Die Verfasser beobachteten auch ge- h/~ufte Hyperostosenbildung im /~uI3eren Geh6rgang. Nach Feststel- lungen yon Siebenmann kommt es h/~ufig vor, daI3 sich Verbildungen /~ul3erer u n d innerer Organe kombinieren; so sind mit LabyrinthmifL bildungen oft Verbildungen des /~u6eren und mittleren Ohres verkniipft.

Bei der jiingsten Generation ist ein objektiver H6rbefund noch ni%htr~n allen F~llen zu erheben, da es sich hier um 3--7j~hrige Kinder handelt, bei~denen man eine dominante Innenohrschwerh6rigkeit oder eine Pigmentdegeneration nur selten erwarten darf. Wenn man die Familie aueh weiterhin im Auge beh/~lt, werden sicher in einigen Jahren oder Jahrzehnten noch einige Merkmalstr~ger erseheinen.

Auffallend ist fernerhin, wie tibrigens aueh bei der erstbesehriebenen Sippe die grol3e Kindersterblichkeit, die vielleicht durch letale Auswirkung der Erbfaktoren fiir die in Frage kommenden Krankheiten zustande gebracht wird. Vielleicht wird sie such nur durch mangelnde Pflege und Hygiene hervorgerufen.

Aul3er diesem Falle yon Pigmentdegeneration der Netzhaut und dominanter InnenohrsehwerhSrigkeit ist im Jahre 1938 yon Harms an der Augenklinik in Berlin noeh eine neue Familie mit der Kombination der gleiehen Erbleiden entdeckt worden, in der einige Merkmalstr/~ger einen besonders sehweren Grad der InnenohrschwerhSrigkeit aufweisen. Bei einem Patienten geht sogar das kombinierte Erbleiden noch mit Ozaena einher.

Anch yon Schi~tz existiert ein Stammbaum mit der Kombination yon Pigmentdegeneration und dominanter Innenohrschwerh6rigkeit.

Vergleichen wir unsere Beobachtungen mit den im Sehrifttum be- kannten Fallen, so dr/~ngt sich uns die Frage auf, ob das Bestehen der erw/~hnten Erbleiden nebeneinander ein reiner Zufall ist oder ob nieht etwa ein tieferer Zusammenhang zwischen ihnen besteht.

Die immer wieder auffallende Beobaehtung, dal3 sich Taubstumm- heit mit Pigmentdegeneration vereint (Bezold, Nager), hat den Ge- danken nahegelegt, dal3 es sich hierbei um eine besondere erbliche "Kom- bination oder Korrelation handelt, die dureh ein gemeinsames Gen hervorgerufen wiirde, zumal auch der Vestibularapparat in den aller- meisten F/~llen erloschen ist. Es sind gerade bei diesem Problem sehr viele gegens/~tzliche Meinungen vorhanden. Sie sollen jetzt erSrtert und gegeneinander abgewogen werden.

1. Unitaristische Anschauungen. Die bekannten Sehwierigkeiten, die sich fiir die menschliche Erb-

forsehung aus dem ,,Fehler der kleinen Zahl" ergeben, sind fiir unsere

Page 12: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yon Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubs~ummheit. 49

Betrachtungen besonders zu nnterstreiehen, da die mit Taubstummheit kombinierten F/~lle yon Pigmentdegeneration selten vorkommen. Es ist deshalb kein Wunder, da6 viele Antoren bei der Beurteilung dieser Frage zu ganz gegensgtzlichen Meinungen gelangen. Sehon das region~re Auftreten des kombinierten Leidens in den einzelnen L/~ndern ist sehr verschieden. So ist in Wtirttemberg bisher nur eine einzige :Pamilie bekannt. Durchsehnitt/ieh J/~6t sieh ffir die gesamte Weltliteratnr sagen, dal] 8--10% der erblich Taubstummen gleiehzeitig aueh eine Pigment- degeneration haben (J. Bell, Gi~tt-Ri~din-Ruttke). Es kommen aber auch extreme Angaben yon 43,5% (Us/ter) und 3% (Snegeri//) vor.

Die Frage der Erforschung kombinierter Leiden besteht nicht allein in der Betraehtung yon Taubstammheit und Pigmentdegeneration als zwei klinisch und erbbiologiseh seharf definierten Xrankheitsersehei- nungen an sieh, sondern as ist vor allem tmsere Aufgabe, festzustellen, ob neben der Pigmentdegeneration noeh andere Leiden mit Taubstumm- heir verbunden auftreten. Am besten wird die Vielgestaltigkeit der bisher beobaehteten, mit Tsonbstummheit kombinierten Ver~nderungen durch folgende CTbersicht i]lustriert :

Kombinat ionen yon rezessiver Taubstummheit mit anderen Erbleiden.

1. Rezessive Taubstummheij I

I I J I [ N e u r o l o g i s c h e [ A n o m a l i e n , M e s e n c h y m a l e

A n g e n a n o m a l i e n I A n o m a l i e l l i t ier G e n i t a l s p h f i r e i A n o m a l i e n

i [j Pigmentdegeneration ! Schwa chsinn [ Infantilismus I Zahnanomalien Kolobom Wahnsinn i Hypogenitalismus [ Wirbelsgulen- A. hyaloidea persi- Amaurotische Idiotie i Sterilit~t verkriimmung

stens Endogene Psychosen ! Kryptorchismus i Plattfiil]e Membrana pupillaris Epilepsie Verspgteter Descen-Hernien Nystagmus Sohizophrenie sus testiculorum [ Turmsch~del Strabismus Cerebellare Ataxie [ Hydrokephalus tteterochromie der Mikrokephalus

Iris Lippenspalte Hornersches Syndrom Gaumenspalte Refraktionsanomalien Partieller Albinismus Epikanthus

Au6erdem wurden noch folgende Kombinationen beobachtet: 1. Dominante InnenohrschwerbSrigkeit mit Pigmentdegeneration der

Netzhaut nnd Schwachsinn. 2. Nicht erbliche kretinische Taubstummheit mit Pigmentdegene-

ration (Bezold). 3. Rezessive Taubstummheit mit Retinitis pigmentosa sine pigmento

( Gi~tt- Ri~din- Ruttl~e). 4. i~ezessive Taubstummheit mit Retinitis punctata albescens (Giitt-

Riidin.Ruttke). A r c h l y f . O h r e n : , N a s e n - u . ~ e h l k o p f h e i l k u n d e . B d . 147. 4

Page 13: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

50 I-Ielmut Weber: ~ber die Kombination

a) Einheitliche Heredodegenerationen. Diese Vielseitigkeit veran- lal~te die Wiener Schule unter Hammerschlag, Bauer und C. Stein, eine einheitliehe heredodegenerative Veranlagung anzunehmen und an Hand yon Experimenten mit japanischen Tanzms die erblichen Augen-, Ohren- und cerebralen Anomalien auf einen Nenner zu bringen.

Wie schon eingangs erw~hnt wurde, fassen sie die erblichen Innen- ohraffektionen nnter dem einheitlichen ]3egrig der ,,Heredodegeneratio acustica" zusammen und stellen diesem Krankheitskomplex die ,,Heredo- degeneratio optica" und ,,Heredodegeneratio cerebralis" zur Seite. Eine einzige nrs~chliche Noxe kann Krankheiten im Gebiete dieser drei Gl'uppen auslSsen. Ob eine GeistesstSrung oder ein Attgen- und Ohren- leiden entsteht, beruht lediglich auf verschiedenen Ausdrucksformen ein und derselben Erban]age. Eine einzige Noxe kann aber auch ein kombiniertes Erbleiden veranlassen.

Die heutige Wissenschaft lehnt diese Anschauungen ab:

,,J. Bauer und C. Stein haben dafiir pl~diert, da~ Taubstummheit, labyrinth~re SchwerhO'igkeit und Otosklerose dureh dieselben Erbanlagen bedingt seien; jedoch leidet ihre Publikation an unzulanglieher Methodik. Die biologische Verschiedenheit dieser drei Leiden ist w011ig siehergestellt. Daran gndern aneh die wortreichen Publikationen won Hammerschtaff nichts. Dieser wirft alle die werschiedenen erb- lichen Ohrenleiden in einen Topf, den er ,Heredodegeneratio acustica' nennt, die durch einen einzigen Erbfaktor bedingt sein soll. Entspreehend sollen alle erbliehen Augenleiden als ,geredodegeneratio optics' einheitlich erbbedingt sein; und schliel~lich endet er bei einer allgemeinen ,Heredodegeneratio acustico-optieo- cerebro-spinalis'. Diese Konfusion sei als warnendes Beispiel erwi~hnt, weft aueh einige andere Autoren gem won allgemein erbbedingten ,Organminderwertigkeiten' reden" ( Baur-2'ischer-Lenz).

Mit solchen verallgemeinernden Anschauungen, wie wit sie eben kennengelernt haben, kommt man keinen Schritt welter; im Gegenteil: Sie sind fiir eine wirklieh exakte erbbiologisehe Forschung sogar gef~hr- lich, well sie alle bestehenden Grenzen verwischen.

b) Organminderwertigkeit des Neuroepithels. Steinberg hat auch daran gedacht, dai~ das Neuroepithel yon Geburt an iiberempfindlieh sei und auf jeden Reiz mit Degeneration antworte. Demgegeniiber ist zu sagen, da6 die rezessive Taubstummheit ein ,,aplastischer Zustand" ist ohne die geringste Tendenz zum Fortschreiten des Leidens. Man kann also hier nieht von einem ,,degenerativen Vorgang" spreehen. Es wurde auch erws daI~ die Kombination yon Pigmentdegeneration und Taub- stummheit der Ausdruck einer besonders tiefgreifenden Keimsch~digung sei: Bei geringer Keimsch~digung wiirde nur ein Organ veri~ndert, bei st~rkerer zwei and mehr. Steinberg schreibt:

,,Wit sehen in der Vielheit der Erbleiden nnd ihrer Kombination mit Taub- stummheit den Ausdruck einer tiefgreifenden cerebralen Schi~digung."

Diese tiefgreifende Schs ist anzuerkennen; doch liegt in dieser Tatsache keine Begrfindung fiir das kombinierte Auftreten. Im Kommentar

Page 14: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit. 51

zu dem Werke yon Giitt-Riidin-Ruttke: ,,Zur Verhfitung erbkranken Nachwuchses" heil3t es auch:

,,F~lle yon Taubstummheit, die mit Schwachsinn oder Retinitis Ioigmentosa kombiniert sind, miissen als besonders schwer entartet aufgefagt werden."

Hier ist das Urteil jedoch nur vom Standpunkte des Gesetzgebers gef~llt, der die sozialen Auswirkungen eines derartigen erblic h belasteten Zustandes im Auge hat, w/~hrend man unm6glich das kombinierte Auf- treten yon Erbkrankheiten auf eine mehr oder minder starke Seh/tdigung des gesamten Keimplasmas zuriiekffihren kann.

c) Morphologische Ubereinstimmung der histologischen Veriinderungen an den beiden Sinnesorganen. Bei der histologisehen Untersuehung der Felsenbeine bemerkten Siebenmann und Bing eine auffallende (~berein- stimmung der Befunde an Auge und Ohr:

Das Cortisehe Organ, die Stgbehen und Zapfen der Retina werden atrophiseh, in der zentralen Sehbahn finden sich anMoge Ver~nderungen wie an den Coehleariskernen, die A. eentralis retinae obliteriert genau so wie die A. coehleo-vestibularis und A. vestibularis posterior. Analog zur Entstehung eines zentral und periph/irw/irts progredienten Ringskotoms in der Netzhant treten die H6rst6rungen zuers t ira Bereiehe yon e 5 auf und breiten sich nach der unteren nnd oberen Tongrenze zu aus. ,Es ent- steht die sogenannte cS-Liicke, so dab O. Mayer direkt yon einem ,, Gel~6rs- kotom" gesprochen hat.

Steinberg dachte auch an trophische St6rungen, da die Pigment- degeneration mit Nachtblindheit anzufangen pflegt. Hemeralopie beruht abet auf Vitamin A-Mangel. Bezold kommt auf Grund der Ahnlichkeit der pathologisch-anatomischen Ver/~nderungen an Auge und Ohr bei Pigmentdegeneration der Netzhant und Taubstummheit zu folgendem Schlug :

,,Die geschilderten Funktionsst6rungen im Geh6rorgan legen uns den Gedanken nahe, dab ffir diese F~tlle in der Endausbreitung des H6rnerven im Labyrinth ana- ]oge Ver~tnderungen vorliegen, wie wit. sie in der Peripherie der Netzhaut direkt zu sehen imstande sind. Sogar die Einengung des Gesichtsfeldes, welche die Seh- st6rung bei Retinitis pigmentodsa charakterisiert, finder in den Geh6rorganen der Taubstummen ihre Analogie in einer ~hnlichen Einschr~nkung des tt6rbereiches, welehe sich natfirlich ebenso wie bei Retinitis loigmentos~ auch einmal bis zum vollkommenen Funktionsausfa]l steigern kann."

Der Vergleich des Geh6rskotoms mit dem Ringskotom der Netzhaut kann nur bei der Kombination yon Pigmentdegeneration mit dominanter Innenohrsehwerh6rigkeit gezogen werden, da die rezessive Form yon vorneherein ja station~ren Charakter hat. Es lassen sieh aber die Ver- ~tnderungen der zentralen H6r- nnd Sehbahnen kaum vergleichen; denn bei der dominanten Innenohrsehwerh6rigkeit sind zentrale AnomMien bisher / iberhaupt noch nieht beobachtet worden; bei der rezessiven Taub- stummheit sind es Aplasien, die yon Anfang an vorhanden sind.

4*

Page 15: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

52 IIelmut Weber: Uber die Kombination

Bei voll entwickelter Krankheit erseheinen die histologisehen Ver- ~nderungen, die bei Pigment@generation der Netzhaut und bei rezessiver Taubstummheit in den zentralen Bahnen und in den Kerngebieten zu finden sind, auf den ersten B!ick v611ig gleiGhartig, und man k6nnte daraus einen inneren Zusammenhang dieser beiden Affektionen herleiten, wenn nieht die Entstehung dieser histologisehen Vers grundver- sehieden ws Den Aplasien der HSrbahn stehen die zentralen Alte- rationen der Sehbahn gegentiber, die als Endzustand der au]steigenden Degeneration des Sehstranges aufzufassen sind.

d) Besondere Erbmechanismen. Von vielen Autoren werden besondere Vererbungsmeehanismen beim Erbgang kombinierter Leiden ange- nommen. Die exakte Erforschnng dieser Probleme ist sehr schwierig, weil die Taubstummen gern untereinander heiraten und auf diese Art und Weise intermedis Misehtypen zwisehen der dominanten und der rezes- siven Form bestehen. Die rezessive Form wird nattirlich yon der domi- nanten tiberdeekt. Solche Verhs ersehweren aber die Ubersieht sehr.

A'quivalenztheorie. Franceschetti, Usher, v. Grae/e, Siebenmann, Bing und Liebreich vertreten die Aquivalenztheorie. Sie beobachteten Fumilien, in denen sowohl Pigmentdegeneration und Taubstummheit ftir sich ge- sondert vorkamen oder auch sieh auf einen MerkmalstrAger vereinigten. Sie kamen infolgedessen zu der Ansehauung, dag ein Erbfaktor sieh als Augen]eiden, als Ohrenleiden oder als beides znsammen manifestieren kann, dag diese Erbkrankheiten also einander ~quivalent seien und sigh gegenseitig vertreten k6nnten.

Diese Erkl~rung wird yon Albrecht abgelehnt, weil reine Pigmentosa- familien und reine Taubstummenfamilien die Regel sind und das kombi- nierte Auftreten yon beiden die grol~e Ausnahme darstellL Sonst iniil3ten in Pigmentosafamilien einzelne Taubstumme recht viel h~ufiger zu finden sein und umgekehrt als es der Fall ist.

Komplextheorie. Waardenburg fagt die Vereinigung yon Pigment- degeneration und Taubstnmmheit als einen Komplex auf: ,,Die beiden Leiden sind nur Teilerseheinungen desselben Komplexes." Es sind bei Drosophila melanogaster Chromosomenkomplexe entdeekt worden (Morgan) ; jedoeh ls sigh dariiber vorlgufig noch nichts Absehlie/3endes sagen.

Nur so vJel ist nach Baur-~'ischer-Lenz sieher, daft beim Menschen eine Kom- plexbildung noeh nieht beobaehtet worden ist und s selten vorkommen muB und dab krankhafte, erbliehe Zust~nde meist dureh einzelne Erbanlagen (monomer) bedingt sind (Lenz), Waardenburg hat diese Regel etwas modifiziert: ,,Krankhafte erbliehe Zusti~nde sind wie jedes MerkmM polygen bedingt, sie werden sieh aber meistens nur in einem Erbfaktor ~-on den ebenfalls polygen bedingten normalen Eigenschaften unterseheiden."

Diese Regel sprieht aueh gegen Polymerie und multiplen Allelomorphismus. Unter multiplem Allelomorphisinus versteht man mehrere versehiedenartige

Erbanlagen, die an gleiehen Stellen im Chromosomensatz liegen und Versehieden-

Page 16: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yon Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit. 53

heiten des gleichen ~erkmales bedingen. Dieser Erbgang l/~ftt sich mit dem gleich- zeitigen Bestehen yon rezessiver Taubstummheit oder dominanter Innenohr- sehwerhSrigkeit einerseits und Pigmentdegeneration der Netzhaut andererseits nicht vereinen. AuBerdem liegt j~ zum mindestens fiir die rezessive Taubsturam- heir Monomerie lest.

Gemeinsame Erbanlage. Lenz zieht eine gemeinsame Erbanlage in Er- w~tgung, die durch ihr Auftreten die Pigmentdegeneration und die Taub- stummheit zugleich bewirkt, Da jedoch die Kombination yon beidem zu den Seltenheiten geh5rt, ist man genStigt, dafiir einen besonderen Bio- typus anzunehmen.

Unter dieser Voraussetzung miiBte man fiir Pigmentdegeneration trod dominante InnenohrschwerhSrigkeit wieder einen neuen Biotypus annehmen. Dann d~irfte es sehlieftlich aueh nicht vorkommen, dab es in ein und derselben Familie Merkmalstr~ger ffir Pigmentdegeneration, ftir Taubstummheit und f/Jr beides zugleieh gibt. Es ist wohl kaum anzu- nehmen, dab sich im kontinuierliehen Keimstrome einer Familie mit erblieher Taubstummheit plStzlieh ein besonderer Biotypus entwiekelt, der dann ein kombiniertes Leiden zur Folge hat. Die Biotypen kSnnen sich aueh unmSglieh rein erhalten, weil bald eine Vermischung mit einer anderen Form der ttSr- oder SehstSrung eintritt.

Polytope Gene, Koppelung. Vogelsang, Reich und Barth denken an die MSgliehkeit polytoper Gene. Wenn man diesen Erbmechanismus an- nehmen wollte, so mill]re die Erscheinungsform des kombinierten Erb- leidens im Sinne einer Polyph/s variabler sein und sich nieht immer in der gleiehen stereotypen Form /s Sehr zu bedenken ist die Koppelung, die dann vorliegt, wenn zwei mendelnde Faktoren im selben Chromosom liegen (Baur-Fischer-Lenz). Es kSnnten sehr wohl die betreffenden Gene fiir Pigmentdegeneration und rezessive Taubstumm- heit im selben Chromosom lokalisiert sein. Vorbedingung w/~re abet eine ziemlich enge Koppelung, da bei weiter Koppelung die Gene fiir Pigment- degeneration und Taubstummheit beim crossing-over wieder auseinander- gerissen wiirden.

Diese Hypothese bereitet jedoeh Schwierigkeiten, wenn man auch an die dominante InnenohrsehwerhSrigkeit denkt. Es miissen unbedingt zwei yersehiedene Gene sein, die die neuroepitheliale rezessive Form und die neuroepithelial-mesenehymale dominante Form verursaehen. Und dab diese beiden Gene ebenfalls im gleiehen Chromosom zusammen mit dem Gen liegen, welches die Pigmentdegeneration bewirkt, ist sehr un- wahrscheinlieh. Sind aber die Faktoren in zwei versehiedenen Chromo- somen lokalisiert, dann mendeln sie frei voneinander (Baur-Fischer- Lenz).

Das Bestehen einer Genkoppelung iiberhaupt, und ob die dominante oder die rezessive Labyrinthaffektion mit der Pigmentdegeneration der Netzhaut gekoppelt ist, liege sieh objektiv nur dureh das Anfstellen einer

Page 17: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

54 Helmut Weber: l~3ber die Kombination

Chromosomenkar te des Mensehen beweisen, aus der man, wie bei Droso- phi la melanogas te r die Lokal i sa t ion der Gene in den einzelnen Chromo- somen ablesen k a n n (Morgan). Die Zusammens te l lung einer solehen K a r t e s tSg t aber gerade beim Mensehen auf die allergr6Bten Schwierig- kei~en.

Wenn man bedenkt, dab die LokMisation der Gene im mensehlichen Gesehleehts- chromosom in der Hauptsaehe bekannt ist, wird man friiher oder sp/~ter einmal ~mch die anderen Chromosomen erforschen. B. Battt ist es 1938 gelungen, Koppe- lung und Fa.ktorenaustausch am Mensehen bei der Kombination yon Rotgrtin- blindheit und Hgmophilie, die beide im Gesehlechtsehromosom lokalisiert sind, in der CMmbacher Blutersippe nachzuweisen.

Erblich bedingte StSrungen in der Gehirnentwicklung. In eine ganz andere R ieh tung weisen die Ergebnisse, die Kristine Bonnevie auf Grund yon Forschungen fiber die rezessive Bagg-Littlesche K m n k h e i t gewonnen hat , deren H a u p t s y m p t o m e po lymorphe Bi ldungsanomMien im Bereiche der F inger und Zehen (8yndakty l ie , par t ie l le Syndakty l ie , Po lydak ty l i e ) sind, in einem Teil der Fgl le kombin ie r t m i t MiBbildungen der LidspMten des Auges; dabei k6nnen die Augenl ieder mehr oder weniger verengt erseheinen, oder sie s ind vollst/~ndig mi te inander verwachsen.

An Hand yon histologischen Gehirnschnitten bei Embryonen mit dieser Kmnk- heir erblich be]asteter ~gusestgmme stellte sie eine Anomalie in der Embryonal- entwicklung des 4. Ventrikels lest. Durch ein Foramen im Dach des 4. Ventrikels (vordere Nackenliicke) tr i t t im F6talstadium durch abnorm hohe Liquorpro- duktion im Gehirn eine tibergroBe Fltissigkeitsmenge aus, die sieh in Wasserblasen unter der Haut in der Oeeipitalregion verteilt. Diese Wasserblasen wandern yon dt~ aus um den Hals und Rumpf herum und bleiben schlieBlieh an den Akra der Extremit/iten und in der Augengrube hgngen. Diese Blasen verursaehen dann die oben besehriebene Bagg-Littlesehe Krankheit.

Andere Untersuehungen Bonnevies an den , ,kurzsehwgnzigen Tanz- mgusen" , einer neuen Muta t ion , die in L. C. Dunns Labora to r ium, New York, en t s t anden ist, geben uns Aufkl/ trung fiber die sehweren erbl iehen St6rungen dieser Mguse. Sie zeigen einen Stummelsehwanz, ganz ex t reme Bewegungsst6rungen, nervSses Sehfi t teln des Kopfes und Unfghigkei t zu koord in ie r ten Bewegungen (Adiadoehokinese). AuBerdem sind sie ~aub.

Bonnevie konnte nachweisen, dab diese erblich stark belasteten Tanzmguse in ihrer EmbryonMentwieklung eine Katastrophe durchmachen, indem ngmlich der 4. Ventrikel, der spMtenfSrmig verengt ist und keine EntwicMung des Ptexus ehorioideus aufkommen lgf~t, platzt. Diese Abnormit~t in der EmbryonMen~wick- tung hat die oben besehriebenen Ausfallserscheinungen zur Folge. Die Taubheit beruht auf einer fehlerhaften Differenzierung der Labyrinthblgschen, die wiederum yon der Gehirnkatastrophe abh~tngig ist. Der Erbgang dieser Anomalie ist mono- hybrid-rezessiv.

Man kann bei der K o m b i n a t i o n yon T a u b s t u m m h e i t mi t P igment - degenera t ion auch an solehe f ibergeordneten Fehlen twiek lungen denken. Nur sind die Expe r imen te vorerst an Tieren angeste l l t worden und lassen sich n ieh t so ohne weiteres auf den Menschen i iber t ragen. Auf der anderen Seite t~at die B1/tsehenbildung un te r der t I a u t bei der Bagg-Littleschen

Page 18: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

,con Pigmentdegeneration der Netzhaut mit T~ubstummheit. 55

Krankheit eine polymorphe Erscheinungsform der ErbmerkmMe, die sich in station/~ren MiSbildungen /~uBern, zur Folge, w/~hrend die Pigment- degeneration oder die rezessive Taubstummheit uns das Bild einer ganz scharf umrissenen Krankheit bieten und die Retinitis pigmentosa auBer- dem noch progredienten Verlauf zeigt.

Was das Platzen des 4. Ventrikels betrifft, so scheint eine derartige Katastrophe beim menschliehen Keimling in solchem AusmaBe unwahr- seheinlich zu sein; sterben doch sehon die meisten Tanzm/~useembryonen infolge dieser St6rung, und nur die Mlerwenigsten kommen lebend zur Welt. Man kann in diesem Verhalten vielleieht einen Letalfaktor erkennen. Aul]erdem kann ein Bersten des 4. Ventrikels nicht ohne bleibende, sicht- bare Folgen stattfinden. Man miil~te also bei der histologischen Unter- suchung in den Gehirnen dieser Pigmentosa-Taubstummen narbige ver- /~nderungen feststellen, was abet bisher noeh nicht beobachtet worden ist.

Far das Zustandekommen einer rezessiven Taubstummheit k6m~te man eine Gehirnberstung annehmen. DM~ abet gleichzeitig dadurch ein Leiden mitverursaeht wird, das erst im 20. Lebensjahre in Erscheinung tr i t t und aul3erdem noch progredienten Verlauf nimmt, kann man un- mSglich glauben. Anomalien, wie das Platzen des 4. Ventrikels, kSnnen Aplasien oder MiBbildungen zur Folge haben, aber keine Degeneration eines primgr wohlangelegten Organes.

Die Entdeckungen Bonnevies Mud richtungweisend. Man mull diesen Weg noch weitergehen, nm herauszubekommen, ob nicht doeh irgendeine iibergeordnete EntwicklungsstSrung im Gehirn Pigmentdegeneration nnd Taubstummheit zugleich veranlassen kann. Es ist indessen unwahrsehein- lich, dab eine solehe iibergeordnete AnomMie eine rezessive, st, ation/~re Taubstummheit mit einer rezessiven, progredienten Pigmen~degeneration auf der einen Seite bewirken kann und eine dominante, progrediente InnenohrschwerhOrigkeit mit einer Pigmentdegeneration anf der anderen SeiZe.

Sehr zu beaehten ist sehlie$1ieh aueh die Annahme, dab die Gone untereinander im physie0-ehemischen Gleichgewieht stehen, das durch eine Mutation gest6rt wird und so versehiedene andere AnomMien nach sich zieht. Daffir den Beweis zu erbringen, ist abet ganz besonders schwierig.

2. Annahme des getrennten, unabhi~ngigen Erbganges. Die gr6ftte Wahrscheinlichkeit hat wohl die Auffassung, dMt bei der

Vererbung yon Taubstummheit mit Pigmentdegeneration der Netzhaut der getrennte, unabh/~ngige Erbgang vorliegt. Abweichungen yon der Norm linden sich bei jedem Menschen. Es gibt kaum eine Familie, die nieht irgendwie erblich stigmatisiert ist. ,,Eine erbliche Belastung mit rezessiven Erbfibeln hat fast jeder Mensch. In der einen Familie steckt dieses, in der anderen jenes l~bel" (Baur.Fi.scher-Lenz).

Page 19: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

56 Helmut Weber: 0ber die Kombinat, ion

Oben habe ieh eine Zusammenstellung uller mit Taubstummheit zusammen vorkommenden Leiden gegeben. Bei der Fiille der Kombi- nutionen ist es wohl kaum anzunehmen, dab da ein innerer, urss Zusammenhang zwischen den einzelnen, zusammen auftretenden Leiden besteht; es sei denn, man vertr/~te eine Ansieht, die derjenigen yon den eingangs erw/thnten , ,Heredodegenerationen" nahesteht. Die Lenz- Waardenburgsche I~egel besagt, dab sieh krankhafte erbliehe Zust/~nde monomer vererben; eine weitere Regel, dab ulle morphologischen und physiologischen Erscheimmgen yon einzelnen mendelnden Erbeinheiten abh/~ngen (Schwalbe, Weinert) und da/3 es heute selbstverst/~ndlich ist, dal3 restlos fiir alles an und ira K6rper einzelne Erbanlagen verantwortlich sind (Baur.Fischer-Lenz). Es k6nnen natiirlich auch zwei Erbleiden voll- kommen unabh/tngig voneinander bei demselben Individuum bestehen. Hanhart fund in zwei Inzuehtgebieten in der Schweiz (Seelisberg un(1 Gemeinde Wartau im St. Gallischen Rheintal) ein v611ig isoliertes Vor- kornmen yon Pigmentdegeneration und Taubstummheit nebeneinander. Er bemerkt dazu:

,,Beide Merkmale fanden sich als vollkommen unabh~ngig und getrennt ver- erbte Mutationen in den beiden yon mir durchforschten Inzuchtgebieten, ohne dab es auch nur einmal zu einer Vergesellschaftung innerhalb einer Sippe gekommen w i ~ r e . ~

Nghme man irgendeine iibergeordnete Alteration im Gehirn an, dann m/iBte in Pigmentosafamilien hier und du Taubstummheit erscheinen und in Taubstmnmenfamilien das Umgekehrte. Die Kombinat ion yon beidem ist aber gerade die gro6e Ausnahme. Man wird sich also vor- stellen mfissen, dab im Keimstrom einer Familie durch Mutation zwei krankhafte Gene, das eine ftir rezessive Taubstummheit, das andere ffir Pigmentdegeneration der Netzhaut zeitlich zugleich oder nacheinander entstehen. Die Anlagen k6nnen auch durch Einheirat in eine belastete Familie in die eigene gesnnde Sippe eingeschleppt werden. Verhalten sich die Erbfuktoren heterozygot, so bleibt die Anlage latent, his sich zwei Genkonduktoren heiraten. Dann werden die Gene homozygot, die Krunk- heit somit manifest. ]3esonders begiinstigend fiir das Zusammentreffen zweier Heterozygoten ist aber die Blutsverwandtschaft der Eltern, wie es aus nnserem Stammbaum W. ersichtlieh ist.

Lenz sagt: ,,Der elterlichen Konsanguinitfi.t kommt eine mn so gr6Bere Bedeu- tung zu, je seltener ein rezessives Merkmal ist bzw. die ihm zugrunde liegende Mutation auftritt" und dab die Inzucht das Herausmendeln rezessiver Anlagen f6rdert; denn die rezessiven Krankheitsanlagen sind verhi~lfmismgl]ig selten, und ein rezessiv Kranker wird in seiner eigenen Familie die gr613te Aussicht haben, wieder auf die gleiehe Anlage zu treffen (Siemens).

Prinzipiell dasselbe Verhalten ist aueh bei der Kombinat ion von dominanter Innenohrsebwerh6rigkeit mit Pigmentdegeneration anzu- nehmen; nur manifestiert sieh die dominante Innenohrsehwer.h6rigkeit sehon heterozygot, w/~hrend die Pigmentdegeneration erst naeh der Heirat

Page 20: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yon Pigmentdegeneration der Netzh,uut mit Taubstummheit. 57

zweier Heterozygoter, die also schwerh6rig, aber nicht pigmentosaleidend sind, in Erscheinung tritt . In diesem Falle, der im S tammbaum yon Vogelsang, Reich und Barth vorliegt, muB man bei den Kindern der hetero- zygoten Eltern auch die dominante Innenohrschwerh6rigkeit als homo- zygot bestehend auffassen. Der in dieser Familie augerdem noeh neben den genannten beiden Affektionen uuftretende Sehwaehsinn liefert uns einen weiteren Anhalt fiir die Annahme des unabh/ingigen Erbganges.

Wit ersehen aus dem Stammbaum der drei Autoren ganz deutlich den dominanten Erbgang der Innenohrschwerh6rigkeit, den rezessiven der Pigmentdegeneration und den ebenfalls rezessiven Erbgang des Sehwaehsinns, der sich in einer Seitenlinie selbstgndig wieder heraus- mendelt. Es nimmt auch nicht wunder, dab drei yon den vier Pigmentosa- Taubstummen ebenfalls schwachsinnig sind, da man die Eltern auch fiir Schwachsinn his Heterozygote annehmen mug.

Begriindung des unabhgngigen Erbganges. Es lassen sich demnach folgende Griinde fiir das Bestehen des getrennten unabh/~ngigen Erb- ganges yon Pigmentdegeneration der Netzhaut in Kombinution m i t tier rezessiven Taubstummheit oder dominanten Innenohrschwerh6rigkeit anf/ihren:

1. Die groge Wesensfremdheit der betreffenden Leiden spricht gegen einen urs/s Zusammenhang. Die sporadisehe Taubstummheit , meist ohne Vestibularerregbarkeit ist zwar rezessiv, ihr liegt abet der ,,Zustand der Aplasie" neuroepithelialer Elemente zugrunde; die Krank- heir besteht yon Geburt an.

Die Pigmentdegeneration ist zwar auch rezessiv, hier aber handelt es sieh urn einen ,,fortsehreitenden Degenerationsprozeg" der vollent- wickelten Retina, der erst im Laufe des sp~teren Lebens einsetzt.

2. Ha t man den rezessiven Erbgang als begiinstigendes Moment ftir die Vergesellsehaftung angesehen, so haben die Ergebnisse der Berliner Kliniken gezeigt, dab sich auch die dominante Innenohrsehwerh6rigkeit mit der Pigmentdegeneration vereinigen kann.

In diesem Falle besteht die dominante Krankheit mit erhaltener Vestibularerregbarkeit, die in einer MiBbildung der neuroepithelial- mesenchymalen Schnecke begrtindet ist, neben der rezessiven Pigment- degeneration, die nur neuroepitheliale Gebilde erfaBt.

3. In den meisten F/illen treten die beiden Leiden vollstis getrenat in verschiedenen Familien auf, und die Kombination miteinander ist die Ausnahme.

4. Die Begiinstigung der Vergesellschaftung von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit dutch die Blutsverwandtsehaft tier Eltern spricht fiir den unabh/s rezessiven Erbgang, der dadurch noch oftener zutage tritt , dab

Page 21: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

58 Helmut Weber: ~ber die Kombination

5. yon de Wilde und Hammersehlag Familien erfsl]t wurden, in denen Pigmentdegeneration der Netzhsut und Tsubstummhei t isoliert ftir sich, als such kombiniert miteinander vorkamen.

6. Das t t inzutreten yon Schwachsinn, der sowohl in Verbindung mit der Pigmentdegeneration und Tsubstummhei t zusammen, oder in Ver- bindung mit einem yon den beiden Leiden, sis auch vollkommen frei ffir sich sllein snftritt , macht einen inneren, nrs~tchlichen Zusammenhang unwahrscheinlich.

7. Aui]er den Kombinationen der drei erw~hnten Erbkrankheiten kommen noch eine Fiille anderer vor, wie sie oben sehon zusammenge- stellt worden sind.

8. Wenn man auch bei der histologisehen Untersuchung des GehiI~ls yon Pigmentosa-Tsubstummen zentrsle Ver~nderungen in der HSrbahn and in der Sehbahn fand, so haben diese wahrseheinlich niehts mitein- ander zu tun, da bei der rezessiven Taubstummheit die zentrslen Aplasien yon vorneherein vorhanden sind, w/tbrend sie in der Sehbabn ale Endzu- stand der aufsteigenden gelben Sehstranga~rophie resultieren.

9. Die in sehr vielen F~llen erlosehene Vestibularerregbsrkeit bei dec Kombination yon rezessiver Tsubstummhei t und Pigmentdegenerstion der Netzhaut k6nnte vielleicht Auskunft geben, wann in der Onbogenese die Ap]asie (Entwieklungshemmung) des H6rappar~tes eingesetzt hat: denn des Vestibutarorgsn ist phylogenetiseh alter und viel nnempfind- licher als die Sebnecke, welehe aucb daher fiberwiegend yon K~ankheiten befallen wird (Alexander).

Der Gleichgewiehtsappsrat ist su[terdem dssjenige Sinnesorgan, das in der Embryonalentwicklung am frfihesten susgebildet ist (3.--4. Em- bryonalmonst). Er verhilft dem Keimling dazn, sich akt iv in die physio- ]ogische Lage im Uterus einznstellen.

Alle St6rungen im Sinne einer Entwicklungshemmung, die nach dem 4. Embryonalmonat einsetzen, kSnnen daher den fertig entwickelten Vestibularappsrat nieht mehr treffen.

Epikrise. Die Annahme des unabh~ngigen, getrenn~en Erbganges yon Pigment-

degeneration und Taubstummheit muB natiirlich mit allem Vorbehalt get.roffen werden, well das untersuehte Material noch nicht genfigt, um den ganzen Sachverhalt vollstgndig zu iibersehen. Das Problem, ob es sieh bei der Kombination yon Pigmentdegeneration nnd Taubstummheit um eine echte oder nur um eine Seheinkorrelation handelt, ist im exakten, wissensehaftlichen Sinne nut an Hand eines groBen, liickenlosen Materials zu entscheiden.

Wahrscheinlich wird die LSsung der Frage ghnlich lauten, wie es Siemens bei den Verhsndlungen der Gesellsehaft deutseher Hale-, Nasen- ~md Ohren~rzte 1931 ausspraeh:

Page 22: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

yon Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit . 59

, , D u r c h g le iche H e r k u n f t e rk l / i r t s ich j e n e s c h e i n b a r e K o r r e l a t i o n

r e z e s s i v e r E r b l e i d e n bei d e n K i n d e r n b l u t s v e r w a n d t e r E h e n ( T a u b - s t u m m h e i t u n d P i g m e n t d e g e n e r a t i o n d e r N e t z h a u t , T a u b s t u m m h e i t u n d

S c h w a c h s i n n ) ; d e n n d a s / t m t l i c h e r eze s s ive L e i d e n be i I nzuch t , l e i c h t e r

m a n i f e s t w e r d e n , v e r s t e h t es s ich y o n se lbs t , d a b sie d a b e i a u c h 6 f t e r s g e m e i n s a m i n d e r g l e i c h e n G e s c h w i s t e r s c h a f t o d e r s e l b s t be i d e r g l e i c h e n

P e r s o n a u f t r e t e n mf issen . Die E r b m e r k m a l e k 6 n n e n s ich in e i n e m I n d i - v i d u u m v e r e i n i g e n o d e r s ich a u f m e h r e r e v e r t e i l e n . "

A u c h Albrecht h a t die A n s i c h t des g e t r e n n t m e n d e l n d e n E r b g a n g e s Y e r t r e t e n , i n d e m e r / i u l 3 e r t e :

, ,Wi r s i nd v i e l m e h r d e r M e i n u n g , d a b z w i s c h e n d e r T a u b s t u m m h e i t u n d d e n o b e n g e n a n n t e n K r a n k h e i t e n e in i n n e r e r Z u s a m m e n h a n g n i c h t

b e s t e h t . Die e i n z e l n e n A f f e k t i o n e n v e r e r b e n s ich u n a b h / i n g i g v o n e i n - a n d e r . "

U n t e r v o r s t e h e n d e m V o r b e h M t s c h e i n t es a m w a h r s c h e i n l i c h s t e n zu

sein, d a b s ich die Pigmentdegeneration der Netzhaut und die Taubstummheit unabhiingig und getrennt voneinander mendelnd vererben, viel leicht , be- g i i n s t i g t d u r c h F a k t o r e n k o p p e l u n g .

L i t e r a t u r .

Albrecht, W.: Arch. Ohr- usw. Heilk. l lO (1923); 112 (1924). -- Z. Larvng. usw. 1 9 2 5 . - - Z. Konst i t . lehre l l (1925). - - Z. Hals- usw. Heilk. 29 (1931); 34 (1933): 36 (1934); 42 (1937). - - Alexander, G.: Arch. Ohrenhei[k. 50 (1901); 61 (1904) Z. Ohrenheilk. 48 (1904). - - HereditS~r-degenerative Taubstuminhei t . Wien ]919. - - Alexander, G. u. Kreidl: Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 82 (1900). Baue% J. u. Stein: Z. angew. Anat . 1 (1914). --- Z. Konst i t . lehre 10 (1925). Konsti tut ionspathologie in der Ohrenheilkunde. Berlin: Julius Springer 1926. Bauer, K. H.: Wien. klin. Wschr. 1923I. --- Baur-Fischer-Lenz: Menschliche Erblichkeitslehre. J . F . Lehmann Mfinchen: 1927. - - Bezold, Fr.: H6rverm6gen der Taubstummen, 1896. - - Taubstummhei t , 1902. - - Lehrbuch der Ohren- heilkunde, S. 297 u. 326. - - Bing, R.: Kompeudium der topischen Gehirn- und Riickenmarksdiagnostik. - - Bonnevie, Kristine: Erbarz t 1925, H. 9. - - B r u n n e r , H.: Mschr. Ohrenheilk. 58 (1924). - - Denker: Die Taubs tummen der Provinzial- Taubs tummenans ta l t zu Soest. - -~ ' ische~, J.: Mschr~ Ohrenheilk. 5,~ (1921). - Fleische% Br.: Erg. Pa th . 21, Erg.bd. 2/2 (1929). Franeeschetti: Kurzes Hand- buch der Ophthahnologie, 1930. - - Gi~tt, A.: Handbuch der Erbkrankhei ten , Bd. 5, ]938. - - Giitt-Riidin-Ruttlce: Zur Verhti tung erbkranken Nachwuchses, 1936. Hammerschlag, V.: Arch. Ohrenheilk. 5~ (1902). - - Z. Ohrenheilk. 4,~ (1903) ; 47 (1904) ; 54 (1907) ; ~9 (1909) ; 61 (1910). - - Wien. klin. Wschr. 1932 I, 263. - - Wien. reed. Wschr. 1 9 2 3 ; 1 9 3 2 I I . - - Mschr. Ohrenheilk. 66 (1932). - - Einffihrung in die Kenntnis ein- facher mendelistischer Vorg~nge, 1934. - - Hammerschlag, V.u.Frey: Z. Ohrenheilk. 48 (1904). - - Hanhart, E.: Schweiz. reed. Wschr. 1924 II. --- Die sporadische Taub- s tummhei t als Pro to typ einer einfach rezessiven Mutation, 1937. - - H6lzel, H.: Histologischer Beitrag zur Taubstummhei t , 1903. - - Katz: Arch. Ohrenheilk. 43 (1807). - - Z. Ohrenheilk. 41 (1902). - - Lange, W.: Arch. Ohrenheilk. 93 (1914). --- Z. Ohrenheilk. 41 (1902). - - Handbuch der pathologischen Anatomie des mensch- lichen Ohres. Wiesbaden: J. F. Bergmann ]917. Langenbect': Z. Ohrenheilk.

Page 23: Über die Kombination von Pigmentdegeneration der Netzhaut mit Taubstummheit

60 He lnm t Weber : P igmentdegenera t ion der Ne t zhau t mi t Taubs tummhei t .

39 (1936). - - Symmet r i sche t t6 r res te und Erbl iehkei t . - - Lundborg: Arch. Rassenbiol . 24 (1912) . - -Manasse , P.: ~7ber chronisehe progressive labyrinth~Lre Taubhei t . Wies- baden : J . F . Be rgmann 1 9 0 6 . - - M a y e r , 0.: Z. Ohrenheilk. 8fl (1921) . - -Men~e l , G.: Versuche fiber l~f lanzenhybriden, 1901. - - Mi~hlmann, W . E . : Arch. Rassenbiol . 22 ~1989). - - Mygind, H.: Die angeborene Taubhei t . Berl in: Augus t t l i r sehwald 1890. - T a u b s t u m m h e i t . Coblenz 1 8 9 4 . - - S a g e r , F. R.: Z. H a l s - u s w . tIeilk, l l (1925) ; 43 (1903) ; 80 (1921). - - Beitr . pa th . Ana t . 77, H. 2/3 (1927). - - Nettleship, E. : On ret ini t is p igmentosa a n d allied diseases. Roy. Lond. Oph thahn . Hosp. Rep. 1908, p. 17, I . - Trans. oph tha lm. Soc. 29 (1909). Oppiko]er: Z. Ohrenheilk. 1908. Orth, H.: Arch. Ohr- usw. Heilk. l l l (1924). --- Ratle, Bruno: Rotgr f inb l indhe i t in der Cahnbaeher Bluters ippe. Naehweis des Fak to renaus tausehes be im Menschen, 1938. - - Scheibe, A.: Z. Ohrenhei]k. 22 (1892). - - Scheurlen, W.: Inaug.-Diss . Tfibingen 1935. - - Schneider, K. W.: Z. Ohrenhei lk. 42 (1937). - - Schi~tz: Pigment - degenera t ion der N e t zhau t und dominan te Innenohrschwerh6r igkei t . Hufe landsehe Gesellsehaft , Berl in 1937. - - S e h w a b a c h : Z. Ohrenheilk. 41 (1902); 48 (1904). - - Schwarz, M.: E r e r b t e Taubhei t . Leipzig: Georg ThieIne 1935. - - Siebenmann, .Ft.: Anatomie und Pa thogenese der Taubs tummhe i t , ] 904. - - Z. Ohrenheilk. 34 (1899). - - Siebenmann, ~'r. u. Bing: Z. Ohrenheilk. ~54 (1907). - - S i e m e n s , H. W.: Verh. Ges. d tseh , t Ials- usw. 2~rzte 1 9 3 1 . - Snegeriff, K. W.: Klin. Mbl. Augenheilk. 47 II. Stein, C.: Z. Ohrenheilk. 76 (1917). - - Z. angew. Anat . 4 {1919). - - Steinberg: Z. Ohrenhei lk. 42 (1937). - - Stock: Klin . Mbl. Augenheilk. 46 1 (1908). - - Ver- sch~er, O. v.: Arch. Rassenbiol . 24 (1913). - - Vogelsang, Reich u. Barth: Erbbl . Hals- usw. Arzt . 1937, t I . 3/4. - - Waardenbu~y, P. J.: D~s menschl iche Auge und seine Erban lagen , 1932. - - Wider: lnaug.-Diss . Tiibingen ]885. - - de Wilde: Inaug.-Diss . Amste rdam.