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Bezirksamt Spandau von Berlin Abteilung Soziales und Gesundheit - Bezirksstadtrat - Am Anfang jeder Therapie steht eine ehrliche Diagnose: Über die sozialen und gesundheitlichen Probleme Spandaus Unterlage aus Anlass der „150 Tage-Bilanz“ als Stadtrat Martin Matz, Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit im Bezirksamt Spandau von Berlin, 13578 Berlin, Tel. 030.3303.2241, Fax .2081, www.spandau.org, [email protected]

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Bezirksamt Spandau von BerlinAbteilung Soziales und Gesundheit- Bezirksstadtrat -

Am Anfang jeder Therapie steht eine ehrliche Diagnose:

Über die sozialen und gesundheitlichenProbleme Spandaus

Unterlage aus Anlass der „150 Tage-Bilanz“ als Stadtrat

Martin Matz, Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit im Bezirksamt Spandauvon Berlin, 13578 Berlin, Tel. 030.3303.2241, Fax .2081, www.spandau.org,

[email protected]

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Über die sozialen und gesundheitlichenProbleme Spandaus

Spandau ist ein schöner Bezirk – viel Grün, viel Wasser undeine lange Geschichte machen seinen Charme aus. ImGegensatz zu den Fusionsbezirken nach der BerlinerBezirksreform verfügt Spandau auch über eine klare Identitätund ein ausgeprägtes „Wir-Gefühl“. Nach vielen Jahren inBerlin, die auch alle politische Jahre für mich waren, ist diesein besonderes Erlebnis für mich. Ich weiß aus eigenerErfahrung, welche Identitätsprobleme gerade Fusionsbezirkehaben. Da ist das „Spandau-Gefühl“ ein unschätzbarer Vorteilund soll es auch bleiben. Stichworte wie „Havelstadt“, „Zitadellenstadt“ und die im Vergleichzu Berlin längere Stadthistorie müssten sogar noch mehr mobilisiert werden, um denMenschen in Spandau zu nutzen. Aber diese Diskussionsunterlage ist keine wirtschafts-politische, sondern eine sozialpolitische.

Das positive „Spandau-Gefühl“ darf nicht dazu führen, notwendigen Diskussionen überProbleme und vor allem Problemlösungen auszuweichen. Unser schönes Spandau hatschwerwiegendere soziale Probleme, als dies hinnehmbar ist.

Dieser Text erhebt weder den Anspruch, einen eigenen wissenschaftlichen Beitrag zurAnalyse der Sozialstruktur Berlins leisten zu wollen, noch neues Datenmaterial vorzulegen.Es geht ausschließlich darum, vorliegendes Datenmaterial auf seine Aussagekraft überSpandau zu prüfen und einen Beitrag zur politischen Debatte daraus zu gewinnen. DieAnerkennung für die zugrunde liegenden Materialien gebührt ausschließlich den Autoren derim Anhang erwähnten Quellen.

Ich hoffe sehr, einen Beitrag für eine notwendige Debatte zu liefern. Die Probleme sind miraus den ersten 150 Tagen im Amt des Sozial- und Gesundheitsstadtrates sehr präsent undin vielen, auch sehr persönlichen Gesprächen in Sprechstunden und Veranstaltungenuntermauert worden.

Berlin-Spandau, im April 2007

Gliederung

1. Spandau – unterschätzte soziale Problemlagen

1.1 Kleinräumliche Betrachtung auf Ebene der Verkehrszellen

1.2 Dynamik der Veränderung der Sozialstruktur

2. Bildung als Indikator für soziale Aufstiegschancen

3. Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen

4. Zusammenhang zwischen sozialen und gesundheitlichen Problemen

5. Ansätze zur Stabilisierung der sozialen und gesundheitlichen Struktur Spandaus

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1. Spandau – unterschätzte soziale Problemlagen

Über die räumliche Verteilung sozialer Probleme hat man in Berlin eine vermeintlich klareVorstellung: Überdurchschnittlich schwierige Situationen ergeben sich in den inner-städtischen Quartieren der Stadt, in den Außenbezirken ist die Welt (vergleichsweise) inOrdnung. Betrachtet man den Sozialindex aus dem Sozialstrukturatlas auf der Ebene der 12Bezirke finden sich nur wenig Anhaltspunkte, um diese Einschätzung Spandaus als„normalem Außenbezirk“ zu revidieren.

Es bedarf einer genaueren Analyse, um Trend und Ausmaß sozialer (und gesundheitlicher)Probleme in Spandau richtig abzuschätzen. Die Methodik der Faktorenanalyse hat fürSozialstrukturatlas Berlin 2003 zu zwei wesentlichen Faktoren geführt, die das „Ranking“ derBerliner Bezirke maßgeblich beeinflussen. Nur im Sozialindex, einem der beiden Faktoren,liegt Spandau nahe dem Berliner Durchschnitt.

(Soz2003, 27)

Beim Statusindex, der unter anderem die Zahl der jüngeren Menschen an der Bevölkerungund den (Aus-)Bildungsstand beschreibt, fällt Spandau weit ab und liegt mit Neukölln aufdem letzten Platz. Was das inhaltlich bedeutet, lässt sich anderen Statistikenweiterverfolgen, und damit ein schwerwiegendes Problem für den Bezirk beschreiben.

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(Soz2003, 31)

1.1 Kleinräumliche Betrachtung auf Ebene der Verkehrszellen

Betrachtet man die Verkehrszellen (etwa identisch mit den Stadtteilen im Bezirk), verlässtman die grobe Durchschnittsbetrachtung, die sich bei Gebieten von 220.000 bis 350.000Einwohnern ergibt. Einzelne Gebiete Spandaus stellen sich deutlich problematischer dar,wenn man sie von Gebieten mit besserer Sozialstruktur wie Gatow oder Kladow getrenntbetrachtet. Es wird sofort klar, dass es außerhalb des S-Bahn-Rings keine vergleichbargroßflächige schwierige Struktur wie in weiten Teilen Spandaus gibt.

Da eine schwierige Sozialstruktur zahlreiche Teilprobleme mit sich bringt und diese stark mitgesundheitlichen einhergehen, ergibt sich daraus eine Ausgangslage für die Sozial- undGesundheitspolitik, die schwierig umzusteuern sein wird.

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Sozialindex 2003 auf der Ebene der Statistischen Gebiete (Soz2003, 42), zur besseren Übersichtwurden hier die Spandauer Verkehrszellen mit einem grauen Rahmen hervorgehoben.

Verschuldung (Creditreform2006, Grafik: MoPO2006)

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Eines der Teilprobleme ist im Verschuldungsatlas grafisch dargestellt: Die schlechteWirtschafts- und Sozialstruktur führt zu überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit und diesewiederum zu starker Überschuldung von Haushalten.

Als Folge der Überschuldung treten zunehmend mehr private Haushalte den Weg in dieVerbraucherinsolvenz an. Hier liegt Spandau auf Platz 1 der Berliner Bezirke bei derHäufigkeit pro 10.000 erwerbsfähige Einwohner (Tsp2007).

1.2 Dynamik der Veränderung der Sozialstruktur

Beinahe noch wichtiger als die Sozialstruktur in einem statischen Ranking der BerlinerStadtteile (Verkehrszellen) ist deren Veränderung. Hätten sich die sozialen KenndatenSpandaus stabilisiert oder würden sie sich leicht verbessern (Beispiele für solcheVerkehrszellen gibt es beispielsweise in Prenzlauer Berg), dann würden andere Schlüssedaraus zu ziehen sein als bei einer weiteren Verschlechterung. Aus der folgenden Grafikergibt sich für Teile des Bezirks eine weitere deutliche Zuspitzung der Situation, zumindest inFalkenhagener Feld, Heerstraße, Wilhelmstadt und Neustadt muss dies festgestellt werden.

Veränderung des Sozialindex ( t) von 1998 bis 2003 auf der Ebene der Verkehrszellen (Soz2003, 66)

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2. Bildung als Indikator für soziale Aufstiegschancen

Will man die Sozialstruktur Spandaus verbessern und die Langzeitarbeitslosigkeitbekämpfen, spielt das (Aus-)Bildungsniveau eine Schlüsselrolle. Leider spielt der Bezirkauch hier eine Sonderrolle. Der höchste Anteil an Hauptschulabschlüssen und der geringsteAnteil an Menschen mit (Fach-)Hochschulreife fallen hier zusammen.

Anteil der Personen mit Volks-/Hauptschulabschluss an der Bevölkerung 2002 (Soz2003, 257)

Anteil der Personen mit (Fach-)Hochschulreife an der Bevölkerung 2002 (Soz2003, 259)

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Beim Anteil verschiedener Bildungsabschlüsse an der Gesamtbevölkerung könnte derEinwand erhoben werden, hier sei manches historisch gewachsen. Aber die Erhebung desSprachförderbedarfs anlässlich der Schuleingangsuntersuchungen 2006 zeigt die aktuellenMissstände. In Spandau wurde bei 25,7 % der Kinder ein Sprachförderbedarf festgestellt,Durchschnitt in Berlin waren 24,1 %, also auch sehr viel. Zwei Probleme verbergen sichdahinter:

• Der Abstand zwischen Spandau und dem Berliner Durchschnitt hat sich zwischen 2004und 2006 von -0,4 auf -1,6 Prozentpunkte erhöht.

• Es ist einsichtig, dass Sprachförderbedarf häufig mit einer nichtdeutschen Herkunft derKinder zusammenhängt. Betrachtet man aber nur die Kinder ohne Migrations-hintergrund, hält Spandau gemeinsam mit Lichtenberg einen erschreckenden drittenPlatz unter den Berliner Bezirken mit den am häufigsten festgestellten Förderbedarfen.Anders ausgedrückt: Kinder, die aus einem deutschsprachigen Elternhaus kommen,haben in Spandau 1,28mal so häufig einen Sprachförderbedarf vor der Einschulungwie im Berliner Durchschnitt.

Sprachförderbedarf für Kinder (nur Kinder ohne Migrationshintergrund!) in Berlin im Vergleich(Deutsch+, eigene Berechnungen)

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3. Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen

Wenn viele Haushalte von Transfereinkommen leben, ist dies nicht immer ein Zeichen vonerhöhter Arbeitslosigkeit. Auch Rentner und Pensionäre können dazu beitragen, unter ihnenauch Erwerbsunfähigkeitsrentner. Für Spandau und Treptow-Köpenick gilt dies inbesonderer Weise.Da diese in der Regel ein geringeres Haushaltseinkommen erzielen alsHaushalte mit aktiven Arbeitnehmern, ist es im Falle Spandaus ein weiteres Indiz für einGebiet mit geringerem sozialen Status.

Anteil der Personen mit überwiegendem Lebensunterhalt aus Rente/Pension an der Bevölkerung2002 (Soz2003, 265)

Die anderen großen Gruppen von Transfereinkommensbeziehern sind in Spandau ebenfallszahlreich. Vor den Arbeitsmarktreformen („Hartz IV“) waren dies die Bezieher vonArbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe und von Sozialhilfe.

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Anteil der Arbeitslosen an der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter von 15 bis 65 Jahren (Soz2003,310)

Anteil der Sozialhilfeempfänger an der Bevölkerung 2002 (Soz2003, 321)

Auch hier fällt bei der Betrachtung der Verkehrszellen wieder auf: Spandau verfügt über diegrößten zusammenhängenden Gebiete außerhalb des S-Bahn-Ringes mit den negativsten

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Werten. Nur West-Staaken und der südliche Teil von Siemensstadt fallen neben Gatow undKladow mit moderaten Werten auf. An der grundsätzlichen Aussage hat sich durch dieZusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe übrigens nichts geändert.

Die Kehrseite dieser hohen Quoten ist eine unterdurchschnittliche Erwerbstätigenquote inSpandau: Während in Berlin 57,7% der 15- bis 64jährigen Einwohnerinnen und Einwohnererwerbstätig sind – und das ist im Bundesvergleich ein niedriger Wert – sind es in Spandaunur 53,5% (StaLa, 2004). Diese Differenz entspricht ungefähr 6.000 Menschen.

Hauptproblem der Spandauer Arbeitslosigkeit ist der Kern der Langzeitarbeitslosigkeit (imSinne einer Dauer von mehr als einem Jahr). Auch hier gibt es überdurchschnittliche Wertefür Spandau. Während in Berlin der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit mit 41,6% schondeutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt, beträgt der Anteil in Spandau 43,9%(Bundesagentur, Ende 2005). Spandau hat damit den viertschlechtesten Wert der 12Bezirke.

Arbeitslose in Prozent der zivilen Erwerbspersonen März 2007 – Vergleich zum Berlin-Durchschnitt(BA2007, eigene Darstellung)

Die aktuelle Rangfolge der Bezirke bei den arbeitslos Gemeldeten bestätigt die älterenZahlen. Im März 2007 lag Spandau mit 19,5 % Arbeitslosenquote deutlich über den 16,3 %im Berliner Durchschnitt und damit auf Platz 3 der Bezirke.

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4. Zusammenhang zwischen sozialen und gesundheitlichen Problemen

Aus der Gesundheitsberichterstattung des Landes Berlin ist recht gut dokumentiert, welcherhohe Zusammenhang zwischen sozialen und gesundheitlichen Problemen besteht. DasNiveau gesundheitlicher Probleme spiegelt sich unter anderem in der Lebenserwartung derMenschen wider.

Lebenserwartung von Männern und Frauen 2002-2004 im Vergleich zum Bundesdurchschnitt(Ges2005, 96 – eigene Berechnung und Darstellung)

Hinter Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Neukölln nimmt Spandau auch hier wieder denvierten Platz in einem negativen Ranking der Berliner Bezirke ein. Frauen und Männerwerden in Spandau durchschnittlich 0,7 Jahre weniger alt als im Bundesvergleich und 0,6Jahre weniger als im Berliner Vergleich. In dieser Zahl drücken sich verschiedenste gesund-heitliche Fakten aus, die in ihrer Summe zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen. AlsBeispiel sei die Zahl der Lebererkrankungen mit Todesfolge herausgegriffen: Aus Daten desStatistischen Landesamts hat der Senat errechnet, dass es 2002-2004 insgesamt 155vermeidbare Todesfälle infolge von Lebererkrankungen in Spandau gegeben hat (Ges2005,103). Dieser Wert lag bezogen auf die Zahl der 15- bis 74jährigen Bevölkerung um 10% überdem Niveau im Berliner Durchschnitt. Rund 56 % dieser Diagnosen (1.084 von 1.966) sindauf Alkoholmissbrauch zurückzuführen und damit durch erfolgreiche Suchtpräventionvermeidbar (in Spandau 88 von 155).

So lässt sich aus den Zahlen der Gesundheitsberichterstattung – nicht nur in diesem Beispielund damit auch nicht nur suchtbedingt – ablesen, dass die niedrigere Lebenserwartung derMenschen in Spandau Ursachen hat, die sich durch bessere soziale Bedingungen underfolgreiche gesundheitliche Prävention bearbeiten ließen.

Die Spandauerinnen und Spandauer sind auch zunehmend überdurchschnittlich aufstationäre Krankenhausbehandlungen angewiesen. Die aus dem Krankenhaus entlassenen

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vollstationären Behandlungsfälle (inkl. Sterbefälle) sind innerhalb von 10 Jahren deutlichangestiegen: Von 38.630 im Jahr 1994 auf 46.005 im Jahr 2004 (Ges2005, 123). DieRelation zur Einwohnerzahl ergibt sich aus der folgenden Abbildung und bringt Spandau aufeinen zweifelhaften Platz 1 der Berliner Bezirke.

Die Fallzahlen in den Krankenhäusern koppeln sich vom Berliner Durchschnitt ab (Ges2005, 123 –eigene Darstellung)

Auch bei Suizidsterbefällen gibt es einen erschreckenden ersten Platz für Spandau bei denFrauen (132,7% des Berliner Durchschnitts), bei den Männern liegt die Spandauer Häufigkeitimmerhin bei 113,8% (Ges2005, 216).

Als ein Gradmesser des Gesundheitsstandes der Bevölkerung kann auch die Häufigkeit vonRettungseinsätzen der Berliner Feuerwehr angesehen werden. Dabei schneidet Spandauüberraschend schlechter ab als der Durchschnitt West-Berliner Stadtteile außerhalb des S-Bahn-Rings.

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Einsatzinzidenzen (alle Einsätze) des Rettungsdienstes in den Berliner Verkehrszellen 2001(Soz2003, 142)

Auf weitere spezielle Erkenntnisse, etwa aus der Kindergesundheitsberichterstattung, soll indieser ersten Analyse nicht eingegangen werden.

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5. Ansätze zur Stabilisierung der sozialen und gesundheitlichen StrukturSpandaus

Aus den Zusammenhängen zwischen Arbeitslosigkeit, Bildung und sozialen sowie gesund-heitlichen Problemen kann als „Wunschtherapie“ für Spandau angesehen werden, mitwirtschaftlichem Wachstum die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und gleichzeitig das (Aus-)Bildungsniveau zu bessern.

Da der Umfang insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit in Spandau sehr groß ist, wird esauch um eine Arbeit an den Symptomen gehen müssen:

• Spandau braucht mehr Projekte im gesundheitlichen, aber auch sozialen Bereich.Diese Projekte können von freien Trägern eingerichtet werden und aus Landes- oderBezirksmitteln, aber auch aus Geldern der Krankenkassen oder durch andere Drittefinanziert werden. Spandau hat allerdings Nachholbedarf, der nicht allein aus demBezirkshaushalt gedeckt werden kann.

Primärpräventive Angebote, Gesundheitsprojekte in Berlin (Soz2003, 200)

• Die erste öffentliche Debatte über erschreckende Probleme in Spandau fand anlässlichder Polizeidaten über „kriminalitätsbelastete Orte“ in Berlin statt. Diese Debatte führtedazu, dass im Rahmen des Quartiersmanagements die im Falkenhagener Feld (Westund Ost) sowie in Heerstraße-Nord Präventionsgebiete eingerichtet wurden. Dies sollteauch für Neustadt und Wilhelmstadt geschehen.

• Die jährlichen Raten des Personalabbaus in den Bezirksämtern führen in den Nicht-Fusionsbezirken zu besonderen Problemen, da hier nicht aus zwei oder dreiPersonalkörpern einer gebildet wurde. Das Gesundheitsamt in Spandau liegtungeachtet der sozialen und gesundheitlichen Problemlage deutlich unter demDurchschnitt der Berliner Bezirksämter. Eine an den Ergebnissen des ÖGD-Reformprojekts orientierte Personalausstattung sollte mit den Haushaltsberatungen2008/2009 durchgesetzt werden.

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• Öffentlicher Beschäftigungssektor (aufgrund von Zielgruppen, die in Spandau über-durchschnittlich vertreten sind), aber nicht nach Art des Linkspartei, die ein „Edel-ABM“ansteuert, das vor allem für arbeitslose Akademiker interessant ist. DieAkademikerarbeitslosigkeit ist insgesamt ein geringeres Problem als dieArbeitslosigkeit anderer Zielgruppen. Gerade für Spandau stellt sich eher dieProblematik von langjähriger Beschäftigungslosigkeit nichtakademischer Berufs-gruppen im Alter über 50 Jahren. Hier sollte eine mehrjährige öffentliche Beschäftigungansetzen können.

Allgemein gilt: Ansätze für eine Bearbeitung der Probleme sind nicht nur vor demHintergrund der Berliner Haushaltslage schwierig. Auch die Frage, ob mit massivemGeldeinsatz an dem sozialen Abstieg von Stadtquartieren kurzfristig etwas geändert werdenkann, ist mehr als berechtigt. Klar ist nur eines: Ohne die schonungslose Erkenntnis, wie esum soziale und gesundheitliche Probleme steht, ist eine erfolgreiche Therapie nicht zuerwarten.

Auch bei den Präventionsgebieten hatte erst die öffentliche Diskussion über kriminalitäts-belastete Orte zu einem heilsamen Schock geführt. Deshalb muss jetzt über die sozialenund gesundheitlichen Probleme Spandaus gesprochen werden. Wir werden sie nichtsofort lösen. Aber wir werden sie garantiert nicht lösen können, wenn wir sie nichtehrlich eingestehen.

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Quellen:

Bundesagentur: Agentur für Arbeit, Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, diversestatistische Veröffentlichungen.

BA2007: Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Berlin-Brandenburg,Presseinformation vom 28.3.2007.

Creditreform2006: Verschuldungsatlas 2006, (Download www.creditreform.de Dezember2006)

Deutsch+: Ergebnisse „Deutsch Plus“, Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft undForschung, Berlin 2007 (Download www.berlin.de).

Ges2005: Gesundheitsberichterstattung Berlin, Basisbericht 2005, hrsg. von derSenatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Berlin2006.

MoPo2006: „Jeder siebte Berliner überschuldet“, Berliner Morgenpost vom 21.12.2006.

Soz2003: Sozialstrukturatlas Berlin 2003, Ein Instrument der quantitativen,interregionalen und intertemporalen Sozialraumanalyse und -planung,Spezialbericht 2004-1, Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales undVerbraucherschutz, Berlin 2004.

StaLa Statistisches Landesamt Berlin, diverse statistische Veröffentlichungen.

Tsp2007 „Immer mehr Familien melden Insolvenz an“, Tagesspiegel vom 13.3.2007.