Umrisse einer Theorie der Risikenauslese und der Versicherung erhöhter Risiken

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Umrisse einer Theorie der Risikenauslese und der Versicherung erhShter Risiken Von Wol/gang Sachs (D/isseldorf) Die Risikenauslese und die Versicherung erhShter Risiken werden heute naeh Metho- den betrieben, die man mindestens als eine im groBen trod ganzen bewghrte Kon- vention bezeichnen kann. Die folgenden Ausffihmngen verdanken ihre Entstehung dem Streben, sieh fiber die grundsgtzliche Bedeutung der einzelnen Schritte Rechenschaft zu geben. Es liegt in der Natar eines solchen Versuches, dab hierbei mehr Fragen gest~llt als beantwortet werden. Um unsere Gedankenggnge nieht unnStig zu komplizieren, wollen wir uns auf den Bereich der Todesfallversic.herung besehrgnken; allaloge Uberlegungen ffir .den"Be- reich der Versicherungen mib Erlebensfal!charakter kommen ja-im Grunde nut auf einen Vorzeiehenwechsel hinaus, so dab diese Einsehr~nkung der Aufgabenstellung keinen Verlust an Al-lgemeingfiltigkeit bedeutet. Ir Die Grundlage unserer Uberlegungen ist stets eine Bev~lkeri~ng, die sich statistisch erfassen taBt, so daB insbesondere die in ihr bisher geltenden Sterbtichkeitssgtzo be- kann$ sind. Eine solche BevStkerung ist ffir uns mit. der Ahga~e aUer in ihr beobach- teten Sterblichkeitssgtze vollst/~ndig beschrieben; die Begriffe ,,]~evSlk6rung", ,,Sterbetafel" und ,,Absterbeordnung" sind also ,f/ir uns ~quivalent. Unsere e?ste grunds~tzliche Entseheidung ist offenbar die Auswahl dieser BevSlkerung. Die Theorie geht yon der Vorstellung aus, dab man aus den in einer Bev61kerung beob~chteten Sterbliehkaitss/~tzen auf die wahrscheinlichsten Werte ffir dio Zukunft -- ,,Sterbenswahrscheinliehkeiten" -- schhel]en kSnne. (0b dies sel, bst ein Axiom ist oder nur eine einem anders lautenden Axiom aquivalente Forderung, i~hnlich wie alas Paxallelenaxiom der euklidischen" Geometric der Forderung"gquivalent ist, da$ die Summe der Winkel im Dreieek 180° betTiigt, bteibe dahingestellt.) Aueh wenn man nur eine BevSikerung sueht, in der keine geringere Sterblichkeit obwaltet, als man sic in dem ~ufzubauenden Versieherungsbestand erwartet, erkennt man damit dies Postulat bereits an, denn man setzt die Existenz yon Sterbenswahrscheinlichkeiten, also yon wahrscheinlichsten Sterblichkeitss/itzen auch voraus, wenn man Sterbheh- keitssKtze auswghlt, die yon den wahrscheinliehsten in irgend einer Weise abweichen sollen oder dfirfen. Zwar lassen sich oft auf versehiedene Weisen Bev61kerungen ein- grenzen, die im Hinbliek auf eine vorliegende Aufgabe/iquivalent erseheinen -- nieht deswegen, well sic wirklich i~quivalent wi~ren; das sind sic tats/~ehlieh nicht, da sic ja alle etwas verschiedene Sterbliehkeitss/~tze aufweisen; sondern deshalb, weft es keine Griinde gibt, eine unter ihnen vor den iibrigen zu bevorzugen (mutatis mutandis gilt das aueh dann noeh, wenn man die wahrseheinliehsten Sterbliehkeitssatze als vom Beobaehtungszeitpunkt abhiingig betraehtet). Und umgekehrt ist mSglieh, daI~ Um- stgnde sichtbar werden, die die Vermutung begriinden, die in der betrachteten Be- vSlkerung beobachteten Sterbliehkeitss/itze seien im Hinblick au/ die zu 15sende Au/. 9 Versicherungsmathematik IV, 2 129

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Umrisse einer Theorie der Risikenauslese und der Versicherung erhShter Risiken

V o n Wol/gang Sachs ( D / i s s e l d o r f )

Die Risikenauslese und die Versicherung erhShter Risiken werden heute naeh Metho- den betrieben, die man mindestens als eine im groBen trod ganzen bewghrte Kon- vention bezeichnen kann. Die folgenden Ausffihmngen verdanken ihre Entstehung dem Streben, sieh fiber die g r u n d s g t z l i c h e Bedeutung der einzelnen Schritte Rechenschaft zu geben. Es liegt in der Natar eines solchen Versuches, dab hierbei mehr Fragen gest~llt als beantwortet werden. Um unsere Gedankenggnge nieht unnStig zu komplizieren, wollen wir uns auf den Bereich der Todesfallversic.herung besehrgnken; allaloge Uberlegungen ffir .den" Be- reich der Versicherungen mib Erlebensfal!charakter kommen ja-im Grunde nut auf einen Vorzeiehenwechsel hinaus, so dab diese Einsehr~nkung der Aufgabenstellung keinen Verlust an Al-lgemeingfiltigkeit bedeutet.

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Die Grundlage unserer Uberlegungen ist stets eine Bev~lkeri~ng, die sich statistisch erfassen taBt, so daB insbesondere die in ihr bisher geltenden Sterbtichkeitssgtzo be- kann$ sind. Eine solche BevStkerung ist ffir uns mit. der Ahga~e aUer in ihr beobach- teten Sterblichkeitssgtze vollst/~ndig beschrieben; die Begriffe ,,]~evSlk6rung", ,,Sterbetafel" und ,,Absterbeordnung" sind also ,f/ir uns ~quivalent. Unsere e?ste grunds~tzliche Entseheidung ist offenbar die Auswahl dieser BevSlkerung. Die Theorie geht yon der Vorstellung aus, dab man aus den in einer Bev61kerung beob~chteten Sterbliehkaitss/~tzen auf die wahrscheinlichsten Werte ffir dio Zukunft - - ,,Sterbenswahrscheinliehkeiten" -- schhel]en kSnne. (0b dies sel, bst ein Axiom ist oder nur eine einem anders lautenden Axiom aquivalente Forderung, i~hnlich wie alas Paxallelenaxiom der euklidischen" Geometric der Forderung"gquivalent ist, da$ die Summe der Winkel im Dreieek 180 ° betTiigt, bteibe dahingestellt.) Aueh wenn man nur eine BevSikerung sueht, in der keine geringere Sterblichkeit obwaltet, als man sic in dem ~ufzubauenden Versieherungsbestand erwartet, erkennt man damit dies Postulat bereits an, denn man setzt die Existenz yon Sterbenswahrscheinlichkeiten, also yon wahrscheinlichsten Sterblichkeitss/itzen auch voraus, wenn man Sterbheh- keitssKtze auswghlt, die yon den wahrscheinliehsten in irgend einer Weise abweichen sollen oder dfirfen. Zwar lassen sich oft auf versehiedene Weisen Bev61kerungen ein- grenzen, die im Hinbliek auf eine vorliegende Aufgabe/iquivalent erseheinen -- nieht deswegen, well sic wirklich i~quivalent wi~ren; das sind sic tats/~ehlieh nicht, da sic ja alle etwas verschiedene Sterbliehkeitss/~tze aufweisen; sondern deshalb, weft es keine Griinde gibt, eine unter ihnen vor den iibrigen zu bevorzugen (mutatis mutandis gilt das aueh dann noeh, wenn man die wahrseheinliehsten Sterbliehkeitssatze als vom Beobaehtungszeitpunkt abhiingig betraehtet). Und umgekehrt ist mSglieh, daI~ Um- stgnde sichtbar werden, die die Vermutung begriinden, die in der betrachteten Be- vSlkerung beobachteten Sterbliehkeitss/itze seien im Hinblick au/ die zu 15sende Au/.

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gabe doch nicht die wahrscheinlichsten, so dab der theoretisch gew/~hlte Ausgangs- punkt der Betrachtung nicht den Voraussetzungen der zu 16senden praktischen Auf- gabe entspricht. Immer abet wird aus den in einer Bev61kerung beobachteten Sterb- lichkeitss~tzen auf die fC~r 8ie wahrscheinlichsten Sterblichkeitss~tze geschlossen. Es hat also nicht den Anschein, dal] das Postulat der Existenz wahrscheinlichster Sterb- lichkeitss~tze entbehrlich w~re. Vielleicht k6nnte man es durch ein anderes Postulat ersetzen; gegenw~rtig client es aber als Grundlage aller ]~berlegungen. Es ist iiblich, Sterblichkeitss~tze und Sterbenswahrscheinlichkeiten nach Alters- klassen getrennt anzugeben. Ob man dabei die Altersklassen nach Jahren, Jahrfiinf- ten, Jahrzehnten oder noch grSBeren Perioden bildet, ist prinzipiell gleichgiiltig. Dehnt man die Perioden so weir aus, dab sie die ganze Lebensdauer aner Beobachte- ten umfassen, so h6rt die Abstufung der Sterblichkeitssiitze auf; auch dies Veffahren l~Bt sich also als GrenzfaU unter die iibliche Handhabung subsumieren. Diese ist, wie die Erfahrung beweist, plausibel und bequem. Sie ist abet nicht selbstverst/~ndlich; viehnehr wiirde z. B. jeder kSrperliche Tatbestand, der sich yon der Geburt bis zum Tode in meBbarer Weise monoton ver~ndert, ebensogut als MaBstab flit die Auf- stellung yon Sterblichkeitssiitzen und Sterbenswahrscheinlichkeiten dienen k6nnen; damit wfirde nur das in Jahren gemessene Alter dutch ein sozusagen physiologisches Alter ersetzt. Man k6nnte bspw. an den erreichten Grad der Arterienverkalkung denken; auch die Verwendung yon altersbedingten Veriinderungen im Auge in diesem Zusammenhang ist schon einmal vorgeschlagen women. Die Ursache dafiir, dab solche Verfahren bisher keinen Eingang gefunden haben, ist praktischer Natur: einen ein- facheren MaBstab fiir das Altern als die Zeit gibt es nicht. Es ist abet keineswegs aus- geschlossen, dab eines der anderen denkbaren Veffahren zu noch besser ausgegliche- nen Sterblichkeitss~tzen ftihren wiirde als denen, mit denen man jetzt zu arbeiten pflegt. Das e inzige mSgliche Verfahren der Messung der Sterblichkeitss~tze ist die Bezugnahme auf Altersklassen also nicht; wahrscheinlich l~Bt sich sogar nicht einmal beweisen, dab sie das o p t i m a l e Veffahren ist. Die Praxis veff~hrt indessen so, als ob es sich hier um ein Postulat handelte.

II. Indem wir vor dem AbschluB der Versicherungen eine RiRikoauslese vornehmen, erkennen wit zuniichst nur an, dab nicht yon jeder beliebig zusammengesetzten Un- tergruppe, auch wenn sie aus Angeh6rigen der zum Ausgangspunkt genommenen BevSlkerung besteht, erwartet werden kann, innerhalb ihrer w~re mit den gleichen wahrscheinlichsten Sterblichkeits~tzen zu rechnen wie innerhalb der Gesamtheit. Anders ausgedriickt, wit denken uns die Gesamtbev61kerung in Untergruppen zer- legt, die ie fiir sich im Hinblick auf die fiir sie wahrscheinlichsten Sterblichkeitss~tze zu untersuchen sind. Das unter I. erSrterte Postulat wenden wit also bereits auf die erw~hnten Untergruppen an. Daraus folgt dann, dab es in der tibergeordneten Gesamtheit erst recht wahrscheinlichste Sterblichkeitss~tze gibt. Ob und wann dieser Gedankengang umkehrbar ist, ob man also aus dem Postulat der Existenz wahr- scheinlichster Sterblichkeitss/~tze in der gesamten Bev61kerung auch ohne weiteres auf die Existenz wahrscheinllchster Sterblichkeitss/~tze in den Untergruppen schlieBen kann, die mit denen in der gesamten Bev6lkerung in aller Regel nicht identisch sein werden, kann wiederum dahingesteilt bleiben. Es gibt offenbar die verschiedensten M6glichkeiten, eine Bev61kerung derart in Un- tergruppen aufzuteilen, dab man das Postulat der Existenz wahrscheinlichster Sterb- lichkeitss~tze in ihnen als effiiUt ansehen kann. Praktisch effolgt diese Aufteilung an Hand des Alters der zu Versichernden und der Tatsachen, die bei der Antrags-

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priifung fiber sie erhoben werden. Die Aufteilung h&ngt also ab einerseits yon dem Katalog der Fragen, die im Antrag, bei der &rztliehen Untersuehung etc. gestellt werden, und andererseits yon den Antworten darauf. Der erw&hnte Fragenkatalog ist nichts a priori Feststehendes, sondern ein Produkt praktischer, vor ahem medi- zinischer Erkenntnisse und Auffassungen, die nicht an jedem Ort und nicht zu jeder Zeit identisch sind. Er bestimmt, und zwar in notwendig nicht willkfirfreier Weise, die Abgrenzung zwischen den Fragen, die wir bei der Antragspr(ifung stellen, und denjenigen, die nicht mit in Betracht gezogen werden; ebenso bestimmt er die Form, in der uns innerhalb des erw&hnten Bereiehes die ffir uns maBgebenden Antworten gegeben werden. DaB wir versehiedenartige Kataloge verwenden kSnnen, wird bspw. durch den Unter- schied in den Methoden der Risikopriifung in der grol]en Lebensversieherung einer- seits und der Volksversicherung andererseits dargetan. Auch hier liegt also eine Problematik vor, die der in der Messung der Sterblichkeit naeh Altersklassen liegenden ~ihnlich ist: man kann getrost annehmen, dab der Fragenkatalog der Risikoprfifung bei ]edem Lebensversicherungsuntemehmen auf der Erde etwas anders aussieht als bei allen anderen. Es gibt also eine ganze Gruppe praktiseh angewendeter Aufteilungs- mSglichkeiten. Indessen daft man sie vielleicht alle als Ann&herung an einen einzigen Idealtyp betrachten. Die Frage, weswegen gerade diese Art der Aufteflung vor allen anderen, an sieh ebenfalls mSgliehen bevorzugt wird, wird aber wohl auch nut dahin beantwortet werden k6nnen: weft sie plausibel und bequem ist. Aueh hier verf&hrt aber die Praxis so, a ls ob es sieh um ein Postulat handelte.

III. Diese Aufteilung der Gesamtbev61kerung in Untergruppen stellt zunaehst auf den Zeitpunkt t ab, in dem die Risikopr/ifung vorgenommen wlrd. Erst als zweiter Schritt folgt ihr der Versueh, Erkenntnisse fiber den mutmal31ichen Verlauf innerhalb der Untergruppen w~hrend eines l~ngeren Zeitraumes zu gewinnen, wobei wit uns wieder- um auf das Postulat der Existenz wahrscheinlichster Sterblichkeitss&tze und auf die statistischen Effahrungen stiitzen, die an iihnlichen Untergruppen in der Vergangen- heir gemacht worden sind. Eine/ihnliche Aufgabe hatten wir bereits gelbst, als wir aus der uns ffir die Ver- gangenheit bekannten Sterblichkeit der Gesamtbevblkerung Schliisse auf deren kiinftigen Verlauf zogen. Das gesehah, indem wit aye im Zeitpunkt t x-j/~hrigen zu- sammenfaflten und zunaehst die fiir diese in der Vergangenheit wirklich beobachteten Sterblichkeitssatze festhielten; dann zogen wir aus der wirklich beobachteten Sterb- lichkeit yon Personen h6heren Alters Schliisse auf die Sterblichkeit, die innerhalb der jetzt x-jahrigen zu erwarten ware, wenn sie jene hbheren Altersstufen erreicht h&tten. Legen wir bspw. unserer Betrachtung die deutsche Gesamtbev61kerung 1924 bis 1926 zugrunde, so haben wir fiir die im Jahre 1896 Geborenen, im Jahre 1926 also 30-j~ihri- gen, in unserer Sterblichkeitstafel die wirkliehen Sterblichkeitss&tze, die ihre Gruppe im Alter yon 27, 28 und 29 Jahren aufzuweisen hatte. Die Sterblichkeitss&tze, mit denen wir fiir sie weiterhin reehnen, haben wir aber aus den Effahrungen an Per- sonen ermittelt, die wahrend der Jahre 1924 bis 1926 h6heren Altersstufen angehbrt haben; wir haben also den festen Boden gesieherter Effahrung verlassen und den Bereieh der Wahrseheinliehkeitsiiberlegungen betreten, als unsere Gruppe gerade 30 Jahre alt war. Fiir jeden anderen Geburtsjahrgang geschah das gleiche in einem anderen Alter. Wiewohl das in den allgemein fiblichen Formulierungen nicht sicht- bar wird, erfolgt also tats~iehlich immer eine nach Geburtsjahrg/ingen getrennte Be. trachtung des Problems. Daran iindert sich auch dann nichts, wenn man bewul]t von

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einer ,,veralteten" Sterbetafel ausgeht; denn das tut man ja nur, weft man die Sterb- lichkeit jener Tafel als im Rahmen der gestellten Aufgabe verwendbare Anngherung an die inzwischen gesammelten weiteren Erfahrungen ansieht. Auch wenn man nun die Untergruppen betraehtet, finder man wieder die Zusammen- fassung Gleiehaltriger; ebenso wird der Versuch, den kfinftigen Verlauf vorherzu- sagen, im Grundsatz mit den gleiehen Mitteln unternommen wie dann, wenn es sich um die GesamtbevSlkerung handelt. Dabei wissen wir aber fiber den Verlauf inner- halt~ einer solchen Untergruppe in der Vergangenheit weniger als fiber den in der GesamtbevSlkerung. Denn nur, weil man yon den im Zeitpunkt t bereits nicht mehr Lebenden noch naehtrgglieh angeben kann, welcher Altersgruppe sie angeh6rten, war es m6glich, den Schlul3 yon der vergangenen Sterblichkeit auf die kfinftighin zu erwartende so zu vollziehen, vAe dies fiir die Gesamtbev61kerung geschah; in welehe yon den,Untergruppen, die aus der Risikopriifung resulti~ren, die im Zeitpunkt t bereits Gestorbenen einzuordnen waren, lgBt sich jedoch wenigstens dutch einfaehes Auszghlen im nachhinein nieh$ mehr entscheiden. Deshalb kSnnen wir ffir unsere Untergruppe~ yore Zeitpunkt t in' die Vergangenheit hinein beobachtete Sterb- liehkeitssgtze nur fiir einen kleinen Zeitraum e angeben, fiir den wir zu der Annahme bexechtigt sind, dab die sich aus diesem jedenfalls nieht genau 15sbaren Zuordnungs- problemen ergebende .Unsieherheit nieht ins Gewicbt fgllt.

IV. Die Betraehtung in der besehriebenen Weise ergibt fiir die GesamtbevSlkerung eine Reihe aus ebenso vielen diskreten Punkten, wie Altersklassen gebfldet worden shad; ffir die Untergruppen werden die analogen Reihen insofern kfirzer sein, als wir einer~ Teil jener diskreten Punkte fiir die Vergangenhdt nicht angeben k6nnen. Nun wollen wir uns dem angemeinen Brauch anschliel~en, indem wir durch alle Punk£e unserer Reihen eiae mSglichst glatt.e Kurve legen, und dann nicht mehr yon Reihen diskreter Punkte sprechen, sondern einfach yon Kurven. Diese denken wit uns in ein KQordinatensystem eingezeichnet, auf dessen Abszissenachse wir das Alger x und auf dessen Ordinatenachse ~ r die H6he der Sterbliehkeitssgtze qx ab- tragen. Unsere Abszissenachse endet bei x = ~o, wghrend ,wir die Ordinate nur ffir den Bereieh der Werte zwisehen 0 und 1 aufzutragen brauchen, da q den Wert 0 niemals und den Wert I nur einmal erreie]~t, ngmlieh in dem Zeitpunkt, in dem die I~urve wegen vSl!igen Aussterbens der Gruppe abbricht. Ferner werden wir in unse- rem Koordinatensystem den Zeitpnnkt der Risikopriifung t besonclers markieren und die der Vergangenheit angeh6renden (wirklichen) Sterbliehkeitssggze durch eine aus- gezogene, die der Zukunft angeh6renden (wahrseheinlichsten) Sterblichkeitssgtze durch eine gebroehene Linie darstellen. Jede der aus der Risikoprfifung resultierenden Untergruppen liefert dann eine Kl~rve, die innerhalb des angegebenen Bereichs schwankt und an seiner oberen Begrenzung endet, spgtestens da, wo x = ~o wird. Zu diesen Untergruppen geh6ren fibrigens aueh diejenigen Risiken, die auf Grund der Risikoprfifung nicht versichert werden. Mitten durch aUe diese Kurven hindureh lguft die Kurve der Sterblichkeitssgtze der gesamten Generation. l~ber das entstehende Gesamtbild und die Kurven im einzelnen lassen sich nun auch ohne zahlenmgBige Untersuehung einige weitere Aussagen machen: a) Zungchst steht fest, dal3 da, wo die Aufteilung in Untergruppen vollstgndig durch- geffihrt wird, zwisehen den sich ergebenden Kurven eine Beziehung besteht. Denn die Kurve der Sterbliehkeitssgtze der gesamten Generation kann auch besehrieben werden als die Darstellung des mit der Zahl der jeweiligen GruppenangehSrigen ge- wogenen Durehschnitts aller Untergruppen zusammen. Von den Kurven, die die

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UntergTuppen darstellen, muB also stets ein Teil oberhalb der Durehschnittskur~re verlaufen und ein Tell unterhalb, derart, dab der Mehrwert der einzelnen Kurven fiber der Durchschnittskurve, mit der Zahl der jeweiligen Angeh6rigen der zugehSri- gen Untergruppen gewogen, im Absolutbetrage gleich ist dem Minderwert der einzel- nen Kurven unter der Durchsehnittskurve, ebenfalls mit der Zahl der jeweiligen An- geh6rigen der zugeh6rigen Untergruppen gewogen (Gleichgewichtssatz). In Formeln: Sei q~) (i = 1,2, . . . . n ) der Sterbhchkeitssatz der n Untergruppen mit im Alter x unterdurchsehnittlicher oder durchschnittlicher Sterbliehkeit und Q~) (] = 1,2 . . . . m) der der m Untergruppen mit im Alter x fiberdurehschnittlieher Sterbliehkeit, l~ ) und L~ ) die Zahl der Lebenden dieser Untergruppen, qx die Durchschnittssterblichkei~ der Bev61kerung und Lx = ~_~ (l~) + L~)) die Zahl ihrer Lebenden, so ist

t

(1) qxLx = /V, (fix" 1~ )) + Z" (qx" L~') = z..\~ (q~" 1~ )) + ~, (Q~)" L~ ))

und also

(2) X~.2 {(qx -- q~))" 1~ ) } = ~', .{ ( Q O ) qx)" L(~) } •

b) Fast wghrend ihres gesamte~ Verlaufs bewegt siett die Kurve der durehschnitt- lichen Sterbliehkeit sehr viel ngher ~m unteren Rande unseres Sehwankungshereichs qx = 0 als .am oberen qx = 1. Die Kurven, die unterMlb der Durchschnittskurve verlaufen, k6nnen sich also von dieser lgngst nicht so welt entfernen wie die, die fiber ihr liegen. Damit das ~ vorigen Absatz er6rterte Gleichgewieht besteht, mfissen also die Untergruppen mit unterdurchschnittlicher Sterblichkeit insgesamt ein viel h6heres Gewieht haben als die Untergruppen mit fiberdurehschnittlicher Sterblich- keit, yon denen sich auch einige weit nach oben vom Durchschnitt entfernenl). e) Schon unier I I I ist die Rede yon den Unsicherheitsmomenten gewesen, die die Betrachtung des Verlaufs innerhalb der Untergruppen in der Vergangenheit ersehwe- ren. Sie maehen sic aber keineswegs unm6glich: Wenn sieh der G~¢d der Gefghr- dung der Gruppenangeh6rigen in den letzten Jahren nicht oder nur wenig gei~ndert hat, was wir im wesentlichen aus der Anamnese erkennen werden, so wird unsere Kurve f~r die Untergruppe, m6ge sie fiber oder unter der ffir die Gesamtbev61kerung verlaufen, doch stets etwa den gleichen Gradienten aufweisen wie diese. War aber die Gefghrdung der Gruppenangeh6rigen kurz vor dem 'Zeitpufikt t gr6Ber, als ffir die Zukunft zu erwarten steht, dann verlguft unsere Kurve da, we sie den Zeitpunkt t fiberschreitet, mehr oder weniger steil naeh unten; das wird immer dann eintreten, wenn die Gruppensterblichkeit kurz vor dem Zeitpunkt t ein Maximum aufwies, wenn also gerade dann eine erhebliehe Erkrankung oder Gefghrdung vorlag. (Schliefl- lich ist ja jede ernstliche Erkrankung mindestens dann lebensgefghrlich, wenn Kom- plikationen eintreten, und dies geschieht stets 'bei einer Anzahl der Betroffenen.) Der sich so ergebende Ausschlag nach oben-kann ein sehr verschiedenes AusmaB haben: In der Gruppe der Versieherten, die kurz vor dem Zeitpunkt t eine Blind- darmentziindung durchmachten, wird er nur gerade noch meBbar sein; betraehten wir dagegen eine Gruppe von Personen, die an Krebs erkrankt waren oder einen

1) Man wird sogar vermuten diirfen, dal~ die Untergruppen im al]gemeinen ein desto geringeres Gewicht haben, je weiter sie yon der Durchschnittskurve nach oben oder unten entfernt ver- laufen; denn diese Vermutung besagt nur, daft die Sterblichkeitssgtze der Untergruppen sich um die der am stgrksten besetzten Untergruppe im Sinne eines der bekannten Verteflungs- gesetze -- iibrigens sicher unsymmetrisch und daher nicht im Sinne einer Gaull-Verteilung -- gruppieren. Zwar ist denkbar, dab es auch Aufteilungsmethoden gibt, die nicht za diesem Er~ gebnis fiihren ; es ist aber so gut wie sicher, daft sie yon der Praxis verworfen wtirden.

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:sehweren Unfall erlitten haben, so kann die Sterblichkeit in dieser Untergruppe kurz vor dem Zeitpunkt t zehn. oder zwanzigmal so hoch gewesen sein wie die normale. In vielen F/illen dieser Art gestattet die Statistik der Krankenversicherung, diesen Sachverhalt mit ausreiehender Genauigkeit zu erfassen, umso besser, je schwerer die Gef/ihrdung war. Wit sind also in der Lage, durch eine rficksehauende Betraehtung in solehen F~llen Anhaltspunkte fiber die H5he und den Grsdienten unserer Kurven im Zeitpunkt t selbst zu gewinnen. Der Fall einer im Zeitpunkt t zu erwartenden Sterblichkeitszunahme besonders starken AusmaBes ist demgegenfiber selten; er tritt nur dann auf, wenn die Untergruppe in naher Zukunft g le iehze i t ig einer besonderen Gefahr ausgesetzt sein wird. d) Starke Abweichungen der Gradienten der Kurven ffir unterdurchschnittlich ver- laufende Untergruppen yon denen der Durchschnittskurve sind fiberhsupt nieht zu erwarten. e) Die den Verlauf in einer Untergruppe dsrsteUenden Kurven mfissen keineswcgs nur fiber oder nur unter der Durchschnittskurve verlaufen. Das klassische Beispiel hiefffir ist wohl die Krebserkrankung, die, wenn ein hinreichender Zeitraum naeh der Operation verlaufen ist, ffir die zukfinftige Prognose fiberhaupt unberiieksiebtigt bleiben kann, so da~ vor l~ngerer Zeit cinmal an Krebs Erkrankte und Geheflte eine unterdurchschnittliche Sterbliehkeit aufweisen kSnnen. Ebenso wird es Untergruppen geben, deren Verlauf in der Vergangenheit und in der Gegenwart kaum erheblich veto Durchschnitt abweicht, obwohl wir ffir sic Tstsaehen crhoben haben, die den Sterblichkeitsverlauf in der Zukunft naeh oben drficken werden, wie etwa besthnmte Kreislsufsch~den. f) Es ist nfitzlich, sich diese Dinge such einmal vet Augen zu ffihren. Zwar hat Fi- gut (1) nur scbematiscben Chsrskter; such konnten in ihr naturgem~B nur einige wenige, im Charakter stark versehiedene Kurven ffir die aus der Risikoprfifung ab- geleiteten Untergruppen eingezeichnet werden; gleiehwohl scheint sic geeignet, den Sachverhalt, vor ahem die GrSflenverh~ltnisse, anschsulich zu machen.

Wir k6nnen nunmehr versuchen, den Begritf ,,erhShtes Risiko" zu definieren. Der ]~infachheit halber wollen wir dabei die zur Ablehnung kommenden Risiken mit als ~rh6hte Risikcn betrschten. Da ein erh6htes Risiko ein nieht normales Risiko ist, kommen wir zu einer Definition des Begriffes ,,erhShtes Risiko" aueh dann, wenn wir den Begriff ,,normales Risiko" definieren -- vorausgesetzt, dab wir dies letztere nicht selbst wiedcr durch Bezugnahme auf den Begriff ,,erh6htes Risiko" tun, denn dsmit beg~ben wir uns in einen Zirkel. Die Entscheidung dsrfiber, was wir als ein normales Risiko ansehen wollen, daft nstfirlieh nicht in Widersprueh zu den Sterblichkeitsverh~ltnissen in der Gesamt- bcv61kerung stehen, die wir zum Ausgangspunkt unsercr Oberlegungen gcnommen haben. Entweder mfissen wir also den durchschnittlichen Verlauf innerhalb dieser Gesamtbev61kemng selbst als H6chstgrenze ffir den Normalverlauf betrachten, oder wir mfissen diese in irgendeiner Weise unter Berficksiehtigung dieses Durchsehnitts- verlsufs anders festlegen. Diese H6chstgrenze ist im folgenden kurzerhand als Grenz. kurve bezeichnet. Es handelt sich nicht einfach dsrum, das Kurvenhfindel, als welches sich der Verlauf unserer s~imtlichen Untergruppen darstellt, in zwei Teile zu zerlegen. Denn sUe nor- malen Risiken wollen wir ja techniseh e inhe i t l i ch behande]n; sic alle sollen Pr~-

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mien nach den gleichen Grunds~tzen zahlen, und ihre Policenwerte sollen aUe nach den gleichen Grunds~tzen errechnet werden. Dagegen woUen wit bei den erh6hten Risiken i n d i v i d u e l l vorgehen. So erhalten wit nicht zwei, sondern drei verschie- dene Kategorien yon Kurven:

a) die Kurven yon Untergruppen, die durchweg unterhalb der Grenzkurve verlaufen: statt ihrer wenden wir eine Normalkurve an.

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b) die Kurven yon Untergruppen, die durehweg fiber der Grenzkurve verlaufen: sie wenden wit individueU an SteUe der Normalkurve an.

e) die Kurven yon Untergruppen, die Sehnittpunkte mit unserer Grenzkurve haben: sie wenden wir zun/~chst individuell auf die gerade abzusehlieBenden Versiehe- rungen an und setzen das Ergebnis in Vergleieh mit dem, was sieh bei Anwendung der Grenzkurve erg/~be. Fallen nun die Pr~mien und die Polieenwerte, yore Stand- punkt des Versieherers aus betrachtet, bei individueller Behandiung sehleehter,

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die Pr/imien also geringer aus als bei Behandlung naeh tier Grenzkurve, so wenden wir die Normalkurve an; sonst bleibt es bei der individuellen Behandlung.

Im Ergebnis fallen also unter den Begriff ,,erhShtes Risiko" die Untergruppen der Kategorie b) ganz, die der Kategorie e) zu bestimmten Prozentshtzen, die sich aus dem Verhi~ltnisl) ergeben, in dem wit in ihnen erhShte undnormale ¥ersieherungen absehlieSen. Der Rest wird ignoriert und summariseh dureh unsere Iqormalkurve ersetzt. Hieraus ergibt sich insbesondere, dab eine bestimmte Person, deren Antrag im Zeit- punkt t geprfift wird, nicht ohne weiteres einfaeh ein normales oder ein erhShtes Risiko darstellt. Dies gilt vielmehr nur fiir AngehSrige der Untergruppen der Kate- gorien a) und b); Risiken aus den Untergruppen der Kategorie e) sind jedoch je da- nach normal oder erhSht, welche Versieherungsform sie abzusehheBen wiinsehen; mad jede dieser Kategorien umfagt je naeh der nicht willkiirfreien Festlegung unserer Grenzkurve verschiedene Bereiche yon Untergruppen. Es ist also zu begriiBen, dab der Ausdruek ,,minderwertige Leben" abgekommen ist, li~Bt er doch irrefiihrender- weise Entsehliisse der Unternehmen, die diese aus praktischen Grfinden unter Bezug- nahme auf die nicht willkiirfreie Festsetzung einer Grenzkurve und vielfach nur im Hinbliek auf die gerade beantragte Versieherungsform gefgllt haben, als Charakteristi- ka der betroffenen Personen erseheinen.

VI.

Wenn wir der Einfachheit halber voraussetzen, dal3 der Durchschnittsverlauf in unserer AusgangsbevSlkerung als Grenzkurve festgelegt worden ist, erhalten wir leicht einen nfitzlichen Einblick in das Wesen des Sterblichkeitsgewinns. Nehmen wir ngmlich aul3erdem noch an, dab alle Versicherungen als Risikoversicherungen und mit der gleichen Versicherungssumme abgeschlossen, Ablehnungen nicht ausgespro- chen werden und unsere Grenzkurve auch als BTormalkurve dient, so mfissen bei einem der Normalkurve genau entspreehenden Sterblichkeitsverlauf infolge unseres Gleichgewichtssatzes alle Zuschlgge ffir erh6hte Rislken genau gleich dem Sterblich- keitsgewinn sein, der dadurch entsteht, dab wir die normalen Risiken nicht individuell nach dem Verlauf ihrer Untergruppen behandeln, sondern nach der Normalkurve. Da jedoch in der Praxis gerade die schwersten Risiken abgelehnt werden, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu er~arten, dab alle Zuschl~ge ffir erhShte Risiken ein geringeres Gesamtgewicht haben al~ ullein dieser durch die Risikenauslese erzielte Tell des Sterblichkeitsgewinns. Zu ihm tritt natiirlich noch derjenige Sterblichkeits- gewinn, der entsteht, wenn. sich. erweist, dal3 die Blormalkurve nach der Seite der Vorsicht hin yon dem wirklich eintretenden Durchschnittsverlauf in der Gesamt- bevSlkerung abweicht.

VII.

Nunmehr k6nnen wir uns die Frage vorlegen, wie die Sterblichkeit in einer yon er- h6hten Risiken bereinigten BevSlkerung, d.h. also unter den normal Versieherten vertaufen wird. Wenn Wir nur die Untergruppen aussehalten, die einen fiberdurch- schnittlichen Sterblichkeitsverlauf yon ghnliehem Gradienten wie die Kurve fiir den Durehsehnitt der Gesamtbev61keruhg erwarten lassen, so wird der Verlauf in der

1) Dies Verh~ltnis hgngt also yon der Zusammensetzung des beantragten Neugeschgfts ab; wenn wit unsre Untersuchungen bspw. getrennt nach Versicherungsformen durehfiihren, wird es mithin in der Regel in den verschiedenen Teilbestgnden nieht 'gleieh hoch sein.

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bereiaigten Bev6tkerung dutch eine Kurve reprasentiert werden, die tiefer verl/~uft als die des Durchschnitts fiir die GesamtbevSlkerung, sich aber im Gradienten wenig yon ihr unterscheidet. Die Praxis schliel3t indessen auch noch aUe oder mindestens fast aUe diejenigen Untergruppen aus, die kurz vor dem ZeRpunkt t ein Maximum hatten, well diese Versicherungskandidaten ,,erst gesund werden mfissen" ; je ernster die GesundheitsstSrung war, desto wahrscheinlicher ist es, da$ die Untergruppe aus- geschlossen wird. Fassen wit a11e ausgeschlossenen Untergruppen zusammen und betraehten den Verlauf kurz vor und nach dem Zeitpunkt t, so besteht der in Figur (2) skizzierte Sachverhal,t: Der Ausbuchtung nach oben, die im Verlauf der Gesamtheit der ausgeschlossenen Untergruppen eintritt, mu$ 'wegen unseres Gleichgewichts- satzes eine entgegengesetzte und gewichtsgleiche Ausbuchtung des Verlaufs in der bereinigten BevSlkerung nach unten gegenfiberstehen. Es-ist also zu erwarten, da$ die Sterblichkeitskurve innerha!b der Normalvers~cherten,in den ersten Versicherungs. jahren einen hSheren, Gradienten hat als dieder GesamtbevS!kerung. Die praktische Beobachtung best/~tigt, das: Selektionssterbetafetn weisen als Selektionswirkung in den ersten Versicherungsjahren. eine be sonders hohe Mir~dersterbtichkeit hath.

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t x Fig, 2

Es ist auch bekannt, was geschieht, wenn wir unsere Resultate ftir alle praktisch vorkommenden Werte von t zusammenfassen, also nicht mehr nach dem Zeitpunkt der Selektion, sondern nur noch nach Altersklassen aufgliedern. Denn das bedeutet ja, da$ wir den Sterblichkeitsverlauf unserer normal versicherten Risiken nicht dutch eine Selektions-, sondern durch eine Aggregattafet auswerten: Der Selektionseffekt wird, auBer in den jiingsten Lebensjahren, nunmehr irrfolge der eintretenden Durch- schnittsbildung unsichtbar. Sofern wir diese Untersuchung getrennt nach Versicherungsformen ausfiihren, werden sie aus dem in der Anmerkung zu V. erw/~hnten Grunde zu Ergebnissen in den einzel- hen Teilbest/~nden ffihren miissen, die etwas voneinander abweichen. Die bekannten Unterschiede des Sterblichkeitsverlaufs nach Versieherungsformen sind also nicht

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allein in einer Selbstauslese begriindet, sondern mindestens zum Teil auch in der Aus- lese durch den Versicherer. Es liegt nahe, den zu erwartenden Durehschnittsverlauf innerhalb der normalen Risiken als Normalkurve im Sinne der Ausfiihrungen unter VI. zu verwenden. Dies ist die Vorstellung, die dem Arbeiten mit einer Versichertensterbetafel zugrunde liegt. Arbeitet man mit einer BevSlkerungssterbetafel, so ist es zum mindesten mSglich, die BevSlkerungssterbetafel selbst gleiehzeitig als Grenzkurve und als Normalkurve zu verwenden. Dagegen ist eine Versichertensterbetafel als Grenzkurve nieht brauch. bar: es geniigt n~mlich, unseren Gleichgewichtssatz (s. Abschnitt IV.) auf den Be. reich der normal Versicherten allein anzuwenden, um zu erkennen, dal3 die Versieher- tensterbetafel diesen Bereich in zwei gewiehtsgleiehe H~fften zerlegt. Sie kann also nut als Normalkurve verwendet werden; bedient man sich ihrer aber gleichzeitig als Grenzkurve, so ffihrt dies dazu, dab man etwa die H~lfte der normalen Risiken auch so behandelt, als ob sie erh6hte Risiken w~ren -- wenigstens dann, wenn man mit Jecldin die Forderung stellt, auch geringe Erschwerungen fiir erhShte Risiken unter allen Umst~nden zu erhebenl). Man kann also streng genommen beim Arbeiten mit einer Versichertensterbetafel nicht darauf verzichten, die sich fiir in Wirklichkeit noeh als normal anzusehenden Risiken rechnerisch ergebenden Zusehl~ge nachtr~g- lieh zu streichen. Zu einem solchen Verfahren gelangt man allerdings dann in der Praxis yon selbst, well es unmSglich ist, mehr als die H~ffte des Gesch~ftsvolumens als erhShte Risiken zu behandein.

VIII.

In der Praxis der Versicherung erhShter Risiken wird meistens mit erwarteten ~J'~er- sterblichkeitss~tzen oder ,,Risikoklassen" gearbeitet, die grSBere Bereiche yon ~ber- sterblichkeitss~tzen umfassen. Natfirlieh handelt es sich in beiden F~llen um dasselbe Veffahren, nur der Grad der Zusammenfassung variiert. Es wird also linear angeord- net, abgestellt auf die HShe der ~bersterblichkeitss~tze, der Gradient der unsere einzelnen Untergruppen repr~sentierenden Kurven abet nicht beriieksichtigt. Aus den unter VII erSrterten Griinden weist claim die niedrigste Risikoklasse, die der normalen Risiken, in den ersten Versichemngsjahren eine erhebliche Mindersterblich. keit auf, w~hrend umgekehrt die h6chsten Risikoklassen nach unserem Gleich- gewichtssatz eine besonders starke Ubersterblichkeit w~hrend der ersten Versiche- rungsjahre zeigen miissen. Da ohne Beriicksichtigung der Gradienten der Kurven sortiert worden ist, die unsere Untergruppen darstellen, eine besonders steile Ab- nahme aber nur mSglieh ist, wenn die Kurve selbst kurz vorher besonders hoch liegt, werden die am steilsten fallenden Kurven iiberwiegend in die h6chsten Risikoklassen eingereiht werden, die minder steil fallenden in mittlere Risikoklassen. Es ist also zu erwarten, dab ein halbwegs stetiger ~bergang des Verlaufs der einze]nen Risiko- klassen zwischen den beiden Extremen stattfindet. Man kommt so wieder auf das in Figur (3) wiedergegebene ,,Fischschwanzschema", das der Veffasser und seine Mitarbeiter bereits in anderem Zusammenhang abgeleitet hatten2). Die herk6mmliehe Methode der Versicherung erhShter Risiken fiihrt zwar zu einiger. maBen brauehbaren Pr~miens~tzen, aber vieffach zu einem sehr wenig befriedigenden

1) JecHin in 8axer, Versicherungsmathematik, Band 2, S. 202 oben, Berlin-G6ttingen-Heidel- berg 1958.

3) ,Sachs, Staniszewsld, R6per: Vom Wesen der Auslese, Mitteilungen der Vereinigung schweize- fischer Versicherungsmathematiker, 54. Band, Heft 1, Figur 6.

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Verlauf der Policenwerte 1). Eine zweidimensionale Anordnung, die nicht allein auf die H6he abstellt, in der unsere Sterblichkeitskurven verlaufen, sondern auch die Unterschiede ihrer Gradienten vor ailem zur Zeit t und kurz danach beriicksichtigt, w/~re daher vorzuziehen. Damit man nicht zu viele verschiedene Risikoklassen erh/flt, wiirde man sich dann mit einer st/irkeren Zusammenfassung a]s jetzt im allgemeinen fiblich zufriedengeben mfissen. Bei den Ungenauigkeiten, die mit dem jetzt ange- wandten Verfahren ohnehin verbunden sind, w/~re dies letztere wahrscheinlich kein wirldiches Opfer, sondern lediglich ein Sichtbarmachen bestehender Tatsachen.

t x Fig. 3

Es ist yon verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden, dab es Schwierigkeiten bereitet, den Verlauf, den Figur (3) zeigt, innerhalb der jetzt fiblichen Risikoklassen statistisch nachzuweisen. Das hat zun/ichst technische Grfinde: Viele der extremsten F/file eines vom Durchschnittsverlauf stark abweichenden Gradienten werden ab- gelehnt; durch die Zusammenfassung der Sterblichkeitsbeobachtungen im Sinne der Ausfiihrungen in Ziffer VII, letzter Absatz, wird die Selektionswirkung weitgehend unsichtbar gemacht; eine riickschauende Betrachtung des Verlaufs der Sterblichkeit innerhalb der erhShten Risiken im Sinne der Ausf/ihrungen unter I I I c) findet -- unverst~ndlicherweise -- iiberhaupt nicht statt. Dazu kommt aber der psychologische Sachverhalt, yon dem das Matth/iusevangelium Kap. 13 Vers 13 spricht: ,,Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht." Beispielsweise werden heute Personen mit einem nicht operierten Magengeschwiir in der Vorgeschichte mit sagen wir 75 bis 100~ Ubersterblichkeit versichert, sofern der Anfall h6chstens zwei Jahre zuriickliegt;

1) Jecldin a. a. O. S. 272; Sachs, Staniszewski, R6per a. a. O. S. 95.

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mit 50 bis 75% Ubersterbliehkdt, sofern er zwei bis fiinf Jahre zuriickliegt; aber 'nur mit 25% Ubersterblichkeit, sofern er lgnger zurfickliegt. Da die Sterblichkeit naeh Ablauf yon ffinf Jahren in allen diesen drei Klassen, nach Ablauf yon zwei Jahren in den beiden ersten Klassen fibereinstimmen muB, lgBt sich die Forderung naeh st~r- keren Erschwerungen in den beiden ersten Klassen nut dadurch erklgren, daB man fiir die Anfangsjahre eine sehr erhebliche zusgtzliche Sterbliehkeit voraussetzt, die sich dann im weiteren Verlauf schnell wieder zu einem groBen Teil renormalisiert. Solehe Beispiele aus der Einsch/itzungspraxis lassen sieh leieht in groBer Anzahl geben und stellen den Beweis daffir dar, daB aueh bisher schon mit der Vorstellung raseh abnehmender Ubersterbliehkeit in keineswegs kleinen Bereiehen gearbeitet worden ist, freilich ohne dab man daraus bisher diejenigen Folgerungen hinsicht- lich des Verlaufs der Policenwerte gezogen h/itte, die sich im Grunde von selbst er- geben. Aueh das immer stgrker fiblich werdende Verfahren, namentlich bei schweren Risiken eine Erm/iBigung der Zuschl/ige auf Grund einer neuen Risikopriifung w/ih- rend der Versieherungsdauer zuzulassen, ist nur vertretbar, wenn man einen ab- nehmenden Sterblichkeitsverlauf unterstellt.

Eingegangen am 27. Februar 1959.

Summary

Outline of a Theory of Selection and Abnormal Risks. The mortality table for a population is regarded as being composed by, special mortality tables for those classes of risk which result from the underwriting practice, and it' is shown that the entirety of the questions connected with selection and the insurance of abnormalrisks can thus be brought upon a common denominator. At the same time, there emerge some hints wtiieh may be useful fQr the further evolution of the underwriting methods now being applied,

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