Über die Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, XVIII1) Infrarotspektroskopische...

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1968 W. Walter und M. Steffen 53 Liebigs Ann. Chem. 712, 53-57 (1968) Uber die Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, XVIII 1) Infrarotspektroskopische Untersuchungen an den NH-Valenz- schwingungen von Thioamiden und Thioamid-S-oxiden von Wolfgang Walter *) und Matthias Steffen Aus dern Chemischen Staatsinstitut, lnstitut fur Organische Chemie der Universitat Hamburg Eingegangen am 27. Juli 1967 Aus den IR-Spektren von Thioamiden, Thiocarbamidsaureestern und Dithiocarbamidsaure- estern und den zugehorigen S-Oxiden ergibt sich, daR in den S-Oxiden das Proton einer NH- Bindung an einer Wasserstoffbrucke beteiligt ist. Die in dieser Publikationsreihe niedergelegten Erfahrungen uber die Oxydation von Thioamiden zeigen, darj die tertiaren Thioamid-S-oxide wesentlich instabiler sind als die Oxydationsprodukte der primaren und sekundaren Thioamide 2). Eindrucks- voll ist ein Vergleich des Thioacetamid-S-oxides, einer kristallinen, bei kiihler Lagerung gut haltbaren Substanz3), mit dem N.N-Dimethyl-thioacetamid-S-oxid, das bisher nur in Losung dargestellt werden konnte. Bei allen Versuchen, es zu isolieren, zerfiel es in N.N-Dimethyl-acetamid und Schwefel. Wenn die relative Stabilisierung der primaren und sekundaren Thioamid-S-oxide gegenuber den tertiaren Thioamid-S-oxiden mit dem Auftreten von Wasserstoff- brucken zusammenhangt, was nur bei den beiden erstgenannten Verbindungsklassen 1 HzOz R-C-NHR’ ~ i R-C-NHR’ S SO moglich ist, waren charakteristische Anderungen im NH-Bereich ihrer IR-Spektren zu erwarten. Die Messungen, welche sich im Gegensatz zu friiheren Untersuchungen4) auf den Bereich zwischen 3000 und 4000 cm-1 beschrankten, wurden an Losungen in Chloro- form und Tetrachlorkohlenstoff bei Konzentrationen zwischen 2.10-2 und 2.10-5 rn vorgenommen (Tab. 1). Herrn Prof. Dr. B. Eistert zurn 65. Geburtstag gewidmet. XVII. Mitteilung: W. Walter und G. Muerten, Liebigs Ann. Chem. 712, 46 (1968), voran- stehend. Vgl. W. Walter, J. Curts und H. Pawelzik, Liebigs Ann. Chern. 643, 29 (1961); W. Walter und K.-D. Bode, ebenda 681, 64 (1965). W. Walter, Liebigs Ann. Chern. 633, 35 (1960). W. Walter und H. P. Kubersky, Liebigs Ann. Chem. 694, 56, 70 (1966).

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1968 W. Walter und M. Steffen 53 Liebigs Ann. Chem. 712, 53-57 (1968)

Uber die Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, XVIII 1)

Infrarotspektroskopische Untersuchungen an den NH-Valenz- schwingungen von Thioamiden und Thioamid-S-oxiden

von Wolfgang Walter *) und Matthias Steffen

Aus dern Chemischen Staatsinstitut, lnstitut fur Organische Chemie der Universitat Hamburg

Eingegangen am 27. Juli 1967

Aus den IR-Spektren von Thioamiden, Thiocarbamidsaureestern und Dithiocarbamidsaure- estern und den zugehorigen S-Oxiden ergibt sich, daR in den S-Oxiden das Proton einer NH- Bindung an einer Wasserstoffbrucke beteiligt ist.

Die in dieser Publikationsreihe niedergelegten Erfahrungen uber die Oxydation von Thioamiden zeigen, darj die tertiaren Thioamid-S-oxide wesentlich instabiler sind als die Oxydationsprodukte der primaren und sekundaren Thioamide 2). Eindrucks- voll ist ein Vergleich des Thioacetamid-S-oxides, einer kristallinen, bei kiihler Lagerung gut haltbaren Substanz3), mit dem N.N-Dimethyl-thioacetamid-S-oxid, das bisher nur in Losung dargestellt werden konnte. Bei allen Versuchen, es zu isolieren, zerfiel es in N.N-Dimethyl-acetamid und Schwefel.

Wenn die relative Stabilisierung der primaren und sekundaren Thioamid-S-oxide gegenuber den tertiaren Thioamid-S-oxiden mit dem Auftreten von Wasserstoff- brucken zusammenhangt, was nur bei den beiden erstgenannten Verbindungsklassen

1 HzOz R-C-NHR’ ~ i R-C-NHR’ S SO

moglich ist, waren charakteristische Anderungen im NH-Bereich ihrer IR-Spektren zu erwarten.

Die Messungen, welche sich im Gegensatz zu friiheren Untersuchungen4) auf den Bereich zwischen 3000 und 4000 cm-1 beschrankten, wurden an Losungen in Chloro- form und Tetrachlorkohlenstoff bei Konzentrationen zwischen 2.10-2 und 2.10-5 rn vorgenommen (Tab. 1).

Herrn Prof. Dr. B. Eistert zurn 65. Geburtstag gewidmet. XVII. Mitteilung: W. Walter und G . Muerten, Liebigs Ann. Chem. 712, 46 (1968), voran- stehend. Vgl. W. Walter, J . Curts und H. Pawelzik, Liebigs Ann. Chern. 643, 29 (1961); W . Walter und K.-D. Bode, ebenda 681, 64 (1965). W. Walter, Liebigs Ann. Chern. 633, 35 (1960). W. Walter und H. P . Kubersky, Liebigs Ann. Chem. 694, 56, 70 (1966).

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3600 3400 3200 3000 2800 c n r 1115016711

Abbildung 1. IR-Spektrum eines sekundaren Thioamids (Thioacetanilid) und seines S-Oxides in CC14 im NH-Bereich. Konzentration des Thioacetanilids (- - -) 2.10-2 m in 0.5-mm- NaC1-Kiivette; Konzentration des Thioacetanilid-S-oxids 10-3 bis 2.5.10-5 m ; a) ca. 10-3 m in 4-cm-Quarzkiivette (gesattigte Losung); b) ca. 10-3 m in 1-cm- und 2.5.10-4 m in 4-cm-

Quarzkiivette; c) 10-4 m in 4-cm-Quarzkiivette; d) 2.5.10-5 m in 4-cm-Quarzkiivette

Tabelle 1. Wellenzahlen der NH-Valenzschwingungsbanden einiger primarer und sekundarer Thioamide und ihrer S-Oxide (Konzentration 2.10-2 m) in Chloroform oder Tetrachlor-

kohlenstoff

NH-Valenzschwingungsbanden frei assoziiert

Thioacetamid N-Methyl-thioacetamid Thioacetamid-S-oxid a)

Thiobenzamid

N-Methyl-thiobenzamid Thiobenzamid-S-oxid Thioacetanilid

Thioacetanilid-S-oxid

Thiobenzanilid Thiobenzanilid-S-oxid p-Methyl-thiobenzoesaure-anilid p-Methyl-thiobenzoesaure-

anilid-S-oxid

3497, 3383 cm-1 3417 3487 3326 cm-1 3496, 3382 3506, 3390 (CCL,) 3415 3480, 3483 (CC14) 3302 3388, 3358 3399, 3368 (CC14) - ca. 3242

ca. 3193 (CC14)a) 3383

ca. 3245 3385 ca. 3245 - ca. 3245

-

a) Gesattigte Losung ca. 10-3 m.

Der Unterschied zwischen den Spektren der sekundaren Thioamide und ihrer S-Oxide fallt besonders auf. Die scharfe NH-Bande (vgl. Abb. l), die beim Thioacetanilid

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wegen des Vorliegens von cis-trans-Isomerens) aufgespalten ist, tritt im S-Oxid (1, R’=CsHs) nicht mehr auf. Statt ihrer findet sich eine sehr breite Bande im Er- wartungsbereich der an einer Wasserstoff brucke beteiligten NH-Schwingung.

Ahnlichkeit mit denen der entsprechenden Thioamide (Abb. 2). Die Losungsspektren der S-Oxide primarer Thioamide zeigen noch eine gewisse

Abbildung 2. IR-Spektrum eines primaren Thio- p amids (--- Thiobenzamid) und seines S-Oxi- 2 70 des (-- ) im NH-Bereich in Chloroform $ (Konzentration 2.10-2 m) n

‘ 50‘ 1 I

-1 3600 3500 3100 3300 CIII

Die bei dem Thioamid auf der antisymmetrischen NH2-Valenzschwingung beruhende Bande bei 3496 cm-l erscheint bei ahnlicher Ausbildung und etwa gleicher Intensitat urn 16 cm-1 nach kleineren Wellenzahlen verschoben, die symmetrische NH2-Valenzschwingungs- bande bei 3382 cm-1 ist bei dern S-Oxid abgeflacht, verbreitert und um 64 cm-1 auf 3318 crn-1 verschoben. Die Ahnlichkeit ist aber nur formal. Ihrem Habitus und ihrer Lage nach ist die Bande bei 3318 cm-1 in Analogie zu den sekundaren Thioamid-S-oxiden als assoziierte NH-Schwingungsbande, die Bande bei 3480 crn-1 als freie NH-Valenzschwingungsbande an- zusehen. Das S-Oxid komrnt in seinem Schwingungscharakter einem sekundaren Amid nahe. Wir halten es daher fur erforderlich, die im Chloroformspektrum von Thioacetamid-S-oxid (1, R = CH3, R’= H) getroffene Zuordnung der Banden bei 3487 cm-1 als v,(NH2) und 3325 cm-1 als v,(NH2) zu andern. Die letztere ist uberwiegend einer NH-Schwingung mit Wasserstoff brucke zuzuordnen und die Bande bei 3487 cm-1 einer freien NH-Valenzschwin- gung ( s . Tab. 1). Im Vergleich zu den sekundaren Thioamid-S-oxiden ist die NH-Asso- ziatbande bei den primaren relativ scharf ausgepragt und unterscheidet sich in ihrer Lage nicht so stark von der nachstliegenden NH-Valenzbande des entsprechenden Thioamids. Das laDt sich nur so deuten, daR noch Kopplungen zwischen den Schwingungen des an der Wasserstoffbriicke beteiligten H-Atoms und dem freien H-Atom am Stickstoff bei den pri- maren Thioamid-S-oxiden vorliegen.

Die Thion- und Dithiourethane (Tab. 2) sowie ihre S-Oxide (1, R = R O bzw. R’S) zeigen die gleichen Erscheinungen wie die primaren Thioamide.

Die Befunde andern sich nicht bis zu einer Verdiinnung von ca. 2.5.1OWm. Es kann sich also nicht um Wirkungen intermolekularer Wasserstoff brucken handeln. In Ubereinstimmung damit zeigen Molekulargewichtsbestimmungen an Thioamid-S-

5 ) R. A . Russell und H. W. Thompson, Spectrochim. Acta [London] 8, 138 (1956); I . Suzuki, M. Tsuboi, T. Shimanouchi und S. Mizushima, ebenda 16, 471 (1960); J. D. Rae, Canad. J. Chem. 45, 1 (1967).

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Tabelle 2. NH-Valenzschwingungen von Thio- und Dithiocarbamidsaureestern (2.10-2 rn) und ihren S-Oxiden (ca. 10-3 m) in Chloroform

Thiocarbonidsaureester und -S-oxide

0-[2.6-Di-tert.-butyl-4-allyl-phenyl]- thiocarbamidsaureester

-S-oxid N-P henyl-O-[2.6-di-tert.-butyl-4-methyl-

phenyll-thiocarbamidsaureester -S-oxid

-S-oxid

-S-oxid

-S-oxid

-S-oxid

S-Isopropyl-dithiocarbamidsaureester

S-tert.-Butyl-dithiocarbamidsaureester

S-Cyclopentyl-dithiocarbamidsaureester

S-Cyclo hexyl-dithiocarbamidsaureester

S-[3.3-Dimethyl-butyl]- dithiocarbamidsaureester

-S-oxid

NH-Valenzbanden frei assoziiert

~~ ~

3523, 3397 cm-1

3472 ca. 3310 cm-1

3344

*)

3487, 3309 3474 3326 3487, 3368 3478 3325 3488, 3370 3473 3324 3488, 3310 3473 3323 3490, 3371

3413 3325

*) Die Absorptionsbande ist so stark abgeflacht, daD ihre Lage nicht angegeben werden konnte.

oxidens), dal3 sie in Losung monomolekular vorliegen. Die geschilderten Erscheinungen lassen sich wie die fruheren Befunde durch eine intrarnolekulare Wasserstoffbriicke erklaren, die offenbar wesentlich an der Stabilisierung dieser Korperklasse beteiligt ist. Die schon fruher von King und Durst7) ausgesprochene Vermutung einer derartigen Stabilisierung sowie die auf Grund chemischer Befunde bei den Thionurethanen an- genommenen Wirkungen einer Wasserstoffbruckeg) sind damit durch unabhangige Beobachtungen weiter gesichert worden.

Beschreibung der Versuche

Zur Messung der Infrarotspektren wurde ein Doppelstrahlgerat der Fa. Perkin-Elmer, Model1 421, verwendet. Als MeRzellen wurden teils Kiivetten mit NaC1-Fenstern und Schicht- dicken von 100- 500 m p (CHC13-Losungen), teils Quarz-Infrasil-Kiivetten mit Schichtdicken von 1 -4 cm (Verdiinnungsreihen, CC14-Losungen) eingesetzt. Die Losungsmittel (CHCI3 p. a,, CC14 p. a.) wurden nach Destillation iiber A1203 (Woelm basisch, Aktivitatsstufe 1) gereinigt und anschlieRend iiber Molekularsieb 4 A (Merck) getrocknet.

6 ) W. Walter, Liebigs Ann. Chem. 633, 35 (1960). Fur das Thioformamid-S-oxid wurde in Athanol ein Mo1.-Gew. von 79 (ber. 77) gefunden.

7 ) J. F. King und T. Durst, Tetrahedron Letters [London] 1963, 585. 8) W. Walter und K.-D. Bode, Liebigs Ann. Chem. 681, 64 (1965).

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iV. N-Dimethyl-thioacetamid-S-oxid. - Relativ haltbare Losungen des S-Oxids entstehen, wenn man das Thioamid in polaren Losungsmitteln (z. B. Methanol, Dimethylacetamid) mit der aquivalenten Menge H202 umsetzt. Es bildet sich dann unter schwacher Erwarmung und farbt FeC13-Losung violett. Auf dem Papierchromatogramm hatte es - mit Pyridin/Wasser (1 : 1) - den RF-Wert 0.75. Eine Isolierung aus diesen Medien gelang nicht. Dagegen konnte aus einem schwach polaren Reaktionsmedium ein Produkt gewonnen werden, das nach seinen Reaktionen ein S-Oxid sein muR. - 0.5 g N.N-Dimethyl-thioacetamid wurden in 50 ccm CH2C12 gelost; bei -30" (Ausscheidung feiner Kristalle) wurde tropfenweise eine auf -30" vorgekiihlte Losung von 1 g 60-proz. Peressigsaure in 10 ccm CHzClz zugegeben. Nach vorsichtiger Erwarmung auf 0" (bei zu schneller Erwarmung scheidet sich Schwefel aus) wurde 5 g wasserfreies Na2C03 zugesetzt und geschiittelt. Nach Beendigung der Gasentwick- lung wurde abgesaugt. Beim Eindampfen der klaren Losung i. Vak. - sie kiihlt dabei stark ab - hinterblieb eine kristalline, farblose Substanz, die in kleinsten Mengen mit FeC13- Losungen eine tiefviolette Farbung gab. Schon bei etwa 0" zersetzte sie sich unter Schwefel- ausscheidung und Verfliissigung, so daR keine weiteren Untersuchungen vorgenommen werden konnten.

Die anderen in dieser Arbeit verwendeten Thioamide, Thionurethane, Dithiourethane und zugehorigen S-Oxide sind bereits beschrieben 2 3 .

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