Über zwei diploide, in Südwest-Anatolien endemische Arten aus dem Komplex derVeronica cymbalaria...

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Plant Syst. Evo]. 125, 245--252 (1976) © by Springer-Verlag 1976 Aus dem Botanischen Institut der Universität Wien und dem Conservatoire botanique, Gcnève Über zwei diploide, in Südwest.Anatolien endemisehe Arten aus dem Komplex der Veronica cymbalaria ( Scrophulariaceae) ~ Von Manfred Fischer, Wien und Werner (Ireuter, Genève (Eingegangen am 15. November 1975) On Two Diploid Species of the Veronica cymbalaria Group (Scrophulariaceae), Endemics of South West Anatolia Key Words: Scrophulariaceae; Veronica cymbalaria agg.; V. lycica LEHM., V. stamatiadae M. FISCHER et W. GR]~V~ER, spec. nova.--Karyo- systematies.--Flora of Greece, flora of Turkey. Abstract: Veronica lycica LEHM. is a distinct, diploid member of the Veronica cymbalaria group, endemic in Lycia (S.W. Anatelia). Closely related is the new V. stamatiadae M. FlSeI~ER et W. GREUTEI¢ which is also diploid and seems to be rostrieted to the sma]l Greek island !~o close to the South coast of Lycia. The chromosome numbers for both species are reported for the first time (2 n = 18). Der verdienstvolle Veronica-Forscher ERNST LEI~~Abr~ hat in seiner ausführlichen Darstellung von Veronica sect. Pocilla DUMOI~T.u subseet. Megasperma (LEI~~Abrbr) STROH auf Grund zweier Herbar- belege aus Lykien die Art V. lycica aus der Verwandtschaft eier V. cymbalaria BOD. erstmals beschrieben und abgebildet (LE~IMANN 1929: 49). Er unterschied sie hauptsächlich durch die größere Blnmenkrone und den wesentlich längeren Griffcl. Vor kurzem konnte der eine von 1 Untersuchungen über den Polyploidkomplex Veronica cymbalaria agg., II. -- Der erste Beitrag dieser Serie: FISCHER (1975). 2 = V. sec~. Alsinebe OERISEB. 17 ~

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Plant Syst. Evo]. 125, 245--252 (1976)

© by Springer-Verlag 1976

Aus dem Botanischen Inst i tut der Universi tät Wien und dem Conservatoire botanique, Gcnève

Über zwei diploide, in Südwest.Anatolien endemisehe Arten aus dem Komplex der

Veronica cymbalaria ( Scrophulariaceae) ~ Von

Manfred Fischer, Wien

und

Werner (Ireuter, Genève

(Eingegangen am 15. November 1975)

On Two Diploid Species of the Veronica cymbalaria Group (Scrophulariaceae), Endemics of South West Anatolia

Key Words: Scrophulariaceae; Veronica cymbalaria agg.; V. lycica LEHM., V. stamatiadae M. FISCHER et W. GR]~V~ER, spec. nova . - -Karyo- systematies . --Flora of Greece, flora of Turkey.

Abstract: Veronica lycica LEHM. is a distinct, diploid member of the Veronica cymbalaria group, endemic in Lycia (S.W. Anatelia). Closely related is the new V. stamatiadae M. FlSeI~ER et W. GREUTEI¢ which is also diploid and seems to be rostrieted to the sma]l Greek island !~o close to the South coast of Lycia. The chromosome numbers for both species are reported for the first time (2 n = 18).

Der verd iens tvol le Veronica-Forscher ERNST LEI~~Abr~ ha t in

seiner ausführl ichen Dars te l lung von Veronica sect. Pocilla DUMOI~T. u

subseet. Megasperma (LEI~~Abrbr) STROH auf Grund zweier Herbar-

belege aus Lykien die Ar t V. lycica aus der Verwandtschaf t eier V.

cymbalaria BOD. erstmals beschrieben und abgebi ldet (LE~IMANN 1929:

49). E r unterschied sie hauptsächl ich durch die größere Blnmenkrone

und den wesentl ich längeren Griffcl. Vor kurzem konnte der eine von

1 Untersuchungen über den Polyploidkomplex Veronica cymbalaria agg., II . - - Der erste Beitrag dieser Serie: FISCHER (1975).

2 = V. sec~. Alsinebe ŒRISEB.

17 ~

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246 M. FISCHER und W. G]aEUTER:

uns (M. F.) diese Art kultivieren, während zufällig der andere (W. G.) - - und vor ihm Frau E. STAMATIADOU, Sammlerin am Goulandris- Museum in Kifisia, Griechenland (ATH) - - auf einer politisch zu Grie- chenland gehörigen Kleininsel der lykischen Küstengewässer eine auffällige, bisher nicht bekannte Veronica-Sippe beobachtete und sammelte, die sich dann als n~chst verwandt mit V. lycica erwies und die im folgenden als V. stamatiadae neu beschrieben wird. Auch von ihr konnten zwecks näherem Studium einige Individuen in Kultur herangezogen werden. Unsere Untersuchungen wurden an den lebenden Pflanzen und an solchen aus den Herbarien ATH, WU, E und Dr. F~~EDEI~IK]~ SORtieR (Wien, früher Linz) 1 durchgeführt.

Gemeinsame Merkmale von V. lycica und V. s tamatiadae

Die beiden Arten unterscheiden sieh von den anderen Species der Verwandtschaftsgruppe, nämlich V. cymbalaria Bon., V. panormitana TIN. ex Guss. und V. trichadena JORD. et Fou~R. (vgl. dazu FISCHEn 1974 und 1975), durch folgende gemeinsame Merkmale:

B l a t t g e s t a l t : Obere Blätter (die Tragblätter der Blüten) gegen- über den unteren (den echten Laubb]ättern) deutlich verkleinert und dadurch -4- ausgeprägt hochblattartig, relativ lang gestielt, ihre Spreite im Umriß ± dreieckig, deutlich bis lang keilförmig in den Stiel ver- schmälert, meist 31appig, und. zwar von tief, fast fingerförmig zerteilt bis seicht gekerbt variierend, seltener einzelne obere Brakteen unge- lappt, ganzran4ig, spatelig. (Bei den anderen Arten der Gruppe sind die Brakteen durchaus lanbblattartig.)

F r u c h t s t i e ] e 2--3,5mal so lang wie die Brakteen, waagrecht abstehend, an der Spitze zuletzt meist hakenförmig gekrümmt oder gewunden (statt 0,5--2mal so lang wie die Tragblätter, aufrecht ab- stehend bis schwach zurückgebogen).

B l ü t e n k r o n e : auffällig groß, Durchmesser 12--16 mm, 3--4mal so lang wie der Kelch (das ist wesentlich größer als bei allen anderen Vertretern der Gruppe), im Zentrum auffällig (grünlich-)gelb, im übrigen weiß wie bei den verwandten Arten.

Gr i f f e ] (postfioral): entsprechend der großen Krone sehr lang: (2,5--)2,8--3,5(--4,0) mm (bei den verwandten Arten 0,4--2,0 mm).

S a m e n : 2 ,0- -2 ,5mm lang und 1,7--2 ,3mm breit (das ist etwa gleich groß wie bei den anderen diploiden Arten V. trichadena und V. panormitana). Die Mündung der ausgehöhlten Samen ist relativ eng, deren Gestalt daher krugförmig, wie das auch bei V. panormitana der Fall ist (ebenso bei der V.-hederi/olia-Gruppe), nicht aber bei V.

1 Für die Möglichkeit, das Material zu bearbeiten, sind wir dankbar.

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Zwei diploide Arten des Veronica cymbalaria agg. 247

cymbalaria und V. trichadena, deren Samen eine breitere Mündung aufweisen, also eher schalenförmig gestaltet sind. Dieser Unterschied läßt sich numerisch mit Hilfe des folgenden Wertes ausdrücken: Durch- messer der Mündung in Prozenten des Gesamtdurchmessers des Samens (jeweils Mittelwert aus Längs- und Querdurchmesser). Für die unter- suchten fünf Arten wurden folgende Werte ermittelt:

V. trichadena : 55--70% V. lycical : 48% V. cymbalaria : 50--70% V. stamatiadae : 40--55% V. panormitana : 45--50~o

Unterschiede zwischen V. lycica und V. s tamat iadae

Veronica lycica und V. stamatiadae sind sicherlich nahe miteinander verwandt, doch scheint es uns berechtigt zu sein, ihnen Artrang zuzu- billigen. Die V. stamatiaäae kennzeichnende MerkmMskomhination ist in der (allein bekannten) Typnspopulation völlig konstant und

V. lycica V. stamatiaäae

Habitus, Konsistenz und Farbe der Blätter

Wie bei V. cymbalaria und ver- wandten Arten: Blät ter dünn, weich, mittelgroß; Pflanze selten stärker purpurn gefärbt.

Pflanze niedrig (ca. 5 cm), stark verzweigt, halbkugelige, dem Fels anliegende Kissen bildend, auffal- lend starr, zerbrechlich, stark pur- purn-weinrot überlaufen. Äste ~: hin und her gebogen, Blätter starr, etwas fleischig, sehr klein 2.

Behaarung

Ganze Pflanze meist stark drüsen- haarig, drüsenlos behaarte Indivi- duen selten. Blätter wenig be- haart , die oberen meist stärker drüsig, die unteren wenig drüsig bis drüsenlos. Drüsenhaare zart und kurz, ähnlich wie bei V. tricha- de/hör.

Ganze Pflanze völlig kahl oder mit äußerst zerstreuten bis vereinzel- ten langen (1--2 mm), kräftigen, drüsenlosen Haaren. Drüsenhaare stets fehlend.

1 Es standen nur sehr wenige Samen zur Verfügung. Zirka 5 × 5 mm am trockenen natürlichen Standort ; unter den feuch-

teren Kulturbedingungen entwickelten sich die Laubblätter zu der gleichen Größe wie bei den übrigen Arten.

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248 M. FISCI~ER und W. GI~EUTER:

V. lycica V. stamatiadae

± Oval.

Kelehzipfel

Schmäler als bei den anderen Ar- ten, in der Mitte wenig verbreitert , an der Basis kaum verschmälert .

Samenoberfläche

Glatt, Rippen völlig fehlend oder nur sehr undeutlich, spurenweise vorhanden.

Gerippt, ähnlich wie bei V. pa- normitana (Rippen vielleicht im Durchschni t t etwas weniger s tark hervor t re tend als bei V. cymbalaria und V. trichaäena).

Bisher nur aus Lykien bekannt , wahrscheinlich auf dieses Gebiet beschrankt.

Areal

Anscheinend ein Endemi t der Kleininsel Ro ca. 6 km westlich von Kastellorizo (und etwa eben- soweit vom anatolischen Fest land und damit vom Areal der V. lycica entfernt).

Chromosomenzahlen 1

2 n = 18 ( = 2 x), gezählt an jun- gen Pr imärblä t te rn einer Keim- pflanze, die im Botanischen Garten der Universi tät Wien aus Samen aus der Umgebung von Fethiye, Prov. Mu~la, Türkei gezogen wur- den 2

2 n ---- 18 ( = 2 x), gezählt an prä- floralen Fruch tkno ten von Pflan- zen, die im Botanischen Garten der Universi tät Wien aus Samen der Typus-Aufsammlung gezogen wur- den.

Holo typen

ù Lyc ia" (sine loco), leg. EDW. FoR- Siehe S. 250. BlaS, Hr. 520, a. 1846(?) (K; n. v.).

1 Präparation somatischer 1VIitosen nach Quetsehtechnik mit Karmin- essigsäure-Färbung nach Carnoy-Fixierung. Belege sowohl der wildwachsen- den als auch der kultivierten Pflanzen sind im Herbarium WU deponiert.

Am 9. IV. 1972 gesammelt von Herrn Gartenmeister WALTER VöTlt, dem wir auch an dieser Stelle unseren herzlichen Dank aussprechen.

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Zwei diploide Argen des Veronica cymbalaria agg. 249

liegt deutlich außerhalb des Variationsbereichs der V. lycica, die ja nun ihrerseits von mehreren Fun4stel len bekannt ist. Vor allem der ausgeprägte Unterschied in der S t ruktnr der Samenoberfläche ist in der Gat tung Veronica hoch zu werten (vgl. Fisct~]~~ 1967 : 199--202).

Gesehene Belege von V. lycica

T ü r k e i : ,Paß zwischen Mendor und Babadagh", leg. Luse~~~ 645, 21. IV. 1882 (WU). - - ,Akropolis Bazirgan Zailang", leg. LUSeJ~AN 678, 26. IV. 1882 oder ,Sidyma", leg. LUSeHAN, 2. V. 1881 (WU; beide Angaben auf demselben Spannbogen mit einem Individuum der V. lycica und einem Individuum der V. cymbalaria). - - Prov. Mugla, disrr. Fethiye: Xanthus, 10 m, limesrone rocks in shade, leg. DAvIs 25455 & O. POLU~IX, 29. I I I . 1956 (E). - - Prov. Mugla: ,Toter See" (Ödi deli) bei Ferhiye, leg. VöT~, 9. IV. 1972 ( W U ) . - Prov. Antalya: road between Ka~ and Kalkan (via Sinekgi Beli), ca. 4000 fr., covering roadside banks (seine scree and partial shade of eonifer forests), leg. GUIe~ARD TrJ~/43/62, 11. IV. 1962 (E). - - Prov. Antalya: Aufstieg auf den Yumru dag W Elmali, zwischen 1200 und 1500 m sowie zwischen 1500 und 2000m, leg. So~G~~ 63-IVE-30-24 und 63-IVE-31-15 (herb. So~~E~). - - Prov. Antalya: Juniperus-excelsior- Bereich auf dem Susuz dag., ca. 1500 m, leg. So~G~R 65-24-54, 21. VI. 1965 (herb. SOrGEn). - - Prov. Antalya: Ak dag (bei ElmMi), Gerö]le am See- ufer, ca. 1800m, leg. So~oE~ 67-22-3, 24. VI. 1967 (herb. So~G~~). - - Ibidem, Geröllhalde, Bachrand, 1700 m, leg. So~o~.~ 68-25-1, 10. VII . 1968 (herb. SO~G~~).

Veronica s t a m a t i a d a e H. FISCHER et W. GREUTER» spee. nova 1

Plan ta annua, humilis (ca. 5 cm alta), intricato-ramosissima, d.i- varieato-squarrosa, pulvinos hemisphaerieos saxo aceumbentes ef- formans, carnosula, fragilis, vinaeeo-purpurascens, glaberrima vel pilis longis eglandulosis sparsissime obsita. Folia inferiora 4- cnneat im in pët iolum 10--20 m m longum at tenuata , laminis parvis (4--8 × × 4 - - 8 mm), suborbieulatis vel ovatis vel transverse ellipticis, leviter 5--7-1obatis vel -erenatis. Folia superiora ( = bracteae) minora, longe cuneata, apiee 3-erenata, rare integerrima spathulata. Raeemi (maximam par tem caulium eomplectentes) saepe Ilexuosi, elongati, multi- et sublaxi- flori ; pedieelli 12--20(- -25) m m longi, longitu4inem bractearum 2--3,5plo excedentes, patentissimi, apiee demum saepe curvati vel torti. Sepala 4, oblonga vel anguste elliptica, basi parum angustata . Corolla magna (10--14 × 1 0 - - 1 4 m m diametro), rotat~, alba, centre viridi- Ilavo. Stylus 2 , 8 - - 3 , 5 m m longus. Semina subglobosa, 2 ,0--2,5 × × 1,7--2,0 mm, lateribus costata, aurantiaeo-fusca, exeavata, ureëolata, orificii diametro 4 0 - - 5 5 % diametri seminis.

1 Collectori principi musei Goulandri historiae naturalis, dominae ELLz STAMATIADOV, qui messer indefessa agros Graeciae pervadit ibieisque instar montes scandit, aeerrimis oculis in planrarum copia rarissimam quamvis oecultam plantulam eerto detegens, ex animo dicata.

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250 M. FISCHER und W. G~~u~E~:

Holotypus: (Griechenland, Dodekanes, Inselgruppe Kastellorizo) ù Insula Ro: ad austro-occidentem sinüs Ajios Jeorjios, alt. 20--100 m; in c]ivis rupestribus calcareis septemtriones spectantibus, dumetis sempervirentibus obtectis - - in fissuris rupium calcarearum", leg. G~EUTE~ 11808, 12. IV. 1974 (WU; Isotypen: G, herb. GI~r~UTER, etc.).

Weitere Herbarbelege: Ibidem, Hügel südöstlich der Kapelle am Hafen Ajios l~ikolaos, Höhe 0 - -50m, Kalkfelsritzen, STAMATIADOU 17654, 26. III . 1974 (ATH). - - Ibidem, Frango]imnionas-Bueht, Höhe 0--30 m, Kalkfelsritzen, STAMATIADOU 17613, 26. III. 1974 (ATH).

Verbreitung und Ökologie

Veronica stamatiadae ist, soweit bisher bekannt, in ihrem Vorkom- men auf die westlichste der Inseln der Kastellorizo-Gruppe beschränkt. Diese botanisch bisher unerforschte, ca. 120 m hohe und 3 km lange Kleininsel, genannt I~o, liegt etwa 6 km westlich der Hauptinsel Kastel- ]orizo oder Mejisti, ebenfalls rund 6 km von der Küste Lykiens ent- fernt, und besteht, abgesehen von einigen kleinen steinig-lehmigen Schwemmflächen und Dolinenfüllungen, aus hartem, kompaktem Kalkfe]s. t~o ist nicht, oder nicht mehr, dauernd bewohnt, besitzt aber einen geschützten Hafen, wo einige Hüt ten nebst einer Kapelle stehen; die Ruinen eines Kastells zeugen von stärkerer menschlicher Präsenz in früheren Zeiten.

Auf Ro selbst ist Veronica stamatiadae eine durchaus h~ufige Pflanze. Ihrem charakteristischen Habitus entspricht ein in diesem Verwandt- schaftskreis ungewöhnliches ökologisches Verhalten: Die Art ist streng an l~itzen der kahlen, meist besonnten, kompakten, oft senkrecht abfallenden Ka]kfelsen gebunden. Sie gehört also zu den Chasmophyten, einer Pflanzengrnppe, welche im östlichen Mittelmeerraum besonders reich an alten, reliktischen und oftmals endemischeu Elementen ist (DAvIs 1947, 1951; GREUTE~ 1975). Hohlkugelpo]stcrförmiger Wuchs, wie ihn V. stamatiadae wenigstens näherungsweise zeigt, ist in der chas- mophytischen Lebensgemeinschaft eine häufige Erscheinung, kommt im vorliegenden Fall allerdings auf recht ungewöhnliche Art zustande. Normalerweise handelt es sich bei solchen Gewachsen um Halb- oder Zwergstr£ncher mit sympodialem Verzweigungsmodus, während V. stamatiadae eine Annuelle mit durchwegs monopodialem Bau ist. Am Standort gedeiht die Art im Verein mit anderen seltenen und charak- teristischen, für Griechenland durchwegs neuen südwestanatolischen Arten, insbesondere mit Arenaria luschanii McNEILL und Scrophularia pinardii BoIss. 1.

1 Herrn Prof. Dr. J. G~A~:, München, sind wir für die Bestimmung dieser Art sehr verbunden.

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Zwei diploide Arten des Veronica cymbalaria agg. 251

Neben V. stamatiadae kommt auf Ro auch ganz normale V. cymba- laria Bob. vor, allerdings nur spärlich und lokal in den Unkrautfluren an der Hafenbucht. Hier wie anderwärt~s auf der Kaste]lorizo-Insel- gruppe, wo V. cymbalaria weiter verbreitet ist, zeigt sie ein konstant und. auffällig abweichendes Verhalten: Es ist eine ausgesprochen synanthrope, leicht nitro- und skiaphile Art, welche in Unkrautfluren und auf Ruinen und Mauern gedeiht, den ursprünglichen, re]iktreichen Fe]sritzengemeinschaften selbst schattiger Lagen jedoch durchaus fehlt. Sie gehört demnach nicht zum autochthonen F]orenelement, sondern wurde höchstwahrscheinlich vom Menschen auf die Insel verschleppt. Folgende Angaben von Veronica cymbalaria liegen von der Inselgruppe vor (obB. = Beobachtungen von W. G.).

Insel Ro: Hafenbucht Ajios Nikolaos, Unkrautfluren, leg. G~~.VTER 11782. - - Insel Kastellorizo: Hafenor~, Mauern, leg. GREUTEt¢ 11686; östlich des Hafens am Weg zum Lykiergrab, schattige felsige Stellen, leg. STAMATIADOU 17449; ebenda, Hügel Ajios Nikolaos, zwischen Pflastersteinen in den Ruinen des Türkenviertels, leg. S~AMATIADO~r 16499; Fischerhafen Mandhraki, Gemguer, obs. ; Felder Aheres west- lich von Ajia Triadha, Unkrautfluren, obs. ; Hügel Paleokastro, Un- krautfluren der Akropolis, leg. STAMATIADOV 17583 und obs. ; Inselchen Psoradhia, beweidete Grasfluren neben Häuserruinen, obs. - - Insel Strongili: Unkrautfluren beim Leuchtturm, obs.

Die floristischen Verhältnisse in Lykien sind erst sehr mangelhaft bekannt. Veronica lycica scheint, nach den spärlichen Etikettenangaben der Sammler zu schließen, nicht - - oder doch nicht ausschließlich - - ein ausgesprochener Felsritzenbewohner zu sein. Über das Vorkommen von V. cymbalaria in Lykien besitzen wir, abgesehen vom auf S. 249 zitierten, bezüglich der genaueren Herkunft unsicheren LtrscK~tx- Beleg, keine Angaben, doch dürfte die Art auch dort in Siedlungs- nähe weiter verbreitet sein. Es wäre interessant, festzustehen, ob auch auf dem Festland die diploide endemische und. die polyploide weit- verbreitete Art ein unterschiedliches ökologisches Verhalten aufweisen und sich standortsmäßig gegenseitig ausschließen.

Zusammenfassung und Diskussion

Veronica lycica und. V. stamatiadae sind gemeinsam charakterisiert durch die großen Blüten, den langen Griffel und die verkleinerten Brakteen; sie gehören zweifellos zur Artengruppe um die im gesamten Mediterranraum verbreitete V. cymbalaria Bob. Während V. cymbalaria po]yploid ist (tetraploid und hexaploid), sind die anderen bisher be- kannten Sippen dieser Gruppe, nämlich V. cymbalaria Bob. rar. bara- dostensis M. FISCHEt~ (1975; bisher nur von einer Stelle in Irakisch-

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252 M. FISCHER U. a. : Zwei diploide Ar ten des Veronica cymbalaria agg.

Knrdis tan bekannt) , V. panormitana TIN. ex Guss. (von Sizilien bis in den I rak verbreitet) und V. trichadena JORD. et FOUR~. (Mallorca, Sizilien, Griechenland 1, Türkei1), alle diploid (FISCHER 1974, 1975). Da auch die im vorliegenden Beitrag behandel ten zwei Arten diploid sind, besteht das Kleinar tenaggrcgat nach den heutigen Kenntnisscn somit aus insgesamt fünf diploiden und einer polyploiden Sippe. Es ist bemerkenswert, dag sich die diploiden Sippen spezifisch oder zu- mindest subspezifiseh von der polyploiden V. cymbalaria abtrennen lassen, wogegen es bisher nicht gelungen ist, die tetraploide von der hexaploiden Chromosomenrasse innerhalb V. cymbalaria morphologisch zu unterscheiden. Da V. lycica und V. stamatiadae ihrem Merkmals- bestand nach etwas abseits von den drei anderen Diploiden liegen, haben sie vermutl ich bei der Ents tehung der Polyp]oiden keine Rolle gespielt. Möglicherweise sind die brakteosen Tragblät ter der Blüten und die großen Blumenkronen mit dem Saftmal als ursprüngliche Merkmale innerhalb der Gruppe zu interpretieren und die kleinen Verbreitnngsgebiete als Reliktareale aufzufassen. Demgegenüber wäre z . B . V , panormitana eine stärker abgeleitete, streng antogame (klein- blütig!), autökologisch stärker mesophilc Art (vergrößerte Deekblät- ter!), die zu einer der S tammformen der ausgeprägt anthropogenen, allopolyploiden V. cymbalaria geworden ist (FIschER 1975).

Literaturverzeichnis

DAVIS, P .H . , 1947: On the rocks. Bull. Alpine Gard. Soc. Gr. Brit. 15, 37--53.

- - 1951: Cliff vegetation in the eastern Mediterranean. J. Ecol. 39, 63--93. FIsc~~.~, M., 1967: Beiträge zur Cytotaxonomie der Veronica-hederi]olia-

Gruppe (Scrophulariaceae). Österr. Bot. Z. 114, 189--233. - - 1974: Observations sur quatre espèces de Veronica dans la flore major-

quine. Bol. Soc. Hist. Nat. Baleares 18, 5--20. - - 1975: Untersuchungen über den Polyploidkomplex Veronica cymbalaria

agg. (Scrophulariaceae). Plant Syst. Evol. 123, 97--105. GI~EUTEIL W., 1975: Die Insel Kreta - - eine geobotanische Skizze. Veröff.

Geobot. Inst. E T H Stiftung Rübel Zürich 55, 141--197. LEH~A~N, E., 1929: Geschichte und Geographie der Veronica-Gruppe

Megasperma. Bibl. Bot. 99.

Anschriften der Verfasser: Dr. MANFRED FISCttEI~, Botanisches Institut der Universität Wien, l%ennweg 14, A-1030 Wien, Österreich. - - Dr. WE~~E~ G~EUTER, eh. des Manons 2c, CI-t-1218 Grand-Saconnex, Schweiz.

1 Noch unveröffentlicht.