Über eine eigenartige Spiegelreaktion im Rahmen einer senilen Demenz und über ihre Beziehung zu...

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Page 1: Über eine eigenartige Spiegelreaktion im Rahmen einer senilen Demenz und über ihre Beziehung zu dem Gesamtbilde

(Aus der Deutsehen Psychiatrischen Universit~tsklinik Prag.)

Uber eine eigenartige Spiegelreaktion im Rahmen einer senilen Demenz und fiber ihre Beziehung zu dem Gesamtbilde.

V o n

Dr. Robert Klein, Assis ten ten der Klinik.

(Eingegangen am 2l. Deze~nber 1928.)

Die senile Demenz ist symptomat i sch eine Erkrankung, die sich vor Mlem durch den Ausfall hSherer Leistungen kennzeichnet. Es wird h~ufig das Verhalten der Senilen mit dem der Kinder verglichen; es ist n icht zu leugnen, d~I~ in dem Wesen beider in vieler Beziehung eine gewisse fi~hnlichkeit besteht. So kSnnten wir auch das Symptom, das hier geschildert wird, ein eigenartig groteskes Verhal ten vor dem Spiegel, Ms eine kindliche Erscheinung ansehen, oder vielleicht als ein psycho- tisches S y m p t o m amtisanter Art, und dariiber hinweggehen; wenn nun doch etwas weniger fliichtig ~uf die Pathogenese dieses Symptoms hier eingegangen wird, so geschieht dies deshalb, well sich von hier aus recht interessante Beziehungen zu anderen Erscheinungen bei der senilen Demenz ergeben.

Der Patient W. D., an dem dieses Symptom beobachtet wurde, war ein 68jAh- riger Mann, Beamter in Pension, der in einem deliranten Zustande an die Klinik gebracht wurde. Der Patient spricht unaufhSrlich; seine Spontanspraehe ist durehsetzt yon schweren Paraphasien, so daft hAufig der Sinn des Gesproehenen verlorengeht. Er ist sowohl optisch als m~eh akustisch sehr unaehtsam; wird ihm irgendein Auftrag gegeben, so geht er spurlos an ihm voriiber, ohne seinen Rede- schwall unterbreehen zu k6nnen. Nur ab und zu gelingt es, ihn beim Naehspreehen darauf einzustellen, wobei hier und da einzelne Silben und aueI~ Worte riehtig nachgesprochen werden. Zum Bezeichnen vorgezeigter GegenstAnde ist Patient nicht zu bewegen. Patient ist w~hrend des ganzen Aufenthal~s an der Klinik, solange er in nichtbenommenem Zustande ist, sehr unruhig, drAngt best~ndig weg, wehrt teilweise Angstlieh, teilweise gereizt jede AnnAherung heftig ab. Es ist des- halb eine genauere Untersuehung sehr erschwert. Demselben tIindernisse begegnet die neurologisehe Untersuchung. Soweit man beurteilen kann, sind die Reflexe ohne Differenz vorhanden, und es bestehen keine sicheren Zeichen einer Pyr~miden- l~sion. Auf Nadelstiehe erfolgen iiberall heftigste Abwehrbewegungen. Der Zu- stand der deliranten Unruhe halt ungef~hr 8 Tage an, dann verfAllt Patient sieht- lieh, undes erfolgt 3 Tage darauf der Exitus. Der pathologisch-anatomisehe Be- fund zeigt makroskopisch eine allgemeine leichte Atrophie, die vielleicht in den oeeipitalen Gehirnteilen etwas starker ausgepr~igt ist, kleine Blutungen in beiden Striata und eine etwas gr6gere Blutung im Marklager des rechten N. dendatns.

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Die Frau des Patientcn, vonder die Anamnese aufgenommen wurde, schildert den Verlauf der Erkrankung folgendermal3en: Bis vor 4 Jahren sei Patient, his auf eine voriibergehende Mittelohrentziindung, die eine Schwerh6rigkeit am linken Ohr hinterliel3, vollst~ndig gesund gewesen. Vor ungef~hr 4 Jahren fiel er aus einem elektrischen Wagen, sei kurze Zeit bewui3tlos gewesen, nachher wiedcr vollst~ndig ohne Besehwerden. Seit ungef~hr 21/2 Jahren fiel an ihm eine gewisse Vergel31ich- keit auf und ein kindisches Benehmen. Von da ab nahm das Ged~ichtnis immer mehr ab, Patient wurde unruhig, dr/ingte best/indig hinaus, wollte immer wieder seine Beschaftigung anfnehmen, obwohl cr schon ]~ngere Zeit pcnsioniert war, suchte best/~ndig irgend etwas im Zimmer, war zeitweisc gereizt, ging auf (lie Frail und seine AngehSrigen los. Seit liingercr Zeit erkannte er auch seine n~tchstcn AngehOrigen hi~ufig nicht mehr.

Seit ungef~hr einem Jahr war besonders ttuffallend sein Verhalten vor dem Spiegelbild wie iiberhaupt gegen spiegelnde Fl/iehen. So oft er sein Spiegelbild sah, erregte es seine besondere Aufmerksamkeit; haufig wandte er sich gereizt, auf sein Spiegelbild deutend, an seine Umgebung mit den Worten: ,,Siehst du, da ist der Kerl schon wieder!" Dann sah man ihn in 15n~erer Unterhaltung mit seinem Spiegelbild, sehickte es gelegentlich um Tabak, wohei er zum Spiegel griff oder hinter dera Spiegel Geld reichte, und wenn cr dann keinen Effekt seiner Bitten und Drohungen, die einander ablSsten, sah, so geriet er in Zorn. Dann wollte cr wieder dem ,,fremden Mann", wie er sich ausdriiekte, Kaffee geben und stellte die Tasse hinter den Spiegel. Er erkannte sein Spiegelbild niemals. Wenn ihm Ref. erkl~irte, dab er doch dies selbst sei, beruhigte er sich einen Moment, um dann sofort wieder in die friiheren Reaktionen zu geraten. Sein diesbeziigliches u halten zeigte vom ersten Auftreten an bis knapp vor seiner Einlieferung an (lie Klinik keine Anderung. Es wurde so quMend und beunruhigend fiir die Um- gebung, dab man alle Spiegel ans der Wohnung entfernte, unl die Veranlassung seiner Unruhe aus dem Wege zu schaffen. In der lctzten Zeit zeigte er, wenn er den Schatten seiner Angeh6rigen an einer Glastiir sah, eine gewisse J~ngstlich- keit, behauptete, dal~ ein fremder Mann odor einc fremde Frau in der ~Vohnung sei.

Wird ihm wahrend seines Aufenthaltes auf der Klinik ein Spiegel vorgehalten, so fi~ngt er auf das Spiegelbild loszusprechen an, wie ,,mach' keine KomOdie" nnd anderes, greift dann riickwhrts hinter den Spiegel in entsprechender Projektion, h~ufig schl~gt er gegen die vermeintliehe Person los, sei es auch wieder naeh riick- w~trts oder gegen die Spiegelfl~tche zu. Auf die ]}rage, was diese Person mache, wer sie sei, kommt es zu unvcrst~ndlichen Paraphasien.

Bei einem Kranken , der ungef~hr seit 21/2 Jahren an einer senilen Demenz litt , en t s t and in der letzten Zeit ein delirantes Bild mi t Be-

e in t rach t igung der Sprache, die sich hauptsi ichlich in einer LogorrhSe mi t s ta rken P~traphasien ~ul3erte. Das Sprachvers t~ndnis war dabei

in sti~rkerem Ma6e gestSrt. W~hrend sich die senilen Ersche inungen

nach Angaben der Angeh6rigen langsam entwickelten, t r a t die Sprach-

s t6rung ziemlich plStzlich auf, ohne dab abet cin Insu l t beobachte t

werden konnte . Daneben bes tand ein eigenartiges Verhal ten des Pat ien-

ten seinem Spiegelbild gegenfiber. Noch lange bevor die SprachstSrung

und die schwereren psychot ischen Ersche inungen aufgetre ten waren, begann Pa t ien t , wo immer er auf eine spiegelnde Fl~che stieft, auf sein Spiegelbild wie zu einer f remden Person einzusprechen, bald in drohen- dem, bald in mehr gemfitl ichem Tone; das war zu einer Zcit, wo schon

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deutliche senile Erseheinungen hemerkbar waren, wie eine Abnahme des Ged~iehtnisses, kindisehes Verhalten und Verkennung yon Personen, selbst dcr n~chsten AngehSrigen, mit denen er in t/iglicher Bertihrung stand.

Wenn wir das Phhnomcn, das sieh dureh seine Aufdringlichkeit von selhst aus der iibrigen Symptomatologie heraushebt - - es sei nur auf die anamnestischeu Angaben verwiesen, nach denen man alle Spiegel aus der Wohnung entfernte, um die Unruhe und die Gereiztheit des Patienten zu meistern - - vom psychologischen Standpunkt betrachtet, so darf (lie allgemeine Bedeutung des Spiegelbildes nieht ganz auL~er aeht gelassen werden. Wie es Menschen gibt, auf die der Spiegel eine besondere Anziehungskraft ausiibt und die nicht mtide werdcn, sieh darin zu betraehte, n, so gibt es eine geihe yon psychisch Labilen, Neu- rosen his zu Schizophrenen, die eine eigenartige Scheu vor ihrem Spiegel- bild haben, die sich mit einer gewissen Hast und Angst davon abwenden. l)iese lebhaften Reaktionen weisen darauf hin, dal3 die Wahrnehmung des eigenen Bildes affektiv sehr stark besetzt ist, und zwar siehtlieh sowohl lust- wie auch unlusthetont. Es w~re eine Wiedergabe trivialer Tatsachen, wollte man diese Bedeutung des Spiegelbildes an Beispielen erh~irten; die Schlagworte Eitelkeit, Wohlgefallen an sich selbst, Wirken nach auflen, Jung- und Sch0nseinwollen usw., wit ihre Gegens~tze, miigen gcniigen, um diese Einstellung zu charakterisieren. Die sum- marische Bedeutung aller dieser einzelnen Faktoren, die pathoplastisch yon grol3er Wirksamkcit sein kann, liegt jedenfalls darin, dull das eigene Bild vor Augen geffihrt und wahrgenommen wird, daft (lies nicht nur (lit einzige M(iglichkeit ist, sieh selbst als Ganzes wahrzunehmen, son- dern daft hier das kSrperlichc lch als Objekt dem Betrachter gegeniiber- stcht; abcr auch da muft noch hillzugeffigt werden, dab nicht allein das kSrperliche Ich vorgefiihrt wird, sondern auch ein gut Tell yore Innenleben; es steckt darin ebensoviel Psyche wie fiberhaupt der Aus- druck Seelisches wiedergibt, ein weiteres wichtiges Moment ffir die latente Dramatik des Spiegelbildes; daraus crhetlt geniigend, dab im Spiegelbild ein bcdeutcndes Material fiir eine komplexhafte Besetzung vorhanden ist. So ware es auch nieht unm5glich, dal3 z. B. einzelnen katatoneu Erregungszust~nden, wenn sich ihre blinde Zerst6rungswut gegen Spiegel und Glasfl~ichen richtct, nicht 1mr die Zerbrechlichkeit dcr Gegenst/indc entgegenkommt; die ticfere Bedcutung k61mte darin bestehen, dab bier ein Akt der Selbstvernichtung zur Symbolisierung kiime.

Auch fiir unseren Fall l~t[tt es sich nicht unbedingt ablehnen, dab psychogene Momente mit im Spiele sind; ist ja lange Zeit das eigenartige Verhalten des Patienten vor dem Spiegel (las auff~lligste Symptom, so dull man beimthe den Eindruck gewinnt, Patient werde yon allen

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spiegelnden Fl~chen angezogen, um seine l~eaktionen zu provozieren; man ist fast versucht, von einer Spiegelbildpsychose zu sprechen. Es ist hier nicht beabsichtigt, auf eine detaillierte Analyse der Komplex- mSglichkeiten einzugehen. Vielleicht sind es Verdrangungsmechanismen, die die Reaktionen begreiflieh machen kSnnen. Da es sich bei unserem Patienten um eine senile Demenz handelt, bei der sieh ja im allgemeinen der Wunsch nach Jungsein in vielen Reaktionen ausdriiekt und gewilt von Bedeutung ist, so w~ire es nicht unbegreiflich, daft sein Verhalten vor dem Spiegel yon hier aus mit determiniert ist.

Wenn auch die MSgliehkeit, das Spiegelbildverhalten des Patienten psychogen zu deuten, zugegeben werden kann, so darf andererseits nicht iibersehen werden, dab das nur eine Betrachtungsweise ist; denn alle Reaktionen des Patienten bauen sich darauf auf, dal~ er sein Spiegel- bild tats~chlich nicht erkennt; so inflate man denn vermuten, dab ein agnostischer Faktor ffir die Reaktionen yon Bedeutung ist. So 5hnlich wie sich unser Patient vor dem Spiegel verhalt, verhalten sieh auch manehe Kinder, wenn sie eine bestimmte Entwieklungsstufe erreieht haben; sie greifen hinter den Spiegel und suchen dort nach ihrem Spiegel- bild. Ganz Analoges kann man auch gelegentlich bei hSheren Allen feststellen. So erz~hlt mir ein Augenzeuge folgendes aus einer Tier- gartenszene: ein Zuschauer reicht einen Taschenspiegel in den Affen- k~ifig, ein Affe ergreift ihn und hantiert damit so lange herum, bis er ihn entsprechend vor sich zu halten bekommt. Er seheint eine Weile zu stutzen, greift dann plStzlich mit einer unvermittelten Bewegung hinter den Spiegel und dreht hierauf den ganzen K~)rper nach der Greif- richtung. Diese Bewegungen ffihrt er mehrmals hintereinander aus. Wir sehen hier zum Tell dieselben Reaktionen wie an unserem Falle, das Gemeinsame und Bestimmende scheint zu sein, da~ gewisse FShig- keiten vorhanden sind, andere in dem einen Fall wieder verlorenge- gangen sind, in dem anderen Fall sich noch nicht entwickelt haben. Die Unvollst~ndigkeit im Besitze aller jener Faktoren, die zur voll- sthndigen Beherrschung der Spiegelsituation notwendig sind, dazu, um eine entsprechende Gesamteinstellung zu linden, scheint die Ursaehe fiir die fehlerhaften Reaktionen, ffir das sonderbare Verhalten abzu- geben. Aus den beiden angefiihrten Beispielen, die nicht mit einer StSrung, sondern mit einer bestimmten Entwicklungsphase in Zusam- menhang stehen, l~fit sieh folgendes feststellen: sicher ist, da$ das Bild, das gesehen, auch in richtiger Weise projiziert wird. Es wird siehtlieh auch plastisch wahrgenommen. Unsicher bleibt, ob es als Doppel- g~nger ebenbild~hnlich aufgefa~t wird. Es scheint allerdings nach dem ganzen Verhalten, dali es als fremd, der Versuchsperson nicht zugehSrig, angesehen wird. Jedenfalls aber wird das Bild mit der Versuehsperson nicht in entspreehende Beziehung gebracht, die Gesamtsituation nieht

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erfaBt. Kehren wit nun zu unserem Falle zuriiek. Zur Zeit des Aufent- haltes an der Klinik war eine genaue Untersuchung sowohl wegen der starken motorisehen Unruhe wie auch wegen der Sprachst6rung sehr ersehwert. Es war auch z. B. nicht sieher auszuschliel~en, ob nicht eine agnostische StSrung zu diesem Zeitpunkt vorgelegen hat. Aus der Anamnese geht aber mit groger Wahrscheinliehkeit hervor, dab in einer Periode, in der gewig noch keine derartigen StSrungen vorhanden waren, in der sieh auch nut verh~iltnism~tBig geringe Zeichen einer senilen Demenz :,iuBerten, die eigenartigen Reaktionen vor dem Spiegel schon bestanden hatten. Damit soll nicht nur hervorgehoben werden, dab dieses auffallende Verhalten fiir sieh allein betrachtet sein will, sondern auch, dal3 es nieht gut als alleiniger Ausdruck einer allgemeinen optisch agnostischen StSrung angesehen werden kann. In diese R ichtung wtirde eher ein 5~hnlicher Fall vo~l seniler Demenz verweisen, den O. Pdtzl

anftihrt. Es handelt sich um eine apperzeptive Seelenblindheit, der pathologisch-anatomisch eine Atrophie, hauptsiichlich lokalisiert in der occipitalen Konvexit~t , entsprach. Gab man der Patientin einen Spiegel in die Hand, so erkannte sie die spiegelnde Fl~iche nieht, ebensowenig ihr Spiegelbild; es kommt zu denselben Greifreaktionen wie in unserem Falle, wenn man vor dem Spiegel Lieht oder eine helle, satte Farbe exponiert. Diese beiden Qualit~ten sind nun bei der Patientin gnostisch am besten erhalten. Mit unserem Falle hat er dies gemeinsam, dab er sichtlich sein Spiegelbild nicht erkennt; es kommt auch zu denselben Greifbewegungen wie bei uns, aber nur dann, wenn es sieh um optische Eindriieke handelt, die auch sonst relativ gut erhalten sind. Das Nieht- erkennen des Spiegelbildes geht in diesem Falle offenbar unter in der schweren allgemeinen optiseh-agnostisehen StSrung ; die Greifbewegungen kommen nur dann zustande, wenn sich optisch Erfagbares fiir den Patienten projiziert. Zu den Folgerungen, zu denen uns die friiheren Beispiele geftihrt haben, wiirde dieser Fall noch hinzufiigen, dab eine gewisse Stufe yon optischem Erkennen erreicht bzw. vorhanden sein mul~, um die Greifreaktionen auszulSsen; ist dies nicht der Fall, so scheint diese Bewegung zu unterbleiben. Nun ist es ein recht bekanntes und haufig auch friihzeitiges Merkmal der senilen Demenz, dab Personen nicht mehr erkannt werden, dab das ,,Personengediiehtnis" versagt. Auch in unserem Falle wurde das in der Anamnese hervorgehoben; es scheint auch, dab dieser Defekt schon zur Zeit der Spiegelreaktionen vorhanden war. Was als PersonengedS, chtnis bezeichnet wird, ist ge- wiB keine reine Oed~chtnisfunktion in dem Sinne, wie wir uns sonst Eingelerntes oder Aufgenommenes einpr~igen; es ist zum grol3en Teil ein optisch-gnostiseher Akt, der immer wieder von neuem vor sich geht. Das ,,Ged~chtnis" muB nattirlich dort versagen, wo wir nicht entspre- chend optisch-gnostiseh differenzieren kSnnen. Selbst bei gutem opti-

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79'=1 1~. Klein: i;lbcr eine eigenartigc Spiegelreaktion im Rahnlen

schen Ged~ichtnis fMlt es uns schwer, Angeh6rige einer fremden Rasse oder die Individuen einer Tierart voneinander zu unterscheiden, sis sehen alle einander gMch, solange wir nicht den Gesamteindruck nach Einzelheiten zu differenzieren verstehen. Es gehSrt also zum Erkennen von Personsn, auger, wenn wir den Gediichtnisanteil nicht schmiilern wollen, einer kategorialen Ged~iehtnisfunktion noah eine Tiichtigkeit in optiseh-gnostisehem Erfassen, eine Zusammenarbeit' beider, wobei die gnostisehe Fi~higkeit besonders dort beansprueht werden wird, wo es sieh um ungewohntere und seltenere Eindriieke handelt. Die Personen- unterseheidung gesehieht vor allem an dem Eindruek, den wir dureh dis Gesiehtszfige gewinnen. Gut bekannte Personen kann man sehon an anderen Merkmalen erkennen, aus der Gestalt, aus den Bewegungen usw., aber jeder weig, wie oft dies Tiiusehungen unterliegt und wie wit erst dutch das Sehen der Gesiehtsziige volle Sicherheit gewinnen. Abet aueh da kommt es h~tufig genug vor, dag Personen, die eine gewisse J~hnlieh- keit miteinander haben, verweehselt werden. Die Differenziertheit dieses gnostisehen Aktes erhSht sieh noah dadurch, dag wir etwas sieh be- sti~ndig Veritnderndes, Bewegtes vor uns haben; denn der Ausdrusk sines jedsn weehselt dursh versehiedene Umsti~nde, dutch die Situation, dutch das k6rperliehe Befinden, dutch (tie Affsktlage und iiberhaupt dutch das Bewegungsspiel der mimisehen Muskulatur. Damit wird das Personenerkennen zu einem gnostisehen Akt, der sieh yon allen iibrigen reeht wesentlieh unterseheidet und eine reeht differenzierte Funktion voraussetzt. Parallel mit dem Erfassen yon Einzelheiten, muB zugleieh ein Akt der Abstraktion vor sich gehen, der den Gesiehts- ausdruek sozusagen yon akzidentellen Faktoren reinigt, um so eine bestimmte Individualitiit herauszuarbeiten. Das weinende Gesieht einer bsstimmten Person ist hier nieht der Ausdruek des Weinens, sondern eines bestimmten Indivi~tuums, das weint. Dieses sine Bei- spiel soll aueh noch darauf hindeuten, dag an diesem Vorgang des Er- kennens und Einordnens noah ein anderer gekoppelt ist, der das Auf- genommene wieder naeh sinem anderen Gesiehtspunkte zu verarbeiten hat. Diese nur ganz fliiehtig gegebene Analyse zeigt, wieviel Voraus- setzungen erfiillt sein miissen, um diese Funktion aufreehtzuerhalten. Sic ersehsint aueh viel komplizierter, als manche gnostischen Funktionsn, die wir sonst in der Hirnpathologie zur Priifung heranziehen; am n~ichsten steht sie vielleicht noah dem Simultanerkennen (WoIpert). Sie wtirde dsr Priifung auf 0bjekte zum Teile dann entspreehen, wenn wir den Patienten vor die Aufgabe stellten, nicht einzelne Gegenst~inde generell zu unterscheiden, sondern solche derselben Art, die durch kleine Msrkmale voneinander versehieden sind. Aber aueh da wiirdcn wir die Kompliziertheit des gnostischen Aktes beim Personenerkennen noah nicht erreichen. Danach ist ss verstandheh, da[~ bestimmte Schi~-

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digungen der Gnosis eine isolierte St6rung im Personengedi~ehtnis hervorrufen k6nnen. So wird es uns aueh nieht wundern, dag diese anderen gnostisehen St6rungen im Krankheitsbilde vorauseilt. Wit werden demnaeh das Verkennen yon Personen im Krankheitsbilde der senilen Demenz nieht allein als den Ausdruek einer Ged~ehtnisst6rung im Rahmen einer Demenz ansehen diirfen.

Wit miissen vielmehr annehmen, daft das Personengedi~ehtnis aueh yon best immten optiseh-gnostisehen Funktionen abhi~ngt. Aueh das Spiegel- bilderkennen ist mit einem gnostisehen Faktor verkniipft, dem Erkennen des eigenen Ieh. Hier kommen Fehlreaktionen im Normalen nieht vor. Was das Erkennen fremder Personen in der Weise kompliziert, wie es vorher besproehen wurde, fitllt hier kaum ins Gewieht. Selbst wenn wir, wie man es beim Kinde und Affen annehmen kann, ein uns unbe- kanntes Ph~inomen vor uns h~tten, so wiirden uns die Beziehungen zwisehen uns und dem Spiegelbilde bald aufkl~iren; die F~higkeit, die Bewegungen, (tie wir an uns spiiren und die wit maehen, in Korre- spondenz zu bringen zu denen im Spiegelbilde, wiirden uns vor li~ngerer T~tusehung bewahren, selbst wenn wir aueh als erste l)berrasehungs- reaktion, wie das Kind und der Affe hinter dem Spiegel naehsehen wtirden; dadureh vereinfaeht sieh much im Normalen dieser Akt des Erkennens vor dem fremder Personen. Alle die angefiihrten Beispiele weisen darauf hin, daft, wenn es aueh bet der pathologisehen Spiegel- reaktion nieht zu Identifikationen des eigenen Iehs kommt, etwas Iehi~hnliehes gesehen werden mul~ ; speziell aus den Reaktionen unseres Falles ist es ersiehtlieh. Andererseits seheint es sehr wahrseheinlieh, daft ein best immter Grad von gnostiseher StSrung aueh noeh vor- handen sein mug, damit es zu dem gesehilderten Verhalten vor dem Spiegel kommen kann. Es werden also 2 Faktoren wirksam sein miissen, um die besehriebenen Spiegelreaktionen hervorzurufen: eine mangelhafte Gnosis fiir Gesiehtsziige, die sieh in unserem FMle aueh im Verkennen von Personen ~ufiert, und das Fehlen des Korrespondenz- bewufttseins zwisehen dem Ieh und dem Spiegelbilde. Es deutet aueh alles darauf hin, daft die normalen Beziehungen zwisehen dem Ieh und seinem Spiegelbilde gel6st sind, dag der Pat ient nieht mehr imstande ist, die beiden miteinander entspreehend zu verkniipfen.

Wit kamen friiher zu der Ansehauung, daft die StSrung des Personen- gediiehtnisses eine best immte Art optiseher Agnosie darstellt, die nieht selten, h~iufig friihzeitig und als isolierte gnostisehe StSrung bet der senilen Demenz auftreten kann; sic f~llt nieht zusammen mit der Ge- di~ehtnisstSrung bet dieser Erkrankung.

Die hier besehriebene Spiegelreaktion ist eine seltene Erseheinung; wenn in ihr auch ein optiseh-agnostiseher Faktor enthalten ist und sieh damit Beziehungen zu den StSrungen des Personenerkennens ergeben,

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so deckt sich die GesamtstSrung keineswegs mit diesen; der Haupt- faktor scheint vielmehr darin zu liegen, dal3 die entsprechende Relation zwischen dem Ich und dem Spiegelbilde aufgehoben ist. Die Bedeutung dessen ware aber gering, wenn sieh ein solcher Zusammenhang nur speziell fiir die Spiegelreaktion ergeben wfirde. Es weist aber vieles darauf hin, dab in dem Verhalten unseres Patienten vor dem Spiegel nur eine kleine Teilerscheinung einer GrundstSrung zum Ausdruck kommt. So glauben wir mit Recht annehmen zu kSnnen, dag eine solche vor allem bei einem bestimmten Typus der senilen Demenz, in dem eine auffallende Ratlosigkeit vorherrscht, enthalten ist; auch hier scheint es, als ob die Beziehungen gegenfiber der Aul~enwelt ver- lorengegangen waren, wie in unserem Falle gegenfiber dem Spiegel- bilde. Man sieht solche Patienten hilflos, wie verirrt und verloren im Zimmer herumgehen und stehen, zu nichts und zu niemandem Kontakt linden; sie wissen nicht, wo immer sie sich befinden m6gen, was sie mit sich anfangen sollen, so wic wenn sie in eine ganz Iremde Welt geraten waren; fiir sie sind die t/eaktionsmSglichkeiten auf ein Minimum zusammengeschmolzen. Wie unser Patient sein Spiegel- bild sich nicht mehr zuordnen konnte, so ist in diesen Fallen die Zuordnung der ])inge und Geschehnisse der Aul3enwelt nicht mehr mSglich; eine Schranke hat sich zwischen AuBenwelt und Innenwelt erhoben.

Wenn man nun die Frage aufwerfen wiirde, wodurch diese allge- meinen Beziehungen, die wit annehmen, welter determiniert sind, so wiirde, zuriickgreifend auf das, was fiber die St6rung im Personenerken- nen gesagt wurde, vielleicht ein solches Moment darin bestehcn, da~ die Fi~higkeit verlorengegangen ist, Einzelheiten zweckentspreehend herauszuheben, diese wiederum zu einem Ganzen synthetisch zusammen-

zufi igen. Wenn besonders hervorgehoben wird und die Beobachtungen daffir

sprechen, da[~ bei der Agnosie unwesentliche Einzelheiten allzusehr betont werden, in den Vordergrund riicken, daran haften geblieben wird oder die Zuwendung und Einstellung versagt und so das Ganze als Ein- heit, die Gestalt verlorengeht, so ergeben sich gewisse Beziehungen zu dem hier beschriebenen Verhalten der senilen Demenz. Jedenfal]s ist auch der Endeffekt unter beiden Bedingungen ein sehr ~ihnlicher, was ja in unseren Ausfiihrungen immer wieder betont werden muf3te. Die hier als mangelnde Zuordnung und Relationsfahigkeit eharakteri- sierte St6rung fiihrt zu einem Verkennen der Umweltsituation, wie es bei der Agnosie zu einem Verkennen ihrer Einzelheiten kommt; so kann aueh mit Recht die Frage aufgeworfen werden, wieviel der sog. apperzeptiven Seelenblindheit der Senilen einer solchcn allgemeinen St6rung entuommen ist, bzw. ob sie als eine isolierte St6rung entsprechend

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einer lokalisierten Atrophie in dem Sinne zu Recht besteht, wie A. Pick es angenommen hat.

Es ware vielleicht auch die M6glichkeit gegeben, dem Versti~ndnis des Besch~iftigungsdelirs als Begleitpsychose bei der senilen Demenz von da aus niiher zu riicken. Wie bei dem Delirium tremens der Alko- holiker die mannigfachen Sinnestiiusehungen einem Verkennen der Umgebung entgegenkommen und so einen giinstigen Boden ftir die trivialen Delirien abgeben, so wiirde aueh bei der senilen Demenz die Kluft, die zwisehen Aul3enwelt und Innenleben besteht, ~_hnliehes vor- bereiten.